Generation arbeitsunfähig - Rüdiger Maas - E-Book

Generation arbeitsunfähig E-Book

Rüdiger Maas

0,0
18,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das große, wissenschaftlich fundierte Debattenbuch zur Generation Z und der Arbeitswelt

Faul, unverbindlich, arbeitsunfähig - der jungen Generation von heute wurde schon viel nachgesagt. In Bezug auf ihre Arbeitsmoral selten Positives. Im Vergleich zu Generationen vor ihr, hat die Generation Z – jene Altersgruppe, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde – eine andere Einstellung zur Arbeit entwickelt: Sie wünscht sich weniger Überstunden, mehr Gestaltungsmöglichkeiten und vor allem Freizeit. Sie strebt nach einer strikten Trennung von Arbeit und Privatem statt des Work-Life-Blendings älterer Generationen, die im Job auch häufig nach der privaten Sinnerfüllung suchen. Gerade weil der Beruf nicht mehr mit Vorstellungen einer sinnvollen Lebensgestaltung vereinbar ist, muss zwangsläufig eine Balance geschaffen werden zwischen der leidvollen Arbeit und dem freudvollen Privaten. Die Zeiten von Workaholics sind vorbei: Dienstwagen, Betriebsausflüge am Wochenende, Workouts mit den Kolleg*innen sind für die Generation Z undenkbar geworden.

Der Bestseller-Autor und Psychologe Rüdiger Maas ist Deutschlands bekanntester Generationenforscher und beschreibt hellsichtig, wie Generationen von unterschiedlichen Denkmustern geprägt werden und welchen Einschnitt die digitalen Medien gebracht haben. Unter Bezugnahme aktuellster Forschungsergebnisse und zahlreicher Interviews bietet er einen lösungsorientierten Blick auf aktuelle Konflikte in der Arbeitswelt. Maas tritt ein für mehr Verständnis zwischen den Generationen und macht deutlich: Wir können am Ende alle profitieren, wenn wir für einen Wandel des Arbeitsmarkts bereit sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 355

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Faul, unverbindlich, arbeitsunfähig – der jungen Generation von heute wurde schon viel nachgesagt. In Bezug auf ihre Arbeitsmoral selten Positives. Im Vergleich zu Generationen vor ihr hat die Generation Z – jene Altersgruppe, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde – eine andere Einstellung zur Arbeit entwickelt: Sie wünscht sich weniger Überstunden, mehr Gestaltungsmöglichkeiten und vor allem Freizeit. Sie strebt nach einer strikten Trennung von Arbeit und Privatem statt des Work-Life-Blendings älterer Generationen, die im Job auch häufig nach der privaten Sinnerfüllung suchen. Gerade weil der Beruf nicht mehr mit Vorstellungen einer sinnvollen Lebensgestaltung vereinbar ist, muss zwangsläufig eine Balance geschaffen werden zwischen der leidvollen Arbeit und dem freudvollen Privaten. Die Zeiten von Workaholics sind vorbei: Dienstwagen, Betriebsausflüge am Wochenende, Work-outs mit den Kolleg*innen sind für die Generation Z undenkbar geworden.

Der Bestsellerautor und Psychologe Rüdiger Maas ist Deutschlands bekanntester Generationenforscher und beschreibt hellsichtig, wie Generationen von unterschiedlichen Denkmustern geprägt werden und welchen Einschnitt die digitalen Medien gebracht haben. Unter Bezugnahme aktuellster Forschungsergebnisse und zahlreicher Interviews bietet er einen lösungsorientierten Blick auf aktuelle Konflikte in der Arbeitswelt. Maas tritt ein für mehr Verständnis zwischen den Generationen und macht deutlich: Wir können am Ende alle profitieren, wenn wir für einen Wandel des Arbeitsmarkts bereit sind.

Autor

Rüdiger Maas, geboren 1979, hat Psychologie in Deutschland und Japan und später nochmals Philosophie studiert. Seit 2012 erforscht er mit seinem Team unter anderem generationenbedingtes Verhalten und gründete hierzu 2017 das Institut für Generationenforschung. Schwerpunkte der Forschung liegen auf der gegenseitigen Beeinflussung der Generationen, etwa in der Erziehung, aber auch beim Umgang miteinander in Unternehmen oder in der Gesellschaft. Rüdiger Maas ist der bekannteste Generationenforscher Deutschlands und hat mehrere Fach- und Sachbücher geschrieben. Maas lebt in Augsburg.

Rüdiger Maas

Generation

arbeitsunfähig

Wie uns die Jungen zwingen,

Arbeit und Gesellschaft

jetzt neu zu denken

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe April 2024

Copyright © 2024: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: © FinePic®, München

Redaktion: René Stein

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

EB ∙ CF

ISBN 978-3-641-31432-3V001

www.goldmann-verlag.de

»Lieber Arbeitgeber,

ich bin nicht hier, weil ich muss,

sondern weil ich mich für dich entschieden habe!«

Deine neue Generation-Z-Nachwuchskraft

»Also bitte schön, wo war dein Dank?«

Deine ehemalige Generation-Z-Nachwuchskraft

Inhalt

Vorwort

Der Nachwuchs

Smartphone, Smartphone in der Hand, wer sind die Faulsten im ganzen Land?

Aliens im Unternehmen …

… mit unangepasstem Verhalten

Die Zeit

New York, New World & New Work

Warum früher nicht alles besser sein konnte …

Der verschwommene Blick auf die Generation Z und Alpha

Wie alles begann …

Das Problem der Generationen heute

Von Millennial bis zu Zillennial: Im Kuriositätenkabinett ist einfach alles dabei

Die Metamorphose

Generation Z, eine andere Jugend

Regeln sind Regeln

Masse muss sein

Die digitale Welt fordert den Mainstream

Von New York zu New Work

Der Spiegel

Durchhaltevermögen? Fehlanzeige!

Ganz so einfach ist das nicht!

Ausschließlich angenehm, bitte!

Die Fehler

Warum machen Firmen heute alles für ihre Bewerber … aber auch wirklich alles falsch!

Das zu perfekte Bewerbungsgespräch

Auf der Suche nach dem »Fehler«

Wir ernten, was wir säen

Denn es kommt auf den Kontext an.

Die Krönung

Könige, Emire und Scheichs auf Arbeitssuche – ein Widerspruch?

Hunde, die beißen, bellen nicht (mehr)

Wenn die Motivation von Goldsäckchen erschlagen wird

Warum wir aufhören sollten, unsere Nachwuchskräfte von vornherein zu demotivieren!

Nimm das, was da ist, denn das kennst du am besten

Die Kinder

Eine ganze Generation ohne Eltern betritt den Arbeitsmarkt

Wenn Eltern zu Fans und Kinder zu Rockstars werden

Eltern und Arbeitgeber zugleich

Kampfkommando Eltern

Stille Hilferufe

Von wütenden Eltern am Spielfeldrand

Die Invasion der anderen

Quo vadis oder Panta rhei?

Die Völlerei

Die gesellschaftliche Mär vom Meer mit immer mehr

Noch ein Brot, noch ein Ei, noch ein Kaffee, noch ein Brei

Können wir noch satt werden?

Die Macht der Auswahl an Bewertungen

Ich bin gekommen, um zu gehen

Der neue Fetisch: Lobe mich!

Der Cyberraum

Was stellt die Digitalisierung mit den Jungen an?

Das Spinnennetz

Warum alte Säcke auf Social Media wirken wie alte Säcke

Die Generation der Technikhörigen

Der große kognitive Unterschied

Die Beispiele

Verpasste Chancen

Der Blick auf die anderen

Die Österreicher

Die Pakistani

Die Tutsi und Hutu

Die Zukunft

Auf der Reise nach Dystopia-Ineffizienzia

Der Blick auf die Ein- und Ausbildung

Was will die nächste Generation?

VUCA, BANI & GEIS

Self-Tracking und die Dystopie der Fehlervermeidung

Das war wohl nix!

Billy-Regal, mehr als ein Burger

Die Entthronung

Leistung, was soll das?

Die Entmachtung des alten weißen Mannes

Der glückliche Sisyphos-Boomer

Piña Coladas

Die Neukalibrierung

Die Revision der Vorbilder

Die Revision von New Work

Die Revision der Hierarchie

Die Revision der Führung

Die Revision der Bewerbung

Die Revision der Leistung

Die Bühne

Theaterstück »Generation arbeitsunfähig«

Der kleinste gemeinsame Nenner

Die Strategie

Die Schlacht

Nachwort

Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Die Situation für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland könnte nicht besser sein: Auf 100 Jobinteressenten kamen in Westdeutschland im Jahr 2022 109,3 und in Ostdeutschland 106,8 Jobangebote. Eine deutliche Verbesserung zu 2019, als 100 Nachfragern 96,7 Angebote in Westdeutschland und 94,7 Angebote in Ostdeutschland gegenüberstanden.1 Abgesehen davon, dass nicht jeder Mensch jede Tätigkeit übernehmen kann und will, hätte 2022 zumindest theoretisch jeder Jobsuchende fündig werden können. Also, alles im grünen Bereich auf dem Arbeitsmarkt?

Ideale Startbedingungen für unsere Nachwuchskräfte, würde man meinen, doch irgendwie sieht es anders aus, als man aus den Daten herleiten würde. Die Fehltage der unter 30-Jährigen vor allem wegen psychischer Belastungen sind aktuell so hoch wie noch nie2. Jeder dritte Studierende der Bachelorabsolventenkohorte hat das Studium abgebrochen. Ähnlich sieht es bei den Ausbildungen aus: Fast ein Drittel bricht ab. 64 Prozent der Abbrecher finden einen anderen Ausbildungsplatz, ein Fünftel wechselt in einen anderen Betrieb, und 14 Prozent machen etwas ganz anderes oder schreiben sich für ein Studium ein.3 Fragt man die ehemaligen Azubis nach den Gründen, nennen sie am häufigsten Konflikte mit Ausbildern und Vorgesetzten, eine schlechte Ausbildungsqualität, ungünstige Arbeitsbedingungen sowie falsche Berufsvorstellungen. Fragt man hingegen die Arbeitgeber, woran es hapert, beklagen die Betriebe mangelnde Motivation der Nachwuchskräfte, geringe Integration in das Betriebsgeschehen sowie falsche Berufsvorstellungen.4 Ein Drittel der Abbrecher ergreift in der Probezeit die Flucht, ein weiteres Drittel im ersten Ausbildungsjahr, und etwa 10 Prozent schmeißen maximal 25 Monate nach Beginn der Ausbildung das Handtuch.5

Wohin wird uns das führen? Und wieso spricht man nicht direkt mit den Beteiligten, sondern nur – vor allem medial – über sie?

Krudeste Theorien zirkulieren als Folge durch die Medien, um die vermeintlich unerklärbare Generation Z (geb. 1996–2010) beziehungsweise unsere heutigen Nachwuchskräfte zu erklären. Sie suchen nach dem Sinn in der Arbeit, so die einhellige Meinung, und kündigen sofort, wenn er ausbleibt (und das natürlich bei gleichzeitiger Work-Life-Separation, so die Erklärungen vieler vermeintlicher Experten). Und tatsächlich findet man im Gesamtvergleich die wenigsten Überstunden bei den unter 25-Jährigen. Nun stehen wir doch vor einem Dilemma, denn erstens, ist es tatsächlich so verwerflich, keine Überstunden zu machen? Zweitens scheint der scheinbare Sinn in der Arbeit pünktlich mit dem Feierabend zu enden. Auch suggeriert dieser Ansatz, dass alle älteren Arbeitnehmer davor sinnbefreiter waren in ihrer Berufswahl, aber dennoch Überstunden machen. Wieso hinterfragen wir plötzlich solche pauschalen und unbegründeten Expertenaussagen so wenig?

All die Dinge, die man zurzeit über die Generation Z so liest und hört, lassen einen eigentlich nur den Kopf schütteln, und zwar über uns Ältere.

Vor Kurzem war ich auf einem Event eingeladen, bei dem ich wieder so ein widersprüchliches Verhalten erleben durfte. Eine junge Dame, die sich selbst als Gen-Z-Fluencer bezeichnete, betrat selbstsicher die Bühne. Die Scheinwerfer auf sie gerichtet, hat die 23-Jährige Lehramtsstudentin 30 Minuten Zeit, das Publikum von sich zu überzeugen. Sie spricht über ihr Leben, ihre Erfahrungen mit älteren Menschen, die ihr, als Stellvertreterin der Generation Z, das Leben schwer machen. Zu groß wären die Vergehen der Boomer gewesen, als dass es die junge Generation heute einfach haben könnte. Gipfelnd in einem Poetry-Slam über Rücksichtslosigkeit im generationellen Zerwürfnis, schließlich habe jeder Mensch eine Chance verdient, geht die Lehramtsstudentin ab. Der vollbesetzte Stadtsaal mit hauptsächlich älteren Zuschauern honoriert ihren Auftritt mit tosendem Applaus.

Selbstsicher steht auch der nächste Vortragende auf der Bühne. Er berichtet über die Merkmale seiner Alterskohorte – der Generation Z. Die zwischen 1996 und 2010 Geborenen müssten ihren Fokus mehr auf Freizeit richten, schließlich sei die Arbeitswelt von Boomern dominiert, die mit ihren eingefahrenen Strukturen jegliche jugendliche Kreativität im Keim ersticken. Nur in der Freizeit können sich die Gen Z’ler ausleben. »Wenn du an dich glaubst, kannst du es aber trotzdem schaffen, dann stehen dir alle Türen offen, du musst nur das Gespür für den richtigen Zeitpunkt haben«, so der 22-jährige Firmenerbe, Studienanfänger der Betriebswissenschaften. Anders als die Boomer müsse man seine Eitelkeiten ablegen, um erfolgreich zu sein: »Work hard, play hard«, ruft er ins Mikro und verlässt unter ebenfalls frenetischem Beifall die Bühne.

Was halten Sie vom Auftritt der 23-jährigen Lehramtsstudentin beziehungsweise Gen Z-Fluencerin, wenn Sie 30 Minuten hören durften, dass sie Gymnasiallehramt studiert und sich vor allem den Chancen von Menschen ohne Schulabschluss verschrieben hat, die in den zwei Dritteln ihrer Sprechzeit nur ihre Sicht auf die Dinge wiedergab und diese Sicht noch ihrer ganzen Generation überstülpte, um dann in einer Art Poetry-Slam für mehr Rücksicht zu plädieren? Und wie gefällt Ihnen der Vortrag des 22-jährigen Studienanfängers, der als Firmenerbe in spe und wohnhaft bei seinen Eltern ganz uneitel zu work hard, play hard aufruft?

Beim Netzwerken und gegenseitigen Kennenlernen im Anschluss der Veranstaltung über »Generationenkonflikte«, bei der ausschließlich Angehörige der Generation Z als Bühnenredner auftraten, mischte ich mich unter das Publikum. Ich wollte wissen, warum die wesentlich älteren Zuhörer, wohl um die Vita der Vortragenden wissend, überdurchschnittlich viel Applaus gespendet hatten. Ob sie ähnliche Widersprüche bei den Vorträgen wahrgenommen hatten oder ob ich in diesem Fall eine zu kritische Sichtweise an den Tag legte? Wieso, trotz allem, der tosende Applaus?

Den gab es, laut der Befragten, nicht für die Originalität der Darstellung, innovative Gedanken oder eine gelungene Bühnenperformance, sondern ausschließlich, weil es junge Leute sind. Das sozial erwünschte Klatschen in allen Ehren, niemand sollte auf der Bühne ausgebuht, gar bloßgestellt werden. Doch wieso spendete das Publikum frenetischen Beifall und stellte keinerlei kritische Fragen an die Referenten, wenn sie die Auftritte mir gegenüber als »belanglos«, »unterirdisch«, »schlecht« oder »einseitig« beschrieben? Wenn es sie störte, dass mittelmäßig gute Gedichte vorgetragen, viel über sich selbst und inhaltslos gesprochen wurde? Wenn sie es widersprüchlich wahrnahmen, dass ein 22-jähriger Unternehmenserbe zu hartem Arbeiten aufruft und eine privilegierte 23-jährige Lehramtsstudentin einseitig Chancengleichheit predigt?

Das Problem ist nicht der Vortrag, sondern das Publikum. Keiner der älteren Zuhörer war bereit, den jungen Akteuren auf der Bühne den Spiegel vorzuhalten. Auch beim Netzwerken im Anschluss ernteten die Referenten den unehrlichen Zuspruch, eine Schar von Zuhörern scharwenzelte um die Vortragenden, um sich für die couragierten Präsentationen zu bedanken – auch die, die mir gegenüber höchstwahrscheinlich ehrlich ihre Meinung bekundet hatten. Am Ende muss man konstatieren: Wirklich ehrlich waren nur die jungen Referenten gewesen, die ihre Perspektive auf die Generationenkonflikte preisgaben, unabsichtlich unreflektiert, da keiner aus dem Publikum den Mumm hatte, ehrliches Feedback abzugeben oder bei den aufgetretenen Unklarheiten und Widersprüchen zumindest mal nachzufragen. Als die jungen Referenten ihren Vortrag zusammengestellt und eingeübt hatten, gaben etwaige Zuhörer einer etwaigen Generalprobe oder die Veranstalter vermutlich auch keine ehrliche Rückmeldung. Anders kann ich mir eine solch desolate Vorstellung nicht erklären. Wer hätte sich noch vor zehn Jahren getraut, das auf der Bühne abzuliefern, geschweige denn in jungen Lebensjahren? Bedauernswert, in was die Alten die Jungen da reingeritten haben.

Gut gedacht, schlecht gemacht, sagt man beim Fußball, wenn die Absicht zu einem guten Pass erkenntlich ist, der Pass aber nicht ankommt. Im Streben danach, die junge Generation zu »empowern«, räumen ältere Menschen Schwierigkeiten aus dem Weg und betätigen sich bereitwillig hier und da als Steigbügelhalter. Sie überbehüten. Die Jungen wiederum haben kaum die Möglichkeit, sich in Auseinandersetzung mit Kritik weiterzuentwickeln, die Herausbildung ihrer Fähigkeiten wird vernachlässigt. Die junge Generation fällt sozusagen der überbehütenden Vernachlässigung der älteren Generationen zum Opfer.

Wie wird das aussehen, wenn die junge Generation eigene Entscheidungen fällen oder auf eigenen Beinen stehen muss, ihr keine helfende Hand gereicht wird und der tosende Applaus ausbleibt?

Genau das scheint einer Influencerin passiert zu sein, deren Video ich in kürzester Zeit aus sämtlichen Kanälen zugespielt bekam. Eine junge Frau, die unter Tränen in die Kamera schluchzt, wie extrem ungerecht die Arbeitswelt ist. Ihr wurden 38.000 Euro Jahresgehalt angeboten, 30 Urlaubstage, wofür sie bitte schön von Montag bis Freitag acht Stunden arbeiten solle. Sie gab einen Einblick in ihre Gefühlswelt: Sie sei nah an einem Nervenzusammenbruch, obwohl sie nichts anderes als nahezu den Alltag eines jeden Arbeitnehmers beschrieben hatte. Ich bekam das Video von vielen Bekannten der etwas älteren Arbeitgeber- und -nehmer-Generation mit dem Hinweis zugesandt, was los sei mit der Generation Z?

Doch was ist wirklich passiert? Vor allem: Was ist mit uns älteren Menschen passiert? Wieso teilen wir ein Video von einer Person, die ja schon eine große Reichweite hat, von der wir aber wissen, sie sollte besser kein Rollenmodel sein? Zudem: Solche Menschen gab es doch immer? Wo sind die Erinnerungen an die Talkshows, in denen Menschen saßen, die ganz Ähnliches von sich preisgaben? Keiner hatte damals die Jugend des Verfalls bezichtigt, sondern man sah die Person als das, was sie war, als Sonderling in einer Talkshow, die genau deshalb dort saß: weil sie ein Sonderling war.

Genau so einen Talkshowgast hatten wir bei uns am Institut für Generationenforschung – Praktikant Simon. Irgendwie scheint es mittlerweile mehr von ihnen zu geben, oder fallen sie immer mehr auf?

Würden wir allen Angehörigen einer Generation einen Stempel aufdrücken, wären wir ähnlich unreflektiert wie die Vortragenden der Veranstaltung zu Generationenkonflikten und diejenigen, die unreflektiert beipflichten. Nein, Pauschalierungen sind nicht unsere Absicht. Unser Praktikant Simon, auf den ich später noch genauer eingehen werde, eignet sich dennoch als Beispiel, weil immer mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, die uns immer mehr befremden.

Um zu verstehen, was gerade passiert, möchte ich Sie auf eine Reise einladen, um die »Generation arbeitsunfähig« zu verstehen. Mit meinem Team aus Soziologen, Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlern und Philosophen aus dem Institut für Generationenforschung haben wir dieses Phänomen nun einige Jahre aus verschiedenen Blickrichtungen erforscht. Ich möchte Sie dazu einladen, unsere Reise mitzugehen und auch durchzuhalten, selbst wenn Ihnen einige Stationen oder ihre Beteiligten sauer aufstoßen werden …

Der Nachwuchs

Smartphone, Smartphone in der Hand, wer sind die Faulsten im ganzen Land?

»Das Wichtigste im Leben ist chillen.

Ich werde nie an Burn-out erkranken

wie all die Boomer, die sich kaputtgearbeitet haben.

Und wofür haben sie das überhaupt gemacht?

Für einen verdreckten Planeten?«

Wenn dieses Zitat bei Ihnen Anklang findet, dann gehören Sie sehr wahrscheinlich der Generation Z, kurz Gen Z, an. Das »Z« in Gen Z, der Sie angehören, wenn Sie zwischen 1996 und 2010 geboren sind, steht sehr wahrscheinlich für »Zombie«, und Sie wandeln – mit Ihrem Blick ans Smartphone gefesselt – ferngesteuert durch die Gegend. Übrigens: Sie sind Teil der faulsten Generation seit Menschengedenken. Zudem fordern Sie Dinge, die Ihnen nicht zustehen, weil Sie über beide Ohren verwöhnt sind. Das lassen Sie sich aber alles nicht gefallen! Sie haben den Alten den Kampf angesagt und denunzieren in »Ok, Boomer«-Videos den verschwenderischen Lebensstil der Babyboomer (geboren in den1950er- bis Ende der 1960er-Jahre), die den Jungen die Zukunft verbaut haben.

Beide werfen sich jeweils die Schuld am Untergang vor, zumindest sieht es gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz so aus. Vor allem in der Arbeitswelt kommt es gegenwärtig zu einer explosiven Gemengelage. Fünf Generationen, von den Babyboomern über die Generationen X, Y, Z bis zu den Jüngsten, der Generation Alpha (ab 2010 Geborene), treffen dort aufeinander. Die Arbeitswelt ist einer der wenigen Bereiche, in denen die Unterschiede gravierend auffallen, denn in der Regel müssen sich Jung und Alt am Arbeitsplatz zusammenraufen. Hier trifft »Das haben wir immer schon so gemacht!« auf »Ich habe zwar noch nie gearbeitet, aber so, wie Sie das machen, kann es nur falsch sein!«.

Doch wohin führt dieses Unverständnis?

Zumindest zu einem enormen Anstieg an Generation-Z-Experten, die Unternehmen diese neue Generation schmackhaft, gar snackable, machen wollen. Oft jedoch vergebens, denn mittlerweile gibt es mehr Experten als Nachwuchskräfte, da die Generation Z seit dem Zweiten Weltkrieg die kleinste Alterskohorte ist.

Aliens im Unternehmen …

Auf eine Praktikumsstelle bei uns im Institut für Generationenforschung hat sich Simon, 25 Jahre alt, beworben. Für sein Studium benötigte er ein Dreimonatspraktikum. Er machte beim Vorstellungsgespräch bei seiner Vorgesetzten Sandra einen sehr guten Eindruck. Als Simon am ersten Tag kam, erzählte er uns von seinem Studentenleben: Geld spiele für ihn keine Rolle, er wohne noch bei seinen Eltern, die mehr oder weniger für alles aufkommen, auch für seine 1.200 Euro teure Uhr, die quasi nur aus einem Armband besteht. An der Stelle, wo eigentlich für gewöhnlich das Uhrwerk sitzt, war nur ein Rahmen – quasi ein Loch ohne Ziffernblatt. Eigentlich konnte man nur sein Handgelenk sehen. »Timeless design«, erklärte uns Simon auf unsere ungläubigen Blicke hin. Eine Uhr, die keine ist – für ältere Generationen wahrscheinlich lediglich ein viel zu teures Armband. Eine Armbanduhr ohne Uhr bleibt für die älteren Generationen schlicht ein Armband, da fehlt es an Fantasie.

Beim Praktikum kam Simon schon am zweiten Tag zu spät. Seine Eltern hätten den Verkehr unterschätzt, sie seien zu spät losgefahren. Spoiler-Alert: Am Ende des Praktikums gab es nur vier Tage, an denen Simon pünktlich war. Die Gründe, warum er vier Mal pünktlich kommen konnte, haben wir nie erfahren. Wir haben uns scherzhaft darauf geeinigt, dass Simon wegen seiner Uhr wohl öfters die Zeit aus den Augen verliert, schließlich ist die ja zeitlos.

Für uns war nahezu alles unverständlich, die komische Uhr, dass ein 25-Jähriger sich von seinen Eltern fahren lässt, dass er sie unverblümt als Ausrede benutzte, wenn er unpünktlich war, dass er prinzipiell zu spät kam, aber immer pünktlich ging, dass er freitags nicht länger als bis 12 Uhr arbeiten wollte, dass er mindestens fünfmal am Tag mit seinen Eltern telefonierte und sein Smartphone wie selbstverständlich benutzte – alles während der Arbeitszeit. Auch, dass seine Eltern ihn mehrmals während der Praktikumszeit im Institut besuchten.

Ein Praktikum, bei dem man etwas lernen möchte, sieht für uns anders aus. Simon wollte auch komischerweise gar nichts lernen, sondern uns erklären, was wir alles besser machen können. Leider war kein Vorschlag brauchbar, was ihn jedoch nicht davon abhielt, uns täglich mit neuen Vorschlägen zu »beglücken«. Hinweise auf seine Orthografie- und Grammatikschwäche schob er auf sein Gymnasium, wo man angeblich nie auf Rechtschreibung Wert gelegt habe. Simon war kurz vor seinem Bachelorabschluss und hatte keine einzige Aufgabe ohne Logik- und Rechtschreibfehler erledigt. Das Skurrilste aber ereignete sich schon in der ersten »Arbeitswoche«. Simon fragte am Ende seines dritten Arbeitstags, ob er den Standrechner, der ihm zugewiesen wurde, in einen großen Rucksack packen könne, den habe er eigens für den Transport nach Hause mitgebracht. Er wolle morgen Homeoffice machen und nehme den Rechner deshalb am besten gleich mit … Homeoffice war für einen Praktikanten gar nicht vorgesehen. Auf die Nachfrage, wie er auf die Idee komme, antwortete er, dass jeder Mensch jederzeit Homeoffice machen kann in Deutschland …

Wow, was war denn das alles? Wer kommt auf die Idee, einen Standrechner mit nach Hause zu nehmen oder einfach remote zu arbeiten, wann immer man will?

Waren wir weltfremd und spießig, dass wir all das seltsam fanden? Eine Uhr, die keine war, ein Praktikum, das keines war, ein Akademiker, der nicht erkennbar war, ein Erwachsener, der sich von seinen Eltern immer noch bedienen lässt und sie als Sündenböcke benutzt?

War sein Verhalten typisch, atypisch oder irgendwo dazwischen? Wir hörten immer wieder von solchen und ähnlichen Fällen, aber so können doch bei Weitem nicht alle sein? Hatten wir also Pech gehabt? War sein Verhalten nicht an die Arbeitswelt angepasst, oder müssen wir uns als Arbeitgeber anpassen? War er einfach zu ehrlich, zu direkt, zu naiv oder unwissend? Oder alles in einem?

Nun, er war vor allem eines, er war für uns extrem. Nur darf man eben nicht von einer sich außerhalb der gängigen Norm verhaltenden Einzelperson auf eine ganze Gruppe schließen, natürlich nicht! Es war nicht typisch für diese Generation, es war erst mal typisch Simon.

… mit unangepasstem Verhalten

In meiner ersten Stunde Klinische Psychologie im Studium wurden wir mit Aussagen von Patienten konfrontiert, die wir nach Wahrheitsgehalt bewerten sollten. Bei der Auflösung dann die große Überraschung: Es ist nicht möglich, herauszufinden, ob etwas stimmt. Denn jeder Mensch nimmt die Umgebung anders wahr. Wir alle haben eine »Brille« mit einer individuellen Tönung auf, mit der wir unsere Umgebung betrachten. Es gibt – mindestens – so viele Wahrheiten wie Menschen.6 Die meisten Menschen nehmen die Welt ohne Scheuklappen wahr: Sie können in alle Himmelsrichtungen schauen, das heißt, sie nehmen ihre Umgebung wahr und richten ihr Verhalten nach ihrer Umgebung aus. So wie Sandra, die Vorgesetzte von Simon, die sich, als sie selbst einst Praktikantin war, die Verhaltensrichtlinien im Unternehmen aneignete, auf den Dresscode bei Veranstaltungen außer Haus achtete und ihrer Ausbilderin aufmerksam beim Telefonieren zuhörte, um es selbst richtig zu machen.

In der Vorlesung wurden wir ein zweites Mal überrascht. Es gibt anscheinend drei Gruppen, deren Verhalten umgebungsunabhängig sein kann. Sie verhalten sich in einer bestimmten Weise, egal, ob etwas in ihrer Umgebung anders ist oder nicht, und sagen somit umgebungs- und situationsunabhängig aus ihrer Sicht unverblümt die Wahrheit und handeln entsprechend: Dazu gehören Menschen im Drogenrausch (wie Alkohol – nicht umsonst lautet die lateinische Redewendung in vino veritas), Kleinkinder oder Schizophrene. Heute würde ich noch Mitglieder der Generation Z in der Arbeitswelt ergänzen, die zwar nüchtern, erwachsen und nicht pathologisch auffällig sind, sondern einfach nur Generation Z. Die ihren Stiefel durchziehen, egal ob es für die Älteren gerade passend ist oder nicht. Genau diese Attitüde kommt bei den Älteren als unverfroren, zu »ehrlich« oder unangepasst direkt an. Sie ecken an. Es könnte aber auch eine bedingungslose Authentizität sein, denn je nach Generation betrachten wir die Umgebung anders, und Simon zum Beispiel ist mit dem, was er tut und macht, innerhalb seiner Wahrnehmung der Umgebung im Reinen. Vielleicht nimmt er aber nur bedingt Dinge wahr, die für ältere Generationen im Fokus standen und immer noch stehen, wie Etikette oder Verhaltensnormen gegenüber Vorgesetzten. Eventuell ist sein Blick nur ein anderer, er nimmt Dinge, die wir als wichtig erachten, weniger intensiv wahr – und umgekehrt.

Der gleiche Simon hatte am Tag, als er Homeoffice nehmen wollte, Lust auf Pralinen, also hat er sich eine Schachtel aus dem Instituts-Kühlschrank geholt, aufgemacht und Stück für Stück allesamt aufgegessen. Sie waren nicht nur schön verpackt, sondern als Geschenk für einen Kunden gedacht. Dass das seiner Vorgesetzten Sandra, die den Kunden beschenken sollte, aufstieß, war für ihn unverständlich. Er hatte nämlich nicht daran gedacht, dass die Pralinen jemand anderem gehören könnten, als er die ganze Packung auf einmal leer gegessen hat … Er hatte dabei anscheinend überhaupt nicht gedacht, schließlich war er eine Stunde allein in seinem Arbeitszimmer, da seine Vorgesetzte ein Meeting hatte; ganz im Gegenteil: Er verstand die Aufregung nicht, man könne doch neue kaufen. Simon kam drei Monate nicht auf die Idee, dass er dieser »man« sein könnte …

Egal, wie lange beziehungsweise kurz die Gen Z’ler in der Arbeitswelt sind und wer ihnen gegenübersteht, diese Direktheit, Ehrlichkeit oder aus Sicht von Sandra eben Unverfrorenheit kennt keine Hierarchien oder Grenzen und hatte bisher kaum Konsequenzen. Das berichten nun auch immer mehr Unternehmen. Simon war anscheinend keine Ausnahme, kein Einzelfall, sondern eine Anhäufung von nicht nachvollziehbaren Handlungsweisen unserer heutigen Nachwuchskräfte. Eine neue »Norm«?

Dabei dürfen wir jedoch nie vergessen, diese »Norm« ist so geworden, wie wir Älteren sie geformt haben. Es ist auch unsere Suppe, und wir müssen sie auslöffeln, auch wenn sie manchmal fad schmeckt.

Es ist wünschenswert, wenn Mitarbeitende und Mitmenschen immer ehrlich und direkt sind, wenn sie ihre Meinung und ihr Unbehagen äußern können, und zwar zu jeder Zeit. Das Problem ist nur, wenn das in einer Form stattfindet, die anderen schadet. Dann, wenn beispielsweise Daten auf Social Media landen. Es hätten auch weitreichendere Folgen eintreten können, man stelle sich vor, welchen Schaden Simon angerichtet hätte, hätte er den PC mit nach Hause genommen, jemand anderes zu Hause hätte ihn genutzt und/oder sein Computer wäre gehackt worden. Der Schaden, den der Missbrauch sensibler Daten anrichtet, ist keineswegs nur finanzieller Natur, sondern schädigt in erster Linie andere Menschen. Aber in Simons Fall mussten natürlich auch die Pralinen neu gekauft werden, schließlich hat sie seine Vorgesetzte Sandra aus eigener Tasche bezahlt … Von Simon bis zum Ende hin keinerlei Einsicht.

Das ist ein Phänomen, welches vielen Unternehmen mittlerweile Kopfzerbrechen bereitet. In einer großen Privatklinik führte ich Gespräche mit dem Eigentümer und jeweils einzelnen Mitarbeitern. Wir wollten herausfinden, wie wir die Organisation auf neue Beine stellen können. Eine junge MTA7, die seit einem Jahr mit ihrer Ausbildung fertig und direkt übernommen worden war, antwortete auf meine Fragen, wie sie es in der Klinik fände, direkt mit Kritik. Sie habe im ersten Jahr der Übernahme keine einzige Fortbildung wahrnehmen können, und obwohl dies zum Teil auch ihr Verschulden war, da sie sich nicht dafür angemeldet hatte, warf sie dies dem Inhaber direkt vor. Er hätte sich darum kümmern müssen, schließlich brauche sie einige Zertifikate und Zusatzausbildungen, um bei anderen Einrichtungen höher einsteigen zu können. Das Ganze bitte zeitnah, denn sie sei schon auf Stellensuche … Und hier war er wieder, der Cocktail aus Ehrlichkeit, Direktheit, Forderung, Frechheit und Unverfrorenheit, ja auch irgendwie Naivität, der für uns Ältere so nach »Unverständnis« schmeckt. Der Eigentümer hatte das Verhalten der MTA als Frechheit empfunden, was die junge Mitarbeiterin verwunderte.

Das ist sie, die Generation Z, aus den Augen der Älteren: fordernd, frech und faul, die am liebsten nur halbtags arbeitet, sodass das Pendel der Work-Life-Balance sehr stark Richtung Life ausschlägt.

Wir, eine Gruppe von Soziologen, Psychologen, Philosophen sowie Wirtschafts- und Erziehungswissenschaftlern vom Institut für Generationenforschung, untersuchen seit vielen Jahren die Generation Z mit Fokus auf den Arbeitsmarkt. Ich möchte Ihnen in diesem Buch die Ergebnisse unserer Forschungen, die Perspektive der Jungen sowie die veränderten Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens näherbringen. Aber auch die Fragen beantworten:

Was ist dran an dem Gefühl, dass die heutige Jugendgeneration anders tickt? Wie sollten wir ihr begegnen? In diesem Buch nehme ich Sie mit auf eine Spurensuche. Anhand von einigen Protagonisten erfahren Sie, warum die heutigen Nachwuchskräfte so sind, wie viele von uns sie wahrnehmen, aber auch, inwieweit wir sie in der Regel richtig und wo falsch wahrnehmen – oder zumindest meinen, sie richtig wahrzunehmen. Zudem, wie sehr all das unsere Gesellschaft verändern wird. Das Buch soll Ihren Blick schärfen auf die Neuen, auf uns und unsere Gesellschaft, aber auch auf die Reise, auf die wir alle gemeinsam gehen werden. Um das zu ermöglichen, müssen wir viele verschiedene Blickwinkel einnehmen.

PS: Bei Personen, die mir real begegnet sind, habe ich lediglich den Namen geändert … Auch ihnen wünsche ich viel Spaß beim Lesen

Die Zeit

New York, New World & New Work

Vieles haben die geleistet, die vor uns gewesen sind; aber sie haben es nicht zu Ende geleistet.

Lucius Annaeus Seneca

Talkshows sind voll mit den verschiedensten Politikern, Unternehmern, Interessensvertretern, Schauspielern oder anderen Meinungsträgern, die davon überzeugt sind: Deutschland ist dem Untergang geweiht, wir haben die schlechtesten PISA-Ergebnisse und auch die verwöhnteste Generation, die es jemals gab und auf den Arbeitsmarkt … nun ja, drängt. Und endlich haben sie hierfür einen Namen: Generation Z. Die Angehörigen dieser Generation können nicht richtig arbeiten, denn Bewerber werden immer dümmer, fauler und haben immer weniger Durchhaltevermögen. Medien nehmen diese Zitate gerne als Headline auf, um mehr Klicks zu bekommen – da man ohnehin nur den Titel sowie die ersten zwei Sätze lesen kann, reicht »Gen Z« als Buzzword: Natürlich möchte man dann mehr wissen! Clickbaiting eben. Aber das Schimpfen auf die aktuellen Nachwuchskräfte gab es schon immer, nur mittlerweile hat es eine Dimension angenommen, die mich bewegt hat, dieses Buch zu schreiben.

Man sieht den Berg nicht, wenn man auf ihm steht, lautet eine alte buddhistische Weisheit. Ganz diesem Spruch folgend, begeben wir uns nun auf die Reise. Und dafür müssen wir ein halbes Jahrtausend in die Vergangenheit. Wir befinden uns nun nicht mehr in der Talkshow, sondern im toskanischen Chianti des 15. Jahrhunderts. Den Seefahrer Giovanni da Verrazzano ereilte ein Auftrag aus dem fernen Paris, und zwar direkt vom französischen König Franz I. Er wurde für eine beachtliche Entlohnung beauftragt, eine nördliche Seeroute nach Asien zu finden. Giovanni da Verrazzano aus Chianti war nicht irgendwer, sondern genau der richtige Mann für diese Mission, denn es ging um zukünftigen Handel und Gewinn, wofür man jemanden mit hervorragenden Seefahrer-Kenntnissen brauchte. Auf dieser Mission stieß Giovanni da Verrazzano zufällig auf die Bucht von New York. Eigentlich sah er nur einen kleinen Teil der Bucht: Er bekam weder die Insel noch die damaligen Bewohner zu Gesicht, die Lenni Lenape – auch bekannt als Delawaren –, die diese Insel »Manna-hatta« nannten. Das war auch nicht Teil seiner Mission. Dennoch war Giovanni da Verrazzano nach unseren Geschichtsbüchern der erste Fremde, der dort vorbeisegelte. Lange nach da Verrazzanos Tod und etwa achtzig Jahre nach seiner Entdeckung der Bucht von New York landete der nächste bekannte Seefahrer dort an: niemand Geringerer als der Engländer Henry Hudson, der wiederum holländische Auftraggeber hatte und nun auf die Delawaren traf. Seinen Auftraggebern berichtete er von einer Unmenge an Bibern und Ottern auf Manna-hatta, mit deren Pelzen und Fellen man doch sehr gut ein Vermögen machen könne. Es dauerte aber weitere zwanzig Jahre, bis die Holländer einen Handelsposten auf Manna-hatta errichteten. Langsam ließen sich auch europäische Siedler dort nieder. Ein Jahr später kaufte der Deutsche Peter Minuit, der Generaldirektor der verantwortlichen Westindien-Handelsgesellschaft war, den Delawaren die beschriebene Insel Manna-hatta ab. Er taufte die entstandene Siedlung in »Nieuw Amsterdam« beziehungsweise »Neu-Amsterdam« um.

In den Folgejahren kam es immer wieder zu Korruption und Kämpfen rund um die Siedlung Neu-Amsterdam. Erst unter dem niederländischen Generaldirektor Petrus Stuyvesant, der 1647 seinen Dienst antrat und mit der Verwaltung der Insel betraut wurde, ging es wieder bergauf mit Neu-Amsterdam. Er ließ einen Hafen bauen und errichtete neben einem Straßennetz auch Krankenhäuser und viele Gebäude, die die Siedlung langsam zu einer zeitgemäß entwickelten Stadt anwachsen ließ. Das damals angelegte Straßensystem kann man stellenweise heute noch bewundern. Bald stellte sich auch wirtschaftlicher Erfolg ein, der wiederum Begehrlichkeiten bei den Engländern weckte, die etwa siebzehn Jahre später mit vier Kriegsschiffen und etwa zweitausend Soldaten dort anlegten. Stuyvesant hatte keine Lust auf einen Konflikt und ergab sich kampflos.

Nun waren die Engländer am Zug. Als Erstes tauften sie Neu-Amsterdam in »New York« um. Die Siedlung sollte nach dem Herzog von York, Bruder des damaligen englischen Königs Karl II., benannt werden und nicht länger holländisch klingen.

Von Manna-hatta nach Neu-Amsterdam hin zu New York: eine bewegte Ortsgeschichte mit wechselnden Akteuren, Inselbesitzern, Nationen und Namen – aber dennoch immer die gleiche Insel beziehungsweise der gleiche Ort, der aber einen Veränderungsprozess durchläuft und sich heute zu einer der bekanntesten Metropolen der Welt gemausert hat. Über die Delawaren spricht man heute kaum noch. Gehört hat man in der Regel aber vom Bundesstaat Delaware sowie dem Hudson-River oder der Zigarettenmarke Stuyvesant. Menschen, die nahe der Bucht lebten, die die Veränderung von Manna-hatta über Neu-Amsterdam hin zu New York miterlebt hatten, und deren Nachfahren, die heute in einer prosperierenden Stadt leben, schätzten die verschiedenen Errungenschaften jeweils auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Jene, die die Entwicklung von Beginn an miterlebt hatten, wussten die Straßen viel mehr zu schätzen als jene, die New York nie anders kennengelernt haben. Aber dürfen wir den Neuen vorwerfen, nicht zu erkennen, was die Alten mitaufgebaut haben?

Auf eine bewegte Geschichte können auch die meisten Unternehmen zurückblicken. Sie durchlaufen oft verschiedene Firmenkulturen, haben die unterschiedlichsten Mitarbeiter und Führungsstile. Auch Mitarbeiter, die lange in einem Unternehmen sind, erleben die verschiedensten Perioden des Unternehmens. Sie empfinden meist den zweiten Abschnitt als den besten, und danach geht es bergab. Früher, da wurde man noch als Mensch wahrgenommen. Oft war es genau diese Zeit, die nicht sehr dafür bekannt war, dass die Mitarbeiter wertgeschätzt wurden. Aber so weit das Narrativ: Für viele, vor allem für die Generation der Babyboomer, gehörte es zu einer normalen Biografie, lange in einem Unternehmen zu verweilen. Stolz blicken sie auf dreißig Jahre Arbeitszeit im gleichen Unternehmen zurück. Ein Phänomen, das den meisten heutigen Nachwuchskräften nicht mehr erstrebenswert erscheint.

Zurück zur Talkrunde, in der immer noch die gleichen Gäste, alle Ü50 und kein Vertreter der Generation Z, über die faule Jugend schimpfen. Als Vergleich bewusst keine typische Unternehmenserfolgsgeschichte, in der ein junger Millennial-Nerd in der Garage seines Vaters herumtüftelt, ohne einen Cent in der Tasche, dreimal scheitert und beim vierten Mal mit wenigen Klicks ein Weltunternehmen errichtet. Dass es der Nerd ohne Finanzspritzen von Eltern und Business Angels einfach geschafft hat, weil er an sich glaubte und effektiv aus Niederlagen lernen konnte, stimmt in den meisten Fällen sowieso nicht, auch wenn man es immer und immer wieder hört. Oft werden Mithelfer und Supporter ausgeblendet, beim Storytelling geradezu aus dem Unternehmen entsorgt. Und ganz so »anständig« verlief dann die Unternehmensgenese der Vorzeige-Heroes eben doch nicht.

In unserer Arbeitswelt haben viele Firmen ähnliche Veränderungsprozesse durchlaufen, wie es die Geschichte von New York oder vielen anderen Städten erzählt. Es gibt Zeitpunkte und Perioden, in denen das Unternehmen einen Entwicklungssprung macht, wieder zu alten Strukturen zurückkehrt oder die Strategie komplett neu auslegt. Die langjährigen Angestellten einer schnell wachsenden Firma können das miterlebt haben. Mit der Zeit änderten sich nicht nur die Bedingungen, sondern auch die Arbeitsbeziehungen. Heutige Nachwuchskräfte kennen die Entwicklungsgeschichte nicht. Sie finden eine bestimmte Struktur vor, die aus ihrer Sicht vielleicht keinen Sinn ergibt und verkrustet wirkt, aber historisch gewachsen ihre Berechtigung hat. Oft finden sie Boomer vor, die von der Vergangenheit schwärmen. Aber ist es wirklich gerecht, wenn die Boomer in der Vergangenheit mitgestalten durften, gleichzeitig aber den jungen Gen Z’lern das Mitgestalten mit der Begründung der eigenen Historie verwehren?

New York änderte sich in unserer Beispielbeschreibung durch die jeweiligen Besitzer und deren Kultur und vor allem deren Geldgeber, nicht unbedingt durch die Siedler selbst, die kamen zu Beginn ja versetzt. Wären hier die Siedler nun stolz auf die Straßen, war es nur bedingt ihr Verdienst, was das Einfordern des Erkennens dieser Leistung für die neuen Stadtbewohner ebenfalls erschweren könnte.

In unseren Befragungen erleben wir aber immer wieder genau das. Die Jungen fordern Veränderungen, während sich Ältere vehement wehren, die Stellschrauben der Veränderung anzufassen, und jedes Nachjustieren verhindern. Dabei kommunizieren Jung und Alt mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, verwenden Logiken und Konstrukte der jeweiligen Zeit, die aber mit denen der anderen Kohorten nicht kompatibel sind. Die Älteren berichten gerne aus der unglaublich schweren, hart verdienten und paradoxerweise gleichzeitig großartigen Vergangenheit. Doch genau das ist es, was die Jüngeren nicht nachvollziehen können oder bei ihnen nicht als Argument zählt. Kann ich jemandem, der im heutigen New York aufwächst oder dort hinzieht, vorwerfen, dass er die dortigen Straßen nicht wirklich zu schätzen weiß, wenn er keine Ahnung von der Geschichte von Neu-Amsterdam hat? Und selbst wenn er die Geschichte kennt, kann es nicht auch sein, dass er oder sie sich in New York wohlfühlt, ohne dass ihm die Straßen wichtig sind?

Es ist großartig, wenn Mitarbeitende stolz sind auf das, was entweder sie, die Kollegen, die Unternehmensleitung oder andere Akteure im Unternehmen geschafft haben. Für die Jungen ist das alles aber oft sehr schwer nachzuempfinden, da es sehr wenig Räume in ihrer Lebenswirklichkeit gab, die sie erst erschaffen mussten. Vieles war für sie gefühlt schon immer da. Für die dritte Generation sind Straßen so normal, dass diese wertzuschätzen keinen Sinn ergeben würde. So wie es für die Delawaren völlig normal war, in der Bucht zu jagen.  

Warum früher nicht alles besser sein konnte …

»Dreifach ist der Schritt der Zeit:

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,

Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,

Ewig still steht die Vergangenheit.«

Friedrich Schiller

Wenn Gen Z’ler über Boomer schimpfen, blenden sie oft aus, dass die Zeit, die sie heute vorfinden, anders ist als die der jugendlichen Boomer; somit folgt oft ein kontrafaktischer Vorwurf. Wenn Boomer über Gen Z’ler schimpfen, wie schlecht es heute sei und wie gut es früher war, sprechen sie in der Regel über vermeintliche Erinnerung, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit so gar nicht abgespielt hat.

Wenn wir von früher schwärmen, beschreiben wir in der Regel ein Fantasiekonstrukt mit nur bedingt tatsächlich so erlebten Anteilen. Unser Gedächtnis ist flexibler, als die meisten Menschen glauben. Das sogenannte autobiografische Gedächtnis, das wichtige Erinnerungen abspeichert, speichert nicht jeden Tag minutiös genau ab, wie wir den Moment der Abspeicherung objektiv aus allen Perspektiven erlebt haben8. Zudem ändert sich der abgespeicherte Inhalt mit jedem neuen, der dazukommt. Und erleben wir immer das Gleiche, fasst unser Gehirn gerne mal zusammen. Alles in einem Ordner und ab in den kognitiven Speicherschrank. Auch die Emotionen, die wir rückblickend mit einem bestimmten Ereignis verbinden, können sich ändern, was den Inhalt des scheinbar Erlebten gravierend beeinflussen kann. Neben emotionalen Veränderungen speichern wir Dinge je nach Lebensalter anders ab. Theoretisch können wir uns zum Beispiel gar nicht an die Zeit vor dem dritten Lebensjahr, die Phase der »infantilen Amnesie«, erinnern. Meinen wir doch, uns erinnern zu können, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um »Fabulierungen«. Viele Teile unserer Erinnerung sind oft nur fragmentiert verfügbar, Erinnerungslücken werden dann gerne mit neuen, oft auch anderen Inhalten geschlossen. Das macht es für uns greifbarer. Ähnlich einer Knetmasse, die mit jedem neuen Druck eine andere Form annimmt, aber stets die gleiche Knetmasse bleibt. Dieser Mechanismus geschieht in vielen Bereichen zu großen Teilen unbewusst, in Experimenten konnte man dieses Phänomen gut belegen. Probanden bekamen die Aufgabe, sich an erzählte Geschichten zu erinnern. Viele von ihnen integrierten diese im späteren Verlauf als ihre eigenen Erfahrungen und Konzepte in ihre Erzählungen, wodurch die Geschichte durch andere Details und Merkmale als in ihrer ursprünglichen Fassung ausgeschmückt wurde. Jedoch folgen diese Beschreibungen oft einem kulturellen Muster9. Wir erfinden uns also täglich neu, indem wir – oft unabsichtlich – dann Personen, Dinge, Ereignisse oder Handlungen hinzu- oder wegnehmen, um Erinnerungslücken zu schließen. Um am Ende eine logische Geschichte von uns selbst zu erhalten. Oft sind wir uns dann relativ sicher und meinen, es hätte all dies wirklich gegeben. Besonders intensiv sind unsere Erinnerungen an die Zeit zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr, also genau an das Alter, in dem die Generation Z beziehungsweise unsere jungen Nachwuchskräfte in die Arbeitswelt eintreten oder studieren. Diese Zeit wird Reminiscence Bump, zu Deutsch Erinnerungshügel, genannt. Der Hügel ermöglicht kognitiv-emotionales Wiedererleben persönlicher Ereignisse, die in dieser Zeitspanne stattgefunden haben10. Grund hierfür ist, dass sich das menschliche Gehirn in dieser Altersspanne noch in der Entwicklungsphase befindet, es macht in dieser Zeit sogar den größten Wachstumsschub im Laufe seines gesamten Lebens11: Erfahrungen und Lernvorgänge schlagen sich in neuronalen Strukturen nieder, die alle weiteren Lernprozesse bis zum Erwachsenenalter wesentlich beeinflussen können12, da die Reifung des Gehirns erst mit Beginn des Erwachsenenalters abgeschlossen ist.

Die Aussage »früher war alles besser« ist tatsächlich nicht aus der eigenen Erfahrung heraus beurteilbar, auch wenn wir ganz fest davon überzeugt sind. Vor allem bezogen auf die Generation Z hört man auch außerhalb von Talkshows und Leitmedien nicht selten die vermeintliche Feststellung: »Mit den heutigen Nachwuchskräften wird es bezogen auf die Arbeit immer schlimmer und schlechter!« Gefolgt von der Frage: »Wo soll das nur hinführen?«

Diese Aussagen und Fragen ergeben genauer betrachtet keinen Sinn. Sie sind rückblickend ebenso wenig zu beantworten, wie es eine lineare Steigerung des »Schlechter-Werdens« geben kann. Wenn es heute besser ist als morgen und morgen besser als übermorgen, müssen wir nur zurück in die Vergangenheit gehen, um den Optimal-Zustand zu finden: quasi einen Nullpunkt, einen Anfang, an dem alles perfekt war und von dort ausgehend mit jeder vergangenen Minute immer alles schlechter wurde. Gäbe es so einen Zeitpunkt, wieso nutzen wir ihn nicht als Blaupause und versuchen diesen wiederzubeleben?

»Make America great again« war Donald Trumps Slogan im Wahlkampf um die US-amerikanische Präsidentschaft 2016. Das hat super funktioniert, er wurde Präsident. Niemand hatte anscheinend darüber nachgedacht, wann Amerika eigentlich wirklich »great« war! Trump musste auch nicht mal ein Beispiel aus der Great Time nennen oder Handlungsanweisungen liefern, um diese Great Time gedanklich wieder aufleben zu lassen. Es reichte allein die fiktionale Vorstellung, dass es anscheinend in den USA einmal einen Nullpunkt der absoluten »Great-Haftigkeit« gab.

Bezogen auf New York: Wann genau könnte dieser Zeitpunkt für New York gewesen sein? Wann war New York wirklich great und für wen? Wann für die Delawaren, wann für die Italiener, die Franzosen, die Niederländer, die Engländer oder die Deutschen?

McTaggart (1866–1925), ein Philosoph aus Cambridge, führte weit vor Donald Trumps Geburt die Bezeichnungen »A-Reihe« und »B-Reihe« für eine Betrachtungsweise einer zeitlichen Ordnung von Ereignissen ein. In der A-Reihe geht man davon aus, dass Ereignisse im Fluss sind: Sie bewegen sich von der Zukunft in die Gegenwart und verbleiben schließlich in der Vergangenheit. In der A-Reihe sind die Ereignisse gemäß ihrem Eintreten natürlich geordnet: Für jedes Paar verschiedener Zeiten, t1 und t2, ist entweder t1 früher als t2 – oder umgekehrt. So würden die Boomer zum Beispiel sagen: »Früher war alles besser als heute.« Das Alles im Früher, das die Babyboomer erlebt haben, ist der Referenzpunkt, an dem sie das Alles im Heute messen. Die A-Reihe erlaubt uns »zeitformbehaftete« Aussagen, sogenannte tensed propositions, die ihren Wahrheitsgehalt mit der Zeit ändern. Denn je nachdem, ob ein Boomer oder Gen Z’ler die Aussage trifft, bedeutet »Früher war alles besser als heute« etwas anderes. Das Früher der Babyboomer fand zu einem anderen Zeitpunkt statt als das Früher der Gen Z’ler (was in der Regel oft nur Erlebnisbeschreibungen der eigenen Kindheit sind). Die B-Reihe dagegen setzt die Ereignisse an bestimmte Positionen, die unabhängig von der Zeit und vom Sprecher sind. Mit der B-Reihe können wir sagen, dass der Tag der Arbeit am 1. Mai 2024 nach dem Tag des Deutschen Bieres am 23. April 2024 stattfindet. McTaggert nennt die Aussagen auch tenseless propositions,