Generation lebensunfähig - Rüdiger Maas - E-Book + Hörbuch

Generation lebensunfähig Hörbuch

Rüdiger Maas

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Beschreibung

Emma ist erst vier Jahre alt, aber ihre Datenspur im Internet reicht schon viel weiter zurück. Bereits das erste Ultraschallbild haben ihre Eltern bei Instagram gepostet. Der Kinderwagen hat 2000 Euro gekostet. Museum, Zoo, Kindertheater, Frühenglisch und Karatekurs – all das muss Emma mit vier schon erlebt haben. Statt ihr Kind zu erziehen, überschütten die Eltern es mit Liebe, Geschenken und Optimierungen. Erzieher berichten, dass viele Kinder heute später trocken werden, nur in 2-Wort-Sätzen sprechen oder sich nicht selbst anziehen können. Jugendliche verbringen längst vier bis sechs Stunden täglich am Handy und entgleiten so in die Parallelwelt des Internets. In der realen Welt hingegen tun sie sich schwer, die Ablösung von den Eltern will nicht gelingen und so sitzen diese inzwischen sogar bei Bewerbungsgesprächen oder im Hörsaal der Uni mit dabei. Die Studienergebnisse von Rüdiger Maas sind schockierend: Die nächste Generation ist deutlich weniger selbstständig und leistungsfähig, immer mehr Kinder leiden an Angststörungen und Depressionen. Messerscharf analysiert der Generationenforscher, Psychologe und zweifache Vater die Nöte unserer Kinder und entwirft ein Zukunftsszenario, das großen Anlass zur Sorge gibt. Dabei verbindet er fundiertes Fachwissen und umfangreiche eigene Forschungen mit authentischen Beispielen aus dem Alltag.

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Zeit:8 Std. 35 min

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Rüdiger Maas

Generation lebensunfähig

Wie unsere Kinder um ihre Zukunft gebracht werden

Originalausgabe

1. Auflage 2021

© 2021 by Yes Publishing – Pascale Breitenstein & Oliver Kuhn GbR

Türkenstraße 89, 80799 München

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Ivan Kurylenko (hortasar covers)

Layout und Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-96905-071-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96905-073-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96905-072-9

Inhalt

Vorwort

Eine neue Welt: heute

Die Geburt der Verunsicherung

Die Reise vor der Geburt

Dr. Google-Jekyll und Mr. Erfahrungswissen-Hyde

Das Wachstum der Datenspur

Die Suche nach der Kita

Baby-Ausrüstung

Der mediale Hype um das eigene Kind

Die Jagd nach dem utopischen Glück

Emma wird analog geboren: Es hagelt Likes

Das dokumentierte Leben

Keine Kritik ist auch keine Lösung

Der Wandel

Emma wächst (analog)

Augenhöhe auf allen vieren

Weniger ist so viel mehr

Entschleunigung und Entmenschlichung

Der Beginn einer Sucht

Der Kinder-Eltern-Tausch

Emma, drei Jahre: ihr Alltag

Die Wochentage mit Emma: von Montag bis Freitag

Wie aus Knigge ein Erziehungsverzicht wurde

1945 – und nun?

Die Generation der Babyboomer boomt

Die Generation X und der rote Knopf

Die Generation Y und das Internet

Wohin führt uns dieser Erziehungstrend?

Die Welt der Emmas und die Folgen des Eltern-Kind-Dilemmas

Emma ist krank

Der Weihnachtsfeier-Crash

Emma hat ein Smartphone

Der Drang zu loben und seine Folgen

Depression im Paradies

Unsere Kinder aus Lake Wobegon

Generation Alpha oder besser: Generation Roboter

Keine Empathie, dafür maximale Überforderung

Der Rhythmus fehlt und der Daumen wächst

Generation lebensunfähig: Was müssen Eltern alles beachten?

Depression in der Grundschule

Das Grundschul-Taxi

Schreiben muss heute keiner mehr: Wie der Unterricht sich wandelt

Home sweet home oder: Homeschooling, Homework und Homeoffice

Finn und Julian: Generation Z auf dem Land

Das Leben von Finn und Julian

Helikoptern war einmal, heute gibt es Curling

Liberalität, digitale Tradition, Ängste und neue Süchte

Nomophobie und andere Ängste

Die unbekannten Machthaber

Ich werde gelikt, also bin ich!

Keine Zeit wegen FOMO

Tradition hat keinen Platz in der Cyberwelt

Corona und die Verschwörungsmythen

Ein Zukunftsszenario im Jetzt

Neue Gefahren

Smartphone und Schule

Die digitale Designerdroge

Neo-Konventionalismus: der Zwang der Masse

Die Cyberpubertät

Pornos und das erste Mal

Die digitale Mutation

Wie geht es nach der Schule weiter?

Unsere (digitale) Zwischenwelt von heute und die veränderte Kommunikation

Zusammenfassung: Das Kinder-Erwachsenen-Tausch-Dilemma

Lernen am analogen Modell in einer digitalen Welt

Und dann gabs plötzlich Corona

Aus der Generation Ponyhof wird Generation Corona

Schulverbot für Schüler

Was bedeutet das alles für uns Eltern?

Können wir noch was retten?

Literaturverzeichnis

Vorwort

Deutschland – ein Wohlstandsmärchen. Ein Land, das zu den reichsten gehört. Ein Land, in dem es alles gibt, was für Wohlstand steht: Essen, Trinken, Freiheit, Frieden, kaum Arbeitslosigkeit, Sozialversicherungen, Schulen für alle und Luxusgüter, so viele man will. Uns geht es gut, und wir können uns alle glücklich schätzen. Alle? Nein, eigentlich nicht alle. Jedes vierte Kind in Deutschland ist unglücklich. Jedes vierte Kind hat Schwierigkeiten, Freunde zu finden. Jedes vierte Kind berichtet inzwischen von depressiven Symptomen. So die Studien von UNICEF1 und dem Deutschen Kinderhilfswerk2 aus dem Jahr 2020.

Während der Coronapandemie wurde die Misere noch einmal verschärft. Die Kita geschlossen, die Schule geschlossen, Vereine geschlossen, Spielplätze gesperrt, keine Freunde, keine Großeltern. Kinder waren während der Pandemie meist im Homeschooling, betreut durch ihre Eltern. Ein halbes Jahr lang konnten sie nicht zur Schule oder in die Kita gehen. Haben in dieser Zeit mehr ferngesehen denn je und waren mehr auf den Social-Media-Kanälen unterwegs als ohnehin schon. Selbst das Schaukeln auf Spielplätzen war verboten, ganz zu schweigen davon, dass man die Freunde auf dem Fußballplatz hätte treffen dürfen.

Betrachtet man den Online- und Social-Media-Konsum von Kindern und Jugendlichen während der Coronapandemie, kann man nur staunen. Jugendliche waren während der Pandemie durchschnittlich 70,4 Stunden pro Woche online.3 Bei acht Stunden Schlaf bleiben sechs Stunden täglich übrig, in denen Jugendliche etwas anderes machen als im Netz zu sein. Oder in anderen Worten: 42 Prozent ihres Tages verbringen Jugendliche in der Online-Welt.

Auch die Kleinsten eifern dem nach. Dass mehr als zwei Drittel der Kinder unter elf Jahren regelmäßig fernsehen, ist für niemanden wirklich neu oder verwunderlich. Dass aber mittlerweile ein Großteil der Klein-und Kleinstkinder regelmäßig mit dem Smartphone oder Tablet der Eltern ihre Zeit verbringen, wundert schon etwas.4 Wohlgemerkt: Die heutigen Kinder verbringen um ein Vielfaches mehr Zeit im Netz als die Kinder noch vor fünf Jahren. Wie lange werden wohl die Kleinsten im Internet unterwegs sein, wenn sie selbst Jugendliche sind? Mehr als 70,4 Stunden? Ist das überhaupt noch steigerbar? Und was heißt das für die Entwicklung der Kinder, wenn sie die meiste Zeit vor dem Smartphone verbringen?

Die Digitalisierung führt ein weiteres Novum in der Geschichte der Menschheit mit sich. Das Küken läuft nicht länger hinter der Ente, sondern die Ente hinter dem Küken her. Nicht mehr die Eltern wissen Bescheid, sondern ihre Nachkömmlinge. Heutige Eltern bewundern ihre Kinder oft so sehr, dass man meinen könnte, es gebe einen Rollentausch in der Eltern-Kind-Beziehung. Zudem wachsen unsere Kinder so digital auf, dass sie schon im frühen Kindesalter Fähigkeiten erwerben, die ihre Eltern nicht mehr erwerben können. Die Kinder sind ihren Eltern voraus. Um (digitale) Welten.

Jüngere können sich mittlerweile eine Welt ohne Internet und Smartphone gar nicht mehr vorstellen. Kinder, die heute auf die Welt kommen, können, noch bevor sie ihre ersten Schritte gehen, wie selbstverständlich über das Smartphone wischen. Diese hochdigitalen kleinsten Mitglieder unserer Gesellschaft werden auch als Generation Alpha5 bezeichnet. Die ab 2010 Geborenen haben den Umgang mit den digitalen Geräten wortwörtlich in die Wiege gelegt bekommen.

Wenn heutzutage das eigene Kind laufen lernt, holen die Eltern das Smartphone hervor und halten den Moment fest. Wenn das Kind das erste Mal auf der Schaukel sitzt, zücken die Eltern ebenfalls das Smartphone. Und sollte das Kind etwas Einmaliges machen, das der elterlichen Fotolinse entgleitet, wird es in der Regel von den Eltern gebeten, das »Einmalige« noch einmal zu wiederholen, vor dem gezückten Smartphone.

Ist ja auch kein Wunder, schließlich wollen wir das Glück mit unseren Kindern für die Ewigkeit festhalten. Für unsere Kinder ist die permanente Präsenz des Smartphones aber mit einem Lerneffekt verbunden: Was nicht lustig, einmalig oder berührend ist, wird nicht mit dem Smartphone aufgenommen. Das Smartphone zeigt an, ob etwas gut gemacht wird oder eben nicht. Alle erinnerungswürdigen Momente werden mit dem Smartphone verbunden.

Kinder nehmen schon sehr früh Verhaltensweisen anderer wahr. Emotionen, Gestik, Aktion und Reaktion – all das bekommen Kleinkinder schon mit. Macht Papa also kein Smartphone-Foto von seiner Tochter, dann fällt ihr das auch als Einjährige auf, und sie denkt sich vielleicht: Oh, hier stimmt was nicht, ich war nicht gut genug für Papa.

Welche Auswirkungen die digitalen Geräte auf diese Generation haben werden, ist noch nicht ganz abzusehen. Klar ist aber, dass die Nutzungsdauer digitaler Geräte auch in den kommenden Jahren stark ansteigen wird. Mich beunruhigt diese Entwicklung: Internetsüchte sind ein weit verbreitetes, aber noch wenig beachtetes Krankheitsbild. Die Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen reduziert sich immer weiter, und leider nehmen auch andere mit dem Internetkonsum verbundene psychische Erkrankungen und Folgen wie Angststörungen, soziale Unsicherheit oder Depressionen zu.

Was tun als Eltern? Schließlich hat man kaum eine Wahl: Verbannt man das Smartphone aus dem Alltag, wird man sich zwangsläufig ins analoge Abseits schießen. Kein Kontakt zur Internetgemeinde bedeutet auch den Verzicht auf analogen Kontakt. Schließlich sind die Zeiten von Festnetztelefon und postalischem Brief längst vorbei. Zum digitalen Eremiten zu werden, ist für die wenigsten von uns eine gangbare Alternative. Schließlich möchte niemand seinem eigenen Kind eine Außenseiterrolle aufdrücken.

Allerdings sollten sich Eltern auch bewusst sein, welche Auswirkungen ihr eigener Umgang mit den digitalen Geräten für die Kinder hat. Der Bereich, in welchem sich das analoge Leben unserer Kinder, das Leben ohne digitale Geräte abspielt, wird sich in Zukunft immer weiter verkleinern. Es bleibt deutlich weniger Zeit übrig, um sich in der analogen Welt zu bewegen. Über 100-mal6 täglich entsperren Jugendliche ihr Smartphone. Bei den etwas älteren Kindern ist das Smartphone mittlerweile so etwas wie die dritte Hand. Auch im Schulalltag sind die eckigen Begleiter nicht mehr wegzudenken. Einige Schulen haben darauf reagiert, indem sie zumindest in einigen Unterrichtsfächern die Recherche mittels Smartphone erlauben.

Ich bin Psychologe und leite das Institut für Generationenforschung. Seit vielen Jahren untersuche ich die Nachwuchskräfte und berate Unternehmer, die die Jungen nicht mehr verstehen und mit ihrem Latein am Ende sind. Immer wieder wurde mir von Unternehmen aller Couleur, aber auch von Einrichtungen wie der Polizei, den Krankenhäusern, Schulen und Universitäten berichtet, dass die heutigen Nachwuchskräfte, Auszubildenden, Schüler und Studenten ein anderes Leistungspensum, andere Erwartungen und Umsetzungsvorstellungen haben als alle Generationen vor ihnen. Und dass diese Unterschiede schon innerhalb der ersten Wochen dazu führen, dass einige der Neuen das Unternehmen frustriert verlassen, die Ausbildung abbrechen oder das Studium beenden.

Bei meinen zahlreichen Vorträgen und Workshops zu diesem Thema kommen immer mehr besorgte Eltern zu mir und bitten um Rat. Und so beschloss ich, meine Forschungen früher anzusetzen, und zwar bei den Kleinsten unserer Gesellschaft. Um genau hier Hinweise zu erhalten, die dem einen oder anderen später als Leitplanken dienen könnten.

Was hat sich bei den Kleinkindern in den letzten Jahren geändert? Wie wird heute erzogen? Was ist anders? Wie sind die Eltern? Was sorgt sie, und welche Folgen entstehen daraus? Und warum sind unsere Kinder eigentlich unglücklich und kann man das überhaupt feststellen?

Eltern stehen heute vor einer schwierigen Situation: Einerseits wollen sie die digitalen Kompetenzen ihrer Schützlinge vorantreiben, andererseits die negativen Auswirkungen der digitalen Welt einschränken. Sie müssen die digitale Nutzung genau so weit bremsen, dass ihre Kinder auch einmal ohne Smartphone eine Lösung für ihr Problem finden können. Die Frage ist nur, wie dieser Spagat zu bewältigen ist.

Hinzu kommt, dass viele Eltern fleißig mithelfen, dass sich das Kind in der analogen Welt, der Welt ohne Internet, nicht mehr auskennt. Sie erfüllen nicht nur jeden Wunsch der Kinder, sie erziehen zudem oft »überprotektiv«. Das heißt, sie sorgen dafür, dass ihren Kindern nahezu alles abgenommen wird, was analog schwierig oder unangenehm wirkt. Einige Eltern denken sogar noch weiter vorausschauend und agieren schon bei einer Anbahnung des Unangenehmen. Das Unangenehme bekommt das Kind erst gar nicht zu Gesicht.

Klingt überspitzt, ist aber leider so. Das zeigen auch unsere Untersuchungen. Geht es um die Generation Alpha, geht es um Grundkompetenzen. Es geht um Selbstbeschäftigung und das Finden von Freunden, es geht um das Erlernen von Selbstständigkeit, einer richtigen Ausdrucksweise in vollständigen Sätzen. Und schließlich: Es geht auch um den Toilettengang oder gemeinsames Spielen. Die Grundkompetenzen sind nicht nur schlechter ausgeprägt, sondern oft nicht mehr vorhanden – wieso stört sich niemand daran, dass hier eine Generation heranwächst, die Schwierigkeiten hat, ihr noch junges Leben zu bewältigen, die später im höheren Alter viele Dinge sich mühsam wird antrainieren müssen, die vorherige Generationen noch im Kindesalter gelernt haben? Wohin wird uns dieser Wandel führen?

Gemeinsam mit meinem Forscherteam aus Soziologen, Psychologen, Politologen, Philosophen und Wirtschaftswissenschaftlern vom Institut für Generationenforschung haben wir über mehrere Jahre Daten erhoben, um die digitale und die analoge Welt, aber auch den gesellschaftlichen Wandel und die Eltern-Kind-Beziehung und deren Folgen besser zu verstehen. Wir untersuchen altersspezifische Einstellungen, Normen und Wahrnehmungen – vor allem aber, wie sich diese Dinge im Laufe der Zeit ändern. Entscheidend sind die Ursachen für all diese Veränderungen, wobei wir uns stets fragen: Wie hängen die wissenschaftlichen Beobachtungen mit dem Alter unserer Probanden zusammen? Welchen Einfluss haben der Zeitgeist, die Gesellschaft, die Familie oder das nahe Umfeld auf unsere Untersuchungen? Wie werden die gegenwärtigen Entwicklungen später das Jugend- und Erwachsenenalter beeinflussen?

Wir haben uns auf die Suche nach dem Glück der Kinder gemacht, das irgendwo zwischen Wohlstand und Digitalisierung verloren gegangen ist.

Eine neue Welt: heute

Ryan ist nicht mal zehn Jahre alt und bekommt alles, was er möchte. Immer. Eine neue Playstation. Einen Ausflug nach Disney World. Das allerneueste Spielzeug. Aber nicht, weil ihm seine Eltern alles schenken, sondern weil ihm einige Hersteller die Produkte kostenlos zusenden. Im Gegenzug packt Ryan die Sachen vor der Kamera aus, bewertet sie, und seine Eltern stellen das Video anschließend ins Netz. Mit dem Anpreisen von Produkten auf seinem Kanal »Ryan’s World« hat der zu diesem Zeitpunkt Neunjährige aus dem US-Bundesstaat Texas allein im Jahr 2020 rund 30 Millionen US-Dollar verdient.

Mit diesem Umsatz war Ryan Kaji (geboren 2011) im Jahr 2020 bereits das dritte Jahr in Folge der bestbezahlte YouTuber der Welt. Ryan testet und präsentiert seit seinem vierten Lebensjahr Spielzeug auf You-Tube. In seinem erfolgreichsten Video sucht er in einer aufblasbaren Hüpfburg nach Geschenk-Ostereiern; dieses Video hat bis heute über zwei Milliarden Aufrufe generiert. Es sind Millionen von Followern, die ihm bereitwillig bei seiner Spielzeugwerbung zusehen. Jeden Tag kommen mehr dazu, und sie alle haben Ryan geholfen, schon im Grundschulalter Multimillionär zu werden.

Wir fassen zusammen: Geldverdienen ist heute ein Kinderspiel. Man benötigt weder einen Bildungsabschluss noch ein Studium oder eine Berufsausbildung, keine eigene Firma oder ein Erbe. Nein, man muss nicht mal volljährig sein. Fremdsprachen, höhere Mathematik oder irgendein besonderes Talent – unwichtig. Das Problem: Es funktioniert nicht für alle.

Was passiert mit den 99,99999999 Prozent derjenigen, die auf der Multimillionärsstrecke liegen bleiben und dank Social Media täglich daran erinnert werden?

In dieser Welt wachsen unsere Kinder auf, darunter auch meine beiden, Samira und Elias. Samira ist gerade vier geworden und lebt eine komplett andere Kindheit als ich. Die digitalisierte Welt reicht auch bei ihr längst bis ins Kinderzimmer hinein: Tablet, Kinder-Social-Media-Kanäle. Für heutige Kleinkinder scheint vieles möglich, wovon frühere Generationen geträumt haben. Als Eltern beschleicht uns immer wieder das schlechte Gewissen: Was bedeutet die technische Welt für unsere Kinder wirklich? Was macht das mit Samira, wenn sie erfährt, dass ein Junge in ihrem Alter eines Tages begann, Spielsachen in die Handykamera zu halten, um im Anschluss daran alles zu bekommen, was er sich je erträumt hat? Was macht es mit mir als Vater, wenn Samira erfährt, dass Ryans Eltern ihn dabei unterstützt haben, Multimillionär zu werden? Denn wie bei allen jungen Weltstars sind immer die Eltern involviert, sei es bei Ryan Kaji oder Greta Thunberg. Anders ist es in diesem Alter auch gar nicht möglich.

Eltern wollen ihre Kinder in der Regel so gut wie möglich erziehen. Kein Wunder, dass die Eltern hinter Ryan oder Greta stehen. Das ist kein digitales Phänomen, nur ein menschliches. Anders ist jedoch der Wohlstand: Unsere Kinder wachsen in Deutschland in einem noch nie da gewesenen Reichtum auf. Es gab bis heute keine vergleichbare Generation, die durchschnittlich über ein solches Maß an Gütern und Möglichkeiten verfügte. Grund zur Freude?

Leider nein. Denn wir haben ein Maß an Wohlstand erreicht, in dem ein »Mehr« nicht gleich ein psychologisches »Besser« bedeutet. Im Gegenteil: Ab einem gewissen Wohlstand wird ein Plateau erreicht, ab dem sich die Zufriedenheit nicht durch mehr Produkte oder Möglichkeiten steigern lässt.

Ryan Kaji ist nicht zwangsläufig ein zufriedeneres Kind, nur weil er all das bekommt, was er sich wünscht. Und auch Samira würde sich zwar kurz über das neue Spielzeug freuen, langfristig aber nicht zufriedener werden. Das Problem für Samira: Sie sieht, was Ryan Kaji alles bekommt. Also wünscht sie sich jetzt genau den Überfluss an Spielzeug, den auch Ryan Kaji hat.

Der technische Überfluss und all die digitalen Vorbilder – sie werden die zukünftige Ausbildungs- oder Berufswahl von Samira und Elias beeinflussen. Unklar ist, wie. Wie werden sie sich auf die Werte, Wünsche und Träume der Kinder auswirken? Noch beantwortet Samira die Frage »Was willst du einmal werden?« schlicht mit: »Ein Einhorn!« Was für eine Antwort, dachte ich zunächst überrascht. Aber in einer Welt, in der wir zumindest im Digitalen alles sein können, klingt diese Antwort vielleicht gar nicht mehr so fantastisch, vielleicht eher realitätsadäquat … Ein Einhorn also.

Was tun als Eltern? Ein Einhorn kann ich in der analogen Welt nicht herbeizaubern, auch meine Tochter nicht wirklich in eines verwandeln.

Mit dem Institut für Generationenforschung widme ich mich dieser scheinbaren mission impossible zwischen den Anforderungen der digitalen Welt und dem Bemühen von uns Eltern, unsere Kinder fit für die digitale und analoge Welt zu machen. Ich möchte die grundlegenden Veränderungen, die wir in unserer Welt beobachten, verstehen. Aus der Rolle als Forscher, aber viel wichtiger auch in meiner Verantwortung als Vater in einer analogen und digitalen Zukunft.

Ein wichtiger Hinweis noch vorab

Alle Namen, Orte und Personenmerkmale in den in diesem Buch geschilderten Fallbeispielen sind fiktiv. Allerdings habe ich auf der breiten Datenbasis unserer langjährigen Forschungen kumulierte Familienbeispiele herausgearbeitet, die die in den Studien beobachteten Entwicklungen und Begleitphänomene möglichst typisch und nachvollziehbar wiedergeben.

Die Geburt der Verunsicherung

Unsere Kinder werden in eine digital-analoge Zwischenwelt hineingeboren. Am Beispiel eines Paares, das bei unseren Studien mitgewirkt hat, – nennen wir sie Martina und Johannes – zeigt sich, wie die digitale und die analoge Welt aufeinanderprallen und schließlich für unsere Kinder verschmelzen.

Martina und Johannes gaben an, sich mit Mitte 30 über die Dating-App Tinder7 kennengelernt zu haben. Heute nichts Ungewöhnliches, eigentlich sogar der Normalfall. Denn Dating-Apps und vor allem das Internet im Allgemeinen sind in Deutschland der zweithäufigste Kennenlernort für Paare, das ergab eine Studie, die im Statista Research Department 2021 veröffentlicht wurde. Etwa 28 Prozent der Deutschen gaben ebenfalls an, regelmäßig oder zumindest ein paarmal auf einer Online-Dating-Plattform aktiv gewesen zu sein. Man lernt sich heute also zuerst digital kennen, bevor man analog wird.

Martina hat Grafikdesign, Johannes BWL studiert. Beide haben je ein Auslandssemester in den USA absolviert, Martina an der Westküste und Johannes in New York. Direkt nach dem Studium haben sie an ihrer Karriere gearbeitet. Stück für Stück hat Martina sich zur Teamleiterin hochgekämpft, sich gegen die männliche Konkurrenz durchgesetzt. Johannes ist Niederlassungsleiter und steht vor dem nächsten Sprung: Er wird die Gebietsleitung übernehmen. Ein Paar, das nicht nur Ehrgeiz und Strebsamkeit miteinander teilt, sondern auch viele gemeinsame Hobbys. Sie sind beide begeisterte Social-Media-Nutzer, haben immer das neueste Smartphone zur Hand und die neuesten Apps. Gleichzeitig joggen und verreisen sie sehr gern. Und am liebsten verbinden sie beides: Beim Reisen füttern sie ihre Social-Media-Kanäle mit neuen Fotos und Updates. Sogar einen Video-Blog haben Martina und Johannes gestartet, bei dem sie ihre Zuschauer so oft es geht mitnehmen – auf ihren Reisen und daheim.

Martina liebt YouTube, Instagram und Pinterest, Johannes nutzt immer noch Facebook und blüht seit Neustem auch bei Instagram und Tik-Tok8 auf. Beide mögen aber auch Kinobesuche, Theater, die moderne Kunst. Sie wohnen in ihrer Lieblingsstadt: München, wo sie sich mit Leidenschaft und Ehrgeiz ihren Berufen widmen, die aber auch beide fordern. Deshalb bleibt leider wenig Zeit für Bar-Hopping oder Diskobesuche, und mit Mitte 30 fühlen sie sich eh zu alt dafür. Auch deshalb brauchte es eine Dating-App, damit sie sich irgendwo kennenlernen konnten; im Digitalen.

Beide waren in einem Alter, in dem sie wussten, was sie wollten, und irgendwie auch spürten, wen sie wollten. Lange hatten sie zuvor nach dem richtigen Partner gesucht, dann ging alles ganz schnell. Schon nach einem halben Jahr zogen sie zusammen. Martina und Johannes leben am Münchner Stadtrand und können sich zusammen eine relativ große Wohnung leisten. Es brauchte weitere zwei Jahre und viele gemeinsame Reisen, bis sie heirateten.

Jetzt sind sie Ende 30, und der nächste Schritt steht an: die Familiengründung. Es klappt schneller als gedacht, Martina ist schwanger. Arbeit und Karriere sollen darunter nicht leiden, da sind sie sich einig. Damit teilen Martina und Johannes die Einstellung von etwa 30 Prozent der Deutschen in dieser Altersgruppe. Mit etwa 30 Jahren das erste Kind zu gebären, entspricht heute dem Durchschnitt.9

Auch mit Ende 30, wie Martina, oder gar mit Anfang 40 Mutter zu werden, ist heute keine Seltenheit mehr. Laut der deutschen gynäkologischen Statistik war im Jahr 2019 jede elfte Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes 40 Jahre alt oder älter.

Vor allem für die Erstgebärende hat das höhere Alter Folgen. Folgen nämlich für das eigene wahrgenommene Wohlbefinden und das empfundene Glück. Das hat eine Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts und der University of Pennsylvania herausgefunden. Dazu haben sie Erstgebärende in Deutschland befragt. Je älter eine Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass das wahrgenommene Wohlbefinden der frisch gebackenen Eltern, vor allem aber das der Frau, nachlässt.10

Psychologisch lässt sich dieser Effekt mit Blick auf das menschliche Gehirn erklären. Bei den meisten Menschen über 30 Jahren sorgen der präfrontale Cortex11 und das limbische System12 im Gehirn dafür, dass mehr Angst empfunden wird und folglich die Personen mehr Risiken verhindern möchten.

Martina und Johannes gehören zur ersten Generation, die zuerst googelt, wenn sie eine Frage hat. 2018 gaben laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung 46 Prozent der Deutschen an, sich regelmäßig im Internet über ihren Gesundheitszustand zu informieren.13 Dies ist auch kein spezifisch deutsches Phänomen: Schon 2015 betrafen 5 Prozent der weltweiten Suchanfragen auf Google Gesundheitsthemen.

Das ist das Neue bei der Elterngeneration von Martina und Johannes: Nahezu alles, was noch vor zehn Jahren das Bauchgefühl entschieden hat, kann nun Google beantworten. Google spielt das immer höhere Alter der Erstgebärenden in die Karten. Denn biologisch tendieren wir dazu, immer rationaler zu denken, je älter wir werden. Wir werden immer risikoscheuer. Psychologen sprechen dabei von einer Steigerung der Risikoaversion (man scheut immer mehr das Risiko, »zerdenkt« alles und macht sich Sorgen). Ein absoluter Teufelskreis. Social Media und Co. leisten dabei ganze Arbeit. Im negativen Sinne: Die Zahl der Beiträge im Netz erschlägt den gewöhnlichen User. Jetzt stellen Sie sich einen verängstigten User vor: Für jedes düstere Szenario findet sich eine passende Meinung. Aber auch eine Gegenmeinung. Schuld ist die Flut an Informationen, wodurch schon rein statistisch die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, zu jedem Fakt einen widerlegenden Kontrafakt zu finden. Hinzu kommt, dass sehr viele Inhalte im Netz im Absoluten dargestellt werden. Alle Meinungen, Perspektiven, Diagnosen sind gleich viel wert und werden gleichwertig behandelt. Das Internet kann keine Nuancen abbilden, es agiert ausschließlich aus einer totalen Perspektive heraus. Wie sollen sich die werdenden Eltern hier noch auskennen?

Ihre Tochter werden sie Emma nennen. Sie ist zwar noch nicht auf der Welt, aber Martina und Johannes haben jede erdenkliche Auffälligkeit bereits gegoogelt: Das häufige Erbrechen von Martina, was kann das sein? Durchfall während der Schwangerschaft, was hat das zu bedeuten? Vitaminmangel, Eisenmangel, Schnupfen, falsche Kleidung, schlechte Luft, Kopfschmerzen, spuckt Google aus. Über alles, was ihnen suspekt erschien, haben sie etwas im Internet gelesen und Internet-Ärzte befragt, die ihr Wissen in Blogbeiträgen teilen. Je mehr die beiden suchen, desto mehr Gefahren und scheinbare Antworten und Erklärungen finden sie.14

Das Ergebnis: Die betroffenen Personen verunsichern sich selbst. Ein Forscherteam des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu Köln hat herausgefunden, dass im Durchschnitt schon nach fünf Minuten entsprechender Internetrecherche die Angst steigt, ernsthaft erkrankt zu sein.15

Die Reise vor der Geburt

Johannes und Martina haben sich für eine letzte gemeinsame Reise entschieden, bevor das Baby da ist. Johannes ist im Netz fündig geworden. Begeistert zeigt er seiner Frau die Facebook-Gruppe »Reisen mit Baby im Bauch«. Na also, jetzt erst recht, denken beide. Lass uns noch einmal zu zweit auf Reisen gehen.

Die Reise war eine perfekte Aktion! Täglich wurde Martinas größer werdender Bauch gepostet. Sowie alles Erdenkliche, was bei einer Reise ansteht: der Flughafen, die Schlange am Check-in-Schalter, die Lounge, der Bus zum Flugzeug, das Flugzeug, der Innenraum des Flugzeugs, ein Selfie im Flugzeug, der Flughafen in Indonesien, das Taxi zum Hotel, das Hotel selbst, das Hotelzimmer, das Hotelbett, das erste Abendessen in Jakarta. Am nächsten Tag ging es weiter, das erste Frühstück, die erste Bustour, die erste Vulkanbesteigung. Und Emma war stets Thema, bei jedem Post. Die Fangemeinde war erstaunt, was Schwangere alles können. Nahezu alles, oder doch nicht? Im Internet gab es auch Warnhinweise: Fliegen ist schädlich für den Fötus wegen der Strahlung, der man dabei ausgesetzt ist. Schlechtes Essen in einigen Vierteln von Jakarta sei ebenfalls schlecht für das Baby. Staub und Smog in ostasiatischen Großstädten sind schädlich für die Lunge.

Was jedoch niemand auf ihren Posts auf Facebook und Instagram sah: wie viele Sorgen und Ängste beide infolge der Warnhinweise in den Diskussionsforen tatsächlich hatten. Martina und Johannes blieben bei all ihrer Reisefreude nicht unberührt von den digitalen Ratgebern. Ganz im Gegenteil: Durch die ständige Flut an Informationen werden die beiden in ihrem spontanen Entschluss, während der Schwangerschaft eine Reise zu machen, in extremer Weise verunsichert. Entspannt reisen können sie nicht mehr. Auch wenn auf Instagram alles perfekt aussieht, beschleicht sie in Wahrheit das Gefühl, sie wären besser zu Hause geblieben. Das wäre sicherer gewesen.

Die Psychologin Maria Gropalis vom Psychologischen Institut der Universität Mainz sieht insgesamt Diskussionsforen, wie sie Martina und Johannes regelmäßig im Netz aufsuchen, sehr kritisch. Dort geben Personen Auskunft über ihre persönliche Geschichte und oft ergreifen nur diejenigen das Wort, die negative Erfahrungen gemacht haben. Eine Person, die mit etwas zufrieden ist, äußert sich viel seltener als eine Person, die unzufrieden ist. Der Grund: Frustabbau. Frust verleitet uns zu spontanen Handlungen. Das Netz bietet hierfür die Plattform. Es ist häufig eine Sammlung unmittelbarer, wütender Reaktionen der Unzufriedenen. Ohne das Netz hätten diese unmittelbaren Reaktionen keine Plattform. Es entsteht ein völlig verzerrtes Bild von der wirklichen Situation, doch das weiß Martina nicht, wenn sie im Flieger nach dem Smog in ostasiatischen Großstädten oder dem scheinbar schlechten Essen in Jakarta googelt.

Dr. Google-Jekyll und Mr. Erfahrungswissen-Hyde

Je näher die Geburt rückt, desto mehr steigert sich bei Martina und Johannes die Aufregung um Martinas Gesundheitszustand, und selbst wenn 30 Google-Beiträge bestimmte Symptome als harmlos bezeichnen, gibt es da diesen einen Beitrag, der vom Gegenteil spricht. Klar, die Quelle wirkt ein bisschen unseriös, aber man weiß ja nie. Selbst wenn später bei der Geburt alles gut läuft, wird auch Emmas Kinderarzt nicht verschont werden von Martinas und Johannes’ Google-Recherche-Ergebnissen. Die beiden sind fest davon überzeugt, dass ihre Internetrecherchen zutreffender sind als die Aussagen der Frauenärztin und um einiges besser als die Ratschläge ihrer Mutter oder gar ihr eigenes Bauchgefühl.

Martina hat bereits in jungen Jahren die Erfahrung gemacht, dass das Netz hilfreich sein kann. Entsprechend greift sie auch jetzt auf Erfahrungen der Internetcommunity zurück. Google und YouTube haben immer einen passenderen Rat und können jede Nachfrage, jeden Gedanken, jedes Negieren der Eltern abfangen, wenn ihre Mutter wieder einmal sagt: »Das brauchst du doch nicht, eine Geburt ist das Natürlichste der Welt!«

Wirklich neu ist, dass Martinas eigene Intuition sowie das Erfahrungswissen, das beispielsweise ihre Mutter mit einbringen könnte, nicht in dem Maße zählen, wie es für die vergangenen Generationen an werdenden Müttern der Fall war. Das liegt an zwei Gründen. Den ersten kennen wir bereits: Martina wird in einem höheren Alter zum ersten Mal Mutter als noch ihre Mutter. Folglich hat sie mehr Angst und informiert sich eingehender, als das ihre eigene Mutter getan hat. Der zweite Grund: Martina zieht sich diese Informationen aus dem Internet. Das Internet wird somit bewusst angesteuert und infolgedessen verstärkt kognitiv bedient und weniger affektiv, obwohl der erste Impuls der Informationssuche affektiv gewesen sein kann.

Etwas kognitiv zu bedienen bedeutet, dass Prozesse von Wahrnehmen und Denken die vordergründige Rolle spielen; wird etwas affektiv bedient, sind Gefühle wichtig. So wie es die Generation von Martina eben gelernt hat, nimmt sie die Inhalte im Netz wahr, bewertet sie und trifft eine Entscheidung. Symptom a, b und d sind gegeben, drei von fünf Symptomen sind vorhanden, also trifft die eigene Diagnose zu. Martina sortiert die Inhalte aus, die ihr aus ihrer Perspektive sinnvoll erscheinen, lässt aber sämtliche Gefühle außen vor.

Martina ist nun vielleicht quantitativ besser informiert als Eltern noch vor zehn Jahren oder ihre eigenen Eltern es waren, die auf das weltweite Wissen des Internets zur Zeit der ersten Schwangerschaft nicht haben zugreifen können. Martinas vermeintlicher Wissensvorsprung entlarvt sich allerdings als Trugschluss: Das Wissen, das Martinas Mutter einbringt, ist ein qualitatives Erfahrungswissen, das durch die emotionale Bindung an ihre Tochter erfahrungsbasiert weitergegeben wird. In dieses traditionelle Informationsverhältnis hat sich das Internet geschoben, das nun den ersten Platz unter Martinas Informationsquellen einnimmt.

Mit dem Wissen, das sich Martina über das Netz aneignen will, ist es ähnlich wie mit dem Lernen einer neuen Sprache, zum Beispiel Französisch: Erst wenn man selbst einmal im Land war, mit verschiedenen Leuten gesprochen hat, weiß man, wie die Wörter wirklich verwendet werden, welche Begriffe und Sprichwörter aus den landessprachlichen Dialekten in die Alltagssprache einfließen, welche Konnotationen mit einzelnen Redewendungen verbunden sind oder wie man sich fühlt, wenn man das erste Mal vor dem Eiffelturm steht. Ein Wissen, das weder ein Wörterbuch noch das Internet vermitteln kann.

Martinas Mutter hätte ihr bezogen auf Geburt und Kindererziehung einige Erfahrungen mitgeben können, die oft die Suche nach der Nadel im Heuhaufen eingegrenzt hätten. Denn per se schlecht ist die Informiertheit über den eigenen Krankheitszustand nicht, wie Prof. Marie-Luise Dierks von der Patientenuniversität Hannover weiß. Die Selbstständigkeit und der selbstbewusste Umgang mit Geburt, Ärzten und Medizin kann durch das entsprechende Wissen gestärkt werden – sofern man es sich auf kritische Weise aneignet. Die Leitende Medizinerin der Krankenkasse Barmer GEK sieht ebenfalls kein Problem mit der krankheitsbezogenen Internetrecherche, solange dem Arzt mehr Glauben geschenkt wird als dem Internet.16 Aber das ist das Dilemma, mit dem viele Ärzte nun konfrontiert werden: Durch das digitale Dauertraining ist Dr. Google bei verängstigten werdenden Eltern jetzt für viele der kompetentere Ratgeber und Arzt.

Leidtragende der Verunsicherung sind aber nicht nur die Ärzte, sondern vor allem Johannes und Martina. Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts und der University of Pennsylvania haben bei ihrer Studie zu deutschen Erstgebärenden noch eine weitere Erkenntnis gewonnen: Je schlechter die Erfahrungen der werdenden Eltern rund um die Geburt des ersten Kindes sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie ein zweites Kind bekommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, diese Zeit als negativ zu empfinden, steigt, wenn die Erstgebärende ein höheres Alter hat, aber auch, wenn sie einen höheren Bildungsstand hat. Volltreffer bei Martina und Johannes.

Bei beiden stehen unglücklicherweise die Chancen nicht schlecht, dass Emma ein Einzelkind bleiben wird. Denn bei den angehenden Eltern wird mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit als bei jüngeren und nicht akademisch vorgebildeten Personen die Zeit um die Geburt mit einer Senkung des wahrgenommenen Wohlbefindens einhergehen. Folglich wird es unwahrscheinlicher, dass Emma Geschwister bekommen wird.

Besonders stark ist dieser Effekt in Deutschland ausgeprägt. In keinem anderen europäischen Land ist die Lücke zwischen dem tatsächlichen Kinderwunsch – es werden meist zwei Kinder angegeben – und der tatsächlichen Geburtsziffer – 1,54 Kinder pro Frau – so groß.17

Die Verunsicherung, die Johannes und Martina auszeichnet, wird sich auch auf Emma auswirken. Emma wächst nicht nur in einer Welt auf, in der Erfahrungswissen bereits für ihre Eltern immer unwichtiger wird und das Internet Sicherheit und Verunsicherung gleichermaßen liefert, sondern sie wird zusätzlich von Eltern einer Generation erzogen, die so unsicher ist wie keine Elterngeneration zuvor. Die Neugier, Risikoaffinität bzw. verringerte Angstwahrnehmung, die gerade Kinder auszeichnen, können sich in einer solchen Welt kaum mehr entfalten. Dass Emmas Eltern älter und akademisch gebildet sind, trägt hierzu ebenfalls bei.

So werden Martina und Johannes ihr ängstliches Verhalten auch zeigen, wenn sie Emma tagtäglich erziehen. Eine Studie der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften zeigt diesen Widerspruch deutlich: 90 Prozent der Eltern informieren sich über die Entwicklung und Gesundheit ihres Kindes im Netz. Genauso glauben aber auch 90 Prozent der Eltern, dass die Informationen aus dem Internet »nur manchmal« der Wahrheit entsprechen.18 Unsicherheit ist durch solch eine Ambivalenz also vorprogrammiert. Was in Zukunft zu einer verstärkten Beobachtung und Überprotektionierung der Kinder führen wird, denn irgendwo muss die Unsicherheit ja abgebaut werden.

Das Wachstum der Datenspur

Ein Durchschnittsdeutscher erzeugt derzeit etwa ein Gigabyte Daten pro Tag. Bezogen auf alle Deutschen oder gar die gesamte Menschheit kommt da einiges zusammen. Die digitale Datenspur von Emma wird, ohne dass es ihren Eltern wirklich bewusst ist, bis zu ihrer Geburt umfangreicher sein als die Telefonbücher von ganz München, Hamburg und Berlin zusammen.

Na und, denken Sie gerade? Ein freudiges Ereignis darf man doch teilen, oder? Natürlich darf man alles, was erlaubt ist, aber jede Handlung hat Folgen. Auch in der digitalen Welt.

Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist den meisten klar, dass der Datenschutz auf vielen Plattformen im Netz nicht gerade hochgehalten wird. Im Jahr 2020 waren beispielsweise 540 Millionen Datensätze mehrere Monate lang im Netz ungeschützt abrufbar. Eine Panne von Facebook – zu Lasten der Privatsphäre der Nutzer. Doch der mangelnde und pannenanfällige Datenschutz von Facebook hielt Johannes nicht davon ab, die Daten von Emma zu posten.

Sicherlich will man Teil der sozialen Welt sein, und dann kann man es kaum vermeiden, auch ein Teil der sozialen Netzwerke zu sein. Und ja, um beispielsweise Facebook oder Instagram zu nutzen, muss man zwangsläufig einige Daten teilen: Sobald man mit anderen kommuniziert und einigen Gruppen beitritt, sammeln Facebook oder Instagram zwangsläufig die Daten über diesen Nutzer. Diese Daten sammeln die sozialen Netzwerke aber nicht nur, damit wir kommunizieren können – das Unternehmen verdient mit unseren Daten Geld, indem Werbung geschaltet wird. Aktuell gibt es 2,9 Milliarden aktive Facebook-Nutzer – das sind mehr Menschen als irgendein Land auf der Erde Einwohner hat.19 Und diese surfen auf vielen weiteren Seiten im World Wide Web. Facebook hat sein »Netz« wie eine Spinne ausgespannt, um Nutzer, die es wagen, sich gerade nicht auf Facebook aufzuhalten, wieder einzufangen. Wenn Johannes beispielsweise in Internetshops nach einer Wiege für Emma sucht, kann er über sogenannte Facebook-Pixel20 die Wiege direkt in Facebook posten. Wie die Fliege bleibt er im Spinnennetz hängen. Wenn Johannes auf »posten« klickt, verknüpft Facebook die Daten mit dem Internetshop. Verwunderlich ist es also nicht, dass Martina und Johannes bereits sechs Monate vor Emmas Geburt personalisierte Werbung für ihre Tochter erreicht.

Sicher hätten Johannes und Martina die Online-Jagd nach ihrem ungeborenen Kind etwas eindämmen können. Auf Facebook beispielsweise hat man die Möglichkeit über die im August 2020 vorgestellte Funktion »Off-Facebook Activity« die Verknüpfung der Daten mit dem eigenen Facebook-Konto aufzuheben. Der User erhält dann zwar weiterhin Werbung, diese ist aber eben weniger personalisiert, da weniger Daten mit dem eigenen Account in Verbindung gebracht werden können. Sobald man Facebook allerdings nutzt, erteilt man dem Unternehmen immer die Erlaubnis, über das genutzte Wi-Fi-Netzwerk, den Typ des eingesetzten Endgeräts oder andere installierte Anwendungen Bescheid zu wissen.

Es wird nun ein digitales Abbild von Emma entstehen, dafür haben Johannes und Martina gesorgt, indem sie bereits durch Erstellen ihres eigenen Accounts zu allen datenverarbeitenden Tätigkeiten ihre Einwilligung gegeben haben. Und so eben auch für Emma – ob sie will oder nicht.

Emmas Eltern legen digital den Grundstein für das spätere Leben ihres Kindes. Denn sie teilen alle möglichen Ereignisse über die ungeborene Emma, die sie als mitteilenswert erachten. Wie Emma sich im Schwangerschaftsbauch entwickelt, die wievielte Woche und vieles mehr. »Sharenting« nennt man das Verhalten von Emmas Eltern. Der Begriff ist zusammengesetzt aus dem englischen Wort share, zu Deutsch »teilen«, und dem englischen Wort parenting, zu Deutsch »erziehen«, und meint den Vorgang, wenn Eltern Bilder oder Informationen über ihre Kinder im Netz teilen.21 Emma hat keine Entscheidungsgewalt darüber, ob sie und die mit ihr verbundenen Situationen im Netz abgebildet werden sollen oder nicht.

Was viele Eltern nicht bedenken: Jedes Kind hat laut Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Privatsphäre. Das heißt auch, dass jedes Individuum, auch wenn es noch ein Kleinkind ist, selbst das Recht hat, zu entscheiden, welche Daten im Netz landen und für die Öffentlichkeit in welcher Form sichtbar werden – was auch als Recht auf »informelle Selbstbestimmung« bezeichnet wird. Betreiben Eltern das Sharen oder Sharenting, widerspricht das dem Recht der Kinder auf die Beteiligung an solchen Postings und Veröffentlichungen. Für Emma könnte das Verhalten ihrer Eltern in Zukunft unangenehm werden: Bilder, die sie in peinlichen Situationen zeigen, könnten es zukünftigen Mobbern sehr einfach machen. Eltern schaffen geradezu Steilvorlagen für Mobber, so Viktoria Jerke von der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes.

Es geht also nicht nur darum, ob Informationen und Fotos im Netz gepostet werden dürfen, sondern auch darum, wie und auf welche Weise. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat daher eine Kampagne gestartet, die Eltern sechs hilfreiche Tipps an die Hand gibt, was sie bei der Veröffentlichung von Kinderfotos im Netz beachten müssen.22 Oder wie die Gewerkschaft der Polizei vorschlägt: »Erst nachdenken, dann posten.«

Viel schlimmer ist aber, dass die Schutzrechte von Emma in Gefahr sind: Denn mit jedem Bild, das von Emma in den sozialen Medien gepostet wird, steigt auch die Gefahr, dass sich schwarze Schafe die Bilder zu eigen machen. Das Deutsche Kinderhilfswerk und die Polizei warnen eindrücklich vor den Folgen des Sharentings. Die Gewerkschaft der Polizei hatte eine Facebook-Seite hochgenommen, die Fotos von Kindern und Babys, teilweise auch nackt, gesammelt und anschließend veröffentlicht hat. Die Betreiber der Seite hatten dazu Nutzerprofile von Social-Media-Kanälen nach entsprechenden Kinderbildern durchsucht. Mittlerweile gibt es auch Seiten, die vollautomatisch Bilder von Instagram-Accounts kopieren können und anschließend im Internet veröffentlichen. Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger weiß, dass Pädophile häufig diese Bilder sammeln, kommentieren und auf ihren Netzwerken zur Verfügung stellen. Besonders gefährlich wird es laut Rüdiger dann, wenn Eltern zusätzlich Informationen wie den Wohnort, die Schule oder die Kita des Kindes ins Netz stellen. So wird es immer leichter, die Kinder ausfindig zu machen.

Die Suche nach der Kita

Die Organisation von Kinderbetreuung und Kita haben bei Johannes und Martina jetzt erst einmal Priorität. Wir haben allerdings keinen Sprung in die Zukunft gemacht, Emma ist nicht etwa schon drei Jahre alt. Wir befinden uns immer noch weit vor der Geburt.

Martina hat schon an dem Tag, als sie erfuhr, dass sie schwanger ist, das Internet nach den besten Kitas durchforstet. Bei den topgerankten Kitas mit englischer Fremdsprachenförderung wird sie sofort darauf hingewiesen, dass sie zu spät komme. Vielleicht gebe es einen Platz fürs nächste Kind, aber für Emma sehe es in den nächsten Jahren mau aus. Ernüchtert müssen Martina und Johannes feststellen, dass sie mitnichten zu früh, sondern viel zu spät dran sind.

In vielen Bundesländern sind Kitaplätze rar, laut Institut der deutschen Wirtschaft fehlen in Deutschland rund 342 000 Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren.23 Eltern, die den jeweiligen Zeitpunkt der Anmeldung verpassen, haben es später schwer, einen Wunschplatz zu ergattern. Hinzu kommt, dass viele Eltern ihre noch ungeborenen Kinder in mehreren Einrichtungen anmelden. Vielleicht handelt es sich um eine Reaktion auf die mangelnden Kitaplätze, vielleicht sind es »Übereltern«. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte, und wir haben es mit einer sich selbst verstärkenden Spirale zu tun: Im Wissen, dass es wenige Kitaplätze gibt, melden die angehenden Eltern ihren Nachwuchs immer früher an. Ein Bewerbungskampf ist entstanden, der immer früher beginnt.

Nun bleiben für »Spätanmelder« wie Martina und Johannes nur Kindergärten ohne Fremdsprachenförderung und ohne Bio-Essen übrig. Die Bewertungen im Netz hierzu schauen nicht besonders gut aus; die werdenden Eltern hoffen, dass sich eine Alternative finden lässt, bis Emma in die Kita kommt. Da sich die beiden »zu spät« beworben haben – wir sprechen immer noch von der pränatalen Zeit, Emma ist noch nicht geboren –, werden sie auf die Warteliste verwiesen.

Baby-Ausrüstung

Angetrieben von den Chats in den Babyforen kaufen Martina und Johannes nun auf sämtlichen Online-Plattformen Babyklamotten. Aber nicht irgendwelche, sondern nur die mit mindestens Vier-Sterne-Bewertungen.

Die Frage ist nun, wer tut das nicht? Kaufen wir nicht alle die maximale Qualität für unsere Kinder, und vertrauen wir nicht alle auf Bewertungsportale?

Wie gesagt, hauptsächlich hinterlassen diejenigen eine Bewertung, die unzufrieden sind oder schlichtweg ihren Frust ablassen wollen. So entsteht ein Gebrüll an negativen Bewertungen – die natürlich ausgeglichen werden müssen! Dazu verwenden Firmen beispielsweise positive Fake-Bewertungen.

Davon wissen Johannes und Martina allerdings nichts. Sie bemerken gar nicht, wie sehr sie in ihren Kaufentscheidungen geleitet werden. Im Gegenteil, sie fühlen sich aufgefangen und verstanden. Zudem spielt das Geld zunächst keine große Rolle, sie verdienen genug. Und sie sind irgendwie angestachelt, agieren wie in einem Wettkampf: Beide wollen nicht nur mithalten, nein, sie wollen besser sein als all die anderen werdenden Eltern. Gekauft wird bei eBay und Amazon. Denn dort bekommen sie on top – dank personalisierter Werbung – die neuesten Trendfarben des besten Babybodys, den neuesten Wickeltisch, den angesagtesten Kinderwagen mit den meisten Likes angeboten. Ein Klick, und es gehört ihnen. Es ist auch praktisch.

Martina und Johannes sind abhängig von Google und Bewertungsportalen, vor allem wenn es um Entscheidungen geht. Sieht man einmal von den Verzerrungen der Bewertungen ab, könnte in Bewertungsportalen großes Potenzial für eine ehrliche Meinung stecken. Anonym und unzensiert steht es jedem offen, frei zu äußern, was er oder sie denkt. Das größere Problem jedoch ist, dass Bewertungsportale unser analoges Bauchgefühl verdrängen. Das »Bauchgefühl« ist laut dem Psychologen Hans J. Markowitsch und der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Angelica Staniloiu kein rein intuitiver oder automatisierter Vorgang, sondern eine Kombination aus angeborenen und erworbenen Faktoren, die dann zu einer Reaktion führen.24

Martina und Johannes finden es gut, dass sie bereits auf die Erfahrungswerte anderer aus der Internetgemeinde zurückgreifen können. Dass die Bewertungsportale aber nicht die Wirklichkeit, so wie sie ist, abbilden, das merken Johannes und Martina nicht, denn sie wurden dafür nicht sensibilisiert. Sie haben nie die Erfahrung gemacht, dass es schlecht sein könnte, auf die Bewertungen anderer Menschen zu vertrauen. So legen sie ihr analoges Bauchgefühl ab, das ihnen vielleicht sagen würde, dass man sich zuerst selbst eine fundierte Meinung bildet, bevor man etwas einkauft, und vertrauen ganz auf das Netz.

Emma und ihre gesamte Generation wird später im Leben kaum noch Bereiche ohne digitale Bewertungssysteme kennen. Ihr wird es besonders schwerfallen, individuelle bewertungsportalfreie Entscheidungen zu treffen. Sie wird in solchen Fällen einen anderen Anker25wählen als den Rat der Eltern, Großeltern und Freunde, um eine Entscheidung treffen zu können. Insgesamt wird Emma später bei Entscheidungen, die ohne solche Portale getroffen werden müssen, sehr langsam, unsicher und ängstlich vorgehen.

Für die Erziehung von Emma könnte das Wissen um das Bauchgefühl digitale Sorge und Hoffnung zugleich bedeuten: Da auch das natürliche Bauchgefühl von Emmas Eltern immer weiter zurückgeht und Emma bereits sehr früh in ihrer Kindheit mit digitalen Geräten konfrontiert wird, wird auch sie lediglich ein »digitales Bauchgefühl« entwickeln. Im Gegensatz zu ihren Eltern wird sie jedoch nie etwas anderes kennengelernt haben. Das bedeutet, dass diese Entwicklung bei Emma viel intensiver sein wird, da sie in ihrer prägungsoffenen Phase bereits mit digitalen Geräten in Kontakt kommt und alle späteren Handlungen auf diese Erfahrungen zurückgehen werden. Das ist bei ihren Eltern noch anders gewesen. Da Martina und Johannes um 1980 geboren sind, haben sie ein Leben ohne digitale Geräte kennenlernen können. Für Emma wird ein solches Leben undenkbar sein.