Germany's next Singer Star - Waltraud Danner - E-Book

Germany's next Singer Star E-Book

Waltraud Danner

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  • Herausgeber: XOXO-Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Die Hamburger Klatschkolumnistin Romy Modersohn findet am ­ frühen Morgen die Leiche des bekannten Moderators Victor Gorsky vor ihrem Kamin. In ihrer Villa gab sie am Vorabend eine Party, als Auftakt zur fünften Staffel: GERMANY‘S NEXT SINGER STAR. Kriminalhauptkommissar Fred Hansen ermittelt in der ­Promi-­Szene. Plaschko, der populäre Rapper und Bruder des ­Ermordeten, soll gegen einen ­Syndikats-Boss aus dem Hamburger Kiez ­aussagen. Hat dieser einen Killer als Warnung geschickt? Es kommen auch andere Verdächtige in Betracht. Die Autorin verarbeitet in diesem Krimi ihre eigenen Erfahrungen im Casting-Milieu, der in Hamburg beginnt und auf Mallorca endet. Erst dort findet der Mord seine ­­­­überraschende Aufklärung.

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Seitenzahl: 285

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Germany’s Next Singer Star
Impressum
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WALTRAUD DANNER

Germany’s Next Singer Star

Kriminalroman

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar

Print-ISBN: 978-3-96752-207-5

E-Book-ISBN: 978-3-96752-705-6

© 2022 XOXO Verlag

Umschlagsgestaltung: Franziska Herrmann

Unter Verwendung der Bilder:

Stockfotonummer: 155153157, 869342896, 1354159104

von www.istockphoto.com

Buchsatz: Franziska Herrmann

Lektorat: Marie-Claude Buch-Challayer, Giulia del Re

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

1

»War das ein Schuss?«

Wie ein Springteufel tauchte Romys Kopf unter der Bettdecke hervor. Kerzengerade, mit weit aufgerissenen Augen, saß sie nun da und blickte in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers.

Gerade noch wurde sie von einer Meute hungriger Wölfe verfolgt. Als das größte Tier zähnefletschend zum Sprung ansetzte, rettete der Knall sie aus dem Albtraum.

Romy musste sich erst orientieren. Okay, sie befand sich in ihrem Bett. Wie sie dahin gekommen war, konnte sie sich nur marginal erinnern. Woran sie sich erinnern konnte, war das wüste Gelage im Wohnzimmer, zu dem sich ihre Party entwickelt hatte. So viel wusste sie noch: Sie hatte eindeutig zu viel getrunken und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Außerdem war ihr schlecht. Sich auf Französisch verabschiedend, hatte sie sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen.

Mit zitternden Fingern tastete sie nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe und lauschte mit angehaltenem Atem in die Stille.

Da! Ein Schrei! Der kam von unten. »Was ist da los?« Panik machte sich in ihr breit.

Romy rieb sich die Augen und verschmierte die Wimperntusche vollends, die davor schon Auflösungserscheinungen zeigte. Als sie an sich hinunterschaute, stellte sie fest, dass sie vollkommen bekleidet war. Das enge Stretch Kleid, in das sie sich am vergangenen Abend gezwängt hatte, war hochgerutscht und entblößte ihr Spitzenhöschen. Instinktiv zog sie das Kleid runter. Dann fasste sie sich an die Stirn, hinter der es schmerzhaft hämmerte. Ihr Bauch krampfte sich zusammen, und in ihrem Mund sammelte sich Flüssigkeit. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie sich gleich übergeben musste.

So schnell es ging, wickelte sie sich aus der Decke und streckte ihre Zehen nach dem haltgebenden Boden aus. Doch der schwankte. Hin und her taumelnd griff sie nach der Klinke der Badezimmertür und hechtete zum Waschbecken. Sie erbrach einen braunen Schwall übelriechender Flüssigkeit, bis nichts mehr kam. Nachdem sie die Brühe mit viel fließendem Wasser entfernt hatte, steckte sie ihren Mund unter den Wasserhahn und trank das erfrischende Nass in kleinen Schlucken.

»Das tut gut.« Als sie den Kopf hob, erschrak sie beim Anblick ihres Spiegelbildes. Nicht nur, dass ihr Make-Up im ganzen Gesicht verteilt war. Ihre, im Normalfall, strahlend blauen Augen glotzten sie an wie ein Kaninchen, nämlich rot. Schnell holte sie ihre Reinigungsmilch aus dem Schränkchen und entfernte das abstrakte Gemälde in ihrem Gesicht.

»Irgendwo habe ich noch Augentropfen, aber wo?« Sie durchwühlte die Fächer hinter der Spiegeltür, wo sich ihre Notfall-Apotheke befand. Zum Glück entdeckte sie da noch ein paar Ampullen Einmaltropfen. Sie drehte dem Plastikbehältnis den Hals ab und träufelte die Flüssigkeit in jedes Auge. Nun sah sie gar nichts mehr. Ein zäher Film lag über den Pupillen, den sie durch mehrmaliges Blinzeln zu beseitigen versuchte, bis sie sich wieder erkennen konnte.

Sie sah immer noch erbärmlich aus. Ihre blonden Haare, die sie gestern zu einer schicken Frisur zusammengesteckt hatte, ließen kaum erahnen, wie diese ausgesehen haben musste. Einige Nadeln waren im Nirgendwo verschwunden und hinterließen widerspenstige Strähnen. Romy zog den tapferen Rest der Haarklammern heraus und bürstete den wilden Schopf, bis sich die Haare der Bändigung ergaben und auf ihren Schultern zu Liegen kamen.

Mit einem tiefen Seufzer legte Romy die Bürste weg, als die Tür ihres Schlafzimmers aufsprang und ein kreidebleiches Wesen in Gestalt ihrer Freundin Britta den Raum betrat.

»Er ist tot! Romy, hörst du? Er ist tot!«

»Um Gottes Willen, Britta! Wer ist tot?«

»Na, Victor. Er liegt in der Bibliothek und hat ein Loch im Kopf. Ich habe ihn gerade entdeckt. Peter und Susanne sind noch ausgeknockt. Sie liegen im Wohnzimmer. Den Knall haben sie nicht mitgekriegt. Ich weiß nicht, was jetzt zu tun ist. Das musst du entscheiden.«

»Die Polizei anrufen natürlich. 110 musst du wählen. Sag ihnen gleich, wer der Tote ist. Dann werden sie sofort kommen. Ach nein, lass das mit dem Telefonat. Ich rufe selbst an. Doch erst muss ich nachschauen, was passiert ist.«

Der Restalkohol in ihrem Körper zwang sie, sich an Britta festzuhalten. Gemeinsam tappten sie die Stufen hinunter und betraten das Wohnzimmer. Totales Chaos präsentierte sich vor Romys Augen und sie musste den erneuten Brechreiz unterdrücken.

Ihre Stehlampe hatte sich in die Horizontale begeben, ebenso einige leere Flaschen. Auf dem Couchtisch standen volle Aschenbecher und die Reste einer Koks-Line verband sich mit der Pfütze diverser Getränke.

Susanne lag rücklings ausgestreckt auf einem der Sofapolster, welches seinen angestammten Platz verlassen hatte und der Schwerkraft des Bodens erlegen war. Sie schnarchte erbarmungswürdig. Peter kauerte zusammengekrümmt im Sessel und bewegte sich nicht.

»Ich habe auf dem anderen Sofa geschlafen als ein Knall mich aus dem Schlaf riss. Ich hatte keine Ahnung, woher das durchdringende Geräusch kam. Ich schaute mich überall um und entdeckte Victor in der Bibliothek. Komm mit, ich zeige es dir.«

Die Terrassentür der Bibliothek stand offen. Ein kühler Morgenwind fegte vertrocknetes Laub ins Zimmer, welches auf dem Marmorboden herumtänzelte. Romy schlang fröstelnd die Arme um sich und erblickte den Toten vor dem Kamin liegend. Völlig gerade lag er da. Man hätte meinen können, er schlafe, wenn nicht das runde Loch auf seiner Stirn, einem indischen Schönheitsmal gleich, diese nicht verunstaltet hätte. Seine rechte Hand krampfte sich um einen Schürhaken, der zum Besteck des Kamins gehörte. »Wollte er sich damit gegen seinen Mörder verteidigen?« schoss es durch Romys Gedanken.

Sie hielt es für überflüssig, Victors Puls zu fühlen. Dieser Mann war eindeutig tot. Was für ein Schlamassel! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie konnte sich schon die Schlagzeilen vorstellen, wenn bekannt wurde, dass Victor Gorsky einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen war. Schließlich war er nicht irgendwer. In Deutschland kannte ihn jeder. Mit seiner Talentshow GERMANY’S NEXT SINGER STAR, deren fünfte Staffel bevorstand, hatte er sich beim breiten Publikum einen Namen gemacht. Die ersten Aufnahmen des Castings sollten ab morgen beginnen, und zwar hier in Hamburg.

Romys Bewusstsein blockierte die Gefühle von Trauer über den Tod ihres Freundes. Bei einem Interview vor knapp vier Jahren lernten sich Romy und Victor kennen. Nach dem Erfolg der ersten beiden Staffeln, setzte man die Klatschreporterin Romy Modersohn auf ihn an. Die Boulevard-Presse lebte von Promis wie Victor Gorsky. Der hatte bereits eine Gesangskarriere hinter sich. Als seine Popularität als Pop-Sänger zu verblassen begann, betäubte er sich mit Alkohol und Drogen. Victor Gorsky sah zu, wie sein Bruder Plaschko inzwischen Karriere als Rapper machte. Das frustrierte ihn noch mehr. Seine Eitelkeit und eine gehörige Portion Selbsterhaltungstrieb veranlassten ihn, einen Entzug zu machen. Als er endlich clean war, überlegte er, wie er wieder positive Schlagzeilen auf den Titelseiten der Illustrierten machen konnte. Er kam auf die Idee, dem sängerischen Nachwuchs Starthilfe zu geben, weil er wusste, dass seine Art von Musik keinen mehr interessierte. Damit hatte er den richtigen Riecher. Seine Fähigkeit, unterhaltsam zu moderieren, überzeugte einen Privatsender, der im Hamburger NDR-Gebäude untergebracht war. Der gab ihm die Chance, eine dieser Unterhaltungsshows zu starten, die in Amerika und England so populär waren und auch Sender in Europa zu ähnlichen Unterhaltungsshows animierten. Diese Shows entsprachen genau dem Zeitgeist. Wie viele junge Leute von einer Gesangskarriere träumen, zeigte sich bei den Castings. In fünf großen Städten Deutschlands konnte man sich bewerben. Da wurde zuallererst die Streu vom Weizen getrennt. Das Sieb wurde immer dünnmaschiger, je mehr Durchläufe die Kandidaten und Kandidatinnen zu durchlaufen hatten. Zum Schluss blieben fünfzig Talente übrig. Erst wenn diese fünfzig jungen Leute ermittelt waren, wurden sie dem Fernsehpublikum präsentiert. In den einzelnen Folgen der Show schrumpfte die Anzahl der Kandidaten bis auf zehn. Diese durften dann mit nach Mallorca, wo die aufwändigeren Shows stattfanden. Um den Unterhaltungswert zu steigern und dem Ganzen einen professionelleren Rahmen zu geben, setzte man drei weitere Promis ein, die gemeinsam mit Victor als Jury fungierten. Das gab der Show den Anschein, dass der Sieger, oder die Siegerin wirklich GERMANY’S NEXT SINGER STAR war, mit der Option auf eine große Karriere.

Romys Bekanntheitsgrad konnte sich mit dem von Victor messen. Sie war DIE Klatschreporterin Deutschlands. Ihre Berichte über die Schönen und Reichen las jeder. Sie verdiente ordentlich mit der Veröffentlichung von Promi-News. Zudem hatte sie eine eigene Sendung, in der sie bekannte Persönlichkeiten empfing und interviewte. Nicht ganz so spektakulär wie ihre amerikanische Kollegin Oprah Winfrey, aber in Deutschland kannte man sie.

Gestern lud Romy Modersohn das ganze Team der neuen Staffel zu sich in die Villa ein, inklusive der Gewinner aus den ersten vier Folgen. Gekommen waren nur drei von ihnen, denn Tom Ahrens, aus der ersten Staffel, hatte abgesagt. Er war bisher der Einzige, der nach seinem Sieg die Karriere vorantrieb. Nach einer professionellen Ausbildung befand er sich auf dem Weg, ein gefragter Musical-Darsteller zu werden. Er konnte sich nicht freimachen, da er gerade für »Die Schöne und das Biest« in München probte. Aber die anderen Sieger waren erschienen. Soviel sich Romy erinnerte, hatten sich diese jungen Leute noch vor Mitternacht von ihrer Party verabschiedet. Zum Glück! Erst danach wurde es richtig wüst.

Romy veranstaltete diese Art von Partys, weil sie beabsichtigte, so viel Insiderwissen abzugreifen, wie möglich. Damit bekam sie einen beträchtlichen Vorsprung gegenüber ihren konkurrierenden Kollegen und Kolleginnen. Sie pflegte die nützlichen Kontakte mit viel Einsatz. »Erfolg hat nur der Tüchtige!« war schon immer ihre Devise. Victor gehörte zu den Personen, die ihre Freundschaft suchten. Sein labiler Charakter brauchte einen Menschen, dem er sich anvertrauen konnte. Romy schlüpfte gern in die mütterliche Rolle, wenn sie im Gegenzug einen Blick auf seine Ängste und Bedürfnisse werfen konnte. Dass er sich mit seinen Geständnissen in die Höhle der Löwin begab, verdrängte er. Sie ließ ihn gut dastehen, wenn sie etwas über ihn veröffentlichte. So hatten beide etwas davon.

Die Party in der letzten Nacht lief aus dem Ruder. Die ganze Gesellschaft überschritt das zivile Maß an Alkoholkonsum. Später griffen manche Gäste zu härteren Drogen. Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte sie sich nicht mehr im Griff und rettete sich ins Schlafzimmer, wo sie in komatösen Schlaf fiel. Bis der Schuss sie unsanft weckte.

»Britta, bitte fang schon mal an aufzuräumen. Ich weiß zwar, dass nach einem Mord alles so bleiben muss, wie es ist. Aber das Verbrechen hat nicht im Wohnzimmer stattgefunden. In der Bibliothek rühren wir nichts an. Vor allem müssen wir Susanne und Peter wachbekommen. Es geht auf keinen Fall, dass die Polizei sie in diesem Zustand vorfindet. Ich werde gleich einen starken Kaffee brauen. Drogen sind hoffentlich keine mehr im Haus, bis auf die Koks-Reste hier auf dem Tisch. Nun geh schon! Ich telefoniere jetzt!«

Romy zückte ihr Handy und tippte die 110 ein. Nach dreimaligem Läuten wurde am anderen Ende abgenommen.

In kurzen Worten schilderte sie den Fund der Leiche und hielt die Polizei an, sich zu beeilen. Elbchaussee 247. Bitte kommen Sie schnell.

Britta kam mit einem Müllbeutel und einem Wischlappen aus der Küche, stopfte die leeren Flaschen rein und leerte die Aschenbecher aus. Dann entfernte sie die kompromittierenden Spuren vom Glastisch.

Romy stellte die Stehlampe wieder an ihren Platz und macht sich daran, Susanne und Peter zu wecken. Romy hielt Susanne den offenen Mund zu, der bisher seine regelmäßigen Schnarch-Geräusche von sich gab. Sofort lief Susannes Kopf rot an und sie strampelte und fuchtelte wild mit allen Extremitäten. Dann richtete sie sich auf und verpasste Romy eine Ohrfeige.

»Bist du wahnsinnig? Willst du mich ersticken?«

Sich die schmerzende Wange reibend, die das nachlassende Pochen in ihrem Kopf wieder aktivierte, entgegnete Romy der entrüsteten Freundin:

»Tut mir schrecklich leid, aber ich musste dich so unsanft wecken. Wir haben einen Notfall. Gleich wird die Polizei hier sein.«

Die laute Auseinandersetzung der Frauen hatte Peter geweckt. Er versuchte seine verkrampften Gliedmaßen zu lockern und sah die beiden irritiert an. Als er erfuhr, was geschehen war, wuchtete er das Sofapolster wieder an seinen Platz. Britta kam mit einem Tablett herein, auf dem vier Kaffeetassen standen. Den Müll hatte sie bereits entsorgt. Die vier Personen standen noch unter Schock, als es an der Tür klingelte. Zum Glück sah das Wohnzimmer wieder einigermaßen manierlich aus.

2

»Wer stört?«

Kommissar Hansen blickte verärgert in Richtung Türe, woher das Klopfen kam und ihn aus tiefen Gedanken riss. Gerade hatte er in der Akte eines ungelösten Falls einen neuen Anhaltspunkt gefunden. Wenn es seine Zeit zuließ, stöberte er gerne in alten Akten. Er selbst nannte das »Gehirnjogging«. Das war die einzige Sportart, die er mochte. In seiner Jugend trieb er noch eifrig Sport, besonders Fußball. Eine Zeit lang war er Mittelstürmer beim FC Sankt Pauli. Die durchtrainierte Figur konnte er sich bis heute erhalten, auch wenn er inzwischen einen kleinen Bauchansatz bekam. Das tägliche Radfahren genügte ihm. Er befasste sich lieber mit unaufgeklärten Verbrechen, die eine erneute Recherche rechtfertigten. Er nahm alle Details der Unterlagen auseinander und knüpfte neue Zusammenhänge, die hypothetisch nicht passten. Seine gewagten Theorien brachten schon manchen Erfolg.

Kürzlich erst überführte er den Mörder eines Geschäftsmannes, dessen Tot man als Suizid einstufte. Vor etwa zwei Jahren verübte der Inhaber einer zwielichtigen Bar Selbstmord. Er war pleite und seine illegalen Nebeneinkünfte drohten aufzufliegen. Gefängnis oder Bankrott waren seine einzigen Optionen. Sein Suizid leuchtete jedermann ein und die Staatsanwaltschaft schloss den Fall ab. Doch Hansen glaubte nicht, dass ein kriminell veranlagter Mensch, wie der Tote, sein Leben mit einem Schuss in den Mund beenden würde. Dazu sind solche Strolche viel zu egoistisch und zu feige. Er hätte die Möglichkeit gehabt, sich ins Ausland abzusetzen. Irgendwie wäre er durchgekommen und hätte sich eine neue Existenz aufgebaut. Nein, Selbstmord war das nicht.

Kommissar Hansen recherchierte nochmal gründlich und fand heraus, dass der Barbesitzer eine Zeit lang in Italien lebte und dort die Tochter eines Mafia-Mitglieds schwängerte. Der Mafioso brauchte einige Jahre, den Vater des Enkels ausfindig zu machen. Es war eine Frage von Ganovenehre, den Schänder seiner Tochter kalt zu machen. Als er den, unter anderem Namen lebenden Mann in Hamburg aufgespürt hatte, war das dessen Todesurteil. Nachdem er ihn zum Selbstmord gezwungen hatte, verschwand der Italiener, ohne eine Spur zu hinterlassen.

In seinen Ferien reiste Hansen nach Kalabrien und folgte den verwischten Spuren des Selbstmörders, die ihn zu der ehemaligen Geliebten mit ihrem Sohn führten, welche noch immer dort lebten. Hansen besuchte sie unter einem Vorwand, gewann ihr Vertrauen und schaffte es trickreich, die DNA des Knaben zu bekommen. Nachdem die Untersuchung bestätigte, dass er der Sohn des Toten war, setzte er die Frau unter Druck, bis diese gestand, dass ihr Vater vor einem Jahr in Hamburg war, um den abtrünnigen Erzeuger zur Rede zu stellen. Sie war vollkommen geschockt, als Kommissar Hansen sie über den Tod ihres Ex-Freundes informierte, und dass er ihren Vater verdächtigte, den Barbesitzer mit vorgehaltener Waffe zum Selbstmord gezwungen zu haben. Der Bedrohte hatte keine Möglichkeit, lebend aus der Sache rauszukommen.

Als der Mafioso erfuhr, dass Hansen ihm auf den Fersen war, brachte sich der Kommissar selbst in Gefahr. Man lockte ihn in einen Hinterhalt und versuchte, ihn mit einer gezielten Kugel aus dem Weg zu räumen. Seine schnelle Reaktion rettete ihm das Leben, aber der Querschläger einer zweiten Kugel traf ihn ins linke Knie. Davon hatte sich sein Bein noch nicht erholt.

Der Attentäter wurde zwar verhaftet und vor ein italienisches Gericht gestellt. Aber es war nur ein Handlanger und nicht der gesuchte Mörder des Barbesitzers.

Weil es keinen Beweis dafür gab, dass der Mafioso den Deutschen zum Selbstmord genötigt hatte, wurde er, wegen Mangel an Beweisen, nicht weiter behelligt. Mit der Mafia wollte man sich nicht anlegen. Ein Mann aus »Germania« interessierte hier keinen.

»Herein!« donnerte Hansen mit seiner tiefen Stimme.

Johannes Steiner, von seinen Freunden »Jo« genannt, stammte aus München und gehörte noch nicht lange zum Stab der Hamburger Mordkommission. Mitte dreißig, besaß er den Rang eines Polizeiobermeisters und konnte auf eine Uniform verzichten. Der Austausch von Beamten der Landesregierungen führte ihn von seiner Heimatstadt nach Hamburg, wo er sein Wissen durch hiesige Ermittlungsmethoden erweitern sollte. Obwohl er sich bemühte, sich den norddeutschen Gepflogenheiten anzupassen, machte ihm besonders die dialektfreie Sprache zu schaffen. Zuhause konnte er bayrisch sprechen und keiner schaute ihn verwundert oder fragend an. Mit viel Mühe versuchte er sein Bayrisch auf Hochdeutsch zu trimmen. Er öffnete die Tür, trat vor den Schreibtisch und salutierte. Eine Angewohnheit, die er seit seinem langjährigen Militärdienst gegenüber Vorgesetzten beibehalten hatte.

»Rühren Steiner! Was gibt’s?«

»Mir haben ein spektakulären Mordfall hereinbekommen. Victor Gorsky ist in der Villa von Frau Romy Modersohn erschossen worden.«

»Etwa der Fuzzy aus dem Fernsehen, der jungen Leute vorgaukelt, sie könnten durch Ihn Karriere machen?«

»Genau der! I hob schon eine Streife hingeschickt und auch die Spurensicherung, weil ich gedacht habe, dass Sie den Fall übernehmen wollen. Mir könnten sofort hinfahren. S‘is nit weit.« (Die bayrisch gefärbte Ausdrucksweise seines Assistenten mochte der Hanseat.)

»Klar, nichts wie los!«

Der Kommissar erhob sich mühsam und ächzte, denn sein Knie schmerzte heute besonders stark. Er schnappte seine Jacke und seine Schiebermütze vom Haken des Garderobenständers und folgte seinem gelehrigen Assistenten.

»Erzählen Sie mir unterwegs, was Sie schon wissen.«

»Kennen Sie die Villa von der Frau Modersohn in der Elbchaussee 247? Die Frau ist eine berühmte Journalistin.«

»Ja, der Name kommt mir bekannt vor. Ist das nicht die Klatsch-Tante?«

»Scho,« antwortet Steiner. »Man kann sie öfters im TV sehn, wenn sie mit ihren VIP-People parliert. Ihre Bericht in den Magazinen sind gutrecherchiert. Bei ihr in der Villa gehen die interessantesten Leute ein und aus. Gestern hat sie ä Party geben. Do waren die ganzen Leut von der neuen Staffel GEERMANY’S NEXT SINGER STAR do. Der Showmaster ist, pardon, war Victor Gorsky. Er moderiert die Sendung und entscheidet, wer mitmache darf und wer weiterkommt. Die Zuschauer mögen ihn, weil er nit so zimperlich mit den Kandidaten und Kandidatinnen umgeht. Da ist schon so manche Träne geflossen. Genau das macht die Sendung so spannend. Man fiebert mit und macht sich selbst ä Meinung, wer der oder die Beste sein könnt. Die vierköpfige Jury darf zwar mitbestimme, aber in der Regel setzt sich Gorskys Entscheidung durch. Casting-Shows wie die, gibt‘s inzwischen viele. In Deutschland gehört diese aber zu den bekanntesten. Natürlich macht man sich auch Feinde, wenn man junge Leut klar macht, dass sie keine Begabung haben. Meine Informationen über den Tod vom Gorsky halte sich in Grenze. Nur, dass er, vor etwa einer Stunde erschossen worden ist. Mehr werde mir sicher vor Ort erfahre.«

***

Romy hatte die Villa von ihrer Tante geerbt. Nach dem frühen Tod der Eltern, nahm Tante Else sie bei sich auf. Diese liebte das halbwüchsige Mädchen wie ihre eigene Tochter. Romy war die einzige Verwandte, die sie noch hatte. Darum kam nur sie als Erbin in Frage.

Es dauerte lange, bis Romy das heruntergekommene Gebäude renoviert und in diese Prachtvilla verwandelt hatte. Tante Elses Vermögen, das seit Generationen aus dem Pfefferhandel der Firma stammte, ging in der Konkursmasse unter. Nur die Villa blieb übrig, für deren Renovierung kein Geld mehr da war. Romy hatte lang mit sich gerungen, ob sie die Erbschaft annehmen solle. Die damit verbundenen Kosten waren selbst für ihre guten Einkünfte eine Herausforderung. Zum Glück gab es noch einen Ausbildungsfond, den ihre früh verstorbenen Eltern für sie angelegt hatten. Auf den konnte sie zurückgreifen.

Der Aufwand hatte sich rentiert. Inzwischen war ihre Villa eine angesagte Location in Hamburg, die sie auch beruflich einsetzte. Eine Immobilie auf so teurem Pflaster zu besitzen, war ein Privileg. Immer wieder bekam sie Angebote aus aller Welt, ihre Villa zu verkaufen. Ihr wurden Summen geboten, bei denen man schwach hätte werden können. Aber was sollte sie mit dem vielen Geld anfangen? Ihr Domizil verkörperte nicht nur ein Gebäude. Es war ihr Heim und mit Familientradition verbunden. Niemals würde sie die Villa aufgeben. Auf dem begehrten Grundstück, so nah an der Elbe, leistete sie sich einen Swimmingpool und eine Außensauna. Der schöne Garten wurde von einem fest angestellten Gärtner gepflegt. Sorgfältig geschnittene, kugelförmige Buchsbäume zäumten die Einfahrt. Diverse Blumen, je nach Jahreszeit, setzten Farbtupfer auf dem Areal.

Die Villa bestand aus drei Stockwerken. Für eine alleinlebende Frau viel zu groß. Darum versuchte Romy, sie für unterschiedliche Zwecke zu nutzen. In der großen Eingangshalle veranstaltete sie Wohltätigkeitskonzerte unterschiedlicher Genres, oder Lesungen begabter Autoren und Autorinnen. Mindestens hundert Gäste konnte sie in diesem Raum unterbringen. Von Zeit zu Zeit durften auch bildende Künstler ihre Werke dort ausstellen.

Im dritten Stockwerk befanden sich diverse Schlafzimmer, in denen sie sowohl Besucher als auch wohnungssuchende Studenten unterbrachte, bis die eine andere Unterkunft gefunden hatten. Sie brauchte auch Schlafräume für das Personal, welches sie temporär engagierte. In ihrer Villa verbrachte sie nur ein Teil des Jahres, da sie beruflich so viel unterwegs sein musste. Doch wenn es sich ergab, wie gerade jetzt, dass sie ein längerfristiges Projekt begleiten sollte, gab sie sich Mühe, die Villa mit all ihren Möglichkeiten zu nutzen.

Ihre privaten Räume befanden sich auf der, von der Straße abgewandten Seite. Vom geräumigen Wohnzimmer und von der Bibliothek aus, führten große Glasschiebetüren direkt auf die Terrasse und den Pool. Dahinter stand die Holzsauna, die sie im Winter regelmäßig nutzte. Sie liebte Wärme und Sonne, auf die man im kühlen Hamburg weitgehend verzichten musste. Im rechten Winkel zu diesen beiden Räumen, komplettierten die offene Küche mit Vorratskammer das Erdgeschoss. Auf der anderen Seite war die Garderobe und das Gästebad.

Im ersten Stock befanden sich Romys Schlafzimmer, ihr Fitnessraum, das Arbeitszimmer und noch ein kleiner Salon, den sie als gemütliches Fernsehzimmer eingerichtet hatte.

***

Jo Steiner chauffierte seinen Chef die Auffahrt hoch. Ein Streifenwagen stand schon da und ebenso das Fahrzeug der Spurensicherung. In weiße Overalls gehüllte Gestalten wuselten über den Gehweg und trugen Gegenstände und Koffer umher. Fred Hansen sah eine gutaussehende Frau vor der Haustür stehen. Das enge rote Kleid passte nicht zu ihren nackten Füßen, die in Flip-Flops steckten, ihrem ungeschminkten Gesicht und den offenen glatten Haaren. Sie stand mit einer brennenden Zigarette da, angelehnt an eine der Säulen, die den Eingang flankierten.

Kommissar Hansen ging auf die Frau zu und zückte seinen Ausweis, den er ihr vor die Nase hielt. Jo Steiner folgte seinem Beispiel.

»Kriminalhauptkommissar Hansen und das ist Polizeiobermeister Steiner von der Mordkommission Hamburg. Sind Sie Frau Modersohn?«

»In der Tat, Herr Kommissar, die bin ich. Ich bin froh, dass Sie da sind. Der Tote befindet sich in der Bibliothek. Bitte folgen Sie mir.«

Ohne eine Reaktion abzuwarten, warf Romy die Kippe auf den Marmorboden, trat sie aus und entschwand ins Haus. Hansen und sein Assistent folgten ihr durch die Vorhalle.

»Sie müssen die Unordnung im Wohnraum entschuldigen. Ich bin noch nicht dazu gekommen, aufzuräumen. Gestern haben wir gefeiert. Nichts Weltbewegendes. Es war nur ein Begrüßungstreffen für die Beteiligten der neuen Staffel GERMANY’S NEXT SINGER STAR. Haben Sie davon gehört? Alle, bis auf Herrn Gorsky und drei meiner Gäste hatten die Party schon lange verlassen. Meine Freundin, Frau Britta Neurot musste mich wecken, nachdem sie vom Geräusch des Schusses aufgeschreckt wurde. Sie und meine anderen beiden Gäste, Frau Susanne Klimt und Herr Peter Kunzelmann sind geblieben. Die beiden haben ebenfalls tief geschlafen und nichts mitbekommen. Alle stehen Ihnen für Ihre Fragen zu Verfügung. Ich natürlich auch. Obwohl ich kaum etwas beitragen kann, um die Situation zu klären. Ich hatte Kopfschmerzen und legte mich kurz nach Mitternacht ins Bett, nachdem ich eine Schlaftablette zu mir genommen hatte. Wie schon gesagt, waren die anderen Gäste zu diesem Zeitpunkt schon gegangen. Für die verbliebenen Freunde lege ich meine Hand ins Feuer. Sie haben bestimmt nichts mit dem Mord zu tun. Ich kenne sie so gut, dass ich mich darauf verlassen konnte, dass sie in meiner Abwesenheit keinen Unfug treiben würden. Keine Ahnung, warum Herr Gorsky so lange geblieben ist. Er hätte heute sein erstes Casting im Fernsehstudio gehabt. Soweit ich es beurteilen kann, hielt er sich den ganzen Abend mit Alkohol zurück. Anscheinend eine Fehleinschätzung. Dass er noch hier war, habe ich erst vorhin erfahren … So, hier wären wir. Er liegt noch genauso da, wie Frau Neurot und ich ihn vorgefunden haben. Ihre Leute haben ihn noch nicht bewegt.«

»Danke, Frau Modersohn. Sie und die drei anderen Personen können nebenan warten. Ich komme später auf sie zu.«

Romy zog sich mit Britta zurück. »Was für ein interessanter Mann, dieser Kommissar,« dachte sie sich. »Er hat einen Gehfehler oder eine Beinverletzung. Aber diese Stimme. Die geht bei mir vom Ohr direkt in den Unterleib. Selten habe ich so ein erotisierendes Sprechorgan gehört. Romys Gedanken schweiften ab, in eine völlig unpassende Richtung.«

»Romy, wie findest du die beiden? Ist der Assistent nicht süß? Er wirkt etwas steif und unbeholfen, doch sehr sympathisch. Und dieser bayrische Janker, den er anhat. Wirklich ungewohnt, aber köstlich. Ich glaube, der ist noch nicht lang bei der Mordkommission. Der andere scheint sehr kompetent. Der ist mir etwas unheimlich, oder wirkt er nur auf mich so?«

»Ganz und gar nicht, meine Liebe. Mir geht es ähnlich. Bin gespannt, was der Kommissar herausfindet. Ich fürchte, in den nächsten Tagen wird viel auf uns zukommen. Allein die Presse. Ich kenne meine Kollegen, die jeden Skandal begierig ausschlachten werden. Der Sender muss die Staffel stoppen. Das birgt auch für mich berufliche Konsequenzen. Egal! Wir werden dieses Drama überstehen. Ich habe keine Idee, wer zu so einem Mord fähig sein könnte. Natürlich hatte Victor Neider und viele seiner Mitwirkenden sind sauer auf ihn. Aber bringt man ihn deshalb um? Die Stimmung war doch toll gestern. Mir ist niemand aufgefallen, der ihn schräg angeschaut hätte. Alle schienen eine große, glückliche Familie zu sein.«

»Aber es muss jemanden geben. Das ist unbestritten. Die beiden Beamten werden es herausfinden. Davon bin ich überzeugt.«

Susanne und Peter saßen seit einer Stunde kreidebleich auf dem Sofa und hielten Händchen. Sie sahen den beiden Frauen mit fragenden Blicken entgegen.

»Nur die Ruhe, ihr zwei,« meinte Romy. »Wir sollen alle hier warten. Der Kommissar möchte uns noch ein paar Fragen stellen. Da wir von dem Mord nichts mitbekommen haben, kann diese Befragung nicht lange dauern. Ich brauche dringend eine Schmerztablette für meinen Kopf. Am liebsten würde ich unter die Dusche springen und Wasser auf mein dröhnendes Haupt rauschen lassen. Das ist das Erste, was ich tue, wenn die Polizei weg ist.«

Peter und Susanne nickten nur. Sich verbal zu äußern, vermochten sie noch nicht. Romy und Britta setzten sich auf das andere Sofa. Nachdem Romy zwei Tabletten in ein Wasserglas getan hatte und der Auflösung dieses Medikaments fasziniert zusah, trank sie den Inhalt bis zum letzten Tropfen. Alle Vier registrierten nur am Rande, wie der Polizeifotograf das Wohnzimmer ablichtete. Jeder Winkel wurde festgehalten. Auch Fingerabdrücke nahm die Spurensicherung von überall. Was Romy für sinnlos hielt. Schließlich gab es so viele verschiedene in diesem Raum, dass sie mit Sicherheit nicht zur Aufklärung des Mordes beitragen würden. In der Bibliothek konnte man eher fündig werden.

Die Zeit verging im Schneckentempo. Doch was blieb ihnen anderes übrig als zu warten.

Inzwischen nahm Fred Hansen die Bibliothek genauer in Augenschein. Die offene Terrassentür interessierte ihn besonders. Das dürfte der Fluchtweg des Täters oder der Täterin gewesen sein.

»Frau Honigblum, können Sie mir näheres über die Todesursache und den Todeszeitpunkt sagen?«

Die angesprochene Pathologin kniete neben der Leiche und löste gerade die Finger der rechten Hand, in der sich noch immer der Schürhaken befand. Sie schaute kurz hoch und man merkte ihr an, dass sie die Unterbrechung ihrer Arbeit nicht schätzte. Doch antwortete sie gelassen und professionell.

»Die Todesursache ist klar. Die können auch Sie nicht übersehen. Ein Schuss in die Stirn, mit einer kleineren Waffe. Ich schätze mal, es handelt sich um eine Glock. Die Kugel steckt noch. Es gibt kein Austrittsloch. Es gibt kaum Blutverlust. Das genaue Kaliber kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich sie herausgeholt habe. Nach der Obduktion. Der Zeitpunkt des Todes war gegen fünf Uhr heute Morgen. Ich löse gerade die Finger vom Schürhaken. Sie sind völlig verkrampft. Er muss nach dem ersten Besten gegriffen haben, was im Raum war, als der Täter oder die Täterin ihn mit der Waffe bedrohte. Die Kollegen können gleich Fingerabdrücke nehmen. Aber der Mörder oder die Mörderin wird wohl keine hinterlassen haben. Wir haben ein Handy bei dem Toten gefunden. Es wird bereits untersucht. Wenn die KTU den Code geknackt hat, wird sie uns die Verbindungsdaten geben. Sie sind schon angefordert. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Was der Tote konsumiert hat, teile ich Ihnen in meinem Bericht mit, Herr Kommissar.«

»Vielen Dank, Frau Honigblum. Wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind, kann die Leiche abtransportiert werden. Ich kümmere mich nun um die Zeugen. Folgen Sie mir Steiner!«

3

Als Kommissar Hansen das Wohnzimmer betrat, blieb er zunächst stehen und ließ den Raum auf sich wirken. Ein amüsiertes Lächeln zuckte kurz über seine Mundwinkel, als er die vier eingeschüchterten Personen auf den Sofas betrachtete. Sie sahen völlig fertig aus. Die Frauen, bis auf Frau Modersohn, trugen noch Make-Up, welches die Ringe unter den Augen und die Blutleere der Gesichter nicht verbergen konnte. Der Mann sah noch jämmerlicher aus. Sein zerknittertes weißes Hemd trug Rotweinspuren und das kinnlange, braune Haar zeugte davon, dass es länger keinen Kamm mehr gesehen hatte. Ungeschickt kramte er eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche und griff zum Feuerzeug auf dem Tisch. Als es ihm endlich gelang, den Glimmstängel anzuzünden, nahm er einen tiefen Zug und gab sich Mühe, den Kommissar anzuschauen.

Die neben ihm sitzende Frau dürfte ihren vierzigsten Geburtstag bereits gefeiert haben. Sie trug einen Hosenanzug, mit nichts darunter. Je nach Körperhaltung, erlaubte der Ausschnitt einen gewagten Blick auf ihre kleinen Brüste, die noch immer der Schwerkraft trotzten. Ihre kurz geschnittenen, schwarzen Haare standen, durch viel Haargel unterstützt, aufrecht auf dem zierlichen Kopf, den sie mit einem riesigen weißen Brillengestell zu kompensieren versuchte. Ihr Blick richtete sich auf die Fingernägel, deren Lack auf den Farbton der Kleidung abgestimmt war. Diese Aufmachung löste in Fred Hansen eine gewisse Abneigung aus. Er mochte keine aufgetakelten Frauen, besonders nicht, wenn sie den Zenit ihrer Schönheit schon überschritten hatten.

Frau Modersohns Aussehen hatte er bereits registriert. Er konnte sich nicht erklären, warum diese Frau ihn so beeindruckte. Sie war die Einzige, die ihn mit wacher Aufmerksamkeit und gerader Haltung direkt in die Augen schaute. Er hielt ihrem Blick stand, bis sie dann doch nachgab und sich zu ihrer Nachbarin wandte.

»Darf ich Ihnen meine Freundin Frau Britta Neurot vorstellen, Herr Kommissar?«

Britta räusperte sich und versucht ein »Guten Morgen« über ihre Lippen zu bringen. Fred Hansen nickte und hatte fast Mitleid mit der rundlichen Frau, die ihre Fülle unter etwas zu verbergen suchte, dass man neumodisch Tunika nennt. Die lockigen, roten Haare erinnerten ihn an Pumuckl, den bayrischen Kobold. Besonders ihre blassblauen Augen, die hilfesuchend an Romy hingen, verstärkten seinen Eindruck, dass diese Frau kein Wässerchen trüben könnte.

»Mir gegenüber sitzt Frau Susanne Klimt und Herr Peter Kunzelmann. Sie sind ebenfalls langjährige Freunde von mir. Herr Kunzelmann ist der Betreuer der jungen Kandidaten bei der Casting Show. Er kümmert sich um deren Wohl und ihre seelischen Nöte. Frau Klimt ist für die Maske verantwortlich, wenn es Aufnahmen fürs Fernsehen gibt.«

»Vielen Dank, Frau Modersohn. Das ist sehr aufschlussreich. Ich bräuchte eine Liste, von allen Personen, die bei der Party anwesend waren. Und in welcher Reihenfolge sie gegangen sind. Interessieren tut mich natürlich die Beziehung zu dem Ermordeten. Können sie mir nun genau schildern, was heute Morgen passiert ist. Frau Neurot, Sie haben die Leiche entdeckt. Wie war das genau?«

»Äh … ja Herr Kommissar. Eigentlich wollte ich in das Gästezimmer im zweiten Stock gehen, das meine Freundin immer für mich bereit macht, falls der Abend länger wird. Doch ich bin hier auf diesem Sofa eingeschlafen. Wahrscheinlich war ich zu kaputt vom langen Tag, an dem ich so viel erledigen musste. Ich hatte nicht viel Alkohol getrunken, aber trotzdem konnte ich mich nicht länger wachhalten. Da sich die Party allmählich auflöste, wurde es ruhiger. Nur Frau Klimt und Herr Kunzelmann unterhielten sich noch über die Show. Dabei bin ich wohl eingeschlafen. Der Knall hat mich geweckt. Zuerst dachte ich, es sei die Fehlzündung eines Autos. Doch die Straße ist zu weit weg, als dass das Geräusch von dort gekommen sein konnte. Ich sah nur meinen Freund und meine Freundin, die ebenfalls schliefen. Sie auf dem Sofa und er im Sessel. Das Geräusch hat die beiden nicht geweckt. Also stand ich auf und ging in die Richtung, aus der ich den Knall gehört hatte. Ich stand vor der geschlossenen Tür der Bibliothek. Als ich sie öffnete, sah ich Herrn Gorsky auf dem Boden liegen, so wie Sie ihn vorgefunden haben. Dann bemerkte ich die Wunde auf seiner Stirn, bekam einen Schreck und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich rannte die Treppe rauf und weckte Frau Modersohn. Wir gingen gemeinsam in die Bibliothek. Frau Modersohn wollte sich selbst davon überzeugen, dass Victor Gorsky tot ist. Sie hat sofort die Polizei verständigt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Danke, Frau Neurot. Sie haben nichts angefasst in der Bibliothek? Nun gut, dann kommen wir auf den Abend zurück. Wieviel Personen waren da?«

Romy stand auf, um mit dem Kommissar einigermaßen auf Augenhöhe zu sein. Jo Steiner, der sich neben dem Sofa postiert hatte und alle Aussagen in sein Notizbuch schrieb, was Romy etwas antiquiert schien, machte Platz.