Geschichte des Zigeunermädchens - Miguel de Cervantes Saavedra - E-Book
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Miguel de Cervantes Saavedra

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Beschreibung

In 'Geschichte des Zigeunermädchens' präsentiert Miguel de Cervantes Saavedra eine mitreißende Erzählung über eine junge Zigeunerin, die sich gegen gesellschaftliche Normen und Vorurteile behauptet. Der Roman ist in einem fesselnden und einfühlsamen Stil verfasst und hebt sich durch seine genaue Charakterisierung und lebendige Darstellung von der Zeit um die spanische Renaissance ab. Cervantes nutzt sein Geschick, um die Leser in die Welt der Zigeuner hineinzuziehen und sie mit den Kämpfen und Triumphen der Hauptfigur mitfiebern zu lassen. Mit subtilen Hinweisen auf soziale Ungerechtigkeiten und moralische Fragen bietet das Buch einen einzigartigen Einblick in die Kultur und Mentalität seiner Zeit.

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Miguel de Cervantes Saavedra

Geschichte des Zigeunermädchens

 
EAN 8596547068662
DigiCat, 2022 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text
"

Es scheint, daß die Zigeuner und Zigeunerinnen nur auf die Welt kommen, um Spitzbuben zu werden. Sie stammen von Eltern, die Spitzbuben sind, werden mit Spitzbuben erzogen, studieren das Spitzbubenhandwerk und werden endlich Spitzbuben, die auf alle Fälle gemacht und bedacht sind; die Lust am Stehlen und das Stehlen selbst sind gleichsam unabtrennbare Teile ihres Wesens, das sie erst mit dem Tode verlieren.

Eine nun von diesem Volk, eine alte Zigeunerin, die in der Kunst des Cacus[1] bereits ihr Jubiläum gefeiert haben mochte, erzog als ihre Enkelin ein junges Mädchen, dem sie den Namen Preziosa gab und das sie in all ihren Zigeunerstreichen, Gaunereien und Diebeskünsten unterrichtete. Preziosa wurde die vortrefflichste Tänzerin im ganzen Zigeunervolk und das schönste und verständigste Kind, das man nicht nur unter Zigeunern, sondern unter allen Schönen und Klugen finden konnte, deren Ruhm je erschollen ist. Weder Sonne noch Luft noch auch alle Unbilden der Witterung, denen die Zigeuner mehr ausgesetzt sind als andre Leute, vermochten ihrer Schönheit Abbruch zu tun oder ihre Hände zu bräunen. Ja, was noch mehr ist, die rauhe Erziehung, die sie erhielt, konnte nicht verdecken, daß sie von gesitteteren Eltern abstammte, als es Zigeuner sind; denn sie war äußerst gewandt und sehr verständig. Bei all dem war sie frei, ohne die Grenzen der Sittsamkeit zu überschreiten; sie war vielmehr bei allem Witze so züchtig, daß in ihrer Gegenwart keine Zigeunerin, mochte sie alt oder jung sein, ein unanständiges Lied zu singen oder üble Worte zu sprechen wagte. Kurz die Großmutter erkannte, welchen Schatz sie in der Enkelin besaß, und so beschloß denn die alte Dohle, ihr junges Dohlchen ausfliegen zu lassen und es zu lehren, sich den Unterhalt mit den eignen Fängen zu gewinnen. Preziosa zog aus, reich versehen mit Festgesängen, Volksliedern, Seguidillas, Sarabanden und andern Versen, besonders Romanzen, die sie mit eigentümlicher Anmut vortrug; denn die schlaue Alte erkannte, daß bei der Jugend und Schönheit ihrer Enkelin dergleichen Schwänke und Spiele ein sehr glückliches Reiz- und Lockmittel abgeben müßten, das ihr Vermögen vermehren würde. So hatte sie denn auf allen möglichen Wegen nach solchen Dingen gesucht, und es fehlte nicht an Dichtern, die sie damit versahen; denn es gibt ebensogut Poeten, die sich mit den Zigeunern verstehen und Werke an sie verkaufen, wie es andre für die Blinden gibt, denen sie Wundergeschichten erfinden, um den Gewinn mit ihnen zu teilen. In der Welt kommt alles vor, und der Hunger treibt manche Köpfe, Dinge zu tun, die ihnen nicht an der Wiege gesungen worden sind.

Preziosa war in verschiedenen Gegenden Kastiliens aufgewachsen; in ihrem fünfzehnten Jahre aber führte ihre angebliche Großmutter sie in die Residenz, und zwar auf ihren alten Lagerplatz, die Felder der heiligen Barbara, wo sich die Zigeuner gewöhnlich aufhalten. Sie hoffte, in der Hauptstadt, wo alles gekauft und alles verkauft wird, werde auch sie ihre Ware losschlagen können. An dem Tage, als Preziosa ihren ersten Einzug in Madrid hielt, war das Fest der heiligen Anna, der Patronin und Schutzherrin der Stadt. Acht Zigeunerinnen, vier ältere und vier junge, führten unter der Leitung eines Zigeuners, eines vorzüglichen Tänzers, einen Tanz auf, und wenn sie auch alle sauber und geputzt erschienen, so trat doch Preziosens Zierlichkeit so sehr hervor, daß sie allmählich die Blicke aller Zuschauer auf sich zog. Durch den Klang der Schellentrommel und Kastagnetten, durch die Wirbel des Tanzes scholl der Ruf, der die Schönheit und Anmut des Zigeunermädchens pries. Jünglinge und Männer strömten herbei, um sie zu sehn; als man sie aber gar singen hörte (denn der Tanz war mit Gesang verbunden), wurde der Lärm so groß, daß das Lob der Zigeunerin von allen Seiten widerhallte und die Vorsteher des Festes ihr einstimmig den Preis für den besten Tanz zuerkannten. Nachher führten die Zigeuner in der Kirche der heiligen Maria, vor dem Bildnis der glorreichen Anna, den Reigen noch einmal auf, und nachdem er beendigt war, ergriff Preziosa ein Tamburin, zu dessen Klang sie sich aufs leichteste und zierlichste im Kreis bewegte, und sang folgende Romanze:

Köstlichster von allen Bäumen,Der so lang nicht Frucht getragen,Jahre, die wie einer TrauerHülle düster auf ihm lagen
Und auf reine HerzenswünscheEines liebevollen Gatten,Überwölkend seine Hoffnung,Schatten trüb geworfen hatten,
So daß aus der langen SäumnisKummer ward, der bitter nagte,Und der aus dem heilgen TempelDen gerechten Mann verjagte.
Heilig unfruchtbarer Boden,Dem im Anfang doch entsprossenJene überreiche Fülle,Die die ganze Welt genossen.
Haus der königlichen Münzstatt,Wo der Stempel ward geschlagen,Der dem Gott die Form gegeben,Die als Mensch er hat getragen.
Mutter du von einer Tochter,In der wollt und konnt entfaltenAlle Tugenden der Höchste,Die sonst Menschen nie erhalten.
Durch dich selbst und durch die TochterBist die Zuflucht du, o Anne,Welcher wir zur Rettung nahenHier in unsres Elends Banne.
In gewisser Art auch darfst du,Keinen Zweifel laß ich walten,Über deinem heilgen EnkelAls gerechte Herrin schalten.
Mitzuthronen, gleich dir Hohen,In der höchsten Himmelsfeste,Hielten wohl viel tausend ElternFür der Glückesgaben beste.
Welche Tochter! welch ein Enkel!Welcher Eidam! Hier ist wieder,Ist gerechterweise AnlaßFür Triumph- und Siegeslieder.
Aber du in deiner DemutBist ihr still voraufgeschritten:Drauf hat demutsvoll dir deineHeilge Tochter nachgelitten.
Und jetzt neben ihrer SeiteVor den Höchsten zugelassen,Schmeckest du die hohen Wonnen,Die wir ahnend kaum erfassen.

Preziosens Gesang erregte bei allen Zuhörern Bewunderung. Die einen sagten: „Gott segne dich, Kind.“ Andre: „Wie schade, daß das Mädchen eine Zigeunerin ist, wahrlich und wahrhaftig, sie verdiente die Tochter eines großen Herrn zu sein!“ Und wieder andre, die derber waren, sprachen: „Laßt das Dirnchen nur heranwachsen, sie wird schon ihre Streiche machen; bei Gott, sie wird ein hübsches Schleppnetz zum Fischen der Herzen.“ Wieder ein andrer, artiger, aber plump und ungeschickt in seinen Ausdrücken, rief, als er sie so flink im Tanz dahinschweben sah: „Auf, Töchterchen, auf! Und die Füße gerührt, mein Liebchen, damit es staubt.“ „Und ich Euch den Staub wieder ausklopfe,“ erwiderte sie, ohne den Tanz zu unterbrechen.

Als die Vesper und das Fest der heiligen Anna vorüber war, fühlte Preziosa sich ein wenig erschöpft, aber um ihrer Schönheit, ihres Witzes und Verstandes und ihrer Tanzkunst willen war sie auch schon so berühmt, daß man in der ganzen Residenz auf allen Straßen von ihr sprach. Vierzehn Tage nachher kam sie abermals nach Madrid, und zwar in Begleitung von drei andern Mädchen, mit Schellentrommeln und einem neuen Tanze. Alle waren sie ausgerüstet mit Romanzen und munteren, aber sittsamen Liedchen, denn Preziosa gab nie zu, daß ihre Gefährtinnen unschickliche Lieder sangen, so wenig sie selbst jemals mit dergleichen vortrat. Viele merkten das denn auch und hielten sie deshalb besonders hoch. Nie trennte sich die alte Zigeunerin, die sie wie ein Argus bewachte, von ihr, denn sie war immer in Angst, man könnte ihr das Mädchen entführen. Sie nannte sie ihre Enkelin, und Preziosa hielt sie für ihre Großmutter. Um den Zuschauern ein Vergnügen zu machen, stellten sie sich in der schattigen Toledostraße zum Reigen auf, und bald sammelte sich das ihnen nachziehende Volk zu einem großen Kreise. Während des Tanzes bat die Alte die Umstehenden um einen Beitrag, und die Achtel- und Viertelrealen regneten wie Hagelschauer auf sie ein, denn die Schönheit hat die Kraft, die schlafende Freigebigkeit zu wecken.

Als der Tanz zu Ende war, sprach Preziosa: „Wenn mir jeder vier Viertelrealen gibt, so will ich euch allein eine gar schöne Romanze singen über den ersten Kirchgang, den unsre Königin Doña Margarita nach ihrem Wochenbett in Valladolid gehalten hat, und zwar zur Sankt-Lorenzkirche; und ich sage euch, es ist ein Meisterstück, von einem Kapitalpoeten, der seinen Mann zu stellen vermag.“

Kaum hatte sie dies ausgesprochen, als alle Umstehenden mit lauter Stimme riefen: „Singe, Preziosa, da sind meine vier Quartos.“ Und von neuem hagelten die Geldstücke auf sie ein, so daß die Alte kaum Hände genug hatte, um sie zu sammeln. Als die Ernte geborgen war, griff Preziosa nach ihrem Tamburin und sang zu dem rauschenden Geklingel folgende Romanze:

Ersten Kirchgang nach den WochenHielt der Fürstinnen EuropensGrößte, die nach Wert und NamenStrahlet über jedem Lobe.
Wie die Augen sie emporschlug,Hat die Herzen sie erhobenAller, die bewundernd schautenIhre Andacht, ihre Hoheit.
Und zu zeigen, daß der HimmelRaum hat auf der Erde Boden,Wandelt hier die Sonne Östreichs,Dort die schmelzende Aurora.
Hinter ihr kam nachgezogenHell der lichte Stern des Morgens,Der so plötzlich aufgegangen,Daß von Tau die Himmel flossen.
Und wenn Sterne hat der Himmel,Die umstrahlte Wagen formen,Schönre Sterne ihrem HimmelHier auf irdschen Wagen folgten.
Hier der alternde SaturnusGlättet und verjüngt den Bart sichUnd geht schnell, der sonst so langsam,Denn von Gicht heilt ihn die Wonne.
Und der Gott der leichten RedeSpricht in süßen Schmeichelworten;Und in bunten Chiffren Amor,Die Rubin und Perl' umbortet.
Dort geht Mars, der Muterfüllte,Wunderbar herausgeputzt,Wie ein kecker Jüngling, der sichAn dem eignen Schatten stößt.
Hart am Haus der Sonne schreitetJupiter; denn was erobertNicht das innige Vertrauen,Das durch Klugheit wird gewonnen?
Luna folgt ihm, auf den WangenMancher Menschengöttin thronend;Venus, in den Zügen jener,Welche diesen Himmel bilden.
Kleine, holde GanymedeSchwärmen, drängen, gehen, kommenUm den goldumstrahlten GürtelDieses hehren Himmelsbogens.
Und damit sich alles wundre,Alle ihr Erstaunen zollen,Steigt die strahlende VerschwendungNun hinan zum Wundervollen.
Mailands reiche PrachtgewebeLiegen hier der Menge offen,Indiens helle DiamantenUnd Arabiens Arome.
Denen, welche bösen Sinnes,Muß der Neid im Herzen toben,Aber Jubel füllt den BusenJedes echten spanschen Sohnes.
Fliehend aus der Trauer BandenZieht der allgemeine FrohsinnDurch die Straßen, durch die Plätze,Wie auf lauten Wahnsinns Wogen.
Zu viel tausend SegenswünschenTut der Mund sich auf der Stille,Und es wiederholt die Jugend,Was das Alter ausgesprochen.
Einer spricht: „Ergiebge Rebe,Wachs empor und schling dich engHer um die geliebte Ulme,Daß ihr Schatten dich umflore,
Dir zu deinem eignen RuhmeUnd zu Spaniens Ehr und FrommenUnd zur Förderung der KircheWie zum Grausen des Mahoma!“
Eine andre Stimme rufet:„Lebe hoch, o Taube, holde,Die für uns du hast geborenEinen Aar mit zweien Kronen,
Zu vertreiben aus den LüftenJeden raubergebnen Vogel,Mit dem Fittich zu bedeckenJeder Tugend bange Sorgen!“
Noch ein andrer, der noch feinerGab des raschen Witzes Proben,Sprach, in Augen und im MundeAusgedrückt das Herz, das frohe:
„Diese Perle, die du schenktest,Östreichs Perlenmutter, große,Wie viel List hat sie vereitelt,Wie viel Wünsche sie gebrochen!
Was zerstört sie nicht an Ränken,Was gewährt sie nicht an Hoffnung,Welche Fehlgeburten treibt sieJetzt nicht aus dem Zeitenschoße!“
Mittlerweile kam zum TempelMan des Phönix, der in RomaHat den Flammentod bestandenUnd nun lebt in ewger Glorie.
Und zum Bild des ewgen Lebens,Zu der Königin dort oben,Die, weil sie in Demut wallte,Über Sterne ward erhoben,
Zu der Mutter und der Jungfrau,Zu der Tochter und VerlobtenGottes hat, aufs Knie gesunken,Margarita so begonnen: