Geschichte der neuern Philosophie: Von Bacon bis Spinoza - Ludwig Feuerbach - E-Book

Geschichte der neuern Philosophie: Von Bacon bis Spinoza E-Book

Ludwig Feuerbach

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Beschreibung

In seinem Werk 'Geschichte der neuern Philosophie: Von Bacon bis Spinoza' nimmt Ludwig Feuerbach die Leser mit auf eine faszinierende Reise durch die Entwicklung der Philosophie von Francis Bacon bis Baruch Spinoza. Feuerbachs Werk ist bekannt für seine prägnante Darstellung und kritische Analyse der verschiedenen philosophischen Strömungen dieser Zeit. Er bringt komplexe Ideen auf verständliche Weise näher und zeigt dabei seinen literarischen Geschick sowie seine profunde Kenntnis der Materie. Dieses Buch ist ein Meilenstein in der philosophischen Literatur und ein Muss für alle, die sich für die Entwicklung der Philosophie interessieren.

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Ludwig Feuerbach

Geschichte der neuern Philosophie: Von Bacon bis Spinoza

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung
I. Franz Bacon von Verulam
Das Leben Franz Bacons von Verulam
Reflexion über Bacons Leben und Charakter
Bacons philosophische Bedeutung
Bacons Gedanken im besondern, dargestellt aus ihm selbst
Das bisherige Elend der Wissenschaften
Die Ursachen des bisherigen Elends der Wissenschaften
Die Notwendigkeit und die Bedingungen einer totalen Reformation der Wissenschaften
Die Methode der Naturwissenschaft
Das Objekt der Naturwissenschaft
Die Einteilung der Naturwissenschaft
Gedanken Bacons über einige allgemeine Naturgegenstände
Der Zweck der Wissenschaft, namentlich der Naturwissenschaft
Das Wesen der Wissenschaft überhaupt, ihre Herrlichkeit und ihre Wirkungen auf den Menschen
Die Einteilung der Wissenschaft
Die Philosophie
Bacons Verhältnis zum Christentum
II. Thomas Hobbes
Übergang von Bacon zu Hobbes
Hobbes' Leben
Hobbes' Gedanken über die Philosophie, ihre Materie, Form und Einteilung
Kritische Übersicht der Hobbesschen Naturansicht
Hobbes' philosophia prima
Hobbes' Physik
Übersicht und Kritik der Hobbesschen Moral und Politik
Hobbes' Moral
Hobbes' Politik
Kritischer Rückblick auf das Hobbessche Staatsrecht
Hobbes' Verhältnis zur Religion
III. Peter Gassendi
Das Leben Gassendis und seine Bedeutung in der Geschichte der Philosophie
Die Logik Gassendis
Kritische Bemerkung über die Gassendische Theorie des Ursprungs der Erkenntnis
Die Physik oder Atomenlehre Gassendis
Kritik der Gassendischen Atomenlehre
Gassendis Lehre vom Geiste
Kritischer Rückblick auf Gassendi
IV. Jakob Böhm
Jakob Böhms Bedeutung für die Geschichte der Philosophie
Jakob Böhms Leben
Darstellung Jakob Böhms
Die reine Einheit
Die sich in sich unterscheidende Einheit
Erläuterung der vorhergehenden Paragraphen
Die Notwendigkeit des Gegensatzes
Erläuterung des Entzweiungsprozesses in Gott und Natur nach J. B.
Das Wesen und die Eigenschaften der ewigen Natur
Über die sieben Eigenschaften
Die sichtbare Natur und ihr Ursprung in ihren besondern Gestalten
Darstellung des Ursprungs des Bösen nach J. B.
J. Böhms Anthropologie
V. Rene Descartes
Descartes' Leben und Schriften
Die Philosophie des Cartesius
Der Zweifel als Anfang der Cartesischen Philosophie
Nähere Bestimmung und Erörterung des Zweifels
Entwicklung des Cartesischen Satzes: Cogito ergo sum
Allgemeine und nähere Bestimmung des Geistes
Der wahre Sinn und Gehalt der Cartesischen Geistesphilosophie
Übergang zu dem objektiven Erkenntnisprinzip
Die Idee der unendlichen Substanz
Über die Cartesischen Beweise vom Dasein Gottes
Das Prinzip der objektiven Gewißheit und Erkenntnis
Übergang zur Naturphilosophie Descartes'
Die Prinzipien der C.schen Naturphilosophie
Kritik des Prinzips der Cartesischen Naturphilosophie
Die Aufhebung, der Gegensätze von Geist und Natur und deren Kritik
Schlußbemerkungen über die C. Philosophie (1847)
VI. Arnold Geulincx
Ausbildung der Cartesischen Philosophie durch Arnold Geulincx
VII. Nikolaus Malebranche
Einleitung und Übergang von Cartesius zu Malebranche
Leben und Charakter Malebranches
Darstellung der Philosophie Malebranches
Das Wesen des Geistes und der Idee
Die verschiedenen Ansichten über den Ursprung der Ideen
Gott, das Prinzip aller Erkenntnis
Die verschiedenen Erkenntnisarten des Geistes
Die Anschauungsweise der Dinge in Gott
Die allgemeine Vernunft
Gott das Prinzip und das wahre Objekt des Willens
Gott das Prinzip aller Tätigkeit und Bewegung der Natur
Der wahre Sinn der Malebrancheschen Philosophie
VIII. Benedikt v. Spinoza
Übergang von Malebranche zu Spinoza
Einleitung und Übergang von Cartesius zu Spinoza
Spinozas Leben und intellektueller Charakter
Darstellung der Philosophie Spinozas
Die allgemeinen Prinzipien derselben
Erläuterung des Begriffs von der Einheit des Wesens und der Existenz in der Idee der Substanz
Die notwendige Existenz: der einzigen Substanz und ihre Attribute
Erörterung des Begriffs der Ausdehnung als eines göttlichen Attributs
Kritik der Spinozischen Lehre von den Attributen
Die Affektionen der Attribute und die Wirkungsweise Gottes
Die nähere Bestimmung der Wirkungsweise der Substanz
Entwickelung des Spinozischen Begriffs von der Kausalität der Substanz und dem Ursprung des Endlichen
Übergang zur Einheit des Geistes und Körpers
Die Einheit des Geistes und Körpers wie überhaupt der idealen und materiellen Objekte
Vom Willen
Von der Freiheit und Tugend des Geistes oder der Erkenntnis
Die verschiedenen Gattungen der Erkenntnis
Die wahre Methode der Erkenntnis
Das Ziel des Geistes
Kritische Schlußbemerkungen von 1833
Kritische Schlußbemerkungen von 1847

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

§ 1.

Das Wesen des Heidentums war die Einheit von Religion und Politik, Geist und Natur, Gott und Mensch. Aber der Mensch im Heidentum war nicht der Mensch schlechtweg, sondern der nationell bestimmte Mensch: der Grieche, der Römer, der Ägyptier, der Jude, folglich auch sein Gott ein nationell bestimmtes, besonderes, dem Wesen oder Gotte anderer Völker entgegengesetztes Wesen – ein Wesen also im Widerspruch mit dem Geiste, welcher das Wesen der Menschheit und als ihr Wesen die allgemeine Einheit aller Völker und Menschen ist.

Die Aufhebung dieses Widerspruchs im Heidentum war die heidnische Philosophie; denn sie riß den Menschen heraus aus seiner nationellen Abgeschlossenheit und Selbstgenügsamkeit, erhob ihn über die Borniertheit des Volksdünkels und Volksglaubens, versetzte ihn auf den kosmopolitischen Standpunkt.1 Sie war daher als die das beschränkte Volksbewußtsein zum allgemeinen Bewußtsein erweiternde Macht des denkenden Geistes gleichsam das verhängnisvolle Fatum über den Göttern des Heidentums und der geistige Grund des Untergangs der heidnischen Volksbe sonderheiten als weltbeherrschender göttlicher Mächte. Aber die Philosophie hob diesen Widerspruch nur im Denken, nur also auf abstrakte Weise auf.

Seine wirkliche Lösung fand dieser Widerspruch erst im Christentum; denn in ihm wurde der Logos sarx, d.h. die allgemeine Vernunft, das alle Völker und Menschen umfassende, alle feindseligen Differenzen und Gegensätze zwischen den Menschen auflösende, allgemeine und reine, deshalb mit dem göttlichen Wesen identische Wesen der Menschheit Gegenstand unmittelbarer Gewißheit – Gegenstand der Religion. Christus ist nichts anderes als das Bewußtsein des Menschen von der Einheit seines Wesens mit dem göttlichen Wesen, ein Bewußtsein, welches, als die Zeit gekommen war, weltgeschichtliches Bewußtsein zu werden, sich als unmittelbare Tatsache aussprechen, in eine Person sich zusammenfassen, zunächst als ein Individuum sich verwirklichen, und der ganzen, noch in der Finsternis des alten Widerspruchs der Volkspartikularitäten liegenden Welt als Schöpfer eines neuen Weltalters entgegensetzen mußte.

Im Christentum wurde darum Gott als Geist Gegenstand des Menschen; denn erst Gott in dieser Reinheit und Allgemeinheit gefaßt, in der er im Christentum gefaßt wurde, erst das allgemeine, von aller nationellen und sonstigen natürlichen Differenz und Besonderheit gereinigte Wesen ist Geist. Der Geist aber wird nicht im Fleische, sondern nur im Geiste ergriffen. Mit dem Christentum war daher zugleich der Unterschied zwischen Geist und Fleisch, Sinnlichem und Übersinnlichem gesetzt – ein Unterschied, der aber, als die Momente des Christentums in der Geschichte zu bestimmter Entwickelung kamen, sich bis zum Gegensatze, ja Zwiespalt von Geist und Materie, Gott und Welt, Übersinnlichem und Sinnlichem steigerte. Und da in diesem Gegensatze das Übersinnliche als das nur Wesenhafte, das Sinnliche als das nur Unwesenhafte bestimmt ward, wurde das Christentum in seiner geschichtlichen Entwickelung zu einer antikosmischen und negativen, von der Natur, dem Menschen, dem Leben, der Welt überhaupt, und nicht etwa dem Eitlen, sondern dem Positiven der Welt abziehenden, ihr wahres Wesen verkennenden und verneinenden Religion.

1. Diese Behauptung bedarf wohl keiner besondern Belege. Es ist hier genug zu erinnern, daß schon Thales sich zu einer wissenschaftlichen Anschauung der Natur erhob, die im Volksglauben als Götterwesen vorgestellten Gestirne zum Gegenstande des Denkens und Berechnens machte (Diogenes Laertes, I. Segm. 24, ed. Meibomii), daß schon Anaxagoras die von der Superstition als besondere omina gedeuteten Erscheinungen aus rein physischen Ursachen ableitete (Plutarchus, »Vitae«, V. Periclis, c. 6), daß schon Xenophanes, der Zeitgenosse Pythagoras' und Stifter der eleatischen Schule den großen Gedanken der Einheit zur Anschauung brachte, einen Gott lehrte, der »weder am Leibe den Sterblichen ähnlich, noch ähnlich am Geiste«, und mit der Begeisterung des Gedankens und dem Zorne der Vernunft gegen die homerischen und hesiodischen Göttervorstellungen als Gottes unwürdige Bestimmungen eiferte. Sextus Empiricus, »Adv. Mathem.«, IX, 193, und Fülleborns »Beiträge zur Geschichte der Philosophie«, Stück VII.

§ 2.

Als dieser negativ religiöse Geist sich als das wahre, absolute Wesen, vor dem alles andere als ein Eitles und Nichtiges verschwinden müsse, geltend machte, herrschender Zeitgeist wurde, war es daher eine unausbleibliche Folge, daß nicht nur die Kunst und die schönen Wissenschaften, sondern überhaupt die Wissenschaften an und für sich zugrunde gingen. Nicht die vielen Kriege und Stürme damaliger Zeiten, nicht die natürliche Roheit damaliger Völker, nur jene negativ religiöse Tendenz war der eigentliche, wenigstens geistige Grund ihres Verfalls und Untergangs, denn für den Geist von dieser Tendenz subsumieren sich selbst die Künste und Wissenschaften unter den Begriff eines nur Eitlen und Weltlichen, eines bloßen Menschentandes.2

Besonders war es auch die Natur, die bei der Herrschaft jener Tendenz in die Nacht der Vergessenheit und Ignoranz sinken mußte. Wie konnte der beschränkte, der nur in seinem von dem Wesen der Welt abgezogenen Gotte lebende Christ einen Sinn für die Natur und ihr Studium haben? Die Natur, deren wesentliche Form die Sinnlichkeit ist, die er gerade als das zu Verneinende, als das vom Göttlichen Abziehende faßte, hatte für ihn nur die Bedeutung eines Endlichen, Eitlen, Wesenlosen. Wie kann aber der Geist sich auf das konzentrieren, das zum Gegenstande ernster, anhaltender Beschäftigung machen, was ihm nur die Bedeutung eines Endlichen und Eitlen hat? Was hat es überdem für ein Interesse, die zeitliche Kreatur, das elende Geschöpf zu erkennen, wenn man den Schöpfer kennt? Wie kann der, der im vertrauten Umgange mit dem Herrn lebt, sich so herabwürdigen, in dasselbe Verhältnis zu seiner Dienstmagd zu treten? Und was hatte auf jenem Standpunkte negativer Religiosität die Natur für eine andere Stellung und Bedeutung als die einer Dienstmagd Gottes? Die theologisch teleologische Betrachtungsweise der Natur ist die einzige diesem Standpunkte gemäße, aber eben diese ist keine objektive, physikalische, in die Natur selbst eindringende Betrachtungsweise derselben.

Die Natur war daher dem menschlichen Geiste auf jenem Standpunkte wie aus den Augen verschwunden. Gleichwie in die geweihten Andachtsstätten jener Zeiten das Licht nicht durch ein rein durchsichtiges Medium, sondern durch buntbemalte Fenster getrübt fiel, gleich als wäre das reine Licht für die fromme, von der Welt und Natur sich zu Gott hinwendende Gemeinde etwas Abziehendes und Störendes, gleich als könnte sich nicht das Licht der Natur mit dem Lichte der Andacht vertragen, nur im Dunkel, nur in der Verschleierung der Natur der Geist in die Lichtflamme der Andacht auflodern, so fiel selbst da noch in jenen Zeiten, wo der Geist wieder zum Denken erwachte, den Blick auf die Natur wieder richtete, das Licht der Natur nur getrübt und gebrochen durch das Medium der aristotelischen Physik in den Menschen, weil er, von jener negativen Religiosität beherrscht und bestimmt, sich gleichsam scheute, die eigenen Augen aufzutun und mit eigener Hand die verbotene Frucht vom Baume der Erkenntnis zu brechen.

Wenngleich einzelne im Mittelalter sich besonders eifrig mit dem Studium der Natur beschäftigten, wenngleich überhaupt sogenannte weltliche Gelehrsamkeit noch in Klöstern und Schulen sich erhielt und geschätzt wurde3, so blieben doch immer die Wissenschaften eine untergeordnete Nebenbeschäftigung des menschlichen Geistes, hatten nur eine kümmerliche, beschränkte Bedeutung und mußten sie so lange haben, als der religiöse Geist die oberste geschichtliche Behörde, die Legislativgewalt, und die Kirche seine Exekutivgewalt war.

2. »Quae enim communicatio«, sagt z.B. Hieronymus (»Epist.«, XXII, c. 13), »luci ad tenebras? Qui consensus Christo cum Belial? quid facit cum psalterio Horatius? cum evangeliis Maro? cum apostolis Cicero? Nonne scandalizatur frater, si te viderit in idoleo recumbentem? Et licet omnia munda mundis et nihil rejiciendum, quod cum gratiarum actione percipitur, tamen simul bibere non debemus calicem Christi et calicem Daemoniorum... Domine si unquam habuero codices saeculares, si legero, te negavi.« – In den Regeln des h. Isidorus wurde ausdrücklich geboten: »Gentilium autem libros vel haereticorum volumina monachus legere caveat.« Gregor der Große machte dem Bischof von Vienne, Desiderius, große Vorwürfe darüber, daß er die Grammatik (klassische Literatur) lehre und mit jungen Leuten heidnische Dichter lese. »Quia in uno ore se cum Jovis laudibus Christi laudes non capiunt, et quam grave nefandumque sit episcopis canere, quod nec laico religioso conveniat, ipse considera... Si posthac evidenter ea, quae ad nos perlata sunt, falsa esse claruerit, nec vos nugis et saecularibus litteris studere constiterit, Deo nostro gratias agimus.« Die Gebildeteren und Humaneren unter den Christen des Mittelalters schätzten wohl auch das Studium der sogenannten profanen Literatur, aber nicht um seiner selbst willen. Vergl. Heeren, »Geschichte des Studiums der klassischen Literatur«, I. Bd. – Selbst Alcuin billigte im späten Alter nicht einmal das Lesen der heidnischen Dichter und Schriftsteller. – Aus demselben Prinzipe kommt es, wenn selbst unter den Protestanten manche die Wissenschaften verschmähten, z.B. Job. Amos Comenius die Metaphysik, den Aristoteles und Cartesius, die Kritik und Philologie wegwirft und darauf den Vers macht »Du lernest, liesest, schreibst, und gleichwohl kommt der Tod; studiere Jesum selbst, dies eine ist dir not.« Man sehe hierüber auch Arnold an und seine und anderer Urteile in seiner »Kirchen- und Ketzerhistorie«, T. II, Bd. XVI, c. X. Von dem Schul- und akademischen Wesen sonderlich bei den Lutheranern.

3. Vergl. z.B. Heeren, »Geschichte des Studiums der klassischen Literatur«, I. Bd., und Meiners' »Historische Vergleichung der Sitten und Verfassungen usw. des Mittelalters«, II. Bd., IX. Abschnitt.

§ 3.

Die einzige, dem exklusiv religiösen Geiste immanente, d. i. von ihm unabweisbare, seinem Wesen konforme Wissenschaft war die Theologie, in der der Glaubensinhalt vor das Bewußtsein des Verstandes gebracht, von ihm zergliedert, bestimmt, geordnet und beleuchtet wurde. Indem aber mit dem Bestimmen des Glaubensinhaltes durch Gedanken dieser Inhalt Objekt des denkenden Bewußtseins wurde, Objekt des analytischen, auflösenden Verstandes, wurde mit ihm zugleich das denkende Bewußtsein unabhängig von dem Stoffe des Glaubens sich selbst Objekt, innerhalb des Inhalts des Glaubens zugleich der Gedanke als solcher Gegenstand, und die Theologie ging so über in Philosophie. Da aber das Denken gleichsam nur so unter der Hand getrieben wurde, weil es kein öffentliches Privilegium hatte, d.h., in dem religiösen Prinzip, das für das oberste Prinzip, für die letzte, höchste Autorität galt, nicht sanktioniert war und die Gegenstände der Dogmatik, des kirchlichen Lehrbegriffs der terminus a quo und ad quem, das non plus ultra, die letzte Grenze des menschlichen Geistes waren, wenngleich einzelne sie übersprangen4, so blieb der Inhalt der Theologie immer noch der Hauptinhalt des denkenden Geistes, und die Philosophie als solche konnte für ihn im wesentlichen nur eine überlieferte sein, es mußte ihr daher auch jene freie Produktivkraft, jene grundschöpferische Tätigkeit, jene Autopsie der Natur und Autonomie der Vernunft, welche die Philosophie Griechenlands und der neuern Zeit auszeichneten und den eigentümlichen Charakter der Philosophie überhaupt konstituieren, abgehen. Daher jener Geist der Abstraktion, jene logisch metaphysische Denkart, die allein das Wesen und den Geist der sogenannten scholastischen oder scholastisch aristotelischen Philosophie ausmachte; denn wurden gleich außer der damaligen Logik und Metaphysik auch noch andere philosophische Wissenschaften gepflegt, so war doch der Geist, in dem alles behandelt und betrachtet wurde, der formelle, der logisch metaphysische Geist. Daher die langweilige Einförmigkeit und Gleichheit ihrer Geschichte, welche nicht durch qualitative, Schlag auf Schlag sich einander folgende und erst durch diese lebendige Sukzession eine eigentliche Geschichte begründende Differenzen in ihrem trägen Laufe unterbrochen ist wie die Geschichte der alten und neuern Philosophie und daher einem stehenden Wasser gleicht, wenn jene einem reißenden Strome. Daher jene aller höhern Genialität und Originalität ermangelnde Beschränktheit des Geistes und Geschmacklosigkeit in Ansehung der Form; daher der gänzliche Mangel an Prinzipien die die organisierenden und belebenden Seelen eines mit sich kohärenten und übereinstimmenden Ganzen wären, und der daraus hervorgehende, ohne Notwendigkeit, ohne ein bestimmendes und beschränkendes Maß bis ins Unendliche fort rastlos teilende und atomisierende Distinktionsgeist, der endlich zu einem bloßen Formalismus, zur Auflösung alles Inhaltes, einer völligen Leere und einem damit verbundenen Ekel und Widerwillen an der Scholastik führen mußte.

4. Z.B. Almarich oder Amalrich von Chartres, David von Dinant und sein Schüler Balduin, welche dem sogenannten Pantheismus, den sie jedoch, nach den von Thomas a Aquino und Albertus Magnus angeführten Stellen zu schließen, zum Teil ziemlich roh aufgefaßt und anstößig ausgesprochen zu haben scheinen, huldigten, sich dabei auf alte heidnische Philosophen als Autoritäten beriefen und, wie Albertus Magnus in seiner »Summa Theologiae«, T. II, Tract. I, Quaest. IV. memb. III, Fol. 25 sagt, sogar die auctoritates sanctorum nicht gelten ließen. Natürlich wurden ihre Sätze verdammt. – Wie groß und stark die Macht und Herrschaft der kirchlichdogmati schen Vorstellungen selbst über freie und für ihre Zeit philosophische Köpfe war, beweist unter andern dieser Umstand, daß selbst Gegenstände, die an und für sich oder wenigstens in der Bedeutung, in welcher sie sie für wirkliche hielten, die hypothetischsten und willkürlichsten von der Welt sind, ihnen für reale Denkobjekte, für ausgemacht wirkliche Gegenstände galten, deren Eigenschaften, aber keineswegs deren Dasein sie in Untersuchung zogen, die sie auf die genaueste, detaillierteste Weise beschrieben und charakterisierten und die daher auch, eben weil sie in ihrer geistigen Vorstellung, im Gedanken selbst als wirkliche Wesen fixiert waren, als Visionen, als Apparitionen individueller Wesen ihrer Sinnlichkeit oder Phantasie erscheinen konnten. Selbst der denkende und gelehrte Albertus Magnus »erhielt Offenbarungen und übernatürliche Hülfe von der heiligen Jungfrau. Seine Schriften und Gedichte auf die heilige Jungfrau machen einen ganzen Band aus. Die heilige Jungfrau stattete Albert dem Großen in eigner Person für seine Lobgedichte und Schriften Dank ab und hatte sogar die besondere Gnade, sich ihm zur genauen Besichtigung darzustellen, als er sich vornahm, alle Körper- und Seelengaben der Mutter Gottes als Dichter auszumalen.«

§ 4.

Als der negativ religiöse Geist in der Kirche sich zu einer weltbeherrschenden Macht erhoben, die anfangs nur innerliche, in der Gesinnung existierende Verkennung und Verachtung alles sogenannten Weltlichen endlich bis zur weltlichen, gewaltsamen Unterdrückung des Weltlichen gesteigert, selbst die Oberherrschaft der Kirche, als des Inbegriffs des Geistlichen, über den Staat, als den Inbegriff des Weltlichen, sich angemaßt hatte, bestand seine Negativität gegen Künste und Wissenschaften näher darin, daß er sie band und gefangennahm, sie nicht frei gewähren, ihnen keine Selbständigkeit angedeihen ließ, sondern sich ihrer nur als Mittel einerseits zu seiner Verherrlichung, andererseits zu seiner Befestigung bediente. Allein gerade diese scheinbar nur dienstfertigen Geister führten notwendig den Sturz der Herrschaft jenes negativ religiösen Geistes und seiner äußern Existenz, der Kirche, von innen aus herbei, ein Sturz, der die unvermeidliche Folge eben dieser seiner beschränkten Einseitigkeit, seiner unterdrückenden Negativität war.

Obgleich nämlich die scholastische Philosophie im Dienste der Kirche stand, inwiefern sie ihre Sätze anerkannte, bewies und verteidigte, ging sie doch hervor aus einem wissenschaftlichen Interesse, weckte und erzeugte sie doch freien Forschungsgeist. Sie machte die Gegenstände des Glaubens zu Gegenständen des Denkens, hob den Menschen aus der Sphäre des unbedingten Glaubens in die Sphäre des Zweifels, der Untersuchung, des Wissens, und indem sie die Sachen des bloßen Autoritätsglaubens zu beweisen und durch Gründe zu bekräftigen suchte, begründete sie gerade dadurch, größtenteils wohl wider Wissen und Willen, die Autorität der Vernunft und brachte sie so ein anderes Prinzip in die Welt, als das der alten Kirche war, das Prinzip des denkenden Geistes, das Selbstbewußtsein der Vernunft, oder bereitete sie es doch wenigstens vor.5 Selbst die Mißgestalt und Schattenseite der Scholastik, die vielen absurden Quästionen, auf die die Scholastiker zum Teil verfielen, selbst ihre tausendfältigen, unnötigen und zufälligen Distinktionen, ihre Kuriositäten und Subtilitäten müssen aus einem vernünftigen Prinzipe, aus ihrem Lichtdurste und Forschungsgeiste, der sich aber eben in jenen Zeiten und unter der drückenden Herrschaft des alten Kirchengeistes nur so und nicht anders äußern konnte, abgeleitet werden. Alle ihre Quästionen6 und Distinktionen waren nichts anderes als mühsam eingegrabene Ritze und Spalten in dem alten Gemäuer der Kirche, um zum Genusse des Lichtes und frischer Luft zu gelangen, nichts anderes als Äußerungen eines Tätigkeitstriebes des denkenden Geistes, der, wenn er entzogen dem Kreise vernünftiger Gegenstände und angemessener Beschäftigungen in einem Gefängnisse eingesperrt ist, jeden Gegenstand, den er eben zufällig findet, er sei auch noch so geringfügig, noch so unwürdig der Aufmerksamkeit, zu einem Objekte seiner Beschäftigung macht, aus Mangel an Mitteln selbst auf die an sich absurdeste, kindischste und verkehrteste Weise seinen Tätigkeitstrieb befriedigt. Erst da, wo die Scholastik selbst nur noch eine tote historische Reliquie war, schmolz sie ganz im Widerspruch mit ihrer ursprünglichen Bedeutung und Bestimmung mit der Sache des alten Kirchentums in eins zusammen und wurde sie die heftigste Gegnerin des erwachten besseren Geistes.7

5. Auch Tennemann gibt in seiner »Geschichte der Philosophie« diese Bedeutung der Scholastik.

6. Selbst die absurdesten und frivolsten Quästionen der Scholastiker, wie z.B., »an asinus possit bibere baptismum? an corpus Christi potuerit esse in Eucharistia ante incarnationem eodem modo, quo nunc est? num Deus potuerit suppositare mulierem (i.e. personam assumere mulieris) num diabolum, num asinum, num cucurbitam, num silicem? et quemadmodum cucurbita fuerit concionatura, editura miracula, figenda cruci?«, müssen hierher gerechnet werden.

7. Ähnliche Erscheinungen sind sehr häufig in der Geschichte. Aber exempla sunt odiosa.

§ 5.

Wie die scholastische Philosophie, so erzeugte auch die Kunst, obwohl auch sie zunächst nur im Dienste der Kirche stand, von ihr nur als ein Erbauungs- oder Verherrlichungsmittel der Kirche angesehen wurde, das dem antikosmisch religiösen Geiste entgegengesetzte Prinzip. Die Stellung eines dienenden Mittels konnte die Kunst nur so lange haben, als sie unvollkommen war, aber nicht auf dem Gipfel ihrer Vollendung.8Denn diente sie auch gleich da noch zum Teil und äußerlich Zwecken der Kirche, hatte sie auch da noch die Gegenstände des kirchlichen Glaubens hauptsächlich zu ihrem Objekte, so wurde doch jetzt das Schöne als solches Gegenstand des Menschen, es trat das künstlerische Interesse als solches, als Selbstzweck hervor; es erwachte das unabhängige, das lautere, durch keine fremden Beziehungen getrübte Gefühl der reinen Schönheit und Menschlichkeit, es bekam jetzt wieder der Mensch in der Anschauung der herrlichen Schöpfungen seines Geistes Selbstgefühl, das Bewußtsein seiner Selbständigkeit, seines geistigen Adels, seiner immanenten, seiner Natur eingeborenen Gottähnlichkeit, Sinn für die Natur und ihr Studium, Beobachtungsgabe, eine richtige Anschauung des Wirklichen und die Anerkennung von der Realität und Wesenhaftigkeit alles dessen, was von dem negativ religiösen Geiste als ein nur Eitles und Ungöttliches bestimmt war. Die Kunst war daher die reizende Maja, welche dem finstern Geiste der Kirche wie einst dem alten Brahma seine Melancholie und Misanthropie aus dem Kopfe trieb, die scheinheilige Verführerin, die den Menschen auf die obersten Zinnen der Kirche führte, um hier seiner beengten und gepreßten Brust freien Atem zu verschaffen, ihn die frischen Himmelsdüfte rein menschlicher Gefühle und Anschauungen einsaugen zu lassen und ihm die reizende Aussicht in die Herrlichkeiten der irdischen Welt zu eröffnen und eine andere Welt, die Welt der Freiheit, Schönheit, Humanität und Wissenschaft, aufzuschließen.9 Sowenig der Baum, der auf einem Kirchturme steht, aus seinem harten Gesteine entsprossen ist, sowenig kam die Kunst aus der Kirche und ihrem Geiste; der schlaue Vogel des Verstandes trug das Samenkorn auf sie hinauf; als es aufging und zum Pflänzchen gedieh, war es freilich noch unschädlich, als es aber groß, als es Baum wurde, zersprengte es den alten Kirchturm.

Gerade also die scheinbar nur dienstbaren Geister des negativ religiösen Geistes waren es, die ein ihm entgegengesetztes Prinzip aus ihm erzeugten, nämlich den rein menschlichen, freien, selbstbewußten, alliebenden, alles umfassenden, allgegenwärtigen, den universellen, den denkenden, wissenschaftlichen Geist, der den negativ religiösen Geist degradierte, vom Throne seiner Weltherrschaft stürzte, in die Grenzen eines engen, jenseits des sich fortbewegenden Stromes der Geschichte liegenden Gebiets verwies und sich dafür zum Prinzipe und Wesen der Welt machte, zum Prinzipe der neuern Zeit.

8. Schon die äußere Geschichte der Kunst deutet dieses an. Anfänglich waren die Klöster die einzigen Sitze der bildenden Künste, später die Städte und Freistaaten, und erst in diesen, wo sich selbständiger Weltsinn und konkreter Weltgeist entwickelten, bekam die Kunst ein ihrem Wesen, dem Begriffe der Schönheit, adäquates, ein klassisches, vollendetes Dasein.

9. Scheinheilig ist die Kunst deswegen, weil ihre Devotion nur ein Schein ist, weil sie, während sie der Kirche zu dienen scheint, nur in ihrem eignen Interesse arbeitet. Dem Menschen, der z.B. die Maria zum Gegenstand seiner Kunst macht, ist sie nicht mehr ein religiöser, sondern ein Kunstgegenstand; außerdem hätte er nicht den Mut, die Kraft und Freiheit, sie aus der Sakristei seiner religiösen Gesinnung und Vorstellung herauszulassen, sie aus sich zu entäußern, aus dem geheimnisvollen, jede Begrenzung und Gestaltung fliehenden und verwischenden Dunkel, dem unantastbaren, unsagbaren Heiligtum des religiösen Glaubens in die Sphäre der Begrenzung und Deutlichkeit, in die Sphäre der profanen, sinnlichen Anschauung zu versetzen, die Geliebte des Herzens zum Freudenmädchen des sinnlichen Wohlgefallens zu machen, seinen Lüsten zum Opfer zu bringen. Die Kunst ist wohl ein Engel, aber der Engel Luzifer (Lichtbringer). Die Kunst hatte daher auch ebensowohl allgemeine und heidnische als christliche Gegenstände zu ihrem Objekte. Auch hob sie sich besonders durch das Studium der Antike. Vgl. z.B. »Leben Lorenzo von Medici«, aus dem Englischen des William Roscoe von Kurt Sprengel, S. 372. – Die Zeit der höchsten Ausbildung und Blüte der Kunst fällt daher mit der Zeit zusammen, wo die katholische (hierüber z.B. Voltaire, »Essai sur les mœurs et l'esprit des Nations«, Tom. II, chap. CV, und Tom. III, chap. CXXVII, und »Acta Philosophorum«, neuntes Stück, An. 1718, § IV-VII) Kirche und ihr Glaube in den größten Verfall gerieten, wo die Wissenschaften wieder aufblühten und der Protestantismus emporkam. Raphael wurde in demselben Jahre geboren, in welchem Luther, 1483, Sehr richtig sagt daher Leo in seiner »Geschichte von Italien« (I. Bd., S. 37): »Die großen italienischen Künstler haben ebensoviel getan für die geistige Befreiung und Entwicklung der Welt als die deutschen Reformatoren; denn solange jene alten, düstern, strengen Heiligen und Gottesbilder noch die Herzen der Gläubigen fesseln konnten, solange in der Kunst die äußere Ungeschicklichkeit noch nicht überwunden war, war darin ein Zeichen gegeben, daß der Geist selbst noch in einer engen Beschränkung, in drückender Gebundenheit beharrte. Die Freiheit in der Kunst entwickelte sich mit der Freiheit des Gedankens in gleichem Maße, und beider Entwickelung war gegenseitig bedingt. Erst als man in der Kunst wieder ein freies Wohlgefallen fand, war man auch wieder fähig, die Klassiker der alten Welt aufzunehmen, sich an ihnen zu erfreuen und in ihrem Sinne weiterzuarbeiten, und ohne die Aufnahme der alten klassischen Literatur wäre die Reformation nie etwas anderes als ein kirchliches Schisma geworden, wie das der Hussiten war.« Der berühmte Andrea Orcagna, der um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in Florenz blühte, war unter allen neuern Künstlern der erste, der sein eignes Porträt malte. Der berühmte Kirchenvater Clemens Alexandrinus, dieser sonst so aufgeklärte Mann, hält es da gegen sogar für Sünde (in seinem »Paedagogos«, I, III, c. 2), sein Bild im Spiegel zu beschauen. So entgegengesetzt ist die Kunst in ihrer Freiheit und die Religlosität in ihrer Befangenheit und Beschränktheit. Tertullian (»De spectaculis«, cap. 23) und eben dieser Clemens halten es sogar für eine frevelhafte Eigenmächtigkeit, eine gottlose Kritik der Werke Gottes, sich den Bart abzuscheren oder gar auszureißen, denn, sagt Clemens l. c., cap. 3: »Quin etiam vestri quoque capitis omnes capilli numerati sunt; sunt autem etism pili in barba numerati atque adeo etiam, qui sunt in toto corpore: non est ergo vellendus praeter Dei institutum, qui voluntate ejus annumeratus est.« So sehr widerspricht das negativ religiöse Gefühl dem ästhetischen. Ja, Clemens sagt ausdrücklich (»Cohort. ad gentes«, c. IV): »Nos enim clare prohibemur, fallacem hanc artem (picturam) exercere. Non facies enim, inquit Propheta, cujusvis rei similitudinem eorem, quae sunt in coelo et quae sunt in terra infra.« Vgl. auch Tertullian, »De idolol.«, c. 3, c. 4, c. 5 usw. Mag man dagegen einwenden, was man wolle, als z.B., daß diese Kirchenväter gegen die heidnischen Götterbilder und Idololatrie polemisieren; soviel ist gewiß, daß das Kunstgefühl und die Kunstanschauung als solche dem religiösen Prinzipe der früheren Zeiten, wenn es in seiner Bestimmtheit und Echtheit, wenn es so erfaßt wird, wie die es erfaßten, welche für die klassischen Exemplare und Musterbilder dieser religiösen Richtung gelten, radicitus entgegengesetzt sind. – Bekannt ist, daß auch das Theater erst da wieder emporkam, als im 15. Jahrhundert an die Stelle der geistlichen Schauspiele die Komödien des Terenz und Plautus traten.

§ 6.

Was als ein neues Prinzip in die Welt tritt, muß sich zugleich als ein religiöses Prinzip aussprechen; nur dadurch schlägt es als ein zerschmetternder und erschreckender Blitz in die Welt ein, denn nur dadurch wird es eine gemeinsame, die Gemüter beherrschende Weltsache. Nur dadurch, daß das Individuum, durch welches sich der Geist ins Werk setzt, diesen Geist in Gott erkennt, seine Tat, seinen Abfall von dem frühern Prinzip, welches sich gleichfalls als Religion aussprach, als eine göttliche Notwendigkeit, als einen religiösen Akt anschaut, bekommt es jenen unwiderstehlichen Mut, vor dem alle äußere Gewalt als ein Machtloses verschwindet. Der Protestantismus ist das neue Prinzip, wie es sich als religiöses Prinzip aussprach. Derselbe Geist, der die scholastische Philosophie, inwiefern sie ein Befreiungsmittel von äußerer Autorität und bloßem positiven Kirchenglauben war, hervorrief; der in der Kunst die Idee der Schönheit in ihrer Unabhängigkeit und Selbständigkeit zur Wirklichkeit und dem Menschen seine göttliche Produktivkraft zur Anschauung brachte; der die alten, vom negativ religiösen Geiste in die Hölle verstoßenen und verdammten Heiden wieder zum Leben erweckte und bewirkte, daß die Christen sie als ihre nächsten Blutsverwandten, die sie nach langer schmerzlicher Trennung endlich wiedergefunden, erkannten und umarmten; der das freie bürgerliche Leben erzeugt hatte, wodurch praktischer Weltsinn, sinnreich erfinderische, mit der Gegenwart versöhnende, das Leben verschönernde und veredelnde, das Selbstbewußtsein des Menschen erhöhende und erweiternde Tätigkeit und Regsamkeit sich entfaltete; der in den Kämpfen der Fürsten gegen die anmaßende Herrschaft der Hierarchie die absolute Spontaneität, Autonomie und Autarkie des Staates und folglich seines Oberhauptes, in dem er in eine Person sich konzentriert, errang; derselbe und kein anderer Geist, der Geist, der sich in dem Individuum als Unabhängigkeits- und persönliches Freiheitsgefühl äußert, der ihm das Bewußtsein oder Gefühl von der seinem Wesen eingeborenen Göttlichkeit gibt und dadurch die Kraft, keine äußere, das Gewissen bindende Macht anzuerkennen, aus sich selbst zu entscheiden und zu bestimmen, was für ihn die bindende Macht der Wahrheit sein soll, dieser und kein anderer Geist, sage ich, ist es, welcher auch den Protestantismus hervorrief, der daher nur als eine besondere, eine partikuläre Erscheinung von ihm anzusehen ist.10 Da der Protestantismus aus dem Wesen desselben Geistes hervorging, aus welchem die neuere Zeit und Philosophie entsprang, so steht er zu dieser in der innersten Beziehung, obgleich natürlich ein spezifischer Unterschied zwischen der Art, wie der Geist der neuern Zeit sich als religiöses Prinzip, und der Art, wie er sich als wissenschaftliches Prinzip verwirklichte, stattfindet. Wenn es bei Cartesius heißt: Ich denke, ich bin, d.h. mein Denken ist mein Sein, so heißt es dagegen bei Luther: Mein Glauben ist mein Sein. Wie jener die Einheit von Denken und Sein und als diese Einheit den Geist, dessen Sein nur das Denken ist, erkennt und als Prinzip der Philosophie setzt, so erfaßt dagegen dieser die Einheit von Glauben und Sein und spricht diese als Religion aus.11 Wie ferner das Prinzip der neuern Zeit, wie es sich als Philosophie aussprach, mit dem Zweifel an der Realität und Wahrheit der sinnlichen Existenz anhob, so begann eben dasselbe, wie es als religiöser Glaube sich aussprach, mit dem Zweifel an der Realität einer historischen Existenz, an der Autorität der Kirche. Und eben diese intensive Geistesstärke, diese Gewißheit des Geistes von seiner Objektivität ist es, die den Protestantismus in eine nahe Verwandtschaft mit der neuern Philosophie setzt.

In dem Protestantismus wurde daher sozusagen der logos des Christentums erst sarx, wurde der logos, der in der früheren Zeit endiathetos, verborgener, abgezogener, jenseitiger war, prophorikos, Weltgeist, d.h., in ihm verlor das Christentum seine Negativität und Abgezogenheit, wurde es im Menschen, als eins mit ihm erfaßt, als identisch mit seinem eigenen Wesen, Willen und Geiste, als nicht beschränkend und verneinend die wesentlichen Bedürfnisse seines Geistes und seiner Natur.12

Das Prinzip des denkenden Geistes, auf dem der Protestantismus beruht und aus dem er hervorging, offenbart sich in ihm näher darin, daß er mit jener Einsicht und Kritik, die allein Sache des Denkens ist, das Unwesentliche von dem Wesentlichen, das Willkürliche von dem Notwendigen, das nur Historische von dem Ursprünglichen scheidend, den Inhalt der Religion vereinfachte, auf seine einfachen, wesentlichen Bestandteile analysierend zurückführte, die frühere bunte, zerstreuende Vielheit und Mannigfaltigkeit von religiösen Gegenständen auf einen Gegenstand reduzierte und durch diese Reduktion auf die Einheit, durch diese Hinwegräumung aller die Aussicht des Menschen verhindernden Gegenstände den Blick in die Nähe und Ferne erweiterte, dem Denken Raum machte; daß er die Religion von einer Menge sinn- und vernunftloser Äußerlichkeiten befreite, sie zu einer Sache der Gesinnung, des Geistes erhob und dadurch die von der Kirche absorbierte und konsumierte Lebenskraft und Tätigkeit des Menschen wieder dem Menschen, vernünftigen, reellen Zwecken, der Welt und Wissenschaft zuwandte und in dieser Emanzipation des Menschen die weltliche Macht statt der Kirche als bestimmende, gesetzgebende Autorität anerkannte. Es war daher auch keineswegs nur Folge äußerer Umstände und Verhältnisse, es war eine innere, im Protestantismus selbst gelegene Notwendigkeit, daß sich in ihm erst die Philosophie der neuern Zeit welthistorisch bedeutsames Dasein gab und zu freier, fruchtbarer, immer weiterschreitender Entwickelung heranwuchs. Denn die Reduktion der Religion auf ihre einfachen Elemente, die der Protestantismus einmal begonnen, aber bei der Bibel abgebrochen hatte, mußte notwendig weiter fortgesetzt und bis auf die letzten, ursprünglichen, übergeschichtlichen Elemente, bis auf die sich als den Ursprung wie aller Philosophie so aller Religion wissenden Vernunft13zurückgeführt werden, mußte daher notwendig aus dem Protestantismus die Philosophie als seine wahre Frucht erzeugen, die sich freilich sehr von ihrem Samenkorne unterscheidet und für das gemeine Auge, das nur nach äußern Zeichen und handgreiflichen Ähnlichkeiten die innere Verwandtschaft bemißt, in keiner innern wesentlichen Beziehung zu ihm steht.

10. Wenn Luther kein aus sich selbst entscheidendes und bestimmendes Prinzip in sich gehaßt hätte, wenn er in jenen religiösen Materialismus versunken gewesen wäre, der den Geist zum alleruntertänigsten Diener des geschriebenen Wortes macht, so würde er einerseits bei der Befangenheit und Beschränktheit, die seinem Geiste großenteils noch anklebte, andererseits bei seinem deutschen, offenen, redlichen Sinn und Charakter die in der Bibel niedergelegte Ansicht des Apostels Paulus von der Ehe gewissenhaft zu der seinigen gemacht und die große, historisch bedeutsame Tat seiner Heirat nicht verrichtet haben; so würde er ferner nicht der Apokalypse und dem Briefe Jacobi seine Anerkennung versagt haben mit dem Bemerken, »sein Geist könne sich in dies Buch nicht schicken, und die Ursache sei ihm genug, daß er es nicht groß achte, daß Christus darin weder gelehrt noch erkannt werde«; so würde er endlich nicht auf dem Reichstage zu Worms, wo er in seinem vollen Glanze dasteht, den Ausspruch, er widerrufe nicht, er werde denn durch Zeugnisse der Schrift oder »durch evidente Vernunftgründe« widerlegt, getan, nicht die Macht des Gewissens gegen die äußere Macht und Autorität der Kirche geltend gemacht haben; so würde er überhaupt nicht Luther gewesen sein.

11. So du glaubst, sagt z.B. Luther, daß Christus deine Zuflucht ist, so ist er es, so du es nicht Glaubst, ist er es nicht.

12. Wie verschieden ist z.B. der Geist eines Thomas a Kempis, den man als ein in seiner Art klassisches Produkt des echten und reinen Geistes des frühern Katholizismus ansehen kann, von dem Geiste Luthers. Die Substanz beider ist die Religion, aber diese Substanz ist bei jenem eine zurückgezogene, sich und nicht nur sich, sondern dem tiefen Wesen und der inhaltsreichen Bestimmung des Weibes absterbende, Christus als ihren einzigen Bräutigam umfassende, schmachtende, etwas zur Schwindsucht geneigte Nonne; bei Luther dagegen ist diese Substanz eine lebensfrohe, an Leib und Geist kerngesunde, höchst ehrbare und vernünftige Jungfer, begabt mit geselligen Talenten, selbst mit Witz, Humor und praktischem Weltverstand, und die von dem Manne, der sie sich zu seiner Hausfrau und Lebensgefährtin nimmt, als Bein von seinem Bein, und Fleisch von seinem Fleische erkannt wird und ihn zwar von den Exzessen, die mit einem Garçonleben verbunden sind, keineswegs aber von dem Leben selbst abzieht.

13. Man erinnere sich hierbei vorzüglich der tiefen und denkwürdigen Worte Lessings und Lichtenbergs über das historische Christentum und so manche sich hierher beziehende Gegenstände.

§ 7.

Ehe aber der neuerwachte denkende, selbstbewußte Geist zu der Kraft und Fähigkeit kam, aus sich selbst zu schaffen, aus sich selbst neuen Stoff und Inhalt zu schöpfen, mußte er erst empfangend sich verhalten und eine empfangene, schon fertige und vollbrachte Welt, in der ihm schon als Wirklichkeit entgegentrat, was in ihm nur noch als Streben und Verlangenvorhanden war, als belebenden, entwickelnden und bildenden Stoff in sein Wesen verwandeln. Wie die erste Anschauung des Menschen von sich die Anschauung seiner als eines andern ist, d.h., er zuerst nur in einem andern, ihm gegenständlichen Menschen den Menschen, sein Wesen und damit sich selbst anschaut und erkennt, der Mensch daher nur an einem andern, der seinesgleichen und seines Wesens ist, zu seinem Selbstbewußtsein gelangt, so gelangte der menschliche Geist auch in neuerer Zeit nur durch die Anschauung seiner als eines Objektes, d. i. die Erkenntnis und Assimilation des ihm im Innersten verwandten Geistes der Werke des klassischen Altertums zum Selbstbewußtsein und damit zur Produktivität. Ehe er produktiv wurde, mußte er in sich eine Welt reproduzieren, die seines Geistes, seines Wesens und Ursprungs war. Plato, Aristoteles und die übrigen philosophischen Systeme und sonstigen Werke der klassischen Welt wurden nur deswegen mit so großem Enthusiasmus aufgenommen, mit solchem Heißhunger verschlungen und assimiliert, weil die von diesem Enthusiasmus ergriffenen Geister die Befriedigung ihres eigenen innersten Geistesbedürfnisses in ihnen fanden, die Erlösung und das Auferstehungsfest ihrer eigenen Vernunft in ihnen feierten, weil der neu erwachte freie, universelle, denkende Geist in jenen Werken die Produkte seiner selbst erkannte.14 Nur durch diese Anschauung und Aneignung einer Welt, die dem Geiste, obwohl eine objektive, eine gegebene Welt, ein überliefertes Wort, doch ein aus der Seele gesprochenes Wort war, das vollkommen das sagte, was er selbst auf dem Herzen hatte und sagen wollte, aber noch nicht die Kraft und Kunst hatte, selbst zu sagen, kam er zu sich selbst, stieg er in seine eigene Tiefe hinab, zu jener innersten Einheit mit sich selbst, die allein die Quelle der Selbsttätigkeit und Produktivität ist; denn ein produzierender Geist ist eben nur der, welcher nicht bei einem gegebenen Stoffe stehenbleibt, sich nicht in einer überkommenen Welt, die, wenn er sie auch als die seinige empfindet und erkennt, doch immer noch eine andere und äußere bleibt und insofern außer sich selbst befindet, sondern mit sich selber eins geworden ist.

14. Das Studium der römischen und griechischen Literatur war daher im Zeitalter der wiedererwachten Wissenschaftlichkeit keine äußerliche, den Geist, die Gesinnung, das Herz, die innersten Angelegenheiten des Menschen gleichgültig lassende, nur die Zeit, sonst aber auch gar nichts vertreibende Beschäftigung; es wurde im Gegenteil mit jener Andacht, mit jener unbedingten Hingebung, jener religiösen, selbstaufopfernden Verehrung und Liebe betrieben, die allein der Segen und der wahren Erfolg sichernde und gewährende Schutzgeist einer Beschäftigung sind und ein Studium nicht zu einer Geistesmarter und leerem Zeitvertreib machen. Der Zweck des Studiums der klassischen Literatur war, wie Heeren in seiner Geschichte desselben (II. Bd., S. 278) sagt, »zur großen Ehre des Zeitalters zunächst derjenige, der er eigentlich sein sollte, Bildung des Geistes«. »Es ward lebendig«, sagt Kreuzer (in jener ersten Periode, die er als die der Nachahmung bezeichnet), »die Idee von der Würde des Lebens unter den gebildeten Heiden, man ward berührt von der Größe ihres Denkens und Redens. Jene Vollendung des Lebens, der Gedanken, der Dichtung, der Rede sollte zurückgeführt werden.« Vgl. »Studien« von Daub und Kreuzer, I. Bd., S. 8, und des letztern »Akademisches Studium des Altertums«, S. 80 u. 81. Das Zeitalter Lorenzos von Medici war daher auch nichts anderes als das glänzende Auferstehungsfest, die feierliche Wiederkehr und Wiedergeburt der klassischen Welt in Wort und Tat, Empfindung und Anschauung, im Denken wie im Leben, Florenz selbst nichts anderes als das wiedergekehrte Athen.

§ 8.

Als der denkende, freie, universelle Geist wieder erwacht war und sich objektives Dasein gab, war es eine notwendige Folge, daß wie die alte heidnische Welt, so auch vor allem die Natur wieder zu Ehren kam, die elende Stellung einer bloßen Kreatur verlor und in ihrer Herrlichkeit und Erhabenheit, in ihrer Unendlichkeit und Wesenhaftigkeit zur Anschauung kam. Die Natur, die im Mittelalter einerseits in die Nacht gänzlicher Ignoranz und Vergessenheit versunken, andererseits nur mittelbar, durch das trübe Medium einer überlieferten und überdies noch übelverstandenen Physik Gegenstand war, wurde daher jetzt wieder unmittelbarer Gegenstand der Anschauung, ihre Erforschung ein wesentliches Objekt der Philosophie und die Erfahrung, weil die Philosophie oder Erkenntnis der Natur als eines vom Geiste unterschiedenen Wesens keine unmittelbare, mit dem Geiste identische, sondern durch Versuche, sinnliche Wahrnehmung und Beobachtung, d. i. die Erfahrung bedingte und vermittelte Erkenntnis ist, eine Sache der Philosophie selbst, eine allgemeine wesentliche Angelegenheit der denkenden Menschheit.15

Die Naturwissenschaften bekamen erst in neuerer Zeit welthistorische Bedeutung, bildeten erst in ihr eine zusammenhängende Geschichte, eine fortlaufende Reihe von Entdeckungen und Erfindungen. Eine Sache tritt aber nur dann erst in welthistorische Bedeutung und Wirksamkeit, wird erst dann mit wahrem Erfolge betrieben und bringt erst dann eine zusammenhängende, qualitativ fortschreitende, mit innerer Notwendigkeit vor sich gehende Geschichte hervor, wenn sie ein objektives Weltprinzip zu ihrem Grunde hat, denn nur dann ist sie notwendig, und diese objektive Notwendigkeit allein ist der Grund, daß sie in produktiver, frucht- und erfolgreicher Entwickelung fortschreitet, eben weil sie nicht von bloß subjektiven Bestrebungen und partikulären Neigungen ausgeht und abhängt. Dieses objektive Geistes- und Weltprinzip der neuern Zeit, in dem die Notwendigkeit und der Grund der neuern Erfahrungswissenschaften lag, war aber im allgemeinen kein anderes als eben der zur Selbständigkeit und zum freien Bewußtsein gelangte denkende Geist.

Die Erfahrung (im Sinne wissenschaftlicher Erfahrung, nicht im Sinne der Erfahrung, die eins mit dem Leben, Erleben ist) ist nämlich nicht, wie man es sich bisweilen vorzustellen pflegt, ein unmittelbar sich von sich selbst ergebender und verstehender, ein kindlicher, ebensowenig ein ursprünglicher, durch sich selbst begründeter, sondern wesentlich ein bestimmtes Geistesprinzip als seinen Grund voraussetzender Standpunkt. Der Standpunkt der Erfahrung setzt, wie sich von selbst versteht, zunächst den Trieb voraus, die Natur erkennen und ergründen zu wollen, ein Trieb, der selbst wieder hervorgeht aus dem Bewußtsein über den Zwiespalt von Sein und Schein, aus dem Zweifel, daß die Dinge so sind, wie sie erscheinen, daß das Wesen der Natur so geradezu und ohne weiteres bei der Hand ist und in die Sinne fällt, setzt also Kritik, Skepsis voraus; daher auch die Anfänger der neuern Philosophie, Bacon und Cartesius, ausdrücklich mit ihr anhuben, jener, indem er zur Bedingung der Naturerkenntnis die Abstraktion von allen Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen macht, dieser in seiner Forderung, daß man im Anfange an allem zweifeln müsse. Diese Skepsis setzt aber selbst wieder voraus, daß der Geist im Menschen und mit ihm das menschliche Individuum sich im Unterschiede von der Natur erfaßt, daß der Geist eben diesen seinen Unterschied von der Natur als sein Wesen erkennt und in dieser Unterscheidung wie sich, so die Natur zum wesenhaften Objekte seines Denkens macht. Nur auf Grund dieses Prozesses hat der Mensch erst wahrhaftes Interesse, Trieb und Lust, erfahrend und erforschend an die Natur zu gehen, denn eben in dieser Unterscheidung frappiert ihn erst der Anblick der Natur wie den Jüngling der Anblick der Jungfrau, wenn er in das Bewußtsein des Unterschieds gekommen ist, ergreift ihn erst der unwiderstehliche Trieb und Reiz, sie zu erkennen, und wird die Erkenntnis der Natur sein höchstes Interesse.

Der Standpunkt der Erfahrung setzt daher als seinen Grund das Geistesprinzip voraus, das auf bestimmte, wenngleich höchst unvollkommene und subjektive Weise in Cartesius sich aussprach und vor das denkende Bewußtsein des Menschen gebracht wurde. Der geistige, der mittelbare Vater der neuern Naturwissenschaft ist daher Cartesius. Denn Bacon, obwohl er etwas früher ist und in einem sinnlich und sichtbar näheren Zusammenhang mit dem Standpunkt der Erfahrung, in einer augenscheinlicheren Beziehung zu ihm steht, setzt doch dem Wesen nach das Prinzip des selbstbewußten, sich im Unterschiede von der Natur erfassenden und sie als sein wesentliches Objekt sich gegenübersetzenden Geistes, also das Prinzip voraus, das als solches Cartesius zuerst zum Objekte der Philosophie machte. Der unmittelbare oder sinnliche Vater der neuern Naturwissenschaften ist Bacon, denn in ihm machte sich das Bedürfnis und die Notwendigkeit der Erfahrung rein für sich und unbedingt geltend, sprach sich zuerst das Prinzip der Erfahrung als Methode mit rücksichtsloser Strenge aus.16

15. Die ersten eigentlichen Anfänge der neuern Philosophie liegen daher auch in den naturphilosophischen Anschauungen der Italiener Cardanus, Bernardinus Telesius, Franz Patritius, Jordano Bruno, der die Anschauung der Natur in ihrer göttlichen Fülle und Unendlichkeit auf die geistreichste und bestimmteste Weise aussprach.

16. Die Reduktion der Naturwissenschaft auf das Cartesische Geistesprinzip läßt sich nur insofern rechtfertigen, als die ersten Prinzipien unserer bisherigen Naturwissenschaft im wesentlichen mit dem Prinzip der Cartesischen Philosophie übereinstimmen – mathematische, mechanische Prinzipien sind. Abgesehen davon aber ist Bacon nicht nur der sinnliche, wie es im Paragraphen heißt, sondern der wahre Vater der Naturwissenschaft, denn er ist es, der zuerst die Originalität der Natur erkannte – erkannte, daß die Natur nicht aus mathematischen, logischen und theologischen Voraussetzungen, Antizipationen, sondern nur aus sich selbst begriffen und erklärt werden könne und dürfe, während Cartesius seinen mathematischen Kopf zum Original der Natur macht. B. nimmt die Natur, wie sie ist, bestimmt sie positiv, durch sich selbst, C. nur negativ, nur als das Gegenteil des Geistes; B. hat zu seinem Gegenstand die wirkliche Natur, C. nur eine abstrakte, mathematische, gemachte Natur.

I. Franz Bacon von Verulam

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§ 9. Das Leben Franz Bacons von Verulam

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Franz Bacon, Sohn Nicolaus Bacons, Großsiegelbewahrers von England, wurde in London 1561 den 22. Januar geboren. Schon in seiner frühesten Jugend verriet er Geist. Im 12. Jahre seines Lebens ging er auf die Universität Cambridge, und schon im 16. fing er an, die Mängel der damals noch allgemein herrschenden scholastischen Philosophie einzusehen. In demselben Jahre begab er sich, um sich für den Staatsdienst auszubilden, mit dem englischen Gesandten am französischen Hofe nach Paris. Während des Aufenthalts daselbst verfertigte oder entwarf er wenigstens, damals 19 Jahre alt, seine »Beobachtungen über den Zustand von Europa«. Der unerwartete Tod seines Vaters nötigte ihn aber, nach England zurückzukehren und sich zu seinem Lebensunterhalte auf das Studium des vaterländischen Rechtes zu legen. Er begab sich deswegen in das Collegium Grays-Inn, wo er dieses Studium mit großem Fleiße und glänzendem Erfolge betrieb, ohne darüber jedoch die Philosophie zu vergessen; vielmehr faßte er daselbst in den ersten Jahren seines Rechtsstudiums den Plan zu einer universellen Reform der Wissenschaften. Er erwarb sich bald einen so ausgezeichneten Namen als Rechtsgelehrter, daß ihn die Königin Elisabeth zu ihrem Rat in außerordentlichen Rechtssachen ernannte und ihm hernach noch die Anwartschaft auf eine Stelle in der Sternkammer gab. Weiter brachte er es aber nicht unter Elisabeth – offenbar eine Folge seines freundschaftlichen Verhältnisses zu dem Grafen Robert von Essex; denn durch dieses machte er sich besonders seinen ohnedies wegen seiner Talente auf ihn eifersüchtigen Vetter Robert Cecil Burleigh, der am Hofe eine einflußreiche Rolle spielte und der heftigste Feind des Grafen von Essex und seiner Freunde war, zu seinem Gegner.17 Den Vorwurf der Undankbarkeit lud Bacon bei Mit- und Nachwelt dadurch auf sich, daß er, als eben diesem Grafen von Essex als einem Staatsverbrecher der Prozeß gemacht wurde, als Rechtsanwalt der Königin es übernahm, den Prozeß zu führen und, als über die Hinrichtung dieses unglücklichen Grafen unter dem Volke der größte Unwille laut geworden war, noch überdies sich dem Auftrage der Regierung, ihr Verfahren in dieser Sache in den Augen des Volks zu rechtfertigen, unterzog, ob er gleich früher sein vertrauter Freund gewesen und von ihm auf die edelmütigste Weise unterstützt worden war.18

Glücklichere Verhältnisse begannen für Bacon nach dem Tode der Elisabeth unter der Regierung Königs Jakob I. von England, der ihn nacheinander zu den höchsten Stellen beförderte. Auch hatte er jetzt durch eine Heirat seine Vermögensumstände verbessert. Ungeachtet aber der vielen verwickelten und wichtigen Geschäfte, die Bacon unter Jakob infolge seiner hohen Stellung im Staate oblagen, arbeitete er doch zugleich unablässig an der Ausführung seines großen Plans einer allgemeinen Reformation der Wissenschaften. So erschien 1605 die erste Probe von seinem großen Werke »De Dignitate et Augmentis Scientiarum« unter dem Titel: »The two Books of Franc. Bacon of the Proficience and Advancement of Learning Divine and Human«, eine Schrift, die er später mit Hilfe einiger Freunde ins Lateinische übersetzte, beträchtlich erweiterte, in 9 Bücher einteilte und in dieser neuen Gestalt etwa zwei oder drei Jahre vor seinem Tode drucken ließ; 1607 seine Schrift: »Cogitata et Visa«, offenbar die Grundlage oder vielmehr der erste Entwurf seines »Novum Organum«, 1610 seine Abhandlung »Of the Wisdom of the Antients (De Sapientia Veterum)«, welche sinnreiche Auslegungen von verschiedenen Gegenständen aus der griechischen Mythologie enthält, 1620 das wichtigste seiner Werke, das »Novum Organum«. 1617 wurde Bacon Lordsiegelbewahrer, 1619 Großkanzler, bald darauf zum Freiherrn von Verulam, 1620 zur Würde eines Vizegrafen unter dem Titel Vizegraf von St. Albans erhoben. Auf diese glänzenden Auszeichnungen erlebte er aber eine schmähliche Demütigung. Er wurde nämlich bei dem Parlament des Amtsmißbrauchs, namentlich der Bestechung angeklagt – ein Vergehen, das man übrigens bei ihm nicht aus niedriger Gewinnsucht, sondern nur aus einer gewissen Charakterschwäche, allzugroßer Weichheit und Nachgiebigkeit ableitet und ableiten muß.19 B. gestand selbst demütig seine Fehler und unterwarf sich gänzlich der Gnade und dem Mitleid seiner Richter. Aber diese Demut rührte nicht, wie er erwartet hatte, seine Richter. Er wurde seiner Würden für verlustig erklärt, zu einer Geldstrafe von 40 000 Pfund Sterling verurteilt und in dem Tower gefangengesetzt. Der König erließ ihm zwar alsbald die Gefängnis- und Geldstrafe und hob zuletzt das Strafurteil in seiner ganzen Ausdehnung auf; aber gleichwohl trat jetzt B. vom politischen Schauplatz ab und beschäftigte sich von nun an in stiller Zurückgezogenheit einzig mit der Wissenschaft und Schriftstellerei, nicht ohne Reue darüber, daß er die viele Zeit, die er dem Hof- und Staatsleben gewidmet, der edelsten Beschäftigung, der Beschäftigung mit den Wissenschaften, entzogen hatte.20 Er starb am 9. April 1626.

Sein Leben beschrieben Rawley, Mallet, Stephens. Von seinen vielen verschiedenen Schriften, von denen hier in bezug auf die Geschichte der Philosophie nur noch zu erwähnen sind seine, »Sylva Sylvarum sive Historia Naturalis«, »Parmenidis, Telesii et Democriti Philosophia«, seine »Historia Vitae et Mortis«, seine »Historia Ventorum«, seine »Sermones fideles« (politischen und ethischen Inhalts), gibt es mehrere Sammlungen und Ausgaben, eine in 4 Bänden in Folio, die 1730 in London, eine vollständigere die ebendaselbst 1740 herauskam; andere minder vollständige Editionen erschienen: 1665 zu Frankfurt, zu Leipzig 1694.

17.Mallet, »Histoire de F. Bacon«, Traduction de l'Anglois, à la Haye 1742, p 30.

18.S. Mallet, p. 39-43.

19. Man vergl. über diese trübselige Geschichte die ausführlichen Nachrichten in der Lebensbeschreibung Franciscus Bacons in »Sammlung von merkwürdigen Lebensbeschreibungen, größtenteils aus der britanischen Biographie übersetzt«, D. Siegmund Jac. Baumgarten 1754, I. T., S. 420-445.

20. »C'est ainsi que Bacon passa du Poste éclatant, qu'il occupoit, à l'Ombre de la Retraite et de l'Etude, déplorant souvent, que l'Ambition et la fausse Gloire du Monde l'eussent détourné si long-temps de l'Occu pation la plus noble et la plus utile, à laquelle puisse s'appliquer un Etre raisonnable.« Mallet, l. c., p. 126.

§ 10. Reflexion über Bacons Leben und Charakter

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Um Bacons Leben und Charakter sowohl von seiner Licht- als Schattenseite gehörig würdigen und seine bei seinem an sich unverkennbar edlen Charakter außerdem unerklärlichen Fehler begreifen zu können, muß man erkennen, daß er einen Urfehler beging, und diesen Urfehler als den Grund seiner moralischen Fehler erfassen. Dieser Urfehler bestand bei ihm darin, daß er ebensowohl der schmeichlerischen Sirenenstimme der äußerlichen Notwendigkeit Gehör geben wollte und wirklich gab als der Gottesstimme der innerlichen Notwendigkeit, der Stimme seines Genius, seines Talentes, daß er dem Studium der Natur und Philosophie, zu dem er sich berufen fühlte, sich nicht ausschließlich widmete, sondern noch dazu ein sogenanntes Brotstudium betrieb, und überdies ein Studium, das ihn in die zwar glänzende, aber von der Wissenschaft abziehende Laufbahn des Hof- und Staatslebens hineinwarf, daß er dadurch sich zersplitterte, die Einheit seines Geistes mit sich zerstörte. Bacon sagt selbst von sich: »Me ipsum autem ad veritatis contemplationes quam ad alia magis fabrefactum deprehendi, ut qui mentem et ad rerum similitudinem (quod maximum est) agnoscendum satis mobi lem, et ad differentiarum subtilitates observandas satis fixam et intentam haberem, qui et quaerendi desiderium et dubitandi patientiam et meditandi voluptatem et asserendi cunctationem et resipiscendi facilitatem et disponendi sollicitudinem tenerem, quique nec novitatem affectarem, nec antiquitatem admirarer et omnem imposturam odissem. Quare naturam meam cum veritate quandam familiaritatem et cognationem habere judicavi.«21In einem Briefe an Thomas Bodley gesteht er selbst, daß er gar keinen Hang zu Staatsgeschäften habe und nicht ohne Überwindung sich mit ihnen abgeben könne. In einem Briefe an den König Jacob, den er nach seinem Sturze schrieb, ersucht er ihn, ihm doch seine Pension ausbezahlen zu lassen, damit er nicht genötigt sei, zu studieren, um zu leben, er, der nur zu leben wünsche, um zu studieren.

Galilei, der Zeitgenosse B. s, wohnte in seinen spätern Jahren fast alle Zeit »ferne von dem Getümmel der Stadt Florenz, entweder auf den Gütern seiner Freunde oder auf einem von den benachbarten Gütern D. Belloguardo oder D. Arcetri, woselbst er um desto lieber sich aufhielt, weil ihm deuchte, die Stadt sei gleichsam ein Gefängnis spekulativischer Gemüter, hingegen das freie Landleben sei ein Buch der Natur, so einem jeden immerdar vor Augen liege, der mit den Augen seines Verstandes darin zu lesen und zu studiren beliebe«.22Spinoza sagte: »Nos eatenus tantummodo agimus, quatenus intelligimus«, und nicht nur sein, das Leben aller Denker bestätigte die Wahrheit dieses Satzes. Leibniz sagt irgendwo: »Nous sommes faits pour penser. Il n'est pas necessaire de vivre, mais il est necessaire de penser«, und sein Wahlspruch, den gleichfalls sein Leben bewährte, war: »Pars vitae, quoties perditur hora, perit.« Der echte Denker, der echt wissenschaftliche Mensch dient aber nur der Menschheit, indem er zugleich der Wahrheit dient; er hält die Erkenntnis für das höchste Gut, für das wahrhaft Nützliche; ihre Förderung ist sein praktischer Lebenszweck; jede Stunde, die er nicht dem Dienste der Erkenntnis widmet, betrachtet er daher als einen Lebensverlust. Wie konnte also B. bei seiner entschiedenen Neigung zum Studium der Natur und der Wissenschaft überhaupt, die nur gedeiht in der Eingezogenheit und Beseitigung aller disparaten Beschäftigungen, sich in eine ihr geradezu entgegengesetzte Bahn, in die Bahn des Staatslebens werfen? Und was war die unausbleibliche Folge davon? Ein so geschickter und gewandter Staatsmann er auch war, was bei seinen ausgezeichneten Talenten nicht anders zu erwarten war, so war er doch in dem Staatsleben gleichsam außer sich, nicht in seinem Wesen; es fand in dieser politischen Tätigkeit sein Geist der nur das Bedürfnis der Wissenschaft hatte, keine Befriedigung; er hatte in dieser Sphäre notwendig keinen Mittelpunkt, keinen Halt, keinen festen Charakter, denn wo einer nicht sein Wesen hat, da hat er auch nicht seinen Schwer- und Mittelpunkt und wankt und schwankt deswegen hin und her; er war in dieser Sphäre nicht mit seiner Seele, nicht mit seinem ganzen Wesen, mit ganzer Fassung gegenwärtig23, und er mußte daher in diesem Widerspruche, in einer Sphäre zu sein, die nicht wahrhaft seine war, die dem wahren Triebe seiner Intelligenz widersprach, auch Fehltritte tun, die selbst seinem moralischen Wesen, das offenbar edler Natur war, widersprachen. Wenn einer wirklich sich berufen fühlt, produktiv, und zwar nicht in einer besondern Sphäre des Wissens, sondern in der Wissenschaft überhaupt, zu sein, Großes und Ewiges in ihr zu leisten, wenn er solche umfassende, universale Pläne faßt wie B., wenn er sich bestrebt, neue Prinzipien zu finden und noch dazu ein Wissen zu fördern und zu treiben, das eine unendliche Ausdehnung in die Breite und Weite erfordert, wenn er in sich den Trieb hat, die Wissenschaft selbst als solche zum Zweck und Ziel seines Lebens zu machen, so ist die Wissenschaft seine Seele, sein Mittelpunkt, die wissenschaftliche Tätigkeit die ihm angewiesene Sphäre; er ist außer ihr außer sich, in der Irre und Fremde, und läßt er sich durch irgendwas für äußere Reize und Motive verführen, sich in ein von der Wissenschaft abziehendes, entgegengesetztes Element zu begeben, so hat er den ersten und wahren Grund zu seinen spätern Mißgriffen und Fehltritten gelegt, er hat eine Sünde gegen den heiligen Geist begangen, denn er hat das der Wissenschaft allein rechtmäßig zukommende Geistesvermögen ihr, wenn auch nicht entzogen, doch ihren Anteil geschmälert, er hat einen Ehebruch begangen, indem er seine Liebe, die er allein seiner gesetzmäßigen Gattin, der Wissenschaft, zuwenden sollte, an die Welt verschwendet. Gerecht, ja, man könnte sagen notwendig war daher auch der schmähliche Sturz B.s, denn durch diesen Sturz büßte er für seinen ersten Sündenfall, für den Abfall von dem wahren Berufe seiner Intelligenz und kehrte er wieder in sein ursprüngliches Wesen zurück.

Wenn B. bewiesen hat, daß auch die Gelehrten große Staatsmänner sein können, so hat er auch zugleich, wenigstens von sich, bewiesen, daß die Wissenschaft im höchsten Grade eifersüchtig ist, daß sie die letzte Gunst nur dem gewährt der sich ihr ungeteilt hingibt, daß der Gelehrte, wenn er sich wenigstens eine solche Aufgabe stellt, wie B. sich stellte nichts auf das Weltwesen verwenden kann, ohne dadurch in das Hauswesen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit eine Störung zu bringen.24 Hätte B. sein Leben nicht zersplittert, hätte er nach dem Beispiel anderer großer Gelehrten sein ganzes Leben dem Dienste der Wissenschaft geweiht, so hätte er es nicht bei dem bloßen Kommandowort, bei dem vornehmen Überblick über den großen Bau der Wissenschaft bewenden lassen, ohne irgendeinen Teil daran auszuarbeiten; so würde er in die Tiefe besonderer Materien sich versenkt und bei der Masse von Kenntnissen, Versuchen und Beobachtungen, die ihm zu Gebote standen, und bei seinen ausgezeichneten Geistesfähigkeiten es zu bestimmten Resultaten gebracht, bestimmte Naturgesetze wie ein Galilei und Cartesius gefunden haben; so würde er die Universalität seines Geistes nicht in dem bloßen Entwerfen von Plänen, sondern auch in der Durchdringung und Bewältigung des Besondern, in der Erhebung des Besondern zum Allgemeinen, worin sich der wahre universale Geist bewährt, bewiesen und über so viele Gegenstände nicht so leichtfertig dahingefahren, kurz, unendlich mehr geleistet haben, als er wirklich geleistet hat.25

Wenn aber B. eine wahre Neigung zum spekulativen Leben in sich hatte, wie war es möglich, daß er sich dennoch in das politische Leben hineinwarf, daß er einen solchen Widerspruch beging? Nur dadurch, daß in seinem Wesen selbst, in seinem Geiste oder metaphysischem Geistesprinzip ein Dualismus lag. Obgleich nämlich B., wie sich zeigen wird, fern davon war, der Empiriker zu sein, der später aus ihm gemacht wurde, ob er gleich Sinn und Fähigkeit für metaphysisches Denken und seine Einfachheit hatte und selbst tiefe metaphysische Gedanken hervorbrachte, obgleich die Empirie ihm nicht die Sache, sondern nur das notwendige Mittel, nicht das Wesen, sondern nur ein Moment ist, so ist doch zugleich der Geist des Materialismus, wie er sich später entfaltete, der in die Sinnlichkeit ausströmende, nur nach außen gerichtete, von der sinnlichen, nur das Sinnliche für Realität haltenden Einbildungskraft beherrschte oder wenigstens affizierte Geist auch schon in ihm und seinem Geistesprinzipe enthalten. Mag B., um sich vor seinem eigenen Gewissen zu rechtfertigen, als Motiv seiner Bewerbungen um Staatsämter anführen, was er will, sogar den frommen Zweck der Seelsorge, den er am besten in einer hohen Stellung im Staate erreichen zu können geglaubt hätte; es war nur der aus sich herausströmende und herausgerissene, von dem Glanze weltlicher Größe geblendete Geist des Materialismus, der ihn über seine wahre Bestimmung, wenigstens anfangs, nicht zur Besinnung kommen ließ, aus der metaphysischen Einfachheit des wissenschaftlichen Lebens herauslockte und in den glänzenden Bilderreichtum des Staatslebens hineinzog. Es war also nur der Dualismus in seinem geistigen Wesen – ein Dualismus, der sich bei ihm auch darin äußert, daß er, während er eine rein unabhängige und selbständige Anschauung der Physik hatte und begründete, die Physik, die übrigens allerdings nach ihm nur einen Teil ausmachen soll, von der Theologie ganz losriß alle Beziehungen, die die Physik in ein Verhältnis zur Religion setzen, abschneidet, dennoch wieder aus Frömmigkeit seine rein physikalischen Gedanken im Geschmack seiner und der nächstfolgenden Zeiten mit den Aussprüchen der Bibel in Parallele setzt und so über die im Herzen ganz irdisch gesinnte Weltdame seiner Physik einen Heiligenschein verbreitet26, es war, sage ich, nur jener metaphysische oder geistige Dualismus, der den Dualismus seines Lebens erzeugte.

21. Impetus Philosophici: »De interpretatione naturae Prooemium«, coll. 744, ed. Francof. 1665. Dieses ganze Proömium ist von Wichtigkeit für den gegenwärtigen Gegenstand.

22. Lebensbeschreibung des Galilei in »Acta Philosophorum«, T. III, 15. Stück, 1724, und »Lettres philosophiques à Mad.... etc.« par Charle Pougens, Lettre sur Galilée.

23.