Stresstest Corona - Christian Schubert - E-Book

Stresstest Corona E-Book

Christian Schubert

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Beschreibung

Kaum ein Ereignis hält die Welt seit fast zwei Jahren so in Atem wie die Corona-Pandemie. Ein Stresstest für Individuen und Gesellschaften, dem Regierungen mit immer strengeren Maßnahmen begegnen. Wir erleben mit der Covid-19-Krise die größte Krise der westlichen Medizin, so Christian Schubert, der seit Jahrzehnten zu den Wechselwirkungen von Psyche und Immunsystem forscht und die derzeitigen Corona-Maßnahmen für unmenschlich, überzogen und unverantwortlich hält. Dieses Buch versammelt zahlreiche seiner vielbeachteten Interviews sowie Reden, in denen er verständlich erklärt, was in der derzeitigen Pandemie-Bekämpfung schiefläuft. Aber vor allem, so sein Credo, braucht es eines: eine völlig neue Medizin, die endlich den ganzen Menschen in den Blick nimmt.

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HINWEIS:

Dieses Buch entspricht der persönlichen Meinung des Autors CHRISTIAN SCHUBERT. Die Medizinische Universität Innsbruck hat sich in einer Aussendung im Oktober 2021 klar von der Haltung Ihres Mitarbeiters zur COVID-19-Krise distanziert (https://www.i-med.ac.at/pr/presse/2021/48.html).

INHALT

Vorwort

Wie alles begann

TEIL 1 |

PSYCHE UND IMMUNSYSTEM

Medizin der Gefühle

Krebs, Entzündungen, Herzleiden: Wie Stress Kinder als Erwachsene krank macht

Stress kann schweren Virusinfektionen den Weg ebnen

Ganz ist ganz. Körper und Seele sind als eine Einheit zu betrachten

Psychoneuroimmunologie und die Abkehr von der heiligen Kuh

Wir sind keine seelenlosen Maschinen

Rede auf Querdenker-Demo in München

TEIL 2 |

SOZIALE BEZIEHUNGEN UND ANDERE GESUNDHEITSFAKTOREN

Das Covidstress-Syndrom. Gesundheitselixier soziale Beziehungen

»Kraut plus Spruch« als Erfolgsgeheimnis. Das Arzt-Patienten-Verhältnis und seine Bedeutsamkeit

Das Menschenbild der modernen Medizin ist zutiefst mechanistisch

Raus aus der Angst

TEIL 3 |

DIE UNVERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER COVID-19-MASSNAHMEN

Medizin-Professor über Kontaktsperren: »Ein brutales Sozialexperiment mit unbekanntem Ausgang«

Das Virus infiziert auch unsere Psyche

Das Immunsystem braucht mehr als Quarantäne

Medizin-Professor: So belastet die Corona-Quarantäne Körper und Geist

Haben die Anti-Corona-Maßnahmen uns mehr genutzt oder geschadet?

Starben wegen der strengen Corona-Massnahmen in Deutschland fünfmal mehr Menschen als in Indien?

LAUTERBACH

& Co sollten einfach nur den Mund halten

In der Krise ist »Unverhältnismässigkeit« für mich das Wort schlechthin

Rede auf Querdenker-Demo in Innsbruck

TEIL 4 |

DIE FOLGESCHÄDEN FÜR DIE KINDER

Generation Lockdown

Es ist nicht in Worten auszudrücken, was auf uns zukommt

Schleswig-Holstein schickt mobile Impfteams in die Schulen – Kritiker befürchten massiven Druck

Psyche und Immunsystem: Ein starkes Paar

Warum wollt Ihr mich zur Impfung zwingen? (Durch die Tiroler Ärztekammer erzwungene abgesagte Demo-Rede)

TEIL 5 |

EINE NEUE GEGENKULTUR

Das ist die größte Krise der westlichen Medizin

ANHANG

E-Mails an

CHRISTIAN SCHUBERT

Biographie des Autors

Danksagung

DAS KAPITAL STREBT NACH VERMEHRUNG seines Werts, verwandelt dazu alle Dinge in Werte (Wertausdrücke) und schließlich auch die Menschen selbst. Die Menschen werden unmenschlich: Sie lassen andere ertrinken, statt sie zu retten. Das ist nicht »ihre Natur«, das ist »zweite Natur«, die von (unmenschlichen) Verhältnissen gemachte Natur. Der Kapitalismus ist keine »menschliche« Produktionsweise. Insofern könnte man sagen: Der Kapitalismus ist es, der den Krieg »braucht« und damit auch den Neoliberalismus. Er braucht unsere Zustimmung nicht.

(KLAUS-JÜRGEN BRUDER in Wendisch 2021).

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

WAS IST DAS EIGENTLICH, was wir gerade erleben? Eine Pandemie? Der Zusammenbruch des Kapitalismus? Krieg? Oder alles zusammen? – Ich muss gestehen, ich weiß es nicht. Aber in einem bin ich mir sicher: Wir erleben mit der COVID-19-Krise die größte Krise der westlichen Medizin. Es ist ein Versagen der sogenannten Schulmedizin in fast allen Belangen und ganz besonders dort, wo man es normalerweise nicht erwarten dürfte: im Menschlichen.

Dies ist ein sehr persönliches Buch. Es soll meine eigene Sicht auf die COVID-19-Krise demonstrieren, so wie ich sie als ganzheitlicher Wissenschaftler, Arzt, Psychologe, Psychotherapeut und Vater zweier Kinder erlebe und seit dem Frühjahr 2020 auch öffentlich kommentiere. Die in diesem Buch versammelten Interviews, Artikel, Reden sowie Leserstimmen sollen Zeugnis ablegen von meiner Reise durch eine Zeit, wie ich sie noch 2019 für niemals möglich gehalten hätte. Eine Reise, die mich regelrecht herauskatapultierte aus der alten Normalität, die sich rückblickend für mich so unwirklich und falsch anfühlt.

Ich widme dieses Buch all jenen Opfern, die in dieser Krise noch nicht gesehen wurden und vielleicht auch niemals gesehen werden. Ganz besonders jenen Kindern und Jugendlichen, die durch die entmenschlichten Maßnahmen zur Bekämpfung der SARS-COV-2-Pandemie verängstigt, gedemütigt, genötigt, fehlbehandelt und dadurch missbraucht und traumatisiert werden. Ich widme dieses Buch all jenen, die noch nicht verstehen können, was da draußen vor sich geht, längst aber zu den größten Opfern der Pandemie zählen. Auch wenn ihr Leid vielleicht nicht sichtbar, nicht unmittelbar mit den Maßnahmen verbunden erscheint, sondern schleichend und verdeckt verläuft, so ist es nicht minder von größter Tragweite. Doch man wird den Zusammenhang ihrer später auftretenden Krankheiten und verringerten Lebenserwartung mit den Maßnahmen der COVID-Krise genauso leugnen, so wie das bei Traumatisierten in der Schulmedizin seit Jahr und Tag geschieht. Denn auch diese erleben nur allzu oft, dass sie von der biologistisch-reduktionistischen Medizin als rein körperlich Erkrankte abgetan werden, wo doch ihre Symptome häufig in kausalem Zusammenhang mit den früher erlittenen Traumatisierungen stehen.

Es wird nun unsere Aufgabe sein, diesen Kindern und Jugendlichen, aber auch allen anderen Betroffenen, eine Welt zu schaffen, wo ihre Verletzungen gesehen und zur Heilung gebracht werden können. Hierfür wünsche ich uns allen viel Kraft und Durchhaltevermögen.

Lans, November 2021

WIE ALLES BEGANN

FEINDE

FLEISCH, WINTER 2021CHRISTOPH WAGNER

KURZ VOR OSTERN, in Innsbruck hat es über Nacht noch einmal geschneit. Viele Autos in der Innenstadt sind heute früh stehengeblieben, am Boden ist der Schnee schon geschmolzen, auf den Dächern der Autos ist noch der Rest zu sehen. In bester Lage, Maximilianstraße, keinen Kilometer vom goldenen Dachl wartet CHRISTIAN SCHUBERT in einem Nebengebäude der Universitätsklinik. SCHUBERT ist gut drauf. Mit Schwung öffnet er die Tür, er sieht die Maske: »Nein, nein, brauchen wir nicht!« Ein junger Mann kommt entgegen. Er trägt eine und sein Blick sagt, während er vorbeigeht: »Nicht schon wieder einer, der hier Fragen stellt.« SCHUBERT grinst weiter und reicht die Hand zum Gruß. Dann führt er in einen eher schmucklosen Besprechungsraum. Korkpinnwand, ein großer Tisch, krankenhausgelbe Vorhänge und ein Bild an der Wand. Darauf zu sehen vielleicht eine Giraffe, vielleicht ein Esel, vielleicht zwei Lamas, die hintereinander stehen. Vielleicht auch gar nichts aus der Tierwelt. Moderne Kunst.

SCHUBERT ist Psychoneuroimmunologe, er beschäftigt sich damit, wie sich Psyche, Nerven- und Immunsystem zueinander verhalten. Seit 25 Jahren forscht er dazu an der Medizinischen Universität Innsbruck, hat unzählige wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und auch ein paar Bücher geschrieben. Das letzte, das erst Ende vergangenen Jahres erschienen ist, heißt: »Das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren.« Als Fazit steht auf dem Klappentext: »Wir müssen Gesundheit und Krankheit völlig neu denken.« Er wird das in den nächsten eineinhalb Stunden genau so noch ein paar Mal sagen. Aber zuerst noch eine Runde Wasser holen. Vom vielen Reden bekomme er einen trockenen Mund.

SCHUBERT, das kann man ohne weiteres so sagen, ist ziemlich medienaffin. Er gibt gerne Interviews, die Öffentlichkeit schreckt ihn nicht, eher im Gegenteil. Von der Anfrage bis zur Zusage dieses Interviews hat es nur zweieinhalb Stunden gedauert. Dass ihm das Präsentsein ganz gut gefällt, sieht man auch auf seiner Website. Bis vor ein paar Jahren hat er dort ganz penibel jede Veröffentlichung, jeden Auftritt im Fernsehen oder im Radio archiviert. Zum Beispiel 2012 als er im ORF-Format »Kreuz und Quer« über das Wunder Heilung sprach oder drei Jahre später im Bayrischen Fernsehen Gesprächspartner war, als es um das Thema »Kraft der Gedanken: Kann man sich gesund denken?« ging. Irgendwann aber scheint er mit dem Ablegen der Auftritte nicht mehr hinterhergekommen zu sein. In den vergangenen Monaten gebe es nämlich einiges zum Nachtragen.

Mit mildem Sprudelwasser und einer Flasche Cola ist SCHUBERT dann startklar. Corona, sagt er, sei für ihn wie ein Elfmeter. Ein Satz, der wie einstudiert klingt. SCHUBERT muss selber lachen. Er erklärt das so: 25 Jahre habe er intuitiv darauf gewartet, dass etwas komme, das sehr deutlich mache, was alles schief laufe in der Medizin. Er lehnt sich zurück, malt mit seinen Handflächen über dem Kopf ein imaginäres Schild und ruft: »Corona deckt auf!« Vor einem Jahr, als alles begann, habe er das so für sich noch nicht formuliert gehabt und auch wenn das natürlich furchtbar sei, das so sagen zu müssen, aber für ihn als ganzheitlichen Wissenschaftler sei das alles gerade ganz wunderbar. Für seine Arbeit, sagt er, habe ihm nichts Besseres passieren können: »Mir geht es jetzt nicht nur um das Virus, mir geht es um ein Medizinsystem, das entmenschlicht ist, das nichts von Komplexität versteht.«

SCHUBERT hält die Maßnahmen der Bundesregierung für überzogen, gefährlich und unverantwortlich, weil, zumindest sieht er das so, auf die Folgeschäden komplett gepfiffen werde. Er hat sich da auch ein paar Gruppen und Vereinigungen angeschlossen, in denen er mit anderen Ärzten und Wissenschaftlern zusammenarbeitet. Er hat zum Beispiel die Great Barrington Declaration unterschrieben, eine Erklärung, die ernste Bedenken hinsichtlichder schädlichen Auswirkungen der Maßnahmen äußert. Auch beim ICI, der Initiative für evidenzbasierte Corona-Information, war er dabei. Ganz am Anfang aber, und das ist spannend, hatte selbst er etwas Sorge.

Im Februar 2020, es könnte auch schon März gewesen sein, als seine Frau, eine Dolmetscherin, mit ihrer gemeinsamen Tochter Schifahren ging. Überall, sagt SCHUBERT, hätte es geheißen, da steckt man sich damit an. Auf den Pisten, den Liften, in den Hütten. Seine Frau nahm es locker, wollte die letzte Möglichkeit nutzen, Ski zu fahren. SCHUBERT war weniger entspannt, sagte damals: »Ah, das finde ich riskant.«

Es dauerte aber nicht lang, dann war SCHUBERT umgepolt. »Die Sorge war tatsächlich schnell weg«, sagt er. Weil er sich die Zahlen genauer ansah und für sich bemerkte: Da läuft aus wissenschaftlicher Sicht was nicht ganz korrekt. Ihm fehlte das Miteinbeziehen der Dunkelziffer, ihm fehlte, dass die Toten seiner Meinung nach nie ins Verhältnis zu den Infizierten gesetzt wurden, und, das betont er gleich noch einmal: »Auch nicht zur Dunkelziffer.« Und irgendwann, sagt SCHUBERT, sei dann sowieso schon die Infektion zur Krankheit gemacht worden.

Nur ganz langsam stieg SCHUBERT damals in die öffentliche Debatte ein. Ein kleines Interview auf businessinsider.de, eine Woche später ein nächstes in der Tiroler Tageszeitung. Es wurde lauter. Dann, im Juni, trat er in einem Video des Biologen und Impfskeptikers clemens arvay auf. In dem Besprechungsraum, in dem sie das Video mit dem Titel CORONA– Irrweg der Maschinenmedizin drehten, hatten sie zwischen sich ein Flipchart aufgebaut. Darauf stand in verschiedenen Farben Psyche, Umwelt, Genetik und Soziales. Von jedem Wort ging ein Pfeil auf das große Wort in der Mitte des Papiers: Immunsystem. SCHUBERT sagt, dieses Video, das sich bis heute knapp 76.000 Menschen ansahen, sei wie eine Zündung gewesen. Von da an sei er immer weiter angefragt worden. Für Interviews, Vorträge, Reden. SCHUBERT ging überall hin. Ins Corona-Quartett auf Servus TV, dann zum Talk im Hangar 7, er sprach auf einer Demonstration in München und dann auch auf einer in Innsbruck, dazwischen immer mehr YouTube-Geschichten. Er lehne da nichts ab, mache überall mit. Es sei seine Möglichkeit, rauszukommen aus seiner Blase. Weil wissenschaftliche Artikel schreiben? Schön und gut, aber das bringe gerade nichts, diese Blase sei noch kleiner als alle anderen Blasen, die sich gerade entwickeln würden. Selbst Servus TV sei ja schon eine. Aber das sei gar nicht so wichtig. Weil er auch, obwohl er sicher sei, mit seiner Meinung richtig zu liegen, realistisch genug sei, dass er einen Impfbefürworter nicht davon überzeugen könne, es doch sein zu lassen.

SCHUBERTs Handy läutet, eine nicht eingespeicherte Nummer, er drückt sie weg, dreht sein iPhone um. Auf der Schutzhülle seines Telefons hört ein gezeichneter Schimpanse mit großen Kopfhörern Musik. Jaja, sagt SCHUBERT, wenn man möchte, könne man ruhig schreiben, dass er sich den Demonstranten zugehörig fühle. Immerhin habe er ja auch Reden dort gehalten. Er wisse, wovon er spreche. Weil im Gegensatz zu anderen sei er auch auf Tuchfühlung gegangen, habe sich das nicht nur vom Fernsehen aus angesehen. Die Organisatoren der QuerdenkerBewegung, die ihn gebeten hätten aufzutreten, seien ihm zwar nicht wirklich sympathisch gewesen, nicht mal begrüßt hätten sie ihn. Trotzdem: Ein Land, sagt SCHUBERT, das Querdenker sofort zu Rechtsradikalen abstempelt, gehe verantwortungslos mit der Geschichte um. Wer glaubt, dass es bei CORONA um rechts oder links gehe, hat laut ihm sowieso nichts verstanden.

VOR ALLEM, UND DAS VERSUCHT SCHUBERT gar nicht zu verstecken, gehe es ihm um seine eigene Sache. Wenn es dann die Chance gebe, vor vielen Leuten zu sprechen, könne er nicht anfangen, groß zu schauen, wer davor spricht und wer danach. Ihm gehe es darum, jetzt mit dem Volk in Kontakt zu treten: »Ich will, dass denen, die sich in der corona-Debatte noch trauen anders zu denken, der Rücken gestärkt wird, dass die, die intuitiv spüren, dass da etwas nicht richtig ist, ein Backup von der Wissenschaft kriegen.«

Zweifellos hat SCHUBERT seine Fans. Aber er werde jetzt bald sechzig, sagt er dann, und da müsse er schon aufpassen, dass er keine existenziellen Probleme bekomme wegen dem, was er da gerade veranstalte. Immerhin habe er ja auch zwei Kinder. Was er damit meine sei, dass es natürlich auch Menschen gebe, denen es nicht so gut gefällt, was er sagt. Zum Teil nehme er das eh ziemlich locker. Während des Talk im Hangar 7, zum Beispiel, sei auf der Website des Standard ein Live-Blog zum Mitdiskutieren mitgelaufen. Seine Frau habe ihm danach gesagt: »Das musst du dir anschauen.« Nach den positiven Meldungen, sagt SCHUBERT, hätte er schon ganz genau suchen müssen. Mehr treffen würde ihn aber, wenn es ihm beruflich nahegehe, wenn ihm Probleme gemacht würden. Das passiere schon. Auf der Uni gebe es schon existenziellen Gegenwind. Und auch vom Rektor habe er in bestimmter Form bereits gehört, ob er noch alle beisammen habe. Anwälte würden sich schon um die Sache kümmern.

Aber ist es ihm das alles wert? Der Druck, die Verunglimpfung, das Nichtwissen, wie das alles weiter geht? Wenn man ihm so zuhört, bekommt man fast den Eindruck, abschätzen, abwiegen, die Frage nah an sich heranlassen – das tut CHRISTIAN SCHUBERT nur ganz wenig. Er wimmelt da eher ab, sagt dann Dinge wie: »Ich bin es seit 25 Jahren gewohnt, etwas zu tun, was viele andere nicht goutieren.« Oder: »Ich habe schon immer was riskiert und Dinge gemacht, von denen ich keinen Vorteil habe.«

SCHUBERT ist völlig davon überzeugt, was er vertritt: »Ich fühle mich selbstwirksam. Ich fühle mich unter Kontrolle.« Es wirkt, als wäre er zu Beginn von CORONA auf eine Welle aufgestiegen, von der er nicht mehr runter will. Zumindest jetzt noch nicht. So ähnlich sieht er das auch selbst. Er sei reflektiert und selbsterfahren genug, dass er wisse, welche Antriebskräfte es gebe. Aus reinster Nächstenliebe, so offen ist SCHUBERT, stelle er sich natürlich nicht in die Auslage. »Ich habe auf meinen Elf-meter und auf den richtigen Zeitpunkt gewartet und viel einstecken müssen. Jetzt freue ich mich und das muss raus.«

SCHUBERTs Kritik ist, dass die Art von Medizin, auf die auch während der Pandemie gesetzt werde, den Menschen wie eine Maschine behandle. »Es wird auf Stoffe geschaut und nicht auf das Ganze«, sagt SCHUBERT. Der Körper werde vom Geist gespalten. Und warum er jetzt so vehement dagegen ausreite, liege daran, dass er einer Medizin, die so vorgehe, nicht zutraue, eine Gesellschaft durch eine Pandemie zu führen. Weil es eben nicht beim Jetzt bleibe und das, was danach komme, weitestgehend ausgeblendet werde. Er zählt auf: Langzeitfolgen, Depressionen, Kinder, die Angststörungen entwickeln, Traumata, die Lebensjahre kosten. Der Lockdown, sagt Schubert, sei nichts anderes als eine Stoßaktion gewesen, die das Leben vieler Menschen langfristig riskiere.

Wenn man ihn nach all dem fragt, wie er es gemacht hätte, sagt SCHUBERT sofort und ohne zu zögern: Schweden. »Für mich ist dieser ANDERS TEGNELL (Schwedens Chef-Epidemiologe) ein Wahnsinnstyp. Der hat Erfahrung in Afrika mit den Ebola-Geschichten, ist ganzheitlich orientiert und hatte Mut.« So jemand, sagt SCHUBERT, müsse mal den Nobelpreis kriegen. Einer, der sich gegen die ganze Welt gestellt habe. Auf die etwa 4.000 mehr CORONA-Toten in Schweden (Stand Anfang April) entgegnet er: »Wenn Sie mir das vorrechnen, sag ich: 300.000 Tote in Österreich. Nicht jetzt, aber in den nächsten fünfzig Jahren.« Schweden habe die vermieden. Das glaube zumindest er und das sei die einzige Rechnung, die für ihn zähle. Alles andere sei einseitig und kurzsichtig.

Vor einem Jahr bezeichnete SCHUBERT in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung andere Ärzte als »Maschinenmediziner«. An seiner Uni gingen sie ihn an. Warum sollten sie sich so diskreditieren lassen? SCHUBERT lacht, sagt, der Begriff sei medizinphilosophisch, könne man alles nachlesen. Und überhaupt: Wenn es nach ihm gehe, gehe es nach CORONA sowieso um ein ganz anderes Paradigma, das Ganzheitsparadigma nämlich – »aber das können manche der Kollegen nicht mal buchstabieren.«

TEIL 1

PSYCHEUNDIMMUNSYSTEM

MEDIZIN DER GEFÜHLE

APOTHEKEN UMSCHAU, 07 /2021SONJA GIBIS

EIN FINNISCHES FORSCHUNGSTEAM hat untersucht, wo Menschen ihre Emotionen im Körper verorten. Demnach ballt sich Furcht vor allem in der Herzgegend, Ekel sitzt in Hals und Kehle, Liebe erfüllt vor allem Kopf, Brust und Körpermitte, während die Beine nahezu unbeeinflusst bleiben. Und das unabhängig von Herkunft oder Kultur, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachblatt PNAS.

Doch wie kann das sein? So selbstverständlich die Erfahrung ist, dass, wenn wir fühlen, gleichzeitig unser Körper reagiert, so schwer taten sich über Jahrhunderte die Gelehrten mit dieser Tatsache. Seele und Körper wurden als getrennte Einheiten gedacht – was eine viel diskutierte Frage aufwarf: Wie kann die körperlose Seele auf die Materie des Leibes wirken? Der französische Philosoph RENÉ DESCARTES (1596–1650), Vater der strengen Leib-Seele-Trennung, hielt die Zirbeldrüse, ein zapfenförmiges Gebilde an der Rückseite des Mittelhirns, für das Vermittlerorgan.

Die Zirbeldrüsen-Theorie war schnell vom Tisch. »Die Trennung von Leib und Seele prägte über Jahrhunderte die Vorstellung vom Menschen«, sagt Professor CHRISTIAN SCHUBERT von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie in Inns-bruck. Nicht zuletzt in der Medizin. Der Körper wurde als eine Art Maschine gedacht. Sie kann kaputt gehen, lässt sich aber auch reparieren. Die Medizin konzentrierte sich vor allem auf die Suche nach dem richtigen Werkzeug.

Inzwischen stellen Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Bereichen die alte Zweiteilung nicht nur in Frage: »Psyche und Körper bilden eine untrennbare Einheit, daran besteht kein Zweifel«, sagt SCHUBERT. In der Medizin lenkt dies den Blick auf einen Zusammenhang, der lange vernachlässigt wurde: der Einfluss von Emotionen und Gefühlen auf unsere körperliche Gesundheit.

Auch der Mediziner, Psychologe und Psychotherapeut SCHUBERT untersucht in seinem Innsbrucker Labor diese wechselseitigen Wirkungen. Im Zentrum seiner Forschungen steht ein ausgeklügeltes Schutzsystem des Körpers. Ob Bakterium oder Virus, Pilz oder Parasit – versucht sich ein krankmachender Erreger auszubreiten, greift das Immunsystem an. Erkenntnisse aus SCHUBERTs Fachgebiet, der Psychoneuroimmunologie, zeigen: Wie erfolgreich der Kampf verläuft, entscheidet sich auch in unserem Kopf. Die körpereigene Abwehr steht in engster Verbindung mit der Psyche. Negative Emotionen wie Angst, Trauer und Isolation sowie die Unterdrückung von Gefühlen können sie langfristig hemmen.

Dass Belastungen unsere Abwehr lähmen, haben inzwischen zahlreiche Untersuchungen gezeigt. So heilen bei Studierenden im Prüfungsstress Wunden deutlich langsamer. Nach dem Verlust eines geliebten Partners schlagen sogar Impfungen schlechter an. Andererseits vermögen Gefühle wie Freude, Dankbarkeit, das Gefühl von sozialer Eingebundenheit geradezu als Abwehrbooster zu wirken. »Das können wir in unseren Studien klar sehen«, sagt SCHUBERT.

Doch woher weiß ein T-Lymphozyt, ob ich im Dauerstress bin, eine Killerzelle, ob ich mich freudevoll und entspannt fühle? Inzwischen sind einige Wege bekannt, über die Psyche und Körperabwehr kommunizieren. »Sie nützen dieselbe biochemische Sprache«, erklärt SCHUBERT. An den feinen Nervenenden werden Botenstoffe, sogenannte Neuropeptide, ausgeschüttet, die unmittelbar auf Immunzellen wirken. Diese besitzen überdies Andockstellen für Hormone. Nervenzellen reagieren dagegen auf Zytokine, Botenstoffe des Immunsystems. Die Folge: Kämpft unser Körper gegen einen Erreger, fühlen wird uns auch krank, sind müde, schlapp, ziehen uns zurück. Durch diese Verhaltensveränderung wird wiederum Energie für den Abwehrprozess eingespart. Der Zusammenhang zwischen Psyche und Immunsystem ist so eng, dass der Forscher den psychischen Anteil an der Abwehrfunktion nur ungern beziffert. »Es gibt gar keine echte Trennung.«

Bekannt ist zudem: Während akuter Stress das Immunsystem kurzfristig hochfährt, bewirkt chronische Belastung das Gegenteil. Das immunologische Gleichgewicht gerät aus der Balance. Im Körper kommt es zu einer leichten chronischen Entzündung. Dies kann einerseits Autoimmunerkrankungen wie Rheuma aufflammen lassen, verringert aber auch die Schlagkraft gegen neue Erreger.

Dass dies auch in der corona-Pandemie eine Rolle spielt, hält SCHUBERT für sehr wahrscheinlich. So lebten viele Menschen monatelang nicht nur in der Angst zu erkranken. Hinzu kamen finanzielle Sorgen, Wut und Ärger stauten sich an. Nicht zuletzt führte die Einschränkung von sozialen Kontakten zu Einsamkeit. Studien zufolge schadet diese unserer Gesundheit so sehr wie 15 Zigaretten täglich. »All das hemmt die kollektive Abwehr«, sagt SCHUBERT. Eine Tatsache, die nach Ansicht des Forschers allzu oft übersehen wird. »Alle schauen auf das Virus, der Mensch gerät außer Acht.«

AUCH FÜR DEN PSYCHOTHERAPEUTEN CHRISTIAN SCHUBERT ist eine gute Medizin nur die, welche den Menschen als emotionales und soziales Wesen ins Zentrum stellt. Eine wichtige Voraussetzung: Zeit. Um miteinander zu reden, die Anliegen der Patientin oder des Patienten wahrzunehmen, eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Doch kaum etwas wird im modernen Gesundheits-system so miserabel vergütet wie Gespräche. »Hier sehen wir, dass wir noch nicht in einer neuen Medizin angekommen sind«, sagt er. »Einer Medizin, die den Menschen nicht mehr zerteilt und als Maschine betrachtet. Und in der der Besuch beim Therapeuten für die Seele so selbstverständlich ist wie der beim Allgemeinarzt.«

KREBS, ENTZÜNDUNGEN, HERZLEIDEN

WIE STRESS KINDER ALS ERWACHSENE KRANK MACHT

FOCUS ONLINE, 28. 07.2021Interview: GINA METZLER

FOCUS ONLINE (FO):Professor Schubert, Sie sind Experte auf dem Gebiet der Psychoneuroimmunologie, einer Disziplin in der Medizin, die den wenigsten Menschen ein Begriff sein dürfte. Womit genau beschäftigen Sie sich?

CHRISTIAN SCHUBERT (CS): Die Psychoneuroimmunologie erforscht den Einfluss der Psyche, also von Erleben und Verhalten auf das Körperinnere, und zwar auf Immunsystem, Hormon-system und Nervensystem – also all die Systeme, die relevant sind, wenn es um die Stressverarbeitung geht.

Das ist die eine Wirkrichtung: von Psyche zu Immunsystem. Aber es gibt auch die andere Wirkrichtung. Dabei beschäftigen wir uns mit der Frage: Wie interferiert das Immunsystem mit der Psyche. Also: Gibt es Hinweise, dass unser Erleben und unser Verhalten in gewisser Weise vom immunologischen Zu-stand des Organismus abhängig sind?

FO:Wir verhalten uns also anders, wenn wir krank sind?

CS: Genau. Wenn wir zum Beispiel eine Infektion durchmachen und wir spüren, dass wir krank werden, dann erleben wir uns entsprechend verändert und verhalten uns auch anders: Wir sind erschöpft, wir gehen ins Bett, wir suchen weniger Kontakt mit anderen Menschen – das ist immunologisch bedingt und fungiert als Schutzfunktion. Zytokine, also Botenstoffe des Immun-systems, überqueren die Blut-Hirn-Schranke und setzen im Gehirn Effekte, die uns letztendlich dazu bringen, Energie für den Heilungsprozess einzusparen. Dieser sehr interessante Bereich der Psychoneuroimmunologie wird nun auch mehr und mehr erforscht.

FO:Wie genau hängen denn Psyche und Gesundheit bzw. Krankheit zusammen?

CS: Es gibt keine Krankheit, bei der nicht auch die Psyche eine Rolle spielt. Das mag zunächst etwas gewagt klingen. Denn nicht jede Erkrankung ist ursächlich und direkt mit psychischen Einflüssen erklärbar. Bei einer viralen Infektion zum Beispiel ist unmittelbar das Virus Auslöser der Erkrankung. Jedoch reicht ja für eine psychische Beteiligung an einer Krankheit auch, dass die psychische Verfassung es schwerer oder leichter macht, an einer Virusinfektion zu erkranken. Wer beispielsweise gestresst ist, infiziert sich deutlich leichter und dessen Infektionserkrankung verläuft auch schwerer.

Eine chronische Erkrankung entsteht auch nicht über Nacht, sondern als Folgeerscheinung von jahre-, mitunter jahrzehntelangen psychischen Belastungen, die oft mit gesundheitsschäd-lichen Verhaltensweisen verbunden sind. Das schaukelt sich über Jahre hinweg auf.

FO:Welche Krankheiten stehen denn besonders in Zusammenhang mit psychischen Faktoren?

CS: Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen zum Beispiel ganz stark in Verbindung mit psychischen Faktoren. Studien haben beispielsweise einen Zusammenhang mit unterdrücktem Ärger, psychischer Belastung und Depressivität nachgewiesen. Nachgeschaltet werden dann die üblichen gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen angewandt. Also: Wer depressiv ist, wer gestresst, verärgert und wütend ist und diese Wut aber nicht gut ausdrücken oder den Stress nicht abbauen kann, der neigt stärker dazu, sich schlechter zu ernähren, zu rauchen, sich wenig zu bewegen und mehr Alkohol zu trinken. Und all diese Faktoren führen dann in Kombination dazu, dass eine solche Krankheit entsteht.

FO:Bei welchen anderen Krankheiten ist dieser Zusammenhang noch nachgewiesen?

CS: Wir wissen auch, dass Krebs in Abhängigkeit von chronischer psychischer Belastung steht. Der Sympathikus, ein Teil des vegetativen Nervensystems, ist eine wichtige Stress-Achse in unserem Körper und verbindet die Außenwelt und das Gehirn mit dem Immunsystem. Er ist direkt mit Immunzellen und auch mit Krebszellen verschaltet. Und wenn er aktiviert wird, durch Stress, Angst, Furcht, Belastungen, dann können sich Krebszellen leichter vermehren sowie metastasieren und die Chemotherapie ist nicht so wirksam, wie man es sich erhoffen würde.

Ähnliches gilt für das Stresshormon Cortisol, welches über den Blutweg Immun- und Krebszellen erreicht und das Wachstum von Krebs begünstigt. Diese Verbindungen sind bereits gut wissenschaftlich belegt und entsprechend kann man davon ausgehen, dass chronischer Stress, belastende Erlebnisse und biographische Traumata langfristig gesehen diese Erkrankungen mit triggern.

FO:Wie ist es mit Autoimmunkrankheiten? Immer mehr Menschen leiden darunter und die Medizin findet oft keine Möglichkeit zur Heilung für Betroffene.

CS: Bei Autoimmunkrankheiten gibt es Überlegungen, dass Aggression von den Patienten nicht adäquat ausgedrückt werden kann, sondern nach innen gerichtet wird. Auto-Aggression und Auto-Immunität könnten in Verbindung stehen und ich gehe davon aus, dass auch hier das Nervensystem und letzten Endes das Immunsystem unbewusst dazu gebracht wird, gegen den eigenen Körper vorzugehen.

Und da gibt es ja eine ganze Reihe unterschiedlicher Auto-immunerkrankungen: Rheuma, Lupus, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Diabetes Typ 1. Viele Jahrzehnte lang sind ja die Auto-immunkrankheiten nicht mit psychischen Faktoren untersucht worden. Da hat man sich die Zellen angeguckt oder den Krankheitsverlauf und hat Korrelationen mit den verschiedensten Faktoren vorgenommen – aber eben nicht mit psychischen und sozialen. Und jetzt, langsam, aber sicher, wird auch das Psychische mit hineingenommen in die Rechnung und plötzlich sieht man: Oh, Autoimmunerkrankungen haben viel mit traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend zu tun. Zum Beispiel mit Miss-brauchserfahrungen.

Da gibt es sehr große wissenschaftliche Projekte, die ganz klar zeigen, dass diese schweren Entzündungskrankheiten in Zusammenhang mit Traumatisierungen stehen.

FO:Warum haben so viele Krankheiten, vor allem solche, die mit Entzündungen zu tun haben, mit Erlebnissen in der Kindheit zu tun?

CS: Es gibt eine starke Korrelation zwischen Entzündungskrankheiten und Kindheitserlebnissen. Dafür gibt es sehr belastbare Daten, die zeigen: Menschen, die in der frühen Kindheit zum Beispiel Bindungsstörungen, Traumata oder Missbrauchserfahrungen erfahren haben oder in einem harschen Familienklima aufwachsen mussten – diese Menschen haben eine hohe Gefahr, dass sie später stressbedingte Entzündungsanstiege und Entzündungskrankheiten entwickeln. Der Grund dafür sind Immunentwicklungsstörungen – wobei man natürlich sagen muss, es sind psycho-immunologische Entwicklungsstörungen, denn das psychische Erleben ist dabei der übergeordnete, auslösende Faktor.

Dazu gehören ganz klar Autoimmunerkrankungen, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und viele andere Erkrankungen, wie beispielsweise Schmerzstörungen, Darmkrankheiten und dementielle Erkrankungen, denn die meisten haben etwas mit Entzündungsphänomenen zu tun.

FO:Die Bindung zwischen Kindern und ihren Eltern hat also einen starken Einfluss auf ihre Gesundheit?

CS: Ja, sogar einen lebenslangen Einfluss. Frühe Bindungserfahrungen hängen eng mit der Entwicklung des Stresssystems zusammen. Wenn Kinder auf die Welt kommen, sind sie ja nicht fertig in ihrer Entwicklung. Das Stresssystem, also der Bereich unseres Organismus, der in enger Auseinandersetzung mit der Umwelt steht, mit dem wir auf Außeneinflüsse reagieren, ist im Werden. Umwelt muss ja erst verstanden und verarbeitet werden. Das beginnt im Mutterleib, geht dann aber natürlich nochmal so richtig los, wenn man auf der Welt ist.

Je nachdem, welche Erfahrungen ein Kind in der ersten Lebensphase mit seinen Eltern oder engen Bezugspersonen macht, entwickelt sich ein bestimmtes Bindungsmuster. Bindungsforscher unterscheiden zwischen sicher und unsicher gebunden und bei den unsicher gebundenen Kindern gibt es noch die Unterteilung in unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorganisiert.

FO:Die Art der Bindungserfahrung gibt also auch Aufschluss über die körperliche Gesundheit der Kinder?

CS: Es gibt eine entscheidende Phase in der Kindheit, etwa zwischen dem ersten und ungefähr zwölften Lebensjahr. Sie dauert etwa so lange, bis die Kinder kognitiv so reif sind, dass sie der Welt rational verstehend begegnen können. Diese Phase bezeichnen wir als Stress Hyporesponsive Period (SHRP). In dieser Phase sind die Kinder durch die tatsächliche Geborgenheit der Eltern, aber auch durch die imaginierte sichere Bindung zu den Eltern geschützt.

Imaginierte sichere Bindung heißt, die Eltern müssen gar nicht im Raum sein und trotzdem reagieren die Kinder auf Stressoren so, als ob die Eltern schützend anwesend wären. Sichere Bindung entsteht, wenn das Kind viel Liebe, Wärme und körperliche Nähe erfahren hat, wenn es an die Brust genommen worden ist, wenn Mutter und Vater angemessen auf die Signale des Kindes reagiert haben, wenn also eine positive Resonanz zwischen Eltern und Kind entstanden ist und das Kind sich aufgehoben und sicher fühlt, weil die Reaktion der Eltern entsprechend der kindlichen psychophysiologischen Äußerungen ausgefallen ist.

Wenn diese sichere Bindung vorhanden ist, kommt es zu der Stress Hyporesponsive Period, in der das Kind im Gefühl einer sicheren Bindung mit der Umwelt in Interaktion tritt. Wenn dann alltägliche Stressoren auftreten, werden diese vom Stresssystem in einer die Entwicklung des Organismus nicht störenden Form beantwortet.

FO:Warum beginnt diese Phase erst nach einem Jahr?

CS: Bei der Geburt weist das Kind noch relativ viel Cortisol auf, weil Cortisol besonders am Ende der Schwangerschaft zum Schutz des Fetus vor zu viel Entzündungsaktivität verstärkt ausgeschüttet wurde. Der Cortisolspiegel des Kindes wird aber im ersten Lebensjahr immer weniger. Dieses erste Lebensjahr ist interessanterweise auch entscheidend für die Bindungsentwicklung.

Nach einem Jahr geht das Kind dann, wenn es sicher gebunden ist, in die Stress Hyporesponsive Period über, in der in einer stressigen Situation nur mehr wenig Cortisol ausgeschüttet wird. Somit fällt auch der cortisolbedingte Einfluss auf das Immunsystem weg, was dem Immunsystem ermöglicht, sich ungestört zu entwickeln.

FO:Was bedeutet das für diese Lebensphase der Kinder?

CS: In dieser Lebensphase der Kinder ist es unglaublich wichtig, dass das Immunsystem gut trainiert wird, dass das Kind mit Antigenen in Kontakt kommt, zum Beispiel mit anderen Kindern, mit Schmutz, mit Bakterien, mit Viren, mit allem, was da draußen in der Umwelt so vor sich geht. So kann sich das Immunsystem entwickeln und eine gute Abwehrkraft ausbilden.

FO:Was passiert nach dieser Lebensphase im Körper der Kinder?

CS: Die sicher gebundenen Kinder verlassen nach etwa zwölf Jahren diese Periode der Stress-Hyporesponsibilität und reagieren dann ganz normal wie Erwachsene auf Stressoren, mit denen sie in Kontakt kommen.

FO:Welche Unterschiede gibt es bei unsicher gebundenen Kindern?

CS: Bei unsicher gebundenen Kindern fehlt diese Stress Hyporesponsive Period, die so fundamental wichtig für die gesunde Entwicklung des Immunsystems ist. Das heißt, diese Kinder reagieren auf Stressoren in den ersten ungefähr zwölf Lebensjahren ohne den Schutz einer sicheren Bindung.

Dadurch haben sie ein grundsätzlich höheres Stresserleben, dauernd erhöhte Cortisol-Werte, einen ständig erniedrigten Immunschutz, werden auch dauernd krank in dieser Zeit – entweder, weil sie viele Infektionen durchmachen oder weil sie Allergien entwickeln.

Das heißt, in diesem Zeitraum, in dem die sicher gebundenen relativ ruhig und ohne zu viel Krankheit unterwegs sind, sind die unsicher gebundenen stärker durch Erkrankungen gefährdet. Am stärksten betrifft es natürlich die Kinder mit einem desorganisierten Bindungsstil, der häufig auch mit psychiatrischen Auffälligkeiten einhergeht, zum Beispiel Borderlinestörungen und Psychosen.

FO:Was passiert denn im Körper dieser Kinder, die nicht durch eine sichere Bindung geschützt sind?

CS: Unsicher gebundene Kinder sind, wie gesagt, dem Stress ungeschützt ausgeliefert in den ersten etwa zwölf Jahren und dann kommt es zu einem Bruch. Das Stresssystem bricht zusammen. Es scheint einem so großen Druck ausgesetzt gewesen zu sein in diesen Jahren, dass es zum Crash kommt und dann dreht es sich um: Das heißt, das Cortisol wird nicht mehr freigesetzt, wenn der Jugendliche gestresst ist.

Und das Gefährliche ist: Wenn das Cortisol unter Stress nicht mehr freigesetzt wird, dann hat das Folgen für die Gesundheit. Denn normalerweise dient Cortisol dazu, stressbedingte Entzündungsanstiege zurückzuregulieren. Wenn das nicht mehr der Fall ist, ist der Weg in Richtung Entzündungskrankheit geebnet.

FO:Was passiert denn mit diesen betroffenen Kindern und Jugendlichen? Wenn sie aufgrund der Entzündungsphänomene in ihrem Organismus eines Tages körperliche Symptome entwickeln, gehen doch die meisten vermutlich zu einem Arzt und nicht zu einem Psychiater.

CS: Das ist völlig richtig. Der medizinische Industriekomplex steht hier schon bereit, um diese Menschen abzufangen und ihnen Cortison zu verabreichen, also von außen künstlich zuzuführen. Oder ein anderes schweres, entzündungslinderndes und damit immunsuppressives Medikament. Solche Medikamente sind jedoch selbst wieder mit der Gefahr verbunden, schwere Erkrankungen, zum Beispiel Krebs zu entwickeln. Damit wird den Patienten also nicht wirklich geholfen, gesund werden sie dadurch nicht. Dafür bräuchten sie langfristige psychotherapeutische Unterstützung.

FO:Wenn diese Zusammenhänge nachgewiesen sind, wenn es Belege dafür gibt, dass körperliche und geistige Gesundheit untrennbar miteinander verbunden sind – wie kommt es dann, dass den wenigsten Menschen – und offenbar auch Ärzten – dieser Zusammenhang bewusst ist?

CS: Es stimmt leider, dass die wenigsten darüber Bescheid wissen, obwohl das alles wissenschaftliche Evidenz ist. Die großen Fragen, die wir uns stellen müssen, sind: Warum werden diese wichtigen Erkenntnisse von der konventionellen Medizin nur so langsam und zum Teil gar nicht angenommen? Was sind die Hindernisse? Warum kennen so wenige Menschen den Zusammenhang zwischen körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheit? Das sind ganz wichtige Fragen, wenn es um eine grundlegende Veränderung der derzeitigen Medizin gehen soll.

Das ist auch einer meiner Hauptkritikpunkte am derzeitigen COVID-19-Management: Dass letztendlich eine Medizin, die das Psychische und Soziale nicht mit hineinnimmt in die Rechnung, uns Maßnahmen vorschreibt, die rein auf die Eindäm-mung des Virus abzielen – als ob es unser Immunsystem nicht gäbe! Dasselbe gilt für die einzige Behandlungsmöglichkeit, nämlich die Impfung. Ich halte diese vereinfachte und reduzierte Sicht der Medizin für falsch und gefährlich.

FO:Was ist denn Ihre Medizin?

CS: Die Medizin, mit der ich mich auseinandersetze, ist eine ganzheitliche. Und da müssen wir uns die Frage stellen: Sind die Maßnahmen angemessen – vor dem Hintergrund, was sie eben auch psychisch und sozial mit den Menschen tun? Und was das dann auch wieder für einen Effekt auf das Immunsystem und die Infektionsanfälligkeit der Menschen hat. Und so drehen wir uns eigentlich massiv im Kreis derzeit, indem wir Menschen durch die Maßnahmen unter Stress setzen und uns dann wundern, dass die Inzidenzen steigen. Das ist ein Paradox. Und das kommt meiner Meinung nach von einem falschen Medizinparadigma.

FO:Sie haben vorhin beschrieben, wie wichtig es ist, dass die Kinder durch Kontakt mit anderen, aber auch durch Kontakt mit Bakterien, Viren, Dreck usw. ihr Immunsystem trainieren. Haben die Maßnahmen auch darauf einen negativen Einfluss?

CS: Auf jeden Fall! Auch hier kritisiere ich die Maßnahmen. Wenn Kinder in sterilen, sozial isolierten Umgebungen hinter Masken versteckt sind, dann können sie sich auch nicht richtig im Sinne ihrer Biologie entwickeln – da geht es gar nicht nur um die psycho- und soziologischen Aspekte, sondern natürlich auch um die Biologie.

FO:Denken Sie, dass die Corona-Maßnahmen lang fristige Schäden bei den Kindern hinterlassen werden?

CS: Auf jeden Fall! Einmal könnte aufgrund des eben erwähnten Mangels an antigenem Immuntraining die spätere Anfälligkeit für Krankheiten steigen. Weiter dürfte es in einem solchen Lockdown, der jetzt über Monate lief, zu Entwicklungsverzögerungen und Bindungsveränderungen durch fehlende Kontakte zu Gleichaltrigen und nahen Verwandten, zum Beispiel Großeltern gekommen sein. Auch können wir davon ausgehen, dass es hinter den verschlossenen Türen einer kleinen 50- oder 70-Quadratmeter-Wohnung mit drei, vier Kindern und durch Arbeitslosigkeit massiv gestressten Eltern deutlich häufiger zu Traumatisierungen der Kinder gekommen ist. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie die Lock-down-Zeit traumatische Erfahrungen bei Kindern begünstigt.

Monatelang wurden diese Kinder nicht gesehen, kein Lehrer konnte das Jugendamt einschalten oder die Kinder irgendwie schützen. Das ist ein Drama ungeahnten Ausmaßes, das erst jetzt nach der Lockerung der Maßnahmen zutage tritt. Viele Kinder und Jugendliche sind deutlich depressiver und ängstlicher im Vergleich zur Zeit vor den COVID-Maßnahmen, leiden unter Zwangs- und Essstörungen, sind selbstmordgefährdet.

Und wenn diese möglicherweise schweren Traumatisierungen jetzt stattgefunden haben, wissen wir aus der Psychoneuroimmunologie, dass diese Kinder aufgrund der beschriebenen psychoimmunologischen Entwicklungsstörungen mit der Neigung zu Entzündungsanstiegen dann Jahrzehnte später auch entsprechende Entzündungskrankheiten aufweisen und früher sterben können.

FO:Diese Traumatisierungen in der Kindheit können tatsächlich dazu führen, dass Betroffene früher sterben?

CS: Wir wissen, dass ein Kind, wenn es in den ersten 18 Lebensjahren sechs oder mehr sogenannte Adverse Childhood Experiences mitgemacht hat, also schwer belastende Kindheitserfahrungen, bis zu 20 Jahre früher an üblicherweise altersbedingten Entzündungserkrankungen stirbt als ein Mensch, der diese Erlebnisse nicht durchmachen musste. Zu diesen Adverse ChildhoodExperiences gehören Missbrauchserfahrungen körperlicher, emotionaler oder sexueller Art, Alkohol- oder Drogenkonsum der Eltern, Selbstmord in der nahen Verwandtschaft, Jobverlust eines der Elternteile, sozialer Abstieg.

Und das muss man in die Waagschale legen und den COVID-Maßnahmen gegenüberstellen. Vor dem Hintergrund, dass eine gewisse Risikogruppe von sehr alten und vorerkrankten Menschen bei COVID-19 wirklich gefährdet ist, die man besser hätte schützen müssen, anstatt ein ganzes Land in den Lockdown zu zwingen.

FO:Wie kommt es, dass sich diese Entzündungskrankheiten erst so viele Jahre später zeigen?

CS: