Gefundene Freiräume - Renate Cziepluch - E-Book

Gefundene Freiräume E-Book

Renate Cziepluch

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Beschreibung

Reisen waren zu DDR-Zeiten immer ein kleines Abenteuer. Die Autorin besucht nach fast 40 Jahren wieder einmal den Ort in Bulgarien, den sie noch heute als ihren Traumort bezeichnet. Auf dieser Reise in die Vergangenheit erzählt sie ihrer mitreisenden Schwester von Liebe, langen Freundschaften, kurzen Begegnungen und abenteuerlichen Bahnfahrten. Mit wachsender Spannung, humorvoll und mit Gedanken und Kommentaren zur heutigen Zeit gespickt, lässt sie die Leser an ihren Reisen teilhaben. Durch geschickte Wortwahl und Dialoge wird ein Stück authentischer Zeitgeschichte widergespiegelt. Eine Lektüre, die nicht nur schmunzeln lässt, sondern auch manchmal nachdenklich macht.

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Seitenzahl: 107

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Renate Cziepluch

Gefundene Freiräume

Eine Reise in die Vergangenheit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 by edition fischer GmbH

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung: ef/bf/2B

ISBN 978-3-86455-682-1 EPUB

Inhalt

MEIN TRAUM

MAI 2018

TRÄUME

MEIN TRAUM

Es war der Traum von weiter Ferne,

so dacht ich oft, ich wär so gerne.

Auf einmal wurde es wirklich wahr,

ein Urlaub in Bulgaria!

Das fremde Land, so groß und fern,

gefühlt, wie auf ’nem anderen Stern.

Viel Neues gab es zu entdecken,

Strapazen konnten nicht erschrecken.

Das war für mich die weite Welt,

und hieß Eroberung, auch ohne Geld.

Es war ein Freiraum, wenn auch klein,

wie muss dann erst die große Freiheit sein?

MAI 2018

Die ganze Nacht hat es geregnet. Das Kofferpacken nimmt kein Ende. Die vielen Klamotten, die man heute besitzt! Trotz großer Vorfreude, beim Einpacken vergeht mir jedes Mal das Reisen. Die Blusen müssen zu den Hosen passen, die Hosen zu den Schuhen. Für abends einen Rock oder gar ein Kleid einpacken? Ist das alles kompliziert! Die Unbekannte, das Wetter, ist dabei nicht zu unterschätzen. Also, trotz vorhergesagter Gutwetterprognose, sicherheitshalber feste Schuhe neben Schuhen für den Abend einpacken. Die ganz normalen Alltagssandalen für jeden Tag, ab damit in den Koffer. Am Strand gibt es außerdem Muscheln und Steinchen, die machen Badeschuhe für meine jetzt so empfindlichen Füße notwendig. Es fehlen noch Waschzeug und Kosmetik. Natürlich die Kosmetik für den Tag und für die Nacht und vor und nach der Sonne sowie die spezielle Haarwäsche. Badeanzug oder Bikini? Bei meiner Figur noch den Bikini tragen? Was soll ich nur einpacken? Hab ich auch nichts vergessen? Passt das überhaupt alles in den Koffer?

Was bin ich umständlich geworden! Wahnsinn, früher flogen Jeans, ein paar T-Shirts, Strickjacke, Unterwäsche und ein Minimum an Waschzeug in die Reisetasche. Das reichte für drei Wochen. In Minuten war die Tasche voll und alles startklar.

Irgendwann nach Mitternacht beende ich, unsicher, das Richtige gewählt und eingepackt zu haben, diese ungeliebte Großaktion Kofferpacken. Aufgewühlt versuche ich zu schlafen und wälze mich im Bett hin und her.

Schon um vier Uhr, als ich gerade eingeschlafen war, klingelt der Wecker. Im Expresstempo werden die morgendlichen Rituale erledigt.

Alles doch noch pünktlich geschafft. Das Taxi steht auch, wie bestellt, rechtzeitig vor der Tür.

Meine Schwester Doro steht am Flughafen. Die Abfertigung verläuft so früh am Morgen relativ zügig. Nach der lästigen Pass- und Zollkontrolle und nicht enden wollender Wartezeit im überfüllten Transitraum dürfen wir endlich in den voll ausgebuchten Flieger. Wie die übrigen Fluggäste drängeln auch wir uns zu den Sitzen. Nachdem wir den gebuchten Platz erreicht haben, verstauen wir unsere Beine in der viel zu engen Reihe und versuchen es uns sitzend gemütlich zu machen. Im vorderen Teil der Maschine steht die Flugbegleiterin und fuchtelt bereits mit den Armen. Von ihrer obligatorischen Rettungsübung nimmt jedoch kaum ein Passagier Notiz. Jeder ist mit sich, seinem Handgepäck, welches nicht in die überfüllte Gepäckablage passt, oder einem seiner Körperteile beschäftigt.

»Wie weit fahren wir denn noch?«, frage ich Doro. »Wir wollen doch eigentlich nach Burgas fliegen!«

Die Maschine rollt und rollt, von uns als Ewigkeit empfunden, über das gesamte Flughafenareal, ehe die Startbahn erreicht wird. Ein kurzer Halt, der Flieger pumpt wie ein Maikäfer vor dem Start und hebt endlich ab. Etwas über zwei Stunden soll der Flug dauern. Unter den Reisenden tritt nach und nach Ruhe ein, nur der Motor brummt furchtbar laut und wird auch nicht leiser. Ich stelle die Rückenlehne etwas zurück, um bequemer zu sitzen und liege versehentlich mit meiner Lehne fast auf dem Schoß des empörten Herren hinter mir. Also, wieder zurück und ordentlich gerade sitzen!

Nach langer Zeit fliegen wir wieder einmal nach Bulgarien in unser ehemals kleines verträumtes Ravda, einen kleinen Ort am Schwarzen Meer. Was wird sich bei dieser Reise in die Vergangenheit verändert haben und was erwartet uns nach so vielen Jahren? Wir beide sind sehr gespannt.

Doro fragt mich: »Wie bist du denn eigentlich damals auf Ravda gekommen? Das Nest kennt doch kein Mensch.«

Mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich das erste Mal nach Ravda fuhr, und ich beginne zu erzählen.

»Eigentlich war es der pure Zufall, und ich denke, auch mein Glück. Das ist ja alles schon ewig her. Es war im Jahr 1981 und wir wagten uns, jung, naiv und unbedarft, ohne jegliche Vorbereitung hinaus in die für uns offenstehende kleine Welt. Wenigstens wollten wir den für uns als DDR-Bürger erreichbaren Teil der Welt, das SW (Sozialistisches Wirtschaftsgebiet), entdecken und erobern. Waren wir doch immer auf der Suche nach Freiräumen. Geld spielte dabei keine besondere Rolle, es war sowieso meistens knapp, und es durfte auch nur begrenzt Geld getauscht werden. Aber aktiv und mutig verwirklichten wir, im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten, unsere Träume voller Selbstvertrauen, manchmal auch am Rande der Legalität. Was konnte uns schon passieren, Durchhaltevermögen und improvisieren hatten wir im Alltag gelernt.

Weißt du, Doro, damals arbeitete ich auf dem Flughafen in Berlin Schönefeld. Die DDR-Fluggesellschaft Interflug hatte für ihr Personal Ferienobjekte im sozialistischen Ausland. Unter anderem gab es auch ein Vertragshaus in Ravda in Südbulgarien mit Ferienzimmern. Das Haus war nur 100 Meter vom Schwarzen Meer entfernt. Ich war sehr stolz, so einen attraktiven Ferienplatz erstanden zu haben, obwohl ich nur bei einem Dienstleister der Fluggesellschaft beschäftigt war. Ein preiswertes Zimmer am Schwarzen Meer, das hatte schon etwas ganz Besonderes. Gerda, meine Freundin, war total begeistert, als ich sie mit dieser freudigen Nachricht überraschte und selbstverständlich sofort mit von der Partie. Wir wollten schon immer einmal nach Bulgarien, nur die von den Reisebüros angebotenen bekannten Touristenziele interessierten uns nicht so sehr, und auch die Preise entsprachen nicht unseren Vorstellungen. Wir wollten das Land und die Menschen kennen lernen, und das natürlich recht günstig. Während die direkten Mitarbeiter Freiflüge zum Feriencheck erhielten, mussten wir uns um die eigene Anreise kümmern. Diese sollte natürlich so preiswert wie möglich sein. So begaben wir uns auf eine Reise ins Unbekannte, auf unsere ganz individuelle Art und Weise. Die Deutsche Reichsbahn war die günstige und einzige Alternative zum Fliegen, da wir beide kein Auto besaßen. Auslandsfahrten mit der Deutschen Reichsbahn waren super preiswert. Viele Reisende lösten, wenn sie von Berlin nach Dresden fahren wollten, eine Fahrkarte nach Decin (Tschechien). Das war günstiger. Dann kostete der Auslandskilometer vom Heimatbahnhof nämlich nur zwei, statt des Inlandsfahrpreises von acht Ostpfennigen.

Nach Erhalt des rosa Papierchens, wie wir die vor der Reise bei der Polizei beantragte ›Reiseanlage zum visafreien Reiseverkehr‹ nannten, fuhren wir zum Ostbahnhof, um Tickets zu kaufen. Am Schalter verlangten wir Fahrkarten nach Nessebar, nur 10 km von unserem Ziel Ravda entfernt. Internationale Züge fahren nur nach Varna oder Burgas, war die Antwort der Verkäuferin. Nessebar hat keinen Bahnhof. Was ist denn preiswerter, lautete meine Gegenfrage. Varna war die Antwort. Dann bitte zweimal Varna, erwiderte ich. Gesagt, getan – denn Schwarzes Meer ist Schwarzes Meer.

Schon die Anreise war abenteuerlich. Über zwei Tage dauerte die Fahrt mit dem Nachtzug über Prag, Bratislava und Budapest. An der rumänischen Grenze in Arad mussten wir umsteigen und hatten zwei Stunden Aufenthalt, um weiter durch ganz Rumänien bis Varna zu fahren.

Für den ersten Streckenabschnitt bis Rumänien besaßen wir noch Karten für das Liegewagenabteil der ungarischen Schlafwagengesellschaft. Die Tagessitze sind dort abends hochzuklappen und werden jeweils zu drei Liegen auf jeder Seite umfunktioniert. Danach könnten rein theoretisch bis zu sechs Personen im Abteil liegen oder sogar schlafen.

Bis Prag war das Abteil voll besetzt und wir kamen nicht zur Ruhe. Doch dort stiegen vier der ab Berlin mitgereisten Fahrgäste aus und wir glaubten, uns endlich zur nächtlichen Ruhe einrichten zu können. Obwohl nur zwei neue Reisende zustiegen, war das ein gewaltiger Irrtum. Denn die beiden flotten ungarischen Männer dachten nicht an Schlafen. Mit Hallo begrüßten sie uns, und die Sitze blieben Sitze. Sie stellten sich als Géza und András vor und holten schon bald nach Abfahrt des Zuges Pálinka, ungarischen Obstbrand, aus ihrem Gepäck. Den tranken sie nicht allein. Wir opferten als Gegenleistung unsere Schmalzstullen, die ursprünglich für die gesamte Anreise gedacht waren. Dank Pálinka, Händen und Füßen sowie einiger Brocken ungarischer Sprachkenntnisse meinerseits war auch bald eine lebhafte Unterhaltung auf Kleinstkindniveau im Gange.

Diese Unterhaltung wurde durch Pálinka und Übersetzungsschwierigkeiten immer witziger und vor allem immer lauter. Der ungarische Liegewagenschaffner kam aufgebracht ins Abteil und bat uns, leiser zu sein. Aber unserer Stimmung konnte er nicht entgehen. Nachdem er drei Pálinka mitgetrunken hatte, sang er am lautesten: ›ez az szép, ez az szép‹ (das ist schön, das ist schön).

Wir feierten, mit Unterbrechung an der slowakischen Grenze, bis Budapest. An der Grenze benahmen wir uns ruhig und gesittet. Den gestrengen Beamten wollten wir so seriös wie möglich erscheinen, da wir mächtigen Respekt vor ihnen hatten. Man wusste ja nie, was sie suchten oder finden würden. Weder an der slowakischen noch an der Grenze nach Ungarn wurden wir kontrolliert.

Nur der obligatorische Stempel zierte planmäßig das rosa Papierchen. Auch der Zoll ließ uns in Ruhe. Mit lautem Hallo verabschiedeten wir András und Géza in Budapest. Vorher halfen sie uns, unsere Ruhestätten herzurichten, also die Sitze in Liegen umzuwandeln.

Allein im Abteil, rollten wir nun liegend durch den restlichen Teil des Magyarenlandes bis zur rumänische Grenze. Der Schaffner, unser neuer Freund, ließ keine neuen Fahrgäste ins Abteil. Ich glaube, er musste sich von uns erholen und machte in seinem Dienstabteil erst einmal ein Nickerchen.

An der rumänischen Grenze wurde es ungemütlich. Ein Zollbeamter durchsuchte unser Gepäck. Der Genosse konnte nicht verstehen, dass wir mit nur einer Reisetasche pro Person bis nach Bulgarien in den Urlaub fahren wollten. Wir besaßen zwar nichts mehr zu essen, jedoch noch drei Schachteln unserer guten DDR-Zigaretten ›Cabinett‹. Die Übergabe einer Schachtel veranlasste den Zollbeamten, uns eine gute Weiterreise zu wünschen.

Arad ähnelte mehr einem verwahrlosten Güterbahnhof, als der erwarteten großen Grenzstation. Auf diesem ungepflegt anmutenden Bahnhof hatten wir zwei Stunden Aufenthalt bis zur Weiterfahrt nach Varna. In einem halbdunklen, von Alkohol und Qualm vernebelten Warteraum ließen wir uns kaputt und müde auf einer Bank nieder. Ich muss wohl eingenickt gewesen sein, als ich von einem gestrengen Polizisten unsanft aus dem Halbschlaf gerissen wurde. Mit böser Miene ermahnte er mich. Er gab mir sehr laut und unfreundlich in gebrochenem Deutsch zu verstehen, dass es verboten sei, hier zu ruhen. Ringsherum lagen zwar ungepflegte alte Männer, welche vor sich hin dösten oder tranken. Selbst diese fühlten sich in ihrem abgetauchten Zustand für einen Augenblick gestört. Alle müden Blicke richteten sich auf uns.

Unser Glück war es, dass unsere Mittagsruhe so barsch unterbrochen worden war. Beinahe hätten wir unseren Zug nach Varna verpasst. Eine Stunde Uhren vorstellen hier an der Zeitgrenze, war uns glattweg nach der durchfeierten Nacht entfallen. Lediglich zehn Minuten verblieben bis zur Abfahrt des Zuges. Das war eng. Mit letzter Kraft erreichten wir, nach Suchen des richtigen Bahnsteiges, kurz vor Abfahrt den überfüllten Zug. Hierfür besaßen wir weder Platz- noch Liegewagenkarten. Eine weitere Nacht im überfüllten Zug durch ganz Rumänien lag vor uns.

Wir quetschten uns fast durch den gesamten Zug bis zum vorletzten Waggon. Hier entdeckten unsere müden Augen in einem übel nach Knoblauch stinkenden Abteil noch zwei Sitzplätze. Eine Bauernfamilie hatte sich hier ausgebreitet. Zahnlos freundlich grinsend, machten sie uns Platz und räumten ihre vielen Kartons und Körbe für uns bereitwillig zur Seite. Recht bald wiegte uns das eintönige Rattern und Geruckel der Räder und der warme Mief des Abteils sanft in den Schlaf.«

»Kaffee, Tee, Wasser oder Saft? Süß oder Herzhaft?«, fragt die Flugbegleiterin. Die Frage holt mich von meinem Trip aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurück. Doro bestellt Kaffee und das als herzhaft bezeichnete Käsesandwich. Ich nicke und erbitte das Gleiche.

»Dass bei einem Kurzstreckenflug überhaupt etwas angeboten wird, ist ja erstaunlich«, sagt Doro. Doch der dünne, mehr nach Maggi als nach Kaffee duftende Pulverkaffee hat leider nicht die für den frühen Morgen erhoffte belebende Wirkung. Das als herzhaft bezeichnete, stark unterkühlte Käsesandwich ist etwas weichlich, in Richtung Nahrung für Säuglinge oder Zahnlose ausgefallen.

In Gedanken vergleiche ich mit der Vergangenheit. Nostalgisch, in Gedanken versunken, ziehen in meinem Kopf die Flüge in der gemütlichen IL 18 vorüber. Bei der Interflug oder Balkanfluggesellschaft gab es auf dieser Strecke noch eine Lunchbox mit kleinem Imbiss, meistens mit Gummiadler, wie wir die Hühnchen nannten, aber irgendwie war es appetitlicher. Bei der Balkanfluggesellschaft freuten wir uns immer über den kostenlosen Wein dazu, der den Urlaub erst so richtig einleitete. Hinten saßen die Raucher und vorne die Nichtraucher.

Aber schließlich haben wir diesmal nichts erwartet und erleben somit eine positive Überraschung. Wir fliegen ja schon über eine Stunde.

»Renate, bist du auch so gespannt, wie jetzt der Flughafen Burgas aussieht?«, fragt Doro.