Geschichte der neueren Philosophie - Ludwig Feuerbach - E-Book

Geschichte der neueren Philosophie E-Book

Ludwig Feuerbach

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Beschreibung

Anders als in der Hegelschule üblich, ließ Feuerbach die Philosophie der Neuzeit nicht mit Descartes, sondern mit Francis Bacon beginnen; er begründete dies damit, dass Bacon das systematisch gesammelte Erfahrungswissen, also die Naturwissenschaften, zur "Grundlage alles Wissens" erhoben habe. Immer wieder betonte er die Bedeutung des Naturstudiums für die Entwicklung philosophischer Erkenntnis, und der ganze zweite Teil des Buches ist eine Interpretation der Philosophiegeschichte im Sinne eines fortschreitenden spekulativen Vollzugs der Einheit von Geist und Natur. Nach dem Abschluss des Werkes beschäftigte sich Feuerbach intensiv mit den italienischen Naturphilosophen der Renaissance, besonders mit Giordano Bruno, mit dessen emphatischer Naturbegeisterung er sich identifizierte. Spinozas Pantheismus (Geist und Natur sind Erscheinungsformen der einen, göttlichen Substanz) war für ihn eine philosophische Position, hinter die nicht zurückgeschritten werden durfte. (aus wikipedia.de)

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Geschichte der neueren Philosophie von Bacon von Verulam bis Benedikt Spinoza 

Ludwig Feuerbach

Inhalt:

Ludwig Feuerbach – Biografie und Bibliografie

Geschichte der neueren Philosophie von Bacon von Verulam bis Benedikt Spinoza

Einleitung

§ 1.

§ 2.

§ 3.

§ 4.

§ 5.

§ 6.

§ 7.

§ 8.

I. Franz Bacon von Verulam

§ 9. Das Leben Franz Bacons von Verulam

§ 10. Reflexion über Bacons Leben und Charakter

§ 11. Bacons philosophische Bedeutung

Bacons Gedanken im besondern, dargestellt aus ihm selbst

§ 12. Das bisherige Elend der Wissenschaften

§ 13. Die Ursachen des bisherigen Elends der Wissenschaften

§ 14. Die Notwendigkeit und die Bedingungen einer totalen Reformation der Wissenschaften

§ 15. Die Methode der Naturwissenschaft

§ 16. Das Objekt der Naturwissenschaft

§ 17. Die Einteilung der Naturwissenschaft

§ 18. Gedanken Bacons über einige allgemeine Naturgegenstände

§ 19. Der Zweck der Wissenschaft, namentlich der Naturwissenschaft

§ 20. Das Wesen der Wissenschaft überhaupt, ihre Herrlichkeit und ihre Wirkungen auf den Menschen

§ 21. Die Einteilung der Wissenschaft

§ 22. Die Philosophie

§ 23. Bacons Verhältnis zum Christentum

II. Thomas Hobbes

§ 24. Übergang von Bacon zu Hobbes

§ 25. Hobbes' Leben

§ 26. Hobbes' Gedanken über die Philosophie, ihre Materie, Form und Einteilung

§ 27. Kritische Übersicht der Hobbesschen Naturansicht

§ 28. Hobbes' philosophia prima

§ 29. Hobbes' Physik

§ 30. Übersicht und Kritik der Hobbesschen Moral und Politik

§ 31. Hobbes' Moral

§ 32. Hobbes' Politik

§ 33. Kritischer Rückblick auf das Hobbessche Staatsrecht

§ 34. Hobbes' Verhältnis zur Religion

III. Peter Gassendi

§ 35. Das Leben Gassendis und seine Bedeutung in der Geschichte der Philosophie

§ 36. Die Logik Gassendis

§ 37. Kritische Bemerkung über die Gassendische Theorie des Ursprungs der Erkenntnis

§ 38. Die Physik oder Atomenlehre Gassendis

§ 39. Kritik der Gassendischen Atomenlehre

§ 40. Gassendis Lehre vom Geiste

§ 41. Kritischer Rückblick auf Gassendi

IV. Jakob Böhm

§ 42. Jakob Böhms Bedeutung für die Geschichte der Philosophie

§ 43. Jakob Böhms Leben

Darstellung Jakob Böhms

§ 44. Die reine Einheit

§ 45. Die sich in sich unterscheidende Einheit

§ 46. Erläuterung der vorhergehenden Paragraphen

§ 47. Die Notwendigkeit des Gegensatzes

§ 48. Erläuterung des Entzweiungsprozesses in Gott und Natur nach J. B.

§ 49. Das Wesen und die Eigenschaften der ewigen Natur

§ 50. Über die sieben Eigenschaften

§ 51. Die sichtbare Natur und ihr Ursprung in ihren besondern Gestalten

§ 52. Darstellung des Ursprungs des Bösen nach J. B.

§ 53. J. Böhms Anthropologie

V. Rene Descartes

§ 54. Descartes' Leben und Schriften

Die Philosophie des Cartesius

§ 55. Der Zweifel als Anfang der Cartesischen Philosophie

§ 56. Nähere Bestimmung und Erörterung des Zweifels

§ 57. Entwicklung des Cartesischen Satzes: Cogito ergo sum

§ 58. Allgemeine und nähere Bestimmung des Geistes

§ 59. Der wahre Sinn und Gehalt der Cartesischen Geistesphilosophie

§ 60. Übergang zu dem objektiven Erkenntnisprinzip

§ 61. Die Idee der unendlichen Substanz

§ 62. Über die Cartesischen Beweise vom Dasein Gottes

§ 63. Das Prinzip der objektiven Gewißheit und Erkenntnis

§ 64. Übergang zur Naturphilosophie Descartes'

§ 65. Die Prinzipien der C.schen Naturphilosophie

§ 66. Kritik des Prinzips der Cartesischen Naturphilosophie

§ 67. Die Aufhebung, der Gegensätze von Geist und Natur und deren Kritik

§ 68. Schlußbemerkungen über die C. Philosophie (1847)

VI. Arnold Geulincx

§ 69. Ausbildung der Cartesischen Philosophie durch Arnold Geulincx

VII. Nikolaus Malebranche

§ 70. Einleitung und Übergang von Cartesius zu Malebranche

§ 71. Leben und Charakter Malebranches

§ 72. Das Wesen des Geistes und der Idee

§ 73. Die verschiedenen Ansichten über den Ursprung der Ideen

§ 74. Gott, das Prinzip aller Erkenntnis

§ 75. Die verschiedenen Erkenntnisarten des Geistes

§ 76. Die Anschauungsweise der Dinge in Gott

§ 77. Die allgemeine Vernunft

§ 78. Gott das Prinzip und das wahre Objekt des Willens

§ 79. Gott das Prinzip aller Tätigkeit und Bewegung der Natur

§ 80. Der wahre Sinn der Malebrancheschen Philosophie

VIII. Benedikt v. Spinoza

§ 81. Übergang von Malebranche zu Spinoza

§ 83. Spinozas Leben und intellektueller Charakter

Darstellung der Philosophie Spinozas

§ 84. Die allgemeinen Prinzipien derselben

§ 85. Erläuterung des Begriffs von der Einheit des Wesens und der Existenz in der Idee der Substanz

§ 86. Die notwendige Existenz: der einzigen Substanz und ihre Attribute

§ 87. Erörterung des Begriffs der Ausdehnung als eines göttlichen Attributs

§ 88. Kritik der Spinozischen Lehre von den Attributen

§ 89. Die Affektionen der Attribute und die Wirkungsweise Gottes

§ 90. Die nähere Bestimmung der Wirkungsweise der Substanz

§ 91. Entwickelung des Spinozischen Begriffs von der Kausalität der Substanz und dem Ursprung des Endlichen

§ 92. Übergang zur Einheit des Geistes und Körpers

§ 93. Die Einheit des Geistes und Körpers wie überhaupt der idealen und materiellen Objekte

§ 94. Vom Willen

§ 95. Von der Freiheit und Tugend des Geistes oder der Erkenntnis

§ 96. Die verschiedenen Gattungen der Erkenntnis

§ 97. Die wahre Methode der Erkenntnis

§ 98. Das Ziel des Geistes

§ 99. Kritische Schlußbemerkungen von 1833

§ 100. Kritische Schlußbemerkungen von 1847

Fußnoten

Geschichte der neueren Philosophie, Ludwig Feuerbach

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849612504

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Ludwig Feuerbach – Biografie und Bibliografie

Berühmter Philosoph, geb. 28. Juli 1804 in Landshut, gest. 13. Sept. 1872 auf dem Rechenberg bei Nürnberg, hatte während seiner Gymnasialzeit in Ansbach eine entschieden religiöse Richtung, studierte in Heidelberg Theologie, ward durch Daubs Vorlesungen für die Philosophie Hegels gewonnen, ging, um letzteren zu hören, 1824 nach Berlin, habilitierte sich 1828 zu Erlangen als Privatdozent der Philosophie, machte jedoch als Dozent wenig Glück und wurde als entschiedener Hegelianer angefeindet. Seine anonym erschienene Schrift »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit« (Nürnb. 1830; 3. Aufl., Leipz. 1876; neu hrsg. von Jodl, Stuttg. 1903), in der er eine Religion, die sich ein Jenseits als Ziel setze, einen Rückschritt nannte und den Glauben an die Unsterblichkeit psychologisch erklärte, wurde konfisziert, sein Gesuch um eine außerordentliche Professur wiederholt (zuletzt 1836) abgeschlagen, Aussichten auf eine Professur an andern Universitäten erfüllten sich auch nicht, so dass er die akademische Laufbahn verließ, um sich nach Ansbach und (seit 1836) auf das drei Stunden von diesem entfernte Schloss Bruckberg in literarische Einsamkeit zurückzuziehen. Hier, wo er 1837 mit seiner treuen Lebensgefährtin Berta Loew, die daselbst Mitbesitzerin einer Fabrik war, eine glückliche Ehe schloss, sind in ländlicher Muße bis zum Jahr 1860, wo er auf den bei Nürnberg gelegenen Rechenberg übersiedelte, fast alle seine Hauptwerke entstanden. Nachdem er bereits unter dem unpassenden Titel: »Abälard und Heloise« (Ansb. 1833; 4. Aufl., Leipz. 1889) in humoristisch-philosophischen Aphorismen eine Parallele zwischen der realen und idealen Seite des Lebens veröffentlicht hatte, begann er mit seiner »Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie« (Ansb. 1833–1837, 2 Bde.), die sich, wie seine »Kritiken auf dem Gebiete der Philosophie« (das. 1835), durch klassische Schärfe der Charakteristik auszeichnete, den Kampf der Vernunft gegen die Theologie, des Wissens gegen den Glauben, den er im dritten Band: »Pierre Bayle nach seinen für die Geschichte der Philosophie und der Menschheit interessantesten Momenten« (das. 1838) in pikanter Weise fortsetzte, und wobei dieser selbst wie die vorgenannten Denker seinen persönlichen Ansichten zur Folie dienten. Seit 1837 trat er in Verbindung mit Ruge und den »Halleschen Jahrbüchern«, später »Deutschen Jahrbüchern«, wodurch sich sein Bruch nicht nur mit der Theologie, sondern auch mit der Hegelschen Philosophie vollzog, die er in Naturalismus umbildete, obgleich er Hegel noch in der Schrift »Über Philosophie und Christentum« (Ansb. 1839) gegen die »fanatischen Verketzerer aller Vernunfttätigkeit« in Schutz nahm. In der Schrift »Zur Kritik der Hegelschen Philosophie« (1839) erklärte er alle Spekulation, die über die Natur und den Menschen hinaus will, mit dürren Worten für »Eitelkeit«, den absoluten Geist für eine »Schöpfung des subjektiven Menschengeistes«; in der Rückkehr zur Natur fand er die einzige »Quelle des Heils«. In seinem Hauptwerk: »Das Wesen des Christentums« (Leipz. 1841, 4. Aufl. 1883; neu hrsg. von Bolin, Stuttg. 1903), zeigte sich der Zerfall mit der ganzen christlichen Philosophie. Der Satz, den auch Schleiermacher gelegentlich aufstellt, dass der angeblich nach Gottes Ebenbild geschaffene Mensch vielmehr umgekehrt das Göttliche nach seinem eignen Ebenbild schaffe, wird hier zum Ausgangspunkt der Naturgeschichte des Christentums. Die Theologie wird zur Anthropologie, die F. allmählich für die Universalphilosophie ansah. F. erklärt die Religion für einen Traum des Menschengeistes, Gott, Himmel, Seligkeit für durch die Macht der Phantasie realisierte Herzenswünsche; was der Mensch Gott nenne, sei das Wesen des Menschen ins Unendliche gesteigert und als selbständig gegenübergestellt; homo homini deus! Zur Ergänzung ließ er dem »Wesen des Christentums« die Schrift »Das Wesen der Religion« (Leipz. 1845), mehrere Aufsätze in den »Deutschen Jahrbüchern«, das Schriftchen »Das Wesen des Glaubens im Sinn Luthers« (Leipz. 1844, 2. Aufl. 1855) und die »Vorlesungen über das Wesen der Religion« (zuerst im Druck erschienen das. 1851, neue Ausg. 1892) folgen, die sämtlich »die Aufgabe der neuern Zeit, die Verwandlung und Auflösung der Theologie in die Anthropologie«, zu fördern bestimmt waren. Die »Vorlesungen« wurden ursprünglich im Winter 1848/49 zu Heidelberg infolge einer an F. von Seiten der dortigen Studentenschaft ergangenen Einladung gehalten und bezeichneten, wie das »tolle Jahr« selbst, einen Wendepunkt in Feuerbachs Leben. Er zog sich von nun an von dem öffentlichen Leben in philosophische Einsamkeit zurück und wandelte seinen anthropologischen Naturalismus in Materialismus um. Das Werk »Theogonie, oder von dem Ursprung der Götter nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums« (Leipz. 1857, 2. Aufl. 1866), das den Grundgedanken der Vorlesungen über das Wesen der Religion, dass die Götter »personifizierte Wünsche« seien, wiederholt, erregte nicht entfernt mehr das Aufsehen seiner literarischen Vorläufer. Der Materialismus hat bei ihm seinen stärksten Ausdruck erhalten in einer bekannten Rezension von Moleschotts »Lehre der Nahrungsmittel für das Volk« (1850) mit dem Worte: »Der Mensch ist, was er ißt«. Diese letzte Gestalt seiner Philosophie enthält Feuerbachs letztes Werk, dessen Titel und Resultat jenem seines ersten verwandt, dessen philosophischer Standpunkt aber das gerade Gegenteil jenes des ersten ist, die Schrift »Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit vom Standpunkt der Anthropologie« (Leipz. 1866, 2. Aufl. 1890). In seinen letzten Lebensjahren (1868 und 1869) schrieb er ethische Betrachtungen nieder, die unvollendet geblieben und erst aus seinem Nachlass herausgegeben worden sind. Feuerbachs äußere Verhältnisse hatten sich trübe gestaltet; 1860 verlor er durch unverschuldete Unglücksfälle seine liebgewordene Heimat auf dem Bruckberger Schloss sowie die bescheidene Rente, die bis dahin dem Philosophen ein beschränktes, aber unabhängiges Einkommen[498] gesichert hatte. Die Existenz auf dem Rechenberg bei Nürnberg (1860–72) wurde durch zahlreiche Beweise von Freundschaft, die ihm aus allen Ländern und aus allen Ständen (auch aus dem Bauernstand) zukamen, verschönert. Dass der als Materialist verrufene Philosoph des Humanismus als Mensch reiner Idealist, human im besten Sinne des Wortes war, dafür legen sein echt deutsches Familienleben, seine rührende Liebe zur Gattin und (einzigen) Tochter Eleonore und seine Wahrheits- und Menschenliebe atmende Korrespondenz Zeugnis ab. Feuerbachs sämtliche Werke sind (Leipz. 1846–66) in 10 Bänden erschienen, neu herausgegeben von Bolin u. Jodl (Bd. 1 u. 6, Stuttg. 1903). Besonders in den 1840er Jahren hat F. großen Einfluss ausgeübt; seine Anschauungen über Religion und ihren Ursprung sind auch jetzt noch von Bedeutung. Vgl. K. Grün, Ludwig F., in seinem Briefwechsel und Nachlass dargestellt (Leipz. 1874, 2 Bde.); »Briefwechsel zwischen L. F. und Christian Kapp, 1832 bis 1848« (das. 1876); Starcke, Ludwig F. (Stuttg. 1885); Engels, L. F. und der Ausgang der klassisch-deutschen Philosophie (das. 1888); Bolin, L. F., sein Wirken und seine Zeitgenossen (das. 1891).

Geschichte der neueren Philosophie von Bacon von Verulam bis Benedikt Spinoza

Einleitung

§ 1.

Das Wesen des Heidentums war die Einheit von Religion und Politik, Geist und Natur, Gott und Mensch. Aber der Mensch im Heidentum war nicht der Mensch schlechtweg, sondern der nationell bestimmte Mensch: der Grieche, der Römer, der Ägyptier, der Jude, folglich auch sein Gott ein nationell bestimmtes, besonderes, dem Wesen oder Gotte anderer Völker entgegengesetztes Wesen – ein Wesen also im Widerspruch mit dem Geiste, welcher das Wesen der Menschheit und als ihr Wesen die allgemeine Einheit aller Völker und Menschen ist.

Die Aufhebung dieses Widerspruchs im Heidentum war die heidnische Philosophie; denn sie riß den Menschen heraus aus seiner nationellen Abgeschlossenheit und Selbstgenügsamkeit, erhob ihn über die Borniertheit des Volksdünkels und Volksglaubens, versetzte ihn auf den kosmopolitischen Standpunkt.1 Sie war daher als die das beschränkte Volksbewußtsein zum allgemeinen Bewußtsein erweiternde Macht des denkenden Geistes gleichsam das verhängnisvolle Fatum über den Göttern des Heidentums und der geistige Grund des Untergangs der heidnischen Volksbesonderheiten als weltbeherrschender göttlicher Mächte. Aber die Philosophie hob diesen Widerspruch nur im Denken, nur also auf abstrakte Weise auf.

Seine wirkliche Lösung fand dieser Widerspruch erst im Christentum; denn in ihm wurde der Logos sarx, d.h. die allgemeine Vernunft, das alle Völker und Menschen umfassende, alle feindseligen Differenzen und Gegensätze zwischen den Menschen auflösende, allgemeine und reine, deshalb mit dem göttlichen Wesen identische Wesen der Menschheit Gegenstand unmittelbarer Gewißheit – Gegenstand der Religion. Christus ist nichts anderes als das Bewußtsein des Menschen von der Einheit seines Wesens mit dem göttlichen Wesen, ein Bewußtsein, welches, als die Zeit gekommen war, weltgeschichtliches Bewußtsein zu werden, sich als unmittelbare Tatsache aussprechen, in eine Person sich zusammenfassen, zunächst als ein Individuum sich verwirklichen, und der ganzen, noch in der Finsternis des alten Widerspruchs der Volkspartikularitäten liegenden Welt als Schöpfer eines neuen Weltalters entgegensetzen mußte.

Im Christentum wurde darum Gott als Geist Gegenstand des Menschen; denn erst Gott in dieser Reinheit und Allgemeinheit gefaßt, in der er im Christentum gefaßt wurde, erst das allgemeine, von aller nationellen und sonstigen natürlichen Differenz und Besonderheit gereinigte Wesen ist Geist. Der Geist aber wird nicht im Fleische, sondern nur im Geiste ergriffen. Mit dem Christentum war daher zugleich der Unterschied zwischen Geist und Fleisch, Sinnlichem und Übersinnlichem gesetzt – ein Unterschied, der aber, als die Momente des Christentums in der Geschichte zu bestimmter Entwickelung kamen, sich bis zum Gegensatze, ja Zwiespalt von Geist und Materie, Gott und Welt, Übersinnlichem und Sinnlichem steigerte. Und da in diesem Gegensatze das Übersinnliche als das nur Wesenhafte, das Sinnliche als das nur Unwesenhafte bestimmt ward, wurde das Christentum in seiner geschichtlichen Entwickelung zu einer antikosmischen und negativen, von der Natur, dem Menschen, dem Leben, der Welt überhaupt, und nicht etwa dem Eitlen, sondern dem Positiven der Welt abziehenden, ihr wahres Wesen verkennenden und verneinenden Religion.

§ 2.

Als dieser negativ religiöse Geist sich als das wahre, absolute Wesen, vor dem alles andere als ein Eitles und Nichtiges verschwinden müsse, geltend machte, herrschender Zeitgeist wurde, war es daher eine unausbleibliche Folge, daß nicht nur die Kunst und die schönen Wissenschaften, sondern überhaupt die Wissenschaften an und für sich zugrunde gingen. Nicht die vielen Kriege und Stürme damaliger Zeiten, nicht die natürliche Roheit damaliger Völker, nur jene negativ religiöse Tendenz war der eigentliche, wenigstens geistige Grund ihres Verfalls und Untergangs, denn für den Geist von dieser Tendenz subsumieren sich selbst die Künste und Wissenschaften unter den Begriff eines nur Eitlen und Weltlichen, eines bloßen Menschentandes.2

Besonders war es auch die Natur, die bei der Herrschaft jener Tendenz in die Nacht der Vergessenheit und Ignoranz sinken mußte. Wie konnte der beschränkte, der nur in seinem von dem Wesen der Welt abgezogenen Gotte lebende Christ einen Sinn für die Natur und ihr Studium haben? Die Natur, deren wesentliche Form die Sinnlichkeit ist, die er gerade als das zu Verneinende, als das vom Göttlichen Abziehende faßte, hatte für ihn nur die Bedeutung eines Endlichen, Eitlen, Wesenlosen. Wie kann aber der Geist sich auf das konzentrieren, das zum Gegenstande ernster, anhaltender Beschäftigung machen, was ihm nur die Bedeutung eines Endlichen und Eitlen hat? Was hat es überdem für ein Interesse, die zeitliche Kreatur, das elende Geschöpf zu erkennen, wenn man den Schöpfer kennt? Wie kann der, der im vertrauten Umgange mit dem Herrn lebt, sich so herabwürdigen, in dasselbe Verhältnis zu seiner Dienstmagd zu treten? Und was hatte auf jenem Standpunkte negativer Religiosität die Natur für eine andere Stellung und Bedeutung als die einer Dienstmagd Gottes? Die theologisch teleologische Betrachtungsweise der Natur ist die einzige diesem Standpunkte gemäße, aber eben diese ist keine objektive, physikalische, in die Natur selbst eindringende Betrachtungsweise derselben.

Die Natur war daher dem menschlichen Geiste auf jenem Standpunkte wie aus den Augen verschwunden. Gleichwie in die geweihten Andachtsstätten jener Zeiten das Licht nicht durch ein rein durchsichtiges Medium, sondern durch buntbemalte Fenster getrübt fiel, gleich als wäre das reine Licht für die fromme, von der Welt und Natur sich zu Gott hinwendende Gemeinde etwas Abziehendes und Störendes, gleich als könnte sich nicht das Licht der Natur mit dem Lichte der Andacht vertragen, nur im Dunkel, nur in der Verschleierung der Natur der Geist in die Lichtflamme der Andacht auflodern, so fiel selbst da noch in jenen Zeiten, wo der Geist wieder zum Denken erwachte, den Blick auf die Natur wieder richtete, das Licht der Natur nur getrübt und gebrochen durch das Medium der aristotelischen Physik in den Menschen, weil er, von jener negativen Religiosität beherrscht und bestimmt, sich gleichsam scheute, die eigenen Augen aufzutun und mit eigener Hand die verbotene Frucht vom Baume der Erkenntnis zu brechen.

Wenngleich einzelne im Mittelalter sich besonders eifrig mit dem Studium der Natur beschäftigten, wenngleich überhaupt sogenannte weltliche Gelehrsamkeit noch in Klöstern und Schulen sich erhielt und geschätzt wurde3, so blieben doch immer die Wissenschaften eine untergeordnete Nebenbeschäftigung des menschlichen Geistes, hatten nur eine kümmerliche, beschränkte Bedeutung und mußten sie so lange haben, als der religiöse Geist die oberste geschichtliche Behörde, die Legislativgewalt, und die Kirche seine Exekutivgewalt war.

§ 3.

Die einzige, dem exklusiv religiösen Geiste immanente, d. i. von ihm unabweisbare, seinem Wesen konforme Wissenschaft war die Theologie, in der der Glaubensinhalt vor das Bewußtsein des Verstandes gebracht, von ihm zergliedert, bestimmt, geordnet und beleuchtet wurde. Indem aber mit dem Bestimmen des Glaubensinhaltes durch Gedanken dieser Inhalt Objekt des denkenden Bewußtseins wurde, Objekt des analytischen, auflösenden Verstandes, wurde mit ihm zugleich das denkende Bewußtsein unabhängig von dem Stoffe des Glaubens sich selbst Objekt, innerhalb des Inhalts des Glaubens zugleich der Gedanke als solcher Gegenstand, und die Theologie ging so über in Philosophie. Da aber das Denken gleichsam nur so unter der Hand getrieben wurde, weil es kein öffentliches Privilegium hatte, d.h., in dem religiösen Prinzip, das für das oberste Prinzip, für die letzte, höchste Autorität galt, nicht sanktioniert war und die Gegenstände der Dogmatik, des kirchlichen Lehrbegriffs der terminus a quo und ad quem, das non plus ultra, die letzte Grenze des menschlichen Geistes waren, wenngleich einzelne sie übersprangen4, so blieb der Inhalt der Theologie immer noch der Hauptinhalt des denkenden Geistes, und die Philosophie als solche konnte für ihn im wesentlichen nur eine überlieferte sein, es mußte ihr daher auch jene freie Produktivkraft, jene grundschöpferische Tätigkeit, jene Autopsie der Natur und Autonomie der Vernunft, welche die Philosophie Griechenlands und der neuern Zeit auszeichneten und den eigentümlichen Charakter der Philosophie überhaupt konstituieren, abgehen. Daher jener Geist der Abstraktion, jene logisch metaphysische Denkart, die allein das Wesen und den Geist der sogenannten scholastischen oder scholastisch aristotelischen Philosophie ausmachte; denn wurden gleich außer der damaligen Logik und Metaphysik auch noch andere philosophische Wissenschaften gepflegt, so war doch der Geist, in dem alles behandelt und betrachtet wurde, der formelle, der logisch metaphysische Geist. Daher die langweilige Einförmigkeit und Gleichheit ihrer Geschichte, welche nicht durch qualitative, Schlag auf Schlag sich einander folgende und erst durch diese lebendige Sukzession eine eigentliche Geschichte begründende Differenzen in ihrem trägen Laufe unterbrochen ist wie die Geschichte der alten und neuern Philosophie und daher einem stehenden Wasser gleicht, wenn jene einem reißenden Strome. Daher jene aller höhern Genialität und Originalität ermangelnde Beschränktheit des Geistes und Geschmacklosigkeit in Ansehung der Form; daher der gänzliche Mangel an Prinzipien die die organisierenden und belebenden Seelen eines mit sich kohärenten und übereinstimmenden Ganzen wären, und der daraus hervorgehende, ohne Notwendigkeit, ohne ein bestimmendes und beschränkendes Maß bis ins Unendliche fort rastlos teilende und atomisierende Distinktionsgeist, der endlich zu einem bloßen Formalismus, zur Auflösung alles Inhaltes, einer völligen Leere und einem damit verbundenen Ekel und Widerwillen an der Scholastik führen mußte.

§ 4.

Als der negativ religiöse Geist in der Kirche sich zu einer weltbeherrschenden Macht erhoben, die anfangs nur innerliche, in der Gesinnung existierende Verkennung und Verachtung alles sogenannten Weltlichen endlich bis zur weltlichen, gewaltsamen Unterdrückung des Weltlichen gesteigert, selbst die Oberherrschaft der Kirche, als des Inbegriffs des Geistlichen, über den Staat, als den Inbegriff des Weltlichen, sich angemaßt hatte, bestand seine Negativität gegen Künste und Wissenschaften näher darin, daß er sie band und gefangennahm, sie nicht frei gewähren, ihnen keine Selbständigkeit angedeihen ließ, sondern sich ihrer nur als Mittel einerseits zu seiner Verherrlichung, andererseits zu seiner Befestigung bediente. Allein gerade diese scheinbar nur dienstfertigen Geister führten notwendig den Sturz der Herrschaft jenes negativ religiösen Geistes und seiner äußern Existenz, der Kirche, von innen aus herbei, ein Sturz, der die unvermeidliche Folge eben dieser seiner beschränkten Einseitigkeit, seiner unterdrückenden Negativität war.

Obgleich nämlich die scholastische Philosophie im Dienste der Kirche stand, inwiefern sie ihre Sätze anerkannte, bewies und verteidigte, ging sie doch hervor aus einem wissenschaftlichen Interesse, weckte und erzeugte sie doch freien Forschungsgeist. Sie machte die Gegenstände des Glaubens zu Gegenständen des Denkens, hob den Menschen aus der Sphäre des unbedingten Glaubens in die Sphäre des Zweifels, der Untersuchung, des Wissens, und indem sie die Sachen des bloßen Autoritätsglaubens zu beweisen und durch Gründe zu bekräftigen suchte, begründete sie gerade dadurch, größtenteils wohl wider Wissen und Willen, die Autorität der Vernunft und brachte sie so ein anderes Prinzip in die Welt, als das der alten Kirche war, das Prinzip des denkenden Geistes, das Selbstbewußtsein der Vernunft, oder bereitete sie es doch wenigstens vor.5 Selbst die Mißgestalt und Schattenseite der Scholastik, die vielen absurden Quästionen, auf die die Scholastiker zum Teil verfielen, selbst ihre tausendfältigen, unnötigen und zufälligen Distinktionen, ihre Kuriositäten und Subtilitäten müssen aus einem vernünftigen Prinzipe, aus ihrem Lichtdurste und Forschungsgeiste, der sich aber eben in jenen Zeiten und unter der drückenden Herrschaft des alten Kirchengeistes nur so und nicht anders äußern konnte, abgeleitet werden. Alle ihre Quästionen6 und Distinktionen waren nichts anderes als mühsam eingegrabene Ritze und Spalten in dem alten Gemäuer der Kirche, um zum Genusse des Lichtes und frischer Luft zu gelangen, nichts anderes als Äußerungen eines Tätigkeitstriebes des denkenden Geistes, der, wenn er entzogen dem Kreise vernünftiger Gegenstände und angemessener Beschäftigungen in einem Gefängnisse eingesperrt ist, jeden Gegenstand, den er eben zufällig findet, er sei auch noch so geringfügig, noch so unwürdig der Aufmerksamkeit, zu einem Objekte seiner Beschäftigung macht, aus Mangel an Mitteln selbst auf die an sich absurdeste, kindischste und verkehrteste Weise seinen Tätigkeitstrieb befriedigt. Erst da, wo die Scholastik selbst nur noch eine tote historische Reliquie war, schmolz sie ganz im Widerspruch mit ihrer ursprünglichen Bedeutung und Bestimmung mit der Sache des alten Kirchentums in eins zusammen und wurde sie die heftigste Gegnerin des erwachten besseren Geistes.7

§ 5.

Wie die scholastische Philosophie, so erzeugte auch die Kunst, obwohl auch sie zunächst nur im Dienste der Kirche stand, von ihr nur als ein Erbauungs- oder Verherrlichungsmittel der Kirche angesehen wurde, das dem antikosmisch religiösen Geiste entgegengesetzte Prinzip. Die Stellung eines dienenden Mittels konnte die Kunst nur so lange haben, als sie unvollkommen war, aber nicht auf dem Gipfel ihrer Vollendung.8 Denn diente sie auch gleich da noch zum Teil und äußerlich Zwecken der Kirche, hatte sie auch da noch die Gegenstände des kirchlichen Glaubens hauptsächlich zu ihrem Objekte, so wurde doch jetzt das Schöne als solches Gegenstand des Menschen, es trat das künstlerische Interesse als solches, als Selbstzweck hervor; es erwachte das unabhängige, das lautere, durch keine fremden Beziehungen getrübte Gefühl der reinen Schönheit und Menschlichkeit, es bekam jetzt wieder der Mensch in der Anschauung der herrlichen Schöpfungen seines Geistes Selbstgefühl, das Bewußtsein seiner Selbständigkeit, seines geistigen Adels, seiner immanenten, seiner Natur eingeborenen Gottähnlichkeit, Sinn für die Natur und ihr Studium, Beobachtungsgabe, eine richtige Anschauung des Wirklichen und die Anerkennung von der Realität und Wesenhaftigkeit alles dessen, was von dem negativ religiösen Geiste als ein nur Eitles und Ungöttliches bestimmt war. Die Kunst war daher die reizende Maja, welche dem finstern Geiste der Kirche wie einst dem alten Brahma seine Melancholie und Misanthropie aus dem Kopfe trieb, die scheinheilige Verführerin, die den Menschen auf die obersten Zinnen der Kirche führte, um hier seiner beengten und gepreßten Brust freien Atem zu verschaffen, ihn die frischen Himmelsdüfte rein menschlicher Gefühle und Anschauungen einsaugen zu lassen und ihm die reizende Aussicht in die Herrlichkeiten der irdischen Welt zu eröffnen und eine andere Welt, die Welt der Freiheit, Schönheit, Humanität und Wissenschaft, aufzuschließen.9 Sowenig der Baum, der auf einem Kirchturme steht, aus seinem harten Gesteine entsprossen ist, sowenig kam die Kunst aus der Kirche und ihrem Geiste; der schlaue Vogel des Verstandes trug das Samenkorn auf sie hinauf; als es aufging und zum Pflänzchen gedieh, war es freilich noch unschädlich, als es aber groß, als es Baum wurde, zersprengte es den alten Kirchturm.

Gerade also die scheinbar nur dienstbaren Geister des negativ religiösen Geistes waren es, die ein ihm entgegengesetztes Prinzip aus ihm erzeugten, nämlich den rein menschlichen, freien, selbstbewußten, alliebenden, alles umfassenden, allgegenwärtigen, den universellen, den denkenden, wissenschaftlichen Geist, der den negativ religiösen Geist degradierte, vom Throne seiner Weltherrschaft stürzte, in die Grenzen eines engen, jenseits des sich fortbewegenden Stromes der Geschichte liegenden Gebiets verwies und sich dafür zum Prinzipe und Wesen der Welt machte, zum Prinzipe der neuern Zeit.

§ 6.

Was als ein neues Prinzip in die Welt tritt, muß sich zugleich als ein religiöses Prinzip aussprechen; nur dadurch schlägt es als ein zerschmetternder und erschreckender Blitz in die Welt ein, denn nur dadurch wird es eine gemeinsame, die Gemüter beherrschende Weltsache. Nur dadurch, daß das Individuum, durch welches sich der Geist ins Werk setzt, diesen Geist in Gott erkennt, seine Tat, seinen Abfall von dem frühern Prinzip, welches sich gleichfalls als Religion aussprach, als eine göttliche Notwendigkeit, als einen religiösen Akt anschaut, bekommt es jenen unwiderstehlichen Mut, vor dem alle äußere Gewalt als ein Machtloses verschwindet. Der Protestantismus ist das neue Prinzip, wie es sich als religiöses Prinzip aussprach. Derselbe Geist, der die scholastische Philosophie, inwiefern sie ein Befreiungsmittel von äußerer Autorität und bloßem positiven Kirchenglauben war, hervorrief; der in der Kunst die Idee der Schönheit in ihrer Unabhängigkeit und Selbständigkeit zur Wirklichkeit und dem Menschen seine göttliche Produktivkraft zur Anschauung brachte; der die alten, vom negativ religiösen Geiste in die Hölle verstoßenen und verdammten Heiden wieder zum Leben erweckte und bewirkte, daß die Christen sie als ihre nächsten Blutsverwandten, die sie nach langer schmerzlicher Trennung endlich wiedergefunden, erkannten und umarmten; der das freie bürgerliche Leben erzeugt hatte, wodurch praktischer Weltsinn, sinnreich erfinderische, mit der Gegenwart versöhnende, das Leben verschönernde und veredelnde, das Selbstbewußtsein des Menschen erhöhende und erweiternde Tätigkeit und Regsamkeit sich entfaltete; der in den Kämpfen der Fürsten gegen die anmaßende Herrschaft der Hierarchie die absolute Spontaneität, Autonomie und Autarkie des Staates und folglich seines Oberhauptes, in dem er in eine Person sich konzentriert, errang; derselbe und kein anderer Geist, der Geist, der sich in dem Individuum als Unabhängigkeits- und persönliches Freiheitsgefühl äußert, der ihm das Bewußtsein oder Gefühl von der seinem Wesen eingeborenen Göttlichkeit gibt und dadurch die Kraft, keine äußere, das Gewissen bindende Macht anzuerkennen, aus sich selbst zu entscheiden und zu bestimmen, was für ihn die bindende Macht der Wahrheit sein soll, dieser und kein anderer Geist, sage ich, ist es, welcher auch den Protestantismus hervorrief, der daher nur als eine besondere, eine partikuläre Erscheinung von ihm anzusehen ist.10 Da der Protestantismus aus dem Wesen desselben Geistes hervorging, aus welchem die neuere Zeit und Philosophie entsprang, so steht er zu dieser in der innersten Beziehung, obgleich natürlich ein spezifischer Unterschied zwischen der Art, wie der Geist der neuern Zeit sich als religiöses Prinzip, und der Art, wie er sich als wissenschaftliches Prinzip verwirklichte, stattfindet. Wenn es bei Cartesius heißt: Ich denke, ich bin, d.h. mein Denken ist mein Sein, so heißt es dagegen bei Luther: Mein Glauben ist mein Sein. Wie jener die Einheit von Denken und Sein und als diese Einheit den Geist, dessen Sein nur das Denken ist, erkennt und als Prinzip der Philosophie setzt, so erfaßt dagegen dieser die Einheit von Glauben und Sein und spricht diese als Religion aus.11 Wie ferner das Prinzip der neuern Zeit, wie es sich als Philosophie aussprach, mit dem Zweifel an der Realität und Wahrheit der sinnlichen Existenz anhob, so begann eben dasselbe, wie es als religiöser Glaube sich aussprach, mit dem Zweifel an der Realität einer historischen Existenz, an der Autorität der Kirche. Und eben diese intensive Geistesstärke, diese Gewißheit des Geistes von seiner Objektivität ist es, die den Protestantismus in eine nahe Verwandtschaft mit der neuern Philosophie setzt.

In dem Protestantismus wurde daher sozusagen der logos des Christentums erst sarx, wurde der logos, der in der früheren Zeit endiathetos, verborgener, abgezogener, jenseitiger war, prophorikos, Weltgeist, d.h., in ihm verlor das Christentum seine Negativität und Abgezogenheit, wurde es im Menschen, als eins mit ihm erfaßt, als identisch mit seinem eigenen Wesen, Willen und Geiste, als nicht beschränkend und verneinend die wesentlichen Bedürfnisse seines Geistes und seiner Natur.12

Das Prinzip des denkenden Geistes, auf dem der Protestantismus beruht und aus dem er hervorging, offenbart sich in ihm näher darin, daß er mit jener Einsicht und Kritik, die allein Sache des Denkens ist, das Unwesentliche von dem Wesentlichen, das Willkürliche von dem Notwendigen, das nur Historische von dem Ursprünglichen scheidend, den Inhalt der Religion vereinfachte, auf seine einfachen, wesentlichen Bestandteile analysierend zurückführte, die frühere bunte, zerstreuende Vielheit und Mannigfaltigkeit von religiösen Gegenständen auf einen Gegenstand reduzierte und durch diese Reduktion auf die Einheit, durch diese Hinwegräumung aller die Aussicht des Menschen verhindernden Gegenstände den Blick in die Nähe und Ferne erweiterte, dem Denken Raum machte; daß er die Religion von einer Menge sinn-und vernunftloser Äußerlichkeiten befreite, sie zu einer Sache der Gesinnung, des Geistes erhob und dadurch die von der Kirche absorbierte und konsumierte Lebenskraft und Tätigkeit des Menschen wieder dem Menschen, vernünftigen, reellen Zwecken, der Welt und Wissenschaft zuwandte und in dieser Emanzipation des Menschen die weltliche Macht statt der Kirche als bestimmende, gesetzgebende Autorität anerkannte. Es war daher auch keineswegs nur Folge äußerer Umstände und Verhältnisse, es war eine innere, im Protestantismus selbst gelegene Notwendigkeit, daß sich in ihm erst die Philosophie der neuern Zeit welthistorisch bedeutsames Dasein gab und zu freier, fruchtbarer, immer weiterschreitender Entwickelung heranwuchs. Denn die Reduktion der Religion auf ihre einfachen Elemente, die der Protestantismus einmal begonnen, aber bei der Bibel abgebrochen hatte, mußte notwendig weiter fortgesetzt und bis auf die letzten, ursprünglichen, übergeschichtlichen Elemente, bis auf die sich als den Ursprung wie aller Philosophie so aller Religion wissenden Vernunft13zurückgeführt werden, mußte daher notwendig aus dem Protestantismus die Philosophie als seine wahre Frucht erzeugen, die sich freilich sehr von ihrem Samenkorne unterscheidet und für das gemeine Auge, das nur nach äußern Zeichen und handgreiflichen Ähnlichkeiten die innere Verwandtschaft bemißt, in keiner innern wesentlichen Beziehung zu ihm steht.

§ 7.

Ehe aber der neuerwachte denkende, selbstbewußte Geist zu der Kraft und Fähigkeit kam, aus sich selbst zu schaffen, aus sich selbst neuen Stoff und Inhalt zu schöpfen, mußte er erst empfangend sich verhalten und eine empfangene, schon fertige und vollbrachte Welt, in der ihm schon als Wirklichkeit entgegentrat, was in ihm nur noch als Streben und Verlangen vorhanden war, als belebenden, entwickelnden und bildenden Stoff in sein Wesen verwandeln. Wie die erste Anschauung des Menschen von sich die Anschauung seiner als eines andern ist, d.h., er zuerst nur in einem andern, ihm gegenständlichen Menschen den Menschen, sein Wesen und damit sich selbst anschaut und erkennt, der Mensch daher nur an einem andern, der seinesgleichen und seines Wesens ist, zu seinem Selbstbewußtsein gelangt, so gelangte der menschliche Geist auch in neuerer Zeit nur durch die Anschauung seiner als eines Objektes, d. i. die Erkenntnis und Assimilation des ihm im Innersten verwandten Geistes der Werke des klassischen Altertums zum Selbstbewußtsein und damit zur Produktivität. Ehe er produktiv wurde, mußte er in sich eine Welt reproduzieren, die seines Geistes, seines Wesens und Ursprungs war. Plato, Aristoteles und die übrigen philosophischen Systeme und sonstigen Werke der klassischen Welt wurden nur deswegen mit so großem Enthusiasmus aufgenommen, mit solchem Heißhunger verschlungen und assimiliert, weil die von diesem Enthusiasmus ergriffenen Geister die Befriedigung ihres eigenen innersten Geistesbedürfnisses in ihnen fanden, die Erlösung und das Auferstehungsfest ihrer eigenen Vernunft in ihnen feierten, weil der neu erwachte freie, universelle, denkende Geist in jenen Werken die Produkte seiner selbst erkannte.14 Nur durch diese Anschauung und Aneignung einer Welt, die dem Geiste, obwohl eine objektive, eine gegebene Welt, ein überliefertes Wort, doch ein aus der Seele gesprochenes Wort war, das vollkommen das sagte, was er selbst auf dem Herzen hatte und sagen wollte, aber noch nicht die Kraft und Kunst hatte, selbst zu sagen, kam er zu sich selbst, stieg er in seine eigene Tiefe hinab, zu jener innersten Einheit mit sich selbst, die allein die Quelle der Selbsttätigkeit und Produktivität ist; denn ein produzierender Geist ist eben nur der, welcher nicht bei einem gegebenen Stoffe stehenbleibt, sich nicht in einer überkommenen Welt, die, wenn er sie auch als die seinige empfindet und erkennt, doch immer noch eine andere und äußere bleibt und insofern außer sich selbst befindet, sondern mit sich selber eins geworden ist.

§ 8.

Als der denkende, freie, universelle Geist wieder erwacht war und sich objektives Dasein gab, war es eine notwendige Folge, daß wie die alte heidnische Welt, so auch vor allem die Natur wieder zu Ehren kam, die elende Stellung einer bloßen Kreatur verlor und in ihrer Herrlichkeit und Erhabenheit, in ihrer Unendlichkeit und Wesenhaftigkeit zur Anschauung kam. Die Natur, die im Mittelalter einerseits in die Nacht gänzlicher Ignoranz und Vergessenheit versunken, andererseits nur mittelbar, durch das trübe Medium einer überlieferten und überdies noch übelverstandenen Physik Gegenstand war, wurde daher jetzt wieder unmittelbarer Gegenstand der Anschauung, ihre Erforschung ein wesentliches Objekt der Philosophie und die Erfahrung, weil die Philosophie oder Erkenntnis der Natur als eines vom Geiste unterschiedenen Wesens keine unmittelbare, mit dem Geiste identische, sondern durch Versuche, sinnliche Wahrnehmung und Beobachtung, d. i. die Erfahrung bedingte und vermittelte Erkenntnis ist, eine Sache der Philosophie selbst, eine allgemeine wesentliche Angelegenheit der denkenden Menschheit.15

Die Naturwissenschaften bekamen erst in neuerer Zeit welthistorische Bedeutung, bildeten erst in ihr eine zusammenhängende Geschichte, eine fortlaufende Reihe von Entdeckungen und Erfindungen. Eine Sache tritt aber nur dann erst in welthistorische Bedeutung und Wirksamkeit, wird erst dann mit wahrem Erfolge betrieben und bringt erst dann eine zusammenhängende, qualitativ fortschreitende, mit innerer Notwendigkeit vor sich gehende Geschichte hervor, wenn sie ein objektives Weltprinzip zu ihrem Grunde hat, denn nur dann ist sie notwendig, und diese objektive Notwendigkeit allein ist der Grund, daß sie in produktiver, frucht- und erfolgreicher Entwickelung fortschreitet, eben weil sie nicht von bloß subjektiven Bestrebungen und partikulären Neigungen ausgeht und abhängt. Dieses objektive Geistes- und Weltprinzip der neuern Zeit, in dem die Notwendigkeit und der Grund der neuern Erfahrungswissenschaften lag, war aber im allgemeinen kein anderes als eben der zur Selbständigkeit und zum freien Bewußtsein gelangte denkende Geist.

Die Erfahrung (im Sinne wissenschaftlicher Erfahrung, nicht im Sinne der Erfahrung, die eins mit dem Leben, Erleben ist) ist nämlich nicht, wie man es sich bisweilen vorzustellen pflegt, ein unmittelbar sich von sich selbst ergebender und verstehender, ein kindlicher, ebensowenig ein ursprünglicher, durch sich selbst begründeter, sondern wesentlich ein bestimmtes Geistesprinzip als seinen Grund voraussetzender Standpunkt. Der Standpunkt der Erfahrung setzt, wie sich von selbst versteht, zunächst den Trieb voraus, die Natur erkennen und ergründen zu wollen, ein Trieb, der selbst wieder hervorgeht aus dem Bewußtsein über den Zwiespalt von Sein und Schein, aus dem Zweifel, daß die Dinge so sind, wie sie erscheinen, daß das Wesen der Natur so geradezu und ohne weiteres bei der Hand ist und in die Sinne fällt, setzt also Kritik, Skepsis voraus; daher auch die Anfänger der neuern Philosophie, Bacon und Cartesius, ausdrücklich mit ihr anhuben, jener, indem er zur Bedingung der Naturerkenntnis die Abstraktion von allen Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen macht, dieser in seiner Forderung, daß man im Anfange an allem zweifeln müsse. Diese Skepsis setzt aber selbst wieder voraus, daß der Geist im Menschen und mit ihm das menschliche Individuum sich im Unterschiede von der Natur erfaßt, daß der Geist eben diesen seinen Unterschied von der Natur als sein Wesen erkennt und in dieser Unterscheidung wie sich, so die Natur zum wesenhaften Objekte seines Denkens macht. Nur auf Grund dieses Prozesses hat der Mensch erst wahrhaftes Interesse, Trieb und Lust, erfahrend und erforschend an die Natur zu gehen, denn eben in dieser Unterscheidung frappiert ihn erst der Anblick der Natur wie den Jüngling der Anblick der Jungfrau, wenn er in das Bewußtsein des Unterschieds gekommen ist, ergreift ihn erst der unwiderstehliche Trieb und Reiz, sie zu erkennen, und wird die Erkenntnis der Natur sein höchstes Interesse.

Der Standpunkt der Erfahrung setzt daher als seinen Grund das Geistesprinzip voraus, das auf bestimmte, wenngleich höchst unvollkommene und subjektive Weise in Cartesius sich aussprach und vor das denkende Bewußtsein des Menschen gebracht wurde. Der geistige, der mittelbare Vater der neuern Naturwissenschaft ist daher Cartesius. Denn Bacon, obwohl er etwas früher ist und in einem sinnlich und sichtbar näheren Zusammenhang mit dem Standpunkt der Erfahrung, in einer augenscheinlicheren Beziehung zu ihm steht, setzt doch dem Wesen nach das Prinzip des selbstbewußten, sich im Unterschiede von der Natur erfassenden und sie als sein wesentliches Objekt sich gegenübersetzenden Geistes, also das Prinzip voraus, das als solches Cartesius zuerst zum Objekte der Philosophie machte. Der unmittelbare oder sinnliche Vater der neuern Naturwissenschaften ist Bacon, denn in ihm machte sich das Bedürfnis und die Notwendigkeit der Erfahrung rein für sich und unbedingt geltend, sprach sich zuerst das Prinzip der Erfahrung als Methode mit rücksichtsloser Strenge aus.16

I. Franz Bacon von Verulam

§ 9. Das Leben Franz Bacons von Verulam

Franz Bacon, Sohn Nicolaus Bacons, Großsiegelbewahrers von England, wurde in London 1561 den 22. Januar geboren. Schon in seiner frühesten Jugend verriet er Geist. Im 12. Jahre seines Lebens ging er auf die Universität Cambridge, und schon im 16. fing er an, die Mängel der damals noch allgemein herrschenden scholastischen Philosophie einzusehen. In demselben Jahre begab er sich, um sich für den Staatsdienst auszubilden, mit dem englischen Gesandten am französischen Hofe nach Paris. Während des Aufenthalts daselbst verfertigte oder entwarf er wenigstens, damals 19 Jahre alt, seine »Beobachtungen über den Zustand von Europa«. Der unerwartete Tod seines Vaters nötigte ihn aber, nach England zurückzukehren und sich zu seinem Lebensunterhalte auf das Studium des vaterländischen Rechtes zu legen. Er begab sich deswegen in das Collegium Grays-Inn, wo er dieses Studium mit großem Fleiße und glänzendem Erfolge betrieb, ohne darüber jedoch die Philosophie zu vergessen; vielmehr faßte er daselbst in den ersten Jahren seines Rechtsstudiums den Plan zu einer universellen Reform der Wissenschaften. Er erwarb sich bald einen so ausgezeichneten Namen als Rechtsgelehrter, daß ihn die Königin Elisabeth zu ihrem Rat in außerordentlichen Rechtssachen ernannte und ihm hernach noch die Anwartschaft auf eine Stelle in der Sternkammer gab. Weiter brachte er es aber nicht unter Elisabeth – offenbar eine Folge seines freundschaftlichen Verhältnisses zu dem Grafen Robert von Essex; denn durch dieses machte er sich besonders seinen ohnedies wegen seiner Talente auf ihn eifersüchtigen Vetter Robert Cecil Burleigh, der am Hofe eine einflußreiche Rolle spielte und der heftigste Feind des Grafen von Essex und seiner Freunde war, zu seinem Gegner.17 Den Vorwurf der Undankbarkeit lud Bacon bei Mit- und Nachwelt dadurch auf sich, daß er, als eben diesem Grafen von Essex als einem Staatsverbrecher der Prozeß gemacht wurde, als Rechtsanwalt der Königin es übernahm, den Prozeß zu führen und, als über die Hinrichtung dieses unglücklichen Grafen unter dem Volke der größte Unwille laut geworden war, noch überdies sich dem Auftrage der Regierung, ihr Verfahren in dieser Sache in den Augen des Volks zu rechtfertigen, unterzog, ob er gleich früher sein vertrauter Freund gewesen und von ihm auf die edelmütigste Weise unterstützt worden war.18

Glücklichere Verhältnisse begannen für Bacon nach dem Tode der Elisabeth unter der Regierung Königs Jakob I. von England, der ihn nacheinander zu den höchsten Stellen beförderte. Auch hatte er jetzt durch eine Heirat seine Vermögensumstände verbessert. Ungeachtet aber der vielen verwickelten und wichtigen Geschäfte, die Bacon unter Jakob infolge seiner hohen Stellung im Staate oblagen, arbeitete er doch zugleich unablässig an der Ausführung seines großen Plans einer allgemeinen Reformation der Wissenschaften. So erschien 1605 die erste Probe von seinem großen Werke »De Dignitate et Augmentis Scientiarum« unter dem Titel: »The two Books of Franc. Bacon of the Proficience and Advancement of Learning Divine and Human«, eine Schrift, die er später mit Hilfe einiger Freunde ins Lateinische übersetzte, beträchtlich erweiterte, in 9 Bücher einteilte und in dieser neuen Gestalt etwa zwei oder drei Jahre vor seinem Tode drucken ließ; 1607 seine Schrift: »Cogitata et Visa«, offenbar die Grundlage oder vielmehr der erste Entwurf seines »Novum Organum«, 1610 seine Abhandlung »Of the Wisdom of the Antients (De Sapientia Veterum)«, welche sinnreiche Auslegungen von verschiedenen Gegenständen aus der griechischen Mythologie enthält, 1620 das wichtigste seiner Werke, das »Novum Organum«. 1617 wurde Bacon Lordsiegelbewahrer, 1619 Großkanzler, bald darauf zum Freiherrn von Verulam, 1620 zur Würde eines Vizegrafen unter dem Titel Vizegraf von St. Albans erhoben. Auf diese glänzenden Auszeichnungen erlebte er aber eine schmähliche Demütigung. Er wurde nämlich bei dem Parlament des Amtsmißbrauchs, namentlich der Bestechung angeklagt – ein Vergehen, das man übrigens bei ihm nicht aus niedriger Gewinnsucht, sondern nur aus einer gewissen Charakterschwäche, allzugroßer Weichheit und Nachgiebigkeit ableitet und ableiten muß.19 B. gestand selbst demütig seine Fehler und unterwarf sich gänzlich der Gnade und dem Mitleid seiner Richter. Aber diese Demut rührte nicht, wie er erwartet hatte, seine Richter. Er wurde seiner Würden für verlustig erklärt, zu einer Geldstrafe von 40 000 Pfund Sterling verurteilt und in dem Tower gefangengesetzt. Der König erließ ihm zwar alsbald die Gefängnis- und Geldstrafe und hob zuletzt das Strafurteil in seiner ganzen Ausdehnung auf; aber gleichwohl trat jetzt B. vom politischen Schauplatz ab und beschäftigte sich von nun an in stiller Zurückgezogenheit einzig mit der Wissenschaft und Schriftstellerei, nicht ohne Reue darüber, daß er die viele Zeit, die er dem Hof- und Staatsleben gewidmet, der edelsten Beschäftigung, der Beschäftigung mit den Wissenschaften, entzogen hatte.20 Er starb am 9. April 1626.

Sein Leben beschrieben Rawley, Mallet, Stephens. Von seinen vielen verschiedenen Schriften, von denen hier in bezug auf die Geschichte der Philosophie nur noch zu erwähnen sind seine, »Sylva Sylvarum sive Historia Naturalis«, »Parmenidis, Telesii et Democriti Philosophia«, seine »Historia Vitae et Mortis«, seine »Historia Ventorum«, seine »Sermones fideles« (politischen und ethischen Inhalts), gibt es mehrere Sammlungen und Ausgaben, eine in 4 Bänden in Folio, die 1730 in London, eine vollständigere die ebendaselbst 1740 herauskam; andere minder vollständige Editionen erschienen: 1665 zu Frankfurt, zu Leipzig 1694.

§ 10. Reflexion über Bacons Leben und Charakter

Um Bacons Leben und Charakter sowohl von seiner Licht- als Schattenseite gehörig würdigen und seine bei seinem an sich unverkennbar edlen Charakter außerdem unerklärlichen Fehler begreifen zu können, muß man erkennen, daß er einen Urfehler beging, und diesen Urfehler als den Grund seiner moralischen Fehler erfassen. Dieser Urfehler bestand bei ihm darin, daß er ebensowohl der schmeichlerischen Sirenenstimme der äußerlichen Notwendigkeit Gehör geben wollte und wirklich gab als der Gottesstimme der innerlichen Notwendigkeit, der Stimme seines Genius, seines Talentes, daß er dem Studium der Natur und Philosophie, zu dem er sich berufen fühlte, sich nicht ausschließlich widmete, sondern noch dazu ein sogenanntes Brotstudium betrieb, und überdies ein Studium, das ihn in die zwar glänzende, aber von der Wissenschaft abziehende Laufbahn des Hof- und Staatslebens hineinwarf, daß er dadurch sich zersplitterte, die Einheit seines Geistes mit sich zerstörte. Bacon sagt selbst von sich: »Me ipsum autem ad veritatis contemplationes quam ad alia magis fabrefactum deprehendi, ut qui mentem et ad rerum similitudinem (quod maximum est) agnoscendum satis mobilem, et ad differentiarum subtilitates observandas satis fixam et intentam haberem, qui et quaerendi desiderium et dubitandi patientiam et meditandi voluptatem et asserendi cunctationem et resipiscendi facilitatem et disponendi sollicitudinem tenerem, quique nec novitatem affectarem, nec antiquitatem admirarer et omnem imposturam odissem. Quare naturam meam cum veritate quandam familiaritatem et cognationem habere judicavi.«21 In einem Briefe an Thomas Bodley gesteht er selbst, daß er gar keinen Hang zu Staatsgeschäften habe und nicht ohne Überwindung sich mit ihnen abgeben könne. In einem Briefe an den König Jacob, den er nach seinem Sturze schrieb, ersucht er ihn, ihm doch seine Pension ausbezahlen zu lassen, damit er nicht genötigt sei, zu studieren, um zu leben, er, der nur zu leben wünsche, um zu studieren.

Galilei, der Zeitgenosse B. s, wohnte in seinen spätern Jahren fast alle Zeit »ferne von dem Getümmel der Stadt Florenz, entweder auf den Gütern seiner Freunde oder auf einem von den benachbarten Gütern D. Belloguardo oder D. Arcetri, woselbst er um desto lieber sich aufhielt, weil ihm deuchte, die Stadt sei gleichsam ein Gefängnis spekulativischer Gemüter, hingegen das freie Landleben sei ein Buch der Natur, so einem jeden immerdar vor Augen liege, der mit den Augen seines Verstandes darin zu lesen und zu studiren beliebe«.22Spinoza sagte: »Nos eatenus tantummodo agimus, quatenus intelligimus«, und nicht nur sein, das Leben aller Denker bestätigte die Wahrheit dieses Satzes.Leibnizsagt irgendwo: »Nous sommes faits pour penser. Il n'est pas necessaire de vivre, mais il est necessaire de penser«, und sein Wahlspruch, den gleichfalls sein Leben bewährte, war: »Pars vitae, quoties perditur hora, perit.«Der echte Denker, der echt wissenschaftliche Mensch dient aber nur der Menschheit, indem er zugleich der Wahrheit dient; er hält die Erkenntnis für das höchste Gut, für das wahrhaft Nützliche; ihre Förderung ist sein praktischer Lebenszweck; jede Stunde, die er nicht dem Dienste der Erkenntnis widmet, betrachtet er daher als einen Lebensverlust. Wie konnte also B. bei seiner entschiedenen Neigung zum Studium der Natur und der Wissenschaft überhaupt, die nur gedeiht in der Eingezogenheit und Beseitigung aller disparaten Beschäftigungen, sich in eine ihr geradezu entgegengesetzte Bahn, in die Bahn des Staatslebens werfen? Und was war die unausbleibliche Folge davon? Ein so geschickter und gewandter Staatsmann er auch war, was bei seinen ausgezeichneten Talenten nicht anders zu erwarten war, so war er doch in dem Staatsleben gleichsam außer sich, nicht in seinem Wesen; es fand in dieser politischen Tätigkeit sein Geist der nur das Bedürfnis der Wissenschaft hatte, keine Befriedigung; er hatte in dieser Sphäre notwendig keinen Mittelpunkt, keinen Halt, keinen festen Charakter, denn wo einer nicht sein Wesen hat, da hat er auch nicht seinen Schwer- und Mittelpunkt und wankt und schwankt deswegen hin und her; er war in dieser Sphäre nicht mit seiner Seele, nicht mit seinem ganzen Wesen, mit ganzer Fassung gegenwärtig23, und er mußte daher in diesem Widerspruche, in einer Sphäre zu sein, die nicht wahrhaft seine war, die dem wahren Triebe seiner Intelligenz widersprach, auch Fehltritte tun, die selbst seinem moralischen Wesen, das offenbar edler Natur war, widersprachen. Wenn einer wirklich sich berufen fühlt, produktiv, und zwar nicht in einer besondern Sphäre des Wissens, sondern in der Wissenschaft überhaupt, zu sein, Großes und Ewiges in ihr zu leisten, wenn er solche umfassende, universale Pläne faßt wie B., wenn er sich bestrebt, neue Prinzipien zu finden und noch dazu ein Wissen zu fördern und zu treiben, das eine unendliche Ausdehnung in die Breite und Weite erfordert, wenn er in sich den Trieb hat, die Wissenschaft selbst als solche zum Zweck und Ziel seines Lebens zu machen, so ist die Wissenschaft seine Seele, sein Mittelpunkt, die wissenschaftliche Tätigkeit die ihm angewiesene Sphäre; er ist außer ihr außer sich, in der Irre und Fremde, und läßt er sich durch irgendwas für äußere Reize und Motive verführen, sich in ein von der Wissenschaft abziehendes, entgegengesetztes Element zu begeben, so hat er den ersten und wahren Grund zu seinen spätern Mißgriffen und Fehltritten gelegt, er hat eine Sünde gegen den heiligen Geist begangen, denn er hat das der Wissenschaft allein rechtmäßig zukommende Geistesvermögen ihr, wenn auch nicht entzogen, doch ihren Anteil geschmälert, er hat einen Ehebruch begangen, indem er seine Liebe, die er allein seiner gesetzmäßigen Gattin, der Wissenschaft, zuwenden sollte, an die Welt verschwendet. Gerecht, ja, man könnte sagen notwendig war daher auch der schmähliche Sturz B.s, denn durch diesen Sturz büßte er für seinen ersten Sündenfall, für den Abfall von dem wahren Berufe seiner Intelligenz und kehrte er wieder in sein ursprüngliches Wesen zurück.

Wenn B. bewiesen hat, daß auch die Gelehrten große Staatsmänner sein können, so hat er auch zugleich, wenigstens von sich, bewiesen, daß die Wissenschaft im höchsten Grade eifersüchtig ist, daß sie die letzte Gunst nur dem gewährt der sich ihr ungeteilt hingibt, daß der Gelehrte, wenn er sich wenigstens eine solche Aufgabe stellt, wie B. sich stellte nichts auf das Weltwesen verwenden kann, ohne dadurch in das Hauswesen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit eine Störung zu bringen.24 Hätte B. sein Leben nicht zersplittert, hätte er nach dem Beispiel anderer großer Gelehrten sein ganzes Leben dem Dienste der Wissenschaft geweiht, so hätte er es nicht bei dem bloßen Kommandowort, bei dem vornehmen Überblick über den großen Bau der Wissenschaft bewenden lassen, ohne irgendeinen Teil daran auszuarbeiten; so würde er in die Tiefe besonderer Materien sich versenkt und bei der Masse von Kenntnissen, Versuchen und Beobachtungen, die ihm zu Gebote standen, und bei seinen ausgezeichneten Geistesfähigkeiten es zu bestimmten Resultaten gebracht, bestimmte Naturgesetze wie ein Galilei und Cartesius gefunden haben; so würde er die Universalität seines Geistes nicht in dem bloßen Entwerfen von Plänen, sondern auch in der Durchdringung und Bewältigung des Besondern, in der Erhebung des Besondern zum Allgemeinen, worin sich der wahre universale Geist bewährt, bewiesen und über so viele Gegenstände nicht so leichtfertig dahingefahren, kurz, unendlich mehr geleistet haben, als er wirklich geleistet hat.25

Wenn aber B. eine wahre Neigung zum spekulativen Leben in sich hatte, wie war es möglich, daß er sich dennoch in das politische Leben hineinwarf, daß er einen solchen Widerspruch beging? Nur dadurch, daß in seinem Wesen selbst, in seinem Geiste oder metaphysischem Geistesprinzip ein Dualismus lag. Obgleich nämlich B., wie sich zeigen wird, fern davon war, der Empiriker zu sein, der später aus ihm gemacht wurde, ob er gleich Sinn und Fähigkeit für metaphysisches Denken und seine Einfachheit hatte und selbst tiefe metaphysische Gedanken hervorbrachte, obgleich die Empirie ihm nicht die Sache, sondern nur das notwendige Mittel, nicht das Wesen, sondern nur ein Moment ist, so ist doch zugleich der Geist des Materialismus, wie er sich später entfaltete, der in die Sinnlichkeit ausströmende, nur nach außen gerichtete, von der sinnlichen, nur das Sinnliche für Realität haltenden Einbildungskraft beherrschte oder wenigstens affizierte Geist auch schon in ihm und seinem Geistesprinzipe enthalten. Mag B., um sich vor seinem eigenen Gewissen zu rechtfertigen, als Motiv seiner Bewerbungen um Staatsämter anführen, was er will, sogar den frommen Zweck der Seelsorge, den er am besten in einer hohen Stellung im Staate erreichen zu können geglaubt hätte; es war nur der aus sich herausströmende und herausgerissene, von dem Glanze weltlicher Größe geblendete Geist des Materialismus, der ihn über seine wahre Bestimmung, wenigstens anfangs, nicht zur Besinnung kommen ließ, aus der metaphysischen Einfachheit des wissenschaftlichen Lebens herauslockte und in den glänzenden Bilderreichtum des Staatslebens hineinzog. Es war also nur der Dualismus in seinem geistigen Wesen – ein Dualismus, der sich bei ihm auch darin äußert, daß er, während er eine rein unabhängige und selbständige Anschauung der Physik hatte und begründete, die Physik, die übrigens allerdings nach ihm nur einen Teil ausmachen soll, von der Theologie ganz losriß alle Beziehungen, die die Physik in ein Verhältnis zur Religion setzen, abschneidet, dennoch wieder aus Frömmigkeit seine rein physikalischen Gedanken im Geschmack seiner und der nächstfolgenden Zeiten mit den Aussprüchen der Bibel in Parallele setzt und so über die im Herzen ganz irdisch gesinnte Weltdame seiner Physik einen Heiligenschein verbreitet26, es war, sage ich, nur jener metaphysische oder geistige Dualismus, der den Dualismus seines Lebens erzeugte.

§ 11. Bacons philosophische Bedeutung

Die wesentliche Stellung und Bedeutung Bacons in der Geschichte der Wissenschaft der neuern Zeit ist im allgemeinen die, daß er die Erfahrung, die früher nur Sache des Zufalls war, ohne Unterstützung von oben herab, von den obersten Behörden der Geschichte und des Denkens, nur von der zufälligen Partikularität und Neigung einzelner abhing, zu einer unerläßlichen Notwendigkeit, zur Sache der Philosophie, zum Prinzip selbst der Wissenschaft machte. Bestimmter ist aber seine Bedeutung die, daß er namentlich die Naturwissenschaft auf die Erfahrung gründete, somit an die Stelle der frühern phantastischen27 oder scholastischen Betrachtungsweise der Natur eine objektive, rein physische Anschauung derselben setzte. Denn wenngleich B. das ganze Gebiet der Wissenschaften mit enzyklopädischem, die Gesamtmasse aller zu seiner Zeit vorhandenen Kenntnisse überschauendem Geiste umfaßte und auf eine eigene geistreiche Weise ordnete und bestimmte, mit trefflichen Anweisungen, Gedanken und Bemerkungen bereicherte, die noch unbebauten Gegenden des Wissens bezeichnete, so besondere Zweige von Wissenschaften entdeckte und zu ihrer Kultur die Geister aufmunterte und anregte, wenn er gleich der Naturwissenschaft innerhalb des Ganzen der Wissenschaften eine besondere Stelle anwies, so stand doch auf dem großen Terrain der Wissenschaften, das er mit dem Überblick eines Befehlshabers aufnahm und beschaute, das Zentrum seiner Gedanken und Bestrebungen einzig und allein in der Richtung auf die Naturwissenschaft, so war doch das wesentliche Ziel, Objekt und Interesse seines Geistes eine mittelst der Erfahrung aus der Quelle der Natur selbst geschöpfte, durch keine fremden, seien sie nun logische, theologische oder mathematische, Ingredienzen getrübte Naturwissenschaft. Die historische Bedeutung B.s also ist, daß er ganz im Unterschiede von der frühern Zeit, wo der Geist, auf übersinnliche und theologische Gegenstände gerichtet, kein reines Interesse an der Natur hatte, das Studium derselben daher vernachlässigt und verfälscht, eine partikuläre Nebenbeschäftigung war, die auf die Erfahrung gegründete Naturwissenschaft zum Studium aller Studien, zum Prinzipe selbst, zur Mutter der Wissenschaften machte.28 So groß aber auch der Umfang seiner Versuche und Andeutungen, seiner Beobachtungen und Kenntnisse auf dem Gebiete der Naturwissenschaft ist, so ist doch dieses nur das Wesen von ihm, daß er eine Methode, ein Organon, eine Logik der Erfahrung gab, eine bestimmte Anweisung zu sicherer und erfolgreicher Erfahrung, daß er das blinde Erfahren und Herumtappen im Felde des Besondern zu einer auf logischen Gesetzen und Regeln beruhenden Experimentierkunst zu erheben und so gleichsam der bisher ungelenkigen, zur Erfahrung ungeschickten und ungeübten Menschheit die Werkzeuge derselben in die Hand zu geben sich bestrebte. Von einem Inhalte Bacons kann man daher in dieser Rücksicht, strenggenommen, nicht sprechen, als seinen Inhalt könnte man alle physikalischen Experimente und Entdeckungen der neuern Zeit, selbst wenn sich auch keine bestimmten Andeutungen darauf in ihm finden sollten, ansehen; sein Wesen liegt nur in der Methode, in der Art und Weise, die Natur zu betrachten und zu behandeln, in der Hinweisung auf die Erfahrung. B. war deswegen jedoch nichts weniger als ein Empiriker im gewöhnlichen Sinn, geschweige ein gegen das Tiefere, gegen die Philosophie negativer Empiriker. Bestimmte er gleich, und zwar mit vollem Rechte, auf dem Gebiete der Natur die Erfahrung, die nach ihm übrigens die innigste Verbindung von Denken und sinnlicher Wahrnehmung29 ist, als die einzige Quelle der Erkenntnis, bewirkte er gleich in der Folge und bezweckte er selbst zunächst nur Empirie und konnte er auch bei der Zerstreutheit seines Lebens und Wesens nicht die Muße haben, die einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen und Versuche zu Erkenntnissen zu erheben, so war ihm doch die Empirie nur Mittel, nicht Zweck, nur der Anfang, nicht das Resultat, welches vielmehr nur die Philosophie oder philosophische Erkenntnis sein sollte; so bestimmte er doch als das Ziel und Objekt der Naturwissenschaft die Erkenntnis »der ewigen und unveränderlichen Formen der Dinge« und beherrschte ihn daher in dem, was er als das Objekt der Naturwissenschaft, und in der Weise, wie er es bestimmte ein echt philosophischer Gedanke, der freilich bei ihm nur ein so hingestellter, nicht zur Ausführung und Verwirklichung gebrachter Gedanke blieb. Das Objekt und Ziel des Wissens und der Erfahrung nämlich ist nach ihm die Erkenntnis der Formen der Dinge. Die Form eines Dinges ist aber nach ihm das Allgemeine, die Gattung, die Idee eines Dinges aber nicht eine leere, vage Idee, ein schlechtes, ein formelles Allgemeines, eine unbestimmte, abgezogene Gattung, sondern ein solches Allgemeines, welches, wie er sagt, der fons emanationis, die natura naturans, das Prinzip der besondern Bestimmungen eines Dinges, die Quelle, aus der seine wahre Differenz, seine Beschaffenheiten entspringen, das Erkenntnisprinzip also des Besondern ist, kurz, ein Allgemeines, eine Idee, die zugleich materiell bestimmt, nicht über und außer der Natur, sondern der Natur immanent ist. So ist z.B. nach B. der Begriff, die Idee, die Gattung der Wärme die Bewegung; die Bestimmung aber oder Differenz, die die Bewegung zur Wärme macht, ist die, daß sie eine expansive Bewegung ist, im Unterschiede von den übrigen Arten der Bewegung.

B. war daher frei von jenem Scholestizismus, jener Spitzfindigkeit der Empirie, die vom Besonderen immer wieder nur ins Besondere sich hineinwühlt, ins Unendliche fort rastlos nur distinguiert, subtilisiert und spezifiziert, in der Irre uns herumführt, aus der Natur ein Labyrinth ohne Ausgang macht, vor lauter Bäumen uns nicht den Wald in ihr sehen läßt. Denn wie nach ihm nur das Allgemeine das wahre Allgemeine ist, welches so in sich bestimmt, differenziert und materialisiert ist, daß es das Erkenntnisprinzip des Besonderen und Einzelnen enthält, so ist ihm auch nur das Besondere das wahre Besondere, welches Licht und Erkenntnis gewährt, welches von der Vielfachheit zur Einfachheit, von der Mannigfaltigkeit zur Einheit hinaufführt, durch und aus sich das Allgemeine erkennen oder entdecken läßt. Die Materie des Besondern soll daher nach ihm nicht ein bloßer, ungeheuer großer Sandhaufen sein, in den wir, wenn wir ihn ersteigen wollen, nur immer tiefer und tiefer hineinsinken, ohne einen höhern und festen Standpunkt zu erreichen, und dessen einzelne Körner immer wieder aus einer besondern Steinart bestehen, so daß vor dem flimmernden Flitter dieser Mannigfaltigkeit uns die Augen überlaufen, uns das Sehen vergeht, sondern ein Berg, auf dem die verschiedenen Steinarten der Natur in großen, festen, zusammenhängenden Schichtenmassen aufgehäuft sind und uns zur festen Basis dienen, einen freien, philosophischen Überblick über das Ganze zu gewinnen.

Es war daher auch fern von B., nach jener beliebten dogmatisch skeptischen Weise, die ein Nichtkönnen, ein Unvermögen zu einer positiven Eigenschaft des Menschen macht, zu behaupten, daß der Mensch nicht die Natur erkenne; vielmehr hat er das ganz bestimmte Bewußtsein, daß es einzig und allein von der Methode, der Art und Weise unsers intellektuellen Verfahrens abhängt, ob wir etwas Reales von ihr wissen können oder nicht.30 Deswegen begnügt sich sein Geist auch nicht mit der Schale der Natur, er begehrt noch mehr von ihr, er verlangt, daß die Naturwissenschaft sich nicht auf die Oberfläche der Phänomene beschränke, sondern die Ursachen und selbst die Ursachen der Ursachen zu erkennen bestrebt sein müsse.31

Der Grund, daß B. meistens nur als Empiriker aufgefaßt, von den bloßen und selbst antiphilosophischen Empirikern zu ihrem Schutzpatron erhoben wurde, daß die tiefen spekulativen Gedanken, die sich in seinen Schriften finden, bei der Beurteilung desselben nicht in Anschlag kamen und ohne allen Einfluß blieben, liegt übrigens allerdings in B. selbst, und zwar darin, daß er die Metaphysik und Philosophie der Griechen so sehr verkannte32 und verachtete und die Empirie, obwohl er sie nur zu dem mittleren, ja untersten Stockwerk in dem Gebäude der Wissenschaften macht, das obere Stockwerk, von dem erst allein eine Aussicht in die Natur gegeben wird, der aus der Erfahrung eruierten Philosophie einräumt, dennoch allein zu seinem Wohn- und Arbeitszimmer machte, bei ihr stehenblieb, hauptsächlich aber darin, daß überhaupt sein Geist weder ein echt philosophisch noch mathematisch spekulativer Geist, daß sein Geist ein sinnlicher, rein physikalischer Geist war.

B. war daher auch hauptsächlich dazu bestimmt und berufen, das Studium der Physik, inwiefern sie Physik, nicht bloß »angewandte Mathematik« ist, zu erwecken; sein Geist war eben wegen seiner inneren Verwandtschaft mit dem Wesen der Sinnlichkeit ein auf die Besonderheit und Differenz, die Qualität der Dinge gerichteter, die Dinge in ihrem spezifischen, qualitativen Sein und Leben zu erfassen bestrebter Geist. Der ihn beherrschende und bestimmende Begriff ist der der Qualität