George Kennan: Zeltleben in Sibirien - Abenteuer unter den Korjäken in Kamtschatka und Nordasien – 1865 – 1867 - George Kennan - E-Book

George Kennan: Zeltleben in Sibirien - Abenteuer unter den Korjäken in Kamtschatka und Nordasien – 1865 – 1867 E-Book

George Kennan

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Beschreibung

George Kennan beschreibt, wie er 1865 per Segelschiff aus Kalifornien kommend im Auftrag der russisch-amerikanischen Telegraphen-Gesellschaft auf der Halbinsel Kamtschatka landete und unter abenteuerlichen und lebensgefährlichen Umständen in Stürmen, Eis und Schnee auf Hunde- und Rentierschlitten am Rande des Eismeeres an der Beringstraße endlose Weiten durchquerte, um die Möglichkeiten für den Bau einer Telegrafen-Überlandleitung zu prüfen. Er lebte unter Russen und indigenen Rentier-Züchtern bei den nomadischen Korjäken uns anderen Völkern. Diese Arbeiten zogen sich zehn Jahre lang hin, bis er 1867 auf dem Landweg durch ganz Sibirien über Moskau die Rückreise antrat. - Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 497

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George Kennan

George Kennan: Zeltleben in Sibirien - Abenteuer unter den Korjäken in Kamtschatka und Nordasien – 1865 – 1867

Band 175 in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Der Autor George Kennan

Zeltleben in Sibirien und Abenteuer unter den Korjäken und anderen Stämmen in Kamtschatka und Nordasien von George Kennan

Brigg OLGA, 800 Meilen nordwestlich von San Franzisco

Petropawlowsk, Kamtschatka

Kamtschatka

Reise per Boot und Floß

Von Regen- und Schneestürmen heimgesucht

Reise auf Hundeschlitten

Die nomadischen Korjäken

Die Religion aller nomadischen und ansässigen Eingeborenen

Der sibirische Sommer

Das Legen des atlantischen Kabels war gelungen – infolge davon wurde das Unternehmen des russisch-amerikanischen Telegraphen aufgegeben und die Arbeiten eingestellt

Mehr als 5.000 Meilen weite Reise nach Petersburg über Land

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere. –

Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

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Der Autor George Kennan

Der Autor George Kennan

Geboren am 16.02.1845 in Norwalk/Ohio; gestorben am 10.05.1924 in New York. Als höherer Telegraphenbeamter nahm Kennan 1865-68 an der amerikanischen Kabelexpedition nach Alaska und Sibirien teil; seine Erlebnisse schilderte er in dem Buch „Tent life in Siberia“ (dt. „Zeltleben in Sibirien“). Im Auftrag der Zeitschrift Century Magazine unternahm er 1870-71 eine Forschungsreise in den Südosten Russlands. 1885-86 bereiste er den Nordosten Russlands und Sibirien (seine im Century Magazine veröffentlichten Schilderungen erschienen in der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Sibirien“). Im Mai 1902 reiste er im Auftrag des „Outlook Magazine“ nach Martinique, um über den Ausbruch der Montagne Pelée zu berichten.

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Zeltleben in Sibirien und Abenteuer unter den Korjäken und anderen Stämmen in Kamtschatka und Nordasien von George Kennan

Zeltleben in Sibirien und Abenteuer unter den Korjäken und anderen Stämmen in Kamtschatka und Nordasien von George Kennan

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Deutsch von E. Kirchner

Zweite Auflage

Berlin Verlag Siegfried Cronbach

1890

* * *

1. Kapitel

Die russisch-amerikanische Telegraphengesellschaft wurde im Sommer 1864 zu New-York organisiert.

Seit vielen Jahren hatten hervorragende Telegraphenbeamte die Idee gehabt, Amerika mit Europa über die Behrings-Straße telegraphisch zu verbinden, und schon 1857 hatte Herr Perry McDonough Collins (1813–1900), als er das nördliche Asien bereiste, einen dahinzielenden Vorschlag gemacht. Aber erst nachdem der Versuch, ein transatlantisches Kabel zu legen, gescheitert war, fing man an, die Möglichkeit einer Verbindung der beiden Kontinente über Land durch Asien in ernstere Erwägung zu ziehen. Der Plan des Herrn Collins, welcher schon 1863 der Telegraphengesellschaft für westlichen Verkehr zu New-York unterbreitet wurde, schien von allen Projekten für interkontinentale Verbindung das praktischste. Eine Telegraphenlinie durch Britisch-Columbia, Russisch-Amerika und Nordost-Sibirien sollte sich an die russische Linie an der Amur-Mündung anschließen, was einen ununterbrochenen Drahtgürtel fast um die ganze Erde gebildet haben würde.

Dieses Projekt bot viele unverkennbare Vorteile. Es erforderte kein langes Kabel. Die Linie führte stets über Land, außer der kurzen Strecke in der Behrings-Straße, und durch Sturm oder sonstige Vorkommnisse entstehende Schäden waren leicht auszubessern. Sie konnte auch möglicherweise längs der asiatischen Küste bis Peking ausgedehnt werden und zur Entwickelung des nutzbringenden Handels mit China beitragen. Alle diese Gründe ließen das Projekt Kapitalisten und praktischen Telegraphenbeamten verlockend erscheinen, und so wurde es im Jahre 1863 von der Telegraphengesellschaft für westlichen Verkehr definitiv angenommen. Man verhehlte sich natürlich nicht, dass, wenn es gelänge, ein transatlantisches Kabel zu legen, dies der projektierten Überlandlinie schaden, ja sogar verhängnisvoll werden könnte; da dies aber einstweilen nicht wahrscheinlich schien, beschloss die Gesellschaft in Anbetracht aller Umstände, das Risiko zu übernehmen.

Mit der russischen Regierung wurde ein Vertrag abgeschlossen, welcher diese verpflichtete, ihre Telegraphenlinie durch Sibirien bis an die Amur-Mündung auszudehnen, und der Gesellschaft außergewöhnliche Privilegien auf russischem Gebiete einzuräumen. Von der britischen Regierung wurden 1864 ähnliche Zugeständnisse erlangt; der amerikanische Kongress versprach seine Unterstützung, und so trat die „Gesellschaft für Ausdehnung des westlichen Verkehrs“ mit einem Kapital im Nominalwerte von 10.000.000 Dollars ins Leben. Die Aktien, welche hauptsächlich von den Aktieninhabern der ursprünglichen „Telegraphengesellschaft für westlichen Verkehr“ gezeichnet wurden, waren bald vergriffen; eine sofortige Einzahlung von 5% lieferte den Fonds zur alsbaldigen Inangriffnahme des Werkes. Der Glaube an den schließlichen Erfolg des Unternehmens war so groß, dass in Zeit von zwei Monaten alle Aktien zu fünfundsiebzig Dollars das Stück bei nur fünf Dollars Anzahlung untergebracht waren.

Im August 1864 wurde Oberst Bulkley, ein ehemaliger Inspektor des militärischen Telegraphenwesens, zum Oberingenieur der projektierten Linie ernannt, und im Dezember segelte er von New-York nach San Franzisco, um Erforschungskolonnen zu organisieren und auszurüsten, und mit der Verwirklichung des Projektes den Anfang zu machen.

Angeborene Reise- und Abenteuerlust, die noch nie Befriedigung gefunden, und der Wunsch, an einem so neuen und wichtigen Unternehmen beteiligt zu sein, veranlassten mich, der Gesellschaft meine Dienste anzubieten. Mein Gesuch ward bewilligt, und am 13. Dezember reiste ich in Begleitung des Oberingenieurs von New-York nach San Franzisco, wohin das Hauptquartier verlegt werden sollte. Unmittelbar nach seiner Ankunft eröffnete Oberst Bulkley ein Büro in der Montgomerystraße und schickte sich an, verschiedene Abteilungen zu einer vorläufigen Rekognoszierung des Gebietes, das die Linie durchschneiden sollte, zu organisieren. Kaum verlautete in der Stadt, dass Männer zur Erforschung der unbekannten Regionen Britisch-Columbias, Russisch-Amerikas und Sibiriens gesucht würden, als das Büro der Gesellschaft von Stellesuchenden aller Art förmlich belagert wurde.

Abenteurer, die schon lange auf eine derartige Gelegenheit gewartet; verkommene Goldgräber, die durch neu zu entdeckende Goldfelder ihren zerrütteten Verhältnissen aufzuhelfen hofften; entlassene, nach neuer Aufregung dürstende Soldaten, alle drängten sich herzu, um ihre Dienste als Pioniere anzubieten. Nach geschickten und erfahrenen Ingenieuren war lebhafte Nachfrage; aber das Angebot gewöhnlicher Leute, die, was ihnen an Erfahrung mangelte, durch Begeisterung ersetzen wollten, war unbeschränkt.

Monat auf Monat schlich langsam während der Auswahl von Leuten, Organisierung und Ausrüstung von Erforschungsabteilungen dahin, bis endlich im Juni 1865 die Schiffe der Gesellschaft bereit waren, in See zu stechen.

Eine Abteilung sollte in Britisch-Columbia an der Mündung des Fraser-Flusses landen, eine andere in Russisch-Amerika am Nortonsund, und eine weitere auf der asiatischen Seite der Behrings-Straße an der Mündung des Anadyr. Sie hatten Befehl, unter der Führerschaft der Herren Pope, Kennicott und Macrae soweit wie möglich den Lauf der betreffenden Flüsse aufwärts ins Innere vorzudringen, in Bezug auf Klima, Bodenbeschaffenheit, Holzreichtum und Bewohner alle mögliche Auskunft zu erlangen und im allgemeinen die Richtung der projektierten Linie festzustellen.

Für die beiden amerikanischen Abteilungen boten Victoria und Fort Sct. Michael eine verhältnismäßig günstige Operationsbasis, aber die sibirische Abteilung musste auf der asiatischen Küste, in der Nähe der Behrings-Straße, fast tausend Meilen von jeder bekannten Niederlassung entfernt, in öder, unfruchtbarer Gegend landen. Da sie unter nomadischen Stämmen kriegerischer Eingeborenen auf ihre eigenen Hilfsmittel angewiesen und ohne irgendwelche Transportmittel außer Kähnen sein würde, schienen ihre Sicherheit und ihr Erfolg sehr fraglich. Viele Freunde des Unternehmens behaupteten sogar, es heiße die Leute gewissem Untergang preisgeben, wenn man sie in eine derartige Lage versetze; der russische Konsul in San Franzisco riet, diese Abteilung lieber in einen der russischen Häfen des ochotskischen Meeres anlaufen zu lassen, wo sie Erkundigungen über das Innere des Landes einziehen, sich Pferde- oder Hundeschlitten zu Entdeckungsreisen nach jeder Richtung hin verschaffen, und den sie überhaupt als Anhaltspunkt benutzen könnten.

Dieser vernünftige Rat war sehr einleuchtend; unglücklicherweise verfügte aber der Oberingenieur über kein Schiff, auf dem er eine Abteilung ins ochotskische Meer hätte schicken können; wenn im Verlauf dieses Sommers überhaupt eine Landung auf der asiatischen Küste stattfinden sollte, konnte dies nur an der Behrings-Straße geschehen.

Gegen Ende Juni erfuhr jedoch Oberst Bulkley, dass ein kleiner russischer Kauffahrer, die „OLGA“, von San Franzisco nach Kamtschatka und der südwestlichen Küste des ochotskischen Meeres unter Segel gehen sollte, und er bestimmte die Eigentümer desselben, vier seiner Leuteals Passagiere nach Nikolajewsk an der Mündung des Amur mitzunehmen. Wenn auch andere Orte mehr im Norden des ochotskischen Meeres als Ausgangspunkte für das Unternehmen günstiger gewesen wären, so war dieser Hafen doch bei weitem irgendeinem Landungsplatz an der Behrings-Straße vorzuziehen. Die kleine Gesellschaft, welche auf der „OLGA“ nach Kamtschatka und der Amur-Mündung segeln sollte, bestand aus: Major S. Abaza, einem Russen, der zum Direktor und Generalissimus des Unternehmens in Sibirien ernannt worden war; James A. Mahood, einem Zivilingenieur, der sich in Kalifornien bedeutenden Rufes erfreute; R. J. Bush, welcher gerade einen dreijährigen Kriegsdienst in Karolina absolviert hatte, und mir selbst. Wir waren zwar gering an Zahl, nicht besonders reich an Erfahrungen, aber voller Hoffnung, Selbstvertrauen und Begeisterung.

Am 28. Juni wurden wir benachrichtigt, dass die Brigg „OLGA“ ihre Ladung an Bord habe und „unverzüglich in See stechen werde“.

Wie wir später herausfanden, bedeutete dies bloß, dass dieselbe im Laufe des Sommers absegeln werde, während wir, in unserer vertrauensseligen Unerfahrenheit, uns einbildeten, sie werde unverweilt die Anker lichten und infolgedessen unsere Reisevorbereitungen überstürzten. Staatskleider, leinene Hemden und elegantes Schuhwerk wurden verschenkt oder verschleudert, und ein großer Vorrat von wollenen Decken, schweren Schuhen und Flanellhemden angeschafft; Gewehre, Revolver und Dolchmesser von ungeheuren Dimensionen verliehen unserem Zimmer ein ganz kriegerisches Aussehen; Arsenik- und Spiritusvorräte, Schmetterlingsnetze, Schlangensäcke, Pillenschachteln und ein Dutzend anderer Hilfsmittel und Apparate für Wissenschaften, von denen wir nichts verstanden, wurden uns von begeisterten Naturfreunden geschenkt und in große Kisten verpackt; unsere kleine Bibliothek erhielt einen Zuwachs von mehreren wissenschaftlichen Werken, Wrangells Reisen und Grays Botanik, und ehe die Nacht hereinbrach, waren wir reisefertig, für jedes Abenteuer bewaffnet und ausgerüstet, sei es das Einfangen einer neuen Käfer-Art oder die Eroberung Kamtschatkas!

Da es gegen alles Herkommen verstößt, eine Seereise anzutreten, ohne vorher das Schiff besichtigt zu haben, warfen Bush und ich uns zu einer Untersuchungskommission auf und begaben uns an den Landungsplatz, wo dasselbe vor Anker lag. Der Kapitän, ein derber, amerikanisierter Deutscher, empfing uns an dem Fallreep und führte uns auf der kleinen Brigg herum. Unsere unzulänglichen nautischen Kenntnisse würden uns kaum befähigt haben, über die Seetauglichkeit eines Lichterschiffes ein kompetentes Urteil abzugeben, aber Bush perorierte mit der charakteristischen Unverfrorenheit und Geschmeidigkeit des Talentes über Schönheit und Bau des Schiffes, seine Segel, den verhältnismäßigen Wert der ersten und zweiten Marssegel, die neu patentierten Rah-Hanger und Reeftalje und warf dergestalt mit seemännischen Ausdrücken um sich, dass er mich vollständig verblüffte und sogar den Kapitän stutzig machte.

Ich hegte begründeten Verdacht, dass Bush seine Weisheit der oberflächlichen Durchsicht von „Bowditchs Seefahrer“ verdanke, den ich auf dem Bürotisch hatte liegen sehen, und beschloss insgeheim, sobald ich wieder am Lande sei, mir alle Seegeschichten Marryats anzuschaffen und ihn das nächste Mal mit einem wahren Sturzbad nautischer Gelehrsamkeit zu überschütten, so dass ihm nur übrig bliebe, in „seines Nichts durchbohrendem Gefühle“ die Augen niederzuschlagen.

Nathaniel Bowditch (* 26. März 1773 in Salem, Province of Massachusetts Bay; † 16. März 1838 in Boston) war ein autodidaktischer Mathematiker, Astronom und Physiker, von Beruf Nautiker. 

In irgendeinem Roman von Cooper hatte ich von blinden Passagieren, Jungfern und Katzhaken gelesen, und da ich nicht für eine unwissende Landratte gehalten sein wollte, starrte ich ins Takelwerk und machte einige sehr allgemeine Bemerkungen über Jungfern und Besahasbaum. Der Kapitän beraubte mich jedoch schnell meines Nimbus, indem er mich kategorisch fragte, ob ich je bei Backstagswind den Besahasbaum mit der Vormarsrah ineinander geklemmt gesehen hätte. Schüchtern erwiderte ich, dass ich meines Wissens noch nie Zeuge einer derartigen Katastrophe gewesen, und da er sich mit mitleidigem Lächeln über meine Unwissenheit an Bush wandte, begab ich mich zähneknirschend in den unteren Schiffsraum, um einen kritischen Blick in die Speisekammer zu werfen. Hier fühlte ich mich mehr zu Hause. Die langen Reihen von Konservenbüchsen mit Ochsenfleisch, kondensierter Milch, Obst und ein kleines Fass mit geheimnisvoller Inschrift besänftigten mein erbittertes Gemüt und benahmen mir allen Zweifel darüber, dass die „OLGA“ seetauglich und nach der neuesten verbesserten Methode der Schiffsbaukunst konstruiert sei.

Ich stieg wieder auf Deck und teilte Bush mit, dass meine eingehende Inspektion der unteren Schiffsräume zu meiner Zufriedenheit ausgefallen sei; welcher Art meine Beobachtungen gewesen, verschwieg ich wohlweislich; aber er tat keine verfänglichen Fragen, und wir erstatteten im Büro günstigen Bericht über Bau, Tragfähigkeit und Ausstattung des Schiffes.

Samstag, den 1. Juli, nahm die „OLGA“ die letzte Ladung an Bord und wurde auf den Strom geholt.

Unsere Abschiedsbriefe in die Heimat waren schnell geschrieben, und um neun Uhr Montagmorgen versammelten wir uns auf dem Quai der Howardstraße, wo der Schlepper lag, der uns in See bugsieren sollte.

Eine große Anzahl von Freunden war gekommen, um Abschied von uns zu nehmen, und der mit hellen Gewändern und blauen Uniformen bedeckte Hafendamm nahm sich im klaren, warmen Sonnenschein Kaliforniens ganz festtäglich aus.

Oberst Bulkley erteilte seine letzten Befehle und gab uns viele herzliche Wünsche für Gesundheit und Erfolg mit auf den Weg; die weniger glücklichen zurückbleibenden Kameraden wurden lachend zum Besuch in Kamtschatka eingeladen; Bitten, Muster des Nordpoles und Nordlichtes einzuschicken, mischten sich mit Anweisungen über Vögel-ausstopfen und Käfer-sammeln, und in das allgemeine Durcheinander von Glückwünschen, Warnungen, Scherzreden und tränenreichen Abschiedsworten tönte die Glocke des Dampfers. Dall, dem die Interessen seiner geliebten Wissenschaft immer am meisten am Herzen lagen, schüttelte mir herzlich die Hand und sagte: „Lebe wohl, Georg! Gott sei mit Dir! Schaue fleißig nach Landschnecken und Schädeln von wilden Tieren aus!“

Fräulein B. bat: „Sorgen Sie für meinen geliebten Bruder“; und indem ich versprach, ebenso gut für ihn zu sorgen wie für mich selbst, gedachte ich einer fernen Schwester, die, wenn anwesend, gewiss dieselbe Bitte geäußert haben würde. Unter Taschentücher-schwenken und Abschiedsrufen setzte sich der Dampfer in Bewegung und fuhr in weitem Halbkreis auf die „OLGA“ zu. Wir bestiegen die kleine Brigg, die uns die nächsten zwei Monate als Heimat dienen sollte. Der Dampfer bugsierte uns zum goldenen Tor hinaus und band los. Als derselbe auf der Rückfahrt an uns vorüber fuhr, standen unsere Freunde mit dem Oberst auf dem Vorderdeck und brachten ein dreimaliges Hoch auf die „erste sibirische Erforschungsexpedition“ aus. Wir erwiderten dasselbe, es war unser letzter Abschied von der Zivilisation; schweigend beobachteten wir den immer kleiner werdenden Dampfer, bis das weiße Taschentuch, das Arnold an die Pardunen gebunden hatte, unseren Blicken entschwand; wir schaukelten allein auf den Wogen des stillen Ozeans.

* * *

2. Kapitel

    „Seine Seereise befriedigte und entzückte ihn über alle Maßen, wie dies bei jedem der Fall sein muss.“ Burton

* * *

Auf See 700 Meilen nordwestlich vom San Franzisco

Mittwoch, den 12. Juli 1865

Von frohen Hoffnungen und freudigen Erwartungen erfüllt schrieb ich vor zehn Tagen, am Vorabend unserer Abreise nach der Küste Asiens, obiges Motto auf die erste Seite meines Tagebuches. Kein Zweifel war noch in meinem Geist aufgetaucht, dass die kühnen Bilder meiner Phantasie sich nicht verwirklichen könnten, dass das Leben auf des Meeres Woge nicht der Gipfel des höchsten irdischen Glückes sei. Das Zitat von Burton schien mir außerordentlich gut gewählt, und ich segnete in Gedanken den sonderbaren alten Anatomen der Melancholie, der mich mit einem so einfachen und passenden Motto versorgt hatte. Ihn befriedigte und entzückte seine Seereise über alle Maßen, und die vollständig ungerechtfertigte Voraussetzung, dass dieselbe, weil sie ihn entzückt, auch notwendigerweise jeden anderen entzücken müsse, erschien mir nicht im geringsten unvernünftig.

Im Gegenteil, sie hatte für mich das Gewicht der strengsten logischen Folgerung, und ich hätte jeden mit Verachtung gestraft, der mir eine mögliche Enttäuschung in Aussicht gestellt. Meine Begriffe vom Leben auf dem Meer hatte ich den glühenden Schilderungen der Dichter entlehnt, mit denen diese seit Jahrtausenden die armen Menschenkinder auf das nasse, trügerische Element gelockt. Ich träumte von „paradiesischen Inseln, die purpurne Wogen umrauschten“, von der „glühend roten Sonne, die hinab ins weit aufschauernde silbergraue Weltenmeer steigt“, von mondbeglänzten Zaubernächten auf einsamem Wasserspiegel; Nebel, Stürme oder gar die Seekrankheit waren nicht ins Programm aufgenommen. Wenn ich die Möglichkeit eines Sturmes zuließ, so gestaltete er sich mir zum „Tanz der weißen Wasserberge, die das Schifflein erklimmt“; nie trug er die unangenehmen Züge, die dem nassen Element unter prosaischeren Umständen anhaften. Auf meiner Fahrt nach Kalifornien war zwar das Meer nicht ganz zahm gewesen, aber die Erinnerung warf ihren verklärenden Schein auf diese Erlebnisse, und ein Sturm auf dem Stillen Ozean schwebte mir als ein großartiges, wünschenswertes Ereignis vor. – Die Illusion war leider von kurzer Dauer. Eine zehntägige Meerfahrt hat meine frohen Hoffnungen und freudigen Erwartungen in die unangenehme Gewissheit wirklichen Elendes verwandelt, und mir erübrigt nur, über die Unvereinbarkeit von Dichtung und Wahrheit zu trauern. Nie mehr werde ich Dichtern blindes Vertrauen schenken; sie mögen ja der Wahrheit so nahe kommen, wie dies in der Poesie zulässig, aber zu einer lebenswahren, der Wirklichkeit entsprechenden Schilderung des Seelebens ist ihr Urteil nicht unbestechlich genug, ihre Phantasie zu überschwenglich. Unser Dasein war, seitdem wir den Hafen verlassen hatten, alles außer poetisch gewesen.

Fast eine Woche lang litten wir alle unter dem unbeschreiblichen Elend der Seekrankheit ohne mildernde Umstände. Tag für Tag lagen wir in unseren engen Betten, zu unwohl, um zu lesen, zu unglücklich, um zu sprechen; beobachteten das einförmige Hin- und Herschwingen der Kajüten-Lampe, und horchten, wie das Wasser gegen die Blenden der Kajüten-Fenster prallte, und auf das gleichmäßige Klirren der Blöcke der Schratsegelsschoot, wenn das rollende Schiff den schweren Baum hin und her schlagen machte.

„Lustig unter allen Umständen“, dieser Satz der Tapleyschen Philosophie zählte auch uns zu seinen begeisterten Anhängern, aber dieses Mal scheiterte jeder Versuch, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen. Vier regungslose, gegen die Wand ausgestreckte Gestalten! Wo blieb da die Lustigkeit? Die Seekrankheit hatte über alle Philosophie den Sieg davongetragen. In träumerisches Sinnen melancholischster Färbung versunken, stellte ich Betrachtungen darüber an, ob Noah auch seekrank gewesen, und in welchem Verhältnis die Seetauglichkeit der Arche zu der unserer Brigg gestanden, und ob dieselbe in ebenso unbehaglicher Weise auf hochgehender See herumgeschaukelt worden.

Und wenn – der Gedanke brachte beinah ein Lächeln auf meine Lippen – welch trauriges Experiment für die armen Tiere!

Ob Jason und Odysseus wohl mit „See-Füßen“ geboren worden, oder ob ihnen ihre erste Seefahrt auch so teuer zu stehen kam?

Ich entschied endlich, dass „See-Füße“, wie einige andere Krankheiten, eine diabolische Erfindung der Neuzeit sein müssten, und dass die Alten auch ohne dieselben fertig geworden.

Dann betrachtete ich aufmerksam die Mückenspuren auf den Brettern drei Zoll von meinen Augen, rief mir all die angenehmen Erwartungen ins Gedächtnis zurück, mit denen ich von San Franzisco abgesegelt war, und drehte mich, von Verzweiflung und Ekel erfüllt, mit einem tiefen Seufzer der Wand zu.

Ob irgendjemand seine Betrachtungen während der Seekrankheit zu Papier gebracht hat? Es gibt „Abendbetrachtungen“, „Betrachtungen eines Junggesellen“, „Betrachtungen am Meere“ in Überfluss; aber, soviel ich weiß, hat noch keiner versucht, seinen Empfindungen während der Seekrankheit literarische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist dies eine große Unterlassungssünde, und ich möchte einem strebsamen Schriftsteller mit sinnendem Gemüte dieses ergiebige Thema ganz untertänigst zur Beachtung empfehlen. Ein einziger Ausflug im nördlichen Teil des stillen Ozeans in einer kleinen Brigg würde ihm unerschöpfliches Material liefern. – Unser Leben ist bisher entsetzlich monoton, das Wetter kalt, feucht und nebelig, der Wind ungünstig und die See stürmisch gewesen. Wir waren auf unsere sieben Fuß breite und neun Fuß lange Kajüte beschränkt, und die eingeschlossene, nach Schlagwasser, Lampen-Öl und Tabaksdampf duftende Atmosphäre derselben hat höchst niederdrückend auf unsere Geister gewirkt. Mit Vergnügen konstatiere ich, dass heute alle auf den Beinen sind und dem Mittagessen mit einigem Interesse entgegensehen; aber selbst den begeisternden Klängen des Faustmarsches, welchen der Kapitän auf einer keuchenden, alten Harmonika spielt, gelingt es nicht, auch nur einen Schimmer von Heiterkeit auf den wehmütigen Gesichtern, die den Kajüten-Tisch umgeben, hervorzuzaubern; Mahood behauptet, ganz wohl zu sein und spielt mit einer an Heroismus grenzenden Selbstbeherrschung Dambrett, aber in unregelmäßigen Zwischenräumen begibt er sich plötzlich und unerwartet auf Deck und schaut jedes Mal, wenn er wiederkommt, noch geisterhafter und jämmerlicher drein. Nach der Ursache dieser periodischen Besuche des Hinterdecks befragt, erwidert er mit einer gesuchten Heiterkeit, die niemand täuscht, dass er hinaufgehe, um den Kompass zu beobachten. Es ist doch erstaunlich, dass die Beobachtung des Kompasses einen so schmerzlichen, melancholischen Ausdruck in Mahoods Zügen zurücklässt; aber er unterzieht sich der selbst auferlegten Pflicht mit unerschütterlicher Ausdauer, und wir sind nun über die Sicherheit des Schiffes vollständig beruhigt. Der Kapitän scheint ein wenig nachlässig zu sein; manchmal sieht er den ganzen Tag nicht nach dem Kompass, aber Mahood schenkt ihm die wachsamste, unermüdlichste Aufmerksamkeit.

* * *

Brigg OLGA, 800 Meilen nordwestlich von San Franzisco

Brigg OLGA, 800 Meilen nordwestlich von San Franzisco

Sonntag, 16. Juli 1865

Die Einförmigkeit unserer Existenz wurde vorgestern Nacht unterbrochen, und unsere Seekrankheit trat in ein erhöhtes Stadium durch einen heftigen Nordweststurm, welcher uns zwang, zwanzig Stunden lang mit einem festgerefften Schönfahrsegel vor Anker zu liegen. Der Sturm fing am Spätnachmittag an und erreichte gegen neun Uhr seinen Höhepunkt. Die Wellen schlugen wie titanische Schmiedehämmer gegen die dröhnenden Planken des Schiffes; der Orkan tobte durch das Takelwerk; der regelmäßig wiederkehrende Stoß der Pumpen, das klagende Pfeifen des Windes in den Blöcken erfüllten unseren Geist mit trüben Ahnungen, und verscheuchten alle Lust zum Schlafen.

Der Morgen dämmerte trübe und zögernd, und sein erstes graues Licht, das durch die mit Wasser bespritzten kleinen, rechtwinkeligen Verdeck-Luken fiel, beleuchtete eine Szene von Verwirrung und Unordnung. Das Schiff schlingerte heftig, und Mahoods Koffer, der sich irgendwo losgerissen hatte, glitt auf dem Boden der Kajüte hin und her. Bushs große Meerschaumpfeife hatte in Begleitung eines Schwammes ihren vorübergehenden Aufentalt in einem meiner besten Hüte aufgeschlagen, und des Majors Zigarrenkiste rollte aus einer Ecke in die andere. Bücher, Papiere, Zigarren, Bürsten, schmutzige Kragen, Strümpfe, leere Weinflaschen, Pantoffeln, Stöcke und alte Stiefel flogen in buntem Chaos auf dem Boden herum, und eine große, mit telegraphischem Material gefüllte Kiste drohte herabzufallen und alles zu zermalmen. Der Major, der zuerst ein Lebenszeichen von sich gab, stützte sich auf einen Ellenbogen, starrte das Durcheinander an, schüttelte nachdenklich sein Haupt und sagte: „W–u–n–der–bar! W–u–n–der–bar!“ als ob die herumgeschleuderten Stiefel und Zigarrenkisten ein neues und verblüffendes Phänomen seien, das sich durch kein bekanntes Gesetz der Naturwissenschaft erklären lasse. Ein plötzlicher Stoß des Schiffes in demselben Augenblick verlieh dem Monolog noch tiefere Empfindung, und zweifellos mit verstärkter Überzeugung von der ursprünglichen, angeborenen Verderbtheit der Materie im allgemeinen und des stillen Ozeans im Besonderen, legte er sein Haupt wieder auf das Kissen.

Es bedurfte unter so vielversprechenden Umständen keines geringen Grades von Energie, aufzustehen; aber Bush machte nach einigem Stöhnen und Gähnen doch den Versuch, sich zu erheben und anzukleiden. Als das Schiff gerade nach der Luvseite überholte, kletterte er schleunigst herab, erwischte seine Stiefel mit der einen, seine Beinkleider mit der anderen Hand und fing an, mit überraschender Behendigkeit in der Kajüte umher zu hüpfen, indem er den herumrollenden Flaschen und dem Koffer bald auswich, bald darüber wegsprang und zu gleicher Zeit krampfhafte Anstrengungen machte, mit beiden Beinen zugleich in einen Stiefel zu fahren. Von einem unerwarteten Schlingern des Schiffes in seiner schwierigen Aufgabe überrascht, machte er einen ungestümen Angriff auf einen unschuldigen Waschtisch, trat auf eine erratische (bedeutet „vereinzelt“ oder „verirrt“) Flasche, fiel auf den Kopf und lag schließlich in einer Ecke des Zimmers. Der Major schüttelte sich vor Lachen und konnte nur unzusammenhängend die Worte hervorstoßen: „Es – ist wirklich zu arg, wie es schlingert!“ „Ja, freilich“, erwiderte Bush aufgebracht. „Stehen Sie doch auf und versuchen Sie's selbst.“ Aber es genügte dem Major vollständig, Bush mit zuzusehen und ihn nach Herzenslust auszulachen. Dieser beendigte jedoch schließlich trotz aller Hindernisse seine Toilette, und ich beschloss nach einigem Zögern, seinem Beispiel zu folgen. Nachdem ich zweimal über den Koffer gefallen, mich einige Mal auf meine Fersen und Ellenbogen gesetzt und verschiedene andere, gleich schwierige Heldentaten vollbracht, gelang es mir endlich, meine Jacke umgewendet anzuziehen, mit jedem Fuß in den verkehrten Stiefel zu fahren und die Kajüten-Treppe hinaufzuklettern. Der Wind war noch immer heftig und das Schönfahrsegel gerefft. Von den niedrig hängenden Regenwolken verdeckt, türmten sich ungeheure Wasserberge auf, stürzten mit weißen Schaumkämmen auf uns zu, brachen mit wuchtiger Gewalt über die Back, stürmten über die Schiffsküche weg, warfen das Schiff auf die Seite, dass die Glocke von selbst anschlug und die klare See über die Lee-Reling auf das Deck stürzte.

Alles dies entsprach gerade nicht genau der Vorstellung, die ich mir von einem Sturm gemacht hatte, aber ich musste gestehen, dass die charakteristischen Züge des wirklichen Phänomens vorhanden waren. Der Wind heulte regelrecht durch das Takelwerk, das Meer übertraf alle Erwartungen, und das Schiff stampfte und rollte in einer Weise, die auch den kritischsten Geschmack befriedigen musste. Der Eindruck der Erhabenheit ging jedoch fast vollständig in dem Gefühl persönlichen Unbehagens unter. Ein Mann, der gerade durch eine der exzentrischen Bewegungen des Schiffes über ein Oberlicht geschleudert oder von einer Sturzwelle bis auf die Haut durchnässt worden ist, befindet sich nicht in der Verfassung, für Erhabenheit zu schwärmen; alle romantischen Begriffe, die er früher gehegt, werden aus ihm herausgerüttelt und -gewaschen. Stürmisches Wetter treibt jedem die Poesie und Überschwenglichkeit aus.

* * *

Brigg „OLGA“, Auf See, 27. Juli 1865

Während ich in San Franzisco lebte, legte ich mir öfters die Frage vor, woher wohl die kalten Nebel kämen, die bei Einbruch der Nacht über Lone Mountain und durch DAS GOLDENE TOR ihren Einzug hielten. Ich habe das Laboratorium entdeckt. Seit vierzehn Tagen segeln wir ohne Unterbrechung in einer dicken, nassen, grauen Nebelwolke, die manchmal so dicht ist, dass man die Bram-Rah nicht erblicken kann, und so durchdringend, dass sie sogar ihren Weg in unsere kleine Kajüte findet und sich in winzigen Tropfen auf unseren Kleidern kondensiert. Ich vermute, dass der Dunst aus dem warmen Wasser des großen pazifischen Golfstromes aufsteigt, den wir gerade passieren, und dass derselbe von den kalten Nordwestwinden Sibiriens in Nebel verwandelt wird. Er gehört zu den größten Unannehmlichkeiten unserer Reise.

Unser Leben lässt an Einförmigkeit nichts zu wünschen übrig; wir essen, rauchen, beobachten das Barometer und schlafen zwölf Stunden von vierundzwanzig. Der Sturm, mit dem wir vor vierzehn Tagen beglückt wurden, brachte uns wenigstens zeitweilige, angenehme Aufregung und lieferte Unterhaltungsstoff; wir haben uns alle zur Meinung des Majors bekehrt, dass es höchst „wunderbar“ war, und sehnen uns wahrhaft nach einem neuen Ereignis. Ein kalter, regnerischer, nebliger Tag folgt dem anderen, und die einzige Variation besteht darin, dass der widrige Wind mit Schneesturm abwechselt. Die Zeit wird uns natürlich unbeschreiblich lang. Um halb acht Uhr des Morgens weckt uns der zweite Steuermann, ein possierlicher, phlegmatischer Holländer, der uns zuruft, aufzustehen und einen Wal in Augenschein zu nehmen, den er regelmäßig vor dem Frühstück herbeizaubert und der ebenso regelmäßig auf geheimnisvolle Weise wieder verschwindet, ehe wir auf dem Verdeck erscheinen können. Wenn's mit dem Wal nicht mehr ziehen will, nimmt er Zuflucht zu einer ebenso mysteriösen, exzentrischen Seeschlange, deren wunderbares Aussehen er im komischsten gebrochenen Englisch beschreibt, in der vergeblichen Hoffnung, uns aus dem Bett in die kalte neblige Atmosphäre zu locken. Aber es gelingt ihm nicht. Bush öffnet die Augen, gähnt und blickt schläfrig nach dem Frühstückstisch in der Kajüte des Kapitäns. Da ich denselben von meinem Bett aus nicht sehen kann, beobachte ich Bush. Jetzt hören wir auf Deck über uns die Schritte des buckligen Proviantmeisters, und mit einer raschen Reihenfolge von kleinen Schlägen rollen ein halbes Dutzend gequellte Kartoffeln die Treppe herunter in die Kajüte. Sie sind die Vorläufer des Frühstücks. Bush fixiert den Frühstückstisch, und ich fixiere Bush, während der Proviantmeister das Essen aufträgt, und der Ausdruck von Bushs Zügen verrät mir, ob es der Mühe wert ist, aufzustehen oder nicht. Wenn er stöhnt und sein Antlitz der Wand zukehrt, bedeutet das, dass es nur gehacktes Fleisch gibt, und ich stöhne gleichfalls und folge seinem Beispiel; lächelt er aber und erhebt sich, so mache ich es ebenso, in der festen Überzeugung, dass wir frische Hammelkoteletten, Reisgemüse und Huhn zu erwarten haben. Nach dem Frühstück raucht der Major eine Zigarette und blickt sinnend auf das Barometer; der Kapitän spielt die russische Nationalhymne auf seiner Harmonika, während Bush und ich uns aufs Verdeck begeben, um den frischen, reinen Nebel in vollen Zügen einzuatmen und den zweiten Steuermann mit seiner Seeschlange aufzuziehen. Dann wird gelesen, Dambrett gespielt, gefochten, wenn es das Wetter erlaubt, im Takelwerk herumgeklettert, und so vergeht der Tag, wie schon zwanzig vergangen sind, und noch zwanzig vergehen müssen, ehe wir hoffen können, Land zu erblicken.

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Auf See, in der Nähe der Aleuten, 6. August 1865

Hunderte von Meilen See würde ich geben für einen einzigen Acker unfruchtbaren Landes, Heide, Steppe – alles, alles, nur nicht diese endlose Wasserwüste! Kamtschatka mag sein, was es will, wir werden es mit ebenso großer Freude begrüßen, wie Kolumbus die blühende Küste San Salvadors. Ich bin geneigt eine Sandbank und zwei Grashalme mit Wohlgefallen zu betrachten und würde selbst auf das Gras verzichten, wenn ich nur der Sandbank sicher wäre. Wir schwimmen nun seit vierunddreißig Tagen auf dem Meer, ohne ein einziges Segel oder ein Stückchen Land erblickt zu haben.

Seit einiger Zeit besteht unsere Hauptunterhaltung im Diskutieren bestrittener Punkte der Geschichte und Wissenschaft, und es ist ganz merkwürdig, was für juristische Befähigung diese Debatten zutage gefördert haben. Das einzig Unangenehme dabei ist, dass sie in Ermangelung einer entscheidenden Autorität nie zu befriedigendem Abschluss gelangen. In den letzten sechzehn Tagen ereiferten wir uns über die Spritzlöcher des Wales, und ich bin fest überzeugt, dass das Problem nie zur Zufriedenheit aller streitenden Parteien gelöst werden würde, selbst wenn sich unsere Reise wie die des „Fliegenden Holländers“ in alle Ewigkeit ausdehnte. Der Kapitän besitzt eine alte, sechsundzwanzig Foliobände umfassende Geschichte der Welt in holländischer Sprache, in der er sich, als endgültiger Autorität über alle Fragen in der Welt, Rat holt, mögen sie sich nun auf Liebe, Wissenschaft, Krieg, Kunst, Politik oder Religion beziehen. Sobald er bei einer Diskussion in die Enge getrieben wird, verschanzt er sich hinter diese gewichtigen Folianten und traktiert uns dergestalt mit holländischer Beredsamkeit, dass wir uns gern auf Gnade oder Ungnade ergeben. Wenn wir es wagen, den geringsten Zweifel über die Beziehung zwischen den Spritzlöchern eines Wales und der Weltgeschichte verlauten zu lassen, dann beschuldigt er uns, querköpfige Skeptiker zu sein, die nicht einmal glauben, was gedruckt ist, und obendrein noch in einer holländischen Geschichte! Da jedoch der Kapitän beim Mittagessen die Pastete austeilt, habe ich es für ratsam gehalten, meine Überzeugung in Bezug auf die Zuständigkeit seines teutonischen Geschichtsschreibers zu opfern und gegen den unverbesserlichen Ketzer Bush, der über alle Bücherweisheit erhaben ist, auf seine Seite zu treten. Und die Folge davon? Bush erhält nur ein ganz kleines Stück Pastete, und ich bekomme zwei, was für mich ebenso erfreulich, wie es für die Verbreitung gründlicher historischer Gelehrsamkeit vorteilhaft ist!

Bush fängt an, beim Mittagessen größere Ehrfurcht für holländische Geschichtsschreibung zu zeigen.

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3. Kapitel

Brigg „OLGA“, auf See 200 Meilen von Kamtschatka

17. August 1865

Unsere Reise naht ihrem Ende; nach sieben langen Wochen kalten, regnerischen und stürmischen Wetters sollen unsere Augen bald durch den Anblick von Land erquickt werden, nach dem sich der geplagteste Seemann nicht mehr sehnen kann als wir. Selbst das Geräusch von Fegen und Schrubben, das vom Verdeck an mein Ohr dringt, verkündet die Nähe des Landes. Das Schiff bekommt Toilette gemacht, damit es sich in Gesellschaft zeigen kann. Gestern Abend waren wir nur noch 255 Meilen von Petropawlowsk entfernt, und wenn der günstige Wind anhält, hoffen wir morgen Nachmittag daselbst zu landen. Seit heute Morgen herrscht übrigens vollkommene Windstille, so dass wir uns auf Samstag werden vertrösten müssen.

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Auf See auf der Höhe von Kamtschatka

Freitag, 18. August 1865

Heute Morgen weht eine frische Brise; die Brigg hat alle Segel entfaltet, die ihr zu Gebote stehen, und eilt in dichtem Nebel, der die Bramsegel unsichtbar macht, ihrem Ziel zu. Sollte der Wind anhalten und der Nebel sich zerstreuen, so können wir hoffen, heute Abend Land zu sehen.

 11 Uhr vormittags

Soeben komme ich von der Bram-Rah, wo ich drei Stunden lang mich in unbehaglichster Weise an die Pardunen angeklammert und nach Land ausgeschaut habe. Obgleich der Himmel wolkenlos ist, können wir auf drei Schiffslängen nichts erkennen. Möwen, Tölpel, Tauchenten, Fischreiher und Solandgänse umgeben das Schiff in großer Anzahl, und auf dem Wasser treibt Seenessel in Hülle und Fülle.

mittags

Vor einer halben Stunde ist der Nebel in die Höhe gegangen, und um 11 Uhr 40 Minuten rief der Kapitän, der den Horizont mit seinem Glas durchforscht hatte: „Land! Land! Hurra!“ und der Ruf wurde vom Vorsteven bis zum Hintersteven, von der Schiffsküche bis zur Bram-Rah jubelnd wiederholt. Bush, Mahood und der Major liefen zur Back; der kleine bucklige Proviantmeister stürzte, die Hände voll Teig, wie besessen aus der Küche und erkletterte die Schanzkleidung; die Matrosen erklommen das Takelwerk, und nur der Mann am Steuer behauptete seine Selbstbeherrschung. In weiter Ferne erschienen in schwach leuchtenden Umrissen über dem Horizont zwei kegelförmige Gipfel, die sich kaum vom Blau des Himmels abhoben; nur der weiße Schnee in ihren tiefen Schluchten war sichtbar. Es waren die Berge Witlutschinski und Awatscha an der noch hundert Meilen entfernten Küste von Kamtschatka.

Der Major betrachtete sie lange mit dem Fernrohr, wies stolz mit der Hand darauf hin und sagte mit einem Ausbruch nationaler Begeisterung: „Sie sehen hier mein Vaterland vor sich – das große russische Kaiserreich!“ Der plötzlich wieder niederfallende Nebel machte seiner Tirade ein Ende! Er rief mit einem unwilligen Blick: „Es ist wunderbar! Nebel, Nebel, nichts als Nebel!“

In Zeit von fünf Minuten war jegliche Spur „des großen russischen Reiches“ verschwunden, und wir begaben uns in freudigster Erregung zum Mittagessen. Nur der kann sich einen Begriff von unserer Stimmung machen, der 46 Tage im nördlichen Teil des Stillen Ozeans herumgeschwommen ist.

4 Uhr nachmittags

Soeben sind wir von neuem durch den Anblick des Landes erfreut worden. Vor einer halben Stunde konnte ich von der Bram-Rah aus, wo ich postiert war, sehen, dass der Nebel anfing zu weichen, und einen Augenblick später hob er sich langsam, wie ein riesiger, grauer Vorhang, enthüllte das Meer und den tiefblauen Himmel; eine Flut rosigen Lichtes ergoss sich von der untergehenden Sonne, und vor uns entrollte sich ein Bild von wunderbarer Schönheit. Hundert und fünfzig Meilen nach Norden und Süden dehnte sich die großartige Küstenlinie von Kamtschatka. In purpurnem Duft entstiegen die schroffen Vorgebirge dem blau schimmernden Meer; hier und da huschten weiße Wölkchen und flockige Nebelstreifen darüber hin und verschwanden in dem blendend weißen Schnee der höheren Spitzen.

Zwei tätige Vulkane, zehn- und sechzehntausend Fuß hoch, überragten das Gewirr der vielgezackten, niederen Bergreihen, und ihre mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel hoben sich scharf vom tiefen Azur des Himmels ab, während ihr Fuß sich bereits in dunkle Abendschatten hüllte. Einer Fata Morgana gleich war das Bild vor uns aufgetaucht und schien in der klaren Atmosphäre höchstens fünfzehn Meilen entfernt zu sein. Kaum fünf Minuten später hatte sich der graue Nebelvorhang wieder darauf herabgesenkt, und wir hätten uns für die Opfer einer täuschenden Vision halten können, so vollständig war die ganze Pracht unseren Blicken entrückt. Dichter, nasser Nebel umgab uns von allen Seiten.

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Petropawlowsk, Kamtschatka

Petropawlowsk, Kamtschatka

19. August 1865

Gestern bei einbrechender Nacht glaubten wir ungefähr fünfzehn Meilen vom Kap Pavorotni entfernt zu sein, aber da der Nebel dicker und undurchdringlicher war als je, wagte der Kapitän nicht weiter zu fahren.  Das Schiff wurde also gewendet, und wir kreuzten hin und her, lagen von dem Land ab und segelten wieder auf dasselbe zu und harrten des Sonnenaufganges und klarer Luft, um uns in Sicherheit der Küste nähern zu können. Gegen fünf Uhr fand ich mich auf Deck ein. Der Nebel war dick und kalt, und ein frischer Südostwind trieb uns weiß schäumenden Wellen entgegen. Kurz vor sechs Uhr wurde es hell; der Kurs der Brigg wurde landwärts gerichtet, und dieselbe gewann mit der Fock, dem Klüver und den Marssegeln gleichmäßige Fahrt durch das Wasser. Der Kapitän schritt, das Fernrohr in der Hand, unruhig auf dem Hinterdeck hin und her, spähte bald nach dem Horizont, bald luftwärts, um zu entdecken, ob noch keine Aussicht auf besseres Wetter sei. Einige Mal war er im Begriff, das Schiff wieder wenden zu lassen, da er fürchtete, in dem undurchdringlichen Nebel an die Lee-Küste zu laufen; schließlich jedoch klärte es sich auf, der Nebel verschwand, und die Horizontlinie erschien klar und bestimmt. Aber zu unserem größten Erstaunen zeigte sich auch nicht ein Fuß breit Land in irgendwelcher Richtung! Die lange Reihe blauer Berge, welche am gestrigen Abend in Zeit von einer Stunde erreichbar geschienen, die majestätischen Schneegipfel, die unergründlichen Schluchten, die schroffen Vorgebirge, alles war verschwunden!

Nichts verkündete das Vorhandensein von Land im Bereich von tausend Meilen, außer den zahlreichen Vögeln mannigfaltigster Art, welche in die Nähe der Brigg kamen und mit plätscherndem Geräusch unter dem Bug unseres Schiffes aufflogen. Über das plötzliche Verschwinden der Küste wurden alle möglichen Theorien aufgestellt. Der Kapitän meinte, eine starke Strömung habe uns während der Nacht in südöstlicher Richtung seewärts getragen. Bush behauptete, die Brigg sei über das Land weggefahren, während der Steuermann schlief, und dieser beteuerte in feierlichem Tone, das von uns geschaute Land wäre eine Luftspiegelung gewesen. Der Major fand es höchst w–u–n–der–bar, wagte sich aber nicht an die Lösung des Problems. –

Ein günstiger Wind blies aus Südost, und wir fuhren mit einer Geschwindigkeit von sieben Knoten. Acht Uhr – neun Uhr – zehn Uhr – noch immer kein Land, obgleich wir seit Tagesanbruch mehr als dreißig Meilen zurückgelegt hatten. Um elf Uhr jedoch verdunkelte sich der Horizont allmählich und in einer Entfernung von nur vier Meilen wurde plötzlich ein Vorgebirge sichtbar, das in einer schroffen Klippe endete. Eine große Aufregung bemächtigte sich aller. Die Bramsegel wurden sofort gerefft, um die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern, und der Kurs geändert, so dass wir auf drei Meilen Entfernung, die Seite der Brigg der Küste zugekehrt, eine große Kurve umschrieben. Die Berggipfel, die zu unserer Orientierung hätten beitragen können, waren in Wolken und Nebel gehüllt, und es war nicht leicht, herauszufinden, wo wir uns eigentlich befanden. In der Ferne zur Linken tauchten im Nebel die unklaren Umrisse von zwei oder drei weiteren Vorgebirgen auf, aber ihre Namen oder die Lage von Petropawlowsk waren niemand bekannt. Der Kapitän holte seine Seekarten, seinen Kompass und seine Zeicheninstrumente auf Deck, deponierte sie auf dem Oberlicht der Kajüte und fing an, die Lage der verschiedenen Vorgebirge zu bestimmen, während wir mit Ferngläsern das Ufer genau untersuchten und uns in Vermutungen ergingen. Die russische Karte, welche der Kapitän von der Küste besaß, war glücklicherweise eine gute, und er hatte bald festgestellt, dass wir uns nördlich vom Kap Pavorotni und ungefähr neun Meilen südlich vom Eingang der Awatscha-Bai befanden. Die Rahen wurden jetzt vierkant gebrasst, und wir verfolgten, von einem gleichmäßigen Südostwind begünstigt, den neuen Kurs.

In einer kurzen Stunde kamen wir in Sicht der hohen isolierten Felsen, die „drei Brüder“ genannt, fuhren an einer felsigen, steilen Insel vorüber, die von einer Unzahl schreiender Möwen und Enten mit Papageienschnäbeln umgeben war, und gegen zwei Uhr befanden wir uns auf der Höhe der Landzunge, welche die Awatscha-Bai bildet, und auf der das Dorf Petropawlowsk liegt. Die Szenerie übertraf unsere kühnsten Erwartungen. Grüne Täler zogen sich von den Einschnitten der felsigen Küste bis in die fernen Berge; Gruppen gelber Birken standen auf dem abgerundeten, steilen Ufer, und die warmen, geschützten Abhänge der Hügel hatten dichte Büsche des dunkelgrünen Chaparal und eine große Menge Blumen aufzuweisen, und als wir an dem Leuchtturme vorüberfuhren, rief Bush freudig aus: „Hurra! da wächst Klee!“ „Klee“, wiederholte verächtlich der Kapitän, „in der arktischen Region gibt es keinen Klee!“ „Wie können Sie das wissen“, versetzte Bush, „Sie sind nie dort gewesen. Es sieht wie Klee aus, und“ – indem er durch das Glas sah – „wahrhaftig, es ist Klee“, sagte er und war so vergnügt, als ob ihn diese Entdeckung in Bezug auf das Klima Kamtschatkas von jeder Sorge befreit hätte. Der Klee war für Bush eine Art vegetabilischer Exponent, aus dessen Anblick er in einer von Darwin nie geahnten Weise die ganze üppige Flora der gemäßigten Zone „entwickelte“.

Mit dem Namen Kamtschatka hatten wir in unserem Geist stets die Vorstellung von Unfruchtbarkeit und Unwirtlichkeit verbunden, und der Gedanke wäre uns gar nicht gekommen, dass dies Land schöne Szenerie oder üppige Vegetation bieten würde. Wir hielten es für eine ausgemachte Sache, dass in dem eisigen Klima höchstens Moose, Flechten und vielleicht noch ein wenig Gras den ungleichen Kampf ums Dasein führen könnten.

Carles Darwin

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Man kann sich vorstellen, mit welchem Entzücken und welcher Überraschung unser Auge auf den grünen Hügeln ruhte, die mit Bäumen und Gebüsch bedeckt waren, auf Tälern mit weiß blühendem Klee und Hainen von Silberbirken; selbst von den Felsen nickten uns wilde Rosen und Akelei zu, die in den Spalten derselben Wurzel gefasst, als ob die Natur die Beweise früherer Umwälzungen unter einer Blumenhülle verbergen wolle.

Kurz vor drei kamen wir in Sicht des Dorfes Petropawlowks – eine kleine Gruppe von Blockhäusern mit roten Dächern; eine griechische Kirche von eigentümlichem Stil mit grüner Kuppel, ein schmaler Strand, ein höchst vernachlässigter Landungsplatz, zwei Wal-Boote und das abgetakelte Wrack eines halbversunkenen Schiffes, das war es, was sich unseren Blicken darbot.

Hohe, mit Bäumen verdeckte Hügel umgaben das Dorf in einem Halbkreis und umschlossen fast den teichartigen, ruhigen Hafen, eine kleine Bucht der Awatscha-Bai. Unter Fock- und Groß-Marssegel glitten wir im Schatten der umgürtenden Hügel in diesen landumschlossenen Mühlteich, und keinen Steinwurf weit vom nächsten Haus wurden die Segel plötzlich gerefft, und mit einem Schwanken des Schiffes und dem Gerassel der Kette senkte sich unser Anker in den Boden Asiens. –

* * *

4. Kapitel

Irving hat ganz richtig bemerkt, dass eine lange Seereise für jeden, der fremde Länder besuchen will, eine vortreffliche Vorbereitungszeit ist. Um uns seiner eigenen Worte zu bedienen: „Der zeitweise Verzicht auf die gewohnten Beschäftigungen, der Mangel an alltäglichen Ereignissen machen den Geist für neue und lebhafte Eindrücke besonders empfänglich.“ Er hätte noch hinzufügen können, für günstige Eindrücke. „Das ermüdende Gleichmaß der Tage“ macht den Seereisenden geneigt, alles, was seine erlahmten Geisteskräfte anregt oder ihm neuen Stoff zum Nachdenken liefert, im günstigsten Licht zu betrachten; die uninteressanteste Gegend, die gewöhnlichsten Umstände gewähren ihm Freude und Befriedigung. Aus diesem Grund bildet er sich auch häufig über Land und Leute ein günstigeres Urteil, als es die spätere Erfahrung rechtfertigt. Mir erscheint es als ein besonderes Glück, dass unsere ersten Eindrücke von dem neuen Land, welche die klarsten und lebendigsten und deshalb auch die bleibendsten sind, auch zu gleicher Zeit so angenehmer Art waren; so dass, wenn wir in späteren Jahren einen Rückblick auf unsere Wanderungen werfen, das freundliche Bild mit seinen leuchtenden Farben vor unserem Auge auftauchen wird. Ich bin fest überzeugt, dass das Entzücken, mit welchem mein Auge die herrlichen Tinten der Berge Kamtschatkas bei ihrem ersten Anblick einsog, die Romantik, mit der meine Phantasie sie umkleidete, die Erinnerung an alle Beschwerden überdauern wird, die ich in ihrem Bannkreis erduldet, an die Schneestürme, die mich auf ihren Gipfeln umtobt, die Regengüsse, die mich in ihren Tälern durchnässt haben.

Die Sehnsucht nach Land, die man empfindet, wenn man fünf bis sechs Wochen auf See war, wird manchmal geradezu zur Leidenschaft. Ich glaube wahrhaftig, wenn das erste Stück Land, das wir erblickten, eine jener entsetzlichen, endlosen Moossteppen gewesen, die ich nachher so gründlich verabscheuen lernte, ich sie für den Garten Eden selber gehalten hätte. Alle Reize, welche die Natur über das Tal Tempe ausgeschüttet, hätten mir keine größere Freude machen können, als die grüne Schlucht, in welche sich die rotbedachten Blockhäuser von Petropawlowsk (Петропавловск-Камчатский) schmiegen.

Die Ankunft eines Schiffes an jenem entfernten und wenig besuchten Punkt der Erde ist ein Ereignis von nicht geringer Bedeutung; das Rasseln unserer Ankerkette durch die Klüse brachte das stille Dorf in sichtbare Aufregung. Kleine Kinder kamen aus den Häusern gelaufen, starrten uns einen Augenblick an und eilten zurück, um die übrige Familie herbeizurufen; dunkelhaarige Eingeborene und russische Bauern in blauen Hemden und ledernen Hosen versammelten sich in Gruppen auf dem Landungsplatze, und wenigstens hundert halbwilde Hunde stimmten unserer Ankunft zu Ehren ein fürchterliches Geheul an.

Es war schon spät am Nachmittag, aber unsere Ungeduld, den Fuß endlich wieder einmal auf festen Boden zu setzen, war so groß, dass Bush, Mahood und ich, sobald das Boot des Kapitäns ins Wasser gelassen worden, uns ans Ufer begaben, um die Stadt in Augenschein zu nehmen.

Petropawlowsk ist sehr unregelmäßig gebaut, ohne deshalb auch nur im Geringsten malerisch zu sein. Weder die ursprünglichen Ansiedler noch deren Nachkommen scheinen den geringsten Begriff von einer Straße gehabt zu haben, und die schmalen Wege laufen ganz ziellos um die zerstreut liegenden Häuser. Es ist vollständig unmöglich, in irgendwelcher Richtung auch nur hundert Meter zu gehen, ohne gegen die Seite eines Hauses anzurennen, oder in jemandes Hof zu geraten; des Nachts fällt man durchschnittlich alle fünfzig Schritte über eine schlafende Kuh. In anderer Hinsicht ist es ein ganz hübsches, von hohen, grünen Hügeln umgebenes Dorf mit dem Ausblick auf den mit ewigem Schnee bedeckten Awatscha, der sich hinter dem Ort zu einer Höhe von 11.000 Fuß erhebt.

Herr Flüger, ein deutscher Kaufmann zu Petropawlowsk, der uns in einem kleinen Boot im Hafen begrüßt hatte, bot sich zu unserem Führer an und lud uns nach einer kurzen Wanderung durch das Dorf in sein Haus ein, wo wir uns in einer Wolke von Zigarrendampf bis zu hereinbrechender Dunkelheit über die Kriegsnachrichten aus Amerika und die neuesten Vorgänge in der Gesellschaft Kamtschatkas unterhielten. Unter anderen Büchern, die auf Herrn Flügers Tisch lagen, fielen mir Beechers „Lebensgedanken“ und „die Familie Schönberg-Cotta“ auf; ich wunderte mich namentlich, dass letzteres schon seinen Weg nach dem fernen Kamtschatka gefunden.

Als neue Ankömmlinge war es unsere erste Pflicht, den russischen Behörden unsere Aufwartung zu machen, und so begaben wir uns in Begleitung der Herren Flüger und Bollmann zu Kapitän Sutkowoi, dem „Hafenkommandanten“. Sein Haus, mit glänzend rotem Zinndach, lag in einem Eichenhain, durch den ein klares reißendes Bergwasser dahineilte. Wir gelangten durch ein Tor auf breitem, schattigem Kiesweg in das offenstehende Haus. Kapitän S. bewillkommte uns herzlich, und obgleich wir nur unsere Muttersprache verstanden, fühlten wir uns bald ganz heimisch. Die Unterhaltung litt natürlich darunter, dass jedes Wort in zwei Sprachen übersetzt werden musste, ehe die Person, an die es gerichtet war, es verstehen konnte; und wie geistvoll dieselbe auch hätte sein können, so büßte sie doch durch die Übertragung aus dem Russischen ins Deutsche und dem Deutschen wiederum ins Englische viel von ihrer ursprünglichen Frische ein.

Ich war überrascht, so viele Beweise eines gebildeten Geschmackes in diesem entfernten Erdenwinkel zu sehen, wo ich nur das fürs Leben absolut Notwendige zu finden erwartete. Ein Flügel russischen Fabrikates nahm die eine Ecke des Zimmers ein, und eine vorzügliche Auswahl russischer, deutscher und amerikanischer Musik legte Zeugnis für die musikalische Begabung des Besitzers ab. Einige schöne Gemälde und Stiche zierten die Wände, ein sehr schönes Stereoskop und eine große Sammlung photographischer Ansichten lagen auf dem Tisch, auf dem auch das Schachspiel stand, in das Herr und Frau Sutkowoi bei unserem Eintritt vertieft gewesen. – Nachdem wir ungefähr eine Stunde verweilt, verabschiedeten wir uns und erhielten eine Einladung zum Mittagessen auf den folgenden Tag.

@ Kmusser

Da es noch nicht entschieden war, ob wir bis an den Amur segeln oder in Petropawlowsk bleiben, und unsere Reise nordwärts von hier aus antreten würden, betrachteten wir die Brigg als unser Heim und kehrten jeden Abend auf dieselbe zurück. Nachdem wir wochenlang an das Schaukeln, Stoßen und Krachen des Schiffes, das Rauschen des Wassers und das Heulen des Windes gewöhnt gewesen, erschien uns die erste Nacht im Hafen eigentümlich still und friedlich. Es wehte kein Lüftchen, und in dem Wasser der kleinen Bucht spiegelten sich die hohen Hügel, welche dieselbe umgaben, wieder. Einige Lichter im Dorf warfen lange Strahlenstreifen auf die düstere, fast regungslose Fläche, und von den Anhöhen zu unserer Rechten ertönte in Zwischenräumen aus der Ferne das Geläute einer Kuhglocke und das langgezogene, melancholische Geheul eines Wolfshundes. Ich bemühte mich zu schlafen; aber die Neuheit der Umgebung, die Gewissheit, dass wir endlich in Asien waren, und tausenderlei Gedanken über das, was die nächste Zukunft uns bringen würde, verscheuchten lange Zeit den Schlummer von meinem Lager.

Petropawlowsk, zwar nicht die größte, aber eine der wichtigsten Niederlassungen auf der Halbinsel Kamtschatka, hat eine Bevölkerung von ungefähr dreihundert Seelen, die teils aus Eingeborenen, teils aus russischen Bauern und einigen deutschen und amerikanischen Kaufleuten besteht, welche der Pelzhandel hierher geführt hat. Die Stadt ist übrigens nicht charakteristisch kamtschadalisch, denn die zivilisierenden Einflüsse fremden Verkehrs haben sich hier geltend gemacht; in Sitten, Lebens- und Denkweise findet man einige Spuren von Aufklärung und modernem Unternehmungsgeist. Schon seit Beginn des achtzehnten Jahrhunderts hat es als Niederlassung existiert und wäre wahrlich alt genug, um eine eigene Kultur zu besitzen; aber hohes Alter ist für eine sibirische Stadt kein Kriterium für Entwickelung, und Petropawlowsk ist entweder noch nicht zum Stadium der Reife gelangt oder in seine zweite Kindheit eingetreten, denn es befindet sich noch in sehr entwickelungsbedürftigem Zustand. Warum es Petropawlowsk benannt worden, ist mir trotz eifriger Nachforschung nicht gelungen, herauszufinden. Der Kanon des neuen Testamentes enthält keine Epistel an die Kamtschadalen, so sehr sie derselben auch bedürften, und es liegt kein Zeugnis dafür vor, dass je einer der beiden hervorragenden Heiligen den Grund und Boden betreten, auf dem sich das Dorf erhebt. So sehen wir uns denn zur Folgerung gedrängt, dass die, an apostolischen Tugenden nicht gerade reichen Bewohner im Bedürfnis heiliger Fürsprache ihre Niederlassung nach dem heiligen Petrus und Paulus benannt, in der Hoffnung, diese Apostel würden, als Besitzer des Dorfes, ohne Rücksicht auf Verdienst für sein ewiges Heil Sorge tragen. Ich kann natürlich nicht behaupten, dass dies die Berechnung der ursprünglichen Gründer war, aber sie entspricht ganz und gar dem gesellschaftlichen Zustand der meisten sibirischen Niederlassungen, in denen der Glaube groß, der Werke aber wenige, und diese oft fragwürdigster Tendenz sind.

Sehenswürdigkeiten, wie sich ein Tourist ausdrücken würde, gibt es in Petropawlowsk nur einige uninteressante.

Vitus Jonassen Bering – Иван Иванович Беринг – * 1681 – 1741

Jean-François de Galaup de La Pérouse, * 1741 – † 1788

Es besitzt zwei Denkmäler zur Erinnerung an die berühmten Seefahrer Behrings und La Pérouse, und auf den Hügeln sind Spuren der zurzeit des Krimkrieges errichteten Befestigungen, um den Angriff der verbündeten französischen und englischen Geschwader zurückzustoßen; anderer Gegenstände oder Punkte von historischem Interesse kann sich die Stadt nicht rühmen. Für uns jedoch, die wir beinahe zwei Monate in eine enge, dunkle Kajüte eingeschlossen gewesen, hatte sie an und für sich genügende Anziehungskraft, und wir begaben uns früh am anderen Morgen ans Ufer, um auf der waldigen Halbinsel, welche den Hafen von der Awatschabai trennt, herumzuschweifen. Der Himmel war wolkenlos, aber ein dichter Nebel lagerte auf den Hügelspitzen und verbarg die umgebenden Berge unserem Blick. Die ganze Landschaft war smaragdgrün und triefte von Feuchtigkeit; dann und wann durchdrangen die Sonnenstrahlen siegreich den Nebelschleier, und Lichtfleckchen huschten über den glitzernden Hügelabhang dahin, wie ein freundliches Lächeln über ein tränenbenetztes Antlitz gleitet. Überall war der Boden mit Blumen bedeckt. Blaue Veilchen lugten aus dem Gras, auf moosigem Fels thronten die purpurnen Glöckchen der Akelei, und überall gab es Büsche wilder Rosen in Hülle und Fülle; der Boden war manchmal förmlich mit ihren zarten rosigen Blumenblättern bestreut.

Indem wir den Abhang des steilen Hügels zwischen dem Hafen und der Bucht hinan kletterten, durch die Berührung jedes Busches einen förmlichen Sprühregen über uns entluden und Hunderte taubenetzter Blumen mit unseren Schritten vernichteten, befanden wir uns plötzlich vor dem Denkmal von La Pérouse. Ich hoffe, seine Landsleute, die Franzosen, haben das Andenken des großen Seefahrers in geschmackvollerer und bleibenderer Weise verewigt. Dieser mit Eisenblech bezogene, schwarz angestrichene Holzrahmen, der weder Datum noch Inschrift trägt, sieht eher wie der Grabstein eines Verbrechers als wie ein Monument zu Ehren eines großen Mannes aus.

Während Bush eine Skizze davon machte, wanderten Mahood und ich den Hügel aufwärts nach den alten russischen Batterien. Sie ziehen sich auf dem Kamm des Bergrückens hin, welcher die innere Bucht von der äußeren trennt, und beherrschen den Zugang zur Stadt von Westen her. Jetzt sind sie fast ganz mit Gras und Blumen überwuchert, und nur die Schießscharten unterscheiden sie von anderen Erdhügeln. Man hätte denken sollen, die weite Entfernung und das unwirtliche Klima Kamtschatkas würde seine Bewohner vor den Verheerungen des Krieges bewahrt haben. Aber selbst dieses Land hat zerstörte Forts und grasbewachsene Schlachtfelder aufzuweisen, und vor nicht gar langer Zeit hallten diese friedlichen Hügel vom Echo feindlicher Kanonen wieder. Ich überließ es Mahood, die Verschanzungen einer kritischen Besichtigung zu unterziehen – eine Beschäftigung, die seinem Geschmack mehr zusagte als meinem – und wanderte bis an den Rand der Klippe, von wo aus die russischen Artilleristen die heranstürmenden Verbündeten zurückgewiesen hatten. Der blutige Kampf, der am Rande dieses Abgrundes stattfand, hat keine Spur zurückgelassen; der Boden, der im tödlichen Ringen aufgerissen worden, ist mit einem grünen Moosteppich überzogen, und die im frischen Seewind sich neigende Glockenblume erzählt nichts von dem letzten verzweifelten Angriff, von dem Handgemenge und dem Todesschrei der Überwältigten, die von den russischen Bajonetten hundert Fuß tief auf die felsige Küste geschleudert wurden.

Mich dünkt es leichtfertige Grausamkeit von Seiten der Verbündeten, dass sie einen so unwichtigen, isolierten und dem eigentlichen Kriegsschauplatz so fern liegenden Posten angriffen. Hätte seine Einnahme in irgendeiner Weise die Macht oder die Hilfsquellen der russischen Regierung verringern, oder ihre Aufmerksamkeit vom Entscheidungskampf auf der Halbinsel Krim abziehen können, so wäre dieser Angriff vielleicht zu rechtfertigen, aber auf das Endresultat konnte er weder direkt noch indirekt Einfluss haben und brachte nur Elend über einige harmlose Kamtschadalen, die weder von der Türkei noch von der orientalischen Frage je etwas gehört, und denen der Donner der feindlichen Kanonen und das Bersten der Bomben an ihrer Hausschwelle die erste Kunde vom Krieg brachten. Der Angriff der verbündeten Flotte wurde jedoch siegreich zurückgewiesen, und ihr Admiral, von der Demütigung, von einer Handvoll Kosaken und Bauern überwunden worden zu sein, tief gekränkt, beging Selbstmord. Am Jahrestag der Schlacht ziehen noch heute alle Bewohner mit der Priesterschaft an der Spitze in feierlicher Prozession um die Stadt und über den Hügel, von dem aus die Stürmenden zurückgeschlagen wurden, und singen Freude- und Dankeshymnen für den Sieg.

Nachdem ich noch eine Weile auf dem Schlachtfeld botanisiert hatte, kam Bush zu mir, der seine Skizze vollendet, und wir kehrten müde und durchnässt ins Dorf zurück. Unser Erscheinen am Ufer machte unter den Bewohnern das größte Aufsehen. Die russischen Bauern und Eingeborenen zogen ihre Mützen und hielten sie in den Händen, bis wir vorüber waren; an allen Fenstern drängten sich die Köpfe, um einen Blick der amerikanischen Reisenden zu erhaschen, und selbst die Hunde erhoben bei unserem Nahen ein wütendes Gebell und Geheul. Bush erklärte, er entsinne sich keines Zeitpunktes in seiner Geschichte, da er von so großer Bedeutung gewesen und sich so allgemeiner Aufmerksamkeit zu erfreuen gehabt; er schrieb es alles dem Scharfsinn und der hohen Intelligenz der kamtschadalischen Gesellschaft zu, deren charakteristisches Merkmal sei, rasch und instinktiv hervorragenden Genius zu erkennen, und bedauerte, dass dies nicht auch bei anderen Völkern seiner Bekanntschaft der Fall sei. „Anspielung ist nicht beabsichtigt.“

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Kamtschatka

Kamtschatka

4. Kapitel

Eins der ersten Dinge, die dem Reisenden in einem fremden Land auffallen, ist die Sprache, und in Kamtschatka, Sibirien oder irgendeinem anderen Teil des Zarenreiches ist dieselbe ganz besonders bemerkenswert. Wessen sich nur die Russen beim Turmbau von Babel schuldig gemacht haben, dass sie mit einem so komplizierten, verdrehten, ganz und gar unbegreiflichen Mischmasch von Sprache bedacht worden sind? Vielleicht haben sie ihre Seite des Turmes höher gebaut, als die anderen Stämme, und die Strafe für diesen sündigen Fleiß ist das Kauderwelsch unverständlicher Laute, das kein Mensch zu bemeistern hoffen kann, ehe er zu alt und schwach ist, als dass er sich an einem anderen Turmbau beteiligen könnte. Auf welche Weise sie auch dazu gekommen sein mögen, die Sprache ist ein Pfahl im Fleisch für alle Reisenden im russischen Reich. Einige Wochen, ehe wir Kamtschatka erreichten, beschloss ich, wenn möglich, mir einige notwendige Redewendungen anzueignen, die mir im Verkehr mit den Eingeborenen von Nutzen sein mussten, unter anderem die einfache Bitte: „Geben Sie mir etwas zu essen.“ (Дай мне что-нибудь поесть) Ich vermutete, dass dies dem dringendsten Bedürfnis genügen würde und wollte den Satz so gut lernen, dass ich wenigstens nie durch meine Unwissenheit in Gefahr käme, Hungers zu sterben. Ich bat also eines Tages den Major, mich den entsprechenden russischen Ausdruck zu lehren. Er erwiderte, wenn ich etwas zu essen wünsche, sollte ich sagen: „Waschhavwe sokiblagarodiace wilikitp rewoskhoditelsvoi takdalschai“. Ich glaube, nie im Leben habe ich vor den Kenntnissen eines Mannes ein Gefühl solch ehrfuchtsvoller Bewunderung empfunden, wie vor denen des Majors, als er diesen halsbrechenden Satz ganz fließend und mit Grazie aussprach. Wie viele Jahre geduldiger Arbeit mussten seiner ersten Bitte um Nahrung vorausgegangen sein! Die unermüdliche Ausdauer, die zur Bewältigung der Schwierigkeiten einer solchen Sprache gehörte, versetzte mich in bewunderndes Erstaunen. Wenn der einfache Satz: „Geben Sie mir etwas zu essen“ scheinbar so unüberwindliche Schwierigkeiten der Aussprache bot, wie groß mussten erst dieselben sein, wenn es sich um die schwerer verständlichen Fragen theologischer oder metaphysischer Wissenschaft handelte? – Meine Einbildungskraft war entsetzt bei dem Gedanken.

Ich sagte dem Major, er möge den schrecklichen Satz auf ein großes Plakat drucken lassen und mir dies um den Hals hängen, denn das Erlernen desselben sei ein Ding der Unmöglichkeit, ich habe auch gar nicht die Absicht, es zu versuchen. Später entdeckte ich, dass er meine Unerfahrenheit und mein Vertrauen benutzt, und mir einige der schlimmsten und längsten Wörter seiner barbarischen Sprache vorgesagt hatte, um sich über mich lustig zu machen; die wirkliche Übersetzung meines Satzes ins Russische wäre wahrhaftig schon schlimm genug gewesen.

Das Russische ist meiner Ansicht nach die schwierigste aller modernen Sprachen ohne Ausnahme. Die Hauptschwierigkeit liegt nicht, wie man vermuten könnte, in der Aussprache. Die Wörter werden alle phonetisch buchstabiert und besitzen nur einige dem Englischen fremde Laute; aber die Grammatik ist außerordentlich verwickelt und kompliziert. Sie hat sieben Fälle und drei Geschlechter, und da die letzteren von keiner Regel abhängen, sondern ganz willkürlich gebraucht werden, ist es für einen Ausländer fast unmöglich, sie so zu erlernen, dass er den Dingwörtern und Eigenschaftswörtern die erforderliche Endung geben kann. Der Wortreichtum der Sprache ist sehr groß. Das eigentümlich Charakteristische des Idioms kann nur der schätzen, der mit der volkstümlichen Ausdrucksweise der russischen Bauern gründlich vertraut ist.

Das Russische steht wie alle indo-europäischen Sprachen in enger Beziehung zum alten Sanskrit und scheint in höherem Grad als alle anderen die alten Wörter der Vedas unverändert beibehalten zu haben. Die ersten zehn Zahlwörter, wie sie die Hindus tausend Jahre vor der christlichen Zeitrechnung gebrauchten, würden mit ein oder zwei Ausnahmen noch heutzutage von einem russischen Bauern verstanden werden.

Während unseres Aufenthalts in Petropawlowsk lernten wir das Russische für „Ja“ (да), „Nein“ (нет) und „Wie geht es Ihnen?“ (Как у Вас дела?) und waren nicht wenig stolz auf unsere Fortschritte.