Gesamtdeutsche Verfassung - eine Karikatur? - Klaus Emmerich - E-Book

Gesamtdeutsche Verfassung - eine Karikatur? E-Book

Klaus Emmerich

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Beschreibung

Im April 2015 jährt sich zum fünfundzwanzigsten Mal jener Tag, an dem das Vermächtnis des Zentralen Runden Tisches, der Entwurf einer neuen Verfassung für die DDR, fertig gestellt und den Abgeordneten der Volkskammer übergeben wurde. Die weltbekannte Schriftstellerin Christa Wolf (1929-2011) verfasste die Präambel. Im Zusammenhang mit Artikel 146 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, der die Gültigkeit dieses Provisoriums solange bestimmt, bis "eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist", darf der Verfassungsentwurf des Runden Tisches nicht übergangen werden. Die Zeit ist überreif, die Diskussion über eine Gesamtdeutsche Verfassung neu zu beleben. Das Bewährte des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wäre selbstverständlich wichtiger Bestandteil dieser Verfassung. Das Argument, als sechsunddreißigste Änderung im Art. 146 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland am 23. September 1990 festgeschrieben, eine Verfassung könnte erst nach "Vollendung der Einheit und Freiheit" verabschiedet werden, steht auf tönernen Füssen. In den vergangenen fast 25 Jahren seit Anschluss der DDR an die BRD, wird immer wieder deutlich gemacht, wie und auf welche Art und Weise diese Vollendung der Einheit hinausgeschoben werden kann und wird.

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„Wir werden gefragt: Haben wir nichts einzubringen in die deutsche Einheit? Und wir antworten: Doch, wir haben!

Wir bringen ein unser Land und unsere

Menschen, wir bringen geschaffene Werte und

unseren Fleiß ein, unsere Ausbildung und unsere

Improvisationsgabe…

Wir bringen die Erfahrungen der letzten

Jahrzehnte ein, die wir mit den Ländern

Osteuropas gemeinsam haben.

Wir bringen ein unsere Sensibilität für soziale

Gerechtigkeit, für Solidarität und Toleranz. In

der DDR gab es eine Erziehung gegen Rassismus

und Ausländerfeindlichkeit, auch wenn sie in der

Praxis wenig geübt werden konnte. Wir dürfen

und wollen Ausländerfeindlichkeit keinen Raum

geben.

Wir bringen unsere bitteren und stolzen

Erfahrungen an der Schwelle zwischen

Anpassung und Widerstand ein. Wir bringen

unsere Identität ein und unsere Würde. Unsere

Identität, das sind unsere Geschichte und Kultur,

unser Versagen und unsere Leistung, unsere

Ideale und unser Leiden. Unsere Würde, das ist

unsere Freiheit und unser Menschenrecht auf

Selbstbestimmung…

(Lothar de Maizière, Regierungserklärung des Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik vor der Volkskammer am 19. April 1990. In: VOLKSKAMMER der DDR, 10. Wahlperiode - 3. Tagung- Donnerstag, den 19. April 1990, Stenografische Niederschrift Seite →).

Inhaltsverzeichnis

Artikel 146 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

Die Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Zentralen Runden Tisches (Dezember 1989 bis April 1990)

Ausgewählte inhaltliche Probleme des Verfassungsentwurfs für die DDR

Verzeichnis der Dokumente

Anlage 1:

Gesetz zur Änderung der Verfassung der DDR vom 01. Dezember 1989 Streichung des Halbsatzes aus Artikel 1 „unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“

Anlage 2:

Entwurf Verfassung der DDR Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Zentralen Runden Tisches, Berlin-Niederschönhausen 4. April 1990

Anlage 2 A:

Präambel des Verfassungsentwurfs für die DDR

Anlage 3:

Losungen der Demonstration am 4. November 1989 in Berlin-Zentrum, Hauptstadt der DDR

Anlage 4

Aufruf für unser Land 26. November 1989

Anlage 5:

Erklärung des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Hans Modrow vor den Teilnehmern des Runden Tisches (15. Januar 1990)

Anlage 6:

Potsdamer Erklärung (23. Mai 2012)

Anlage 7:

Antrag der AG vom 07. März 1990 an RT

Anlage 8:

Parteien und Bewegungen Oktober 1989 bis April 1990

Anlage 9:

Amtliches Wahlergebnis 18. März 1990

Anlage 10

Volkskammer der DDR 10. Wahlperiode – 3. Tagung-Donnerstag, den 19. April 1990. TOP 2 „Aktuelle Stunde zum Verfassungsentwurf des Runden Tisches

Anlage 11

Artikel U.K. Preuß in der FAZ 28.April 1990

Anlage 12

Beitrag Dr. Klaus Emmerich im ND 11. April 1990

Anlage 13

Artikel Isensee in DIE WELT 9. April 1990

Literaturauswahl

1. Artikel 146 des Grundgesetzes für die BRD

Unbestritten aber häufig ignoriert: Das Grundgesetz für die (alte) Bundesrepublik Deutschland wurde vom Parlamentarischen Rat im Jahre 1949 als Provisorium entwickelt und schließlich am 23.Mai 1949 mit Zustimmung der West-Alliierten verabschiedet.

Carlo Schmid betonte bereits am 1. Juli 1948, dass alles was mit diesem „Organisationsstatut“, zu schaffen war, „den Charakter eines Provisoriums haben“ mußte, solange „nicht das ganze Volk die Möglichkeit habe, gemeinsam den Staat aller Deutschen zu errichten. Heute können wir kein endgültiges ‚Deutsches Haus ´ bauen, sondern nur ein Notdach, das uns für die Zeit des Übergangs Schutz gewährt… Die Ministerpräsidenten stimmten meinen Überlegungen weitgehend zu, wonach nicht die Verfassung für einen Staat in Westdeutschland geschaffen werden dürfe, sondern lediglich ein Organisationsstatut für die drei Zonen umfassendes Verwaltungsgebiet Westdeutschland. Dieses Organisationsstatut solle den Namen ‚Grundgesetz´ erhalten und nicht von einer ‚Verfassungsgebenden Versammlung´ beschlossen werden, sondern von einem von den Landtagen der Länder zu beschickenden ‚Parlamentarischen Rat´. Das Besatzungsstatut, das die Alliierten planen, müsse schon vor Einberufung dieses Parlamentarischen Rates in Kraft gesetzt werden… “1

Bekanntlich fanden diese Grundaussagen ihren Niederschlag im Artikel 146 des GG 1949 der ursprünglich lautete: (Geltungsdauer des Grundgesetzes)

„Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Der „Alternativkommentar“2 bezeichnet diesen Artikel 146, als die Bereitschaft der BRD zur Selbstaufgabe. Unter Hinweis auf die Möglichkeit des Beitritts gemäß Art. 23 Satz 2 (alt) bietet der Art. 146 einen weiteren Weg, unter den im Art. 146 angegebenen Bedingungen um zu einer gesamtdeutschen Verfassung zu gelangen.3

Diese Formel von der „Bereitschaft zur Selbstaufgabe“ mit der Vorbedingung zu verknüpfen, dass das ganze deutsche Volk über eine Verfassung zu entscheiden hätte, ohne etwas zur inhaltlichen Gestaltung und den Weg dahin auszusagen, halte ich aus heutiger Sicht geradezu für töricht.4 Unabhängig davon, muß aber der Art. 146 GG für die BRD das Ziel, der Schaffung einer Gesamtdeutschen Verfassung, perspektivisch beachtet bleiben.

Dem provisorischen „Charakter des Grundgesetzes stehen der Inanspruchnahme des Art. 23 für die Vereinigung nicht entgegen. Andererseits schließt dieser Artikel nicht zwingend die spätere Erarbeitung einen neuen Verfassung nach der Herstellung der staatlichen Einheit aus; er macht eine solche Ablösung aber nicht erforderlich und läßt damit die definitive Beibehaltung des GG zu“, heißt es in einer Aufzeichnung des Bundesinnenministeriums vom 27.Februar 1990. 5 An anderer Stelle heißt es: Die „Vollendung der Einheit Deutschlands“ nach Artikel 146 GG für die BRD „greift auf das Selbstbestimmungsrecht des gesamten Staatsvolkes des fortbestehenden Deutschen Reichs zurück.“6

Für den Weg nach Artikel 146 könnte nach Ansicht des Bundesinnenministeriums sprechen:

Eine Akzeptanzerhöhung einer Verfassung;

„die Einbringung eines in demokratischer Legitimation bestätigten freiheitlichen Ideengutes der friedlichen DDR-Revolution in einen neuen Verfassungstext.“

7

Als gegenteilige Gründe werden im Wesentlichen Zeitfaktoren, die für den künftigen Verfassungsinhalt, lange Wartezeit bis zur Verabschiedung, Rolle der Alliierten bei der Verabschiedung (!) benannt. Schließlich wird „ein wesentlich längerer Abschluß des Wiedervereinigsprozesses dabei Gefahr des Verlust der für den Einigungungsprozeß günstigen Eigendynamik“ prognostiziert.

Nach fast 25 Jahren des Anschlusses der DDR an die BRD muß festgestellt werden, dass diese Prognose nicht zutraf, wie vieles nicht. In diesem Zeitraum wäre es möglich und machbar gewesen, eine Gesamtdeutsche Verfassung unter den Bedingungen des Artikels 146 GG für die BRD zu erarbeiten.

Für den Anschluss lieferte der BRD-Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble zum Einigungsvertrag die „glaubhafteste Begründung“, indem er in internen Ost-CDU-Kreis bemerkte: