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Amerika im Wahljahr 2020 „Ich wähle den Präsidenten, unter dem ich mehr Geld verdiene.“ (Ein namensloser hard-working Amerikaner im deutschen Fernsehen) Das ist schon sehr nahe an der wahren Seele Amerikas: am falschen Materialismus kapitalistischer Konkurrenz, in der das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich nicht übertreffen lässt. Aber was die zweite Welle des Wahlkampfes des Donald Trump – nach 2016 – um „America first!“ betrifft, ist das noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Im offiziell losgetretenen ‚clash of cultures‘ zwischen populistischen Lügen und demokratischer Heuchelei geht es um nichts Geringeres als die Moral der Nation – also den Gehorsam des Volkes, auf dem im Land der Freien die Weltmacht der Staatsgewalt beruht. Mehr dazu in unserer Chronik eines „Kampfs um die Seele Amerikas“. Die Krise in Weißrussland und der Fall Nawalny In der deutschen Politik zirkuliert die Auffassung, dass eine Revision der bisherigen Russlandpolitik ansteht. Die Rede ist von einem „Wendepunkt“, einer Verabschiedung von „verklärter Romantik und der Hoffnung, Wandel durch Handel zu erzeugen“. Ob für das Programm, den anderen Staat benutzen und zugleich so weit wie möglich unterordnen und entmachten zu wollen, die Charakterisierung „romantisch“ so ganz die passende ist, sei dahingestellt – für den anvisierten politischen „Strategiewechsel“ werden in Politik und Öffentlichkeit die Zusammenstöße in Weißrussland und die Vergiftung Alexei Nawalnys angeführt, berufen wird sich zudem auf eine lange Liste aus dem Vorrat älterer Vorwürfe. Zur Klärung der Frage, warum und wie das alles in einem großen Zusammenhang miteinander und im Weiteren auch mit Amerika und einer Pipeline in der Ostsee steht, empfiehlt sich eine nähere Besichtigung der beiden aktuellen Fälle. Die sollen ja schließlich als Beweismittel für den deutschen Standpunkt taugen, dass es mit Putins Russland auf dem gemeinsamen Kontinent kaum mehr auszuhalten ist… Vom Grund für „Gewaltexzesse“ und „rechte Umtriebe“ bei den staatlichen Ordnungshütern Seit dem Tod von George Floyd wacht die hiesige Öffentlichkeit besonders kritisch darüber, ob es nicht auch die hiesige Polizei in Sachen Gewalteinsatz gelegentlich übertreibt oder sich rassistischer Diskriminierung schuldig macht. Daneben sorgen rechtsradikale polizeiinterne Chatgruppen und eine offenbar recht verbreitete Vorliebe für Nazi-Devotionalien regelmäßig für den Verdacht, dass die bewaffneten Staatsbediensteten es an der rechten demokratischen Gesinnung fehlen lassen. So sieht sich die Politik genötigt, ihre Polizei gegen den Vergleich mit US-Cops zu verteidigen und darauf zu verweisen, dass deren rassistische Übergriffe und Gewaltexzesse hierzulande undenkbar seien, weil unsere Polizei fest auf dem Boden der Verfassung steht. Entsprechend schockiert zeigt sie sich angesichts „rechter Umtriebe“ einiger „Netzwerke“ und im Hinblick auf „Einzelfälle“ dokumentierter Polizeigewalt, die unberechtigterweise den guten Ruf der ganzen Truppe gefährden. Lob und Tadel, Verdächtigung wie Freispruch der Polizei schwindeln sich allesamt um die Hauptsache herum: Wovon muss der gute Ruf der Polizei überhaupt rehabilitiert werden, und wofür? Worin besteht er, der Beruf des Polizisten?

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Inhaltsverzeichnis
Amerika im Wahljahr 2020Chronik eines „Kampfs um die Seele Amerikas“
I. Das Amtsenthebungsverfahren geht zu Ende, der Kampf um die Fortsetzung von „America first!“ geht vielversprechend los
II. Die Herausforderung Sanders wird beendet, die Versöhnung Amerikas mit sich kann beginnen
III. Covid – ein Anschlag auf den amerikanischen Volkskörper als Herausforderung an die Führungsstärke der Kandidaten
IV. Antirassismus-Proteste: ein Ruf nach einem Führer, der den antiamerikanischen Terroristen ‚law and order‘ beibringt? Oder nach einem Führer, der allen Amerikanern die Einheit bringt?
V. Der Nominierungsparteitag der Demokraten „Gib den Menschen Licht in der Finsternis“ – oder: Wie Biden das von Trump gespaltene Volk unter seiner Führung versöhnen will
VI. Der Nominierungsparteitag der Republikaner „Make America great again, again!“ Ein großartiges Volk und sein großartiger Führer – im Erfolg vereint!
VII. Enthüllungen ohne Ende, die Trump nicht umbringen, sondern seinen Willen zum Sieg nur stärker machen
VIII. Kalifornien brennt, der amerikanische Traum und die amerikanische Geschichte sind in Gefahr – der Kampf um die Seele Amerikas geht weiter
IX. Das Finale: Präsidiale Siegesgewissheit bis an die Schmerzgrenze des demokratischen Systems
1. Die Mission
2. Der Mann
3. Die Fans
X. Das Ergebnis: Ein Wahlsieg ohne Verlierer
Die Krise in Weißrussland und der Fall Nawalny„Das Ende der Ostpolitik“?I. Die Krise in Weißrussland
Die schlechten Kompromisse mit Kapitalismus und Demokratie fliegen Lukaschenko um die Ohren
Die gebremste Transformation
Entzweiung von Volk und Führung durch eine „Nichtstuersteuer“
Unternehmerischer Geist im weißrussischen Silicon Valley
Die Staatsindustrie: Arbeitsteilig eingerichtete Produktionszweige unter neuen Konkurrenzverhältnissen
Die Nationalökonomie als Objekt geopolitisch begründeter Streitigkeiten mit dem großen Bruder
Die Krisenlage
Corona
Alle Sorten von Unzufriedenheit werden vereint und aufgehoben im Vorwurf: Wahlbetrug
Die Machart der Opposition
Die Wahlfälschung – der Durchbruch für die Opposition
Das Ausland: Was heißt hier „keine Einmischung“?!
Die Russische Föderation: steht nach Maidan Nr. 1 schon wieder vor einer strategischen Katastrophe vor der eigenen Haustür
II. Der Fall Nawalny
Arbeitsplatz Kreml-Kritiker 45)
Sein Marsch durch die Institutionen: mit Hilfe der Justiz …
… zum Kämpfer gegen dieses Generalübel …
… in die Öffentlichkeit …
… bis zur Konkurrenz um den Wählerwillen
Deutschland macht den Fall Nawalny zu seinem Fall
Die deutsche Politik „ermittelt“ – der Schuldspruch steht schon vorab fest
Deutschland als Vorstand einer großen Koalition empörter Feinde des Einsatzes von Giftwaffen
Ansagen zur Notwendigkeit einer Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen
Nord Stream 2
Pandemie XV.Der Wettlauf um den Corona-ImpfstoffGeschäft und Gewalt kümmern sich um die Immunisierung der Menschheit
Die Pharmaunternehmen
Die kapitalistischen Staaten
Vom Grund für „Gewaltexzesse“ und „rechte Umtriebe“ bei den staatlichen OrdnungshüternBeruf Polizist
Die „schrecklichen Bilder von Moria“Eine humanitäre Katastrophe und ihre politmoralischen Lehren
30 Jahre Deutsche Einheit „Wir miteinander – vereint und füreinander da“Verlogene Narrative zur Feier deutscher Größe
Deutschland sucht den Superschacht
1.
2.
3.
Die große Koalition arbeitet am LieferkettengesetzEine Plüschgranate gegen weltweite Ausbeutung

Amerika im Wahljahr 2020

Chronik eines „Kampfs um die Seele Amerikas“

„Ich wähle den Präsidenten, unter dem ich mehr Geld verdiene.“ (Ein namensloser hard-working Amerikaner im deutschen Fernsehen)

Das ist schon sehr nahe an der wahren Seele Amerikas: am falschen Materialismus kapitalistischer Konkurrenz, in der das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich nicht übertreffen lässt. Aber was die zweite Welle des Wahlkampfes des Donald Trump – nach 2016 – um „America first!“ betrifft, ist das noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Im offiziell losgetretenen ‚clash of cultures‘ zwischen populistischen Lügen und demokratischer Heuchelei geht es um nichts Geringeres als die Moral der Nation – also den Gehorsam des Volkes, auf dem im Land der Freien die Weltmacht der Staatsgewalt beruht.

I. Das Amtsenthebungsverfahren geht zu Ende, der Kampf um die Fortsetzung von „America first!“ geht vielversprechend los

Anfang des Jahres sieht die Welt für den Präsidenten noch ziemlich gut aus. Klar, die Sache mit dem Amtsenthebungsverfahren war nicht schön – nicht einmal für einen Amtsinhaber, der auf die Verfahrensregeln des politischen Betriebs programmatisch pfeift, weil der Kampf dagegen sein politisches Programm ist. Andererseits: Er geht aus der Affäre mit der Gewissheit hervor, dass er damit in jeder Hinsicht richtig liegt.

Erstens haben sich die Demokraten als die Feinde entlarvt, als die er sie schon immer behandelt hat. Nun haben sie auch versucht, das Volk seiner Wahlstimme zu berauben und ihm so die Chance zu verwehren, sich vier weitere Jahre unter Trump zu bestellen. Sie werden offensichtlich nicht ruhen, bis sie den Willen des Volkes endgültig vereitelt, also den Mann entthront haben, den es vor drei Jahren gewählt hat und dem es seine Ergebenheit seitdem auf jedem dafür vorgesehenen Event kundgibt.

Zweitens haben die Demokraten endgültig bewiesen, dass sie Amerika schwächen wollen. Ihre Anklage hat ja gelautet, Trump habe die nationale Sicherheit seinem persönlichen politischen Fortkommen untergeordnet, weil er die Gewährung von Militärhilfe für die Ukraine an die Bedingung geknüpft hat, die ukrainische Justiz möge eine Korruptionsuntersuchung gegen Joe Bidens Sohn aufnehmen oder zumindest ankündigen. Doch schon die Eröffnung des Verfahrens verrät, was der abschließende Freispruch später bestätigt: Trump hat recht gehabt – nicht er, sondern die Demokraten sind die wahre Gefahr für die nationale Sicherheit. Denn sie wollen den Einsatz amerikanischer Macht an die Einhaltung von irgendwelchen etablierten Verfahrensregeln knüpfen, sie also nicht in der erpresserischen Freiheit zum Einsatz bringen, auf die das Volk ein Recht hat. Sie sind es also, die das Recht des Volkes auf die Sicherheit imperialistischer Souveränität ihrem parteipolitischen Fortkommen unterordnen.

Drittens sieht das nicht nur Trump so. Auch die Mehrheit des amerikanischen Volkes juckt die inkriminierte Tat nicht; auch ihr leuchtet nicht ein, warum die freihändige Erpressung einer fremden Macht auf einmal ein Verbrechen sein soll. Der ganze Schlamm, den die Demokraten im Laufe des Verfahrens ausgraben und gegen Trump & Co schleudern, lässt sie ebenfalls kalt. Allenfalls darin sind die Demokraten nahe an der Volksmeinung: Sie hätten lieber die ursprünglichen Bedenken ihrer Führungsspitze ernst genommen, die Partei würde mit ihrem aufgeblasenen Akt staatsmännischer Verantwortung ein Verbrechen begehen, der in den Augen der Amerikaner weit schwerer wiegt als der Missbrauch der Macht: die Verhinderung ihres entschlossenen Gebrauchs.

Viertens braucht Trump sich vor den Demokraten nicht zu fürchten. Ihre rechtsstaatlichen Machtmittel können ihm nichts anhaben, solange die Republikaner ihm nicht von Bord gehen. Was sie eben nicht tun, auch wenn die Ankläger ihnen die Gelegenheit geben und in Sachen überparteiliche Verantwortung ordentlich auf die Tube drücken. Trump kann sich also sicher sein: Nicht nur 80 Prozent der republikanischen Wähler, auch Republikaner der mächtigeren Sorte stehen ihm bedingungslos zur Seite. Er ist mit seiner ‚autoritären‘ Tour kein Außenseiter mehr, sondern der unbestrittene Anführer einer Partei, die sich als seine Manövriermasse versteht und bewährt. Und das ist nicht nur für den weiteren Erfolg von „America first!“, sondern gerade im Wahljahr von entscheidender Bedeutung. Denn zwar haben Autoritarismus, Befehl und Gehorsam nicht immer den besten Ruf in der Demokratie, aber für den politischen Erfolg in ihr ist das gewünschte Resultat solcher verpönten Herrschaftsformen unerlässlich: Geschlossenheit hinter einer eben damit bewiesenen Führungspersönlichkeit.

So bekommt Trump in viel mehr als bloß dieser einen Affäre recht, nämlich in den zwei Grundgleichungen, auf denen er seit jeher besteht: zwischen der Sicherung seiner Macht und der Sicherheit der Nation, zwischen der Bekämpfung seiner eigenen Konkurrenten und der Feinde des Volkes. Wahr sind diese Grundgleichungen nicht; den Anspruch, von dem sie zeugen, meint Trump allerdings ernst, weswegen die Amerikaner ‚Wahlkampf‘ dieses Jahr sehr ernst zu nehmen haben. Dafür muss Trump auch gar nicht erst in einen gesonderten ‚Wahlkampfmodus‘ umschalten; seit drei Jahren beweist er, dass die kämpferischen Zuspitzungen eines Wahlkampfs, in denen Demokraten sich bei der Anfeindung ihrer Gegner immer etwas gehen lassen, gar nicht bloß das sind und sein dürfen. Die Wähler wissen insofern längst, woran sie bei ihm sind und was sie von ihm zu erwarten haben: die Überführung ihres Nationalismus ins Grundsätzliche, in den rücksichtslosen Kampf gegen die Feinde der Nation, und die Zuspitzung des Wahlkampfs auf seinen polemischen Kern, auf einen rückhaltlosen Kampf um die Macht. Und dazu haben die guten Amerikaner Anfang November ihren entscheidenden Beitrag zu leisten.

Diese Grundgleichungen gelten im Grunde für alles, was am Wahltag auf dem Spiel steht – also für alles, was Trump in seinem Kampf bisher erreicht hat. Die amerikanische Weltordnung ist endlich kein sicherer Platz mehr für Ideale einer multipolaren Ordnung mit globaler Völkerverständigung, also für die Ausnutzung der amerikanischen Supermacht, die seine Vorgänger zugelassen haben. Das Innenleben der Nation ist endlich kein sicherer Platz mehr für die Ideologien politisch korrekter Liberaler, die dem Volk weismachen wollen, seine Bigotterie und sein Chauvinismus seien moralische Laster und nicht Tugenden der Stärke. Dazu leistet Trump allein mit seiner Dauerbeschallung der Twittersphäre sowie mit seinen vielen ‚Likes‘ und ‚Retweets‘ für Rechtsradikale der intellektuellen, militanten und der verschwörungstheoretischen Art einen entscheidenden Beitrag. Ein von ihm orchestrierter Rechtsruck am Obersten Gericht und überhaupt im Justizsystem verspricht, aus Waffenschrank und Mutterleib sichere Häfen zu machen, während eine Mauer aus Stahl und rechtlichen Schikanen dafür sorgt, dass Amerikas Städte es für Einwanderer nicht mehr sind. Nicht länger werden die Sicherheit des Homelands und das Vorrecht der Amerikaner der moralischen Empfindlichkeit von denjenigen geopfert, die kein Blut und keine Kinder in Käfigen sehen können und denen Haarspalterei zwischen Islam und Terror wichtiger ist als die Bekämpfung der Feinde. All diese Erfolge eines Programms der nationalen Durchsetzung nach außen und der nationalistischen Aufrüstung im Innern stehen auf dem Spiel, weil die andere Partei den amerikanischen Erfolg offensichtlich gar nicht mehr will.

Dabei ist der größte Erfolg, um dessen Bewahrung es dieses Jahr zu kämpfen gilt, eine Sache, über die es in Amerika eigentlich keine zwei Meinungen gibt. Bei allen kleineren und größeren ‚Spaltungen‘ im Lande sind amerikanische Politiker und Bürger darin absolut einig: Der Reichtum der Nation bemisst sich in dem Geld, das in den Bilanzen von Unternehmen wächst und wachsen soll; dieses Wachstum ist auf dem besten Wege, wenn finanzkräftige Spekulanten bei der Suche nach größt- und schnellstmöglicher Bereicherung einem Herdentrieb folgen, der sie nach oben führt. Im ‚land of opportunity‘ versteht es sich von selbst, dass der Wohlstand der Nation in der Akkumulation des Kapitals besteht, also in der Bereicherung der erlesenen Klasse, deren Fortschritte da gemessen werden. Nicht dass man die anderen Wirtschaftsbürger vergessen würde, nur wird ihr Wohlstand wohlweislich nicht daran gemessen, ob er von Quartal zu Quartal wächst. In ihrem Fall fällt die Messlatte definitiv bescheidener aus: Für sie gilt schlicht die unumstößliche Wahrheit, dass ein Einkommen besser ist als keines, ein Job im Dienste des Wachstums anderer selbst der ersehnte Wohlstand ist. Trumps betont arbeiterfreundlicher Populismus fällt in dieser Hinsicht insofern sehr konventionell aus: Wenn er sich als Freund einer von Globalisten geschundenen amerikanischen Arbeiterklasse aufführt und die amerikanische Unternehmerschaft zur Befolgung des Prinzips ‚Amerikas Jobs den Amerikanern‘ mahnt; wenn er das Vorrecht amerikanischer Arbeiter so kämpferisch und mit so offenherziger Ausländerfeindschaft hervorhebt – dann ist das eben seine besondere Weise, diesen stolzen Massen zu ihrer Abhängigkeit von der Bereicherung der anderen Klasse zu gratulieren. Letztere wird gebieterisch eingeladen, diese menschliche Ressource voll auszunutzen.

‚Alternative Fakten‘ sind es definitiv nicht, wenn Trump darauf hinweist, dass diese nationale Hauptsache unter seiner Regie prächtig gedeiht. Alle entscheidenden Erfolgsziffern liegen – zumindest zum Beginn des Wahljahrs – eindeutig im Plus. Es gibt Wachstum, einen Aufschwung an der Börse und Jobs ohne Ende. Trump hat auch keine Scheu, die privaten Erfolge freier Unternehmer bei ihrer gerade nicht herrschaftlich dirigierten Bereicherung ausgerechnet sich als oberstem Bürokraten zuzurechnen; in dem gerne als ‚Trump bump‘ bezeichneten Aufschwung sieht er vielmehr seinen stärksten Trumpf im Kampf um den Wiedereinzug ins Weiße Haus. Widerspruch befürchtet er dabei auch nicht vonseiten der freien Unternehmerschaft, deren Stolz von der Lüge lebt, die Macht ihres Geldes und die Früchte seines Einsatzes seien ihr eigenes, ganz privates Werk, die Bereicherung an der Arbeit ihrer Belegschaften bloß der angemessene Lohn für ihre Mühe, Arbeitsplätze einzurichten. Schließlich hat Trump mit Steuersenkungen und der Beseitigung rechtlicher Hindernisse gerade für solche Heilsbringer einiges getan, damit die freien Unternehmer sich noch freier entfalten können – bei der Ausnutzung aller natürlichen Energieressourcen, die das Land zu bieten hat, bei der Ausnutzung der Arbeiter, deren Gewerkschaften er geschwächt hat, und bei der Ausnutzung der Kaufkraft einer ganzen Welt, die er an amerikanischer Ware nicht mehr vorbeilässt... Für die Fortsetzung auch dieser alles entscheidenden Erfolgsstory ist ein Kampf fällig, denn laut Trump stehen dieses Jahr nicht bloß konkurrierende wirtschaftspolitische Rezepte gegeneinander, sondern Freiheit versus Sozialismus.

Derweil hat die Führung der demokratischen Partei alle Hände voll zu tun, diesen Verdacht zu entkräften.

© 2020 GegenStandpunkt Verlag

II. Die Herausforderung Sanders wird beendet, die Versöhnung Amerikas mit sich kann beginnen

Das ist schon im Ansatz beinahe schiefgelaufen. Es hat nicht viel gefehlt, und ein linker Dinosaurier, der sich ohne Scham und mitten im antisozialistischen Paradies einen ‚Sozialisten‘ nennt, hätte es der Partei unmöglich gemacht, ihm die Nominierung zu verweigern. Hätte Bernie Sanders seine frühen Siege in den demokratischen Vorwahlen fortgesetzt, dann hätte die Partei Trumps Feindbild recht gegeben, heißt es, und ihm die Stimmen der Mitte gleich frei Haus liefern können.

Schon seine Positionen machen den Mann ziemlich unmöglich – darunter eine gesetzliche Krankenversicherung für alle, ein kostenloses Studium an allen staatlichen Hochschulen und ein ‚Green New Deal‘ zur Forcierung einer amerikanischen Energiewende. Das ist zwar nicht gerade ein sozialistischer Umsturz, aber immer noch kommunistisch genug, um Trump darin recht zu geben, dass der Angriff der Demokraten auf ihn auch auf heilige amerikanische Prinzipien zielt: auf die Freiheit des Geschäfts und darauf, dass ein jeder Amerikaner für sich selbst sorgt. Der Vorwurf gegen Sanders ist insofern ungerecht, als Notwendigkeit und Nutzen derartiger staatlicher Eingriffe der amerikanischen Politik nun wirklich nicht fremd sind, nicht einmal den Republikanern. Für die Industriepolitik gilt das sowieso – kaum ein epochemachender technologischer Durchbruch, bei dem der finanzkräftige Bedarf der Weltmacht nach den Werkzeugen militärischer Überlegenheit nicht Pate gestanden hätte. Auch in den Abteilungen Bildung und Soziales verlassen sich die politischen Steuermänner der freiesten Konkurrenz nicht darauf, dass der freigesetzte Geschäftssinn für die Bedingungen sorgt, unter denen diese Konkurrenz so funktioniert, wie die Weltmacht es für ihre weltweite Überlegenheit braucht. Blind sind sie jedenfalls nicht für den Umstand, dass der Erfolg des Geschäfts der einen ständig mit der Unfähigkeit der anderen einhergeht, selbstständig zurechtzukommen und dabei zuverlässig ihre Beiträge zu den wachsenden Zahlen zu liefern, in denen die Nation ihren Reichtum bemisst. Dennoch: Zur Moral dieser Nation passen solche Eingriffe nicht so recht; die pflegt unverdrossen die Lüge, ihr einzigartiger Erfolg sei im Grunde das Ergebnis der Schaffenskraft freigesetzter, selbstverantwortlicher Tüchtiger, also ein Lehrstück darin, wozu ein Volk es bringen kann, wenn man ihm eine wirklich freie Marktwirtschaft zumutet. Und das ist nicht einmal bloß heiße Luft, sondern eine amerikanische Lebenslüge – die moralische Lehre, mit der die amerikanische Arbeiterklasse ihren Beitrag zu dieser einzigartig erfolgreichen Kombination aus Weltgeld und Weltmacht leistet. Es ist das stolze Selbstbewusstsein, mit dem sie alle Zumutungen bewältigt, die der amerikanische Erfolg ihr beschert. Daran wollen die Demokraten nichts geraderücken.

Unmöglich ist deswegen auch die Art, wie Sanders seine alternative Politik vorträgt. Er propagiert nicht nur eine Reihe von ‚progressiven‘ sozialen und ökologischen Maßnahmen, was schon heikel genug wäre, sondern – dies der eigentliche Gehalt seiner Selbstbezeichnung als Sozialist – eine offensive Gegenmoral. Er tritt nicht bloß als Freund der Underdogs und der Umwelt auf, sondern rückt dabei auch – zumindest in den Augen seiner Kritiker – den Reichtum der Nation selbst in ein zweifelhaftes Licht. Das verbindet er auch noch mit dem Vorwurf der Vernachlässigung, gar des Verrats der Politik an den wirklich hart arbeitenden Amerikanern und lässt dabei nicht einmal eine sichtbare Unterscheidung zwischen Republikanern und Demokraten erkennen. Spätestens diese Anti-Establishment-Kampfansage macht den Führern der demokratischen Partei klar, dass Bernie Sanders auf keinen Fall ihr Mann ist und sie nicht seine Partei. Für die präsidentielle Machtausübung ist er insofern absolut ungeeignet. Für den Machterwerb muss eine derartige Radikalität nicht einmal nur schlecht sein, hört man. Solch progressive Positionen und ein solch aggressives Auftreten im Namen des kleinen Mannes und eines sozialeren Klassenstaats könnenallemal dafür gut sein, insbesondere Jungwähler für die Partei zu begeistern, die sich sonst nicht so leicht in die Wahlurnen locken lassen; Sanders’ eigener Erfolg gibt ihm darin auch recht. Doch für die Eroberung der alles entscheidenden ‚Mitte‘, deren Mitglieder ‚swing voters‘ (Wechselwähler) und deren Wohnorte ‚swing states‘ genannt werden, damit niemand verpassen kann, in welcher Hinsicht ihre Meinung überhaupt zählt, ist das letztlich parteipolitischer Selbstmord. Für den Mainstream und erst recht die Führung der Partei steht nach wie vor fest, dass ihr Volk sich zwar mehrheitlich von einem rechten Populisten in seinem Nationalismus, aber nicht von einem linken Populisten in seinem sozialen Herzen zu großen Sprüngen motivieren lässt.

Was es stattdessen braucht und wofür man es nur gewinnen kann, ist eine Rückkehr zur wirtschaftlich erfolgreichen, staatsbürgerlich vereinten Normalität. Das kann zwar durchaus Änderungen im Einzelnen einschließen. Natürlich kann man es hart arbeitenden Amerikanern leichter machen, sich als die Lohnarbeiter zu reproduzieren, die sie sind, etwa mit einer Krankenversicherung möglichst für alle oder womöglich auch einer landesweiten Erhöhung des Mindestlohns. Auch eine Art grüne Energiewende geht in Ordnung, wenn sie sich lohnt, sowie eine weitergehende ‚Liberalisierung‘ der amerikanischen Sittlichkeit als weiter ausgebauter Willkommensgruß an Minderheiten aller Art in der Familie einer wahrhaft egalitären Klassengesellschaft. Doch ein solcher Veränderungswille darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, am moralischen Kompass des Landes drehen zu wollen. Er darf keinen Gegensatz zwischen dem Reichtum der Reichen auf der einen, der Armut der Armen und der Zerstörung der Umwelt auf der anderen Seite, zwischen der Freiheit der einen und der Freiheit der anderen aufbauen; er darf keine Spaltung dort einführen, wo Versöhnung vonnöten ist. Es hat also dabei zu bleiben: Die Bereicherung erfolgstüchtiger Kapitalisten ist die Bedingung und das beste Mittel für alles, was man der Masse der hart arbeitenden Amerikaner an sozialen Taten und der Umwelt an Nachhaltigkeitspflege angedeihen lässt; und eine ‚progressive‘ Sittlichkeit darf keinesfalls als Angriff auf die alte verstanden werden. Einem Kandidaten, der mit Übergängen dieser wirtschaftspolitisch wie parteipolitisch tödlichen Art liebäugelt, muss die Nominierung verwehrt werden. Stattdessen braucht es einen Politiker, der verkörpert, dass die Demokraten kein Gegenprogramm zu Wachstum und Beschäftigung als Inbegriff wirtschaftlicher Vernunft und auch keine linke Gegenmoral wollen; dass sie nicht den Abbruch, sondern die Fortsetzung der Erfolge wollen, die unter Trump auf diesem Feld erzielt worden sind – aber eben ohne den Präsidenten, der den guten Willen der Demokraten dabei nicht anerkennt, der die Unterschiede bei der Betreuung und Beförderung der amerikanischen Erfolgsmaschinerie zu unversöhnlichen Gegensätzen aufbläst. Es braucht also einen Kandidaten, der gegen Trumps aggressive Lügen eine eigene, versöhnliche setzt; der ein Ideal der erfolgreichsten Klassengesellschaft aller Zeiten als ein harmonisches Gemeinschaftswerk repräsentiert. ‚Moderat‘, ‚pragmatisch‘, ‚zentristisch‘ lauten dann die einschlägigen Adjektive.

Doch so einfach läuft es nicht im Mutterland der Demokratie. Über den Ausgang der innerparteilichen Konkurrenz entscheidet nicht die Parteiführung, sondern die Basis. Für das Kontrollbedürfnis der führenden Parteimitglieder ist das nicht immer erfreulich, aber die demokratische Logik hinter der Verfahrensweise ist durchaus bestechend. In der einzigen Frage, die in der Demokratie dem Wählervolk vorgelegt wird – Wer soll an die Macht? –, ist dieses wohl selbst am kompetentesten. Und umgekehrt verschafft die Parteibasis so dem Nominierten eine Qualifikation, die gemäß der zirkulären Logik der demokratischen Herrschaftsbestellung für den Sieg in der Hauptwahl alles aussticht, was der sonst noch an zündenden Herrschaftskonzepten und -qualitäten aufweisen mag: einen echten Wahlerfolg. Der Kandidat geht auf jeden Fall als erwiesener Gewinnertyp in die Hauptkür. In dem Sinne, kurz vor der größten, ‚Super Tuesday‘ genannten Vorwahlrunde, ziehen die ‚zentristischen‘ Konkurrenten ihre Kandidatur zurück und stellen sich hinter den größten zentristischen Hoffnungsträger, den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden.

Dafür, dass dieser Mann zur vorgesehenen Rolle passt, sprechen aus Sicht der Parteispitze gleich mehrere Gründe: Seine Positionen lassen auf beinahe allen Feldern genau die versöhnliche Normalität erkennen, zu der die Partei zurück und mit der sie die Wähler überzeugen will, im Grunde eine Neuauflage der Obama-Politik. Über ‚Charisma‘, heißt es, verfügt der Mann zwar nicht – was keine Eigenschaft ist in dem Sinne, vielmehr das zweifelhafte Kompliment, dass bürgerliche Untertanen sich persönlich und unmittelbar für jemanden begeistern, der ihnen sagen will, wo es langgeht. Aber Charisma braucht es dieses Jahr ohnehin nicht unbedingt, eher jemanden, der das Gegenteil von Spaltung verkörpert, die Fähigkeit ausstrahlt, Gegensätze zu überbrücken, weil er sie eben nicht als solche behandelt. Gefragt ist also ein eingefleischter, glaubwürdiger Heuchler, dem man das Etikett ‚anständig‘ anhängen kann. Vor diesem Hintergrund sieht Bidens halbes Jahrhundert im Senat ganz gut aus, zumal er sich in der Zeit den Ruf eines kompromissfähigen, überparteilichen Pragmatikers erworben hat. Seine acht skandalfreien Jahre als Vizepräsident bescheren ihm außerdem einen gewissen präsidentiellen Amtsbonus – schon wieder ein Vorteil nach der zirkulären demokratischen Logik, dass ein Machthaber sich vor allem dadurch für die Macht empfiehlt, dass er sie schon einmal hatte. Die schwarze Hautfarbe seines damaligen Chefs verschafft ihm angeblich auch die Zuneigung der schwarzen Wähler – günstig in einem Land, in dem der Rassismus gerade im Wahlkampf seinen festen Platz hat. Eine hässliche Establishmentfratze wie die selige Hillary ist er auch nicht, hat er doch seine ganze politische Karriere auf der Kultivierung einer Nähe zur weißen Arbeiterschaft aufgebaut – sehr günstig im Kräftemessen mit dem blonden Schutzengel der Weißen, deren Rassismus bedient sein will, wenn man sie überzeugen will. 1) Die Strategie der führenden Zentristen geht auf:Biden fährt in den entscheidenden Runden der Vorwahlen einen Erdrutschsieg ein. Den verbleibenden Sorgen in der Partei, sein hohes Alter und seine gelegentliche Fahrigkeit könnten den Eindruck abnehmender Zurechnungsfähigkeit erwecken, begegnen seine Wahlkampfstrategen mit der Versicherung, dass er es dieses Jahr im Grunde ziemlich leicht hat. Er muss sich vor allem zurückhalten und sich gerade dadurch von Trump positiv abheben. Denn mit dessen spalterischer Hetze, so die Gewissheit der Demokraten zumindest zu Beginn des Wahljahrs, wird Trump sich schon selbst endgültig als unamerikanische Anomalie entlarven, wird sich seine Zeit im Weißen Haus ein für allemal als Ergebnis einer einmaligen Geschmacksverirrung entpuppen.

Was die Demokraten gegen Trumps Kampf um die Stärke der Nation gegen alle Feinde setzen, ist also das Angebot eines harmonischen Zusammenwirkens für den kapitalistischen und imperialistischen Erfolg der Nation. Gegen seine Zuspitzung des ‚Kulturkampfs‘ zwischen Konservativen und Liberalen setzen sie einen Nationalismus für das ganze Volk – mit dem starken Argument, dass das, was bislang unter „America first!“ läuft, auf eine Schwächung Amerikas hinausläuft. Stattdessen steht die kollektive Besinnung darauf an, dass die Stärke der Nation in der Einheit des Volkes liegt. Und gegen Trumps kompromisslosen Kampf um die Macht setzen sie das Dementi eines bloß parteilichen Machtkampfs als Wahlkampf. Kurz: Gegen Trumps Lüge, er vertrete das einzig wahre Amerika gegen lauter Feinde im Volk, setzen die Demokraten die Heuchelei, ihr Mann vertrete das ganze amerikanische Volk gegen einen eigentlich einsamen Spalter. Die amerikanische Demokratie ist eben bunt und lebendig.

*

Es kann losgehen, das Duell zwischen diesen zwei Varianten des herrschaftlichen Moralismus eines starken Volkes. Sein Verlauf gerät schnell etwas außergewöhnlich – es sind vor allem zwei Krisen, an deren Bewältigung die Kandidaten sich messen dürfen.

1) Und für sich genommen auch eine ziemlich reife Leistung in puncto Selbststilisierung: „Mit Biden haben die Demokraten einen Kandidaten nominiert, den David Axelrod, der ehemalige Chefstratege Obamas, ‚kulturell ungünstig‘ für Trump nennt: einen Politiker, der auf seine Wurzeln in der Arbeiterklasse immer Wert gelegt hat, auch wenn er seit beinahe einem halben Jahrhundert im Senat sitzt.“ (New York Times, 11.10.20)

© 2020 GegenStandpunkt Verlag

III. Covid – ein Anschlag auf den amerikanischen Volkskörper als Herausforderung an die Führungsstärke der Kandidaten

Die erste große Bewährungsprobe des Jahres lässt nicht lange auf sich warten. Das Coronavirus ist für jeden Regenten eine erhebliche Herausforderung, hat der doch einen Widerspruch zu bewältigen zwischen dem, wofür und wovon sein Volk lebt, nämlich kontinuierlichen, wachsenden Geschäften, und dem Mindestmaß an Gesundheit, das das Volk für diesen Zweck braucht. 1) Für demokratische Regenten mit ihrem Profilierungsbedarf ist das Virus allerdings eine Herausforderung besonderer Art.

Ungünstig für den Amtsinhaber ist der Umstand, dass die staatlichen Beschränkungen des Geschäftslebens die schönen Zahlen kaputtmachen, mit denen er sich dem Wähler bisher empfohlen hat. Dass der dramatische Geschäftseinbruch, der auf allseits für notwendig gehaltene Einschränkungen zurückgeht, auf Trump selbst abfärben soll, ist zwar genauso wenig rationell wie der Umstand, dass der Boom des Geschäfts ein gutes Licht auf den Chef wirft, aber immerhin gerecht. Doch Naturkatastrophen müssen für einen demokratischen Machthaber bekanntlich nicht nur schlecht sein. Krisen bieten ja auch die Chance, das Volk mit Beschwörungen und praktischen Demonstrationen der Stärke der Nation und der Tatkraft der Führungspersonen zu überfluten, so jedenfalls die bewährte Praxis, auf Deichen und in Fliegerjacken hundertfach erprobt. Trump verwertet die Chance auf seine eigene Art – er wendet schlicht seine zwei Grundgleichungen an, nimmt das Virus als einen Feind, der Amerika schwächen will, indem es dem starken amerikanischen Präsidenten schadet. Das zu verhindern, ist die Leitlinie der Virusbekämpfung, die Trump auch sehr konsequent befolgt. Und längst, bevor er über ein Heilmittel gegen das Virus verfügt, versorgt er sein Volk mit einer entsprechenden Deutung der Lage, nämlich mit dem größtmöglichen Kompliment, das ein kämpferischer Volksführer aussprechen kann: Diesem Volk fiele es nicht im Traum ein, vor Verlusten zurückzuscheuen. Auch bei Gefahr für Leib und Leben lässt es seine Führung nicht im Stich, versaut es ihr nicht die Dienste, die sie braucht und beansprucht. Daher: Laut Trump bringt Covid im Alltag zwar einiges durcheinander, ist aber relativ harmlos und wird sich demnächst von selbst – „like magic“ – erledigen; einschneidende Maßnahmen, wo überhaupt nötig, können schnell zurückgefahren werden. Was nicht infrage kommt, ist, dass ausgerechnet Amerika sich von einem kleinen Virus ausbremsen lässt; dass seine Führung gar selbst die großartige Wirtschaft ausbremst. Dann würde man genau das herbeiführen, was Amerikas Konkurrenten und Feinde wollen – denn nicht einmal etwas so Unberechenbares wie ein noch unbeherrschtes Virus kann diesem Land etwas anhaben, es sei denn, man lässt es selbst zu.

Beschränkungen des Geschäftslebens, die auf bundesstaatlicher Ebene beschlossen werden, nähren den Verdacht, dass hier Amerika geschwächt und sein Volk geknechtet werden soll; der Verdacht wird dort bestätigt, wo Demokraten am Ruder sind, sodass deutlich wird, dass auch der Kampf gegen das Virus ein Kampf um die Seele der Nation ist: Offenbar meinen die Demokraten, das weltbeste Volk sei zu schwach, um mit so etwas in aller Freiheit zurechtzukommen – und ausgerechnet diese Partei soll dieses Volk zum Sieg führen? Der Präsident steht den geschundenen Untertanen zur Seite, die den Preis für die Schwäche ihrer lokalen Führung und die Beleidigung ihrer nationalen Ehre mit Einbrüchen und Ausfällen in Sachen Wachstum und Beschäftigung zahlen müssen: Als Beschützer ihrer Freiheit ruft er per Twitter zur ‚Befreiung‘ von demokratischen Gouverneuren auf – wobei klar ist, dass er gar nicht bloß den nächsten Urnengang meint. Wie gesagt, Wahlkampf ist für diesen Mann eben Kampf. 2)

Was nicht heißt, dass Trump sich nachsagen lassen würde, das Virus selbst nicht bekämpfen zu wollen. Im Gegenteil. Er hat die Größe der Gefahr natürlich früher als alle anderen erkannt und entschiedener als alle anderen gehandelt, um die Ausbreitung zu verhindern. Er bekämpft Covid eben so, wie es sich für eine Weltmacht gehört: nicht vorsichtig defensiv, mit Lockdowns und peinlichen Masken, 3) sondern rücksichtslos offensiv – mit der Gewalt und mit dem Geld, worüber Amerika in so überlegener Weise verfügt. Er verhängt Einreiseverbote, startet eine neue Runde China-Feindschaft und sorgt – auch wenn er immer wieder beteuert, dass alle nötigen Medikamente eigentlich schon beieinander sind, um diese schwache Grippe in den Griff zu bekommen – mit einer Impfstoffförderung auf ‚warp speed‘ dafür, dass Amerika demnächst keine Einschränkungen mehr nötig haben wird, sich vielmehr auf einen noch stärkeren ‚Trump bump‘ freuen kann.

Derweil macht Biden genau das, was er laut seinen Strategen auch soll. Es ist zwar blöd, dass er – amtlos, wie er derzeit ist – gar nicht erst die Gelegenheit bekommt, Führungsstärke zu beweisen. Dass er – Risikopatient, der er auch noch ist – erst einmal in seinem Keller ausharren muss, wirkt auch nicht gerade ‚presidential‘. Andererseits: So hält er sich eben zurück und macht schon damit die bestmögliche Figur. Vor allem hält er sich an das Drehbuch, dessen Befolgung die liberale Öffentlichkeit bei Trump so vermisst: Er richtet nüchterne, zugleich aufmunternde Worte an das verunsicherte Volk; er zeigt demonstrativen Respekt für die Empfehlungen der Mediziner wie für die Klagen der Wirtschaft und der stolzen Abhängigen; er bereitet das Volk vor auf die schwierigen Kompromisse zwischen dem Schutz seiner Gesundheit und dem Schutz des Kapitalwachstums, dessen Erfolg es untergeordnet ist. Er präsentiert seinen Willen, die amerikanische Klassengesellschaft durch schwierige Zeiten für die Profitmacherei und die dafür nötige Gesundheit zu steuern, als die Bereitschaft, einer ethischen Pflicht nachzukommen, die er vor allem sich aufbürdet, und versichert die Opfer des Virus und des Geschäftseinbruchs seiner Empathie. Schließlich muntert er seine Amerikaner mit der Versicherung auf, dass sie gerade dabei sind, einen Moment wahrhafter gemeinschaftlicher Stärke als Nation mitzuerleben, egal wie sichtbar die Unterschiede zwischen ihnen gerade in der Corona-Bekämpfung werden mögen. Gegen Trumps kämpferische Offensive setzt Biden also ein Bild der präsidentiellen Normalität – die Heuchelei eines Vaters der Nation, der mächtigsten auf Erden. Und zur Freude aller Demokratieidealisten belebt er dabei den Schein, es käme in der demokratischen Politik und erst recht beim Kampf um die Macht dann doch auf so etwas wie den gesunden Menschenverstand an.

1) Vgl. „Chronik der Corona-Pandemie, III“ in GegenStandpunkt 2-20, S. 110 ff.

2)