Gekrönt von Blut und Göttern (Sturmwanderer 4) - July Winter - E-Book

Gekrönt von Blut und Göttern (Sturmwanderer 4) E-Book

July Winter

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Beschreibung

**Eine Aufgabe so groß wie ein Königreich** Danielles Gefühle werden auf eine harte Probe gestellt, denn Derecks Vergangenheit hat ihn nun endgültig eingeholt. Trotzdem ist sie nach wie vor bereit, alles für das Land und den Mann zu opfern, den sie liebt. Während der König sein Netz aus Lügen und Intrigen immer weiterspinnt, sehen sich Danielle und Dereck gezwungen, alles auf eine Karte zu setzen. Sie bitten die Götter Rokariens selbst um Hilfe. Und auch wenn der Preis hoch ist, den das Schicksal von Danielle fordert, steht eines fest: Wenn Dereck und sie zusammenstehen, gibt es eine Chance für ihre Liebe – und für alles, wofür sie jemals gekämpft haben …   Leser*innen über die Fantasy-Buchreihe »Sturmwanderer«:  »Freue mich sehr auf das grandiose Finale!« »Für alle Fans von Romantasy ein absolutes Muss!« »Wieder kann man mitfiebern, mitlachen, mitweinen – aber vor allem mitfühlen.«   //Alle Bände der magischen Fantasy-Reihe bei Impress:   -- Verfolgt von Sturm und Macht (Sturmwanderer 1)  -- Gefangen zwischen Liebe und Thron (Sturmwanderer 2)   -- Gejagt von Schicksal und Verrat (Sturmwanderer 3)   -- Gekrönt von Blut und Göttern (Sturmwanderer 4) -- Sturmwanderer. Alle Bände der romantischen Fantasy-Reihe in einem Bundle!// Diese Reihe ist abgeschlossen.  

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

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July Winter

Gekrönt von Blut und Göttern (Sturmwanderer 4)

**Eine Aufgabe so groß wie ein Königreich**Danielles Gefühle werden auf eine harte Probe gestellt, denn Derecks Vergangenheit hat ihn nun endgültig eingeholt. Trotzdem ist sie nach wie vor bereit, alles für das Land und den Mann zu opfern, den sie liebt. Während der König sein Netz aus Lügen und Intrigen immer weiterspinnt, sehen sich Danielle und Dereck gezwungen, alles auf eine Karte zu setzen. Sie bitten die Götter Rokariens selbst um Hilfe. Und auch wenn der Preis hoch ist, den das Schicksal von Danielle fordert, steht eines fest: Wenn Dereck und sie zusammenstehen, gibt es eine Chance für ihre Liebe – und für alles, wofür sie jemals gekämpft haben …

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Vita

Danksagung

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© privat

July Winter liebte schon als Kind mythologische Geschichten mit tapferen Helden und verfasste bereits im Alter von acht Jahren ihre ersten kleinen Kurzgeschichten. Während des Studiums der Europäischen Literaturen entwickelte sie die ersten Ideen für ihren eigenen Roman und schuf ihre ganz eigene Fantasywelt – unterstützt von Freunden und Familie sowie epischen Soundtracks und einem großen Pott Kaffee. July Winter lebt mit ihrem Partner in der Nähe von Berlin.

Für Dich.

Ganz gleich, wie schwer der Weg auch sein mag, bleib mutig, halte an deinen Träumen fest und verliere nie den Glauben an deine innere Stärke.

Prolog

Veldun, zwölf Monate zuvor

Wankend setzte Dereck einen Fuß vor den anderen. Sämtliche Glieder fühlten sich unsagbar schwer an, seine Muskeln brannten unaufhörlich und ließen nicht zu, dass er seinen Schwertarm ein weiteres Mal hob.

Immer wieder verschwamm sein Blick und er musste die Augen wiederholt zusammenkneifen, um eine halbwegs klare Sicht über das endlos scheinende Schlachtfeld zu gewinnen. Der Gestank von Tod und Rauch tränkte die Luft und benebelte seine Sinne. Wohin er auch sah, egal in welche Richtung er sich auch drehte, es stachen ihm immer wieder drei Farben in die Augen.

Schwarz. Die Farbe seiner Rüstung und der seiner Männer. Einst glänzend und prachtvoll, nun stumpf und mit Dreck besudelt. Das Wappen, die Silhouette eines Hirschgeweihs auf goldenem Grund, war kaum mehr zu erkennen.

Braun. Die Tenebrianer trugen keine schweren Stahlpanzer, sondern leichtere Schutzkleidung aus Leder und einfachen Kettenhemden. Sie erlaubte ihnen sich schneller zu bewegen, wendiger zuzuschlagen, doch boten sie eine wesentlich größere Angriffsfläche.

Die dritte Farbe dominierte die beiden anderen. Sie legte sich wie ein Tuch über alles und jeden, bedeckte sowohl Mensch als auch Tier und brannte sich für immer in Derecks Geist. Ein dunkles Rot, erst fließend wie ein rauschender Bach, dann nur noch sickernd wie das langsame Versiegen einer alten Quelle. Der metallische Geruch stieg ihm fortwährend in die Nase, er konnte ihn sogar auf der Zunge schmecken. Das Blut klebte auf seiner Haut, bedeckte seine aufgeschlagenen Hände und tropfte von seiner zerbeulten Rüstung.

Die Schlacht hatte die gesamte Nacht über angedauert. Der silberne Schein des Mondes und die tanzenden Flammen unzähliger Fackeln waren ihre einzigen Lichtquellen gewesen und hatten die Umgebung in ein wirres Zwielicht getaucht.

In einen Albtraum aus verzerrten Bildern, klirrendem Metall und schier endlosen Todesschreien.

Nun ging eine rote Sonne über den mächtigen Gipfeln des Lapisgebirges auf und verlieh der grausamen Szenerie eine trügerisch warme Atmosphäre.

Dereck fühlte nichts als Kälte und einer gähnenden Leere, obwohl er über Stunden gekämpft hatte und ihm der Schweiß in Strömen über die Stirn geflossen war.

Mit schweren Schritten stapfte er über das Schlachtfeld, wich unzähligen gefallenen Männern aus und versuchte angestrengt, irgendeinen Laut auszumachen.

Jetzt, da das Gemetzel vorüber war und sie die Tenebrianer erneut geschlagen und vorerst aus der Veldun Region vertrieben hatten, begannen er und seine übrigen Soldaten nach Verwundeten zu suchen. Er versuchte sich auf jedes noch so kleine Geräusch zu konzentrieren, hoffte auf einen heiseren Hilfeschrei, einen keuchenden Atemzug oder den Klang eines rasselnden Kettenhemdes.

Doch er hörte nichts.

Nichts, außer einer bedrückenden Stille, die einzig durch seinen schweren Atem und das laute Pochen seines Herzens durchbrochen wurde. Vor seinen Augen stiegen seichte Dunstwolken in die Atmosphäre, die von seiner angestrengten Atmung herrührten, denn er versuchte fortwährend, durch den Mund zu atmen. Würde er auch nur einen einzigen Zug durch die Nase nehmen und den Gestank des Todes einatmen, würde er sich womöglich übergeben. Es war merkwürdig, beinahe lächerlich, doch ganz gleich, wie viele Schlachten er schon geschlagen hatte, an den Geruch von Blut und Leichen würde er sich wohl nie gewöhnen.

Aus dem Augenwinkel nahm Dereck eine schwache Bewegung wahr und ließ seinen Blick nach links schweifen. Der abgebrochene Stab eines Banners steckte mehr schräg als senkrecht im schlammigen Boden, womöglich hatte sein zerstörtes Ende als behelfsmäßige Stichwaffe während der Schlacht gedient.

Das aufgestickte Hirschgeweih war unter all dem Dreck und den lang gezogenen Blutschlieren kaum zu erkennen. Der goldene Hintergrund wirkte wie ein schmutziges Braun und seine zerfetzten Ränder wehten trostlos in der schwachen Brise.

Während Dereck das Wappen, sein Wappen, mit verklärtem Blick besah, schlich eine leise Frage in seinen Verstand, erst flüsternd, doch beständig lauter werdend.

All diese Kriege, die vielen Schlachten und der Tod so vieler guter Männer, war es das wirklich wert?

Vermutlich würde er bereits in wenigen Tagen anders darüber denken, wenn er erst zurück in Kalidium war und dort mit Tuan auf seinen Sieg anstieß und all die schrecklichen Bilder verdrängte. Doch jetzt, in diesem Moment, wünschte er sich nichts sehnlicher, als friedlich durch seine Heimat zu reiten und den kühlen Wind der Cliffhall Region auf seinem Gesicht zu spüren.

Irgendetwas hatte sich während dieses Gefechts verändert. Dereck konnte es sich nicht genau erklären, doch als er mitten in einen Zweikampf verstrickt gewesen war, hatte er völlig unerwartet innehalten müssen.

Obwohl er stets darauf bedacht war, seine Emotionen im Laufe einer Schlacht zu ignorieren, sie im besten Falle gänzlich auszuschalten, so hatte sich dieses eine Gefühl dennoch einen Weg zu seinem kalten Herzen gebahnt und ihn plötzlich ins Taumeln gebracht.

Aus einem unerklärlichen Impuls heraus legte sich Dereck nun eine blutbesudelte Hand an den harten Panzer und spürte einen unangenehmen Stich in der Brust. Er glich nicht dem harten Stoß eines Dolches, sondern eher dem Stich einer spitzen Nadel. Fein und doch tiefgreifend. Er konnte fühlen, dass sich irgendetwas verändert hatte, etwas, das sich seiner Kenntnis entzog und ihm einen kalten Schauer über den schmerzenden Rücken jagte.

Ein krächzendes Geräusch riss ihn unsanft aus jenen düsteren Gedanken. Ruckartig sah er zum Himmel auf. Eine Krähe flog über seinen Kopf hinweg und in das orange Licht der aufgehenden Sonne hinein.

Dereck glaubte nicht an Omen, geschweige denn an Prophezeiungen, die junge Mädchen im Zuge eines nächtlichen Rausches aussprachen, und dennoch konnte er nicht leugnen, dass ihn in jenem Augenblick eine ungute Vorahnung heimsuchte.

»Dereck.«

Erschrocken fuhr der Thronerbe zusammen und wirbelte herum. Arios, sein engster Freund und Leutnant des Sturmheeres, stand nur wenige Meter von ihm entfernt und besah ihn mit einem Blick, den er nur selten zeigte. Seine grauen Augen spiegelten nicht nur Müdigkeit und Erschöpfung, sondern ebenso Trauer wider.

Misstrauisch legte er die Stirn in Falten, während sein Mund plötzlich staubtrocken wurde.

»Was gibt es?«

Nur mit Mühe schien der blonde Soldat seinem prüfenden Blick standhalten zu können, bevor er ungewohnt sanft zu sprechen begann.

»Wir haben soeben eine Nachricht aus Stormarc erhalten. Von Varian.«

Derecks Herz machte einen Satz nach vorn und schlug mit einem Mal so kraftvoll gegen seine Brust, dass es fast schmerzte. Was wollte ausgerechnet sein Onkel von ihm? Sie hatten niemals ein besonders enges Verhältnis gepflegt. Wenn Dereck ehrlich war, konnte er ihn nicht im Geringsten ausstehen.

»Und?«

Auch wenn er vermutlich kalt und abweisend klang, so schien dies doch die einzige Möglichkeit zu sein, seine Unsicherheit und die aufkommende Angst zu überspielen.

Arios trat von einem Bein auf das andere, bevor er trotz des beißenden Gestanks einen tiefen Atemzug nahm und ihm mitleidig entgegensah.

»Der König ist in dieser Nacht verschieden.«

Die Dunkelheit stürzte sich wie ein wildes Raubtier auf ihn, zog ihn mit scharfen Klauen in ihre schwarzen Tiefen und erstickte Derecks letzten klaren Gedanken.

Nur am Rande nahm er wahr, wie sich seine Augen vor Unglauben weiteten und er einen Schritt nach hinten taumelte.

»Es tut mir leid.«

Mit einer schnellen Bewegung wandte sich der Thronerbe von Arios ab. Ziellos lief er über das Schlachtfeld, denn es schien keinen Weg mehr zu geben, den er hätte einschlagen können.

Er hatte es gewusst. Tief in seinem Inneren hatte der leise Stich es ihm verkündet, doch er war nicht gewillt gewesen es zu realisieren, es zu begreifen.

Er wusste nicht, wie weit er inzwischen gegangen war, wie viele Tote er bereits hinter sich gelassen hatte, als er erschöpft auf die Knie sank und den Kopf in Richtung Sonne hob. Heiße Tränen rannen über seine Wangen, während der tosende Strudel aus Gedanken ihn zu Boden drückte. Die Pflicht begann unnachgiebig an ihm zu zerren, die Bürde seiner Geburt zog ihre Schlinge eng um seinen Hals und drohte ihn zu ersticken.

Der König war tot. Rokarien hatte seinen Herrscher verloren … und Dereck seinen Vater.

Ein schmerzerfüllter Schrei überzog das stille Schlachtfeld, herzzerreißend, voller Leid und endloser Pein.

1. Ein neues Ziel

Danielle

»… denn sie ist der Schlüssel zu Eurem Erbe.«

Danielle seufzte leise auf und senkte frustriert die Lider. Immer wieder hallten die Worte der geheimnisvollen Diuvida durch ihren Kopf und hinterließen eine unangenehme Gänsehaut. So sehr sie es sich auch wünschte, sie konnte sich keinen Reim auf diese prophetische Aussage machen. Wie sollte ausgerechnet ein unbedeutendes Schankmädchen aus Silvaron der Schlüssel zu Derecks Vermächtnis sein? Was konnte sie schon bewirken?

Fahrig fuhr sie sich mit den Fingern durch das dunkelbraune Haar und ließ ihre Hände auf den verspannten Schultern ruhen. Es spielte keine Rolle, was die Seherin in ihr zu erkennen glaubte, ganz gleich, welche Figur sie in diesem Spiel auch einnahm, eines schien dennoch gewiss: Die Silvaron Region brannte.

Allein diese Tatsache gedanklich zu formulieren, brachte ihr Herz zum Rasen. Die unterschwellige Panik umklammerte ihren Geist und ließ das Blut durch ihre Venen schnellen.

Unaufhörlich dachte Danielle an ihren Vater, sah die Gesichter ihrer Freunde vor sich aufblitzen und spürte eine flaue Übelkeit in sich aufsteigen. Ein schmerzerfülltes Schluchzen trat über ihre Lippen. Nicht zu wissen, ob ihre Familie noch am Leben war oder ihr Dorf bereits in Schutt und Asche lag, versetzte sie in einen nahezu hysterischen Zustand. Dieser setzte jeden logischen Gedanken außer Kraft und riet ihr beständig dazu, sich schnellstens auf den Rücken eines Pferdes zu schwingen und Richtung Grenze zu reiten.

Doch was dann? Was konnte sie in Anbetracht einer solchen Katastrophe schon ausrichten? Sie konnte kein Schwert führen und allein die Vorstellung, dass Montelans möglicherweise nicht mehr existierte, brachte sie zum Erzittern. Sie fürchtete sich so sehr vor diesem Gedanken, dass sie ihn keinen Augenblick länger zulassen durfte, denn er riss sie unaufhaltsam in einen Strudel aus Angst und Verzweiflung.

Varian war auf dem Vormarsch und die einzige Chance, ihn und die Seehexe aufzuhalten, lag darin, das sagenumwobene Schwert zu finden und es dieser verfluchten Kreatur ins Herz zu rammen. Falls sie überhaupt so etwas wie ein Herz besaß, was Danielle durchaus bezweifelte.

»Du siehst müde aus.«

Eine raue Stimme ließ sie überrascht aufhorchen und ihren Blick zur Tür gleiten. Mit verschränkten Armen stand Dereck an den Rahmen gelehnt und musterte sie eindringlich.

Wie lange stand er bereits dort? Ihre Gedanken waren so weit entfernt gewesen, dass sie seine Anwesenheit nicht bemerkt hatte.

Das schwarze Haar lag wie so oft im Nacken zusammengebunden, lediglich ein paar einzelne Strähnen fielen ihm ins Gesicht und umrahmten seine markanten Züge. Unter dem hellbraunen Wams trug er ein weißes Hemd, dazu eine dunkle Stoffhose und schwarze Reitstiefel. Sein lederner Schwertgürtel hing locker um die Hüfte gebunden und wenn Danielle genau hinsah, glaubte sie an seinem linken Stiefelschaft den glänzenden Griff eines Dolchs zu erkennen.

Obwohl er augenscheinlich versuchte eine lässige Haltung zu wahren, verriet ihr die angespannte Muskulatur seiner Oberarme jedoch das genaue Gegenteil.

»Es geht mir gut«, entgegnete sie knapp, doch wirkte die Lüge selbst in ihren Ohren viel zu offensichtlich.

Mit einem leisen Schnaufen stieß sich der Thronerbe vom Türrahmen ab und trat mit festen Schritten auf sie zu. Seine stechend blauen Augen ruhten auf ihrem Antlitz, während er die Stirn in Falten legte.

»Das tut es nicht«, widersprach er sanft und ließ seine rauen Hände über ihre Arme streifen. Überall dort, wo seine Finger den dünnen Stoff ihres Kleides berührten, begann die Haut darunter angenehm zu prickeln.

Manchmal empfand sie es als anstrengend, dass Dereck inzwischen in ihr lesen konnte, als wäre sie ein offenes Buch. Mittlerweile reichte oft ein einziger Blick und sie wusste genau, dass er ihre Gedanken durchschaut hatte. Ein Umstand, der zu ihrem Missfallen nicht immer auf Gegenseitigkeit beruhte, denn der Thronerbe Rokariens war ein wahrer Meister darin, seine Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske zu verstecken, die er nur selten ablegte.

»Sag mir, was dich bedrückt«, forderte er mit ruhiger Stimme und strich ihr eine braune Haarsträhne hinter das linke Ohr. Eine Geste, die im vollkommenen Kontrast zu seiner sonst so harten und strengen Wesensart stand.

Ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, während sie über eine passende Antwort nachdachte. Doch noch ehe sie ihre Worte formulieren konnte, begann er erneut zu sprechen.

»Ich bin mir sicher, dass sie am Leben sind.«

Danielles helle Augen trafen auf seine und ließen sie schwer schlucken. Er wusste genau, was in ihrem Kopf vor sich ging.

»Woher willst du das wissen?«, hauchte sie bedrückt und versuchte das Zittern ihrer Unterlippe zu unterdrücken.

»Ich sehe es durch dich«, erwiderte er und brachte sie dazu, verwirrt die Stirn in Falten zu legen.

»Wie meinst du das?«

Sie sah, wie sich seine Brust kraftvoll hob, bevor er anschließend laut ausatmete. Für einen kurzen Moment senkte er die Lider und besah ihre dünnen Finger, die behutsam in seinen rauen Händen lagen. Wie zarter Stoff auf hartem Gestein.

»Als ich ein kleiner Junge war, noch bevor Elric geboren wurde, stand ich oft tagelang an den hohen Fenstern Stormarcs und wartete auf die Rückkehr meines Vaters. Jedes Mal, wenn er die Festung verließ, überkam mich die schreckliche Angst, dass ich ihn niemals wiedersehen würde.«

Eine unerwartete Schwere befiel Danielles Herz und löste sogleich den Wunsch in ihr aus, Dereck tröstend in die Arme zu schließen. Seinen Worten lag eine solche Traurigkeit zugrunde, dass sie sich unweigerlich fragte, ob er diese Erinnerung jemals laut ausgesprochen hatte.

»Eines Abends, als ich mich weigerte zu Bett zu gehen und es trotzig vorzog, weiterhin Ausschau nach ihm zu halten, nahm mich meine Mutter mit in ihr Gemach. Sie zog einen Sessel an das Fenster ihres Balkons und setzte mich auf ihren Schoß. Gemeinsam betrachteten wir das clarisische Meer, dessen Wellen silbern im Mondlicht schimmerten. Die Sterne spiegelten sich auf der glitzernden Oberfläche wider und obwohl es schon so viele Jahre her ist, kann ich mich bis heute an diesen einzigartigen Anblick erinnern.«

Derecks Augen ruhten nach wie vor auf ihren ineinander verschränkten Fingern, doch sein Blick verlief ins Leere. Er schien völlig in seiner Erinnerung gefangen. Eine tiefe Rührung ergriff von Danielle Besitz und hielt sie dazu an, ganz flach zu atmen. Sie wollte kein einziges Geräusch von sich geben, sich keinen Zentimeter rühren, aus Angst, dass er seine Erzählung abrupt beenden könnte. Niemals zuvor hatte Dereck so offen von seiner Mutter gesprochen, geschweige denn eine Erinnerung aus seiner Kindheit preisgegeben. Es fiel ihr beinahe schwer zu glauben, dass dieser starke imposante Mann einst ein kleiner unschuldiger Junge gewesen war.

»Eine Weile saßen wir stillschweigend beieinander und ich genoss ihre mütterliche Zuneigung, denn im Gegensatz zu ihr zog mein Vater eine eher … nun sagen wir, strengere Erziehung vor. Ich konnte kaum laufen, als er damit begann, mich auf mein künftiges Erbe vorzubereiten. Noch ehe ich eine Feder in der Hand halten konnte, um zu schreiben, kannte ich bereits sämtliche Tugenden eines Königs auswendig, ganz gleich, ob ich die Wörter verstand oder nicht. Er war das vollkommene Gegenteil zu meiner Mutter, die mich beständig verhätschelte und mir sämtliche Freiheiten ließ. Doch ich verehrte ihn. Mein Vater war für mich das Sinnbild eines starken Herrschers, ich sah zu ihm auf, wollte so sein wie er und eiferte ihm nach. In jener Nacht fragte mich meine Mutter, warum ich stets aus dem Fenster sah, und ich erzählte ihr von meiner Furcht, dass er nicht zurückkommen könnte. Da ergriff sie meine Hand, führte sie zu meiner Brust und bat mich die Augen zu schließen. Sie wollte, dass ich mich auf meine Gefühle konzentrierte, mir sein Antlitz klar und deutlich ins Gedächtnis rief. Sie meinte, dass ich es spüren könnte, wenn ihm etwas zugestoßen wäre, dass mir mein Herz die Wahrheit offenbaren würde. Und ich wusste, dass er am Leben war.«

Noch während Dereck die letzten Worte formulierte, hob er Danielles Hand und legte sie behutsam an ihre Brust. Sie spürte das Pochen ihres eigenen Herzens, das beim Anblick seines sanften Blickes einen schnelleren Takt anschlug. Während ihre Gedanken noch immer in seiner Erinnerung verweilten und sie den kleinen schwarzhaarigen Jungen deutlich vor sich sehen konnte, legte sich ein schwaches Lächeln auf Derecks Lippen.

»Und nun sag mir, was du fühlst, wenn du an sie denkst.«

Die Wirtstochter atmete zitternd aus und senkte die Lider. Sie rief sich die Gesichter ihrer Familie ins Gedächtnis, sah sie so deutlich vor sich, dass sie glaubte, sie mit bloßen Händen greifen zu können, und hörte konzentriert in sich hinein.

»Ich spüre, wie sehr ich mich nach ihnen sehne, wie sehr ich jeden Einzelnen von ihnen vermisse. Ich kann die Ungewissheit fühlen, die Angst, dass ihnen etwas zugestoßen ist, doch … doch ich weiß, dass sie am Leben sind«, erwiderte sie und öffnete zögerlich die Augen. Danielle wusste nicht, woher sie diese Gewissheit nahm, sie hatte sich lediglich von Derecks Worten leiten lassen und versucht auf die Stimme in ihrem Inneren zu hören.

»Dann hast du deine Antwort«, flüsterte er und strich ihr eine verirrte Träne von der Wange.

Wann hatte sie angefangen zu weinen?

»Wie kann ich wissen, dass ich mir nicht selbst etwas vormache?«

»Glaub mir, du würdest merken, wenn einem von ihnen etwas zugestoßen wäre. Du kannst deinem Kopf etwas vormachen, aber nicht deinem Herzen.«

Danielle legte die Stirn in Falten und besah Dereck mit aufmerksamem Blick. Solch emotionale Reden passten nicht zu ihm, doch der schwermütige Unterton in seiner Stimme vermittelte ihr das Gefühl, dass er eben jene Situation schon einmal durchlebt hatte, dass er wusste, wie es sich anfühlte, wenn ein geliebter Mensch verstorben war. Kurz dachte sie darüber nach, ihn darauf anzusprechen, zu fragen, woher er sein Wissen nahm, doch sie wagte es nicht. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, doch nicht jetzt, da sie so kurz vor dem Aufbruch standen.

Fast so, als könnte er abermals ihre Gedanken lesen, lehnte sich Dereck ein wenig nach vorne und legte seine Stirn an ihre. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut und die angenehme Hitze, die von seinem Körper ausging.

»Was wäre, wenn ich dich bitten würde hierzubleiben?«

Sie vernahm die leise Furcht, die seine Stimme heiser werden ließ.

»Du kennst die Antwort darauf«, flüsterte sie und schaute ihm in die blauen Tiefen seiner Augen.

»Außerdem wirst du meine Hilfe brauchen. Die Worte der Seherin …«

»Ich weiß, was dieses schreckliche Weib gesagt hat«, unterbrach er sie, doch klang dabei weniger zornig, sondern vielmehr besorgt. Er schien nicht noch einmal wiederholen zu wollen, was die Diuvida ausgesprochen hatte. Das brauchte er auch nicht, da die Worte in Danielle noch immer nachhallten.

»… denn sie ist der Schlüssel zu Eurem Erbe.«

»Glaubst du daran?«

Dereck holte tief Luft, trat einen Schritt zurück und fuhr sich unwirsch über den dunklen Bartschatten seines frisch gestutzten Kinns.

»Was von all diesem wirren Gewäsch meinst du denn? Dass mein Onkel angeblich von einer bösartigen Fischfrau befallen ist? Dass sie nur durch ein magisches Schwert getötet werden kann, das sich jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgerechnet im Besitz der Götter befindet, die es natürlich nur herausgeben, wenn man irgendeine Prüfung besteht? Selbstverständlich einer, von der niemand weiß, wie sie denn lautet.«

»Nun ja«, murmelte Danielle und biss sich nervös auf die Innenseite ihrer Unterlippe. Sie konnte nicht leugnen, dass sich die neusten Erkenntnisse ziemlich absurd anhörten und dennoch auf unerklärliche Art und Weise Sinn ergaben.

»Irgendwie alles?«

Der Thronerbe stieß ein verächtliches Schnaufen aus und trat an das große Fenster am Kopf ihres Gemachs heran. Die hellen Sonnenstrahlen brachten die roten Schindeln auf den Dächern Kalidiums zum Glitzern, während das leise Rauschen des angrenzenden Meeres bis in ihre Räumlichkeiten getragen wurde.

»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll. In den letzten Jahren habe ich mich bewusst von den Göttern abgewandt. Wenn man so viel Leid und Tod gesehen hat, beginnt man irgendwann damit, an bestimmten Dingen zu zweifeln. Ich war immer der Meinung, dass ich mein Schicksal selbst bestimmen kann, dass ich allein darüber entscheide, wer oder was ich bin. Die meisten Menschen in Cliffhall glauben an die alten Geschichten, an die Legenden und Mythen unserer Vorfahren, die noch immer mit der Gegenwart verflochten sein sollen und unseren Weg bestimmen. Vielleicht war ich zu eigensinnig, möglicherweise zu stur, doch ich wollte den Blick bewusst von diesen Dingen abwenden und mich einzig auf mich und meine Fähigkeiten verlassen.«

»Glaubst du denn, dass das Schwert existiert?«

»Möglich ist es«, antwortete Dereck schulterzuckend.

»Und so wie es aussieht, werden wir es in Kürze wohl genauer wissen. Allerdings erschließt sich mir noch immer nicht, welche Rolle du dabei spielen sollst.«

»Wer weiß, vielleicht bin ich am Ende die Auserwählte, die das Schwert führen darf«, entgegnete Danielle mit einem zarten Schmunzeln.

»Ob du es glaubst oder nicht«, erwiderte der Thronerbe und überwand den kurzen Abstand zwischen ihnen mit nur zwei Schritten. »Auch das würde ich dir mittlerweile zutrauen.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das als Kompliment auffassen soll.«

Ein schiefes Lächeln breitete sich auf Derecks Lippen aus, während er ihr zärtlich über die Wange strich.

»Sieh es als Beweis dafür, dass du mehr Stärke in dir trägst, als du vermutest. Wahrscheinlich werde ich am Ende derjenige sein, der dich um Hilfe bitten muss«, entgegnete er grinsend und noch bevor Danielle zu einer scherzhaften Antwort ansetzen konnte, verschloss er ihre Lippen mit seinen und zog sie in einen intensiven Kuss, der sämtliche Worte zum Erliegen brachte.

Schon am nächsten Morgen würden sie aufbrechen, um sich auf die Suche nach dem Schwert zu begeben. Und auch wenn Danielle es zu ignorieren versuchte, so überkam sie doch ein ungutes Gefühl beim Gedanken an diese riskante Mission.

***

Dereck

»Ich fasse es nicht, dass du das von mir verlangst«, rief Arios aufgebracht und fuchtelte wild mit den Armen herum. Dereck antwortete mit einem genervten Schnaufen und griff nach seinem dunkelbrauen Wildledermantel. Auch wenn er ihn aufgrund der hohen Temperaturen tagsüber wohl kaum brauchen würde, so waren die Nächte in Veldun bitterkalt und er wollte auf jede Eventualität vorbereitet sein.

»Warum rückst du verdammt noch mal erst jetzt mit der Sprache raus? Wieso hast du mir nicht schon gestern Abend gesagt, dass du mich bei diesem Vorhaben nicht dabeihaben willst?«

»Weil ich keine Lust darauf hatte, mir dein wütendes Geschimpfe die ganze Nacht lang anzuhören«, erwiderte der Thronerbe seufzend und schaute Arios in die zornig funkelnden Augen. Der blonde Soldat hatte sich zu voller Größe aufgebaut und versperrte seinem Heerführer den Weg. Sein Gesicht spiegelte eine Mischung aus Wut, Unglauben und Fassungslosigkeit wider. Dereck hatte lange darüber nachgedacht, doch er hielt es schlussendlich am sinnvollsten, Arios nicht mit an jenen Ort zu nehmen, an dem er und Danielle sich der Götterprüfung unterziehen sollten. Er war der Einzige, dem Dereck blind vertraute, und sollte ihm etwas geschehen, musste Arios an seiner statt gegen Varian vorgehen. Er durfte nicht das Risiko eingehen, seinen letzten Vertrauten und engsten Freund zu verlieren.

»Es ist das Beste so«, entgegnete er entschlossen und stellte sich seinem Leutnant gegenüber.

»Es ist absolut verantwortungslos und dämlich«, zischte der Blonde ungehalten.

Dereck holte tief Luft und schnaufte genervt. Die halbe Nacht lang hatten sie gemeinsam mit Azim, Tuan und seiner Diuvida über Landkarten gebrütet und den geheimen Ort, an dem sich das sagenumwobene Schwert befinden soll, begutachtet. Der Seherin nach befand es sich in einer jahrhundertealten Grotte, die nur einmal am Tag für wenige Stunden betreten werden konnte, und zwar nur dann, wenn das Meer sich für kurze Zeit daraus zurückzog. Ihr Weg würde sie demnach nicht zurück ins heiße Ödland, sondern entlang der Küste führen.

Die Gespräche hatten sich bis spät in die Nacht gezogen und erst als das Wachs der vielen Kerzen beinahe völlig heruntergebrannt war und der Himmel sich bereits dunkelblau verfärbte, hatte Dereck die Diskussionen beendet und sich erschöpft in seine Räumlichkeiten zurückgezogen.

»Bist du fertig?«, stieß er missmutig hervor und musterte Arios eingehend. Seine Laune verschlechterte sich mit jedem weiteren Wort und je näher die Abreise rückte, desto nervöser wurde er. Schon in einer halben Stunde wollten sie aufbrechen und ihm missfiel der Gedanke, sich im Streit von Arios zu trennen.

»Wenn es nach mir ginge, noch lange nicht«, knurrte der Leutnant und packte den Thronerben am Unterarm, als dieser sich von ihm abwenden und zur Seite treten wollte.

»Wieso tust du das? Wir wissen beide, wie gefährlich diese Unternehmung ist. Wieso lässt du ausgerechnet mich zurück?«

Die Enttäuschung über jenen Entschluss hallte in jedem einzelnen Wort wider. Es hatte fast den Anschein, als befürchtete Arios, dass Dereck sein Vertrauen in ihn verloren haben könnte. Eine absolut lächerliche Vorstellung, da doch das genaue Gegenteil ihn erst zu seiner Entscheidung bewogen hatte.

»Die Diuvida sagte doch klar und deutlich, dass wir alleine gehen müssen. Und warst du nicht derjenige, der mich eindringlich darum bat, diesem prophetischen Gefasel endlich Glauben zu schenken?«

»Ich gebe einen feuchten Dreck darauf, wenn dabei deine Sicherheit auf dem Spiel steht!«

Derecks Mundwinkel schossen nach oben, während er den Kopf belustigt zur Seite neigte. Selbst nach all den Jahren empfand er nach wie vor eine gewisse Rührung, wenn Arios seine Loyalität ihm gegenüber so deutlich kundtat. Ein Umstand, den er jedoch niemals offen zugeben würde, denn vermutlich wären sie beide anschließend derart peinlich berührt, dass sie sich die darauffolgenden Tage kaum ansehen könnten.

»Hör zu«, begann er mit versöhnlichem Ton und zog seinen Arm aus Arios’ Griff. »Auch mir wäre es lieber, wenn du uns begleiten würdest. Aber ich brauche hier jemanden, der mich während meiner Abwesenheit in Kalidium vertritt. Tuan mag es ehrlich mit uns meinen, doch ich traue ihm nicht weiter als bis zur Grenze dieser Region. Er wird erst fest an unserer Seite stehen, wenn ich dieses verfluchte Schwert in den Händen halte, und deswegen will ich, dass du jeden seiner Schritte aufmerksam überwachst. Er mag Varian ebenso hassen wie wir, doch Silvaron wird bereits überrannt und wir wissen nicht, ob Fürst Lingus noch immer hinter ihm steht oder inzwischen selbst zu Asche und Staub verbrannt ist. Die Schlinge zieht sich immer enger und wenn sich Tuan am Ende zwischen mir, einem abtrünnigen Thronerben, und den Menschen seiner Region entscheiden müsste, wie würde seine Wahl wohl ausfallen?«

Arios zog nachdenklich die Stirn in Falten, während die Wut allmählich aus seinem Gesicht wich.

»Du glaubst, er würde uns im Zweifel ausliefern?«

»Ich weiß es nicht, doch wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich es tun«, gab Dereck wahrheitsgemäß zurück. Tuan war kein schlechter Mensch und auch wenn er einen maßlosen Hang zu Prunk und Luxus hegte, waren ihm die Menschen seiner Region wichtig. Er versuchte ihnen die bestmöglichen Lebensumstände innerhalb dieses extremen Klimas zu ermöglichen. Wenn er sich also zwischen seinen Landsleuten und ihm entscheiden müsste, würde er wohl stets das kleinere Übel wählen. Zähneknirschend würde er sich mit Varian verbünden, um später nach einem Weg zu suchen, ihn zu töten. Ähnlich einer Schlange, die stundenlang regungslos im heißen Wüstensand ausharrte, ehe sie dem ahnungslosen Opfer in einem günstigen Moment die giftigen Zähne in den Körper rammte.

Arios ließ diese Worte einen Moment auf sich wirken, bevor er grimmig nickte.

»Vermutlich hast du nicht ganz unrecht. Dennoch finde ich es leichtsinnig, alleine zu dieser Grotte zu reiten.«

»Es handelt sich doch nur um einen Tagesritt. Wenn alles gut geht, sind wir in zwei, spätestens drei Tagen zurück«, erwiderte Dereck und versuchte das leise Unbehagen hinunterzuschlucken. »Die Sturmkrähen haben die Grenzen dieser Region noch nicht erreicht und selbst wenn sie es tun, kennen sie das Land nicht annähernd so gut wie ich. Das Schwierigste an dieser Reise wird wohl die Suche nach dem Schwert sein. Falls es denn überhaupt dort ist.«

»Und was ist mit der göttlichen Prüfung?«

»Wie ich schon gestern Nacht sagte«, antwortete Dereck kühl, »wird die einzige Aufgabe wohl darin bestehen, das Schwert zwischen rutschigen Steinen und stinkenden Algen zu suchen. Vermutlich werden wir am Ende knietief im Schlamm waten, nur um irgendwann festzustellen, dass wir an der völlig falschen Stelle suchen.«

Arios musterte ihn einen Augenblick lang stumm, während Dereck sich darum bemühte, seine Maske der Gleichgültigkeit aufrechtzuerhalten.

»Ganz gleich, was ihr dort finden oder eben nicht finden werdet, passt auf euch auf. Ich weiß nicht genau, warum, doch ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache.«

Die Worte des Leutnants glichen mehr einem Befehl als einer Bitte, die der Thronerbe mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nahm. Kurz bevor er sich endgültig zum Gehen umwandte, legte er Arios eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht.

»Halte die Stellung, bis wir zurück sind.«

***

Danielle

»Reichst du mir bitte das dünne Lederband, das dort hinten auf dem Tisch liegt?«, fragte die Wirtstochter konzentriert, während sie nicht von ihrem rechten Unterschenkel aufsah. Ihr hellbraunes Leinenkleid hatte sie bis zum Knie heraufgezogen, sodass sie ihren Fuß mühelos auf die Lehne der gepolsterten Sitzbank stellen und das Bein anwinkeln konnte.

Sie hatte sich geweigert, für die bevorstehende Reise eines dieser schrecklichen veldunischen Gewänder anzuziehen, die einerseits viel zu viel Haut zeigten und andererseits so eng am Körper lagen, dass sie wohl früher oder später ersticken würde. Nun spürte sie den angenehm kühlen Leinenstoff auf ihrer Haut, der so typisch für die Silvaron Region war, und fühlte sich sogleich ein wenig selbstsicherer.

»Glaubt Ihr wirklich, dass das so eine gute Idee ist?« fragte Elía zögerlich, doch tat sie, wie ihr geheißen wurde, und hielt Danielle das dunkelbraune Band entgegen.

»Das bin ich«, erwiderte sie entschlossen und pustete sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was uns auf dieser Reise erwartet, und ziehe es daher vor, auf alles vorbereitet zu sein.«

Trotz Derecks Protesten hatte Tuan ihr nicht erlaubt, bei den Gesprächen der letzten Nacht anwesend zu sein. Lagebesprechungen und das Planen einer mehr als waghalsigen Mission schienen nichts für die Ohren eines einfachen Schankmädchens zu sein, egal ob sie daran teilnahm oder nicht.

Mit prüfendem Blick zog Danielle den robusten Lederriemen fest, der das schmale Messer ihres Vaters sicher an ihrem Unterschenkel halten sollte, bevor sie ihr Kleid darüberlegte, den Fuß auf den Boden stellte und ein paar Schritte hin und her ging, um zu kontrollieren, ob die Waffe auch nicht verrutschte. Zu ihrer eigenen Überraschung hielt die Konstruktion gut.

»Ihr seid wirklich eine sonderbare Frau«, stellte Elía mit leichtem Schmunzeln fest und ließ sich auf der gepolsterten Sessellehne nieder.

»In Anbetracht der hier lebenden Damen fasse ich das als etwas Positives auf.« Ein einziger Gedanke an Zara reichte bereits aus, um in Danielle erneut Abscheu zu wecken. Um ein Haar hätte die oberste Palastdame alles zwischen ihr und Dereck zerstört und das nur, weil sie es nicht ertragen konnte, dass er sie für ein einfältiges Waldmädchen abgewiesen hatte.

»Und das zu Recht. Ich glaube kaum, dass eine der hiesigen Edeldamen sich dazu anschicken würde, eine solche Reise auf sich zu nehmen, nur um ihre Familie und ihre Region zu retten.«

»Was wohl mehr über diese Frauen als über mich aussagt«, entgegnete Danielle mit einem traurigen Lächeln, bevor sie die Finger über die dünne Messingkette an ihrem Hals gleiten ließ. Ganz gleich, wie gering die Aussicht auf Erfolg auch war, sie würde nichts unversucht lassen, um Varian aufzuhalten.

Ein lautes Klopfen beendete die Unterhaltung und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Nur einen Herzschlag später öffnete Dereck die massive Holztür, doch blieb er im Rahmen stehen.

Als Danielle seinem Blick begegnete, schenkte er ihr ein schwaches Lächeln, das mehr gequält als aufbauend wirkte. Das schwarze Haar fiel ihm offen bis zu den Schultern, während einzelne Strähnen die Wangen streiften und sein Gesicht umrahmten. Er trug einfache Reisekleidung, bestehend aus einer braunen Tunika, deren tiefer Halsausschnitt einen Blick auf seine muskulöse Brust offenbarte, dazu eine dunkle Stoffhose und seine alten abgetragenen Reiterstiefel. Die Unterarme wurden von zwei ledernen Armschienen geschützt, während an seiner Hüfte der gewohnte Schwertgurt hing.

»Bereit?«

Ob sie bereit war? Wohl kaum. Wie konnte man auch für ein derartiges Unterfangen bereit sein?

»Bist du es denn?«, fragte Danielle im Gegenzug, bevor sie nach ihrem abgenutzten Wollmantel griff, Elía einen letzten liebevollen Blick schenkte und an seine Seite trat.

»Selbstverständlich«, versicherte er mit einem gespielten Grinsen und ließ ihr höflich den Vortritt. »Ich bin schließlich der Soldatenprinz. Die Aussicht auf Gefahr, Verderben und der leichte Hauch des Todes machen den Tag für mich doch erst erstrebenswert.«

Danielle vernahm den Schalk in seiner Stimme, den aufgezwungenen Humor, um die gedrückte Stimmung ein wenig aufzulockern, doch glaubte sie zusätzlich, einen leisen Ton der Selbstironie herauszuhören. Beinahe so, als ob er sein altes Ich inzwischen mehr verachtete, als er insgeheim zugeben wollte.

2. Am Rande zweier Welten

Danielle

Während sie gemeinsam durch die lichtdurchfluteten Gänge des imposanten Palastes liefen, erzählte Dereck ihr in aller Kürze von den Gesprächen der gestrigen Nacht. Die Tatsache, dass sie das Schwert in einer uralten Höhle finden sollten, die zumeist vollkommen unter Wasser stand, ließ Danielles Mut Stück für Stück in sich zusammenfallen. Wie ein Kartenhaus, das mit jedem weiteren Wort an Stabilität verlor.

»Wenn wir auf keine unvorhergesehenen Hindernisse stoßen, sollten wir die Grotte bei Sonnenuntergang erreichen.«

Danielle hob hellhörig eine Augenbraue. »Unvorhergesehene Hindernisse?«, wiederholte sie zögerlich und spürte ein mulmiges Gefühl in sich aufsteigen.

»Mach dir keine Sorgen, ich werde uns sicher ans Ziel bringen«, beschwichtigte Dereck, doch kamen die Worte ein wenig zu schnell über seine Lippen. »Allerdings möchte ich, dass du mir eines versprichst.«

Kurz bevor sie in den letzten Gang einbogen, der sie auf direktem Wege in den Innenhof führen würde, blieb der Thronerbe abrupt stehen und besah Danielle derart intensiv, dass sie nur mit Mühe seinem eindringlichen Blick standhalten konnte.

»Sollten wir trotz aller Vorsicht in eine Situation geraten, in der wir rasch handeln müssen, will ich, dass du meinen Befehlen ohne Diskussion Folge leistest.«

Danielle verengte skeptisch die Augen, doch ehe sie etwas erwidern konnte, fuhr Dereck ungerührt fort.

»Wenn ich von dir verlange, dass du rennst, dann rennst du. Wenn ich will, dass du keinen einzigen Blick hinter dich wirfst, dann richtest du deine Augen starr geradeaus. Und wenn ich dir befehle, dich auf Ventus’ Rücken zu schwingen und ohne mich davonzureiten, dann tust du das.«

Danielle spürte, wie ihre Lippen vor Entrüstung aufklappten, während ihr ungefähr zwanzig Gegenargumente durch den Kopf schossen. Sie war keiner von Derecks Soldaten, die er einfach herumkommandieren konnte, und doch ließ sie die Dringlichkeit in seiner Stimme innehalten. Sein Tonfall glich nicht dem eines Heerführers, sondern dem eines Mannes, der sich in aller Aufrichtigkeit um ihr Wohlergehen sorgte. Er wollte sie nicht bevormunden, er wollte sie beschützen.

»Dereck, ich …«

»Versprich es mir.«

Einen Moment lang verlor sie sich in seinem Antlitz, das plötzlich so viel Sorge und Unsicherheit ausstrahlte.

»Also gut, ich verspreche es.«

Die Worte kamen nur leise über ihre Lippen, sie hatte wahrlich Mühe, die aufkeimende Gegenwehr hinunterzuschlucken. Danielle konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, Dereck jemals irgendwo zurückzulassen. Alles in ihr sträubte sich gegen einen derart absurden Gedanken. Nun blieb ihr nur zu beten, dass sie niemals in solch eine Situation geraten würden, denn wenn sie ehrlich war, bezweifelte sie stark, dass sie dieses Versprechen auch nur ansatzweise halten könnte.

***

»Möge der Gott des Feuers über Euch wachen und Euch auf dieser Reise beschützen.«

Tuans tiefe Stimme hallte von den hohen mit Ranken bewachsenen Wänden wider und schreckte einige Vögel auf, die sich im immergrünen Laub versteckt hatten.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ließ Danielle ihren Blick über den großen Innenhof des Palastes schweifen, der zu ihrer Überraschung nur so von Menschen wimmelte. Sowohl Soldaten, Palastdamen als auch einige Bedienstete ließen es sich nicht nehmen, ihre Abreise zu beobachten und sie wie ein außergewöhnliches Schauspiel zu beäugen.

Als Danielle in den Steigbügel trat und sich auf Ventus’ Rücken schwang, glaubte sie das Getuschel der Palastdamen zu vernehmen, die ihre Gesichter hinter kunstvoll gefertigten Fächern verbargen und sich unentwegt Luft zuwedelten. Vermutlich war es hierzulande verpönt, als Frau auf einem Pferd zu sitzen, noch dazu im Männersitz. Inzwischen hatte sie es allerdings satt, sich für ihre Taten zu schämen und jede ihrer Handlungen zu hinterfragen. Daher zwang sie sich den Kopf oben zu halten, das Kinn zu recken und die feinen Damen mit entschlossener Haltung verstummen zu lassen. Kurz ließ sie den Blick über all die prachtvollen Gewänder, die aufwendig frisierten Haare und den funkelnden Goldschmuck wandern, als ihre Augen unweigerlich an einer bestimmten Person haften blieben. Sie stand etwas abseits der anderen, verborgen im Schutze einer hohen, aus hellem Sandstein gefertigten Säule, und doch stellte ihre Erscheinung den Glanz der anderen Frauen um Längen in den Schatten. Zara musterte Danielle mit einer solch abgrundtiefen Verachtung, dass sich der Wirtstochter unweigerlich die Nackenhaare sträubten. Sie musste all ihre verbliebene Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht scheu die Lider zu senken. Ihrem pochenden Herzen zum Trotz hielt sie dem stechenden Blick der Palastdame mit gespielter Gleichgültigkeit stand und musste dabei feststellen, dass deren Züge nicht mehr so selbstsicher und unantastbar wirkten, wie es noch vor zwei Tagen der Fall gewesen war. Vielleicht hatte ihr Derecks Zurückweisung doch einiges abverlangt, möglicherweise hatte Zara tatsächlich tiefere Gefühle für ihn gehegt, als sie zugeben wollte.

Doch noch ehe Danielle diesen Gedanken weiterführen konnte, schwang sich Dereck mit einer einzigen kraftvollen Bewegung hinter sie in den Sattel und rückte so dicht an sie heran, dass sie seine harte Brust an ihrem Rücken spüren konnte. Seine Hände wanderten an ihrer Taille vorbei und umfassten die ledernen Zügel mit sicherem Griff, was Ventus dazu veranlasste, vorfreudig mit den Hufen zu scharen.

Erneut glaubte Danielle einen entrüsteten Laut aus Richtung der Palastdamen zu hören, was ihr trotz aller Gegenwehr die Röte ins Gesicht trieb. Wenn diese hochnäsigen Weibsbilder auch nur ansatzweise wüssten, was sie und Dereck in der vorletzten Nacht getan hatten, würden sie wahrscheinlich mit Steinen nach ihr werfen oder sie vor dem versammelten Hof lauthals als Hure beschimpfen.

Vorsichtig neigte die Wirtstochter den Kopf zur Seite und versuchte einen Blick auf Derecks Gesicht zu erhaschen. Dieser schaute jedoch gewohnt ernst drein und schien absolut nichts auf die Reaktion der anwesenden Frauen zu geben. Seine Aufmerksamkeit galt allein Tuan, der gemeinsam mit seinem Hauptmann am untersten Treppenabsatz des Prunksaaleingangs stand. Wie so oft zierte ein geheimnisvolles Lächeln das Antlitz des Fürsten, das ihm sowohl einen gebieterischen als auch gefährlichen Ausdruck verlieh.

»Wir erwarten Eure Ankunft in spätestens drei Tagen und hoffen, dass Ihr wohlbehalten zurückkehrt.«

»Ja, sicher«, hörte Danielle den Thronerben murmeln, bevor er sich leise räusperte und tief Luft holte. »Ich danke Euch für Eure Wünsche. Lasst Eure Wachen nach uns Ausschau halten.«

Auch wenn sie nur eine einfache Wirtstochter war, konnte sie Derecks Stimme dennoch den übertrieben geschwollenen Unterton entnehmen. Sie wusste, wie sehr er dieses aufgesetzte Geplänkel hasste, wie unwohl er sich in Gegenwart eines Hofstaats fühlte.

Kurz bevor Dereck seinem Pferd den Befehl zum Aufbruch erteilte, fiel ihr Augenmerk ein letztes Mal auf Arios, der dicht neben Tuan stand und sie mit ehrlicher Sorge musterte. Auch wenn sie anfänglich nicht das beste Verhältnis gepflegt hatten, musste sie nun jedoch feststellen, dass sie den Leutnant in gewisser Weise mochte. Er besaß die typisch arrogante und kaltschnäuzige Wesensart der Nordmänner, die Danielle mittlerweile mehr als vertraut erschien. Arios mochte auf den ersten Blick nicht der freundlichste oder gar geselligste Mann sein, doch tief im Inneren verband sie ein gemeinsames Interesse, für das sie beide zu kämpfen bereit waren.

Sie beide wussten, welche Stärke in Dereck verborgen lag, dass er längst zu jenem König gereift war, den Rokarien nun so dringend brauchte, und ihnen war durchaus bewusst, dass sie kaum noch Zeit besaßen, um den Thronerben davon zu überzeugen.

***

Zu Danielles Verwunderung verließen sie Kalidium nicht auf demselben Weg, den sie vor wenigen Tagen gekommen waren. Sie passierten weder das imposante Palasttor noch ritten sie durch die beengte Hauptstraße, auf der sich die vielen Einwohner wie unzählige Ameisen tummelten.

Dereck führte Ventus durch mehrere schmale Gassen, die sich nach wie vor innerhalb der Palastmauern befanden und den Edelleuten wohl einen gesonderten Ausgang aus der Stadt gewährleisteten. Vermutlich, so dachte Danielle, wäre es wohl unzumutbar, von den reichen Herrschaften zu verlangen, sich wie jeder normale Bürger durch die staubigen Straßen zu drängen, um einen Schritt vor die Stadt setzen zu können.

Die kräftigen Pferdehufe hallten wie Donnerschläge von den hohen, mit Efeu bewachsenen Wänden wider und erinnerten die Wirtstochter an den metallischen Klang, wenn Hammer und Amboss aufeinandertrafen.

Sie ritten eine gefühlte Ewigkeit durch den steinernen Irrgarten, bis sie schließlich in einen noch engeren Weg einbogen und auf ein Tor zuhielten, dessen dunkles Holz sich kontrastreich von den hellen Sandsteinwänden abhob. Sie hatten den Ausgang beinahe erreicht, als Dereck mit einem Mal zischend die Luft ausstieß, die Zügel fest anzog und seinen Rappen unter protestierendem Wiehern zum Stehen brachte.

Mit klopfendem Herzen hielt Danielle den Blick geradeaus gerichtet und erkannte erst nach dem zweiten Augenaufschlag die weibliche Person, die plötzlich, und ohne einen Laut von sich zu geben, aus dem Schatten der hohen Mauern trat und ihnen das unbewachte Tor wie auf Befehl öffnete. Das schneeweiße ärmellose Gewand umspielte ihren schlanken Körper auf anmutige Weise, während sie ihren kahl geschorenen, mit fremdartigen Symbolen bemalten Kopf unter einer ausladenden Kapuze verbarg. Die Diuvida musterte sowohl Danielle als auch den Thronerben mit klaren dunklen Augen und bedeutete ihnen mit einer einfachen Geste ihren Weg fortzusetzen.

Die Wirtstochter spürte, wie sich Ventus’ Rückenmuskulatur verspannte, während er sich einen Moment lang weigerte, Derecks stummer Anweisung Folge zu leisten und nervös zu tänzeln begann. Es dauerte mehrere Herzschläge, bis sich das Tier endlich dem Willen seines Herrn beugte und sich widerwillig dem Tor näherte. Danielle konnte Ventus’ Zögern durchaus nachvollziehen, denn auch ihr jagte die Seherin eine unterschwellige Furcht ein. Ihre gesamte Erscheinung wirkte auf sie derart einschüchternd, dass sie es kaum schaffte, ihr ins Antlitz zu blicken.

»Mögen die Götter über euch wachen.«

Die gänzlich emotionslose Stimme der Diuvida ließ sich nur schwerlich mit ihrer zierlichen Statur vereinbaren und doch schien eine Art verborgene Macht in ihr zu ruhen, etwas, das sie von innen heraus durchströmte und jeden ihrer Schritte zu führen schien.

»Und bedenkt, nur gemeinsam wird es euch gelingen, die Prüfung zu bestehen. Ihr seid miteinander verbunden, ebenso wie das Schwert in direkter Verbindung zu den Göttern steht.«

»Danke, wir haben es nicht vergessen«, erwiderte Dereck mit derart scharfem Sarkasmus, dass sich Danielles Nackenhaare sträubten. Sie wusste nicht genau, ob er damit sein eigenes Unbehagen überspielen oder lediglich zum Ausdruck bringen wollte, wie wenig er auf die Worte der Seherin gab.

»Seid auf der Hut, Prinz. Mit jeder Stunde gewinnt das Böse an Kraft und je stärker die Hexe wird, desto weiter reicht ihre Macht.«

Unter gewöhnlichen Umständen hätte Danielle wohl unentwegt über die letzten Worte der Diuvida nachgedacht und sich ihrer aufkeimenden Angst hingegeben, doch noch konnte, nein, wollte sie dieses Gefühl nicht gewähren lassen. Nicht, solange sie von einer solch einzigartigen Schönheit umgeben wurde, die es nun galt, mit allen Sinnen aufzunehmen und für immer im Gedächtnis zu verwahren.

Der Weg durch das unscheinbare Tor führte sie einen schmalen Hügelpfad hinauf, auf dessen höchstem Punkt sie einen wunderbaren Blick auf die Stadt, den angrenzenden Hafen und das endlos scheinende clarisische Meer erhielten. Zum ersten Mal erblickte Danielle den imposanten Ankerplatz, der sich etwas unterhalb der Mauern Kalidiums befand und als Anlaufpunkt unzähliger Schiffe diente. Vollkommen fasziniert ließ sie ihre Augen über die vielen unterschiedlichen Segel schweifen, die sich wie bunte Wolken über den hölzernen Rümpfen erhoben. Manche Schiffe besaßen nur einen einzigen Mast und erinnerten die Wirtstochter an die kleinen Fischerboote, die auch in der Silvaron Region genutzt wurden. Andere hingegen besaßen drei oder sogar vier Masten und schienen höher als die meisten Gebäude in Montelans zu sein. Ihre mächtigen Segel wiegten rhythmisch in der sanften Meeresbrise und wurden von neugierigen Möwen umkreist, deren aufgeregtes Geschrei Danielle sogar aus dieser Entfernung hören konnte. Noch Stunden hätte sie damit zubringen können, dem Ankern und Auslaufen zuzusehen, zu beobachten, wie die Silhouetten der Schiffe hinter dem Horizont verschwanden und sich plötzlich wieder daraus erhoben, doch Dereck ließ Ventus nur einen Augenblick innehalten, bevor sie sich erneut in Bewegung setzten.

Ihr Ziel würde sie von nun an unaufhörlich vorantreiben und keine unnötigen Verzögerungen zulassen. Die Grotte konnte nur wenige Stunden am Tag betreten werden, daher mussten sie unter allen Umständen dafür sorgen, im richtigen Moment anzukommen. Sie durften Varian unter keinen Umständen einen noch größeren Vorsprung einräumen.

***

Kaum hatten sie die karge Hügellandschaft hinter sich gelassen, führte sie ihr Weg am Rande einer schroffen Steilküste entlang. Zu ihrer Linken erstreckte sich das weite Meer in all seiner Pracht. Die Strahlen der hohen Mittagssonne brachen sich glitzernd auf der beweglichen Oberfläche, während der aufkeimende Wind die Wellen unaufhaltsam an die Küste trieb. Am Fuße der Klippe gab es keinen gewöhnlichen Sandstrand, sondern nur einen kurzen Streifen voller Steine und Geröll. Einige Felsen schienen direkt von der Klippe aus ins Meer gestürzt zu sein und verharrten dort als steinerne Wellenbrecher. Die Gischt brach sich schäumend an ihren harten Kanten und ließ dabei ein tiefes Rauschen verlauten, das einer wilden, sich beständig wiederholenden Melodie glich.

Noch nie in ihrem Leben hatte Danielle ein solch widersprüchliches Naturschauspiel gesehen, denn zu ihrer Rechten erstreckte sich eine Landschaft, die das genaue Gegenteil zum wilden Ozean darstellte. Dort gab es nichts außer einem trockenen, rissigen Boden, vereinzelten Sanddünen und einer Dürre, die lediglich vertrocknete Sträucher und totes Geäst hervorbrachte. Es schien, als bewegten sie sich am Rande zweier völlig verschiedener Welten, als würde die Steilküste die Grenze zwischen Leben und Tod bilden, auf deren schmalem Grat sie im wahrsten Sinne des Wortes wandelten.

Obwohl die kühle Meeresluft beständig über Danielles Wangen strich und einen salzigen Geschmack auf den Lippen hinterließ, wurde die Hitze mit jeder verstrichenen Stunde unerträglicher. Elía hatte ihr zwar gezeigt, wie sie ihren Kopf und Teile des Gesichts mithilfe eines breiten Tuches und einer bestimmten Knotentechnik schützen konnte, doch der Schweiß wollte nicht aufhören ihr von der Stirn zu rinnen. Hinter sich konnte sie den schweren Atem von Dereck hören, der sich unter seiner gröberen Kleidung vermutlich noch schlechter fühlte, als sie es inzwischen tat. Seit ihrem Aufbruch hatten sie kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt, was entweder daran lag, dass der Thronerbe seine Kräfte sparen wollte, oder daran, dass ihm in Anbetracht der bevorstehenden Unternehmung keinerlei aufbauende Worte mehr einfielen. Vermutlich lag es an einer Mischung aus beidem.

Unwirsch hob Danielle eine verkrampfte Hand vom Zwiesel und wischte sich über die brennenden Augen. Vorsichtig versuchte sie einen tiefen Atemzug zu nehmen, doch die trockene, salzgetränkte Luft löste ein so heftiges Kratzen in ihrem Hals aus, dass sie einen plötzlichen Hustenanfall nur mit Mühe unterdrücken konnte.

»Ist alles in Ordnung?«

Derecks tiefe Stimme vibrierte an ihrem Rücken und ließ sie sogleich ein wenig steifer im Sattel sitzen. Ein Umstand, den sie aufgrund ihres schmerzenden Hinterteils sofort bereute.

»Wie weit ist es denn noch?«, fragte sie anstelle einer Antwort und räusperte sich sogleich. Sie wollte sich ihre Erschöpfung nicht anmerken lassen, auch wenn sie wahrscheinlich mehr als offensichtlich war. Beim Gott des Waldes, wie konnten die Velduner in einer solchen Region nur überleben? Sie würde wohl keine drei Tage inmitten dieses Backofens auskommen und dennoch wusste sie, dass es hier Menschen gab, die ohne die Vorzüge kühler Palastmauern ihr Leben fristen mussten.

***

Dereck

Ein Blick auf Danielle genügte bereits, um zu wissen, dass sie dringend eine Pause brauchte. Sie mochte mittlerweile zwar eine gewisse Zeit im Sattel überstehen, doch nicht bei diesem Klima. Auch Ventus schnaufte mit jedem Hufschlag ein wenig lauter, während sein schwarzes Fell schweißnass glänzte. Normalerweise hätte er längst eine Rast eingelegt und ihnen ein wenig Erholung gegönnt, doch wenn Dereck ehrlich war, musste er sich bitter eingestehen, dass die Worte der Diuvida ihm mehr zusetzten, als er zugeben wollte.

»… je stärker die Hexe wird, desto weiter reicht ihre Macht.« Beim Sturmgott, er hasste wahrlich nichts mehr als diese kryptischen Aussagen!

Wenn die Seherin etwas wusste, dann sollte sie es sagen. Einfach. Klar. Verständlich. Dieses mystische Geschwätz brachte niemandem etwas, außer dass es seine Abneigung gegen die Diuvida zusätzlich verstärkte. Sein Stolz verbot es ihm, sich vor dem Gerede von höheren Mächten und Magie zu fürchten, und doch konnte er inzwischen nicht länger leugnen, dass er sich vermutlich all die Jahre geirrt hatte. So gern er es auch abstreiten wollte, es sprachen mittlerweile zu viele Fakten dafür, dass diese verfluchte Seehexe tatsächlich existierte. Ein Gedanke, der ihm trotz der brütenden Hitze eine Gänsehaut bescherte.

Mit einem flauen Gefühl im Magen richtete Dereck den Blick geradeaus und erkannte in einiger Entfernung ein paar halb verdorrte Bäume, die aufgrund des stetigen Windes in einer eigenartigen Schieflage gewachsen waren. Sie mochten nicht viel Schatten spenden, doch sie waren besser als nichts und würden für eine kurze Rast genügen.

»Wir machen dort vorne halt«, beschloss er knapp und wich damit bewusst Danielles Frage aus. Er musste ihr nicht unbedingt unter die Nase reiben, dass sie beinahe noch einmal eine so lange Strecke zurücklegen mussten, wie sie es bereits getan hatten.

»Wieso mussten die Götter das Schwert ausgerechnet in dieser Region verstecken? Warum konnten sie es nicht an einem kühleren Ort verwahren?«

Nachdem sie aus dem Sattel gestiegen waren und den ersten Durst gestillt hatten, führten sie Ventus in den dürftigen Schatten der wenigen Bäume und ließen ihn in Ruhe trinken. Wenigstens war Tuan so umsichtig gewesen und hatte ihnen mehrere Wasserschläuche und ein Trinkbehältnis für den Rappen mitgegeben.

»Wahrscheinlich, weil Veldun am weitesten von Cliffhall entfernt liegt«, entgegnete Dereck schulterzuckend, goss sich ein wenig Wasser in seine Handfläche und wischte sich damit über das staubige Gesicht und den versteiften Nacken.

»Aber wer weiß schon, was es damit auf sich hat und wie viel von dieser Legende letztendlich der Wahrheit entspricht.«

»Das Schwert soll deinem Urahn gehört haben, richtig?«, hakte Danielle grüblerisch nach und trat näher an die senkrecht abfallenden Klippen heran.

»Dem ersten König aus dem Geschlecht de Roux, ja«, entgegnete der Thronerbe schnaufend, strich sich das verschwitzte Haar nach hinten und folgte der Wirtstochter. Ihr unbestimmter Blick war auf das Meer gerichtet, das schimmernde Wasser spiegelte sich in ihren hellen Augen wider, während einzelne Strähnen ihres geflochtenen Zopfes mit dem Wind tanzten. Obwohl ihre Wangen von der Hitze gerötet und ihr Kleid nach dem halben Tagesritt ganz staubig war, löste ihr Anblick in Dereck jene wohlige Wärme aus, an die er sich nach all den Jahren noch immer gewöhnen musste. Auch wenn er mittlerweile mehr als deutlich spürte, was er für Danielle empfand, konnte er es noch immer nicht gänzlich in Worte fassen. Vermutlich, weil er noch nie ein solches Gefühl empfunden hatte.

Die Wirtstochter hingegen brauchte keine Erklärungen, um den Emotionen in ihrem Inneren Ausdruck zu verleihen. Sie besah den weiten Ozean mit einer solchen Sehnsucht, einer solch bittersüßen Leidenschaft, dass es keiner Worte mehr bedurfte. Dereck wusste, dass all ihre Gedanken bei ihrer Familie verweilten, dass nichts auf der Welt es schaffen konnte, die Bilder ihrer Liebsten aus ihrem Gedächtnis zu vertreiben, und dass sämtliche Hoffnung nun auf dieser verdammten Waffe lag.

»Aber wenn das Schwert dem ersten König eurer Linie gehörte, wieso ist es dann nicht in eurem Familiensitz geblieben?« Danielle legte nachdenklich die Stirn in Falten und hielt den Blick weiterhin auf die schäumenden Wellen gerichtet.

Dereck dachte einen Moment über diese Frage nach, während er sich die alte Geschichte ins Gedächtnis rief. In Cliffhall war sie über die Jahrhunderte hinweg zu so etwas wie einer alten Volkssage herangereift, einer traditionellen Erzählung, die man gerne abends vor dem Kamin zum Besten gab.

»Wenn man der Legende Glauben schenken will, dann ist die Seehexe ebenso alt wie das Schwert selbst, wenn nicht gar älter. Es heißt, dass sie vor vielen Jahrhunderten versuchte Rokarien mithilfe ihrer Anhänger in Wasser und Chaos zu stürzen. Um dies zu verhindern, wählten die Götter einen jungen König aus und übergaben ihm das Schwert, das der Gott des Sturms selbst geschmiedet haben soll. Mit seiner Kraft schaffte es mein Vorfahre, die Hexe aufzuhalten, doch anstatt sie zu töten, verbannte er sie in einen unterirdischen See, über dem er später Stormarc errichten ließ.«

»Er ließ sie absichtlich am Leben?«

Danielle wandte sich mit konzentriertem Blick zu ihm um und schlang sich die Hände um ihre Mitte. Dereck bestätigte ihre Vermutung mit einem knappen Nicken und nahm einen tiefen Atemzug.

»Manche sagen, er konnte sie nicht töten, weil sie seinen Geist beeinflusst und Mitleid in ihm hervorgerufen hat. Andere behaupten, dass er ihr den Tod absichtlich verwehrte und sie zur Strafe für all ihre grausamen Taten lieber leiden lassen wollte. Sie sollte für immer in diesem See gefangen bleiben und machtlos miterleben, wie das Geschlecht de Roux weiter erstarkte. Man sagt, der König habe unseren Herrschersitz absichtlich über ihrem ewigen Gefängnis erbauen lassen, um seine Macht zu demonstrieren und sie bis in alle Zeit zu demütigen.«

Bis heute wusste Dereck nicht, was er von dieser Geschichte halten sollte. Er hatte sie als Kind so oft gehört und sie immerzu mit seinem Bruder und den Kindern der Bediensteten im Burghof nachgespielt. Ironischerweise hatte er dabei stets seinen eigenen Urahn verkörpert, während Elric nur einen seiner Gefolgsmänner spielen durfte.

»Und was geschah mit dem Schwert?«

Aus seinen Erinnerungen gerissen legte der Thronerbe die Stirn in Falten und schaute nun seinerseits über das weite Meer. Mittlerweile verbanden sich die einzelnen Quellwolken am Horizont zu immer größer werdenden Wolkentürmen, die bis hoch in den Himmel ragten.

»Die Macht des Schwerts blieb nicht lange verborgen und lockte Missgunst und Neid zu Tage. Während der König sich mit seinem Erfolg brüstete, schmiedeten andere Pläne, um ihn zu stürzen. Die Götter erkannten, dass die Waffe zwar das Böse in Schach halten konnte, sie jedoch im selben Zuge das Schlechte im Menschen hervorbrachte. Als abtrünnige Adelige den König während eines Jagdausflugs hinterrücks ermordeten, ging die Krone an seinen jüngeren Bruder über. Das Schwert aber nahmen die Götter zurück in ihre Obhut und verbargen es fortan an einem geheimen Ort. Bis zum jetzigen Zeitpunkt.«

Dereck spürte den kühlen Wind auf seiner Haut, während er Danielle aufmerksam beobachtete. Sie schien jedes seiner Worte genauestens zu verinnerlichen und biss sich dabei auf die Unterlippe.

»Also scheint sich die Geschichte nun in gewisser Weise zu wiederholen«, stellte sie nach einem Moment der Stille fest und schaute ihm direkt in die Augen.

»Es scheint wohl so«, erwiderte er und seufzte leise.

»Allerdings gibt es diesmal einen entscheidenden Unterschied.«

»Und der wäre?«

»Diesmal muss die Seehexe gegen einen weitaus stärkeren und wesentlich attraktiveren Mann kämpfen als damals.«

Ein helles Lachen verließ Danielles Lippen, bevor sie sich die Hände vor den Mund schlug und belustigt den Kopf schüttelte.

»Und gegen einen maßlos arroganten und selbstverliebten Gockel noch dazu.«