Geschafft, Sonne - Tara C. Meister - E-Book

Geschafft, Sonne E-Book

Tara C. Meister

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Beschreibung

Mit Flow, Klang und (Binnen-)Reimen zieht uns Tara C. Meister in ihre Textwelten. Sogartig und rauschhaft - so lässt sich ihr Schreiben wie auch ihre Slam-Auftritte beschreiben. In "“Geschafft, Sonne" finden sich feministische Hymnen; Aufrufe, sich zu befreien und zu feiern, masslos und anmassend zu sein und sich nicht mit dem zu begnügen, was Frauen zugedacht ist. Aber auch die Söhne werden angelockt und gerufen vom Dschungel und wilden Tieren – und wagen den Aufbruch von der geordneten, väterlich geprägten Tafel in eine ungewisse Freiheit. In den leiseren Texten werden verflossene Lieben heraufbeschworen - Charlotte mit dem Kettenhemd aus Bierdosenlaschen; John, der in der Wiederholung der Tage in dampfenden Töpfen verschwunden ist; Narziss, dessen Echo sie nicht mehr sein will. Manchmal sind es Szenen und Dialoge, dann wieder Texte wie Songs, mit Refrain und Variationen, in denen uns Tara C. Meister ihre Figuren näherbringt und ihr Unbehagen und ihre Wut mit uns teilt. Immer wieder nimmt sie Bezug auf Märchen und Mythen, erzählt Geschichten von Hexen und mythologischen Figuren weiter in die Gegenwart, schreibt sie um. Und tanzt mit ihnen.

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Tara C. Meister

Geschafft, Sonne

edition spoken script 48

1. Auflage, 2023

© Der gesunde Menschenversand, Luzern

Alle Rechte vorbehalten

eISBN: 978-3-03853-187-6

Lektorat: Tamaris Mayer

Herausgeber:innen: Matthias Burki, Ursina Greuel, Tamaris Mayer, Daniel Rothenbühler

Gestaltung: hofmann.to

Der Text «Walpurgisnacht» wurde bereits veröffentlicht in: Sag jetzt nichts, lass mich zu Ende reden! Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen. Abdruck mit Genehmigung der S. Fischer Verlag GmbH. © 2023 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.

Herzlichen Dank für die Unterstützung an:

Genossenschaft Buch 2000

Der gesunde Menschenversand wird vom Bundesamt für Kultur für die Jahre 2021 – 2024 unterstützt.

www.menschenversand.ch

Für meine Schwestern

Inhalt

Tage fallen leise

Bienen

Mentale Osteoporose

Schwalbenflug

Die Welt ist nicht Rosa

wer weiß

Neujahr

gedeckt

Que sera, sera

wir warten

Drei Mal drei macht

schlüpfen

was bleiben

als ich nichts mehr

noch einmal

Himmel und Hölle

Ce qui reste à désirer

vergeht nicht

Kitten

Fliegenfallen

Antikörper

Brokkoli

Buchstabensuppe

Ameisen

Geschafft, Sonne

Neben den Zikaden

allegro

wo wen wecken

wozugegen

Wie tief

Orbit – ist das Umlaufbahn oder Kaugummi?

Bojentage

Die Nacht war tanzbar

unter uns

wie wir innen sind

so viel mehr

Walpurgisnacht

Tage fallen leise

Tage fallen leise, John

und gesehen hab ichs nicht,

weil der Dampf aus all den Töpfen

mir das Brillenglas beschlug

und jetzt wisch ich, reibend, suchend

meine Gläser, die

nicht schuld sind

reibe, bis die Finger schmerzen

möchte aber nicht

mehr sehen

wo sind sie hin

die ersten Male

für die ich die Augen offen hielt

wer hat sie langsam

still und heimlich

aus dem Alltag rausgeklaubt

wie Rosinen aus dem Brot

der Teekessel beginnt zu pfeifen

alarmierend, schrill und hoch

und ich dreh an all den Knöpfen

dreh und drehe,

bis er schweigt

Tage fallen leise

und gesehen hab ich nur,

dass die Messer und die Stunden

stumpfer wurden, abgenutzt

blicke auf die Klingen vor mir

kenne meinen Gegner nicht

schneide mundgerechte Stücke

von dem kalten Fleisch für dich

lebendig

ist allein die Küchenuhr

warum sind all die ersten Male

irgendwann doch aufgebraucht

verschleudert, in den jungen Tagen

unbedacht

warum bin ich von dir und mir

nicht mehr überrascht

ich schau hinein in all die Töpfe

öffne die Schränke weit

und kann doch dort nichts Neues finden

und keine Gier danach

Tage fallen leise, John

und gesehen hab ichs erst,

als die Scherben meiner nackten Füße

Haut zerschnitten

leise, leise sie und ich

dabei hätt ich so gerne

einmal nur

geschrien

geh auf die Knie,

der Wunsch es zu verbergen

beugt mich,

kehre Scherben

von der Schaufel in den Eimer

Deckel zu,

sodass du

sie nicht sehn musst,

heute Abend,

wenn du kommst

oder nicht,

je nachdem, ob du da bist,

wenn du kommst

oder nicht,

wieder nicht

wir haben uns lange nicht gesehen

angesehen, John

und das

wo Ansehen doch so wichtig ist für uns

Tage fallen leise

hab ich die Scherben auch verschwinden lassen,

meine nackten Sohlen bluten

jeden meiner Schritte

auf den kalten Küchenboden

nackt ist er

und leise

sind wir beide

doch das gottverdammte Rot ist laut

so laut,

dass die Stille es nun einfach nicht mehr übertönen kann

deine, meine nicht

und jetzt schreien zerschnittene Schritte

auf dem Küchenboden rot

ich hab die Schaufel noch in meiner Hand

Tage fallen leise, John

wir haben sie beide nicht gehört

Bienen

wie die

wie da wieder die

wie die da wieder, die bienen wieder

wie da wieder die bienen

summten um die gläserränder herum

wie in dem jahr, wie damals

da hab ich einen stich gespürt

im hals

roter nektar am gläsergrund

und an mir klebt noch

klebt der sommer noch

lockt sie an

jahre später

die bienen, die bilder

und der hals

ist mir zugeschwollen

die stimmbänder zu dick

um zu sprechen

sommergeister gestreift

wie ich klebte damals

an deinen lippen

und der stoff an mir

der weiße

dein blick darauf/darunter

wie eigentlich alles so dreckig war:

sorgenschlieren vorm fenster, flache wünsche

aber rein dein blick, der wein

licht gebrochen im flaschenhals und die bläschen

geschluckt unter schwerer luft

unter uns

ameisenstraßen und grillengezeter

schwerelos an strohhalmen

gezittert unter gehauchtem beteuern

dass nichts zu ende geht

dass alles was jetzt feststeht, immer

immer wir beide, immer bienen

den rest wein gekippt, in die schwarze nacht

dreck unter den nägeln

dich gekratzt damit

nachts, wild

und dir das blut damit vergiftet

und langsam

wandert die vergiftung zum herz

das wissen wir

das wissen wir eigentlich

wir haben uns damals

in diesem sommer

vergiftet gegenseitig

mit der idee, es könnte schöner sein

es könnte mehr sein

als den tag entlang geschliffen, geschlurft

glatt, gerutscht, geprallt

gefangen

geprahlt um leere vitrinen herum

und den eigenen zeigefinger

vergiftet mit der idee

wir hätten verdient

dass was das leben groß macht

sich zeigt in unserer kleinen welt

sich blicken lässt, erblicken durch den

alltagsdampf

zerstampfte jahre

uns

wie wir wie die bienen

den sommer über

gesammelt haben

das süße, goldene, zerkaute blütenstaubzuckerzeug

vorrätig gelagert in meiner

innersten wabe

in meinen dunkelsten stunden

schlecke ich daran

verklebe und verkläre

den rest wahrheit in der erinnerung

weil wahr ist

dass wir nicht freier waren als zuvor

nur dümmer

dumm genug um zu denken

wir könnten mitnaschen

mit geschwollener zunge

sprichts sich schwer

mit geschwollenen augen

ist die welt klein

bricht der moment zwischen den wimpern

wie dick die luft noch geworden ist

wie dünn die halme

wie lange die arme

der schatten im herbst

so fallen die tage

fällt sich der stamm selbst, die äste geneigt

wie hält sich etwas lebendig

wie lange der atem

emsig sein

gedanken für den winter

sammeln, andere vergraben

wie ich jetzt

wie jetzt ich sein

wie fortsetzen den weg

wenn ich weiß

dass es auf den winter zugeht

wenn ich weiß

nichts stimmt mehr

über diesen sommer

fege tote bienen von dem

fenstersims

und draußen rauscht wind/zeit

laub bauscht sich auf, vor mir

widerstand baut sich auf

braut sich zusammen eine

ungelöffelte suppe

laut sind die bauarbeiter

die fertig werden wollen

im grau draußen

kreischende kreissägen

kreisende gedankenfäden

knäueltage

und krähenflügelschlag/wimpernstoß

zur nächsten stunde

geschwollen an manchen stellen

noch die sommerbeulen

und saugt man

das gift der biene aus

oder sagt man sich

lediglich:

lebwohl

Mentale Osteoporose

Ich habe mich so schön verputzt, glattgestrichen

jeden Dorn gestutzt, das Kleid gebügelt und gewusst

wie sich Frust nach innen stülpen lässt

und ein Lächeln hängen an die Tür.

Nur ist jetzt Schluss.

Der Wind, der sich gedreht hat

oder die Nachtigall verschluckt

die Fassade bröckelt und der Stöckelschuh knickt ein

Lawine aus Stolpersteinen, hätte sie gesungen.

Von unten herauf bebt es und das Gerüst,

es steht nicht fest, stand es noch nie, fest

steht nur, dass es so nicht weitergeht.

Sehe die Risse schon im Boden

Knirschen in Wänden und mit Zähnen

und wenn es einmal, einmal ins Schwanken gerät

dann hält nichts mehr zusammen

dann lass ich los und mich fallen

fallen alle Versprechen, und die,

die noch nicht gebrochen waren, brechen jetzt

gleiten alle Schichten

über meine tektonische Hülle ab, Risse durch die Wände

marianentief und ungeschminkt.

Ich wollte blumenkastenschön sein und frühaufsteherstark,

wollte ein Bilderbuch sein

für das Kind in mir.

Aber die Wahrheit ist ein poröses Schneckenhaus,

das mich jetzt nicht mehr versteckt.

Jede Träne eine Abrissbirne

kracht gegen die letzten Streben.

Kratze von der Fassade den Putz, bis es

schäumt unter den Fingernägeln.

Mit Glaswolle isoliert, die ich nun abstreife,

und zarte Risse bleiben

auf den Handflächen zurück, spüre mich, sprühe

meinen Namen an die nackten Wände.

Nur er darf stehen bleiben.

Reiße die Tapete in lange Streifen, streife

die Ziegel ab, die schwer von oben drücken, schüttle,

bis alle abgefallen sind, klingen

wie zerspringende Fehler

jeder bricht und spricht für sich.

Ich bin nicht ganz.

Ich bin nicht heil.

Hell die Sonne durch das nackte Dach.

Wo die Kugel getroffen hat, bleiben Löcher,

schau hinein und du wirst ein Skelett sehen

blank poliert, das zittert unter deinem Blick.

Zurück bleibt

ein bisschen mehr als nichts.

Du sagst Baustelle dazu, ich Schrottplatz.

Für mich ist dort kein Raum mehr und so auch nicht für dich.

Wir zittern durch kühle Nächte auf dem Schutthaufen,

rauchen eine Zigarette nach der anderen und

brennen von beiden Enden ab.

Seiltänzerin!, ruft mich mein Schatten dort

unten am Boden, wo ein Schatten eben hingehört.

Eben bleibt der Boden und schwanken tut das Seil,

weil der Wind durch die Balken pfeift ohne Wände

und die Hände, die nichts halten,

sie strecken sich nach Gleichgewicht.

Ob das mein roter Faden ist und

ob man darauf tanzen soll.

Ich liebe dich nicht und mich weniger,

aber ich weiß das Geräusch deines Atems

zu schätzen.

Schwalbenflug

Ich im Leichten, Weichen

man hat mir einen kindheitsgleichen

Moment geschickt

Geruch weckt mich

nach Frauenhänden

An den Wänden ein blaues Bild

kein Bild, ein Fenster

ich kann mich bewegen und ziehe mich auf den Sims

raus aus dem Weichen

Blick auf einen Steinbruch

irgendetwas stimmt nicht

Blick auf ein paar Schwalben

Ich habe Fieber, sagen sie,

es kommt Regen,

sagen die Schwalben

es pocht im Steinbruch

Es kommt wirklich Regen

nur für mich,

es tropft seinen Weg in meine Venen

und wer weiß schon,

wann und ob ich wieder wach bin, schwitze Engel

auf die Laken

Stichtag

sie stechen und nehmen sich von mir

und tragen das bisschen Mich hinaus und fort

und lösen alle Geheimnisse

und dann hat alles Namen

das ist das Wesentliche, das Wesen einer Wahrheit,

dass alles einen Namen hat

auch ich habe einen

Ich habe einen Dämon in meinen Bahnen

den jagen sie, aber er macht, was er will

nachts lacht er mich wach

dann liege ich da und frage mich,

wer ihn gerufen hat

An weißen Wänden scheuert sich meine Seele dünn

fällt Licht hindurch und durch die Löcher im Steinbruch

sammelt sich im Rest des Tages