Georg Venlot - Julius Mosen - E-Book

Georg Venlot E-Book

Julius Mosen

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Beschreibung

Ein Novellenmärchen in Arabesken. Die Serie "Meisterwerke der Literatur" beinhaltet die Klassiker der deutschen und weltweiten Literatur in einer Sammlung.

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Seitenzahl: 277

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Georg Venlot

Julius Mosen

Inhalt:

Julius Mosen – Biografie und Bibliografie

Georg Venlot

Freund!

Einleitung.

Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel

Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Fünftes Buch. .

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Sechstes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel. .

Siebentes Such.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Achtes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Neuntes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Zehntes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Eilftes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Zwölftes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Dreizehntes Buch.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Nachwort.

Georg Venlot, J. Mosen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849632120

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Julius Mosen – Biografie und Bibliografie

Dichter, geb. 8. Juli 1803 zu Marieney im sächs. Vogtland, gest. 10. Okt. 1867 in Oldenburg, besuchte das Gymnasium in Plauen, studierte seit 1822 in Jena die Rechte, reiste während seiner Studienzeit nach Italien und arbeitete dann längere Zeit bei einem Sachwalter in seiner Heimat. 1831 erhielt er eine Anstellung beim Patrimonialgericht in Kohren; 1834 ließ er sich als Advokat in Dresden nieder, wo er bald zu literarischem Ansehen gelangte. 1844 ging er als Dramaturg an das Hoftheater in Oldenburg. Leider ward hier schon seit 1848 seine Tätigkeit durch unheilbare Krankheit, die zuletzt in völlige Lähmung überging, unterbrochen. M. ward nach 1850 pensioniert, blieb aber bei schwerem Siechtum geistig frisch. M. trat zuerst mit den epischen Gedichten »Das Lied vom Ritter Wahn« (Leipz. 183 t), der freien Gestaltung einer uralten italienischen Sage, und »Ahasver« (Dresd. 1838) hervor, die von seiner mehr philosophischen als poetischen Anlage zeugten. In seinen »Gedichten« (Leipz. 1836, 2. Aufl. 1843) erfreut er oft durch volkstümliche Frische, so dass eine Reihe balladenähnlicher Gedichte, wie »Die letzten Zehn vom vierten Regiment«, »Andreas Hofer« und »Der Trompeter an der Katzbach«, in den Mund des Volkes übergingen. Als Erzähler trat M. mit der Novelle »Georg Venlot« (Leipz. 1831), den »Novellen« (das. 1837), dem historisch-politischen Roman »Der Kongreß von Verona« (Berl. 1842, 2 Bde.) und dem reizenden, frischen und stimmungsvollen Novellenbuch »Bilder im Moose« (Leipz. 1846, 2 Bde.) hervor. Mosens Hauptbestrebungen wandten sich inzwischen dem Drama zu, aber in seinen Werken dieser Gattung herrscht zumeist die abstrakte Rhetorik vor; dahin gehören »Heinrich der Finkler« (Leipz. 1836);»Cola Rienzi«, »Die Bräute von Florenz«, »Wendelin und Helene«, »Kaiser Otto III.« (diese vier gesammelt als »Theater«, Stuttg. 1842), die letztgenannte Tragödie war die bedeutendste. In späteren Dramen: »Don Johann von Österreich«, »Herzog Bernhard« (Leipz. 1855), »Der Sohn des Fürsten« (Ol den b. 1858), versuchte M. seine Rhetorik durch äußerliche theatralische Effekte auszugleichen. Noch ist das geistvolle Werkchen »Die Dresdener Gemäldegalerie« (Dresd. 1844) zu erwähnen. Mosens »Sämtliche Werke« erschienen in 8 Bänden (Oldenb. 1863); eine neue vermehrte Ausgabe mit Biographie gab sein Sohn heraus (Leipz. 1880, 6 Bde.), eine Auswahl, mit Biographie von Zschommler, erschien in Leipzig 1899, 4 Bde. Vgl. Mosens »Erinnerungen«, fortgeführt von M. Zschommler (Plauen 1893); »Julius M., eine biographische Skizze« (Oldenb. 1878). In Marieney wurde M. 1903 ein Denkmal (von Mörlin) gesetzt.

Georg Venlot

Eine Novelle mit Arabesken.

Freund!

Wo du auch in diesem Augenblicke verweilen magst, ob im Räthsellande Aegypten an den Ufern des Nils, ob in jener Weltstadt am Tiberstrome, oder ob wieder an Deinem geliebten See in der Schweiz – auf heimathlichem Boden; – Dich sucht überall dieses Buch mit seinen Mährchen, um Dir zu sagen: daß ich Deiner fortwährend gedenken muß, daß ich die schönen Tage, welche wir in großer, weltgeschichtlicher Rückerinnerung verlebt, daß ich die Stunden, welche wir in heiterer Kunstanschauung genossen, – daß ich die Augenblicke, welche wir in edelster Begeisterung gleich farbigen, duftigen Blumen uns aufblühen gesehen, – daß ich die sternenhellen Nächte, welche wir unter Italiens Himmel Arm in Arm wachend durchträumt haben, – daß ich alles Dieses, was nur je zwei Menschenherzen an einander fesseln kann – gleich einer Reliquie im geweihten Schreine – heilig bewahrt habe.

Ich widme Dir dieses Buch. Es gehört Dir nicht minder an, als mir selbst; denn Du hast es ja großentheils mit mir durchlebt! – Was Dir fremd, seltsam, unangenehm und unkünstlerisch in diesem Bilde erscheinen möchte, das mag – wenigstens zum Theil – mein Geschick, welches seit unserer Trennung mir nicht wenig widerwärtig, und aller Förderung in Kunst und Wissen hinderlich war, – mir verantworten helfen. Während Du, ein freier Adler, über Land und See einherzogst, hielt mich das engste Leben im engsten Käfige gefangen. Indem Du die ganze Welt ruhig unter Dir sahst, und die Fäden der Völkerschicksale in einem Knoten vereinigt von Deinem Standpunkte herab bemerken mochtest, lag über mir schwer und unüberwindlich der Webebaum einer noch werdenden Geschichte – und zwar der meines Vaterlandes, und die Wehklage ihrer Stimme betäubte mich. – Dazu kam eigenes Bedrängniß, vielfache Noth und der Mangel am Gemeinsten.

Wenn Du von diesen Elementen dann und wann die Weltanschauung, welche gern in diesem Büchlein liegen möchte, getrübt siehst, so entschuldige mich bei Dir selbst; denn die Zeit und der Geist, welcher in ihr liegt, beherrscht einen Jeglichen mehr oder weniger, am meisten aber den Dichter. Ihm aber ist auch kein höheres Ziel gestellt, als die letzte Idee seines Volkes in der Weise, welche ihm gegeben ist, überall zu verklären.

So nimm denn diese Blätter freundlich hin! Gedenke meiner und lebe wohl! –

Leipzig, am 4. Mai 1831.

J. M.

Einleitung.

Der Tag des blumigen Johannisfestes neigte sich dem Ende zu. Der letzte Strahl der untergehenden Sonne blitzte noch einmal über die Hügel hinüber, und schien sich nur ungern von der bräutlich geschmückten Erde zu trennen. Ueber die Thäler legte sich ein bläulicher Nebelflor, während ein linder Luftzug das blühende Getraide auf den langhingestreckten Feldflächen, und die duftenden Blumen auf den Rainen und Wiesen flüsternd bewegte. Das Geläute aus den umherliegenden Ortschaften tönte in der Luft mit dem Summen der Käfer zusammen.

An diesem Abende, der in Blumen und Blättergesäusel, mit allen seinen Blüthenwonnen und Düften zu Träumen und lieblichem Sehnen das Herz lockte, ergingen sich zwei Jungfrauen, still und freundlich, wie die sie umgebende Natur, auf einem rasigen Feldwege, welcher sich hinter dem Städtchen R....r durch die üppigste Flur hinzog. Kaum möchte ein glückliches Auge irgendwo zwei schönere Frauengestalten beisammen sehen.

Blühte auch die Eine von ihnen lieblich in frischer rosiger Gesundheit, in schöner Fülle schlanker Glieder, und hob sich auch zu unsäglicher Anmuth ihr dunkelumlocktes Haupt frei und edel im lieblichen jungfräulichen Trotze empor, so daß sich fast kaum ein höherer Liebreiz denken ließ, so möchte dennoch ihre Gefährtin neben ihr nicht mißfallen haben. – Es war eine hohe, königliche Gestalt, zart und etwas bleich ihr Antlitz, nichtsdestoweniger aber ihr Mund in heller frischer Röthe ausgewoben. In ihren klaren, blauen Augen, welche sie aus Gewohnheit fast immer niederschlug, schien ein geheimes, wonniges Träumen zu schweben. So leicht hinwandelnd im bläulichen Gewande, schien sie wie eine Feenerscheinung in der Luft zerfließen zu wollen.

Von allen Gespielinnen, welche mit besonderer Zuneigung sich ihr angeschlossen hatten, war ihr die heitere Mathilde, welche eben jetzt ihre Gefährtin war, die Theuerste.

Lina aber selbst war in gewöhnlicher Weise in Gedanken, wobei ein leises Lächeln um ihren Mund spielte, schweigsam versunken.

Lina, Freundin! hänge doch nicht immer also deinen alten Träumen nach; ermahnte sie Mathilde.

Ich muß dir gestehen, versetzte Lina, daß dieser Frühlingsabend mit aller Macht das Siegel in meiner Seele zu lösen sucht, worunter das Geheimniß meiner Jugendtage schlummert. Wie ist mir doch? – ein schönes hohes Schloß, durchsichtig wie Glas, und ein Garten rings mit großen seltsamen Bäumen und Blumen will sich in meiner Erinnerung gestalten! – und dann, Mathilde, fühle ich, wie sich tief unten in meinem Herzen ein ungemessenes Leid zugleich losringen will.

Du träumst wieder einmal! erwiederte Mathilde; doch, schaue auf! es wird düster, laß uns hineingehen. Unsere Freundinnen werden auf uns warten, und dein Bruder wird vollauf zu thun haben, ihnen die Zeit zu vertreiben. Ich kann es mir denken, wie sie vor dem Hause auf der Bank neben deiner Pflegemutter sitzen, die Köpfe zusammenstecken, um nichts Heimliches zu flüstern. Beinahe gram bin ich ihnen, so angenehm mir es auch sonst ist, daß sie uns allein gehen ließen. Bestes Herz, setzte Mathilde aufgeregter hinzu, so lieb, wie dich, habe ich niemand mehr!

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen kamen die beiden Mädchen zwischen den Gärten hindurch in die belebte Straße des Städtchens. Erleuchtet waren bereits die stillen Gemächer, und die gelben Johannisblumen, womit nach altem Brauche die Fenster besteckt waren, gaben den Häusern ein festliches Ansehen. Männer, Frauen und Kinder saßen in traulichen Gruppen vor den Hausthüren, um die erquickliche Abendluft zu genießen. Wo nur die Beiden vorüberkamen an den fröhlichen Menschenschaaren, wurden sie freundlich gegrüßt, und manche Matrone sprach: glücklich müssen die Männer sein, welche diese als Frauen heimführen! –

Schon von Weitem kam Ihnen die Schaar ihrer Freundinnen entgegen, und zog sie im fröhlichen Tumulte hinein in die Stube des alten Herrn Meiers, Lina's Pflegevaters.

So bequem und behaglich der alte Herr sich auch in seinem Armstuhle fühlte, so stand er doch vom Anblick der Schönen verjüngt auf, und begrüßte umständlich die Freundinnen seiner Lina.

Bald erschien auch Heinrich, Lina's Pflegebruder, in seinem gewöhnlichen Ernste; etwas später Rudolph, Mathildens Bruder, mit noch einem Freunde.

Bald saß die Gesellschaft in munterem Kreise um den glänzend gebohnten Tisch herum. Lina stellte darauf porzellänene Blumentöpfe mit frischen Sträußern, Mutter Meier aber setzte geschäftig und freundlich allerlei Naschereien und Erfrischungen dazwischen hin.

Wie schön ist Auge und Zunge bedacht, sprach scherzend Mathilde; aber lieber düsterer Heinrich, ich weiß es im Voraus, du sorgst auch dafür, daß wir sonst noch mit Ohr und Seele uns ergötzen! Ich bitte dich als Gesandtschafterin der hier versammelten hohen Häupter recht sehr um die Erzählung einer Geschichte, und wenn es nur so ein unglaubliches Mährchen, wie neulich wäre, womit du uns einen ganzen Abend unterhalten hast.

Ah! sieh den Schalk, da packt er ja schon ein Buch aus! rief Karoline, Heinrichs Nachbarin.

Ich habe heute erst von einem Freunde aus der Hauptstadt diese Sache hier überschickt erhalten, erwiederte Heinrich. Da ich nun selbst noch nicht darinnen gelesen habe, so kann ich freilich nicht wissen, ob sie eine solche schöne Gesellschaft schön genug unterhalten kann.

Wir machen keine großen Ansprüche, Heinrich! versetzte Mathilde; und laß uns nicht länger schmachten; denn eine solche noch unvorgelesene Geschichte hat einen besonderen Reiz.

Heinrich schlug das Buch auf und begann die Vorlesung. Die Gesellschaft hörte gespannt und aufmerksam zu.

Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Der Maskenball hatte begonnen. Rauschende Musik belebte im kerzenhellen Saale die wunderlichsten Figuren und Gruppen. Die Abgeordneten aus allen Irrenanstalten Europa's schienen sich hier im Festputze versammelt zu haben. Nur in einem anstoßenden Zimmer, durch dessen geöffnete Flügelthüren man die ganze bunte Menge bequem übersehen konnte, saßen beim Weinglase mehrere einfache schwarze Domino's, welche die Lästigkeit der Maske abgelegt hatten. Es waren mehrere jüngere Doctoren und Studenten.

Ihre ernsthaften Gesichter schienen zu bekräftigen: "daß der Deutsche über Alles, und Alles über ihm schwer werde." Der Inhalt ihres Gesprächs mochte nicht die Wahrheit dieses Satzes widerlegen.

Sagt mir nichts von dem alten Wahnwitze der Menschheit, versetzte der Eine; es ist Alles nichts als Entstehen, Leben und Vergehen; und darüber hinaus giebt es nichts! Thoren sind es, welche nicht einsehen wollen, daß das Leben nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist! Die schaffende Flüssigkeit, welche aus der Materie heraus, als ein ewig bewegtes und bewegendes chemisch operirt, ist das einzige Lebensprinzip. Die Pflanze, welche von dieser Naturkraft zu Blatt, Stengel und Blüthe, ja! selbst zum Wachen, Schlafen und Empfinden emporgetrieben wird, und ihre Freude und Wollust in Farben und Düften ausströmt, lebt dasselbe Leben, welches, nur in höherer Potenz, der Mensch lebt. Was ihr Geist, Seele, nennt ist nur der Nervensaft, der sich im Lebensprozesse erzeugt und wieder verflüchtigt; sowie ein angezündetes Talglicht zu fröhlicher Flamme sich verwandelt, und in der Entwicklung des Wärme- und Lichtstoffes lebt, bis nichts mehr übrig bleibt, als todte Asche! –

Ein hagerer Mann mit einem todtbleichen Gesichte, welches zwei feurige Augen belebten, hörte besonders aufmerksam zu. Er hatte sich bei der Gesellschaft unter dem Namen Voland, und dem Charakter eines Doctors der Philosophie, eingeführt. Seltsam lächelte er bei den Worten des Redners.

Ein anderer Jüngling mit freiem, klaren Antlitze, auf welchem die freudigste Gesundheit des Leibes, wie des Geistes aufleuchtete, erhob sich vom Sitze. Wie ein Apollo, mit edlem Zürnen auf der reichumlockten Stirn und den schönen Lippen, stand er vor den Genossen da, und ehe er noch sprach, schien seine erhabene Gestalt Ehrfurcht und Liebe zugleich einzuflößen, und zum Anerkennen des Göttlichen im Menschen unwiderstehlich hinzureißen.

Es ist unlöblich, begann er zu sprechen, deuteln zu wollen an der Würde des Menschengeistes; Wehe dem, welcher nicht mehr fühlen kann, wie er das Ebenbild Gottes in seiner Brust beherberge, der sich dem trüben Erdgeiste aufzuopfern unglückseelig bestrebt. Mir aber soll Niemand meinen Glauben antasten! Ich rufe alle Mächte des Chaos, die Uebelgewillten, herauf: mir dieses Licht zu rauben! Sie sollen mit ihrer Klugheit zu Schanden werden an meiner Einfalt!

Großsprecherei! flüsterte der Eine. Es ist ein Enthusiast! versetzte ein Anderer. Er hat keine Ahnung von der großen Weltironie, meinte ein Dritter.

Doctor Voland aber trat auf ihn zu, und fragte: sie haben hier schöne Gesinnungen geäußert, wodurch sie mir sehr werth geworden sind. Sie heißen Georg Venlot?

"Ihnen zu dienen, Herr Doctor Voland!"

Wir müssen näher mit einander bekannt werden, sprach der Doctor; sind sie es zufrieden: Du auf Du! –

Du auf Du! versteht sich, riefen die Andern. Doctor Voland und Georg Venlot ergriffen die Weingläser, und tranken mit verschränkten Armen academische Brüderschaft.

Eine Maske trat jetzt herein, nahm Georg Venlot bei Seite, und gab sich zu erkennen.

"Ah, Stubengenosse, willkommen! ich habe schon lange auf dich gewartet; was kommst du erst so spät?"

Mein Maskenanzug blieb so lange außen. Warst du schon tüchtig vergnügt?

"Ziemlich."

Ein Brief ist an dich angekommen. Warte! ich habe ihn beigesteckt. Hier ist er! Mit diesen Worten drückte er Georg den Brief in die Hand. Dieser trat zu einem Wandleuchter, erbrach ihn, und las:

"Geliebter Sohn!" "In dem Augenblicke, daß Du diese Zeilen gelesen hast, erfülle die inständigste Bitte Deines Vaters, und komme heim! Furchtbares Geheimniß habe ich Dir zu entdecken; eile! bevor die Verzweiflung Deinen armen Vater getödtet hat. – Ich erwarte Dich mit Schmerzen! – Gott geleite Dich glücklich zu mir, geliebtes Kind!"

Was ist dir? fragte der Ueberbringer des Briefes, du erbleichst ja im ganzen Gesichte!

Um Gotteswillen, rief Georg, ich muß in meine Heimath zurück! Ich muß gleich abreisen! Lebewohl, und grüße die Freunde!

Mit diesen Worten ließ er den Erstaunten stehen, und stürzte fort.

Nach einer Stunde fuhr Georg schon zum Thore hinaus. Munter bließ der Postillion in jubelnden Klängen auf dem Horne in die Nacht hinein, und im schnellsten Fluge auf der Heerstaße rollte der Wagen dahin der Heimath entgegen.

Zweites Kapitel.

Es war Nacht. Die Wohnstube des altern Venlot war spärlich von einer Lampe erleuchtet. So viel bei dem schwachen Lichte sich erkennen ließ, zeigte Alles ringsum von einer gewissen Wohlhabenheit. An der gefirnißten Wand prangten bunte Bilder; über dem weißen glänzenden Tische in der Ecke hing ein schöner Spiegel im vielfach geschnörkelten Rahmen, mit vielen, Pfauenfedern besteckt, und blankes Zinngeschirre leuchtete in langer Reihe vom Gesimse herunter. Selbst an der geringsten Gerätschaft im Zimmer war eine gewisse saubere Zierlichkeit, welche auf ein gemächlicheres Leben hindeutete, als man sonst bei einem Landmanne zu finden glaubt, nirgends zu verkennen.

Auf dem Bette an dem einen Ende des Gemachs lag der Hausherr; neben ihm saß seine Ehefrau, welche leise vor sich hinweinte. Nach langem Schweigen, begann endlich die bekümmerte zu sprechen: ich bitte dich herzlich, theurer Mann! theile mir dein Leid mit. Du weißt es ja, wie ich alle Noth eben so gern als unser Glück mit dir stets getheilt habe! Als wir noch arm waren, oft kein Stückchen Brod miteinander zu essen hatten, und ich wohl oft verzagen wollte, warst du immer so froh und heiter; jetzt aber, da uns Gott überall geseegnet hat, unsere Schreine voll kostbarer Waare, unsere Kästen voll Geld sind; jetzt, da uns nichts mangelt, was zur Leibes Nothdurft und Nahrung gehört, bist du auf einmal ganz anders, finster, trüb und niedergeschlagen geworden! Rede doch, lieber Mann! –

Wo ist Georg? jammerte der Beängstigte; wo ist mein Sohn? Er ist immer noch nicht da? Mein Gott! Mein Gott! Was wird es ihm helfen, auf der hohen Schule zu sein, zu lernen, seinen Verstand auszubilden, und tüchtig zu werden! Er kommt nicht, er wird verloren sein!

Im Vorhause ertönten jetzt kräftige Schritte, die Thür ging auf, und Georg trat herein. Mein Sohn! schrie der Kranke auf, und hob sich vom Lager empor.

Vater! Mutter! rief Georg, und lag in den Armen seiner Aeltern.

Laß ab von mir, frommes Kind! Du mußt mir verzeihen, nicht wahr Georg? seufzte der Vater.

Mit diesen Worten stand er auf, nahm die Lampe, faßte Georg beim Arme, und führte ihn mit sich hinauf in eine Kammer.

Nachdem er die Thüre sorgfältig verschlossen hatte, wandte er sich zu Georg, und begann mit zitternder Stimme: "du wirst dich noch erinnern können, wie wir vor Zeiten noch so arm waren, daß wir kaum uns zu ernähren vermochten. Du warst damals ein zwölfjähriger Knabe, als die große Theuerung in das Land kam. Schon ging der Winter zu Ende; die Lebensmittel stiegen zu unerhörten Preisen; und wir hungerten."

"Damit nichts fehlte, um mich auf das Aeußerste zu treiben, warf heftiges Fieber deine Mutter auf das Krankenlager, so daß ich stündlich ihrem Tode entgegensah. In wüster Angst rannte ich hinaus an das Ufer des Rheinstroms, warum? weiß ich selbst nicht. Weinen konnte ich nicht mehr. In stiller Verzweiflung stand ich dort."

"Wie ich nun also gedankenlos hinunter starrte in den brausenden Wellengang des Stroms, fühlte ich einen leisen Schlag auf meine Schulter. Ich wandte mich um, und ein langer freundlicher Mann stand vor mir da."

"Ich bin ein Menschenfreund, begann er zu reden, und suche der leidenden Menschheit zu nützen; denn im Grunde bin ich sehr mitleidig. Wenn du mir vertraust, so soll noch zur Stunde dein Weib gesund, und du der reichste Mann im Rheingau sein."

"Gnädiger Herr, sprach ich, demüthig meine Mütze unter dem Arme, können sie mir helfen, so will ich ihnen ewig dankbar sein."

"Ich bin Kaufmann, fuhr der Fremde fort; wenn ich dir helfe, – denn es ist mein Grundsatz: nie Etwas umsonst zu thun! – so bitte ich mir dafür, eine kleine Gegengefälligkeit aus. Siebenmal sollst du das größte Netz auswerfen in den Strom, und siebenmal, vom Golde des Nibelungenhorts gefüllt, es wieder herausziehen, und zugleich dein schönes Weib gesund sein, wenn du mir nach Verlauf von sieben Jahren, von der nächsten Mitternacht an gerechnet, dasjenige zu eigen giebst, was von dem Deinigen bei deiner Heimkehr dir zuerst in die Augen fallen wird."

"Zweifle nicht, redete der Fremde weiter, an der Erfüllung meines Versprechens! Ich weiß Vieles und Mancherlei! Alle Schätze, welche das Meer und die Erde verbirgt, kenne ich."

"Meine Seele war betäubt. Wie im Traume sagte ich: gnädiger Herr, ich stehe ihnen für diese Hilfe mit Allem zu Gebote!"

"Sogleich faßte er mich bei der Hand, stach mit einem Stachel, oder Messer, – ich weiß selbst nicht, was er mit mir vornahm, – schnell in meine linke Hand, und saugte mit eiskalten Lippen das hervorquellende Blut auf."

Unfern von dieser Stelle hing ein Fischernetz zufällig an einem Baumaste zum Trocknen herunter. Er hieß mich es, herbeiholen, und kunstgerecht an eine bezeichnete Stelle am Ufer auswerfen. Mit seiner Beihülfe – denn der Zug war sehr schwer, – brachte ich das Netz wieder heraus."

"Als ich es, am Lande leerte, fand ich darinnen siebenzehn große Beutel voll Goldstücke."

"Nun, mein Theuerster, sprach lächelnd der Kaufmann, wie gefallen dir diese Fische? Petrus hat nie bessere gefangen! Noch sechs solche Züge stehen dir zu Gebote! Zu gehöriger Zeit werde ich mich übrigens wieder einstellen! Mit diesen Worten war er, ich weiß nicht wie, mir aus den Augen."

"Ich Unsinniger aber fiel wie rasend über das Gold her, im Gefühle meines Reichthums überglücklich. Das funkelte mir in die Augen und in die Seele! So viel ich von meinem Schatze tragen konnte, nahm ich zu mir; das Andere verscharrte ich unterdessen im Sande, und ging alsdann schwerbeladen, taumelnd und träumend auf meine Hütte zu."

"Schrecklich sollte ich erwachen; denn wie ich um die Felsenecke des Thales herumgehe, kamst du, mein Georg, mir freudig entgegen gesprungen und schriest Vater, unsere Mutter ist wieder ganz gesund!"

Mit ängstlicher Theilnahme hatte bis jetzt Georg dem Vater zugehört, kaum hatte er Odem zu holen gewagt, regungslos stand er vor ihm. Wie er aber jetzt mit gepreßter Stimme sprach: und der fremde Kaufmann war ein Seelenkäufer, der Satan, ihm habe ich dich verkauft, ich Elender, und in dieser Nacht sind die sieben Jahre um! stürzte Georg in seine Arme, und rief: es ist ja unmöglich, was du sagst!

"Mein armes Kind," jammerte liebkosend der Elende, "wohl habe ich später oft dasselbe gedacht; denn die Noth und der Kummer hatten mich damals, ich weiß es noch genau, halb wahnsinnig gemacht; auch habe ich wenige Jahre nachher, da eine bedeutende Erbschaft uns anfiel, das schändliche Nibelungengold wieder heimgezahlt, und dem Bösen in den Rheinstrom hinabgeworfen; aber vor drei Tagen in der Abenddämmerung kam der Schreckliche wieder zu mir, und heischte dich, als die wohlbedungene Waare, zu seinem Dienste."

Vater, und wie sollte etwas Böses an mir Gewalt haben, wendete Georg ein, wenn ich selbst nichts Böses in mir trage?

Drittes Kapitel.

Georg sprach noch viele Worte des Trostes zu seinem unglücklichen Vater, welcher vor Herzeleid matt und zerschlagen endlich auf einen Stuhl zurückgesunken war. Nach einer Weile bemerkte er, wie ein sanfter Schlummer über die Augen des Unglücklichen ausgegossen war.

Ihm eine solche erquickende Ruhe zu gönnen, ging Georg hinunter in das Wohnzimmer. Hier fand er seine Mutter am Tische sitzend, und, das Haupt auf den gefalteten Händen über der aufgeschlagenen Bibel, eingeschlafen. Ihre Wangen waren noch von Thränen naß.

Er suchte sie aufzuwecken; aber alle seine Mühe war vergebens. Wohl öffnete sie die Augen; aber sogleich fielen sie matt wieder zu, und ihr schweres Haupt nieder auf ihre Arme.

Er ging in die Nebenstube; aber auch hier schliefen die Dienstleute einen wahren Todtenschlaf. Alles sein Rufen, sein Rütteln blieb erfolglos. Selbst der sonst so wachsame Wasserhund lag jetzt zu einem Knaul zusammengerollt regungslos und fühllos.

Jetzt wurde es ihm unheimlich zu Muthe. Er sprang hinauf in die Kammer, um seinen Vater zu wecken; allein auch hier war seine Mühe vergebens.

Er eilte wieder hinab in das Wohnzimmer; aber Alles schlief und blieb lebendigtodt und unaufweckbar.

So war er denn im grabesstillen Hause das einzige Wesen, welches wachte, während alles Lebendige in betäubendem Schlafe dahingestreckt lag.

Nirgends regte sich der geringste Laut; nur sein eignes banges Odemholen, und das dumpfe Picken der Wanduhr, deren Zeiger auf Zwölf zu krochen, drang zu seinem lauschenden Ohre.

Vergeblich bestrebte er sich zu beten; namenlose Angst raubte ihm die Besinnung. Er schrie einigemale laut auf; Nichts regte sich, außer dem Uhrperpendikel.

Die Wände schienen zusammenzurücken und ihn erdrücken zu wollen. Vor Entsetzen und Seelenqual stürzte er hinaus in die stürmische Nacht.

Vergebens suchte er im Dorfe ein wachendes Wesen anzutreffen; erfolglos pochte er an alle Nachbarshäuser an; Niemand hörte ihn.

Als müßte er vor sich selbst entfliehen, flüchtete er sich hinaus in das Freie. Jetzt erhob sich auf einmal ein Stürmen und Windesbrausen, als sollte die Erde untergehen.

Er raste durch den Sturm mit lautem Geschreie hindurch, klomm einen steilen Fels hinauf; und oben angelangt, bemerkte er, wie tief unten vor ihm der Rheinstrom brauste und über die Steinblöcke in wunderlichen Gestalten sprang und hüpfte.

Er sank nieder zur Erde, besiegt von der Mattigkeit der Glieder, und dem Abgrunde vor ihm. Herr Gott, erbarme dich über mich! betete seine Seele in heißer Inbrunst.

Ich komme schon Freundchen, rief eine schneidende Stimme von unten herauf; ich bin gleich bei dir! fürchte dich nicht! – sollst leben bei mir, wie ein Königskind, fürchte dich nicht!

Herr Gott, erbarme dich meiner! betete immerfort der Jüngling.

Lust und Wein, Tanz und Spiel, schöne Weiber sollen dein Herz erfreuen! Ueber Land und Meer sollst du mit mir ziehen, mein Söhnchen! rief es wiederum von unten herauf.

Und eine andere Stimme, leise, wie ein verschwimmender Flötenton, drang an das Ohr des bebenden Jünglings: ringe muthig, sei standhaft, bleibe dir treu! –

Ehre und Reichthum, Wissenschaft und Klugheit will ich dir geben, springe herunter zu mir! zu mir! albernes Kind! rief die versuchende Stimme.

Weiche von mir, Verruchter! heiliger Gott, rette meine arme Seele aus den Garnen des Versuchers! rief Georg.

Du mußt doch! bebte die Stimme wie ein grollender Donner auf ihn ein, du mußt! du bist mein! und ein gewaltiger Stoß schleuderte ihn empor, daß er wieder rücklings niederstürzte.

Aus der Ferne funkelte ein stechendes Auge auf ihn zu.

Unermeßliche Schauer und Entsetzen gingen über seine Seele.

Folgst du mir nicht, so muß im Giftschwaden noch heute dein Vater, auch deine Mutter sterben. Ueber ihr Leben habe ich Gewalt, denn Er gab mir sein Blut zu kosten. Du aber, Narr! sollst frei sein, – denn dich liebe ich vor allen Menschengeistern, – frei vor dem Himmel, und frei auf der Erde, und selbst dein Herr sein! – Zu mir! Zu mir! – sprach die Stimme herüber; während immer wieder der verhallende Flötenton sein Ohr traf: Georg, weiche nicht, zage nicht, ich bin dir nahe! ich bin immer bei dir!

Der Rheinstrom hob sich sausend empor, daß er bis zum Felsen herüberschlug, auf welchem Heinrich bebte und betete; der Boden unter ihm begann zu wanken, näher und näher funkelte das furchtbare Auge, welches ihn zu durchbohren und zu sprechen schien: ich bin so arg nicht! komme mit mir!

Jetzt schienen zwei ungeheure Hände nach ihm herübergreifen zu wollen; vor seinen Augen dunkelte es, und während ihm alle Sinne schwanden, glaubte er um seinen Nacken einen weichen Arm geschlungen zu fühlen, und vor den brechenden Augen schien es ihm als beuge ein frommes, zartes Jungfrauenangesicht sich lieblich leuchtend über ihn her, und wie zum Tode sank sein schweres Haupt zurück an ein schlagendes Herz.

Viertes Kapitel.

Georg schlief einen tiefen, sanften Schlaf. In den lieblichsten Gefilden des Traumes schwebte seine Seele. Er wähnte sich in einen wunderbaren Zaubergarten versetzt. Fremde Bäume mit goldenen Blättern und leuchtenden Blüthenkränzen behangen, aus denen liebliche Lieder drangen, tausendfarbige Blumen, aus deren Kelchen die Düfte wie Flämmchen spielten, standen und prangten ringsumher vor der in Glückseeligkeit vergehenden Seele. Feenhafte Gestalten, ihm wohlbekannte Ideale der Dichter, schwebten wahrhaftig und lebendig ihm vorüber.

Jetzt bemerkte er erst, daß ein himmlisches Weib neben ihm stand, und ihn mit verklärten Blicken ansah.

Wie leuchtete so wunderlich das Antlitz der Jungfrau im süßen, geheimen Erröthen! wie wölbte sich die in Schnee und Licht verklärte Stirne so heilig empor! In welch wundersames Scheinen, das um die ganze Gestaltung gegossen war, verschwebten nicht des Hauptes blonde Locken! Wie lebte ein ewiger schöner Lenz göttlicher Jugend in der holdseeligen Webung aller Glieder, an welche leichtgefaltetes Gewand sich hingoß! –

Das sonnige Haupt ein Weniges geneigt, das blaue Himmelsauge, wie verstohlen, auf ihn entzückend hingewendet, schien sie die entblößten Arme aus dem röthlichen Schleier ihres Gewandes, emporheben zu wollen.

Um ihre Lippen schwebte es bald wie lächelnder Traum, bald wie ein mildes beginnendes Wort, bald wie Küsse seeliger Geister.

Georg, kennst du mich? flüsterte Sie endlich.

Höher leuchtete der weiße Blüthenglanz ihrer Arme, und seelig sank Georg ihr entgegen.

Von Neuem fühlte er, um seinen Nacken geschlungen den sanften Arm, und sein Haupt ruhen an einem schlagenden Herzen.

Ihm war es, als müsse in diesem Entzücken sein Sinnen, sein Denken, all Träumen und Wähnen, seine ganze Seele ersterben.

Zu einem tiefen Seufzer hob sich seine Brust empor, indem er von diesem Traume erwachend, die Augen aufschlug. Aber über sein Gesicht herein neigte sich immer noch das Antlitz der Jungfrau. Umsonst rang er zu erwachen; aber er war erwacht, und die Jungfrau sah ihn dennoch an mit ihren klaren Augen, die in wonniger Feuchte glänzten, und ihre Stimme klang zu ihm wie ein verhallender Flötenton: Georg, kennst du mich nicht?

Er faßte nach ihr; sie aber wich zurück, und sprach: du bist noch nicht gerettet! noch nicht mein!

Indem ihm die Angst und Pein, das Grausen und Entsetzen der Nacht vor seine Seele trat, zugleich aber auch die holden Bilder seines Traums, die leuchtenden Gefilde, und selbst die schönste Jungfrau in der Wirklichkeit vor ihm standen, und dennoch nur wieder sein Schlummer unter einem seidenen Baldachine auf schwellenden grünsammtenen Polstern als Nächstes und Wahres; aber auch dieses wiederum als Unerklärliches sich ihm aufdrang, sprach er vor sich hin: laß mir, mein Gott, diesen schönen Wahnsinn!

Mit lieblichem Lächeln bemerkte die Jungfrau diesen Kampf seiner Gefühle.

Bin ich denn nicht der Höllenmacht verloren gegangen? fragte er in zagenden Zweifeln. Wie ein zartes Mitleid wandelte es über das Gesicht der Jungfrau.

Georg, sprach sie, Georg! wie kann das Reine dem Unreinen dienen? Schon vor Jahrtausenden war ich ja dein!

Wie oft habe ich um dich geweint! Wie du Knabe warst, spielte ich im Traume so oft mit dir! Oft wenn du am Ufer des Stromes, oder auf dem Thurme standest, und mit einer, dir unerklärlichen Sehnsucht hinaus schautest in die blaue Ferne, war ich dir unsichtbar zur Seite. Als ich aber sah, wie der finstre Wahnwitz des Erdgeistes, welchem dein jetziger Vater erlegen ist, auch dein reines Sein zu ergreifen drohte; da mußte ich dir die Klarheit deiner Seele retten; da flüchtete ich dich herüber in mein Reich, in das Reich der Idee.

Und wer bist du denn, göttliche Jungfrau? fragte Georg mit leiser, gerührter Stimme.

Ewig dieselbe, versetzte sie, habe ich jetzt auf Erden mancherlei Namen, bald nennen sie mich Maria, bald Musa, bald noch anders; du aber nennst mich Aquilina! denn wie ein Adlerweibchen besorgt ist um sein Junges, so ist es mein Herz um dich, du reines Gemüth, du, der Erdensöhne Herrlichster!

Aquilina! rief Georg begeistert, und der Schmerz der ersten Liebe, und niegefühlte Sehnsucht innigen Verlangens, glommen in seinem Herzen und in seinem Antlitze auf. Aquilina! rief er, mein Herz will vergehen vor den Blicken deiner sonnigen Augen! – Dein bin ich auf ewig!

Aquilina bebte vor ihm in Wonneschauern, und im süßen Seelenwehe zuckten leise ihre Lippen. Er streckte seine Arme aus; sie sank hinein, und in einem Kusse vermählten sich zwei Seelen auf immerdar.

Die geängstigte Jungfrau riß sich los aus seinen Armen. Du willst mich unglücklich sehen, Georg, seufzte sie. Laß ab von mir! Wer giebt dir schon jetzt diese Gewalt über mich? Unbändiger, wer lehrte dir diesen Zauber?

Aquilina! rief Georg in seeliger Trunkenheit.

Nenne mich nicht mehr, entgegnete sie; denn deine liebende Stimme kränkt mich so sehr! Du mußt mich verlassen; denn schon jetzt weiß ich nicht, ob das Geschick nicht hart es ahndet, daß ich dich, den Ungeprüften, an mein Herz zog, und in fremde Rechte eingegriffen habe! – Wie der Urgeist es will! – Aber jetzt mußt du mich verlassen!

Ich kann sterben, rief er, aber dich nie meiden! –

Und doch kannst du noch nicht bei mir bleiben. Höherem Willen sind wir Beide unterthan. Du kannst nicht bei mir weilen; so lange du durch all den Wahn der Menschheit dich noch nicht zur Klarheit durchgerungen hast! Du mußt wieder hinabsteigen zu denen, welchen du im Glauben und Irren noch angehörst. Alle Leiden, alle Verlockungen, welche zu ihren wankelmüthigen und hoffährtigen Herzen verführerisch sprechen, ihr selbst geschaffenes Elend mußt du an deiner Seele reinigend vorübergehen lassen, und daran deine Gotteskraft erproben! Darum ziehe von mir wieder hinunter! Sobald du nur dem Gottthume angehören wirst, bist du auf ewig mein, ungetrennt von mir! –

Welche drohende Aussicht eröffnest du vor mir, Aquilina!

Nimm diesen Ring von mir, fuhr die Holdseelige fort, daß du dich meiner und der Worte, welche ich zu dir gesprochen, immer erinnern mögest! Vor jeglicher Gefahr, welche deinen Leib betreffen könnte, wird er dich bewahren; alle schlummernde Geisteskräfte in dir zum Leben erwecken; aller Sprachen dich mächtig machen; alle Geister, welche dir gleich sind, in Freundschaft dir zuneigen! Nie wird das Glück ganz von dir weichen, so lange