"Geist", "Religion" und "absolutes Wissen" - Josef Schmidt - E-Book

"Geist", "Religion" und "absolutes Wissen" E-Book

Josef Schmidt

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Beschreibung

Dieses Buch erhalten Sie als BonD-Ausgabe. Dabei handelt es sich um einen Nachdruck der vergriffenen Originalausgabe von 1997 - hergestellt auf Bestellung, mit einem hochwertigen Digitaldruckverfahren. Hegels "Phänomenologie des Geistes" ist eines der großen Werke der philosophischen Weltliteratur. Seit ihrem Erscheinen im Jahre 1807 ist sie bis heute Gegenstand heftiger Auseinandersetzung. Merkwürdigerweise stehen den vielen globalen Interpretationen aber nur wenige Versuche einer sorgfältigen Textanalyse gegenüber. Das gilt besonders für die drei letzten Kapitel, "Geist", "Religion" und "absolutes Wissen". Gerade diese Passagen aber müssen als die wichtigsten und inhaltsreichsten Abschnitte des Werks gelten, auf die dieses als ganzes zuläuft. Der vorliegende Kommentar soll diese Lücke schließen. Nach einer zusammenfassenden Deutung der ersten Hälfte der "Phänomenologie" wird der Gehalt der drei Gipfel-Kapitel erschlossen, die die zweite Hälfte ausmachen, und zwar in engem Anschluss an den Text selbst. Auf diese Weise erhellen sich zahlreiche dunkle Stellen, über die bisher hinweggelesen wurde oder die der Deutung widerstanden. Hegels Denken zeigt sich so in neuer Frische.

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Hegels 'Phänomenologie des Geistes' ist eines der großen Werke der philosophischen Weltliteratur. Seit ihrem Erscheinen im Jahre 1807 ist sie bis heute Gegenstand heftiger Auseinandersetzung. Merkwürdigerweise stehen den vielen globalen Interpretationen aber nur wenige Versuche einer sorgfältigen Textanalyse gegenüber. Das gilt besonders für die drei letzten Kapitel, 'Geist', 'Religion' und 'absolutes Wissen'. Gerade diese Passagen aber müssen als die wichtigsten und inhaltsreichsten Abschnitte des Werks gelten, auf die dieses als ganzes zuläuft. Der vorliegende Kommentar soll diese Lücke schließen. Nach einer zusammenfassenden Deutung der ersten Hälfte der 'Phänomenologie' wird der Gehalt der drei Gipfel-Kapitel erschlossen, die die zweite Hälfte ausmachen, und zwar in engem Anschluss an den Text selbst. Auf diese Weise erhellen sich zahlreiche dunkle Stellen, über die bisher hinweggelesen wurde oder die der Deutung widerstanden. Hegels Denken zeigt sich so in neuer Frische.

Münchener philosophische Studien

Forsetzung der »Pullacher Philosophichen Forschungen« begründet von Walter Brugger S.J. und Johannes B. Lotz S.J.

In Verbindung mit den Professoren der Hochschule für Philosophie, München (Philosophiche Fakultät S.J.)

herausgegeben von

Gerd Haeffner S.J. und Friedo Ricken S.J.

Neue Folge

Josef Schmidt

„Geist“, „Religion“ und „absolutes Wissen“

Ein Kommentar zu den drei gleichnamigen Kapiteln aus Hegels „Phänomenologie des Geistes“

Verlag W. Kohlhammer

Die veröffentlichung wurde ermöglicht durch einen Druckkostenzuschuß der AUGUSTIN BEA STIFTUNG GMBH MÜNCHEN

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Schmidt, Josef: „Geist“, „Religion“ und „absolutes Wissen“; ein Kommentar zu den drei gleichnamigen Kapiteln aus Hegels Phänomenologie des Geistes/Josef Schmidt. – Stuttgart; Berlin; Köln: Kolhammer, 1997 (Münchener philosophiche Studien; N.F., Bd. 13) NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Verlag W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln Verlagsort: Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-014417-0

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-031373-6

epub:

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Erster Teil: Kurzkommentar zur „Einleitung“ und den Kapiteln I–V.

Einleitung

I. Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meinen.

II. Die Wahrnehmung; oder das Ding und die Täuschung.

III. Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt.

IV. Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst.

A. Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft.

B. Freiheit des Selbstbewußtseins; Stoizismus, Skeptizismus und das unglückliche Bewußtsein.

V. Gewißheit und Wahrheit der Vernunft.

A. Beobachtende Vernunft.

a. Beobachtung der Natur.

b. Die Beobachtung des Selbstbewußtseins in seiner Reinheit und in seiner Beziehung auf äußre Wirklichkeit; logische und psychologische Gesetze.

c. Beobachtung der Beziehung des Selbstbewußtseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre.

B. Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst.

a. Die Lust und die Notwendigkeit.

b. Das Gesetz des Herzens, und der Wahnsinn des Eigendünkels.

c. Die Tugend und der Weltlauf.

C. Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist.

a. Das geistige Tierreich und der Betrug, oder die Sache selbst.

b. Die gesetzgebende Vernunft.

c. Gesetzprüfende Vernunft.

Zweiter Teil: Hauptkommentar zu den Kapiteln VI– VIII: „Der Geist“, „Die Religion“, „Das absolute Wissen“.

VI. DER GEIST.

A. Der wahre Geist, die Sittlichkeit.

a. Die sittliche Welt, das menschliche und das göttliche Gesetz, der Mann und das Weib.

(Die Teilung der sittlichen Substanz in die beiden „Gesetze“, 292,13–30)

(Das Gemeinwesen als Bereich des „menschlichen Gesetzes“, 292,31 – 293,31)

(Die Familie und der Einzelne als solcher als Bereich des „göttlichen Gesetzes“, 293,31 – 297,5)

(Das Walten des Gemeinwesens und die Beziehung der beiden „Gesetze“, 297,6 – 298,30)

(Deutlichkeitsgrade der Sittlichkeit in den familiären Verhältnissen und der Bezug zum anderen „Gesetz“, 298,31 – 301,40)

(Die Auflösung der Spannungen im sittlichen Ganzen und seine männlich weibliche „Gerechtigkeit“, 302,1 – 304,18)

b. Die sittliche Handlung, das menschliche und göttliche Wissen, die Schuld und das Schicksal.

(Das Offenbarwerden des Konfliktes durch die Handlung, 304,22 – 306,23)

(Bewußtes und unbewußtes Handeln, 306,24 – 307,25)

(Schuld und Verbrechen, 307,26 – 309,3)

(Die unbewußte Verstrickung in Schuld – Ödipus, 309,4–35)

(Die bewußte Verfehlung – Antigone, 309,36 – 310,15)

(Das Erleiden der Handlungsfolgen und die wiederhergestellte Gerechtigkeit, 310,16 – 311,18)

(Göttliches und menschliches Gesetz im Streit der Brüder – „Die Sieben gegen Theben“, 311,19 – 312,21)

(Die Rache der entehrten Toten – „Die Schutzflehenden“, 312,22 – 313,15)

(Das unterdrückte göttliche Gesetz und seine indirekte Macht, 312,16 – 315,19)

(Der allgemeine Ausgleich, die neue Stufe des Geistes, 315,20 –316,2)

c. Rechtszustand.

(Das Allgemeine des Geistes ist die Person, 316,4–27)

(Die Person, das „leere Eins“, 316,28 –317,19)

(Die faktische Person gibt sich Inhalt, 317,20 –318,21)

(Der „Herr der Welt“, die alles einende und alles besitzende Person, 318,22 –319,33)

(Das „Gelten“ der Person mündete in die Entfremdung, 319,34 –320,11)

B. Der sich entfremdete Geist; die Bildung.

I. Die Welt des sich entfremdeten Geistes.

a. Die Bildung und ihr Reich der Wirklichkeit.

(„Entfremdung“ und „Bildung“ als Manifestation der Einheit des Geistes, 323,29 –326,20)

(Die Aufgliederung der substantiellen Einheit des Geistes am Beispiel der Natur, 326,21 –327,11)

(„Gut“ und „Schlecht“ als gedankliche, „Staatsmacht“ und „Reichtum“ als gegenständliche Aufgliederung der substantiellen Einheit des Geistes, 327,12–328,25)

(Die Vermittlung der gedanklichen und gegenständlichen Seite im Urteil nach dem Maßstab von Gleich und Ungleich, 328,26–331,1)

(Das Bewußtsein als Beurteilungsmaßstab und die Aufgabe der Vermittlung seiner eigenen Gleichheit und Ungleichheit, 331,2 – 332,11)

(Die Bedeutung der Vermittlung für die gegenständlichen Wesen selbst und das entsprechende Verhältnis des Bewußtseins zu ihnen, 332,12–335,3)

(Die Sprache als Ort des Bewußtseinsbezuges zum gleicherweise in sich vermittelten Gegenüber, 335,4–37)

(Die Vermittlung der gegenständlichen Totalität zur Einzelheit des Selbstbewußtseins: die Macht des Monarchen, 335,38–338,13)

(Die Preisgegebenheit der gegenständlichen Totalität: die Ohnmacht des Monarchen, 338,14–340,2)

(Der Selbstbesitz des preisgegebenen Reichtums und seine erneute und radikale Macht über das Bewußtsein, 340,3–29)

(Die Ohnmacht des Bewußtseins und seine Empörung, 340,30–342,26)

(Die Zerrissenheit des Selbstbewußtseins als Ausdruck seiner Bildung, 342,27–345,28)

(Die Unmöglichkeit für das Bewußtsein, der Macht der Bildung zu entfliehen, 345,29–347,3)

(Die Überwindung der Zerrissenheit des Bewußtseins in diesem selbst, 347,4–348,23)

b. Der Glauben und die reine Einsicht.

(Die Genese des Glaubens aus dem Geist der Entfremdung, 348,25–350,13)

(Der Glaube im Unterschied zur reinen Einsicht, 351,14–352,7)

(Der Glaube für sich betrachtet und im Verhältnis zur Welt, 352,8–354,2)

(Die reine Einsicht für sich betrachtet und im Verhältnis zur Welt, 354,3–355,28)

II. Die Aufklärung.

a. Der Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben.

(Glaube und Einsicht – Einheit und Unterschied, 357,11 – 30)

(Die indirekte Strategie in der Bekämpfung des Glaubens, 357,31 – 358,37)

(Kritik ohne Widerstand – Ist der Glaube kampflos erlegen? 358,38 – 360,19)

(Die Kritik erfährt Widerstand. – Der Weg der Selbstverwirklichung der Einsicht, 360,20 – 362,4)

(Kritik am Glauben als prinzipiell einsichtsvollem Selbstbewußtsein, 362,5 – 363,20)

(Kritik am Glauben als prinzipiell überfremdetem Selbstbewußtsein, 363,21 – 364,20)

(Die drei kritischen Momente an der Unmittelbarkeit des Glaubens, 364,21 – 368,22)

(Die „positive Realität“ der Aufklärung und ihre Grundbegriffe des Absoluten, Endlichen und Nützlichen, 368,23 – 372,2)

(Die ungerecht erscheinende Kritik spricht im Namen des „Begriffs“, der auch dem Glauben zugrunde liegt, 372,3 – 374,17)

(Wiederaufnahme und Bestätigung der kritischen Momente des Glaubens, 374,18 – 377,19)

(Die Aufklärung siegt, doch belastet mit der Sehnsucht des unbefriedigten Glaubens, 377,20 – 378,38)

b. Die Wahrheit der Aufklärung.

(Die Selbstgegenwart des „Begriffs“ und die ihr innewohnende Tendenz zur Vergegenständlichung, 379,2 – 380,1)

(Die zweifache Sicht des Absoluten: Deismus und Materialismus, sowie deren dialektische Konvergenz, 380,2 – 382,12)

(Der Schritt in die Äußerlichkeit und ihre neue Integration durch den Begriff der „Nützlichkeit“, 382,13 – 384,9)

(Zusammenfassender Rückblick auf den „entfremdeten Geist“, wie er sich bisher ergab, 384,10 – 385,16)

III. Die absolute Freiheit und der Schrecken.

(Von der Nützlichkeit zur absoluten und kommunikativen Freiheit, 385,19 – 387,4)

(Die Freiheit, die sich als einzelne unmittelbar und kompromißlos „allgemeiner Wille“ ist, 387,5 – 388,3)

(Die radikaldemokratische Aufhebung aller gesellschaftlichen Unterschiede als Forderung des „allgemeinen Willens“, 388,4 – 389,30)

(Die Tilgung der Individualität als letzte Konsequenz freier selbstbezüglicher Allgemeinheit, 389,31 – 391,7)

(Das Erschrecken der Freiheit vor sich selbst und die Aufhebung ihrer tödlichen Abstraktheit, 391,8 – 392,4)

(Die positive Einbeziehung des Todes in das wahre Selbstverhältnis der Freiheit, 392,5 – 394,16)

C. Der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität.

a. Die moralische Weltanschauung.

(Das Auseinandertreten von Bewußtsein und Gegenstandswelt, von Selbst und Natur, 395,33 – 396,31)

(Das erste Postulat: Die Harmonie von Moralbewußtsein und äußerer Natur, Pflicht und Glück, 396,32 – 398,14)

(Das zweite Postulat: Die Harmonie von Moralbewußtsein und innerer Natur, Pflicht und Sinnlichkeit, 398,15 – 400,10)

(Die Vereinigung der beiden Postulate durch den Begriff des Handelns, 400,11–25)

(Das Auseinandertreten der Handlungseinheit in die vielen Gesetze, 400,26 – 401,4)

(Das dritte Postulat: Die Wiederherstellung der Handlungseinheit durch ein jenseitiges moralisches Bewußtsein, 401,5–38)

(Die Konsequenz des dritten Postulates: Das moralische Bewußtsein zwischen Abhängigkeit und Autonomie, Gnade und Verdienst, 401,39 – 402,29)

(Die moralische Weltanschauung steht in Ermangelung des „Begriffs“ im Zeichen wechselnder „Vorstellung“, 402,30 – 403,30)

(Die Konsequenz aus der „Vorstellung“ und ihren wechselnden Positionen: es gibt ein moralisches Bewußtsein, und es gibt keines, 403,31 – 405,3)

b. Die Verstellung.

(Das vergegenständlichende Bewußtsein als „Nest gedankenloser Widersprüche“, 405,5 – 406,2)

(Disharmonie und Harmonie von Moral und Natur – die Aporien des ersten Postulates, 406,3 – 408,25)

(Erfüllung der Moral und ihre Überflüssigkeit – die Aporien des zweiten Postulates, 408,26 – 410,19)

(Die überflüssig gewordene Moral und das damit isolierte Glückseligkeitsstreben, 410, 20 – 411,21)

(Der vollendete moralische Gesetzgeber und das Problem der Autonomie, 411,22 – 412,27)

(Das vollendete moralische Bewußtsein, Sammelpunkt der Widersprüche, 412,28 – 414,9)

(Der Zusammensturz der moralischen „Verstellungen“ und die Rettung der Moral durch das Gewissen, 414,10 – 415,16)

c. Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung.

(Die Überwindung der moralischen Antinomie durch die Einheit des Selbst, 415,20 – 4172)

(Die neue Handlungseinheit des Gewissens als unmittelbar konkretes Pflichtbewußtsein, 417,3 – 420,17)

(Der Allgemeinheitsbezug des Gewissens ist die gegenseitige Anerkennung und die neue „Sache selbst“, 420,18 – 421,36)

(Die Gefährdung der Handlungseinheit durch die Unüberschaubarkeit des Wissens und die Vielfalt der Inhalte – und die unmittelbare Handlungsgewißheit als Lösung, 421,37 – 423,28)

(Das Problem der Beliebigkeit im Bestimmen und Bewerten der Handlung und die nochmalige Lösung durch die sinnlich konkrete Handlungsgewißheit, 423,29 – 426,25)

(Die neue Unmittelbarkeit des in sich geschlossenen Handlungsvollzuges und die beliebige Deutung seiner begrenzten Ausdrucksgestalt, 426,26 – 427,37)

(Die Sprache als allein adäquate Ausdrucksgestalt, als Ort des kommunikativen Geistes und der eigentlichen Handlung, 427,37 – 429,23)

(Die Sprache als alleiniger Vollzug des Gewissens, der Anerkennung und der Religion, ihre Überbewertung und Krise, 429,24 – 432,13)

(Die „schöne Seele“ als Gestalt der Erfüllung und der Krise des Gewissens, 432,14 – 433,14)

(Der unvermeidliche Außenbezug des in sich ruhenden, reinen Gewissens und der daraus erwachsende Gegensatz zwischen handelndem und beurteilendem Gewissen, 433,15 – 434,10)

(Die „Heuchelei“ des nach außen gerichteten Gewissens – sie muß entlarvt werden, 434,11 – 436,6)

(Die gegenseitige Relativierung des handelnden und des beurteilenden Gewissens – beide sind „böse“, 436,7 – 438,7)

(Das handelnde Gewissen bekennt sich, wird aber vom beurteilenden zurückgewiesen, das sich so ins Unrecht setzt und Gefahr läuft, sich zu zerstören, 438,8–440,15)

(Die Versöhnung des handelnden und beurteilenden Gewissens im „absoluten Geist“, 440,16–441,17)

(In Trennung und Versöhnung offenbart sich der „absolute Geist“, 441,18–442,35)

VII. DIE RELIGION.

(Die bisherigen religiösen Standpunkte und ihr Wissen vom göttlichen Gegenüber, 443,2–444,27)

(Der eigentliche religiöse Standpunkt als das Sichwissen des göttlich absoluten Geistes im Anderen seiner selbst, 444,28–445,40)

(Die Entfaltung des eigentlichen religiösen Standpunktes nach den Momenten der Erscheinungsgeschichte des Geistes, 446,1–450,16)

A. Natürliche Religion.

a. Das Lichtwesen.

b. Die Pflanze und das Tier.

c. Der Werkmeister.

B. Die Kunst-Religion.

a. Das abstrakte Kunstwerk.

(I. Die Präsenz des Göttlichen in der Objektivität der Statue, 461,19–464,12)

(I.a. Die vom Tempel umgebene Statue, 461,26–463,2)

(I.b. Die Krise der Dinglichkeit des Götterbildes, 463,3–464,12)

(II. Die Präsenz des Göttlichen in der Subjektivität der Sprache, 464,13–466,29)

(II.a. Der Hymnus, 464,13–39)

(II.b. Das Orakel, 464,40–466,29)

(III. Die Präsenz des Göttlichen im Kult als dem Vollzug der Einheit von Subjektivität und Objektivität, 466,30–470,11)

(III.a. Der abstrakte, innerliche Kult, 467,10–40)

(III.b. Die Konkretisierung des Kultes im Opfer, 468,1–469,19)

(III.c. Die Stabilisierung der kultischen Handlung durch die Einbeziehung des Götterbildes, 469,20 – 470,11)

b. Das lebendige Kunstwerk.

(Die sich preisgebende göttliche Substanz und ihre Präsenz in der sinnlichen Gewißheit, 470,13 – 472,8)

(Der bacchantische Kult und die ekstatische Rückkehr zur naturhaft göttlichen Substanz, 472,9–33)

(Die Aufhebung bacchantischer Konturlosigkeit in die Gestalt körperlicher Selbstgewißheit und in den Ausdruck der Sprache, 472,34 – 474,14)

c. Das geistige Kunstwerk.

(Das gegenseitige Sichspiegeln der irdischen und himmlischen Ordnung in der Welt des Epos, 474,16 – 476,2)

(Die Krise der epischen Welt als Dialektik ihrer objektiv-subjektiven Einheitsbewegung, 476,3 –478,4)

(Die Einheit des Begriffs und das Pathos des Subjektes: die Tragödie, 478,5 – 480,8)

(Die Vereinfachung der sittlich religiösen Welt durch die tragische Handlung zu einer objektiv inhaltlichen wie subjektiv formalen Polarität, 480,9 –482,16)

(Das Handeln in der Spannung des Bewußten und Unbewußten und die übergeordnete Einheit des Schicksals, 482,17 – 484,3)

(Die „Entvölkerung des Himmels“ durch die Bewegung zur Einheit, 484,4 – 485,16)

(Die Komödie als Ausdruck der universal kritischen Macht der Subjektivität, 485,17 – 486,29)

(Die Einheit von Dialektik und Komödie und der Sieg der Subjektivität in der Kunst-Religion, 486,30 – 488,5)

C. Die offenbare Religion.

(I. Die Bedingungen der offenbaren Religion, 488,7 – 492,13) (I.a. Der Ertrag der Kunst-Religion, 488,7–25)

(I.b. Die Umkehrung der Umkehrung durch den „wirklichen Geist“, 488,26 – 489,16)

(I.c. Der „wirkliche Geist“ als Bedingung des Hervorganges der offenbaren Religion, 489,17 – 492,13)

(II. Gegebenheit und vorstellendes Begreifen des Inhaltes der offenbaren Religion, 492,14 – 499,29)

(II.a. Die begriffliche und geschichtliche Tatsächlichkeit des Inhaltes, 492,14 – 493,18)

(II.b. Die Offenbarung Gottes im Menschen – die erfüllte Hoffnung und das Ziel der Geschichte, 494,6 – 497,10)

(II.c. Die vorstellende Reflexion des offenbaren Inhaltes, 497,11 – 500,26)

(III. Die dreistufige Entfaltung des offenbaren Inhaltes durch das vorstellende Begreifen, 500,27 – 515,8)

(III.a. Gott in sich selbst – das Element des reinen Denkens, 500,27 – 502,40)

(III. b. Schöpfung und Erlösung – das Element der Vorstellung im engeren Sinn, 503,1–507,15)

(III.b.1. Die Welt als Schöpfung, 503,1–26)

(III.b.2. Die Tendenz der Schöpfung zum Bösen, 503,27 – 504,14)

(III.b.3. Die Frage nach dem vorweltlichen Bösen, 504,15 – 505,28)

(III.b.4. Das Gute als eigene, dem Bösen entgegentretende Wirklichkeit, 505,29 – 506,9)

(III.b.5. Die partikulare Versöhnung von seiten des göttlichen Wesens und ihr Allgemeinwerden, 506,10 – 507,15)

(III.c. Die Gemeinde – das Element des Selbstbewußtseins, 507,16 – 515,8)

(III.c.1. Das Eintreten der objektiven Versöhnung in das Selbstbewußtsein und dessen „Begriff“, 507,16 – 509,28)

(III.c.2. Die Aufnahme der objektiven Versöhnung als schöpferischer Selbstvollzug der Gemeinde, 509,29 – 510,2)

(III.c.3. Die stets notwendige inhaltliche Vermittlung des begreifenden Selbstvollzuges, 510,3–511,34)

(III.c.4. Die Ich-Identität von objektiver Versöhnung und subjektivem Selbstvollzug im Leben der Gemeinde, 511,35 – 513,25)

(III.c.5. Das Erfassen und Überschreiten der letzten Vorstellungsbeschränkung, 513,26–515,8)

VIII. DAS ABSOLUTE WISSEN.

(Die notwendige Aufhebung und Rückgewinnung der Bewußtseinsform und ihrer konstitutiven Momente angesichts des absoluten Inhaltes der offenbaren Religion, 516,2 – 517,27)

(Das erneute Begreifen bedeutsamer Gestalten vom Beginn über die Vernunft bis zum Ende der Geistphilosophie aus der Entäußerungs- und Aneignungsbewegung des unendlichen Selbstbezuges, 517,28–519,34)

(Die Letztversöhnungen in „Geist“ und „Religion“ und ihre innere Einheit, 519,35–522,28)

(Wissen und Wissenschaft als Frucht der gewonnenen Versöhnungs- und Einheitsgewißheit, 522,28–524,7)

(Der Einheitsvollzug als Kreis des Begreifens, in Substanz und Subjekt, Anschauung und Begriff, Erfahrung und Wissen, 524,8 – 526,3)

(Die bereits aus dem „unglücklichen Bewußtsein“, dann aus der „Vernunft“ und dem „Geist“ sich ergebende Forderung nach der endgültigen Einheit des Ich mit der raumzeitlichen Anschauung des Absoluten, 526,4 – 528,17)

(Das auf dem Einheitsvollzug des absoluten Wissens zu errichtende System der philosophischen Wissenschaft, 528,18–531,12.)

(a. Die spekulative Logik, 528,18 – 529,20)

(b. Die „Phänomenologie des Geistes“ als Teil der Wissenschaft und als Entäußerungsbewegung des Geistes, 529,21–30)

(c. Natur- und Geschichtsphilosophie als Begreifen des zu sich kommenden absoluten Geistes und als dessen Manifestation in diesem Begreifen, 529,31 – 531,12)

ALLGEMEINER RÜCKBLICK.

Literaturverzeichnis

Personenverzeichnis

Sachverzeichnis

Vorwort

Trotz zahlreicher Arbeiten zur „Phänomenologie des Geistes“ (PG) steht der Leser dieses Werkes weitgehend immer noch vor folgenden Problemen: 1.) schlicht den Text sprachlich zu verstehen, und zwar den ganzen Text und nicht nur einige mehr oder weniger willkürlich herausgegriffene Sätze, 2.) diesem Text nachvollziehbare (also nicht einfach abstruse) Gedanken und Argumentationen zu entnehmen, 3.) auf dieser Verständnisbasis zu leitenden Hauptgedanken der einzelnen Kapitel und möglichst des Werkes selbst durchzustoßen, und schließlich 4.) an den Ergebnissen der Interpretation die eigentlich philosophische Relevanz zu entdecken, die ja doch allein die ungeheure Mühe rechtfertigt, welche dieses Werk jedem Leser abverlangt.1 Wer mit Studenten Lektüreseminare über die PG veranstaltet, kann gewöhnlich ein Lied von diesem ganzen Problemkreis singen.

Von dem bekannten französischen Kommentar von J. Hyppolite (1946) und dem englischen von Q. Lauer (1982) ist von vorherein nicht zu erwarten, daß sie auf sprachliche Schwierigkeiten des Textes genauer einzugehen vermögen. Ihr Verdienst liegt woanders, etwa bei Hyppolite in den zahlreichen geistesgeschichtlichen Bezugnahmen oder bei Lauer in einer ersten globalen Erschließung Hegelscher Grundgedanken. Der im einzelnen höchst gedankenreiche und anregende Kommentar von B. Liebrucks (1970) folgt leider zuwenig dem Text. Er geht immer wieder selektiv und assoziativ vor und läßt aus diesem Grund den sich wieder der PG selbst zuwendenden Leser ratlos. Ähnliches gilt von dem auf deutsch verfaßten Kommentar des Iren O’Donohue (1990). Der Kommentar von C.-A. Scheier (1980) hat sein eindeutiges Verdienst in der Heraushebung der im Hintergrund der PG wirksamen logischen Strukturen (im Sinne der Hegelschen Logik). Er ist aber in seiner vollkommenen Abstraktheit kaum eine Hilfe zum konkreten Textverständnis und schon gar nicht zur Erschließung des inhaltlichen Reichtums des Werkes. Der „einführende Kommentar“ zur PG von F.-P. Hansen (1994) ist äußerst knapp gehalten (für die letzten drei Kapitel der PG bleiben nur 50 Seiten), ebenso der von M. Negele (1991), und der ansonsten sehr hilfreiche und gut lesbare Kommentar von E. Fink (1977) geht nur bis zum Ende des Vernunft-Kapitels.2

Das Ziel der Arbeit ist von dieser Ausgangslage her ein sehr schlichtes hermeneutisches (immer auch am Studenten orientiertes): Der Text soll verständlich werden, und zwar so, daß er sprachlich und inhaltlich zugänglich gemacht und in seinem Vermögen, das eigenständige Philosophieren auch heute zu fördern und zu bereichern, deutlich herausgestellt wird. Dies wird allerdings nur möglich sein, wenn der Interpret strikte Treue zum Text wahrt und sich an ihm „nichts schenkt“, also auch bei zunächst dunklen Stellen geduldig verweilt und sich z.B. keineswegs zu gut dazu ist, zu erklären (oder dies zumindest zu versuchen), wo in einem Satz das Subjekt zu finden ist und worauf sich die Pronomina beziehen (Daß dazu in den Kommentaren kaum Hilfe gegeben wird, ist fast schon ein Ärgernis). Der Lohn dieser Geduld besteht freilich in einer erstaunlichen Erfahrung. Es tut sich nämlich auf diesem Wege ein ungeahnter inhaltlicher Reichtum auf, da häufig gerade die wichtigsten Gedanken und Einsichten Hegels in Nebensätzen und beiläufigen Bemerkungen vorkommen oder eben oft genug unter einem Panzer sprachlicher Undurchdringlichkeit versteckt sind, den es geduldig aufzubrechen gilt.3 Einem oberflächlichen Leser jedenfalls, dessen Interesse nur auf das Auffinden berühmter „Hauptzitate“ ausgerichtet ist, muß dieser Reichtum verborgen bleiben.

Es geht mir also um eine detaillierte Kommentierung, die zugleich eine gut lesbare, zusammenhängende Interpretation ergeben soll.4 Anfänglich lag eine Gesamtkommentierung in meiner Absicht. Doch das Vorhaben hat sich einfach als zu umfangreich erwiesen. So habe ich mich schließlich dazu entschieden, eine Beschränkung vorzunehmen, und zwar im wesentlichen auf die drei Schlußkapitel, die zusammen (wegen der Größe des Geist-Kapitels) immerhin etwa die Hälfte des Gesamtumfanges der PG ausmachen. Diese Einschränkung erscheint auch deswegen sinnvoll, weil gerade die Anfangskapitel die bei weitem intensivste Behandlung in der Literatur erfahren haben. So sind die Arbeiten zur „Vorrede“ oder zu „Herrschaft und Knechtschaft“ unverhältnismäßig zahlreich. Auch zum „Vernunft“-Kapitel liegt inzwischen ein durchaus zufriedenstellender, guter Kommentar von K.E. Kähler/W. Marx (1992) vor. Letzterer hat auch schon die „Vorrede“, die „Einleitung“ und das „Selbstbewußtseins“-Kapitel gründlich und ansprechend kommentiert.5 Hingegen ist das Geist-Kapitel noch weitgehend unerschlossen sowie (fast wider Erwarten und jedenfalls in der von mir ins Auge gefaßten Interpretationsweise) auch das Religions- und das Schlußkapitel über das „absolute Wissen“.

Die Arbeit ist so aufgebaut, daß ich zunächst eine zusammenfassende Hinführung zum Geist-Kapitel geben werde, und zwar von der „Einleitung“ an6, und anschließend mit der detaillierten kommentierenden Darstellung beginne. Diese relativ ausführliche Vorschaltung erscheint mir notwendig, da dem Leser der Gesamtduktus des Werkes sowie die Vorbereitung des Geist-Begriffes vor Augen stehen müssen. Zudem kann diese Hinführung als ein Kurzkommentar der Anfangskapitel der PG genommen werden.7 Worauf großer Wert gelegt wird, ist die ständige Bezugnahme auf andere Schriften Hegels, da sich auf diese Weise manche dunkle Stelle der PG gut erhellen läßt. Denn gerade die späteren Vorlesungen bringen oft die gleichen oder ähnliche Gedanken in einer einfacheren und zum Teil anschaulicheren Sprache. Hegel erweist sich dadurch als sein eigener hilfreicher Kommentator, und es ist sinnvoll, dies zu nutzen. Als PG-Text lege ich zugrunde die nach der Vorlage der kritischen Ausgabe, dem Band 9 der „Gesammelten Werke“, von H.-F. Wessels und H. Clairmont (1988) angefertigte und herausgegebene Studienausgabe in der Philosphischen Bibliothek (Nr. 414).8

Vorauszuschicken ist auch dies, daß es mir in der Erschließung der PG durchaus um die philosophische Pointe geht und um die Systematik dieses Werkes. Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß es zahlreiche Unausgewogenheiten, ja Brüche in diesem Werk gibt (schon deswegen nicht, weil Hegel selbst dazu Hinweise gibt9). Aber ich meine, daß die herausfordernde Kraft und damit auch die Aktualität der PG nur der erfährt, der mit ihrer gedanklichen Kohärenz und argumentativen Treffsicherheit in vielen Einzelbereichen und auch im Gesamtentwurf rechnet. Allerdings können sich diese ihre (wie es mir selbst erging) oft überraschend zu entdeckenden „Wahrheiten“ nur aus einer geduldigen, sich nichts ersparenden, zum Teil einfach „buchstabierenden“ Interpretation ergeben. Eine solche vorzulegen, glaube ich (nach jahrelanger Arbeit) hiermit in der Lage zu sein.

Erster Teil: Kurzkommentar zur „Einleitung“ und den Kapiteln I–V.

Einleitung

Am Anfang steht eine „natürliche Vorstellung“ (57,2). Sie ist nicht deswegen „natürlich“, weil sie aus einer unverbildeten Spontaneität käme. Vielmehr ist sie durchaus eine Bildungsüberzeugung, und zwar eine solche, die unbefragt hingenommen wird und insofern als „natürlich“ gilt. Sie besteht in der Auffassung, daß es naiv wäre, sich im Erkennen sogleich dem Gegenstand selbst zuzuwenden, bevor man sich über die Leistungsfähigkeit des Erkenntnisvermögens klar geworden ist. Doch damit wird eine Trennbarkeit von Erkenntnis und Gegenstand unterstellt, die besonders dann zu Widersprüchen führen muß, wenn „die Sache selbst“ (57,3), um die es geht, oder das, „was in Wahrheit ist“ (57,4) und „was An-sich ist“ (57,17), keinen partikulären Gegenstand oder Gegenstandsbereich ausmacht, sondern von vornherein im Sinne des Ganzen schlechthin, des „Absoluten“ (57,6) konzipiert ist.10 In bezug auf diesen schlechthin umfassenden Gegenstand läßt sich kein Außerhalb denken, von dem her das Erkenntnisbemühen seinen Ausgang nehmen könnte, und so muß in diesem Zusammenhang allen kritischen Überlegungen das Wissen um die prinzipielle Einbezogenheit in den Gegenstand und um seine immer schon vorhandene Offenbarkeit vorangehen.11 Wird jedoch das Erkennen etwa als ein formierendes Gestalten aufgefaßt, dann müßte die kritische Reflexion die so hinzugebrachte Form schließlich wieder vom Gegenstand abziehen, um ihn letztlich selbst vor sich zu haben, und man stünde am Ende dort, wo man am Anfang war. Nicht anders wäre es, wollte man das Erkenntnisvermögen als ein „passives Medium“ (57,26) denken, das den Strahl der Wahrheit bricht. Doch diese Raffinesse der Habhaftwerdung ginge ebenfalls ins Leere, denn das Absolute würde, „wenn es nicht an und für sich schon bei uns wäre und sein wollte, dieser List spotten“ (58,10ff).12 Wenn der beschriebene kritische Standpunkt aus einem Mißtrauen dem Erkenntnisvermögen gegenüber erwächst, so wäre nach dem bisher Gesagten eher ein „Mißtrauen in dies Mißtrauen“ (58,26f) angebracht. Der Hauptfehler ist die zum Gebot erhobene strikte Trennung zwischen den Erkenntnismitteln und der zu erkennenden Sache, „vorzüglich aber dies, daß das Absolute auf einer Seite stehe und das Erkennen auf der andern Seite“ (58, 34ff), ein nur vermeintlich kritisches Verfahren, „wodurch das, was sich Furcht vor dem Irrtume nennt, sich eher als Furcht vor der Wahrheit zu erkennen gibt“ (58,40ff).

Warum soll man sich mit Auffassungen wie der hier kritisierten überhaupt abgeben? Warum sie nicht einfach als „leere Erscheinung des Wissens“ (59,39f) verwerfen und an ihre Stelle die Wahrheit setzen? Doch die wahre Theorie ist neben einer beliebigen falschen zunächst auch nur eine „Erscheinung“. Daß sie mehr ist, muß sich erst erweisen. Würde man auf den Erweis verzichten, bliebe ihre Wahrheit eine reine Versicherung mit dem gleichen Recht, das jede andere Theorie auch hätte. Von daher ist eine kritische „Darstellung des erscheinenden Wissens“ (60,25f) unumgänglich, wobei auch die unwahren Theorie-Erscheinungen, in die das sich entwickelnde Wissen wohl nicht zufällig gerät, als Stufen und Ausformungen des Bewußtseins gewürdigt werden dürfen und müssen. Diese Darstellung kann freilich noch nicht identisch sein mit einer Systematik, die sich schon ganz auf dem Boden des wahren Wissens bewegt, sondern muß als „Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt, genommen werden, oder als der Weg der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als durch die Natur ihr vorgesteckter Stationen, durchwandert, daß sie sich zum Geiste läutere, indem sie durch die vollständige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntnis desjenigen gelangt, was sie an sich selbst ist“ (60,31ff).13

Das (jeweilige) „natürliche Bewußtsein“ (60,38) ist ein Wissen nur dem „Begriff“ (60,38) nach, also nur dem Anspruch oder Vorgriff nach. D.h., es ist noch nicht ausgeführt und in der Realität bewahrheitet. In seinem (jeweiligen) Selbstverständnis faßt es sich aber durchaus als real bewährt auf und muß deshalb im Prozeß seiner „Realisierung“ (61,2) die eigene Falsifikation und somit den „Verlust seiner selbst“ (61,2) erleiden. Dieser Selbstverlust ist mehr als nur der Zweifel an der ein oder anderen partikulären Gewißheit. Vielmehr gerät die durch den umfassenden Gegenstand bestimmte Gesamtorientierung ins Wanken. Das Bewußtsein muß den „Weg der Verzweiflung“ (61,5), der Skepsis, ohne Rückhalt gehen. Gefordert ist der „sich vollbringende Skeptizismus“ (61,13f). Er ist mit einer kritischen Attitüde allein nicht abgetan, etwa mit dem „Vorsatze“ (61,17), sich von jeder fremden Autorität zu lösen und nur das eigene Urteil gelten zu lassen. Mit solcher Art von Emanzipation würde nur die subjektive Unfehlbarkeit etabliert und dem im Grunde fruchtbaren Zweifel ein besonders hartnäckiger Feind entgegengestellt. Erst der „sich auf den ganzen Umfang des erscheinenden Bewußtseins richtende Skeptizismus“ (61,36f) und seine „Verzweiflung“ (61,39) können die „Geschichte der Bildung des Bewußtseins“ (61,23f) ans Ziel bringen.

Für das Bewußtsein, das zur Höhe seiner Wahrheit kommen will, ist es unmöglich, auf untergeordneten Stufen stehenzubleiben. Diese alle müssen überschritten werden, und d.h: ihre Gesamtheit muß zugänglich werden. „Die Vollständigkeit der Formen des nicht realen Bewußtseins wird sich durch die Notwendigkeit des Fortganges und Zusammenhanges selbst ergeben“ (62,5ff). Freilich sind die verlassenen Stufen dabei nicht einfach verschwunden. Sie bestimmen vielmehr die höheren und sind in ihnen verwandelt gegenwärtig. Ihre stets radikale Kritik führt keineswegs in die konturlose Auflösung, sondern ist als „bestimmte Negation“ (62,27) auch positive Anknüpfung, d.h. als eine Negation, in der das Verlassen der jeweils letzten Stufe eine durch diese bedingte Perspektive vorzeichnet und so eine neue Gestalt des Bewußtseins begründet.

„Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig, als die Reihe des Fortganges, gesteckt; es ist da, wo es nicht mehr über sich hinaus zu gehen nötig hat, wo es sich selbst findet und der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe entspricht“ (62,31ff), der Wissensanspruch also eingelöst ist. Fortgang und Ziel sind dem Bewußtsein innerlich: „Das Bewußtsein aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte, und, da ihm dies Beschränkte angehört, über sich selbst“ (63,1ff). Zwar hat das Bewußtsein „Angst“ (63,8), ja sogar Todesangst, sich aus der Beschränkung zu lösen, die ihm bisher Sicherheit und Orientierung gewährte. Denn es steht mit seinem totalen Gegenstand immer auch selbst als Ganzes auf dem Spiel. Aber das Aufbrechen der Beschränkung kommt aus der eigenen Mitte, aus der eigenen Dynamik und prinzipiellen Offenheit. „Das Bewußtsein leidet also diese Gewalt, sich die beschränkte Befriedigung zu verderben, von ihm selbst“ (63,6ff). Quelle der Angst ist also das eigene Innere, die eigene Weite und Tiefe. Dabei sind die Auswirkungen vielfältig. So kann die Angst sich in der „Trägheit“ (63,11) zeigen, im Widerwillen, die Beschränkung zu verlassen, aber auch in einer unverbindlichen Toleranz, die „alles in seiner Art gut zu finden versichert“ (63,14f), und schließlich ist auch eine Kritik, die jeden Wahrheitsanspruch als haltlos erweisen will, ein „Eifer für die Wahrheit selbst“ (63,19f), der im Grunde „Furcht der Wahrheit“ (63,17f) ist.

Nach der Herausstellung dieser „Notwendigkeit des Fortgangs“ (63,31) ist noch auf die „Methode der Ausführung“ (63,32) einzugehen. Denn die Wissenschaft hat eine Prüfung des Bewußtseins vorzunehmen. Wo aber ist der Maßstab dieser Prüfung? Um ihn zu finden, muß das Wissen nach seinen Bestandteilen analysiert werden. „Dieses unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht“ (64,11f). Dieses etwas ist das „an sich Sein“ (64,16f) oder die „Wahrheit“ (64,19). Ihr räumt das Wissen sowohl Selbständigkeit ihm selbst gegenüber ein als auch die Funktion, „Maßstab“ für es zu sein. Dieser Maßstab geht somit aus dem Bewußtseinsverhältnis selbst hervor und wird von der wissenschaftlichen Metareflexion lediglich herausgehoben. „Das Bewußtsein gibt seinen Maßstab an ihm selbst, und die Untersuchung wird dadurch eine Vergleichung seiner mit sich selbst sein“ (64,37ff). Weder der Maßstab noch die Prüfung an ihm ist also eine „Zutat von uns“ (65,27), den philosophischen Beobachtern. Jene „Vergleichung“ stellt das Bewußtsein selbst an. Eine Konsequenz dieser Binnenperspektive ist allerdings, daß der Maßstab keine fixe Größe ist, die nur von einem Dritten festzustellen wäre, sondern jeweils neu im Bewußtsein hervorgeht. Denn „in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm in der Tat auch der Gegenstand selbst“ (66,9f). Die Prüfung ist also ein eigentümliches Wechselgeschehen zwischen Wissen und Gegenstand. Was in ihr geschieht, ist noch nicht voll zu begreifen, kann aber etwa so beschrieben werden: Das Wissen muß sich dem Ansich des Gegenstandes gemäß machen, um wahres Wissen zu werden. Aber mit der Angleichung und Veränderung des Wissens verändert sich auch der Gegenstand. Er präsentiert sich am Ende der Erschließung als anderer. Das erste Ansich war dann ein bloß vermeintes, und das bisherige Wissen von ihm muß dementsprechend auf ein neues Wissen hin relativiert werden. „Es wird hiemit dem Bewußtsein, daß dasjenige, was ihm vorher das an sich war, nicht an sich ist, oder daß es nur FÜR ES an sich war“ (66,13ff). Das Ansich als Maßstab des Wissens unterliegt eben deswegen, weil es nur ein Ansich für das Bewußtsein ist, selbst der Prüfung, und diese „ist nicht nur eine Prüfung des Wissens, sondern auch ihres Maßstabes“ (66,20f).

Diese „dialektische Bewegung“ (66,22) des Wissens und seines Gegenstandes „ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird“ (66,25f). Doch muß auf einen wichtigen Unterschied aufmerksam gemacht werden. Denn gewöhnlich versteht man unter Erfahrung die Begegnung mit einem neuen äußeren Gegenstand. Dies kann hier aber nicht gemeint sein. Schließlich ist hier das Ganze oder Absolute der Gegenstand, und überprüft wird dementsprechend das Wissen in seiner jeweiligen Gesamtorientierung. Die Kritik des Wissens nach der Maßgabe seines Gegenstandes ist also eigentlich eine interne Kritik des Wissens dieses Gegenstandes, durch die dann der neue Gegenstand, nämlich der ins Wissen aufgehobene frühere, hervorgeht. Das schon immer in Verbindung mit dem absoluten Gegenstand stehende Wissen ist sich selbst gleichsam längst voraus und muß durch die Kritik nur eingeholt werden. Doch dieser wissenschaftliche Blick folgt nicht mehr der direkten Intention des Wissens auf dem Erfahrungswege, sondern ist eine „Umkehrung des Bewußtseins“ (67,19) und entstammt der Überblicksperspektive, die das Ende antizipiert. Er ist somit „unsere Zutat“ (67,20).

Der letzte Maßstab ist das absolute Ansich- und Beisichsein, das Innerste und Tragende des Bewußtseins selbst, seine Tiefe, die sich gegen seine Oberflächengestalten erst noch durchsetzen muß. Ihr Transparentwerden freilich ist die Erfüllung des Bewußtseins, und zwar als Gegenstandsbezug und Selbstreflexion: „Das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein“ (19,22). Es ist hier die Einheit im Unterschied erreicht, die nur durch die Präsenz des Absoluten selbst möglich ist. Diese letzte Offenheit des Wissens „ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im Allgemeinen“ (19,23f). Die Einsicht in diesen (hier mit den Worten der „Vorrede“ erläuterten) Maßstab und in die Notwendigkeit seines Wirksamwerdens auf jeder Bewußtseinsstufe, macht den wissenschaftlichen Standpunkt und seine Perspektive aus. „Durch diese Notwendigkeit ist der Weg zur Wissenschaft selbst schon Wissenschaft, und nach ihrem Inhalte hiemit Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins“ (68,10ff).

I. Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meinen.

„Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein, als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist“ (69,3ff). Mit diesem Satz beginnt der eigentliche Argumentationsgang. Das Wissen wird, gemäß der „Einleitung“ (64ff), zum Gegenstand für „uns“, d.h. für die wissenschaftliche Metareflexion. Es ist sich dabei selbst der Maßstab und muß sich am eigenen Anspruch, wahres Wissen zu sein, prüfen lassen. „Wir“ haben zwar nicht einzugreifen, dürfen aber auf dem Selbstprüfungsprozeß bestehen.14

Der unvermittelte und durch das Begreifen noch nicht gestaltete Inhalt der ersten gegenständlichen Gewißheit kann nur die bewußt vollzogene raumzeitliche Anschauung sein, und weil er nicht durch irgendwelche Vergleiche zustande gekommen sein darf, muß er das Bewußtsein jeweils ganz ausfüllen, muß also absolut sein, bzw. das Absolute repräsentieren. In diesem ungeschmälerten einzelnen Ganzen des jeweiligen Bewußtseinsaktes scheint der unhintergehbare Anfang, das wahre inhaltliche Fundament oder die nicht mehr weiter reduzierbare Anfangsgegebenheit des Erkennens zu liegen. Freilich, bei näherer Betrachtung erweisen sich die aufgefundenen Elemente dieser ersten Gewißheit als eigentümlich konturlos. Mehr als das bloße „ist“ läßt sich von ihnen gar nicht sagen. Denn alles Weitere wäre bereits Vermittlung, gegen anderes gesetzte Bestimmtheit, und damit nicht mehr die reine in sich stehende Positivität, sondern beziehende Negation. Der Preis für den Reichtum ohne jeden Abzug und die umfassende Totalität der Anfangsgewißheit ist somit ihre völlige Leere. Nun muß zwar keineswegs die so konzipierte „sinnliche Gewißheit“ eine normale, landläufige Erfahrung sein. Sie hat vielmehr ihren Sinn als Ergebnis einer Rekonstruktion, nämlich als Antwort auf die Frage nach der das Erkennen ermöglichenden und fundierenden atomaren Struktur.15 Doch kann die reine Leere des „Ist“ diese Funktion erfüllen? Und wie steht es mit seiner Unmittelbarkeit?

In der Tat scheint die Anfangsgewißheit nicht gänzlich vermittlungslos zu sein. Denn mit der Bezugnahme auf den Gegenstand muß, wenn auch nur beiläufig, ein Wissen um die Differenz zwischen Subjekt und Objekt und damit auch um deren gegenseitige Vermittlung vorhanden sein. Das Bewußtsein stößt hier also in sich selbst auf einen Einwand gegen die eigene Behauptung absoluter Unmittelbarkeit. Zwar wehrt es diesen inneren und deshalb auch äußeren Einspruch sofort ab, indem es die Unmittelbarkeit einfach zum Wesentlichen erklärt und die auftauchende Vermittlung zu einer marginalen Größe herabsetzt. Aber es ist zu einem dreifachen Anlauf gezwungen, diese Wesentlichkeit rein für sich festzuhalten.

1. Versuch: Die Vermittlung scheint nur aus dem Wissen zu stammen. Dieses aber ist doch wohl eine Beiläufigkeit. Schließlich kommt es allein auf die zu wissende Sache an. Sie ist der Maßstab, und mit ihrer Unmittelbarkeit ist das Entscheidende bereits gegeben. Wie aber stellt sich dem Bewußtsein dieser allein gültige Gegenstand dar? Als Anschauungsunmittelbarkeit hat er notwendig raumzeitlichen Charakter. Er soll deshalb zunächst (a) nach seinem Zeitaspekt untersucht werden. Die gegenständliche Unmittelbarkeit ist reine Direktheit, einfache Gegenwart, der Inhalt ist also das „Itzt“ (71,4). Doch es zeigt sich, daß dieses „Jetzt“ nur zusammen mit seinem Verschwinden Gegenwartsbestand hat. Denn das Jetzt ist einmal Nacht und dann wieder Tag (71,15ff). Es bleibt zwar, aber es wandelt sich, und nur in diesem Wandel ist es als bleibend, bestehend und seiend festzuhalten. Das Bewußtsein kann also seinen Gegenstand nicht isoliert als jeweiligen und einzelnen fixieren, da er sich nur im Übergang in anderes als dasjenige Einfache und Unmittelbare zeigt, als welches er ursprünglich intendiert ist. „Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder dieses noch jenes, ein nicht dieses, und ebenso gleichgültig, auch dieses wie jenes zu sein, nennen wir ein Allgemeines; das Allgemeine ist also in der Tat die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit“ (71,29ff), und diese gegenständliche Wahrheit setzt die Intention auf das unvermittelt Einzelne zur subjektiven „Meinung“ (72,2) herab.16 Entsprechendes zeigt sich dann (b) in der Raumerfahrung. Die Erfahrung des „Hier“ (72,7) erweist sich als bleibend nicht in der fixierenden Isolierung, sondern gerade im Wandel der verschiedenen Bezüge und Perspektiven.

2. Versuch: Aus dem Fehlschlag, die Unmittelbarkeit in der Erfahrungsgegebenheit, also auf der Seite des Gegenstandes zu fundieren, wird nun versucht, sie im Wissen zu verankern. Denn wenn die gegenständliche Seite sich wandelt, so kann immer noch das Bewußtsein sagen, daß zumindest in seinem Wissen die Unmittelbarkeit aufbewahrt ist. „Das Itzt ist Tag, weil ich ihn sehe; das Hier ein Baum, ebendarum“ (73,3f). Doch gerade die bewußte Einschränkung auf das eigene Ich zeigt, daß es noch andere Ichpositionen gibt mit gleichem Berufungsrecht. Die Einheit des jeweiligen Ich ist per se eine solche im Unterschied zu anderen gleichrangigen Ich-Einheiten, und nur in der Anerkennung dieser in sich differenten Gemeinsamkeit aufgrund prinzipieller Gleichberechtigung in der Berufungsmöglichkeit auf die eigene Letztinstanz kann das jeweilige Ich seine persönliche Selbständigkeit und deren Unmittelbarkeit wahren.17

3. Versuch: Die beiden vorangehenden Versuche basieren auf einer Subjekt-Objekt-Differenz, deren Vermittlungszusammenhang offenbar doch nicht ganz in die Beiläufigkeit abzuschieben ist, da er die behauptete Unmittelbarkeit der Gewißheit stets wieder aufsprengt, ganz gleich ob sie im Gegenstand oder im Ich verankert wurde. In beiden Fällen destruiert die objektive Wahrheit – des Gegenstandes oder des zum Reflexionsgegenstand gemachten Ich – die subjektive „Meinung“. Als letzte Möglichkeit scheint deshalb nur die Überwindung der bisher vorausgesetzten Subjekt-Objekt-Differenz in Betracht zu kommen. „Wir kommen hiedurch dahin, das Ganze der sinnlichen Gewißheit selbst als ihr Wesen zu setzen, nicht mehr nur ein Moment derselben, wie in den beiden Fällen geschehen ist, worin zuerst der dem Ich entgegengesetzte Gegenstand, dann Ich ihre Realität sein sollte“ (73, 40ff). Auf ein eventuelles Anderswerden der Sache gegenüber der Meinung von ihr, sei es nun des Gegenstandes oder des Ich, muß nun nicht mehr geachtet werden. Vielmehr hat sich die Gewißheit ganz in die momentane Unmittelbarkeit, in die „sich selbst gleichbleibende Beziehung“ (74,13f) zurückgezogen und eingeschlossen: „Ich dieses behaupte also, das Hier als Baum, und wende mich nicht um, so daß mir das Hier zu einem Nichtbaume würde; ich nehme auch keine Notiz davon, daß ein anderer Ich das Hier als Nichtbaum sieht“ (74,17ff). Ebenso gilt bezogen auf die Zeit: ich „halte an Einer unmittelbaren Beziehung fest: das Itzt ist Tag“ (74,25f).

Eines muß allerdings von dieser Gewißheit verlangt werden. Sie muß sich aussprechen und ihre Unmittelbarkeit aufzeigen können. Andernfalls wäre sie von einer willkürlichen Behauptung nicht zu unterscheiden. Das (a) Jetzt soll also gezeigt werden. Aber indem es gezeigt wird, ist es schon ein vergangenes. Denn anders als in zeitlicher Distanz kann es gar nicht bewußt und auch nicht gezeigt werden: „das Itzt, das ist, ist ein anderes, als das gezeigte, und wir sehen, daß das Itzt eben dieses ist: indem es ist, schon nicht mehr zu sein“ (75,2ff). Das gezeigte Jetzt ist also ein bereits gewesenes. Aber das Bewußtsein dieser Gewesenheit impliziert auch ein Wissen um die Gegenwart. Wie sollte sonst die Vergangenheit als solche bewußt sein können? Das Bewußtsein des nicht gewesenen Jetzt geht also neu hervor, allerdings vermittelt durch das Bewußtsein des Gewesenseins. Das Jetzt ist demnach ein Vermitteltes, oder genauer: seine Unmittelbarkeit ist eine vermittelte. Das Jetzt ist „ein in sich Reflektiertes, oder Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist“ (75,28f).18 Dasselbe zeigt sich am (b) Hier. Seine Punktualität ist nur aufzuzeigen im Außersichsein, d.h. in einer räumlichen Vermittlung durch Linien, Flächen usw. Er ist insofern „eine einfache Komplexion vieler Hier“ (76,7f).19

„Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anderes, als die einfache Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung, und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anderes als nur diese Geschichte ist“ (76,14ff). Das „natürliche Bewußtsein“ (76,17f) kommt nicht ohne weiteres zu dieser Klarheit, denn es „vergißt“ (76,20) sein Resultat wieder und „fängt die Bewegung von vorne an“ (76,20f). Die wissenschaftliche Betrachtung hat also die Aufgabe, dem Bewußtsein den zurückgelegten Weg ins Gedächtnis zu rufen und es zu nötigen, aus dieser Erinnerung die Konsequenzen zu ziehen. So mit sich konfrontiert ist die sinnliche Gewißheit außerstande, sich als vermittlungslose Unmittelbarkeit auszugeben und zum fraglosen Fundament des Wissens zu erklären. Für die Wir-Perspektive folgt daraus: Eine wissenschaftliche Theorie, die das Wissen in einem sinnlichen Atomismus fundiert, ist unhaltbar. Denn die gegebene Einzelheit ist stets eine „Komplexion“, ein Gewordenes und Vermitteltes und von daher ein in sich Allgemeines. Erst so kann deutlich werden, was überhaupt ein Einzelnes ist. Wenn es nicht als in sich Vermitteltes, d.h. als in sich stehendes Gefüge aufgefaßt wird, ist es opak und unintelligibel. Das Einzelne ist aber bis hinein in die Punktualität des Hier und Jetzt Reflexion in sich, und es hat erst als dieser komplexe Selbstbezug seine Eigenständigkeit.20

In diesem Sinne muß auch (wenngleich etwas gegen den Strich der wörtlichen Formulierung) das Schlußbeispiel verstanden werden. Das individuelle Stück Papier ist nicht deswegen ein Allgemeines, weil es nur in Allgemeinbegriffen zu beschreiben wäre. Denn mit diesem Bemühen ist seine Individualität gerade nicht zu fassen (individuum est ineffabile). Vielmehr ist es gerade in seiner Einzelheit, die freilich nicht allein deskriptiv, sondern primär deiktisch oder demonstrativ zur Erscheinung gebracht werden kann, ein Allgemeines. Denn sein punktuellstes Insichsein ist Bezug und Vermittlung und insofern zugleich allgemein, da es ein „Hier anderer Hier, oder an ihm selbst ein einfaches Zusammen vieler Hier, das heißt, ein Allgemeines ist; ich nehme es so auf, wie es in Wahrheit ist, und statt ein Unmittelbares zu wissen, nehme ich wahr“ (78,23ff).

II. Die Wahrnehmung; oder das Ding und die Täuschung.

Die sinnliche Gewißheit wollte ihren Gegenstand unvermittelt und als einzelnen auffassen. Doch er bot sich dem Bewußtsein in einer Vermittlungsbewegung dar, die ihn zwar überschreitet, aber auch in seiner Eigenbedeutung erst erstehen läßt. Diese Vermittlungsbewegung, die naturgemäß selbst allgemein ist, zeigt den Gegenstand als einen allgemeinen auf und vollzieht sich damit als Verhältnis zwischen Aufzeigen und Aufzuzeigendem, zwischen Präsentmachen und zu präsentierendem Gegenstand. Sie konstituiert so durch ihren Vollzug die kognitive Beziehungsdifferenz und läßt Subjekt und Objekt logisch hervorgehen, und zwar als „Momente“ (79,8), die in der sinnlichen Gewißheit mehr beiläufig aufzufinden sind, d.h. aus deren Distanzlosigkeit nur „herausfallen“ (79,14; 70,15). Erst die Vermittlungsbewegung des Aufzeigens erhebt also den Gegenstand zu seiner dem Bewußtsein gegenüber maßstabsetzenden, eigenen Bedeutung, so daß er erst jetzt als ein wahrer genommen, d.h. wahr-genommen werden kann. Freilich ist von jetzt an auch die Täuschung möglich.

Wie präsentiert sich nun der Wahrnehmungsgegenstand? Er ist jedenfalls eine Vermittlungseinheit, also eine Einheit in Vielfalt: „er zeigt sich dadurch als das Ding von vielen Eigenschaften“ (80,2f).21 Mit ihm tritt erst jetzt der sinnliche Reichtum ins Bewußtsein, der in der zerstreuten Fixierung der Anfangsgewißheit noch gar nicht als solcher, weil nie im Zusammenhang, aufgenommen werden konnte. Die Unmittelbarkeiten, in denen sich das Vermittlungsganze nun dem Bewußtsein darstellt, sind zunächst verschiedene „Bestimmtheiten“ (80,26), die konkurrenzlos in einer Einheit zusammenbestehen. Z.B: „Dies Salz ist einfaches Hier, und zugleich vielfach; es ist weiß, und auch scharf, auch kubisch gestaltet, auch von bestimmter Schwere, und so weiter“ (81,1ff). Das gemeinsame „Medium“ (81,14) dieser verschiedenen Bestimmungen ist das „Allgemeine“ der „Dingheit“ (81,14f). Freilich haben die Bestimmungen auch ihre ausgeschlossenen Konkurrenzgehalte. Denn weiß ist nicht schwarz, kubisch nicht rund usw. Das Ensemble der im Medium enthaltenen Bestimmungen konstituiert also eine ausschließende Einheit, z.B. das Salz, welches gewiße Eigenschaften hat, andere nicht. Das die Verschiedenheit tolerierende „Medium“ ist so zu einem nur auf sich bezogenen, ausschließenden „Eins“ (81,30) geworden: „der Punkt der Einzelnheit in dem Medium des Bestehens in die Vielheit ausstrahlend“ (82,10f). Erst so ist das „Ding“ (82,23) konstituiert.

Wie aber soll das wahrnehmende Bewußtsein mit diesem ständigen Wechsel von Einheit und Vielheit zurechtkommen? Wenn der Gegenstand die maßstabsetzende Größe ist, dann muß er auch in sich eindeutig bestimmt sein. Dann aber kann jene wechselhafte Unbestimmtheit nur durch den Wahrnehmungsvollzug zustande kommen. In der Tat scheinen die Eigenschaften des Dinges unter der Hand wieder zu sinnlichen Einzelheiten zu werden, da von der einen Bestimmung des Dinges zur jeweils anderen zwar überzugehen ist, aber ohne Aussicht, den eigentlichen Bestimmungszusammenhang als die wahre, maßstabsetzende Einheit zu begreifen. Das Bewußtsein ist vielmehr zu einem „Kreislauf“ (84,7) gezwungen, nämlich von der sinnlichen Unmittelbarkeit zur Eigenschaft des Dinges zu gelangen, um von dieser nur wieder auf jene zurückgeworfen zu werden.

Doch das Bewußtsein erfaßt diesen Kreislauf und erkennt in ihm die eigene Reflexionsbewegung wieder. Von dieser Bewegung scheint die alles auflösende Unruhe ihren Ausgang zu nehmen. Die Konsequenz ist völlig klar. Will die Wahrnehmung den Schleier der Täuschungen durchdringen, muß sie die störende Reflexionsbewegung vom Erkenntnisgegenstand entfernt halten. Denn die schillernde Vielfalt am Gegenstand kommt offenbar aus dem Bewußtsein. Er selbst aber ist die maßgebende, sich gleich bleibende Einheit. „Dies Ding ist also in der Tat nur weiß, an unser Auge gebracht, scharf auch, an unsere Zunge, auch kubisch, an unser Gefühl, und so fort“ (85,7ff). Doch gleich darauf setzt die eigentümliche Umkehrung dieser Konsequenz ein. Denn die Eigenschaften sollen das Ding selbst charakterisieren. Sie dürfen von ihm also nicht getrennt werden, sondern gehören zu ihm. Sie bilden seine Mitte, sein individuelles Fürsichsein. Damit löst sich aber die punktuelle Einheit des Dinges wiederum in die vielen Bestimmungen auf, und das Bewußtsein steht erneut vor einer gegenständlichen Vielheit, deren Einheit nur als gedankliche Reflexion des Dinges in sich selbst zu existieren scheint.

Mit dieser Einsicht kommt die geschmähte Reflexionsbewegung zu neuen Ehren. Sie ist nämlich jetzt der einzige Garant für die Einheit des Gegenstandes. Dies bedeutet im Blick auf das Bewußtsein, daß es, um der Wahrheit des Gegenstandes willen und um die Täuschung von ihm abzuhalten, „abwechslungsweise, ebensowohl sich selbst als auch das Ding zu beidem macht, zum reinen vielheitslosen Eins, wie zu einem in selbstständige Materien aufgelösten Auch“ (86,30ff). Wenn freilich der Gegenstand nur in diesem Wechsel als ein wahrer zu nehmen, also wahrzunehmen ist, dann muß dies etwas über ihn selbst aussagen. Er kann dann wohl nur so gedacht werden, daß er sich selbst auf zweifache Weise verhält und dementsprechend nach außen zeigt. „Es ist hiemit die Erfahrung vorhanden, daß das Ding sich für das auffassende Bewußtsein auf eine bestimmte Weise darstellt, aber zugleich aus der Weise, in der es sich darbietet, heraus und in sich reflektiert ist, oder an ihm selbst eine entgegengesetzte Wahrheit hat“ (86,37ff).

Die Entgegensetzung besteht darin, daß das Ding in sich eines ist, aber nach außen eine Vielfalt darstellt. Da diese Außenseite nicht mehr durch das Bewußtsein zustande kommen soll, muß sie im Verhältnis zu anderen Dingen begründet liegen. „Das Ding ist Eins, in sich reflektiert; es ist für sich, aber es ist auch für ein anderes“ (87,9ff). Nun könnte das Bewußtsein diesen Unterschied wiederum auf sein eigenes Konto setzen. „Es müßte also sagen, daß das Ding, insofern es für sich ist, nicht für anderes ist“ (87,16ff). Aber dieses Ausweichen ist dem Bewußtsein durch die vorangehende Erfahrung verwehrt. Der eigenartige Widerspruch der Vielheit und Einheit des Dinges muß also aus seinem Verhältnis zu anderen Dingen resultieren.22

Nun ist zwar dem einzelnen Ding der Bezug zu anderen Dingen nicht völlig äußerlich: „Jedes ist aber hiemit selbst als ein Unterschiedenes bestimmt, und hat den wesentlichen Unterschied von den andern an ihm“ (87,36ff). Doch könnte, um der Widerspruchsfreiheit des Gegenstandes willen, der Versuch unternommen werden, den Außenbezug des Dinges vom Eigenstand seines Wesens entfernt zu halten und als Nebenaspekt abzutun. Doch dies ist keine Lösung, da gerade das Insichsein, die Ab-solutheit des Dinges, den Bezug zu anderen Dingen ausmacht. „Durch den absoluten Charakter gerade und seine Entgegensetzung verhält es sich zu andern, und ist wesentlich nur dies Verhalten“ (88,25ff). Die Unterscheidung einer wesentlichen und unwesentlichen Seite am Gegenstand macht sein verhältnisbestimmtes Insichstehen keineswegs leichter denkbar. Das ändert sich erst mit der spekulativen Möglichkeit, den Unterschied nicht nur als ablösbare Zusatzbestimmung am einzelnen Gegenstand, sondern als dessen eigenes inneres Moment zu denken. Einheit und Unterschied sind dann gerade im Kernbereich des Fürsichseins, allerdings auch nur hier, nicht mehr auf verschiedene Rücksichten zu verteilen. „Der Gegenstand ist vielmehr in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst; für sich, insofern er für anderes, und für anderes, insofern er für sich ist“ (89,10ff).

Hiermit ist eine Sicht der Dinge gewonnen, die sie zur wahren Eigenständigkeit erhebt und in diesem Licht betrachtet. Denn ihre plurale Einheit, ihr nicht mehr von Anfangsunmittelbarkeiten oder sonstigen Voraussetzungen her bedingtes, sondern allein durch sich selbst bestimmtes gegenseitiges Verhältnis, ist die wahre, die „unbedingte absolute Allgemeinheit“ (89,34f). In dieser umfassenden, reflexiven Allgemeinheit hat sich die Philosophie, hat sich der Selbstbezug des Denkens zu bewegen. Die erkenntnisleitenden Grundbegriffe des Denkens, wie Sein, Ding, Andersheit usw, können erst in diesem Zusammenhang ihre Bedeutungsklärung finden.23 Freilich werden sowohl die „Sophisterei“ (90,12) mit ihren abstrakten Trennungen und Rücksichten als auch der „gesunde Menschenverstand“ (90,28f) mit seinen zur Selbstverständlicheit gewordenen Fixierungen diesem spekulativen Unternehmen stets hartnäckigen Widerstand entgegensetzen.

III. Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt.

„Dem Bewußtsein ist in der Dialektik der sinnlichen Gewißheit das Hören und Sehen u.s.w. vergangen, und als Wahrnehmen ist es zu Gedanken gekommen, welche es aber erst im unbedingt Allgemeinen zusammenbringt“ (93,3ff). Dieses Allgemeine ist nicht mehr Faktor eines Bedingungsgefüges, denn es soll alle möglichen Relationen übergreifen. Freilich, noch ist es Bewußtseinsgegenstand und hat insofern mindestens eine unaufgearbeitete Relation nach außen. Es ist also noch nicht ganz unbedingt und auch nicht völlig allgemein. Erst mit dem Verschwinden seiner gegenständlichen Fremdheit wird sich dies ändern, also erst dann, wenn das Bewußtsein im Gegenstand radikal sich selbst erfaßt und damit zum eigenen Selbstbewußtsein kommt. Solange das Allgemeine noch nicht bis auf dieses spiegelbildliche Fürsichsein durchdrungen und damit sein „Begriff als Begriff“ (93,17) noch nicht erfaßt ist, solange wird es auch sonst, und d.h. in allen seinen Dimensionen, ein gegenständlich Sich-Äußerliches bleiben.

Das „unbedingt Allgemeine“ in dieser unaufgelösten Äußerlichkeit kann als eine wahrnehmungsähnliche Vielheit in Einheit beschrieben werden und somit zunächst als „Medium“ verschiedener „Materien“ (95,6f). Doch das Bewußtsein überblickt bereits die hieraus folgende Dialektik und darf sich nicht einfach in ihren Kreislauf zurückfallen lassen. In der Tat eröffnet sich ihm die Chance eines tieferen Begreifens, indem es den Wechsel zwischen Vielheit und Einheit nicht mehr durch getrennte Instanzen, sondern als ein Wirken aus sich selbst, d.h. als Eigendynamik begreift. „Diese Bewegung ist aber dasjenige, was Kraft genannt wird“ (95,22f).

Die Kraft ist wesentlich ein Aufsichbezogensein, das sich äußert. Diese Äußerung stellt die Seite ihrer Ausbreitung und Vielheit dar. Doch wie kommt die Äußerung zustande? Sicher nicht einfach durch anderweitige Einwirkung, sonst würde es sich nicht um echte Eigendynamik handeln. Doch weil es keine Kraft ohne Äußerung gibt, das Äußere ihr also von vornherein zugehörig und wesentlich ist, kann sie auch nicht in absoluter Selbstverfügung bestehen. Ihre Manifestation nach außen ist somit nicht ohne ein schon vorausgesetztes Außen zu denken. Ein äußeres Hinzutreten zu ihr ist denknotwendig, freilich nur ein solches, dem das Innere der Kraft dynamisch entgegenkommt. D.h., ihr Wirksamwerden hat Selbstentfaltung zu bleiben, doch diese muß zugleich „sollizitiert“ (97,6), hervorgelockt werden. Nur so sind Insich- und Außersichsein der Kraft zusammenzudenken. Das sollizitierend Wirkende muß allerdings in gleicher Weise als Kraft gedacht werden. Und so stellt sich denn das „unbedingt Allgemeine“ als Pluralität und „Spiel der Kräfte“ (101,5) dar, das in seiner Gesamtheit Erscheinung ist, und zwar eines gemeinsamen Inneren.

Dieses Innere ist das „wahrhafte Wesen der Dinge“ (100,32), wobei das Bewußtsein „ein mittelbares Verhältnis zu dem Innern hat und als Verstand durch diese Mitte des Spiels der Kräfte in den wahren Hintergrund der Dinge blickt“ (100,34ff). Diese „Mitte“ ist die „Erscheinung“ (100,40). Sie ist ein in der Verflüchtigung und Erneuerung der Momente sich erhaltendes „Ganzes des Scheins“ (101,3). Doch was ist das Ansich dieser Erscheinung? Ist es das Nichts, die vollkommene Leere? Wäre dies der Fall, so müßte man sich folglich allein an die Erscheinung halten. Aber dies hieße, „etwas als wahr zu nehmen, von dem wir wissen, daß es nicht wahr ist“ (102,35f). Doch was ist dann das Wahre? Das rein Jenseitige, prinzipiell Unerkennbare? Sollte diese Leere das Letztgültige, das einzig Verehrungswürdige und „Heilige“ (103,1) sein? Doch das Festhalten an der völligen Unerkennbarkeit dieses Letzten macht seine wie immer geartete Explikation unkontrollierbar, und die Gefahr besteht, daß der Bereich des Wesens von allem Begreifen freigehalten wird, nur um ihn dann „mit Träumereien, Erscheinungen, die das Bewußtsein sich selbst erzeugt, zu erfüllen“ (103,2f).

Dieser Sackgasse ist nur zu entkommen, wenn man sich auf den zurückgelegten Weg besinnt und das Innere als „bestimmte Negation“ (62,27) erfaßt, – um mit der „Einleitung“ zu sprechen. Das sinnlich Gegenständliche ist dann in seiner Aufhebung das Innere, oder: „Das Übersinnliche ist also die Erscheinung, als Erscheinung“ (103,13f). In der wechselnden Welt der Erscheinung bleibt der Wechsel selbst. Er steht jenseits und doch innerhalb der Erscheinung und kann eigens gedacht werden als „allgemeiner, beruhigter, sich gleich bleibender Unterschied“ (104,38f). Nun geht es der Wissenschaft in der Tat gerade darum, den Wechsel der Erscheinung als gleichbleibende Struktur, als wandellosen Unterschied und differenziertes Gefüge zu erfassen. Denn die Erscheinung soll diese ihre Gesetzlichkeit preisgeben und ihre das Sinnliche übersteigende, tragende Wahrheit offenbaren. „Die übersinnliche Welt ist hiemit ein ruhiges Reich von Gesetzen, zwar jenseits der wahrgenommenen Welt, denn diese stellt das Gesetz nur durch beständige Veränderung dar, aber in ihr eben so gegenwärtig, und ihr unmittelbares stilles Abbild“ (105,3ff).

Doch diese Abbildlichkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Gesetz die Erscheinung nicht ganz einzuholen vermag, denn „es hat unter immer andern Umständen eine immer andere Wirklichkeit. Es bleibt dadurch der Erscheinung für sich eine Seite, welche nicht im Innern ist“ (105,13ff). Das Gesetz bleibt insofern immer unbestimmt. Zugleich hat es durchaus seine Eigenart und Bestimmtheit. Um identifiziert zu werden, muß es sich von anderen Gesetzen unterscheiden. Damit ist aber die notwendige Pluralität der Gesetze ausgesprochen. Ja es ergeben sich „unbestimmt viele Gesetze“ (105,23). Durch den unabschließbaren Gesetzeskontext kehrt also die Unbestimmtheit wieder zurück, außerdem widerspricht sie der Tendenz des Gesetzes zur größtmöglichen Einfachheit. Nun ist das Bemühen der Wissenschaft tatsächlich darauf gerichtet, die sich vermehrende Gesetzesvielfalt einzuschränken, ja sie möglichst auf immer weniger und immer umfassendere Gesetze zu reduzieren. Doch, so könnte man fragen, wird diese Vereinheitlichung nicht mit einer immer weiteren Entfernung vom Konkreten erkauft, also in gewisser Weise mit einer zunehmenden Oberflächlichkeit? Nehmen wir aber an, es wäre ein letztes, umfassendes Gesetz gefunden, und nennen wir es das Gesetz der „allgemeinen Attraktion“ (105,39). Dieses Gesetz dürfte keinerlei Unmittelbarkeit mehr enthalten, also keine in ihm selbst unreflektiert gebliebenen Ausgangsbestimmungen. Doch jedes Gesetz basiert als deduktives Gefüge auf solchen Unmittelbarkeiten, denn es ist ein linear strukturierter „Unterschied“ (106,2) und wesentlich irreflexiv. Man muß also sagen: der „reine Begriff des Gesetzes geht ... über das Gesetz als solches hinaus“ (106,19ff), insofern nämlich „die Unterschiede, die an dem Gesetz als solchem vorhanden sind, selbst wieder in das Innre als einfache Einheit zurückgehen“ (106,35ff).

Die konsequente Durchführung des Gesetzesbegriffs macht also einen Hiatus sichtbar zwischen der auf gewissen Unmittelbarkeiten beruhenden Differenzierung des Gesetzes und einer hinter dieser Differenzierung stehenden einheitgebenden Grundlage. Diese kann wiederum als die eine „Kraft überhaupt“ (107,4) bezeichnet werden, die sich in die strukturellen Unterschiede des Gesetzes, z.B. in Raum und Zeit oder in positive und negative Elektrizität, auseinanderlegt, wobei sich freilich aus der im generellen Gesetzesanspruch liegenden Notwendigkeitsforderung ergibt, daß auch diese einzelnen Bestimmungen letztlich nicht als faktische Gegebenheiten zu belassen sind, sondern in eine Einheit vermittelt werden müssen. Doch solange am Gesetz als struktureller Differenzierung festgehalten wird, läßt sich eine derartige Vermittlung, die letztlich reflexiv sein müßte, nicht denken. Diese in der Gesetzesformulierung fehlende Reflexion wird zwar de facto vollzogen, allerdings nur im subjektiven Verstand und seinem rastlosen „Erklären“ (109,18), das sich abwechselnd von der einen zur anderen Bestimmung, von ihrem Unterschied zur Einheit der Kraft und von der wieder zu den Unterschieden bewegt. „In dieser tautologischen Bewegung beharrt, wie sich ergibt, der Verstand bei der ruhigen Einheit seines Gegenstandes und die Bewegung fallt nur in ihn selbst“ (109,36ff). Freilich, wenn zugestanden wird, daß die Erklärung als ganze den Gegenstand trifft, so muß auch ihre reflexive Gestalt in dieses Treffen mit eingehen. Ist dies der Fall, so bringt die Reflexion die eigentümliche Bewegung nicht nur des Verstandes, sondern der begriffenen Sache selbst zum Ausdruck. Doch die Reflexivität als innere Konsequenz der Welt der Gesetze macht deren ruhiges Reich instabil. Denn im selbstbezüglichen Unterschied können die Seiten nicht mehr gegeneinander fixiert werden. Ihr eigentümlicher Zusammenfall muß sich dem Bewußtsein auf den ersten Blick als ein verwirrender Wechsel darstellen, weil sich plötzlich neben dem einen Gesetz, und aus ihm entwickelbar, ein gegenteiliges ergeben kann. „In der Tat ist nur mit dieser Bestimmung der Unterschied der innre, oder Unterschied an sich selbst, indem das Gleiche sich ungleich, das Ungleiche sich gleich ist“ (111,27ff). Neben der ersten übersinnlichen Welt der Gesetze entsteht somit eine zweite, die „verkehrte Welt“ (111,31). Bei genügender Reflexion müßten sich nämlich in allen Gesetzen entsprechende Bestimmungsumschwünge erkennen lassen, so etwa an Raum und Zeit und ihrem Umschlagen ineinander, ebenso am Positiven und Negativen der Pole usw. Nicht ohne Ironie heißt es: (Erg:) „An bestimmten Momenten wird sich dies so ergeben, daß was im Gesetze der ersten (Welt) süß, in diesem verkehrten Ansich sauer; was in jenem schwarz, in diesem weiß ist“ (112,3ff). Das einzige näher ausgeführte Beispiel zum Thema stammt aus dem Bereich des Rechts: In der einen gesetzlichen Welt ist die „Rache an dem Feinde, die höchste Befriedigung der verletzten Individualität“ (112,13f). Aber dieses Gesetz läßt sich so nicht aufrechterhalten. Es verkehrt sich. Denn was Selbsterhaltung sein sollte, mündet „durch das Aufheben des fremden Wesens in Selbstzerstörung“ (112,19f).24 Die Erhaltung und Genugtuung der eigenen Person ist also in gewisser Weise auf die Bewahrung auch des Gegners angewiesen. Deswegen wird das Gesetz der Rache durch das der „Strafe“ (112,21) abgelöst. Diese scheint zunächst nur auf die Erniedrigung des Pönitenten hinauszulaufen. Sie ist aber in Wahrheit auch seine Anerkennung als Person. „Die nach dem Gesetze der ersten den Menschen schändende und vertilgende Strafe verwandelt sich in ihrer verkehrten Welt in die sein Wesen erhaltende, und ihn zu Ehren bringende Begnadigung“ (112,26ff).25

Der Verstand könnte versucht sein, diese Verkehrung dadurch aufzulösen, daß er etwa das eine Gesetz für wesentlich, das andere für unwesentlich erklärte. Aber dies wäre nur wieder eine Flucht davor, den Gegenstand radikal als ihn selbst, und d.h. im Wechselspiel seiner Bestimmungen und seiner inneren Differenz-Einheit aufzufassen, so wie es eigentlich durch den Begriff des „unbedingt Allgemeinen“ von Anfang an gefordert war. „Es ist der reine Wechsel, oder die Entgegensetzung in sich selbst, der Widerspruch zu denken“ (114,9ff). In dieser gedanklichen Konsequenz freilich ist die erste mit der zweiten Welt eins, und diese zweite „ist sie selbst, und ihre entgegengesetzte in Einer Einheit. Nur so ist sie der Unterschied als innerer, oder Unterschied an sich selbst, oder ist als Unendlichkeit“ (114,24ff).

Die „Unendlichkeit“, das ist der Selbstbezug, der logische Kreis, der die Mitte und das Wesen der Dinge ausmacht und der in ihnen allenthalben erscheint. „Diese einfache Unendlichkeit, oder der absolute Begriff ist das einfache Wesen des Lebens, die Seele der Welt, das allgemeine Blut zu nennen“ (115,16ff).26 Das Dynamische dieser Unendlichkeit, ihr Reichtum und ihre Entfaltungsmöglichkeit liegen schon in ihrem Begriff beschlossen. Denn dieser besagt, daß der Unendlichkeit die Bestimmtheit schon innerlich und wesenhaft ist, also nicht erst von außen zukommen muß. Sie trägt sie schon in sich, weil sie als rein gedachte Gleichheit mit sich eine Bestimmtheit ist, nämlich gegen die Bestimmtheit, und damit selbst eine Seite desjenigen Zusammenhanges darstellt, den sie als weitere Differenzierung aus sich entläßt und noch im Entlassen umgreift, „denn indem das Sichselbstgleiche, welches sich erst entzweien oder zu seinem Gegenteile werden soll, eine Abstraktion oder