Geometrie der Seele - Christian Schubert - E-Book
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Geometrie der Seele E-Book

Christian Schubert

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Beschreibung

Die Natur ist in vielfältigsten, schillernden Mustern organisiert, und wie die Forschung heute weiß, ordnet sich auch die Seele nach ganz ähnlichen Prinzipien. In das große, gleichsam geometrische Muster unseres Seins sind all unsere inneren und äußeren Regungen eingewoben – bewusst wie unbewusst, individuell wie familiär und gesellschaftlich. Die Einsicht, dass wir in Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen einem "fraktalen Plan" folgen, entlastet nicht nur, sondern eröffnet auch neue Wege zur Heilung. Der bekannte Psychoneuroimmunologe und Psychotherapeut Christian Schubert stellt die bisher kaum verbreiteten wissenschaftlichen Grundlagen vor und belegt die daraus resultierenden Heilungsansätze mit Fallgeschichten aus seiner Praxis.

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer Edition ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Simone Kohl

Lektorat: Ulrich Wank

Bildredaktion: Petra Ender

Covergestaltung: Ki36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

eBook-Herstellung: Chiara Knell

ISBN 978-3-8338-8933-2

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Illustrationen: Steffen Rümpler

Syndication: www.seasons.agency

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Vorwort von Günter Schiepek

Fraktale – selbstähnliche Muster, zunächst in der Natur und der Geometrie, aber auch auf unterschiedlichen Zeitskalen des Lebens, im Umgang mit einzelnen Situationen oder ganzen Lebensentwürfen – bestimmen die Drehbücher unseres Seins. Der gelungene Transfer eines mathematischen Konzepts in die Psychologie, wie ihn dieses Buch vornimmt, liefert uns eine Brille, mit der wir in die Weite und in die Tiefe unseres Seelenlebens blicken können.

Die Beispiele psychotherapeutischer Begegnungen, die Christian Schubert dabei mit uns teilt, sind faszinierend und kenntnisreich erzählt, voller Empathie und Interesse an den Menschen, die uns in diesen Geschichten begegnen. Was dieses Buch offenbart, sind zudem psychologische Überraschungen, medizinische und philosophische Fragen und einige Anregungen, das eigene Leben ganz neu zu betrachten.

Was mich an den in diesem Buch erzählten Fallgeschichten, aber auch am Konzept der selbstähnlichen Muster in unserem Leben, wie es hier vom Autor entwickelt wird, fasziniert, ist das alltägliche Vorkommen des Fraktalen. An keiner Stelle verengt sich der Blick in Richtung Psychopathologie, sondern entwirft Selbstähnlichkeit als Ressource, als Reflexionshilfe auch für unser eigenes Verhalten und Erleben, als Möglichkeit für »Diagnostik« im Sinne von dia-gnosis, also das Durchschauen von ansonsten vielleicht Rätselhaftem.

Das vorliegende Buch wird Ihnen Freude bereiten. Nicht nur wegen der gelungenen Metaphorik um den schillernden Begriff der »Fraktale« und wegen der Intuition und Lebens-, Praxis- sowie Forschungserfahrung des Autors, sondern auch wegen der kurzweiligen, eingängigen Sprache. Ich wünsche dem Buch einen großen Leserkreis und umfassende Resonanz, wobei ich mir um beides keinerlei Sorgen mache. Viel Spaß bei der Lektüre.

Prof. Dr. Dr. Günter Schiepek

Leiter des Instituts für Synergetik und Psychotherapieforschung an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg

Liebe Leserinnen und Leser,

haben Sie Lust, an einem Great Reset in Richtung mehr Natürlichkeit und Menschlichkeit teilzuhaben? Ja? Dann lade ich Sie herzlich zur Lektüre dieses Buches ein! Gerade die letzten Jahre zeigten wieder deutlich, wie wichtig es ist, sich der Natur und dem Menschen in einer Weise anzunähern, die ihrer Komplexität entspricht. Leider hat der Mensch diesen Zugang immer mehr verloren, je mehr er sich vom enormen Technikfortschritt besonders im letzten Jahrhundert begeistern ließ. Technik mag kompliziert sein, sie ist aber niemals annähernd von einer solchen Komplexität wie Natur und Mensch. Diese benötigen daher für ihr Verstehen auch einen komplexen Zugang.

Diesen Zugang zu erlangen und Komplexität ins eigene Leben zu integrieren, kann kinderleicht sein. Ich selbst habe das erlebt. Vor einigen Jahren ließ ich meinen damals zehnjährigen Sohn an meiner Begeisterung für Fraktale teilhaben. Ich erzählte ihm vom Baum und anderen Naturphänomenen und deren fraktalen Aufbau – so wie ich Ihnen in den folgenden Kapiteln davon berichten werde. Ich konnte daraufhin Zeuge werden, quasi aus erster Hand, wie dieses Wissen von meinem Sohn spielerisch in seinen Alltag eingewoben wurde. Wie er mir von Tag zu Tag immer neue fraktale Beispiele nannte. Nicht nur zur Geometrie der Natur, sondern zunehmend auch zur Geometrie der Seele.

Ich möchte dieses Buch meinem Sohn Noah und mit ihm stellvertretend allen Kindern und Jugendlichen widmen. Kinder lieben Komplexität, an ihr entwickeln sie sich und reifen sie. Lassen Sie uns aufhören, ihnen diese Fähigkeit über die Jahre ihrer wichtigsten Entwicklungszeit abzutrainieren. Sie werden es uns danken, indem sie Natur und Mensch schätzen und sich für deren Erhalt einsetzen. Viel mehr braucht es nicht für Frieden und Umweltschutz, davon bin ich überzeugt.

Herzlichst,

Ihr Christian Schubert

Lassen Sie uns beim Baum beginnen, um in eine ganz neue Betrachtungsweise von uns selbst und der Welt einzutauchen. Wenn Sie sich beispielsweise eine Linde, eine Buche oder eine Eiche vorstellen, haben sie alle eine Gesamtgestalt: unten den Stamm, darüber Äste, Zweige und die Krone. Verfolgen Sie mit den Augen nun allein einen der dicken Hauptäste, werden Sie feststellen, dass sich in ihm die Gesamtgestalt des Baumes wiederholt. Auch er zeigt einen Stamm, der sich verästelt und verzweigt – genauso wie der gesamte Baum. Betrachten Sie einen dünneren Ast, entdecken Sie das gleiche Phänomen: Auch er beginnt mit einer Art Stamm, von dem aus kleinere Äste und schließlich Zweige abgehen. Und auch diese, wenn Sie sie einzeln anschauen, haben wieder die Gesamtgestalt. Immer neu zeigt der Baum die Form des Gesamten auch in seinen Teilen – nicht hundertprozentig gleich, aber »selbstähnlich«.

Das Gleiche können Sie beim Brokkoli oder – besonders schön – beim Romanesco beobachten. Der hübsche grüne Kegel wiederholt sich vom Großen bis ins Kleinste. Der gesamte Romanesco ist in etwa kegelförmig und zusammengesetzt aus kleineren Kegeln, die sich wiederum in noch kleinere Kegel und schließlich winzige Kegelchen unterteilen lassen. Ein Kunstwerk der Natur.

Was wir hier beobachten können, ist ein natürliches Ordnungsprinzip, dass Sie überall entdecken werden, wenn Sie sich einmal dafür sensibilisiert haben. Bäume zeigen es genauso wie Berge, Flussläufe, ganze Landschaften, der Blitz in einem Gewitter und viele natürliche Phänomene mehr. Man spricht von Fraktalen, die zuerst in der Mathematik wissenschaftlich analysiert wurden, als man versuchte, näher an die Formen der Natur heranzukommen, als das die traditionelle Geometrie vermag.

Wir finden Fraktale aber auch in der Biologie von Lebewesen – beispielsweise im Gefäßbaum oder der Lunge von Säugetieren und damit auch von uns Menschen. Doch auch damit sind wir nicht am Ende dessen angelangt, was die Fraktale mit uns zu tun haben. Denn wir bestehen aus weit mehr als nur dem Physischen und gerade das Fraktale zieht sich als Ordnungsprinzip durch das Stoffliche ebenso wie durch das Nichtstoffliche. Es lässt sich quer durch all unsere Existenzebenen entdecken: in unserem Körper, aber auch – und das ist die These dieses Buches – in unserer Psyche und darüber hinaus in Beziehungen, im Familiären und im Sozialen, ja selbst im Geschichtlichen. Wozu ich Sie hier also tatsächlich einladen möchte, ist eine Geometrie des Seelischen. Ich möchte mit Ihnen hier geometrische Feinheiten auf unser komplexes Sein als Mensch anwenden.

Die Fraktalgeometrie kann uns enorm dabei helfen, uns selbst besser zu verstehen, und auch dabei, uns zu heilen oder gesund zu erhalten, wenn wir sie über das Stoffliche hinaus auch im Nichtstofflichen zu begreifen versuchen. In der gegenwärtigen Medizin wird dieses Nichtstoffliche und seine komplexe Wechselwirkung mit dem Stofflichen aus meiner Sicht viel zu wenig beachtet, was diese Medizin an viele Grenzen stoßen lässt. Ich bin schon lange ein Kritiker dieser Medizin, die nur auf das Körperliche schaut und das Seelische und Geistige abspaltet. Deswegen halte ich es für ein wesentliches Kennzeichen einer dringend nötigen neuen Medizin, dass wir lernen, fraktal zu denken. Was das bedeuten könnte, was dabei alles zusammenspielt und was Sie damit vielleicht auch für Ihr Leben und Erleben gewinnen können, darum wird es in den folgenden Kapiteln gehen.

Wenn Geometrie Psychologie inspiriert

»In einem Menschen spielt sich (auch) das universelle Leben ab.« Diesen Satz schrieb ich vor über zwanzig Jahren, und als ich ihn bei der Arbeit an diesem Buch wiederentdeckte, war das ein eigentümlich berührender Moment. Es ist der erste Satz in einer Worddatei mit mittlerweile 793 Seiten, in die ich meine Gedanken und Beobachtungen schreibe, die mir neu oder spannend erscheinen. Was ich da als allerersten Satz vor mehr als zwei Jahrzehnten notierte, umspannt bereits, was ich heute an Sie weitergeben möchte. Es offenbart bereits die Fraktalidee im Wesen Mensch.

Ein Fraktal ist ein Muster, bei dem sich das Ganze in den Teilen selbstähnlich widerspiegelt, so wie ich es eingangs für Bäume beschrieben habe. Das Große wiederholt sich im Kleinen, das Kleine zeigt sich im Großen. Der Baum wiederholt sich im Ast, der Ast zeigt sich im Baum. Ich möchte dieses Phänomen der Selbstähnlichkeit und der Fraktale in einem Bereich anwenden, wo wir es kaum vermuten würden. Es ist bereits sehr spannend, es in der Natur, der Biologie und in der Mathematik zu untersuchen, doch wenn Seelisches zu Geometrie wird, dann bricht das mit all unseren Vorstellungen. Dann eröffnen sich völlig neue Blickwinkel auf unser Sein.

In der Mathematik und speziell der Geometrie ging man lange Zeit nur von glatten und perfekt geformten Elementen aus: Kreise, Dreiecke, Zylinder, Linien und so weiter. Doch – wie es der Entdecker und Namensgeber der Fraktale Benoît Mandelbrot ausdrückt – »die Kurven, welche keine Tangente besitzen, sind die Regel, und die höchst regelmäßigen Kurven, wie der Kreis, sind zwar sehr interessante, aber ganz spezielle Fälle«1. Erinnert das nicht auch an das Menschenbild unserer gegenwärtigen Gesellschaft? Glatt und gleichmäßig soll die Persönlichkeit sein, genormt seit der Kindheit, gut einzupassen und auf einfache Nenner herunterzubrechen. Doch wer von uns ist so? Ist nicht auch bei uns viel mehr das Nicht-Lineare und Raue an der Tagesordnung, genauso wie in der Natur, die eben nicht aussieht wie ein Lehrbuch der Geometrie für die achte Klasse? Und wird es deshalb nicht Zeit, unserem Bild von uns selbst mit moderneren Erkenntnissen auf die Sprünge zu helfen?

Es »zeigt sich, dass der ›fraktale Blick‹ in manchen Fällen überhaupt erst so etwas wie ein anschauliches Verständnis von Zusammenhängen ermöglicht«2, wo Dinge sonst eher nur unverbunden nebeneinander wahrgenommen werden. Genau das lässt sich auch für das Psychische sagen. Wir glauben oft, dass Psychisches einfach passiert, dass es einfach irgendwie da ist. Doch wenn wir mit dem Wissen um die Fraktale an die Seele herangehen, tut sich ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Ebenen in unserem Sein auf und wird für uns immer besser verstehbar.

Beginnen können wir dabei ganz einfach. Warum beendet eine bestimmte Person immer wieder ihre Beziehungen, eine andere nie? Warum scheint der eine Mensch in allen Lebensbereichen das Gelingen richtiggehend abonniert zu haben, während ein anderer trotz großer Anstrengung bei der Erfüllung seiner Träume immer wieder scheitert? Warum entwickelt jemand eine Erkrankung und jemand anderes eine völlig andere? Warum schafft ein Künstler gerade die Kunst, die ihn ausmacht? Was passiert da im Verborgenen? Wie organisieren sich die unterschiedlichen Existenzen? Auf welche Weise wirkt das Unbewusste in uns und wie schafft es wahrnehmbare Wirklichkeit? Hat dies alles richtiggehend mathematische Hintergründe, die zugleich den enormen Spielraum offenlassen, der die Vielfalt des Lebendigen ausmacht? Finden sich – wie beim Baum – bestimmte Grundthemen in unserem Leben im Kleinen wie im Großen auf allen möglichen Ebenen wieder?

Solchen Fragen gehe ich seit vielen Jahren nach und ich bin bei Weitem nicht der Einzige, der die Fraktale auch in anderen Bereichen jenseits von Mathematik und Geometrie in die Diskussion bringt. Natürlich scheint der Weg zwischen den beiden Feldern, um die es mir hier geht – der abstrakt und kompliziert wirkenden Mathematik der Fraktale einerseits und uns Menschen andererseits –, sehr weit. Und so brauchte es auch einige Jahrzehnte, bis unterschiedliche Forscher und Forscherinnen mit der Idee der Fraktale in der Medizin und der Psychologie angekommen waren. Jetzt aber gibt es hier vielversprechende Ergebnisse. Sie zeigen auch, dass eine rein mechanistische Betrachtungsweise von Mensch und Welt nicht nur ungesund und schädlich ist, sondern auch wissenschaftlich falsch.

Wenn ich Geometrie mit Psychologie verbinde, geht es nicht darum, den Menschen nun als berechenbar und damit bis ins Kleinste vorhersagbar darzustellen. Denn das wird er niemals sein, so wie es auch die Natur niemals sein wird. Es geht vielmehr darum, sich ein grundlegendes Ordnungsprinzip der Natur so weit zu vergegenwärtigen, dass wir prüfen können, inwieweit es auch bei uns, die wir ebenfalls zur Natur gehören, Geltung hat. Und wenn es das tut, können wir schauen, wie wir das Wissen für uns nutzen können. Genau darum geht es in den folgenden Kapiteln.

Die Wiederentdeckung des Menschlichen

Ich schreibe dieses Buch, weil ich mir eine Psychologisierung der Welt wünsche, die zwangsläufig zu einer Art Wiederentdeckung des Menschlichen führen wird. Ich wünsche mir die Einsicht von immer mehr Menschen, dass wir nicht nur biologische, sondern auch psychologische und soziale Wesen sind und dass sich diese drei Ebenen intensiv beeinflussen und nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Für mich ist das, was Sie hier finden und was erst der Anfang und ein kleiner Ausschnitt aus einem unendlich weiten, jungen Forschungsbereich ist, wie ein Umarmen des Unbewussten, ein vorsichtiges Begreifen der Größe und Verwobenheit aller Ebenen unserer Existenz. Dieses Begreifen kann zu einem neuen, gesünderen Umgang miteinander, zu einer menschlicheren Lebenskultur, zu einer neuen Medizin und zu einer verwandelten Sicht des Einzelnen auf sich selbst und sein Umfeld führen, die uns allen guttun dürften.

Wenn Sie durch dieses Buch Lust bekommen, sich selbst und die Menschen in Ihrem Leben auf Fraktale hin zu untersuchen, wenn Sie darüber miteinander ins Gespräch kommen und sich selbst, andere und die Welt tiefer verstehen lernen, dann würde ich meine Arbeit hier als gelungen betrachten. Es ist nicht simpel, Fraktale in der eigenen Psyche und im eigenen Leben oder bei anderen zu erkennen. Viele Menschen haben ein natürliches Talent dafür, andere sind durch ausreichend Erfahrung in Therapie und Selbsterkenntnis schon etwas geübt, wieder andere werden vielleicht durch ein Buch wie dieses dazu angeregt, fortan in Mustern und Selbstähnlichkeiten zu denken. Sie alle dürfen wissen, dass eine solche Art, die Menschen und die Welt zu betrachten, einen mathematischen Hintergrund hat, der dem oft abgewerteten Bauchgefühl oder dem intuitiven Assoziieren ein wissenschaftliches Fundament baut.

Wenn Sie zu den Menschen gehören, denen eine ganzheitliche Betrachtungsweise bereits vertraut ist, werden Sie mit dem, was ich hier darstelle, wahrscheinlich schnell übereinstimmen können. Was allerdings auch für Sie neu sein könnte, ist die Herleitung dieser Ganzheitlichkeit aus einem naturwissenschaftlichen und mathematischen Grundprinzip – dem Ordnungsprinzip des Fraktalen. Wir können über die Fraktale das Unbewusste in die Bewusstheit holen, denn es ist wesentlich an der Ausprägung der Muster in unserem Leben beteiligt – der Muster, die sich fraktal organisieren und darüber von uns erkannt werden können.

Zu diesem Buch

Im ersten Teil des Buches werden wir uns ein wenig mit den mathematischen Grundlagen der Fraktale beschäftigen. Auch wenn Sie Mathematik und Naturwissenschaften möglicherweise nicht so viel abgewinnen können, lade ich Sie ein, auch dieses Kapitel zu lesen. Ich habe versucht, die komplexen Zusammenhänge so unterhaltsam und verständlich wie möglich darzustellen. Und es ist auch nur die Spitze des Eisberges mit Namen Fraktalgeometrie. Wenn Sie beim Lesen im Hinterkopf behalten, dass diese Grundlagen letztlich auf uns selbst, auf unsere Psyche, auf unser Leben angewendet werden können, werden Sie sicherlich zwischen den Zeilen schon einiges erahnen und erste Verknüpfungen herstellen können.

In den weiteren Kapiteln wenden wir uns dann stärker der »Geometrie der Seele« zu, der Anwendung der im ersten Kapitel beschriebenen Grundlagen auf die Psyche. Wir nutzen ein Bauprinzip der Natur, um uns selbst besser zu verstehen. Ich werde Ihnen hier einige Fallbeispiele aus meiner ärztlich-psychotherapeutischen Praxis und psychoneuroimmunologischen Forschung wiedergeben, die Ihnen zeigen sollen, wie wertvoll das Grundwissen um die Fraktale für psychotherapeutische und auch medizinische Diagnosen sein kann. Wir stellen natürlich in der Psychotherapie keine mathematischen Berechnungen an, sondern übertragen das Wissen um die Fraktale auf Gleichgestaltigkeiten (Isomorphien) und Selbstähnlichkeiten, die in der Biografie, im Erleben und Verhalten eines Menschen offenbar werden. Schon hier wird deutlich, dass es neben dem für uns heute üblich gewordenen mechanistischen Zugang viele weitere gültige Zugänge zu Wissenschaft und Medizin gibt, die wir künftig stärker in den Vordergrund rücken sollten, um der Realität gerecht zu werden. Der Blick auf den Körper allein ist nicht genug, um irgendeine Form von Krankheit ausreichend zu verstehen.

In diesem Sinne betrachten wir im Weiteren das biopsychosoziale Modell des amerikanischen Psychiaters George Libman Engel, das sich organisch mit den Fraktalen verbinden lässt und uns noch näher an das Geheimnis heranführt, wie sich bestimmte Muster in unserem Leben ausprägen und wie wir möglicherweise auch traumatische Ereignisse und Erkrankungen regelrecht kreieren. Alles Hinweise, die für eine Therapie, ob im Psychischen oder im Physischen, wesentlich sein können.

Gegen Ende des Buches möchte ich einen Ausblick darauf geben, wie sich einmal entdeckte Fraktale bei einem Menschen therapeutisch und sogar prognostisch nutzen lassen. Und ich möchte Sie anregen, in Ihrem eigenen Leben und Umfeld weiter zu forschen und sich immer mehr einem Verständnis für die Geometrie Ihrer Seele und der Ihrer Mitmenschen anzunähern. Denn ist es nicht ein immer tieferes Begreifen der Zusammenhänge unseres Seins, das uns einen Sinn vermittelt, der uns auch durch stürmische Zeiten tragen kann?

Also, wagen wir uns an die Erkundung von etwas sehr Komplexem, das uns am Ende aber doch das Leben einfacher, sinnerfüllter – und uns verbundener, bezogener und vielleicht auch gesünder – machen kann. Untersuchen wir die Verquickung von Ganzem und Teilen, untersuchen wir das Universum in der Nussschale!

Ausgerechnet das Genre Animationsfilm verhalf einer beeindruckenden Neuerung in der Mathematik zum verdienten Durchbruch: der Fraktalgeometrie. 1978 erhielt der IT-Spezialist Loren Carpenter von Boeing Aircraft den Auftrag, experimentelle Flugzeuge werbewirksam darzustellen. Er wollte es besonders gut machen und sie durch real wirkende Landschaften fliegen lassen – das aber war mit der damaligen Computertechnik noch gänzlich unmöglich. Die Rechenkraft reichte bei Weitem nicht dafür aus, komplexe Gebirgszüge oder Flusslandschaften darzustellen. Carpenter erinnerte sich an das Buch des Mathematikers Benoît Mandelbrot mit dem Namen Fractals. Form, Chance, and Dimension 3, in dem es Abbildungen von geometrischen Strukturen gab, die genauso aussahen wie das, was er in seinen Kurzfilm bringen wollte. So vertiefte er sich in die Fraktalgeometrie, die zum Schlüssel für sein weiteres Wirken in der Filmbranche wurde.

Gebirge ließen sich damit nämlich plötzlich ganz einfach darstellen: Für jeden Berg wurde ein Dreieck gezeichnet und in all die Dreiecke setzte man jeweils weitere Dreiecke. Wiederholte man diesen Vorgang am Computer Hunderte Male, hatte man schließlich eine realistisch wirkende Gebirgslandschaft. Einfache geometrische Formen wurden gebrochen – fraktalisiert – und kamen optisch so der Natur verblüffend nahe. Es entstanden Filmsequenzen, wie sie uns heute völlig selbstverständlich vorkommen. Damals aber waren sie eine Sensation.

Loren Carpenter wechselte wenig später von der Werbung zum Unterhaltungsfilm. Sein neuer Auftraggeber war kein Geringerer als George Lucas. Bei Lucasfilm begleitete der Computercrack mit seinem Know-how den zweiten Teil der legendären »Star Trek«-Reihe: »Der Zorn des Khan«. Dort nutzte er die Fraktalgeometrie, um ganze Planeten filmisch darzustellen – es war letztlich ganz einfach, nur war zuvor noch niemand draufgekommen.

Was hier im Bereich des Animationsfilms passierte, lässt sich auch von der Betrachtung der Natur sagen: Mit der Idee der Fraktale ließ sie sich plötzlich ganz neu entdecken und in ihren Formen sogar berechnen – letztlich ganz einfach, nur war zuvor noch niemand draufgekommen. Immer wieder begegnen wir diesem erstaunlichen Spannungsfeld, dass etwas höchst Komplexes am Ende doch ganz einfach ist. Aber auch, dass sich etwas ganz Einfaches, weil es so komplex ist, gar nicht leicht erklären lässt. Doch versuchen wir es.

Wie lang ist die Küste Großbritanniens?

Diese Frage ist eng mit der Fraktalgeometrie verbunden. Und die Antwort? Die Küste Großbritanniens ist so lang wie die Summe aller einzelnen Umfänge der Inseln, die zum Vereinigten Königreich gehören, könnte man schnell sagen. Außerdem wurde sie bereits gemessen, Wikipedia weiß, dass die britische Küste etwa 12 500 Kilometer lang ist. Doch stimmt das? Oder reduziert man mit so einem Ergebnis die Komplexität der Realität?

Benoît Mandelbrot hat sich als wissenschaftlicher Tausendsassa auch dieser Frage angenommen. Und er kommt zu dem Ergebnis: »Das Resultat ist außerordentlich seltsam: Die Länge einer Küstenlinie erweist sich als ein undefinierbarer Begriff, der einem durch die Finger gleitet, wenn man ihn fassen will.«4 Wie kann das sein?

Eine Küstenlinie hat eine sehr ungleichmäßige Form und so kommt es bei ihrer Vermessung entscheidend darauf an, wie genau man vorgehen will. Legt man Messlinien von zehn Kilometern Länge an, wird die Küste deutlich kürzer erscheinen, als wenn man Linien von einem Kilometer Länge ansetzt. Diese können viel genauer Buchten und Ausstülpungen miterfassen. Doch auch mit dieser Messlinie von einem Kilometer wird man nicht alle Einbuchtungen und Felsvorsprünge einbeziehen können. Sogar mit einer Linie von einem Meter wird das nicht gelingen, und wenn wir ganz genau hinschauen, auch nicht mit einem Zentimeter. Je genauer wir messen, desto länger wird die Küstenlinie. Die Küste ist zu zerklüftet, als dass man ihre Länge wirklich genau bestimmen könnte. Sie ist fraktal organisiert.

Das heißt auch, dass sich ein großes Stück Küste in einem kleineren Stück optisch selbstähnlich wiederholt, ähnlich wie wir das beim Baum betrachtet haben. Schaut man sich ein Stück Küste von oben an und zoomt dann hinein, sieht der nun kürzere Küstenabschnitt wieder ganz ähnlich aus wie der ursprüngliche größere. Auch eine Küste zeigt die sogenannte Skaleninvarianz, die für Fraktale typisch ist.

Für die Messung einer Küste kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Überall strömt das Wasser bei jeder Welle ein wenig an den Strand oder auf den Fels und zieht sich dann wieder zurück. Verstärkt und verkompliziert wird dies noch durch die Gezeiten. Es gibt also Flächen, die mal zum Wasser gehören und mal zum Land, die mal Großbritannien im engeren Sinne sind und mal nicht. Wo könnte man hier genau messen? Oder soll man irgendeinen Mittelwert nehmen? Das zu Vermessende ist zusätzlich dynamisch und die Grenzen sind variabel und durchlässig.

Wenn wir näher an eine Küstenlinie heranzoomen, zeigt sie ein ähnliches Bild erneut.

Natur lässt sich nicht glätten. Sie bleibt unregelmäßig und nicht linear. Dennoch lässt auch sie sich mathematisch betrachten, wenn wir die Idee der Fraktale einbeziehen. Die Küste allerdings bleibt undefinierbar lang. Ihre Gestalt ist sehr komplex und folgt zugleich einem hohen Grad an Ordnung, wie es in der Natur überall der Fall ist. Wie lässt sich diese geheime Ordnung ergründen? Mit dieser Frage müssen wir zumindest kurz in die Geometrie eintauchen.

Ein wenig Geometrie

»Warum wird die Geometrie oft als ›nüchtern‹ und ›trocken‹ bezeichnet? Nun, einer der Gründe besteht in ihrer Unfähigkeit, solche Formen zu beschreiben wie etwa eine Wolke, einen Berg, eine Küstenlinie oder einen Baum. Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel, Küstenlinien keine Kreise. Die Rinde ist nicht glatt – und auch der Blitz bahnt sich seinen Weg nicht gerade.«

So beginnt Benoît Mandelbrot, gewissermaßen der Vater der Fraktale, sein Buch Die fraktale Geometrie der Natur.5 Als ebenso genialer wie unkonventioneller Wissenschaftler legte er in den 1970er-Jahren den Finger in eine Wunde der Mathematik. Die nämlich war bislang immer nur von glatten geometrischen Figuren ausgegangen – von geraden Linien, klaren Flächen und ebensolchen Formen. Diese als euklidisch bezeichnete Art der wissenschaftlichen Betrachtung beschreibt Formen und Gestalten, wie sie sich gut zeichnen und berechnen lassen, wie sie in der Natur aber nicht zu sehen sind, weder an einer Küstenlinie noch bei einem Baum. Die Mathematiker wichen lange Zeit dem aus, was Mandelbrot die »Morphologie des Amorphen« nennt, die Lehre von der Form dessen, was sich eben nicht in glatte Linien und Flächen pressen lässt, sondern unregelmäßig ist, rau. Mandelbrot soll hierzu auch gesagt haben, dass das Auge aus der Naturwissenschaft »exkommuniziert« worden sei. Das, was wir alltäglich sehen können, kommt in ihr nicht vor.

Oben sehen Sie einen natürlichen Baum, daneben einen Fraktalbaum aus der Geometrie und unten eine realitätsnahe computergestützte Modellierung von Bäumen mithilfe der Fraktalgeometrie.

Eine Geometrie der Natur scheint auf den ersten und auch noch zweiten Blick tatsächlich unmöglich, doch mit der Kenntnis der Fraktale wird sie machbar. Mathematiker sagen sogar, dass es ganz einfach sei. Das würde ich als Nicht-Mathematiker nicht behaupten – deswegen möchte ich uns hier auch nicht mit zu vielen geometrischen und formelhaften Details quälen. Doch ein paar Grundlagen aus diesem Bereich sind auch für Laien gut verständlich und überaus faszinierend.

Benoît Mandelbrot

Der »Vater der Fraktalgeometrie« war ein Wissenschaftler, der sich nie in den engen Bahnen des Etablierten bewegte. 1924 in Warschau geboren, zeigte Benoît Mandelbrot schon früh eine außergewöhnliche Begabung für Mathematik. Er studierte Ingenieurswissenschaften und Aeronautik, promovierte in der Mathematik. Die meiste Zeit seiner beruflichen Laufbahn war er allerdings nicht an den Universitäten tätig, sondern bei IBM in der Forschung. Dort schätzte man Menschen, die die Dinge auf unkonventionelle Weise betrachteten und sich nicht scheuten, auch so etwas Altehrwürdiges wie die Mathematik vollkommen neu zu denken. An den Lehreinrichtungen tat man sich damit schwerer, zumal sich Mandelbrot mit vielfältigsten mathematischen Problemen befasste, statt sich auf eines festzulegen. Erst im Alter von fünfundsiebzig Jahren trat er eine Professur an, in Yale.

Mit der Entdeckung der Fraktalgeometrie geriet er in Widerspruch zur etablierten euklidischen Mathematik, indem er ihr eine völlig andere Betrachtungsweise der Welt entgegenstellte. Eine, die viel mehr der Natur entsprach, denn sie ging von »rauen« Flächen aus. Nicht-linear, gebrochen, fragmentiert – fraktal.

Mandelbrot starb 2010 in Cambridge im Alter von 86 Jahren.

Kochsche Kurve und Kochsche Schneeflocke

Stellen Sie sich einmal eine Schneeflocke in ihrer filigranen schönen Kristallstruktur vor. Jede dieser Flocken ist ein bisschen anders geformt, und doch sind sie selbstähnlich. Ihnen in der Geometrie nahezukommen, kann über eine sehr bekannte und ganz einfache fraktalgeometrische Form passieren. Sie können sie mit Stift und Papier sogar leicht selbst nachvollziehen, wenn Sie möchten.

Wir beginnen dabei nicht gleich mit der Flocke, sondern erst einmal mit einer Linie, die zur Kurve wird, zur Kochschen Kurve. Wenn Sie mitmachen wollen: Nehmen Sie ein Blatt Papier und zeichnen Sie oben eine Linie darauf. Nun zeichnen Sie darunter die gleiche Linie noch einmal, diesmal aber ersetzen Sie das mittlere Drittel durch einen gleichmäßigen Zacken nach oben, also durch ein unten offenes gleichseitiges Dreieck. Wieder darunter zeichnen Sie die eben entstandene Form und ersetzen dabei erneut alle Linien im mittleren Drittel durch eine Zacke nach oben.

Dieses Prinzip können Sie nun unendlich oft fortsetzen – jedes Mal ersetzen Sie alle Linien im mittleren Drittel durch die Dreiecksspitze nach oben. Allzu oft werden Sie es mit Papier und Stift allerdings nicht tun können, denn durch dieses simple Prinzip, immer wieder angewandt, wird das Gebilde auf dem Papier sehr schnell höchst komplex.

Diese gebrochene und immer komplexer werdende Linie wurde nach dem schwedischen Mathematiker Helge von Koch benannt, der dieses Gebilde 1904 in die wissenschaftliche Diskussion einbrachte. Denn natürlich hat auch ein Benoît Mandelbrot von Wissenschaftlern profitiert, die vor ihm über die gleichen Probleme nachdachten. So ist die Kochsche Kurve eine früher untersuchte geometrische Form, die aber noch nicht als fraktal bezeichnet wurde, bis Mandelbrot auf den Plan der Mathematikgeschichte trat.

Mit einer anderen Ausgangssituation lässt sich auf die gleiche Weise wie bei der Kochschen Kurve nun eine Kochsche Schneeflocke erzeugen, die in ihrem äußeren Ring tatsächlich einer winterlichen Schneeflocke nahekommt. Dafür gehen Sie von einem gleichseitigen Dreieck aus, dessen Linien Sie – wie bei der Kurve – jeweils im mittleren Drittel durch eine gleichseitige Zacke ersetzen. Immer und immer wieder, bis eine sehr komplexe Flockenstruktur entsteht. Theoretisch lässt sich der Vorgang auch hier unendlich oft wiederholen, praktisch aber hat er natürlich Grenzen, auch wenn wir das Muster mit einem entsprechenden Computerprogramm erzeugen.

Fraktale entstehen geometrisch durch das gleiche Grundprinzip: An einer bestimmten Ausgangsfigur wird eine geometrische Operation durchgeführt. Das Ergebnis ist die neue Ausgangsfigur, bei der die gleiche Operation erneut startet, wieder und wieder. Wir sprechen hier von Iteration, einem Prozess des mehrfachen Wiederholens.

Wenn Sie sich diese Kochsche Schneeflocke anschauen, erinnert sie nicht auch an die besprochene Küstenlinie, deren Länge nie ganz zu erfassen ist? Je öfter wir iterieren, umso länger wird die »Küste« der Kochschen Insel, obwohl sie in der Fläche, die sie auf dem Papier einnimmt, nach dem ersten Schritt kaum noch größer wird.

Wir haben es bei Koch bereits mit fraktalen Strukturen zu tun, allerdings in ihrer einfachsten Form. Wenn Sie mit Ihrem Blick hineinzoomen – wie beim Baum –, entdecken Sie nicht nur die Ausgangsfigur der Linie oder des Dreiecks überall wieder, sondern auch einzelne Abschnitte wiederholen sich in allen Bereichen der Gesamtform. Bei Wikipedia finden Sie unter dem Begriff Skaleninvarianz ein bewegtes Bild, das dieses Hineinzoomen zeigt – sehr sehenswert.6 Die Iteration bewirkt, dass man immer tiefer hineingehen kann und sich die Form dabei ständig wiederholt. Wie wichtig das auch in biologischer Hinsicht ist, werden wir noch sehen.

Sierpiński-Dreiecke

Eine bestimmte Form der Iteration ist auch die Grundlage für die faszinierenden Dreieckskombinationen, die der polnische Mathematiker Wacław Sierpiński entwickelte. Für unseren Zusammenhang ist besonders eine Arbeit von ihm interessant – und die lässt weitreichende Schlüsse in medizinischer Hinsicht zu. Dafür zuerst wieder ein wenig Geometrie.

Sierpiński verändert zwei unterschiedliche Ausgangsformen parallel durch Iteration, Sie sehen es im Bild. In der linken Spalte ein gleichseitiges Dreieck mit der Spitze nach oben. In der rechten Spalte die vier großen Buchstaben GDNA, die einfach nebeneinanderstehen. Der Algorithmus lautet: Verkleinere die Ausgangsformen und setze diese verkleinerten Formen dreimal in die ursprüngliche hinein. Auf diese Weise entsteht in der linken Spalte ein Dreieck, das drei kleinere Dreiecke enthält. In der rechten Spalte steht oben einmal GDNA und unten zweimal nebeneinander GDNA, auch schon ähnlich wie ein Dreieck.

Im nächsten Schritt wird der Algorithmus erneut angewendet und so erhalten wir in der linken Spalte das große Dreieck, in dem drei kleinere Dreiecke enthalten sind, in denen wiederum jeweils drei kleine Dreiecke zu sehen sind. In der rechten Spalte nähert sich die Form auch immer mehr einem Dreieck an, in dem sich weitere kleine Dreiecke aufhalten. Wird die Iteration fortgeführt, erhalten wir schon nach sechs Schritten rechts eine Gestalt, die sich kaum noch von der links unterscheiden lässt.

Wir haben hier also völlig unterschiedliche Ausgangssituationen, mit denen wir die gleiche Operation anstellen – und am Ende erhalten wir jeweils das gleiche Ergebnis. So wirkt es zumindest, denn es ist nicht komplett identisch. Wenn wir hineinzoomen würden, würden wir theoretisch auch nach der hundertsten Anwendung des Algorithmus noch erkennen können, dass in der linken Spalte Dreiecke und in der rechten Spalte die Buchstabenkürzel GDNA die geometrisch gleich aussehende Gestalt hervorbringen. Somit sind die beiden Ergebnisse selbstähnlich – und das eigentlich schon nach der ersten, spätestens zweiten Anwendung des Algorithmus, trotz ihrer unterschiedlichen Ausgangssituation.

Sierpiński-Dreiecke

Aus meiner Sicht ergeben sich hier Schlussfolgerungen, die im Hinblick auf das von mir stark kritisierte reduktionistische Vorgehen der heutigen Medizin sehr wertvoll sind. Dort forscht man gern daran, für eine Krankheit die eine einzige Ursache herauszufinden, bevorzugt genetischer Natur. Das Sierpiński-Dreieck aber verdeutlicht, dass ein Ergebnis zwar gleich aussehen mag – zum Beispiel eben die gleiche Erkrankung bei unterschiedlichen Menschen –, aber völlig unterschiedliche Ausgangssituationen haben kann: die individuelle Natur der Betroffenen, ihre Biografie mit eventuellen Traumatisierungen, ihre Beziehungen, ihr soziales Umfeld, ihre Lebenssituation, ihr Selbstbild, ihre Einstellung zum Leben und so weiter. Die unterschiedlichsten Ursachen können zum gleichen – oder zunächst gleich scheinenden – Ergebnis führen. Wenn wir in das Ergebnis genauer hineinschauen würden, könnten wir die Unterschiede erkennen.

Und es kommt etwas Wesentliches hinzu, was den »Algorithmus«, der zur Ausprägung einer Krankheit führt, noch komplexer werden lässt: All die Elemente, die uns ausmachen und aus denen heraus wir bewusst oder unbewusst unser Leben gestalten, sind dynamische Größen. In jedem Moment interagieren wir auf verschiedenen Ebenen mit anderen und mit der Welt und werden dadurch verändert. Und nicht nur das: Das Zusammenspiel zweier Elemente, beispielsweise zweier Menschen, führt zu einer neuen Qualität, zu einer Beziehung, die sich nicht aus der Summe beider Einzelelemente erklären lässt. Es entsteht etwas qualitativ Neues, etwas Drittes. Oder wie schon Aristoteles vor mehr als zweitausend Jahren sagte: »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!« Heute sprechen wir hier von Emergenz (und ich werde im Kapitel »Eingebettet ins Biopsychosoziale« noch genauer darauf eingehen). Hansotto Reiber, der das Sierpiński-Dreieck ebenfalls für eine Kritik an der reduktionistisch arbeitenden Medizin nutzt, schreibt: »Wenn also nun zusätzlich zu den Elementen deren Dynamik der Interaktion untersucht wird und damit (zumindest theoretisch) alle notwendigen Informationen über das System bekannt wären, kann dann damit immer noch nicht die Eigenschaft der emergenten Gestalt oder die Funktion des Ganzen vorausgesagt werden.«7 Dieses neu entstehende Dritte hat seine eigene Qualität.

Der Mensch, immer eingewoben in ein Umfeld, eine Biografie und geformt durch unterschiedlichste Prägungen, ist, wie die Natur, nicht mit einfachen, reduktionistischen Annahmen zu begreifen. Er lässt sich nicht »glatt bügeln«. Erst das Fraktale lässt uns möglicherweise näher an sein Wesen heranrücken. Bleiben wir dafür zunächst noch ein bisschen in der Geometrie.

Cantor-Staub

Bei den bisherigen geometrischen Beispielen entstand die fraktale Gestalt dadurch, dass einer bestimmten Ausgangsform etwas hinzugefügt wurde. Die Linien wurden immer länger – und natürlich lässt sich dieses Prinzip auf die unterschiedlichsten Formen anwenden. Eine andere Möglichkeit, auf geometrischem Weg zu einem Fraktal zu kommen, ist es, iterierend etwas wegzulassen. So bei der Cantor-Menge oder dem Cantor-Staub, benannt nach dem Mathematiker Georg Cantor. In der Natur findet sich Vergleichbares im Inneren von Wolken wieder und genauso im Prinzip des Zerstäubens von Flüssigkeiten. Wenn Sie sich Parfüm aufsprühen oder Ihre Pflanzen befeuchten, schweben unzählige kleinste Tröpfchen eng beieinander durch die Luft. Sie sind selbstähnlich in der Form und in der Anordnung. Aus einer Flüssigkeit – einer dreidimensionalen dichten Masse – ist etwas Fraktales geworden.