Geheimbund Omega II - Kai Beisswenger - E-Book

Geheimbund Omega II E-Book

Kai Beisswenger

0,0

Beschreibung

Im Frühjahr 2020 treibt der Geheimbund immer noch sein Unwesen. Die Gewalt nimmt zu, die Anschläge werden brutaler, doch die Menschen wehren sich. Über Umwege findet das weit verstreute Dream-Team wieder zusammen. Schaffen sie es diesmal, Omega zur Strecke zu bringen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 187

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Geheimbund Omega II

von

Becca Robertson

und

Kai Beisswenger

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-012-1

MOBI ISBN 978-3-95865-013-8

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

 

Kapitel 1

Düsseldorf im Mai 2020

Wieder war ein Jahr vorbei. Ich hatte das Gefühl, dass es von Mal zu Mal schneller ging. Mir kam es so vor, als hätte ich erst vor zwei Monaten meinen Geburtstag gefeiert. Aber der rasche Blick auf den Kalender am Morgen hatte mir verraten, dass der 19. Mai wieder kurz bevorstand. „Annas 34. Geburtstag“ war fett eingekreist. Noch ein Mal schlafen und dann würden Verwandte und Freunde mit Geschenken und Kuchen über mich herfallen. Eigentlich feierte ich gern Geburtstag, aber in den letzten zwei oder drei Jahren war es immer eher anstrengend gewesen.

Anstrengend war auch genau mein Stichwort. Mein Job bei „PRO !ntegration Düsseldorf“ war in der letzten Zeit zur 14-Stunden-Aufgabe geworden. So weit war es schon gekommen. Eine Gruppe türkischer Jugendlicher hatte randaliert. Wir kümmerten uns um sie, damit sie die Chance auf einen Ausbildungsplatz bekamen. Dabei haben wir uns den Allerwertesten aufgerissen, damit sie es so leicht wie möglich haben und Integration für sie nicht nur ein Wort bleibt. Immer wieder hatten wir Vorstellungsgespräche für sie arrangiert, sie mit ihnen simuliert oder einfach mit ihnen trainiert. Doch dann kam der Punkt, an dem sie sich offensichtlich angegriffen gefühlt hatten. Vielleicht weil sie Angst hatten, ihre Wurzeln verleugnen zu müssen. Ich habe keine Ahnung, wo es so gründlich schiefgelaufen war. Sie hatten uns gar keine Chance gegeben, ihnen zu erklären, dass es auch ein Nebeneinander zweier Kulturen geben kann. Um uns deutlich zu zeigen, was sie von uns und unserem Plan hielten, hatten sie nachts unser HoME zugemüllt, zugesprayt und ein paar Fenster eingeworfen. Es war ein nettes kleines Häuschen mit Glasfronten am Volksgarten hier in Düsseldorf, das überhaupt nicht darauf schließen ließ, dass es zu irgendeinem Amt gehörte. Man konnte sich hier richtig wohl fühlen. Allerdings nicht im Moment. Dauernd hatten wir die Polizei im Haus, aber die konnten natürlich auch nichts machen. Die Polizei, dein Freund und Helfer.

Als ich am Morgen das HoME erreicht hatte, konnte ich das Drama schon von Weitem erkennen. Das gesamte Gebäude war von außen mit Graffiti besprüht worden. Als ich die Tür öffnete, sah ich die Beamten schon im Büro meines Chefs sitzen. Da es auch diesmal leider keine Zeugen gab, konnten sie wieder nichts tun. Am Nachmittag, kurz vor Feierabend, kamen sie noch mal zurück, um uns über die neuesten Erkenntnisse zu informieren. Es gab im Grunde genommen keine. Sie legten uns jedoch nahe, das HoME auch nachts nicht unbewacht zu lassen. Sie hätten keine Handhabe, es rund um die Uhr zu observieren. Es war ja quasi noch nichts passiert. Oh, Mann … Das war ja so klischeehaft. Es musste immer erst etwas passieren, bis die Polizei eingreifen konnte. Ob das wirklich der Sinn der Sache ist? Und was das hieß, war auch allen Mitarbeitern klar. Einer von uns musste nachts im HoME schlafen. Dazu konnte uns zwar niemand zwingen, aber selbstverständlich waren wir daran interessiert, dass unser Arbeitsplatz nicht komplett zerstört wurde. Außerdem hatten wir sicher alle nichts Besseres zu tun, als auch noch unsere Nächte dort zu verbringen. Dass ich am nächsten Tag Geburtstag hatte, interessierte da nur am Rande.

An wem die Sache hängengeblieben war, liegt wohl auf der Hand. Freundlicherweise konnte sich Sami, mein Freund und Kollege, dazu durchringen, mir Gesellschaft zu leisten, damit mir die bösen Jungs nichts tun konnten. Wieso Männer nur immer glauben, wir Frauen könnten uns nicht selbst wehren. Zur Not hatte ich schließlich immer mein Pfefferspray in der Tasche. Wobei ich nicht genau sagen kann, ob das überhaupt noch einsatzfähig gewesen wäre. Ich hatte es zu dem Zeitpunkt schon seit über drei Jahren immer in der Handtasche. Damals hatte es mir Paul, mein Ex-Freund, gegen meinen Willen zugesteckt. Er meinte, man wüsste ja nie, was so passieren würde. Damit hatte er auch recht gehabt, nur bezog sich das wohl eher auf unsere Beziehung, denn die war plötzlich beendet. Merkwürdig – oder bezeichnend -, dass ich immer im größten Chaos an ihn denken musste. Dabei waren wir jetzt schon fast zweieinhalb Jahre getrennt und mit Sami hatte ich seit einiger Zeit einen wirklich tollen Mann an meiner Seite, auch wenn es ein bisschen gedauert hatte, bis ich das begriffen hatte und es in den letzten Wochen ein bisschen anstrengend war. Aber jede Beziehung hat schließlich ihre Höhen und Tiefen.

Jedenfalls rannte nicht nur die Zeit, sondern mittlerweile auch ich. Um 19 Uhr durfte ich Feierabend machen, um rasch meine Sachen für die Nacht zu packen. Allerdings musste ich auch noch ganz dringend Lebensmittel für meinen Geburtstag einkaufen. Die Meute wäre nicht begeistert, wenn sie nichts zu essen bekäme. Da aber auch in Düsseldorf die Läden gegen 20 Uhr schlossen, musste ich mich ziemlich beeilen. Deshalb fuhr ich direkt nach Oberbilk zum Supermarkt. Seit der Trennung von Paul hatte ich mich dort nicht mehr aufgehalten. Dabei wohnte Paul gar nicht mehr in Deutschland. Ja, ja, das ist wieder Frauen-Logik. Aber ich hatte keine Zeit für solche Befindlichkeiten und steuerte den erstbesten Parkplatz an. Im Laufschritt besorgte ich mir einen Einkaufswagen und ging dann meine Einkaufsliste durch, imaginär natürlich. Für eine aus Papier oder auf dem i³Phone war keine Zeit gewesen. Zuerst hielt ich auf die Obst- und Gemüse-Abteilung zu. Mit Salaten und Gemüse-Sticks konnte ich die meisten Gäste glücklich machen. Da sich das Wetter halten sollte, hatte ich mich für einen Grillabend entschieden. Die Männer würden ein ordentliches Stück Fleisch bekommen – oder zwei oder drei - und die Frauen waren ohnehin meistens mehr mit den Beilagen beschäftigt.

Ich wollte mir gerade den letzten Salatkopf schnappen, als sich plötzlich eine ältere Dame vordrängelte, um ihn sich vor mir zu krallen. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

„Geht’s noch?“, pampte ich sie an. Da drehte sie sich um. In diesem Moment war mir klar, dass sich alle Götter dieser Erde gegen mich verschworen haben mussten. Vor mir stand Frau Scholz. Sie war die ehemalige Nachbarin von Paul und vermutlich die einzige Hessin, die nach fünfzig Jahren Rheinland immer noch Dialekt schwätzte. Sie lebte im zweiten Stock und wurde von allen nur „Hausdrache“ genannt – was ich ziemlich passend finde. Wie oft war ich ins Haus geschlichen, damit sie mich nicht auf der Treppe abfangen konnte. In den meisten Fällen hatte das aber leider nicht funktioniert und ich saß erst mal fest. Wenn Paul mich hörte, versuchte er mich öfter aus ihren Fängen zu befreien. Ansonsten hatte ich sie häufiger einfach so stehenlassen. Dass ausgerechnet sie mir hier begegnen musste, war ja klar gewesen.

„Tut mer leid, Frollein Sobesch! Ich hab Sie gar ned gesehe. Ich hab nur uff de Salad geguckt. Un, ich hätt Sie gar ned erkannt. Sie sehe aber schlecht aus. Ist Ihne ned gut?“

„Ja, danke, Frau Scholz. Es ist momentan ein bisschen stressig bei der Arbeit, aber mir fehlt nur Schlaf. Ich nehme halt einen anderen Salat! Schönen Abend.“

Beim letzten Wort wollte ich mich schon wieder umdrehen, aber da hatte ich die Rechnung ohne Frau Scholz gemacht. Sie hielt mich am Arm fest und redete weiter auf mich ein. Ich erklärte ihr, dass ich nun wirklich keine Zeit hätte und eigentlich schon fast wieder im Auto sitzen müsste. Ein Blick in meinen Wagen verriet ihr jedoch, dass ich den Einkauf gerade erst begonnen hatte. Völlig unvermittelt platzte es aus Frau Scholz heraus:

„Was Sie mit Ihr’m Freund gemacht ham, war aber ned die feine englische Art, gell? Sie sollte sich was schäme. Des hätt’s zu meiner Zeit ned gegebbe!“

Ich? Was hatte ich denn gemacht? Ich wollte ihr gerade erklären, dass es Paul war, der mich aus Australien angerufen hatte, um mir zu sagen, dass er sich für ein Joint-Venture entschieden hatte und in Melbourne an einem Institut für Experimentalphysik arbeiten wollte. Dass er es war, der mich mal eben so entsorgt hatte und mir auch direkt eine neue Frau an seiner Seite aufgetischt hatte. Jessica. Mehr wollte und musste ich gar nicht wissen. In der Zeit nach der Trennung war es mir so schlecht gegangen und genau das hätte ich Frau Scholz jetzt gern an den Kopf geworfen, aber dabei hatte ich beinahe das Wesentliche nicht mitbekommen.

Frau Scholz musste Paul vor Kurzem gesehen haben. Aber wie denn, wenn der Herr Ingenieur sich in Australien rumtrieb. Sie hatte wohl kaum Surf-Urlaub gemacht. Schade eigentlich. Sollten vor der australischen Küste nicht auch Haie rumschwimmen? Ich wollte gerade fragen, wann sie ihn denn gesehen hatte, aber das war gar nicht nötig. Frau Scholz musste man nun wirklich keine Informationen aus der Nase ziehen. Zum ersten Mal war das eine wirklich nützliche Eigenschaft.

„Seit er wieder eingezoge is, hatt er Ihne nachgetrauert, der arme Herr Löbisch …“, dabei funkelte sie mich an, „… aber Ihne is des natürlisch egal. Hauptsach, Ihne geht’s gut, gell?“

„Das ist nun wirklich nicht meine Sch…“, schrie ich ihr fast entgegen, doch sie ließ mich nicht mal ausreden.

„Ned Ihr Schuld? Von wesche! Wem sei Schuld sonst? Sie müsste ihn mal sehe, wenn er abends von der Arbeidd heimkehrt. Wie traurisch der aus de Wäsch guckt!“

Es hatte gar keinen Sinn, sich weiter mit ihr zu unterhalten. Daher beschloss ich, mich umzudrehen und endlich weiterzugehen. Ich hoffte nur, dass sie mir nicht folgen würde. Das tat sie zum Glück auch nicht, aber ihre Schimpftiraden konnte ich noch zwei Gänge weiter hören.

Wenn ich Frau Scholz richtig verstanden hatte, dann war Paul seit ein paar Wochen zurück und arbeitete vielleicht sogar wieder im Institut für Experimentalphysik der Uni. Und hatte er von mir geredet? Wenn ja, warum? Das hatte mir vorhin einen merkwürdigen Stich versetzt. ER hatte Schluss gemacht. ER hatte eine neue Freundin gehabt, während ich jeden Abend mit den Tränen zu kämpfen hatte. ER war einfach nach Australien abgehauen. Nicht ICH. Ich hatte gar keine Wahl gehabt. Er hatte mich nicht mal gefragt, ob ich mit nach Australien wollte. Gut, in der damaligen Situation hätte ich wahrscheinlich nein gesagt, aber er hätte zumindest fragen können. Wir hatten eine schwierige Phase gehabt, aber war das ein Grund dafür, ans andere Ende der Welt abzuhauen? Offensichtlich schon. Aber warum redete er mit Frau Scholz über mich? Das Surfer-Girl schien er dann wohl nicht mitgebracht zu haben. Vielleicht hatte sie außer ihrem Brett auch nicht viel im Kopf gehabt. Warum machte ich mir darüber überhaupt Gedanken? Das war wirklich zu blöd. Ich war seit einem Jahr eigentlich sehr glücklich mit Sami zusammen.

Wir hatten uns damals im HoME kennengelernt. Es war bei mir nicht gerade Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber je mehr Zeit ich mit ihm verbracht hatte und je mehr er sich um mich gekümmert hatte, desto leichter war mir die Entscheidung für eine Beziehung mit ihm gefallen. Ich konnte Paul schließlich nicht ewig nachtrauern. Jedenfalls hatte Sami Goldberg dafür gesorgt, dass ich wieder anfing zu leben. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, da er kaum Familie hatte und noch nicht so lange in Düsseldorf lebte. Wir unternahmen viel zusammen, nur manchmal brauchte er ein bisschen Zeit für sich allein. Dann ging er einfach stundenlang spazieren oder ins Fitnessstudio, bevor wir uns abends zusammen auf die Couch kuschelten. Es war anders als mit Paul. Ganz anders sogar. Aber es war gut, wie es war.

Ich huschte noch schnell durch ein paar andere Gänge und sprintete anschließend zur Kasse. Natürlich war meine Kassiererin die langsamste und ich stand eine gefühlte Ewigkeit in der Schlange. Anschließend raste ich nach Hause und packte ein paar Sachen zusammen. Ich hielt noch schnell an der Döner-Bude meines Vertrauens und besorgte unser Abendessen. Danach machte ich mich schnell wieder auf den Weg zum HoME. Sami hatte es uns schon gemütlich gemacht. Er hatte die Schlafcouch bereits ausgeklappt, den Fernseher aus dem Medienraum geholt und offensichtlich hatte er sogar eine Kerze gefunden. Jetzt hatte ich schon wieder ein schlechtes Gewissen, weil ich vorhin überhaupt an Paul gedacht hatte. Sami gab sich wirklich alle Mühe.

Ich setzte mich zu ihm und hörte schon die Anfangsmelodie von „Grey’s Anatomy“. Didos „Nobody knows where they might end up“ war tatsächlich unverkennbar. Da war ich gerade noch rechtzeitig gekommen. Nach der Serie war ich von Anfang an süchtig gewesen. Selbst Paul hatte ich angefixt. Paul, Paul, schon wieder Paul. Ich gab Sami seinen Döner rüber und vertrieb den Gedanken. Dann aßen wir gemütlich – na, ja, so gemütlich es eben sein kann - auf der ausgeklappten Couch und redeten und diskutierten noch ein Weilchen, bis ich eingeschlafen sein musste.

Tatsächlich hatten wir bisher noch gar nicht so viele Nächte zusammen verbracht. Das sollte nicht heißen, dass wir nie zusammen im Bett gelandet wären. Immerhin waren wir schon ein Jahr zusammen. Aber irgendwie zog es Sami nachts immer eher nach Hause. Ich war damit einverstanden gewesen. Wir hatten entschieden, dass es reichte, wenn wir uns den ganzen Tag und die halbe Nacht sahen. Wenn man zusammenarbeitete, musste man sich eben auch freie Zeit schaffen, in der man nicht aufeinanderhockte. Heute Nacht ließ sich das nun mal nicht ändern und das war auch O. K. so. Ab und zu schlief ich auch zu Hause in Samis Armen ein. Wenn das passierte, brachte er es nie übers Herz, mich zu wecken, um nach Hause zu gehen. Er hatte nur eine kleine Wohnung, deshalb waren wir fast ausschließlich bei mir.

Ein lautes Krachen ließ mich hochschrecken. Mein Herz raste und ich musste mich erst mal orientieren. Als mir klar wurde, wo ich mich befand, bekam ich gleich den nächsten Schock. Mir fielen die Jungs wieder ein, wegen denen ich die Nacht überhaupt erst hier verbringen musste. Bestimmt lauerten sie draußen schon wieder darauf, irgendwas kaputtzumachen. Ich drehte mich zur anderen Seite, um Sami zu wecken. Hatte er das Geräusch auch gehört und war schon mal nachsehen gegangen? Auf jeden Fall lag er nicht neben mir. Ich stand auf, griff nach meinem Sweatshirt und kramte das Pfefferspray aus meiner Handtasche – sicher ist sicher. Ich schaltete den Blitz meines i³Phones ein und machte mich auf die Suche nach der Ursache für das Krachen. Ich ging zur Eingangstür. Als ich jedoch die Klinke herunterdrückte, bemerkte ich, dass die Tür noch verschlossen war. Sami war also nicht rausgegangen.

Stattdessen sah ich die Jungs draußen stehen. Sie waren zu dritt. Alle schwarz gekleidet und sie waren gerade dabei, ihre Spraydosen auszupacken. Nicht zu fassen. Sie mussten das neue Eisentor am Anfang des Grundstücks eingetreten haben. Kein Wunder, dass ich aufgeschreckt war. Ich drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür. Sicherheitshalber nahm ich den Baseballschläger mit, den Sami zu diesem Zweck an die Tür gestellt hatte. Als die Jungs mich sahen, hielten sie kurz inne. Sie fanden ihre Sprache aber recht schnell wieder.

„Ey, Alter, guck. Bei denen prügeln sogar die Tussen.“ Als wäre das der Witz des Jahrtausends gewesen, konnten sich die anderen vor Lachen kaum halten.

„Oder hast du es deinem Typen so besorgt, dass er jetzt nicht mehr laufen kann?“

Sie waren ja so lustig. Dennoch interessierte mich auch, wo Sami steckte. Ich war mir nicht sicher, ob die Jungs mich angreifen würden. Vandalismus war ja das eine, aber Körperverletzung?

„Wenn ihr wollt, kann ich euch gleich auch was besorgen, vielleicht ein Taxi zur nächsten Polizeiwache?!“ Woher wussten sie überhaupt, dass ich nicht allein war? Hatten sie Sami und mich vorher schon beobachtet?

„Oh, ho … Deutsche Frau wird wütend!“ Sie kamen weiter auf mich zu und grinsten blöd. Automatisch ging ich ein Stück zurück.

„Wütende Frauen machen mich immer so geil. Na, Fotze, wie wär’s mit uns?“ Er meinte offensichtlich mich damit. Langsam wurde mir die Sache hier ein bisschen zu heikel. Ich steckte mein i³Phone in die Tasche und holte mit dem Schläger aus. Die Jungs hatten ihre Spraydosen auf dem Boden vor sich aufgereiht. Ich war zweifellos bei Schlagspielen immer unglaublich unbegabt gewesen und hoffte, dass ich diesmal ein wenig mehr Glück hätte als früher, damit ich mich nicht komplett lächerlich machte. Ich machte zwei Schritte nach vorne und als der Schläger sein Ziel traf, erschreckte selbst ich mich bei dem lauten Aufprall. Plötzlich war alles rot gesprenkelt. Die Dose hatte einen ziemlich großen Riss bekommen und die Farbe hatte sich durch die Wucht in einem großen Radius verteilt. Die Aktion hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Gesichter der Jungs waren göttlich. So schnell sie konnten, packten sie ihre Taschen und Dosen und hauten ab.

„Oh, haben die Mamis gerufen?“ Ich bekam erwartungsgemäß keine Antwort. „Bestellt ihnen liebe Grüße, sie sollen euch endlich Manieren beibringen!“ Doch da war von ihnen bereits nichts mehr zu sehen.

Was für eine Sauerei. Den ganzen Hof zu säubern, würde sicher wieder Stunden dauern. Leider hatte ich in der Dunkelheit die Gesichter nicht richtig erkennen können. Bei der Polizei konnte ich also allenfalls über die nächtlichen Besucher spekulieren. Der Chef sollte einfach ein vernünftiges Alarmsystem installieren und Überwachungskameras hätten auch nicht geschadet. Dann hätten wir uns den ganzen Quatsch hier sparen können. Heute Nacht konnte ich nichts mehr tun. Darum ging ich wieder rein, schloss ab und machte mich auf die Suche nach Sami. Wo zum Teufel steckte er denn? Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Im Erdgeschoss hatte ich überall nachgesehen. Da blieb eigentlich nur noch der Bunker. So nannten wir unseren Keller liebevoll, weil er überall Stahltüren besaß und mit seiner Schall-Isolation wirklich an einen Bunker erinnerte. Dort gab es noch einen kleinen Büroraum mit Computer, der momentan eigentlich von niemandem genutzt wurde. Als ich die Treppe runterlief, raste mein Herz. Irgendwie machte mir der Keller immer Angst. Ja, das war irrational, aber ändern konnte ich es auch nicht. Und tatsächlich war das Flurlicht vor dem Büro angeschaltet, Sami musste also hier sein.

Kapitel 2

Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür und öffnete sie leise, um ihn mit einem lauten „Buh“ zu erschrecken. Da hörte ich Stimmen und beließ es bei einem Spalt. Mit wem redete er denn? Ich hielt mein Ohr an die Tür. Ja, ja, wie in jedem zweitklassigen Romance-Streifen, das ist mir auch klar. Es ist einfach ein Reflex. Ich hörte nur Sami reden. Offensichtlich telefonierte er. Um 3 Uhr nachts? Na, ja. Ich öffnete die Tür vorsichtig. Er bemerkte mich gar nicht, als ich im Türrahmen stand. Er sah ernst aus und war völlig in sein Gespräch vertieft. War irgendwas mit seiner Tante? Das war seine einzige noch lebende Verwandte. Oder war ein Freund in Schwierigkeiten?

Samis Freunde kannte ich nur flüchtig. Wir hatten immer unsere getrennten Freundeskreise behalten und das war mir ganz recht gewesen. Sami hatte hier ohnehin noch nicht viele neue Freunde gefunden. Im Falle einer Trennung hätte sich niemand für eine Seite entscheiden müssen. Meine beste Freundin Jana hatte mir deshalb oft vorgeworfen, dass ich insgeheim schon mit einem Scheitern der Beziehung rechnete. Für mich war es aber eine logische Sache, dass ich auf so etwas vorbereitet sein musste. Welche Beziehung hielt heutzutage denn noch ewig? Bei Paul hatte ich schließlich auch immer gedacht, wir würden uns noch im Altenheim über das Fernsehprogramm streiten. Das würde aber wohl ganz sicher nicht passieren.

„Nadine, wir müssen uns dringend mit Omega abstimmen. Es wird langsam eng. Wenn die Aktionen stattfinden sollen, muss das endlich klappen. Die DFPD wird sich auch nicht ewig hinhalten lassen. Die wollen Planungssicherheit. Bis zum Wahlkampf dauert es nicht mehr lange.“

Unsanft wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Nadine? Omega? DFPD? Aktionen? Wovon zum Teufel redete er denn da? Was hatte er mit der DFPD zu tun? Und was bitte für Aktionen? Wer war überhaupt Nadine. Den Namen hatte ich noch nie gehört. Ich war ziemlich verwirrt. Was sollte ich jetzt machen. Zuerst schloss ich die Tür ganz leise wieder und klopfte anschließend dagegen. Ich trat ein und Sami sah mich verwundert an, schenkte mir aber sofort ein warmes Lächeln. Er beendete sein Gespräch und kam auf mich zu.

„Mit wem hast du denn da telefoniert?“

„Ach, das war nur ein Kumpel, der mich online beim Spielen gesehen hat.“

„Seit wann spielst du denn Computerspiele?“ Das war ja was ganz Neues. „Und welcher Kumpel?“

„Bin ich hier beim Verhör? Das war nur Sascha. Du weißt doch, dass ich manchmal nicht gut schlafen kann und dann spiele ich eben am Computer. Ich wollte dich nicht wecken und da bin ich eben ins Büro gegangen und habe gezockt. Sascha hatte wohl schon ein bisschen was getrunken und war in Plauderlaune.“ Er küsste mich. Wow, selten hatte sich ein Kuss so furchtbar angefühlt. Er hatte mich eiskalt angelogen. Oh, Mann … Jetzt fühlte ich mich erst recht wie eine Filmfigur. So was passiert nicht im realen Leben.

„Happy Birthday, Anna!“, flüsterte Sami mir ins Ohr. Ich bekam Gänsehaut. „Komm, wir gehen wieder ins Bett. Dann kann ich dir mein Geschenk sofort überreichen!“ Das hätte er sicher gern gehabt. Meine Stimmung war dagegen im Keller. Ich kämpfte noch mit mir, weil ich keine Ahnung hatte, ob ich ihn direkt konfrontieren oder erst mal abwarten sollte. Ich versuchte mir einzureden, dass ich mich sicher verhört hatte. Aber ganz ehrlich, ich wollte sicher keins dieser Weibchen werden, die für ihre Fremdgeh-Freunde dauernd neue Ausreden erfinden und die Realität nicht wahrhaben wollen. Trotzdem entschied ich mich dafür, erst mal noch ein paar Stunden darüber zu schlafen.

„Das ist keine gute Idee, Sami!“ Ich erzählte ihm alles, er schien mir aber offensichtlich nicht richtig zuzuhören. So gab es weder Lob noch Rüge für meinen Alleingang. Ein wenig enttäuscht legte ich mich hin und versuchte, noch ein bisschen zu schlafen. Das war in dieser Nacht allerdings unmöglich. Zumindest fast, denn kurz bevor mein Wecker geklingelt hat, musste ich doch eingeschlafen sein.