Geheime Verschlusssache - Frank Fabian - E-Book

Geheime Verschlusssache E-Book

Fabian Frank

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Beschreibung

Deutsche Geschichte, wie sie in keinem Schulbuch steht Frank Fabians spannende Neuauswertung historischer Fakten über Geheimdienst- und Spionageaktionen, Medienmanipulation, Nazi-Versteckspiele in der BRD und DDR sowie die Geschichte der Bundeskanzler zeigt, dass die deutsche Politik in weit größerem Ausmaß von den Geheimdiensten bestimmt wurde und wird, als viele denken. Vieles davon wird bis heute schlicht unter den Teppich gekehrt und verschwiegen. Von der Gründung der deutschen Geheimdienste mithilfe von NS-Mitgliedern über Franz Josef Strauß' Seilschaften zum BND und Erhards Wirtschaftswunder bis hin zu Schröders fragwürdiger Beziehung zum Kremlchef Wladimir Putin – es ist an der Zeit, Licht ins Dunkel zu bringen und einen Blick auf den tatsächlichen Einfluss der Geheimdienste auf die Geschichte Deutschlands zu werfen. »Selbst erfahrene Historiker und Politologen können oftmals ihren eigenen Augen und Ohren nicht trauen, wenn sie im Nachhinein erfahren, was ›eigentlich‹ und ›in Wahrheit‹ in bestimmten Perioden passiert ist, […].« – Frank Fabian

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Frank Fabian

GEHEIME VERSCHLUSSSACHE

Frank Fabian

GEHEIME VERSCHLUSSSACHE

Der Einfluss der Geheimdienste und Deutschlands weniger bekannte Geschichte nach 1945

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2022

© 2022 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Monika Spinner-Schuch

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Umschlagabbildung: pxl.store, zef art, Only_NewPhoto, Drop of Light/Shutterstock

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978–3-86881–901–4

ISBN E-Book (PDF) 978–3-96267–450–2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978–3-96267–449–6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

I. Geheimdienste, Geschichte und Politik

II. Absolute Verschlusssache: Geheimdienste

III. Die sogenannte Entnazifizierung

IV. Tabuthema Geld und Politik

V. Die Ära Adenauer

VI. Wichtige Zwischenschritte

VII. Der Aufstieg der SPD

VIII. Stars der CDU/CSU: Strauß und Kohl

IX. Gerhard Schröder

X. Der Sprung ins 21. Jahrhundert

Schlüsselerkenntnisse

Zum Autor

Anmerkungen

I. GEHEIMDIENSTE, GESCHICHTE UND POLITIK

Es ist mehr als eine Binsenwahrheit: Grundsätzlich ist es unmöglich, die Themen Politik und Geschichte von dem manchmal unglaublichen Einfluss der Geheimdienste abzukoppeln. Geheimdienste machen Politik. Noch deutlicher gesagt: Politik heute wird in einem Ausmaß von Geheimdiensten bestimmt, dass man nur staunen kann. Tatsächlich bleibt man auf ewig ein Kind vollständiger Naivität, wenn man nicht auch den Einfluss der Geheimdienste auf die Politik in Rechnung stellt.

Das Problem besteht lediglich darin, dass diese Beeinflussung oft nicht sichtbar ist. Erst mit einer Verzögerung von fünfzig, ja manchmal hundert Jahren erkennen Historiker, dass viele Fakten nicht ausgewertet werden konnten — weil ganz einfach Geheimdienste im Hintergrund die Strippen zogen, deren Aktionen bislang sorgfältig unter Verschluss gehalten wurden.

Geheimdienste beeinflussen mitunter in einem Ausmaß Politik, dass man regelrecht entjungfert wird, wenn man an konkreten Beispielen erfährt, was sie alles im Hintergrund bewegten und immer noch bewegen.

Selbst erfahrene Historiker und Politologen können oftmals ihren eigenen Augen und Ohren nicht trauen, wenn sie im Nachhinein erfahren, was »eigentlich« und »in Wahrheit« in bestimmten Perioden passiert ist, von denen sie eigentlich glaubten, dass sie sie aus dem Effeff kennen.

Insofern ist es an der Zeit, einmal aus dem Nähkästchen zu plaudern und auszupacken, was zumindest die deutschen Geheimdienste nach 1945 angeht — denn erstaunlich viel wurde auch in dieser Beziehung unter den Teppich gekehrt.

In diesem Sinn erwartet den Leser in dem vorliegenden Buch einiges an Informationen und Aufklärung. Allerdings müssen wir ein paar Einschränkungen vorausschicken.*

Die Form

Wir haben dieses Sachbuch in Wir-Form abgefasst, obwohl nur Frank Fabian als Autor zeichnet. Damit wollten wir keinesfalls auf den »Pluralis Majestatis« Bezug nehmen, sondern im Gegenteil ein Stück Bescheidenheit signalisieren: Ein ganzes Team, ein ganzes Recherche-Team war für das vorliegende Buch verantwortlich, ganz zu schweigen von den Lektoren, ohne deren Hilfe die folgenden Seiten nicht hätten verfasst werden können.

Außerdem haben wir einige Ereignisse absichtlich ins Präsens gesetzt, um den Leser noch näher an gewisse Geschehnisse heranzuführen.

Der Inhalt

In Deutschland existieren momentan drei Geheimdienste: der BND (der Bundesnachrichtendienst), das BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) und der MAD (Militärischer Abschirmdienst).

Wir haben uns auf den folgenden Seiten in erster Linie auf den BND konzentriert, denn eine vollständige Geschichte aller drei Geheimdienste würde mindestens zehn Bände umfassen, was aus Gründen des Umfangs nicht zu leisten ist. Wir mussten Schwerpunkte setzen.

Doch selbst den BND konnten wir bestenfalls ansatzweise »durchleuchten«, denn ein Geheimdienst hat die Angewohnheit, alles »geheim« und nichtöffentlich zu halten. Es ist seine Natur, Dinge zu verschweigen. Es wäre geradezu eine lächerliche Behauptung, zu sagen, alle Schattierungen des BND wirklich erfasst zu haben, wenngleich wir mit Sicherheit mit einigen Fakten punkten können, welche die Politik in Deutschland nach 1945 plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Ferner sind Geheimdienstaktionen erst dann verstehbar, wenn man sie in ihrer Wechselwirkung zur hohen Politik sieht. Aus eben diesem Grund haben wir auch die Geschichte der deutschen Kanzler der Bundesrepublik ausführlicher dargestellt — speziell in ihrer Abhängigkeit von Geheimdiensten. Unsere Kanzler waren mehr als einmal in mehr oder weniger großem Maße von »geheimen« Aktionen abhängig. Oft spielte zudem das »große Geld« eine Rolle, das nach 1945 in erster Linie beim CIA zu finden war, dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst. Auch fremde Geheimdienste mussten wir deshalb zumindest ansatzweise etwas näher beleuchten, um zu einem besseren Verständnis der Geschichte Deutschlands nach 1945 zu gelangen. Kleinere Geheimdienste besitzen immer ihre Abhängigkeiten und Verpflichtungen gegenüber größeren Nachrichtendiensten. Das ist bis heute der Fall.

Einige unserer deutschen Kanzler oder »Staatsratsvorsitzenden« — eine Bezeichnung, die den Titel des »Präsidenten« in der DDR ablöste — werden jedenfalls erst in ihren Beziehungen zu bestimmten Geheimdiensten fassbar. Ja, viele »Tatsachen«, die wir in Deutschland heute unbesehen hinnehmen, erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht, wenn man auch bestimmte Aktionen ausländischer Geheimdienste einbezieht.

Es war also notwendig, gelegentlich über den Tellerrand zu blicken.

So oder so erwarten den Leser brisante neue Gesichtspunkte, die auf diese Art selten oder nie auf den Punkt gebracht wurden.

__________

* Im Rahmen dieses vorliegenden Buches wird auch über Erkenntnisse und Einsichten reflektiert, die bereits in früheren Werken Fabians dargelegt wurden. Die Ausführungen über die Französische Revolution finden sich in: Frank Fabian, Fake News, München 2019, S. 38ff.

Rechts und links

Je mehr wir uns in Richtung Gegenwart bewegen, umso spannender wird Historie, jedoch auch umso problematischer. Der Grund: Fast jeder von uns besitzt seine eigene Meinung, was die jüngste Vergangenheit angeht. Viele »berühmte« Politiker nach 1945 »kennen« wir oder glauben wir zumindest zu kennen — ob es sich um die knorrige, humorige CDU-Koryphäe Konrad Adenauer handelt oder die SPD-Ikone Willy Brandt.

Genau an dieser Stelle erhebt sich indes die erste Herausforderung: Fast jeder Leser verfügt über ein Urteil oder Vorurteil, was die beiden großen Parteien und ihre prominenten Vertreter angeht. Ein Autor oder ein Autorenteam, der oder das sich neutral verhalten will, unternimmt einen gefährlichen Drahtseilakt, bei dem man ständig abstürzen kann. Ununterbrochen bewegt man sich zwischen den beiden Polen »rechts« und »links«, von den vielen anderen Farbnuancen ganz zu schweigen. Wir alle stecken voller Emotionen und festgezimmerter Ansichten, was Politik und Politiker angeht. Und fast alle neigen wir mehr der rechten oder der linken Seite zu. Ein Autorenteam wird es also selten oder nie den beiden großen politischen Weltanschauungen recht machen können — selbst, wenn ein Historiker federführend ist.

Der Historiker ist zwar insofern privilegiert, als er sich nicht zwanghaft nach »rechts« oder »links« verbeugen muss. Es ist ihm gestattet, auf Auswüchse und Fehler auf beiden Seiten aufmerksam zu machen. Er kann also neutraler und objektiver urteilen, denn er ist nicht in den politischen Tageskampf verstrickt. Dennoch entkommt er nicht immer dem (Vor-)Urteil seiner Leser, selbst wenn er mit keiner politischen Partei verheiratet und keiner Universität verpflichtet ist — Umstände, die es ihm manchmal gebieten, nur auf diese oder jene Art zu berichten.

Trotz dieser Einschränkung oder gerade wegen dieser Einschränkung ist es wertvoll, auch die jüngste Geschichte einmal so neutral wie möglich zu betrachten.

Was die Polarisierung »rechts/links« angeht, so gibt es darüber hinaus eine weitere erregende Erkenntnis.

Rechts contra links

Scheinbar existieren im politischen Raum nur die Pole rechts und links.

Stark verkürzt und bedenklich vereinfachend gesprochen beschreibt sich eine »linke« Geisteshaltung durch Vokabeln wie Mitleid, der Sorge um die Minderbemittelten und durch ein höheres Gerechtigkeitsempfinden.

»Rechts« wäre grob gesprochen gleichzusetzen mit konservativen Ideen, der Tradition und der Vertretung der Interessen der finanziell Bessergestellten.

Rechts contra links, so lautet die Spielregel, welche unsere Demokratie bestimmt.

Diese Art der »Denke« begann während der Französischen Revolution (1789) und übertrug sich in der Folge auf praktisch alle Demokratien der Welt; wir begegnen ihr in den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien und so weiter.

Mit »rechts« und »links« bezeichnete man ursprünglich, 1789 und in den Folgejahren also, die Sitzordnung der französischen Abgeordneten, die von der Präsidenten- oder Rednerbühne aus gesehen entweder rechts, links oder in der Mitte saßen.

Die »Linken« damals in Frankreich sahen sich als Vertreter des einfachen Volkes, wobei es gemäßigte und radikale Linke gab, in der Mitte befanden sich die Indépendants (die »Unabhängigen«), die »Rechten« rekrutierten sich aus den Anhängern der Aristokratie und der Monarchie, aber auch aus dem gut gestellten Bürgertum und den Unternehmern.

Da sich während der Französischen Revolution die »Linke« mit der »Rechten« nie verständigte und man nicht systematisch darauf hinarbeitete, dass sowohl der einfache Mann in Anstand überleben konnte wie auch der Unternehmer und finanziell Bessergestellte, da man kein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen fand und es vorzog, sich lieber wechselseitig die Kehle durchzuschneiden, versagte die Französische Revolution denn auch in ihrem wichtigsten Bestreben: eine höhere Gerechtigkeit zu etablieren. Stets musste sich entweder der (Erfolg-)Reiche oder der Arbeiter bedroht fühlen. Und so kam dieser neue Staat, dieses neue Frankreich, nie zur Ruhe. Abwechselnd bangten die Linken oder die Rechten um ihr Leben. Ein »goldener Mittelweg« wurde nie gefunden. Da beide Parteiungen nur ihr eigenes Süppchen kochten, gingen sie beide unter.

Güterverknappung, hohe Preise, Hungersnot, Inflation und Kriege waren deshalb die ständigen Begleiter der Französischen Revolution.

Stets wechselten sich die mehr oder minder radikalen linken Vertreter in der Regierungsverantwortung ab mit den Konservativen. Sprich, die Herrschaft der Linken wechselte ständig ab mit der Herrschaft der Rechten. Die gesamte Französische Revolution, aber auch die politische Wirklichkeit der meisten Demokratien heute, bieten dieses Schauspiel:

Das Rechts-Links-Schema

Immer wenn das Pendel zu stark nach links oder rechts ausschlug, kehrte sich die Bewegung nach einiger Zeit automatisch um. Und so gelangte schließlich in Frankreich Napoleon auf den Thron, ein Tyrann, der in ganz Europa knietief im Blut watete.1

Wir sollten diesen Fehler nicht begehen.

Versuchen wir also, beide Extreme auf den folgenden Seiten zu vermeiden und unabhängig von »rechter« oder »linker« Weltanschauung zu berichten. Aber verzichten wir nicht darauf, hinter die Kulissen zu leuchten und ein Buch vorzulegen, in dem über Tatsachen und Fakten berichtet wird, die zu Unrecht kaum bekannt sind.

Worüber eisern geschwiegen wird

Tabuthemen im politischen Raum ranken sich fast alle um das Thema Macht, wenn man von einigen schlüpfrigen Affären absieht. Wodurch jedoch etabliert sich Macht, woraus besteht dieser verführerische Saft, von dem offenbar alle trunken werden, sobald sie ihn gekostet haben?

Macht rankt sich um fünf Themenfelder:

Zunächst muss man die

militärische Macht

nennen.

Ferner existiert die Macht der

Geheimdienste —

das Hauptthema des vorliegenden Buches.

Manchmal ist sie verquickt mit der Macht des

ganz großen Geldes

, wie man das nennen könnte.

Hinzu kommt die

Medien-Macht

oder die Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, die jedoch ebenfalls in einem erstaunlichen Ausmaß von Geheimdiensten beeinflusst wird.

Die Macht der

Politiker

kaste könnte man ebenfalls nennen, die nicht selten von Geheimdiensten beschnitten und torpediert oder unterstützt und gefördert werden kann.

So oder so spielen Geheimdienste eine entscheidende Rolle.

Man könnte noch die Macht der Religionen hinzufügen sowie die Macht der Gerichte und der Ordnungshüter/der Polizei; aber beschränken wir uns auf die oben genannten Kategorien.

Jede Person und jede Gruppierung, die sich ein anderes Land »in die Tasche stecken« will, weiß, dass man Kontrolle über diese fünf Gebiete ausüben muss. Deshalb wird hinsichtlich dieser fünf Themenfelder gewöhnlich vieles verschwiegen, selbst in den hochgelobten Demokratien. Bis heute hüllt sich die Dame Wahrheit schamhaft ein, poetisch ausgedrückt, selten spaziert sie nackt über die Straße, was eben dieses Thema Macht angeht. Ohne Maulkorb gesprochen: Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Das gilt auch für unser schönes Deutschland nach 1945, das hinsichtlich der Macht zunächst eine Wüste war. Damals balgten sich im Verbund die USA, die UdSSR, Frankreich und England darum, in Deutschland den Ton angeben zu dürfen — vor allem die Amerikaner und die Russen lieferten sich einen heftigen Schlagabtausch. Die Machtfrage wurde neu gestellt. Es galt, ein Vakuum auszufüllen, ein Machtvakuum.

Dabei spielten verschiedene Geheimdienste im Falle Deutschlands die entscheidende Rolle, als es darum ging, nach 1945 erneut zu etablieren, wer in diesem unserem Land das Sagen haben würde.

Ferner war natürlich der Mammon von Bedeutung. Aber genügend Geld war nach dem Zweiten Weltkrieg nur in einem »Club« in Deutschland im Überfluss vorhanden, da das Land ja völlig zerbombt und ausgeblutet war und am Boden lag. Es befand sich wie bereits erwähnt innerhalb der CIA, der Central Intelligence Agency, dem US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst. Und so verwundert es nicht, dass die (bundes-)deutsche Außen- und Innenpolitik weitgehend zunächst von eben diesem Geheimdienst bestimmt wurde, der über unvorstellbare Mittel verfügte. Ein deutscher Bundeskanzler (Willy Brandt) stand sogar direkt auf der Gehaltsliste der CIA. Später dazu mehr.

Neu aus der Taufe gehoben wurde nach 1945 auch die gesamte Medienlandschaft, zu welcher der Spiegel, dem die britische Militärverwaltung auf die Beine half, sowie zahlreiche linke Publikationsorgane ebenso zählen wie die Verbindung der Springer-Presse mit den USA und der CIA. Viele unserer heutigen Verlagshäuser, Radio- und Fernsehanstalten und Zeitungen würden nicht existieren ohne den Einfluss der Geheimdienste und der Besatzungsmächte.

Geheimdienste etablierten systematisch neue Presseorgane.

Umgekehrt versuchten frühzeitig DDR-Spione, die am Gängelband des KGB geführt wurden, die neuen Presse- und Medienorgane in der Bundesrepublik zu unterwandern, das eigene (DDR-)Volk wurde ohnehin systematisch ausgespäht. Hinter allem stand der sowjetische Geheimdienst.

Die Einflussnahme der Geheimdienste nach 1945 war jedenfalls enorm und wird bis heute vollständig unterschätzt. In »normalen« Geschichtsbüchern wird selten oder nie darauf aufmerksam gemacht. Man schweigt schamhaft darüber, denn man fürchtet, dass die gegenwärtige Politik ebenfalls demaskiert werden könnte mittels übertragbarer Logik.

Die alten Nazi-Geheimdienstler dagegen verkrochen sich in alle möglichen Mauselöcher und retteten sich hinüber in die neue Zeit. Aber auch NS-Juristen, Nazi-Psychiater und überhaupt einflussreiche Nationalsozialisten drehten rasch ihr Fähnchen nach dem Wind, als der Zweite Weltkrieg verloren war. Sie tauchten unter. Die alten »Mächte« duckten sich weg. Erst nach einer geraumen Weile, als sich die Aufregung gelegt hatte, steckten sie den Kopf wieder aus dem Sand. Waren alte Nazi-Geheimdienstler oder hochrangige Nationalsozialisten jedoch zu prominent, so versuchten sie über sogenannte »Rattenlinien« aus Deutschland zu fliehen. Nur einem einzigen »Nazi-Super-Spion« gelang der Spagat, seine Karriere selbst in der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland nahtlos und unbehindert fortzusetzen und wieder zu höchsten Höhen aufzusteigen. Einem ehemaligen BND-Chef! Reinhard Gehlen. Wir werden auf ihn an späterer Stelle genau zu sprechen kommen.

II. ABSOLUTE VERSCHLUSSSACHE: GEHEIMDIENSTE

1. Der Tod der Bisamratte

In Deutschland wurden nach 1945 die alten Mächte rigoros beiseitegeschoben. Die Nazis wurden verfolgt, erschossen, aufgeknüpft oder vor Gericht gestellt.

Die neuen Mächte wussten sehr wohl, dass man ein Land oder ein Volk auch und vor allem durch Geheimdienste regiert; deshalb schleusten sie ihre Agenten ein.

Militärisch hatten die USA, im Verbund mit Großbritannien sowie der Sowjetunion, Nazi-Deutschland niedergerungen. Jetzt musste in Hochgeschwindigkeit die zweite Säule der Macht etabliert werden. Dazu gehörte es, die alten Nazi-Geheimdienste endgültig auszuschalten, vor allem ihre führenden Köpfe. Betrachten wir die schillerndste Figur.

Heinrich Himmler

Heinrich Himmler (1900—1945) war der Chef der SS und der Gestapo und nach Hitler vielleicht der mächtigste Mann der Nazis.

Um welchen Typus handelte es sich? Himmler war auf der einen Seite bienenfleißig, überkorrekt und ein hochtalentierter Organisator und auf der anderen Seite ein Sadist und ein eiskalter Massenmörder. Er war ein zuverlässiger Bürokrat, aber gleichzeitig auch ein blutgieriger »Techniker der Macht«, der sich kontinuierlich nach oben boxte bis zu dem obersten inneren Führungszirkel der Nazis. Jacob Burckhardt, der große Historiker, urteilte: »Er war unheimlich ... durch etwas engstirnig Gewissenhaftes, unmenschlich Methodisches, mit einem Element von Automatentum.«1

Als Hitlers Reich nach zwölf Jahren wie ein Kartenhaus zusammenbrach, wachte Himmler auf wie aus einem Traum. Plötzlich erkannte er, dass er auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Er hatte Blut an seinen Händen kleben, seine SS hat Millionen von Menschen ermordet. Ihn erwartete nichts als der Strang, wenn er nicht ungeheuer schnell handelte.

Verzweifelt suchte Himmler 1945 nach einem Schlupfloch, um sein armseliges Leben zu retten. Die Nachrichten von der Front sowie Geheimmeldungen seiner Spione verrieten ihm, dass Deutschland dabei war, den Krieg in Bausch und Bogen zu verlieren.

Hinter dem Rücken des Führers versuchte er, mit dem »Feind« zu kooperieren, mit den Engländern und Amerikanern. Er bot sogar die Kapitulation an der Westfront an. Es handelte sich um nichts anderes als um offenen Verrat! Die Engländer und die Amerikaner benutzten Himmlers Friedensangebot jedoch nur zu Propagandazwecken: Sie lancierten das Angebot in der Presse, denn das hob die Moral der eigenen Truppen.

Hitler erfuhr vom doppelten Spiel Himmlers in seinem Bunker und schäumte. Spät, zu spät erkannte er, dass er von dem »treuen Heinrich«, wie er ihn immer genannt hatte, hintergangen worden war. Voller Zorn sprach er von dem »schamlosesten Verrat der Weltgeschichte«.2 Aber Hitler verfügte über keine Waffe mehr, mit der er zurückschlagen konnte. Er befahl wuterfüllt die Entfernung Himmlers aus allen Partei- und Staatsämtern. Darauf erließ Hitler einen Haftbefehl gegen ihn. Zugleich ordnete er an, den Kampf mit allen Mitteln und bis zum letzten Mann fortzusetzen.

Himmler aber wusste längst, dass Hitler ein Kampfhund ohne Zähne war, der bellen, aber nicht mehr beißen konnte. Doch er selbst musste handeln, ungeheuer schnell handeln. Als sich Hitler durch Selbstmord aus der Affäre zog, drängte die Zeit noch mehr. Deutschland brach an allen Fronten zusammen. Vom Osten rückten die Russen immer weiter vor, vom Westen die Engländer und Amerikaner.

Was konnte er unternehmen?

Die Ratte sucht ein Schlupfloch

Viele SS-Killer tauchen bereits ab. Viele mischen sich unter die Wehrmachtssoldaten, um ihre Identität als Angehörige der Schutzstaffel zu verschleiern. Einige legen sich fix neue Namen und Berufsbezeichnungen zu und verstecken sich zum Beispiel auf einsamen Berghöfen. Andere SS-Offiziere türmen und suchen im Ausland einen Unterschlupf.

Himmler lässt sich inspirieren. Auch er flüchtet mit einigen wenigen Männern. Sie schnappen sich ein paar Autos und rasen davon. Sie nutzen die sogenannte »Rattenlinie Nord«. Hierbei handelt es sich um eine Fluchtroute, die in Richtung Flensburg nach Schleswig-Holstein führt. Viele hochrangige Nazis hoffen, sich von hier aus nach Dänemark absetzen zu können. Für verschiedene SS-Schergen und einige Gestapo-Leute war dies die letzte Chance.

Himmler überlegt verzweifelt. Vielleicht kann er sich mit Dönitz verständigen, dem Nachfolger des Führers. Dönitz befindet sich ebenfalls hoch im Norden Deutschlands. Himmler nimmt seine Spur auf.

Der neue Chef Deutschlands ist nach Hitlers letztem Willen Dönitz, der beliebte Admiral, der von seinen U-Boot-Mannschaften wie eine Lichtgestalt verehrt wird. Himmler kann ein Treffen mit Dönitz arrangieren. Es muss einen Ausweg für ihn geben. Dönitz empfängt ihn. Aber er misstraut ihm. Das Treffen findet an einem Ort statt, der von seinen Matrosen umstellt und gesichert wird. Schon zu Beginn des Gesprächs legt Dönitz demonstrativ eine Browning auf den Tisch. Das Signal ist unverkennbar: Er wird sich von Himmler nicht überrumpeln lassen. Aber Himmler plant kein Attentat auf Dönitz. Er bietet dem neuen ersten Mann nur an, jetzt für ihn arbeiten zu wollen. Dönitz hört interessiert zu. Noch immer steht die furchtbare SS hinter Himmler. Nach wie vor verfügt er über die schlimmsten Henker Deutschlands. Schließlich lehnt Dönitz ab. Er will mit diesem blutbesudelten Geheimdienstchef nichts zu schaffen haben. Himmler drängt, er fordert, er bittet, er fleht. Er versucht alles, um in dem kommenden Deutschland nach 1945 wieder eine Rolle spielen zu dürfen. Dönitz lässt Himmler abblitzen.

Himmler schluckt es und kocht gleichzeitig. Dann nimmt er die Beine unter die Arme und verschwindet. Er sieht seine Felle endgültig davonschwimmen. Aber Teufel! Es muss doch eine Lösung für ihn geben!

Nun versucht er, sich mit ein paar Männern nach Süden durchzuschlagen. Nach kurzer Zeit sehen sie aus wie eine abgerissene Bande, was beabsichtigt ist. In schmutzigen, heruntergekommenen Uniformen tauchen sie in der Nähe Hamburgs auf. Himmler hat sich inzwischen verkleidet. Er trägt eine schwarze Augenklappe, das Schnurrbärtchen hat er sich sorgfältig abrasiert. Auf keinen Fall darf er identifiziert werden, ansonsten ist das Spiel aus. Ein unbeteiligter Beobachter soll glauben, dass es sich bei seinem Haufen um Soldaten handelt, die desertiert sind oder die wissen, dass der Krieg verloren ist. Himmler und seine Bande wollen so rasch wie möglich untertauchen. Eine britische Patrouille hält sie jedoch auf. Himmler zeigt den Briten einen gefälschten Ausweis, der auf den Namen Heinrich Hitzinger ausgestellt ist. Scheinbar ist er nur ein einfacher Feldwebel. Niemand erkennt in ihm einen der Drahtzieher des Dritten Reiches. Trotzdem wird er mitsamt seiner Schar gefangengenommen.

Die Briten stecken sie in ein Lager. Hier behandelt man Himmler wie einen x-beliebigen, normalen Soldaten, das heißt ohne jeden Respekt. Das wurmt ihn, er empört sich innerlich. Also fordert er arrogant ein persönliches Gespräch mit dem Captain der Briten. Als er ihm Auge in Auge gegenübersitzt, gibt er sich zu erkennen. Er pokert darauf, dass der Captain vor Ehrfurcht erstarrt. War er, Himmler, nicht der zweitmächtigste Mann des Dritten Reiches? Er nimmt die Augenklappe ab und setzt seine Brille auf.

Der Captain staunt tatsächlich gehörig. Aber er versteht sofort, dass ihm hier ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Er bewahrt die Ruhe. Und er befiehlt Himmler, sich auszuziehen und alle Kleider abzulegen. Er will damit unliebsamen Überraschungen vorbeugen. Zähneknirschend gehorcht Himmler. Er, der bislang Millionen von Menschen nach Belieben herumgescheucht hat, findet die Behandlung entwürdigend. Ein kleiner englischer Captain, ein Nobody in der Hierarchie der Briten, wagt es, ihm Befehle zu erteilen? Es ist furchtbar, es ist erniedrigend.

Seine Kleidung wird gefilzt. Auch er selbst wird von Kopf bis Fuß untersucht. Die Briten wissen, dass die hohen Nazi-Schurken gewöhnlich Gift bei sich tragen. Mit allen Mitteln soll verhindert werden, dass sich Himmler im letzten Augenblick durch Selbstmord davonstiehlt. Ein Arzt wird herbeigerufen. Der Doktor blickt Himmler in alle Körperöffnungen. Schließlich befiehlt ihm der Arzt, den Mund zu öffnen. Dort verstecken die Nazis besonders gerne Gift. Himmler öffnet widerwillig den Mund, der so viele Todesbefehle ausgestoßen hat. Er wackelt mit der Zunge, wie ihm aufgetragen wird. Scheinbar ist alles in Ordnung. Aber der Arzt misstraut dem Gefangenen. Er befiehlt, sich näher an das Fenster zu stellen, damit das Licht besser in die Mundhöhle fallen kann. Himmler gehorcht. Kurz darauf versucht der Arzt, ihm zwei Finger in den Mund stecken, um das Innere des Mundes genau abfühlen und abtasten zu können.

Himmler reißt im letzten Moment den Kopf zur Seite. Dann beißt er in die Finger des Doktors. Eine Zyankalikapsel ist in einer Zahnlücke seines Unterkiefers versteckt. Im gleichen Moment zerbricht die Giftampulle. Die Engländer versuchen mit Nadeln und Faden die Zunge Himmlers daran zu hindern, sich frei zu bewegen. Dann bemühen sie sich, das Gift, das bereits in den Magen des Häftlings gelangt ist, wieder aus dem Körper herausschießen zu lassen, indem sie ihm ein Brechmittel verabreichen. Sie denken sogar daran, ihm den Magen auszupumpen. Aber alle Versuche schlagen fehl. Das Zyankali wirkt.

Zwölf Minuten dauert der furchtbare Todeskampf. Dann stirbt Himmler. Die Ratte entkommt durch das letzte Schlupfloch, das es gibt: den eigenen Tod.

Einen Tag lang bleibt die Leiche nackt liegen. Dann verscharrt man sie in einem nahegelegenen Wäldchen im Dreck. In der Nähe Hamburgs/Lüneburgs lagern noch heute die unidentifizierten Knochen Himmlers.3

2. Rattenlinien

Während Himmler sich selbst aus dem Verkehr zog, gelang es anderen SS-Leuten, Leib und Leben zu retten. Später wurde bekannt, dass Günter Grass, der Nobelpreisträger, — ein »Vorzeigelinker«, nach 1946 lächerlicherweise mitunter »das Gewissen Deutschlands« genannt — ein SS-Mann gewesen war. Auch der Filmschauspieler Horst Tappert und der Schriftsteller Herbert Reinecker hatten der SS-Clique angehört. Ferner waren Otto Beisheim, der Metro-Mitbegründer, Hans Robert Jauß, der Literaturwissenschaftler, und Franz Schönhuber, der ultrarechte Politiker, Mitglieder des Mörderclubs gewesen.

Einigen gelang es also nicht nur unterzutauchen, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland wieder lukrative Pöstchen zu ergattern, ja zu Ansehen und Wohlstand zu gelangen. Dies geschah, obwohl die SS von den Alliierten im Nürnberger Prozess als »verbrecherische Organisation« eingestuft worden war — einschließlich der Waffen-SS und des SD, des Sicherheitsdienstes, der »Experten« für die Spionage und für verdeckte Operationen.

Lange hielt sich zudem hartnäckig das Gerücht über eine Gruppierung namens ODESSA, eine Abkürzung für OrganisationderehemaligenSS-Angehörigen, die angeblich kurz vor Kriegsende gegründet worden war und vielen SS-Leuten zur Flucht verholfen hatte. Nun, das Gerücht war alles andere als erfunden. Als Fluchtrouten dienten verschiedene »Rattenlinien«, im Süden wurde die Hilfe hochrangiger Vertreter der römisch-katholischen Kirche in Anspruch genommen. Viele Angehörige der Schutzstaffel entkamen. Aber es gab auch zahlreiche Prozesse, in denen SS-Täter und Nazis verurteilt wurden. Nach 1946 hagelte es regelrecht entsprechende Verdikte. Immerhin!

Doch verweilen wir noch einen Augenblick bei den Rattenlinien.

Mit rat lines (= Rattenlinien) — ein Ausdruck des US-amerikanischen Geheimdienstes — bezeichnete man alle Fluchtrouten, die führende Nazis benutzten. Manchmal nannte man sie auch Klosterrouten, weil die Vertreter der katholischen Kirche dabei ihre »heiligen« Finger im Spiel hatten.

Meist führten sie über Südtirol nach Italien (Rom) und von dort nach Spanien, von wo aus die alten Nazis den Weg nach Südamerika fanden. In erster Linie stellte sich Argentinien zur Verfügung, aber auch Brasilien und verschiedene arabische Länder (welche die Juden hassten und den Judenmord bis heute gutheißen), boten sich als Unterschlupf an.

Die Rattenlinie Nord führte, wie gerade beschrieben, nach Schleswig-Holstein in Richtung Flensburg.

Die Rattenlinie Süd war bedeutsamer. Ein Priester der Franziskaner namens Krunoslav Draganović etablierte die Fluchtroute bereits 1943. Mehr als ein »brauner Bischof« stand ihm dabei zur Seite, aber auch das Rote Kreuz, die Caritas und andere »Hilfsvereine« machten sich einen schlechten Namen. Der Spitzname des Drahtziehers Krunoslav Draganović lautete »Goldener Priester«. Er war hervorragend mit den Kroaten in Jugoslawien vernetzt, aber auch mit dem Vatikan und sogar mit der CIA, in deren Rahmen einige Agenten um die Fluchtroute wussten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Draganović bereits für den britischen, den jugoslawischen und den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet, was wieder einmal beweist, dass einige Agenten jedem dienen, der nur genug bezahlt. Niemand war jedenfalls besser vernetzt als der »Goldene Priester«.4

In Deutschland konnten die Nazi-Flüchtlinge auf die Stille Hilfe zählen, ein Verein in München, in dem hochrangige Vertreter beider deutscher Kirchen saßen, Protestanten und Katholiken, aber auch Nationalsozialisten.

Über München gelangten die Flüchtlinge nach Rom. Spätestens dort, wenn nicht früher, wurden den alten Nazis von einem römisch-katholischen Bischof (Alois Hulda) Ausweise besorgt. Manchmal wurden alte Nazis sogar als Überlebende aus Konzentrationslagern ausgegeben, ein Hohn in sich selbst. Vertreter des Vatikans/des Papstes standen den Nazi-Flüchtlingen daraufhin weiter zur Seite, sofern es unerwartete Schwierigkeiten gab. Im Falle eines Falles bestätigten sie die (falsche) Identität der Flüchtlinge. Um die Visa kümmerte sich ebenfalls der Vatikan, gemeinsam mit dem italienischen Zweig des Roten Kreuzes. Auch die Argentinier fälschten oft entsprechende Papiere. Unsummen wechselten den Besitzer, denn die alten Nazis rafften im letzten Augenblick vor ihrer Flucht alles zusammen, was nicht niet- und nagelfest war. Das Internationale Rote Kreuz schaffte die Flüchtlinge gewöhnlich zuerst nach Spanien, bevor sie über den Großen Teich transportiert wurden. Der US-amerikanische Geheimdienst oder zumindest einige Agenten duldeten diese Rattenlinie, ja, sie statteten einige hohe Nazis sogar manchmal selbst mit Papieren aus — theoretisch unvorstellbar, weil man in der Öffentlichkeit die Nazis wie die Hasen jagte. Aber Geld hat schon so manchen Geheimdienstoffizier schwachgemacht.

Argentinien nahm offiziell mindestens 180 bis 300 hohe Nazis auf, weil der Staatschef, Juan Perón, mit dem faschistischen Gedankengut sympathisierte. Wir glauben, es handelte sich um weitaus mehr Nazis, können dies aber nicht belegen. Etwa eintausend Kilometer nördlich der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires verkrochen sich die Nazis erneut; sie gaben überdies eine Zeitschrift heraus, die teilweise sogar im Nachkriegsdeutschland vertrieben wurde, bevor man sie verbot.5

Nicht alle »Ratten«, die in Argentinien untertauchten, wurden ihres Lebens froh.

Adolf Eichmann (1906—1962), ein SS-Obersturmbannführer, der für die Vertreibung und Deportation der Juden zuständig gewesen war und somit mitverantwortlich für sechs Millionen Tote, wurde 1960 von israelischen Agenten im Zuge einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd aufgespürt — in Argentinien. Der gefährlichste Geheimdienst der Welt, der (israelische) Mossad, entführte ihn, transportierte ihn heimlich nach Israel, steckte ihn dort ins Gefängnis und schleppte ihn vor den Kadi. Eichmann wurde zum Tode verurteilt. 1962 richtete man ihn hin.

Aber viele alte Nazis überlebten in Argentinien, Brasilien oder im neuen Deutschland, wo man nur einigen von ihnen noch Jahrzehnte später auf die Spur kam. Mit ihnen überlebte zu einem gewissen Grad auch das nationalsozialistische Gedankengut, das die »reinrassigen Arier« hochlobte, andere Volksgruppen als Menschen zweiter Klasse abqualifizierte und Mord und Totschlag guthieß. Generell wurden später Akten vernichtet und Spuren verwischt.

Die Hilfe des Vatikans und des Papstes (Pius XII.) zählen bis heute zum schwärzesten Kapitel der katholischen Kirche, denn auch Mussolini-Faschisten wurde zur Flucht verholfen.6

Gestapo, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Interpol

Auch viele Gestapo-Leute flohen und tauchten unter. In den 1950er-Jahren jedoch erschienen einige Gestapo-Leute wieder auf der Bildfläche, nachdem der ärgste Sturm und Protest vorüber war und sich das Leben in Deutschland wieder einigermaßen normalisiert hatte. Sie nisteten sich erneut bei der Polizei und bei den Justizapparaten ein, obwohl sie furchtbare Verbrechen begangen hatten. Selbst im Bundeskriminalamt (BKA, Hauptsitz Wiesbaden) und im Bundesnachrichtendienst (BND, Hauptsitz München) krochen alte Nazis wieder auf Polizei- und Geheimdienststühle, ja sogar in der internationalen kriminalpolizeilichen Organisation Interpol (Hauptsitz Lyon, Frankreich).

Der Nationalsozialismus war angeblich tot, in Wahrheit lebte er weiter. Dabei waren all diese Skandale nur die Spitze des Eisberges, wie wir noch sehen werden.

3. Die Geheimoperationen der CIA

Nachdem Deutschland und die deutsche Wehrmacht im Jahre 1945 bedingungslos kapituliert hatten, sahen sich die Amerikaner, die Russen, die Engländer und die Franzosen mit dem Problem konfrontiert, die Geschichte Deutschlands zu schreiben. Das Land wurde flugs in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Briten gaben den Ton an in Nordwestdeutschland, die Amerikaner in Süddeutschland, die Franzosen im Westen (Teilen Württembergs, Baden und Rheinland-Pfalz) und die Russen im Osten.

Die Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg

Früh stritt man sich, wer den Krieg gegen die Deutschen eigentlich gewonnen hatte. Die standhaften Engländer? Die reichen US-Amerikaner? Die leidensfähigen Russen? Die drei starken Männer waren jedenfalls Churchill (Großbritannien), Truman (USA) und Stalin (UdSSR), wenn auch einige Amerikaner später sagen sollten, dass sie Deutschland eigentlich niedergerungen und den Russen nur die »Knochen zum Abnagen« übriggelassen hätten.

Jedenfalls entwickelte sich aus den drei westlichen Besatzungszonen die »Bundesrepublik Deutschland« (BRD), aus der sowjetischen Besatzungszone formte sich die »Deutsche Demokratische Republik«, kurz DDR genannt.

Was über die CIA nicht bekannt ist

Hinter den Kulissen wurde die CIA unvorstellbar rege, im Grunde gab sie den Ton in allen drei westlichen Besatzungszonen an. Anfänglich war die CIA nichts als ein Haufen Cowboys. Sie entstand aus dem OSS (Office of Strategic Services), mutierte dann zum CIG (Central Intelligence Group) und wurde schließlich umgetauft in CIA (Central Intelligence Agency) unter Präsident Truman. Eine Bande aus »Börsenmaklern, Eierköpfen von Elitehochschulen, Glücksrittern, Werbetypen, Journalisten, Stuntmen, Fassadenkletterern und Hochstaplern«7 war rekrutiert worden, um die CIA ins Leben zu rufen. Zu Beginn schmiedeten diese Abenteurer die unglaublichsten Pläne, um Deutschland und Japan niederzuringen. Fledermäusen, die man aus ihren Höhlen holen wollte, gedachte man »Brandbomben auf den Rücken zu schnallen«8, um sie auf die Japaner loszulassen. James Bond war nichts gegen die ersten Agenten dieses US-amerikanischen Geheimdienstes.

Früh wurde die CIA mit Unsummen ausgestattet, mit Millionen von Dollars.

Richard Helms (1913-2002) war der Mann der ersten Stunde. Er leitete verdeckte Operationen in Berlin, wo er einen Spionagetunnel bauen ließ, um Telefonleitungen nach Moskau anzuzapfen. Aber Helms war auch zuständig für die Spionage in Österreich, in der Schweiz, in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn.

Ihm zur Seite stand Frank Wisner (1909—1965), dessen »Fachgebiete« Propaganda, ökonomische Kriege, Sabotage und Subversion waren.9

Schon früh ging es der CIA nicht darum, Deutschland zu bekämpfen, vielmehr rückten Stalin und die UdSSR immer mehr in den Fokus des Geheimdienstes.

Die Briten zogen sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus vielen Weltgegenden und von zahlreichen Inseln zurück, wodurch ein Machtvakuum entstand. Der Grund: strategische Überdehnung und der Zweite Weltkrieg, der Großbritannien ausgelaugt hatte. Hitler hatte den Briten förmlich das Knochenmark ausgesaugt.

Der KGB, mit Stalin an der Spitze, versuchte sofort, in dieses Vakuum hineinzustoßen. Der einzige ernstzunehmende Gegner für die Kommunisten waren die Vereinigten Staaten von Amerika, die nun ebenfalls weltweit aktiv wurden. Mit buchstäblich Hunderten von Millionen von Dollars, später mit vielen Milliarden, wurde die CIA ausgestattet, um den Kommunismus rund um den Globus zu bekämpfen. In Griechenland brannte es, in Italien, Frankreich und Deutschland, aber auch in zahlreichen anderen Ländern. Amerikanische Spione wurden in aller Herren Länder geschickt. Überall etablierte dieser US-Nachrichtendienst Stützpunkte. Für das Militär waren Kriegsschiffe, Soldaten und Munition wichtig, für die CIA konkreter Einfluss auf die gesamte Bevölkerung. Es handelte sich um eine neue Art politischer Kriegsführung, die es so zuvor nicht gegeben hatte.

Ein Teil dieser »politischen Kriegsführung« bestand darin, weltweit Politiker zu »unterstützen«, die mit den USA an einem Strang zogen. Um eben diese Politiker zu gewinnen, verteilte die CIA Schmiergelder in immenser Höhe. In Italien wanderten die CIA-Bestechungsgelder vornehmlich in die Hände der Christdemokraten. »Ganze Koffer von Bargeld wechselten den Besitzer.«10

Es gehört nicht viel Intelligenz dazu, sich vorzustellen, dass man in Deutschland nicht anders vorging.

Politiker wurden weltweit eingekauft, in ganz großem Stil. Bestimmte Orte eigneten sich für die Geldübergabe besonders gut, wie Rom, Wien und Berlin.

Berlin und Wien waren die wichtigsten Spionagezentren in Europa. Hier tummelten sich Agenten der CIA (und des KGB) in einer Größenordnung, die bis heute in den üblichen Geschichtsbüchern nicht verzeichnet ist — aber auch viele andere Geheimdienste waren hier zugange.

Immer stand das Geld an erster Stelle. Und so erblickte schließlich auch der sogenannte »Marshallplan« das Licht der Welt. In den offiziellen Geschichtsbüchern und Lexika liest sich das wie folgt:

»Der Marshallplan [...] war ein großes Aufbauprogramm der Vereinigten Staaten von Amerika, das nach dem Zweiten Weltkrieg dem an den Folgen des Krieges leidenden Westeuropa [...] zugutekam. [...] Das 12,4-Milliarden-Dollar-Programm wurde am 3. April 1948 [...] von US-Präsident Harry S. Truman in Kraft gesetzt. Es dauerte vier Jahre [...]. Im gesamten Zeitraum [...] leisteten die USA bedürftigen Staaten [...] Hilfen im Wert von insgesamt 13,12 Milliarden Dollar [...].«11

Das entspräche, nebenbei bemerkt, heute (2022) rund 200 Milliarden Dollar.

Nun, in dieser hübschen Definition werden mindestens zwei wichtige Details verschwiegen. Erstens: Milliarden von Marshallplan-Dollars dienten auch dazu, Absatzmärkte für die USA zu schaffen. Die Bundesrepublik Deutschland wurde nicht nur als ein künftiger Verbündeter im Kampf gegen den Kommunismus gesehen, sondern auch als eine Gans, die goldene Eier legen konnte. Man musste ihr nur auf die Beine helfen. Deutschland musste zunächst gewissermaßen wieder von den Toten auferstehen, wenn man den Menschen dort amerikanische Waren verkaufen wollte. Es ging den USA also auch um das eigene finanzielle Wohlergehen, um Absatzmärkte. Die Finanzspritzen des Marshallplans dienten dazu, die eigenen Waren zu verhökern. Oh U$A!

Zweitens: Weitgehend unbekannt ist die Tatsache, dass die CIA heimlich und ungesehen Unsummen von den Marshallgeldern abzwackte. Es existierte eine Geheimklausel, die eben dies der CIA erlaubte zum Zwecke der politischen Kriegsführung. Und so flossen die Dollars nicht nur in Richtung des »leidenden Westeuropa«, sondern ein Gutteil auch in die weiten Taschen der CIA.

Früh wurden der CIA 685 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt.12 Es handelte sich um Geheimgelder, die für Geheimoperationen eingesetzt wurden.

In der Folge hob die CIA alle möglichen Tarnorganisationen aus der Taufe. Viele der ersten Firmen in der BRD waren CIA-Unternehmen, die sich freilich durchwegs hübsche deutsche Namen gaben.

Von besonderer Bedeutung waren die Medien, die neu aus dem Boden gestampft werden mussten. Besonders Axel Springer mit seiner Bild-Zeitung und anderen Publikationsorganen geriet später ins Gerede, aber auch Willy Brandt, die »Rechte« und die »Linke« mit anderen Worten.13

Die CIA rekrutierte außerdem in der Folge zahlreiche Mitarbeiter. Emigranten wurden angeworben, aber auch Deutsche aus allen Besatzungszonen. Flüchtlinge aus Russland und aus anderen osteuropäischen Staaten waren besonders willkommen, sowie deutsche Heimkehrer aus diesen Ländern.

Politische Untergrundgruppen wurden gebildet und verdeckte Operationen gegen die Sowjets in die Wege geleitet. Die CIA sorgte für Guerillabanden. Wie in jedem Geheimdienst wurden Sabotage, Mord und das ganze schmutzige Know-how der Nachrichtendienste ausdrücklich gebilligt.

Alle Bestrebungen richteten sich darauf, den Kommunismus zu Fall zu bringen und keinesfalls in der BRD Fuß fassen zu lassen. Eine »Kriegslist« bestand darin, eine vollständig neue Währung einzuführen, um über diesen Umweg die Sowjets auszuschalten. Zu diesem brisanten Thema gleich mehr.

Die Angst vor dem Kommunismus führte innerhalb der CIA sogar dazu, auch alte Nazis einzukaufen — womit wir unversehens bei einem Skandal eigener Güte sind.

4. Die beiden Gesichter des Reinhard Gehlen

Nach 1945 tauchten viele alte Nazis unter, wie bereits ausgeführt. Die Jäger mutierten zu Gejagten. Die »Herrenmenschen« verkrochen sich feige in den kleinsten Mauselöchern. Die Wahrheit erblickte das Licht der Welt. Die Nazis hatten den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen, der mit 60 Millionen Toten zu Buche geschlagen war.

Wie konnte sich ein Superspion, der nachweislich zumindest indirekt dafür verantwortlich war, dass Millionen von Russen und Polen hingemordet worden waren, aus der Verantwortung stehlen? Wie konnte er verhindern, einfach aufgeknüpft zu werden? Es war fast unmöglich. Oder doch nicht?

Die Biografie Reinhard Gehlens ist ein Phänomen. Als Hitler 1939 Polen überfiel, war Gehlen an vorderster Front mit von der Partie. Vertreter der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, im Verbund mit SS-Gangstern, schlüpften in polnische Uniformen und täuschten, als polnische Freischärler verkleidet, Übergriffe auf Deutschland vor. Hitler sah sich also scheinbar »gezwungen« zu handeln und den Krieg gegen Polen zu erklären.

Bei dem rechtswidrigen Angriffskrieg gegen Polen kamen unmittelbar (geschätzte) 80 000 polnische Soldaten ums Leben, etwa 130 000 polnische Soldaten wurden verwundet.

In der Folge inszenierten die Deutschen Massenmorde an polnischen Intellektuellen, Priestern, Aristokraten und Juden. Hitler persönlich befahl die Massenerschießungen. Die gesamte polnische Intelligenz sollte von der Wehrmacht ausgerottet werden, die »physische Vernichtung« der Elite.14 Allein im Jahre 1939 wurden rund 60 000 polnische Staatsbürger ermordet, Lehrer, Ärzte, Professoren, immer wieder Priester, Politiker und Gewerkschaftler.

Gehlen wusste um diesen Umstand. Die deutschen Wehrmachtsangehörigen töteten, plünderten und stahlen wie die Elstern. Sie vergewaltigten polnische Frauen und quälten die Polen bis aufs Blut. Aufsteiger Gehlen marschierte stramm mit den Mördern im Gleichschritt.

Schließlich erblickte das Unternehmen Barbarossa das Licht der Welt. Unter diesem Code verstand man den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, der im Jahre 1941 begann. Das Ziel war die Vernichtung des Kommunismus. Fieberhaft planten ranghöchste Offiziere den Überfall; auch Gehlen saß mit im Boot. Der europäische Teil der Sowjetunion sollte erobert, die Führungskräfte dort ermordet und die Zivilbevölkerung teilweise ausgerottet werden. Der Hungertod von Millionen von Kriegsgefangenen und die Morde an Juden wurden systematisch geplant. Der europäische Teil Russlands sollte »germanisiert« werden. Die Wehrmachtsführung, und also auch Gehlen, waren eingebunden in den Massenmord-Plan.

Gehlen wurde im Mai 1941 zum Leiter der »Abteilung Fremde Heere Ost« ernannt, was so viel bedeutete, dass er nun der Chef der gesamten Ost-Spionage war. Gehlen avancierte urplötzlich zu einer Schlüsselfigur auf dem Schachbrett Hitlers.

Er entfaltete eine unvorstellbare Aktivität, denn er wollte seinem Führer beweisen, was in ihm steckte. Gehlen nahm sich als Erstes die russischen Kriegsgefangenen zur Brust, die nach den ersten Siegen der Deutschen in seine Hände fielen. Die armen russischen Teufel wurden ausgequetscht wie Zitronen. Einige vermochte man umzupolen und in Spione für Deutschland zu verwandeln. Gleichzeitig stampfte Gehlen ein Passbüro aus dem Boden. Falsche Ausweise wurden massenhaft hergestellt. Ganze Heerscharen von Spionen schickte Gehlen nun in feindliches Gebiet. Die UdSSR wurde infiltriert wie nie zuvor. Alles, alles wurde ausgespäht, nicht nur militärische Geheimnisse, sondern auch die gesamte kommunistisch-sowjetische Industrie. Es galt, alle Absichten der Russen in Erfahrung zu bringen. Als sowjetische Offiziere getarnte Deutsche infiltrierten die Rote Armee. Spitzel nisteten sich überall ein ... in den Fabriken, in der Verwaltung, ja sogar in der kommunistischen Partei. Sie suchten zudem Kontakt zu antikommunistischen Partisanen und Gegnern Stalins.

Gehlen überschlug sich. Er spionierte zu guter Letzt jeden Industriezweig aus, der von Bedeutung war, einschließlich der genauen Produktionsziffern in verschiedenen Industrien. Wenn Rüstungswerke verlegt wurden, so erfuhr Gehlen als Erster davon. Er kannte sich aus im Eisenbahntransport. Er erstellte Straßenkarten und Stadtpläne. Er legte Akten an über den sowjetischen Geheimdienst. Gehlen kannte sogar die Decknamen der gegnerischen Agenten. Er erstellte Analysen, Memoranden und brachte den Tagesablauf Stalins in Erfahrung. Er rückte also den Russen so dicht auf den Pelz, wie es nie zuvor und nie danach einem Geheimdienst gelang.

Stalingrad markierte jedoch die Wende — erstmalig verloren die Deutschen wichtige Schlachten.

Sofort versuchte Gehlen, Hitler auf die prekäre Lage der deutschen Heere im Osten aufmerksam zu machen und legte ihm genaue Zahlen vor. Aber Hitler wusste alles besser — er glaubte Gehlen nicht. Sein Zorn traf seinen eigenen Meisterspion. Gegen Ende des Krieges wechselte er Gehlen einfach aus, er fiel in Ungnade.

Wofür aber war Gehlen bis dahin mitverantwortlich? Nun, in Weißrussland ermordete die deutsche Wehrmacht im Verbund mit der SS rund 350 000 Zivilisten, meist Frauen und Kinder. Sie wurden in großen Gebäuden wie Vieh zusammengetrieben und mit Maschinengewehren erschossen. Danach fackelte man die Gebäude ab. In Weißrussland wurden auf diese Weise 628 Dörfer zerstört.

Viele Kriegsgefangene karrte man ins Deutsche Reich, wo sie als Arbeitersklaven ausgebeutet wurden. Die meisten russischen Kriegsgefangenen jedoch ließ man verhungern.

Verantwortlich war die SS, aber auch die Wehrmacht — und mit ihnen Reinhard Gehlen.

In der UdSSR wurden insgesamt rund 3 Millionen Juden umgebracht.15 Weiter vergewaltigten die Deutschen rund 2 Millionen Frauen. Viele Russen und Russinnen begingen Selbstmord. 2 bis 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene starben den Hungerstod, erfroren, starben an Seuchen oder wurden erschossen. Es handelte sich um eines der größten Kriegsverbrechen aller Zeiten.

Schätzungen schwanken zwischen 20 und 40 Millionen Menschen, die im Kampf fielen, sprich an der Front. 11,4 Millionen sowjetische Soldaten starben, die Mehrzahl der Opfer jedoch waren sowjetische Zivilisten.16

Soweit das Sündenregister des Reinhard Gehlen, der das alles mitzuverantworten hatte.

Der Wendehals

Gehlen selbst weiß darum. Er weiß um die Massenmorde, die Folterungen und die Grausamkeiten. Es ist unmöglich, dass er als einer der führenden Offiziere im Russlandfeldzug nicht davon in Kenntnis gesetzt worden ist — im Gegenteil: Er ist sogar einer der Drahtzieher.

Als jedoch der Russlandfeldzeug scheitert und Hitler seine Berichte ignoriert, bricht für den Geheimdienstchef eine ganze Welt zusammen. Gehlen, der Meisterspion Hitlers, Gehlen, der die entsetzlichsten Massenmorde unterstützt hat, ist nur noch an einem interessiert: Wie kann er seine eigene Haut retten? Im letzten Augenblick versucht er, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen.

Er weiß so viel, dass er seine Mittäterschaft nicht verheimlichen kann. Also bereitet er sich darauf vor, sich abzuseilen. Er zermartert sich das Gehirn. Er weiß, die Niederlage ist nicht aufzuhalten. Aber vielleicht, vielleicht lässt sich ein Pakt mit den Amerikanern schließen. Möglicherweise kann sein Wissen über die Russen in eine Freifahrkarte für das eigene Überleben umgemünzt werden? Er fotografiert sämtliche brisanten Materialien über die Sowjets und den Osten — Berichte, Zeichnungen, Bilder und Studien. Er stellt Duplikate von allem und jedem her. In einer unvorstellbar aufwendigen, geheimen Aktion entstehen Kopien von Luftaufnahmen und Akten. Diese werden in fünfzig Stahlkoffern verstaut. Ein komplettes geheimdienstliches Archiv über die gesamte Sowjetunion entsteht. Danach werden diese Koffer vergraben, in Bayern, an Orten, die nur er kennt.

1945 flieht er Hals über Kopf, als alles hinter ihm zusammenbricht. Er muss sich dem direkten Zugriff der Russen entziehen, die ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen würden, wenn sie ihn erwischten. Gehlen verkriecht sich mit drei Offizieren in einer abgelegenen Almhütte im Allgäu, im Süden Deutschlands.

Inzwischen umklammern die Amerikaner im Westen und die Russen im Osten das kollabierende Deutschland. Gehlen verharrt bebend in seinem Versteck in der Almhütte und wartet ab, was passiert. Aber schon nach kurzer Zeit wird er von US-Militärs aufgespürt, von Abwehroffizieren der Amerikaner, nur zwölf Tage nach der Kapitulation. Zunächst erkennen die Amerikaner noch nicht, welch fetten Fang sie hier gemacht haben. Er wird interniert. Deutschland wird in der Folge in verschiedene Besatzungszonen aufgeteilt. Schließlich fällt Gehlen dem obersten Nachrichtenchef der amerikanischen Besatzungszone in die Hände. Der amerikanische Nachrichtenoffizier versteht sofort, dass ihm hier ein ganz besonders dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Da sich in der Weltpolitik inzwischen der Wind gedreht hat und die Amerikaner die Russen zu hassen und zu fürchten beginnen, gibt es plötzlich einen gemeinsamen Feind: die Sowjets und Stalin.

Gehlen kalkuliert messerscharf, dass ihm die Wende von höchstem Nutzen ist.

Im Lager der Amerikaner, aber auch bei den Engländern, herrscht nicht etwa Festtagsstimmung. Ja, man hat mit den Russen gemeinsame Sache gemacht, um die verdammten Nazis niederzuringen. Aber in Großbritannien und in US-Amerika weiß man längst, dass es einen neuen, noch mörderischen Gegner gibt. Eben den nimmersatten, brandgefährlichen, skrupellosen Diktator Stalin, der mindestens eine ebenso rabenschwarze Seele besitzt wie Hitler. Die politische Großwetterlage ändert sich von Grund auf. Der »Kalte Krieg« beginnt.

Gehlen teilt mit den Amerikanern den Hass und die Furcht vor den Russen. Bei der ersten günstigen Gelegenheit legt er seine Ansichten dar: Er prophezeit, dass Stalin versuchen wird, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in seine Tasche zu stecken. Er sagt voraus, dass der russische Diktator alles daransetzen wird, um sogar ganz Deutschland den Kommunismus aufzuzwingen.

Die US-Nachrichtenleute staunen, als Gehlen ihnen genau das erzählt, was sie selbst befürchten und glauben. Als er zudem andeutet, dass in fünfzig Metallkoffern wertvollstes, hoch brisantes Spionagematerial über die Sowjets existiert, staunen sie noch mehr. Sie wissen, dieses Material ist nicht mit Gold aufzuwiegen.

Gehlen wird in ein Speziallager gebracht und von einem Tag auf den anderen mit höchstem Respekt behandelt. Die Amerikaner erkennen, welch ungeheurer Schatz hier zu heben ist. Schließlich werden die Spionagedokumente in den fünfzig Stahlkoffern von Gehlen ans Tageslicht befördert und den Amerikanern übergeben. Die US-Nachrichtenleute sind sprachlos. Man debattiert und überlegt im Lager der Sieger. Dann erlaubt man Gehlen, seine Arbeit fortzusetzen, das heißt die Spionage gegen die Sowjetunion und Osteuropa. Er darf sogar frühere Mitarbeiter rekrutieren, die ihm bei seiner Arbeit behilflich sind. Der Kriegsverbrecher, der eigentlich an den Galgen gehört, wird plötzlich wie ein Fürst hofiert. Gehlen schreibt zunächst einen geschönten Bericht über seine Spitzeltätigkeit, wobei er sich selbst natürlich ins rechte Licht rückt. Geschickt macht er darauf aufmerksam, was er alles weiß — über die Russen, die Standorte der Armeen, deren Stärke, die Rüstung, die Wirtschaft. Er kann Luftaufnahmen von Eisenbahnverbindungen wie Asse auf den Tisch des Hauses knallen. Er besitzt sogar Berichte über die Stimmung in der Sowjetunion. Niemand ist so glänzend und umfassend über den Osten informiert wie Gehlen.

Und so pirscht sich Gehlen an die Amerikaner heran — deren eigene Ängste ausnutzend. Außerdem versteht niemand einen Nachrichtenmann besser als ein anderer Nachrichtenmann. Seine Sünden werden schnell vom Tisch gewischt. Dass Gehlen einst mithalf, Millionen von Russen auszuradieren, wird ihm jetzt fast als Pluspunkt angerechnet. Die veränderte politische Großwetterlage diktiert eine völlig neue Denke.

Amerika selbst besitzt kaum Kenntnisse über Stalin und die Sowjetunion. Gehlen dagegen kann einen Trumpf nach dem anderen aus dem Ärmel ziehen. Die Amerikaner erfahren zu ihrem Erstaunen, dass Stalin nach dem Krieg nicht abrüstet. 6 Millionen Mann bleiben bei den Russen unter Waffen stehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika im Gegensatz dazu reduzieren ihre Armeen von 12 Millionen auf 1,4 Millionen Mann.

Gehlen wird in die USA verfrachtet. Er spricht mit den ganz hohen Tieren des amerikanischen Militärs und der Geheimdienste. Obwohl man in Washington zuerst auf Distanz zu dem alten Nazi geht, erkennt man schließlich, dass die Informationen Gehlens über die Russen tatsächlich unschätzbar wertvoll sind. Rund ein Jahr verbleibt Gehlen in den Vereinigten Staaten.

Es gelingt ihm, alle von seinem Wert zu überzeugen. Eine eigentlich unmögliche Kooperation entsteht hinter den Kulissen. Gehlen, der Massenmörder, Gehlen, der Wendehals, soll einen neuen Geheimdienst in Deutschland aufbauen, freilich kontrolliert vom Nachrichtendienst der Amerikaner. Man muss sich die Ungeheuerlichkeit wirklich vor Augen halten: Der Superspion Hitlers gerät zu einem Anhängsel der amerikanischen Geheimdienste. Sein künftiger Job soll darin bestehen, weiter Informationen über die osteuropäischen Länder zu beschaffen, vor allem aber über Russland. Die Amerikaner verfügen kaum über Spione, was die UdSSR angeht. Gehlen kann diese Lücke füllen. Gehlen avanciert zum Chef eines neuen deutschen Spionageapparates. Er darf eine Org aufbauen, wie man das Unternehmen intern im Kürzel benennt. Er darf Spione, Spitzel, Zuträger und Agenten anheuern.

Gehlen kann es selbst kaum glauben: Gerade hat er mit Mühe seinen Hals aus der Schlinge gezogen — und jetzt steigt er auf zu einem der mächtigsten Männer im Nachkriegsdeutschland.

Während andere Nazis längst im Wind baumeln, rettet er nicht nur sein Leben, sondern wird mit einer neuen unvorstellbar wichtigen Aufgabe betraut. Gehlen, der ranghohe Nazi-Offizier, mutiert zum bundesrepublikanischen Topspion und CIA-Befehlsempfänger.

Gehlen oder Dr. Schneider

Dass Gehlen nun einem neuen Herrn dient und einer neuen (freiheitlichen) politischen Philosophie, scheint ihn nicht weiter zu stören. Im Gegenteil! Die Amis empfinden wie er Furcht vor den Russen, die sich in Hass ausdrückt. Gehlen gießt Öl ins Feuer. Man ist sich einig: Stalin, das Ungeheuer, muss unter allen Umständen daran gehindert werden, dem Kommunismus weltweit auf die Sprünge zu helfen. Das aber ist nur möglich mittels genauer Informationen.

Gehlen krempelt die Ärmel auf. Er weiß, er muss seinem neuen Auftraggeber Ergebnisse liefern. In Windeseile kümmert er sich darum, alte Spionage-Asse wieder zu aktivieren. Er darf, er soll, er muss einen neuen Geheimdienst aus dem Boden stampfen, und das schnell. Rasch hört er sich unter stellungslos gewordenen deutschen Offizieren um. Alte Nazis laufen ihm in Scharen zu. Er nimmt sie ohne Gewissensbisse unter seine Fittiche. Er kann nicht mit Steinen werfen, denn er sitzt selbst im Glashaus. Mit seiner Hilfe können sich zahlreiche alte Nationalsozialisten, die eigentlich an den Galgen gehören, der gerechten Strafe entziehen. Gehlen nutzt seine Seilschaften schamlos aus, um Spitzel anzuwerben. Oh, er kennt sie alle, alle. Ihre Namen sind auf seinen Karteikarten verzeichnet, auch ihre Decknamen. Seine Org wird ein Hort für alte Nazis. Jeder Spitzel erhält einen neuen Decknamen, auch er selbst. Gehlen lässt sich jetzt mit »Dr. Schneider« anreden oder einfach nur mit »Doktor«. Eine geheime, verschworene Bruderschaft entsteht. Gehlen rekrutiert und rekrutiert. Ein besonders ergiebiger Pool sind die Heimkehrer aus der Sowjetunion. Millionen Deutsche, die während des Krieges in die Hände der Russen fielen, kehren in den folgenden Jahren zurück nach Deutschland. Niemand kennt sich besser aus, was die Verhältnisse in der Sowjetunion angeht. Gehlen jubelt. Er kann die ehemaligen Kriegsgefangenen nach allen Regeln der Kunst aushorchen und wertvolle Informationen einholen. Und seine Org kann in den westdeutschen Heimkehrerlagern sogar neue Spione rekrutieren.

Die amerikanischen Militärs sind unendlich beeindruckt. Sie erfahren, dass die Rüstungsproduktion Stalins auf Hochtouren läuft. Die USA motten ihre Kriegsschiffe ein, die Russen dagegen bauen ihre Flotte aus. Gehlen weiß alles ... die Zahl der Flugzeuge, der Schiffe, der Kampftruppen und der Panzer. Gehlen schleust zunehmend Spitzel in die sowjetische Besatzungszone ein. Ha, niemand kennt sich so gut aus wie Gehlen!

In Pullach, sprich ein paar Kilometer südlich von München, erhält sein Nachrichtendienst eine neue, feine Unterkunft, die zuvor schon ranghohen Nazis beste Dienste geleistet hat. Am 6. Dezember 1947 rückt Gehlen mit seinen Mitarbeitern an, mitsamt den Familien der Agenten. Alles ist hochgeheim. 1948 verfügt er bereits über eine Crew von zweihundert Leuten. Später wird die Org auf viele Tausend Mann anwachsen. In Pullach schottet man sich ab. Es gibt eigene Schulen, nur für die Späher reservierte Geschäfte, sogar ein eigenes Hospital und ein eigenes Kasino.

Gehlen sorgt dafür, dass die antisowjetische Stimmung der Amerikaner geschürt wird, schließlich ist das seine Freifahrkarte und gereicht ihm zum Vorteil, denn dadurch wird er immer unentbehrlicher. Zum zweiten Mal macht er Weltpolitik. Es gelingt ihm, im Lager der Amerikaner fast Panik zu erzeugen, wenn das Gespräch auf die Russen kommt. Die US-Geheimdienstler sprechen immer respektvoller von der Organisation Gehlen. Gehlens Informationen sind pures Gold. Überall greift er Nachrichten ab — auch in Berlin und Wien, wo sich die Spione aus aller Herren Länder ein Stelldichein geben, Franzosen, Engländer, Russen, Amerikaner und Deutsche.

Der Ostsektor, die spätere DDR, wird von Gehlen ebenfalls bis in den hintersten Winkel ausgespäht. Gehlen weiß, worauf es ankommt. Wieder geht es darum, die Rüstungsanstrengungen genau im Auge zu behalten und mit ihnen die Eisenbahnverbindungen, die Straßen und die Schifffahrtswege. Gehlen gelingt ein Coup nach dem anderen. Westdeutsche Spitzel werden in die höchsten Gremien der künftigen DDR eingeschleust. Die kommende Deutsche Demokratische Republik, die weder demokratisch ist noch republikanisch, ist für ihn ein offenes Buch, das keiner so gut lesen kann wie er selbst.

Auch Gehlen, der Nachrichtenmann, muss umdenken. Die Amerikaner verändern die gesamte Kultur in diesem neuen Deutschland. Alles wird auf einmal nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt. Nicht die Gesinnung ist wichtig, sondern der Geldbeutel und der ökonomische Erfolg. Und so nennt sich Gehlen jetzt »Generaldirektor«. Er richtet zahlreiche Zweigniederlassungen ein, was seinen Geheimdienst angeht. Wie ein Wirtschaftsunternehmen versucht er ihn zu führen. Die Organisation Gehlen erhält 1955 einen neuen Namen: Bundesnachrichtendienst. Gehlen leitet ihn selbstverständlich, von 1956 bis 1968. Eine zweite Karriere! Es entstehen Generalvertretungen und Bezirksvertretungen, Untervertretungen und Filialen.

Wie ein riesiges Spinnennetz überzieht der Bundesnachrichtendienst (BND) schon bald die gesamte Bundesrepublik. In fast allen deutschen Großstädten ist er nach einiger Zeit vertreten. Aber alles geschieht unter größter Geheimhaltung. Die BND-Filialen firmieren oft als Wirtschaftsunternehmen. Kaum ein bundesdeutscher braver Bürger weiß, dass hinter so mancher »Handelsgesellschaft« der BND steckt. Besonders gern bedient man sich des Covers eines Versicherungsunternehmens. Aber auch Jalousienfabriken, Sektfirmen, »technische Dienste« und andere Firmenbezeichnungen werden benutzt. Geheimhaltung ist oberste Pflicht. Wenn Informationen weitergereicht werden, so geschieht das mittels Geheimtinten, Geheimpapieren und geheimen Briefkästen, wie sie Spione bis heute benutzen. In Steckdosen werden Mikrofone eingebaut und in Thermosflaschen kleine Kameras. Die Spionagekultur macht einen Quantensprung nach oben.

Nur eine einzige Person ist über das gesamte Spinnennetz vollständig informiert: Gehlen selbst. Er sorgt sogar dafür, dass falsche Fährten gelegt werden und frisch angeworbene Agenten bestenfalls nur eine oder zwei Personen seiner Schattenarmee kennen. Seine Spitzel werden überall eingeschleust, in wichtige Wirtschaftszweige, in Parteien, in die Medien. Seine Top-Agenten infiltrieren die machtvollsten Organisationen des Gegners. Eine genaue Arbeitsteilung findet statt: Es gibt »Werber«, die neues Personal rekrutieren, ferner Karrierespione, die sich bis in die höchsten Ränge hocharbeiten müssen, und schließlich Agentenführer und Auswerter von Informationen. Wie in Spionageorganisationen üblich, bedient man sich auch gewisser Damen, um an bestimmte Informationen heranzukommen. Erfahrene Spioninnen, »Schwalben« genannt, wissen es: Nach einem Orgasmus ist ein Mann besonders redselig und plaudert gern Geheimes aus.

Die US-Geheimdienste sind besonders daran interessiert, die osteuropäischen Länder und die UdSSR genauer auszuforschen. Also stößt Gehlen weiter und weiter vor, er betreibt »Fernaufklärung«. Nach einer Weile blüht die Spionage nicht nur in der DDR, sondern auch in Polen, der Tschechoslowakei, in Ungarn und in Russland, später sogar in Rumänien, Jugoslawien und anderen Ländern.

Sowjetsoldaten werden gern mit leichten Mädchen geködert, die ihnen Westwaren oder Sex anbieten — im Gegenzug für Informationen. Manchmal kann man die russischen Soldaten sogar umdrehen. Schweizer Uhren, Luxuswaren, aber auch Füller und Kugelschreiber sind bei den Russen besonders beliebt. Und so gelingt es dem BND, auch die Sowjetunion auszuhorchen und auszuspähen. Jeder, der nach Russland reist, ob Student oder Professor, wird daraufhin abgeklopft, ob er nicht zum Spitzel taugt.17

Gehlen, der Top-Spion Hitlers, hat es nicht nur geschafft unterzutauchen, er befindet sich sogar wieder auf einem der einflussreichsten Posten der neugeschaffenen Bundesrepublik Deutschland.

5. Streng vertraulich: der KGB und die Stasi

Wer nun glaubt, dass mit den vorangegangenen Seiten die CIA und US-Amerika diskreditiert werden sollten, der irrt. In »Ostdeutschland« oder in der »Deutschen Demokratischen Republik« ergriffen ebenfalls neue Geheimdienste die Macht — die alten Nazis wurden radikal abserviert, obwohl es ebenfalls punktuell Berührungspunkte gab. Hinter allem stand der KGB.

Der KGB war eine Organisation, in der Gewalt und Lüge, Folter und Desinformation Tradition besaßen. Lenin (Bilanz: 10 Millionen Tote) hatte hart daran gearbeitet, einen völlig neuen Geheimdienst zu formen. Zusammen mit Stalin (Bilanz: 50 Millionen Tote) gelang es ihm, mit dem KGB den vielleicht entsetzlichsten Geheimdienst der Welt zu schaffen.

Tatsächlich ist es müßig, sich mit den verschiedenen Bezeichnungen herumzuschlagen, die all diese sowjetischen Geheimdienste benutzten. Nur so viel: Aus einigen Vorläufern und der GPU — das Kürzel bedeutet übersetzt: »Vereinigte staatliche politische Verwaltung« — entwickelte sich schließlich der schreckliche KGB. Über verschiedene bürokratische Zwischenschritte und Neubezeichnungen entstand 1953/54 der KGB oder das Komitee für Staatssicherheit.

An der Spitze des Staates hielt der Massenmörder Stalin nach wie vor die Macht in der Hand. Er hatte geholfen, Hitler niederzuringen und hielt sich für den neuen starken Mann.

Der KGB regierte die Sowjetunion von 1954 bis 1991 mit eiserner Faust und erwarb sich früh den Ruf einer brutalen Geheimdienstorganisation.

1991 löste der FSB (Föderaler Sicherheitsdienst, der jedoch anfänglich nur für den Inlandgeheimdienst zuständig war) den KGB ab, aber erneut änderte sich lediglich die Bezeichnung, die Methoden blieben.

Bis heute ist das Kürzel KGB, wie er immer noch in einigen Staaten heißt, Synonym für den furchtbarsten Geheimdienst der gesamten Geschichte der Menschheit.

Lawrenti Beria

Dem ersten Ungeheuer, dem wir innerhalb dieses Geheimdienstes begegnen, von Lenin und Stalin immer abgesehen, war Lawrenti Beria (1899—1953).

Ab 1938 leitete er die Geheimdienste der Sowjetunion, unter welchem Namen auch immer. Beria war ein Terrorspezialist, dessen Morde noch heute Gänsehaut verursachen. Besonders liebte er es zu foltern, aber er war auch verantwortlich für die Deportation und Verschleppung ganzer Volksgruppen.

Auf der Karriereleiter der Spione stieg er unaufhaltsam nach oben, weil er ein Meister darin war, Vorgesetzte auszupokern. Schließlich herrschte er als Geheimdienstchef über ganz Georgien. Er »regierte« mit Massenverhaftungen und Massenhinrichtungen. Ferner liebte er Konzentrationslager und plötzliche Terrormaßnahmen, kombiniert mit ausgesuchten Foltermethoden. Insgeheim sammelte er kompromittierende Informationen auch über Parteimitglieder, um sie im geeigneten Moment beiseiteschieben zu können. Und so geriet er schließlich auf Wunsch Stalins, der ihn förderte, wann und wo immer möglich, zum Vorsitzenden der kommunistischen Partei in Georgien. In der Folge stieg Beria, das Ungeheuer, wie er hinter verschlossenen Türen genannt wurde, höher und höher.

Er war eine der Schlüsselfiguren, die unaufhaltsam an dem Führerkult rund um Stalin feilten, ein Grund, warum ihm Stalin mehr und mehr Pöstchen zuschanzte.

Das Ungeheuer lernte alles über verlogene Propagandamethoden und operierte schließlich ebenso gekonnt mithilfe von Desinformationen wie mit Schauprozessen, aber seine besondere Zuneigung galt wie gesagt der ausgesuchten Folter. Stalin war von ihm höchst angetan, ja, er nannte ihn liebevoll »unser[en] Himmler«18 und ließ ihn weiter und weiter in der Hierarchie aufsteigen. Zwei schwarze Seelen waren sich hier offenbar in inniger Zuneigung zugetan.

Beria gelangte auf diese Weise 1946 in das höchste politische Gremium innerhalb der UdSSR, in das Politbüro.

Erneut legte sich Beria für Stalin ins Zeug. Für ihn ließ er hochrangige Militärs und einflussreiche Politiker erschießen, er ermordete Zehntausende Kriegsgefangene und tötete ungezählte Häftlinge in den Moskauer Gefängnissen. Verantwortlich war der »Topspion« mit Sicherheit für den Massenmord an einer halben Million Tschetschenen, die er umbringen ließ, sowie für 1,5 Millionen Zwangsdeportierte, wobei erneut rund eine halbe Million Menschen starben. Wie viele Deutsche er ermordete, konnte nie mit Sicherheit festgestellt werden.

Nach dem Krieg 1945 betraute ihn Stalin mit der Aufsicht über den Bau der sowjetischen Atombombe. Doch Beria ließ trotzdem nie ab von seinem Lieblingssport: der Folter. Der Autor Volensky fand dies heraus: »Beria verfügte in jedem Moskauer Gefängnis über ein Büro, in dem er Folterungen von Verhafteten beiwohnte. Mit Wissen Stalins gingen diese Folterungen in Berias Privathaus weiter und wurden von Beria persönlich vorgenommen. 1980 wurden in einem unterirdisch verlaufenden Gang zwischen seinem Haus und der Unterkunft seiner Leibwächter menschliche Skelette aufgefunden.«19

Noch einmal: der KGB

Hinter den Kulissen war der KGB unvorstellbar rege — in ganz Europa, ja in fast allen Ländern der Welt. Nach 1945 interessierte sich Stalin besonders für Griechenland. Er schleuste Guerillaverbände in das Land ein, die gegen die Monarchie mobil machen und eine kommunistische Diktatur errichten sollten. Im letzten Augenblick machte ihm der CIA einen Strich durch die Rechnung.

In Italien, Frankreich, Deutschland und anderen Ländern wurden kommunistische Parteien gegründet. Stalin versuchte tatsächlich, sich den ganzen Planeten in die Tasche zu stecken, es ging um nichts weniger als um die Weltherrschaft.

Überall in Europa gründeten der KGB und die Kommunisten Tarnorganisationen — Verlagshäuser und Zeitungen war ihr Spezialgebiet. Sie unterwanderten Studentenverbände und Gewerkschaften, Politikzirkel und Unternehmen, auch in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund ist die Gründung und Entwicklung der Stasi zu sehen.

Die Stasi

Halten wir uns auch in dieser Beziehung nicht mit den verschiedenen Bezeichnungen auf. Stasi ist eine Abkürzung für Staatsicherheitsministerium oder Ministerium für Staatssicherheit (MfS ist ein anderes Kürzel). Die Stasi wurde 1950 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gegründet, der vormaligen sowjetischen Besatzungszone, natürlich mit Billigung des KGB.

Im »Westen«, in der Bundesrepublik Deutschland, griff die CIA nach der Macht im Geheimdienstmilieu, im Osten der KGB beziehungsweise die Stasi. Die Stasi war sowohl Nachrichtendienst als auch Geheimpolizei, eine Art SS plus Gestapo, jedenfalls eine politische Polizei, jedoch nun mit kommunistischen Vorzeichen.

Wir sollten zumindest einen Augenblick lang Verständnis, ja fast Mitleid für die vormaligen DDR-Bürger aufbringen, die von 1933 bis 1945 mit Nazi-Parolen bombardiert und von 1946 bis 1989 mit kommunistischen Slogans zugemüllt wurden.