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Mit diesem kleinen Buch nehmen Sie einen Cocktail zu sich, der aus Kurzgeschichten verschiedener Genres und lyrischen Texten gemixt wurde. Die Rezeptur reicht von sinnlich bis dramatisch, von melancholisch bis bitterböse, von skurril bis real, von witzig bis traurig. Lassen Sie Ihren Augen diese Shortdrinks aus Worten schmecken.
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Seitenzahl: 98
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Worte
Sonntagsfrühstück
Kindheit
Spuren
Die Erzieherin
In der Höhle
Schachmatt
Zerrissen
Die Waage
Die Suppe
Auf der Klippe
Der Hundebesitzer
Kopfkino-Einkaufszettel
Dreiergespann
Im Wald
Zeit
Pilzexkursion
Der Kämmerer
Der neue Kämmerer
Gerüchte
Die Einladung
Paula und Chris
Lebensfäden
Gewichtsprobleme
Sorgenvolles Gemüse
Verhext
Am See
Der Schlapphut
Einsicht
Ruf nach dir
Abschied
Meine Samtpfoten
Worte sind mehr als nur ein Wort.
Auch ein Vorwort ist ein Wort,
auf das ich hier verzicht‘,
und schreibe ein Gedicht:
Worte zeigen, Worte bleiben.
Worte haben Macht
mal wie Dolche
mal nur Strolche.
Worte schmeicheln
Worte heucheln.
Sie betören und zerstören.
Worte lieben und umarmen
Worte hassen und umgarnen.
Worte lachen, weinen, singen
Worte klingen.
Ich bin bockig, aufmüpfig, nicht lieb und nicht brav, verzogen und egoistisch. Ich bin all das, was ein verwöhntes Einzelkind ausmacht. Ich hatte die besten Eltern und eine glückliche Kindheit, aber ich bin ein Bastard.
An einem Sonntagmorgen 1971 - es muss in der zweiten Jahreshälfte gewesen sein, denn ich war 16 und hatte meine Ausbildung am 01.August begonnen - sah ich Unheil auf mich zukommen.
Die Sonntagmorgende fand ich immer sehr schön. Wir saßen gemeinsam am üppig gedeckten Tisch in der Küche, frühstückten gemütlich und besprachen, was der Tag uns Schönes bescheren könnte. Mein Pudel nahm auch Teil und fieberte dem Leberwurstbrot entgegen, welches ich schmierte und in kleine Häppchen schnitt. Es war ja Sonntag!
An diesem Sonntagmorgen war alles anders. Nur der Frühstückstisch war gedeckt wie immer – jedoch ergänzt um zwei gefüllte Cognacschwenker und einer Flasche Springer Urvater. Ich starrte meinen Vater entsetzt an, als er sich den Cognac noch vor dem Frühstück wegkippte. Als meine Mutter – sie hätte die Leiche in einem Krimi spielen können, so kreidebleich war sie – es ihm gleich tat, wusste ich, dass hier etwas ganz gewaltig die Nase bist zum Mond beleidigt. Meine Mutter trank keinen Cognac! Nie! Mich überfiel Panik. Ich verlangte auch einen Cognac und bekam ihn. Ich bekam fast immer, was ich wollte. Ich schüttelte mich. Dann wurde ich aus der Küche geschickt. Mein Vater sagte, es gäbe etwas zu besprechen, aber erst mit Thomas. Thomas war mein erster richtiger Freund und hatte bei uns übernachtet. Trotz des Cognacs auf nüchternem Magen war ich hypernervös. Mein Herz hämmerte, mein Bauch rumorte, mein Mund war trocken wie eine Wüste und meine Hände eiskalt und gleichzeitig nass vor Schweiß.
Ich versuchte zu lauschen, hörte außer Gemurmel aber nichts. Es dauerte nur kurz, bis ich endlich dazu gebeten wurde. Ich sollte mich setzen. Meine Mutter hatte verweinte Augen, deren Röte sich unheimlich von ihrer Leichenblässe abhob. Jetzt erinnerte sie mich an einen Zombie. Erneut ergriff mich die Angst. War sie krank? Womöglich sterbenskrank?
«Vor vielen Jahren haben wir erfahren, dass Mutti keine Kinder bekommen kann», begann mein Vater umständlich. Ich schaute beide verständnislos an.
«Na und», erwiderte ich. «Hat doch geklappt, ich bin doch da.» Doch kaum ausgesprochen, schwante mir etwas.
«Wir müssen dir sagen, dass du nicht unser leibliches Kind bist. Wir haben dich adoptiert», ließ mein Vater die Bombe platzen. Meine Mutter weinte jetzt haltlos, ergriff meine Hand und fragte: «Sind wir trotzdem noch deine Eltern?»
Es war nicht die Botschaft, die mich fassungslos machte. Es war die Frage meiner Mutter. Es war die Angst meiner Eltern, es mir zu sagen. Es war die Furcht vor meiner Reaktion. Ich musste sie erlösen – auf der Stelle - und nahm beide in meine Arme.
«Ihr werdet immer meine Eltern sein», sagte ich. «Aber ich möchte alles wissen – alles!»
Alles haben wir an diesem Sonntag nicht besprechen können. Viele Geschichten folgten nach und nach, die mir meine Eltern erlöst und auch mit Humor erzählten. Solche, wie zum Beispiel mein Vater in der Eile der Mittagspause ein Gefäß mit seinem Sperma füllte und mit der kostbaren Fracht auf dem Fahrrad zum Arzt eilte.
Zuerst hatte ich natürlich Fragen zu meinen leiblichen Eltern. Die Frau, die mich gebar, war verwitwet und wurde nach dem Tod ihres Mannes schwanger. 1954 ein absolutes moralisches und sittliches Tabu! Noch bevor sich die Schwangerschaft äußerlich sichtbar wurde, zog sie unter einem Vorwand 100 km von ihrer Heimatstadt weg an meinen Geburtsort. Vermittelt wurde ich durch eine Hebamme, die auf Wunsch meiner leiblichen Mutter noch lange Kontakt mit ihr hielt, um sich nach mir zu erkundigen.
Anfangs war es wohl nicht leicht für meine Eltern, besonders nicht für meine Mutter. Sie erzählte, dass ich als Säugling sehr viel geschrien habe und hat es so interpretiert, dass sie eine Fremde war. Mehrfach gingen ihr die Nerven durch und sie wollte mich wieder zurückgeben. Aber wohin?
Meine Eltern waren nicht begeistert, dass ich die Adoptionsakte sehen wollte. Zuviel Bürokratie. Aber ich bestand darauf. Diese Akte war all die Jahre im Kleiderschrank meiner Eltern versteckt gewesen und nun wurde mir auch klar, wieso meine Mutter hysterisch schimpfte, wenn ich mich mal mit ihrem Zeug verkleiden wollte.
Es war der richtige Zeitpunkt für die Wahrheit – nicht nur, weil ich mit 16 die nötige Reife dafür hatte. Kurze Zeit später hätte ich sie auf andere Weise erfahren. In meiner Ausbildung kam ich in ein Büro, in welchem die Zweitschriften der Standesamtbücher aufbewahrt wurden. Natürlich hätte ich mir neugierig den Jahrgang 1955 gegriffen und gesehen, dass ich zum Zeitpunkt meiner Geburt einen ganz anderen Nachnamen trug, dass meine Eltern anders hießen und woanders herkamen. Es wäre mir sicher wie ein Irrtum vorgekommen, wenn die Geburtsurkunde nicht mit dem Adoptionsvermerk versehen gewesen wäre.
Einen Tag zuvor war ein Junge im selben Krankenhaus zur Welt gekommen, der auch zur Adoption frei gegeben war. Meine Eltern wollten aber noch die nächste Entbindung abwarten, hofften sie doch auf ein Mädchen. Das war dann auch am nächsten Tag da – nämlich ich. Bis heute stelle ich mir die Frage, wie wohl mein Leben in einer anderen Familie verlaufen wäre. Ich bin sehr froh, dass meine Eltern sich in Geduld übten.
Ich habe nie das Bedürfnis gehabt, Nachforschungen anzustellen. Zum einen, weil meine leibliche Mutter vor ihrer Familie (sie hatte noch mehr Kinder aus ihrer Ehe) meine Existenz geheim halten wollte. Das hatte ich zu akzeptieren. Sie wusste, wo und bei wem ich lebte. Hätte sie es sich irgendwann anders überlegt, hätte ich mich nicht gesperrt.
Meine Eltern aber waren die, welche mich groß zogen und über alles liebten.
Ein Salmi-Lolli in der Woche - Freude
Rote Soße aus der Fischdose löffeln - das Zeug bekleckern
Wurzeln aus dem Boden ziehen, an der Hose abputzen, mit Erde essen - knackig knirschend
Schoten von den Erbsen knuspern - so süß
Maiskörner vom Hühnerfutter kosten - Neugier
Sauerampfer beim Spaziergang mit Vati naschen - Freiheit
rote Brause in der Dorfkneipe - groß
Brausepulver auf der Zunge – prickelnd
«Wir fahren heute nicht nach Schleswig», sagte Isabell zu Rüdiger.
«Wieso das denn nicht?», fragte ihr Mann.
«Das Wetter ist so schön. Ich möchte lieber an den Strand.»
Sie würde Rüdiger nicht von ihrem Traum erzählen, in dem sie auf dem Weg nach Schleswig schwer verunglückt waren. Er würde sie nur wieder auslachen.
Das Wetter war wirklich traumhaft an diesem Frühsommertag im Juni. Strahlend blauer Himmel und kein Luftzug regte sich. So war Rüdiger einverstanden.
Beide wanderten barfuß durch den weichen und von der Sonne erwärmten Sand. Das Meer lag lautlos und glatt wie ein Spiegel neben ihnen.
Isabell verfolgte mit ihrem Blick die Spuren zweier nackter Kinderfüße. Sie wunderte sich, keine Spuren von Erwachsenen zu sehen. Ihr fiel auf, wie deutlich die Abdrücke waren. Jede einzelne Zehe war zu erkennen. Sie schaute zurück auf ihre Spuren, die mit dem feinen Sand verschmolzen. Das kommt sicher vom Gewicht, dachte Isabell. Plötzlich blieb sie wie festgenagelt stehen.
«Was hast du?», fragte Rüdiger.
«Die Spuren – sie sind weg! Sie hören plötzlich auf. Einfach so.» Isabell war verwirrt.
Rüdiger schaute seine Frau skeptisch an. «Das Kind wird vielleicht umgedreht sein. Oder der Wind hat die Spuren verweht.»
«Es ist kein Wind und es gibt keine Spuren in eine andere Richtung.», erwiderte Isabell gereizt.
«Vielleicht ist es ja weg geflogen», ärgerte Rüdiger seine Frau. «Nun komm, lass uns weiter gehen.»
Schweigend liefen sie nebeneinander her. Auf dem Rückweg konnte Isabell es kaum erwarten, die Spuren wieder zu erreichen. Bestimmt hatte sie sich getäuscht und es gab doch Spuren zurück. Rüdiger musste wirklich denken, sie sei nicht mehr ganz richtig.
Isabell traute ihren Augen kaum, als sie die Stelle erreichten. Es gab Spuren zurück – aber nur zurück, keine mehr in die andere Richtung. Und immer noch kein Wind, der etwas verweht haben könnte. Zu Rüdiger sagte sie jetzt lieber nichts mehr. Sie zweifelte schon selbst an ihrem Verstand.
Gespannt verfolgte Isabell die Kinderspuren, deren Abdrücke genauso klar und gestochen waren wie auf dem Hinweg. Sie führten zu einem großen Stein, auf dem ein kleines Mädchen saß – höchstens vier oder fünf Jahre alt. Sie war hübsch, aber passte nicht dorthin. Ein Teil ihrer langen blonden Haare war zu einer Tolle hoch gesteckt und mit einer übergroßen weißen Schleife verziert. Sie trug ein weißes Kleid mit Spitzen und mit einem Reif im unteren Saum. Merkwürdig, dachte Isabell, als wolle die Kleine zum Fasching oder zum Mittelalterfest.
Isabell näherte sich dem Mädchen. Rüdiger verließ den Strand und ging zum Auto.
«Was machst du denn hier so ganz alleine?», wollte Isabell wissen.
Das Mädchen antwortete: «Ich habe auf dich gewartet, Isabell.»
Isabell starrte das Kind an. «Du kennst meinen Namen? Und wieso auf mich gewartet?»
Die Kleine ging nicht darauf ein und sagte: «Ich muss jetzt gehen.»
«Ich begleite dich.», sagte Isabell. Ihr war mulmig zumute.
«Nein, ich gehe alleine», bestimmte das Mädchen und ging ihres Weges.
Isabell war verwirrt. Was war das? Schon wieder ein Traum? Sie setzte sich auf den Stein, auf dem zuvor das Mädchen saß und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Sie schaute sich um, sah die Kleine aber nicht mehr. Nur diese deutlichen Spuren waren da. Isabell ging ihnen nach. Die Spuren hörten plötzlich auf.
Im Auto sagte Rüdiger leicht zynisch: «Na siehste, war doch alles normal mit den Spuren. Du siehst immerzu Gespenster.»
«Ja, alles normal», antwortete Isabell. Es würde nichts bringen, Rüdiger von ihrem Erlebnis zu erzählen.
Am Abend schauten sie zu Hause die Regionalnachrichten im Fernsehen. Es wurde von einem schweren Unfall am Morgen auf der Strecke nach Schleswig berichtet.
Mit einer Stimme, die so schleppend klingt, als würde sie durch Schlamm gezogen, jammert Laura: «Ich kann das E nicht schreiben. Ich sehe das nicht ganz.»
Anna setzt sich zu der kleinen Laura. Laura ist acht Jahre alt, hat das Down-Syndrom und möchte gerne schreiben lernen. Sie nimmt die Buchstaben nicht vollständig war und sieht nur Teile davon - jedenfalls auf den ersten Blick. Anna übt mit ihr das E. Laura registriert davon nur zwei Striche statt der enthaltenen vier. Deswegen schneidet Anna aus Kartonpapier einen längeren Strich und drei kürzere aus. Sie zeigt Laura, die Striche richtig zu legen, so dass sie ein E ergeben. Anna weiß, dass es nur eine Sache der Übung und des täglichen Trainings ist, bis Laura selbständig das E in seiner Vollkommenheit wahrnimmt und schreiben kann.
Während Laura übt, kümmert sich Anna um die anderen Kinder und Jugendlichen. Sie haben alle Behinderungen und einige auch das Down-Syndrom. Aber alle wollen etwas lernen und sie lernen gerne von Anna. Anna zeigt ihnen nähen, stricken, häkeln, zimmern, zeichnen, musizieren, lesen, schreiben und überhaupt alles, was die Kinder möchten. Anna ist ein echtes Multitalent und alle mögen sie nicht nur deswegen, sondern weil sie auch sehr lieb und geduldig ist.
Nachdem alle mit ihren Tätigkeiten und Interessen versorgt sind, geht Anna zurück zu Laura, die fleißig ihr E legt.