Gespenster-Krimi 118 - Chris Steinberger - E-Book

Gespenster-Krimi 118 E-Book

Chris Steinberger

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Beschreibung

Eine Böe ließ eine kleine sandige Windhose in die Luft wirbeln. Niemandem fiel dieses winzige Naturschauspiel auf, denn die Anwesenden hatten ihre Augen auf die Männer gerichtet, die nebeneinander an drei übergroße Holzkreuze genagelt waren. Römische Soldaten hielten den Pöbel davon ab, sich den Gekreuzigten zu nähern. Sowohl Wehklagen als auch Freudenrufe waren aus der Menschenmenge herauszuhören. Hier am Schädelberg sollte sich das Schicksal der Menschheit erfüllen. Hier auf dem Berg Golgatha ...


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Inhalt

Cover

Die Lanze des Gellius

Special

Vorschau

Impressum

Die Lanze des Gellius

von Chris Steinberger

Eine Böe ließ eine kleine sandige Windhose in die Luft wirbeln. Niemandem fiel dieses winzige Naturschauspiel auf, denn die Anwesenden hatten ihre Augen auf die Männer gerichtet, die nebeneinander an drei übergroße Holzkreuze genagelt waren. Römische Soldaten hielten den Pöbel davon ab, sich den Gekreuzigten zu nähern. Sowohl Wehklagen als auch Freudenrufe waren aus der Menschenmenge herauszuhören. Hier am Schädelberg sollte sich das Schicksal der Menschheit erfüllen. Hier auf dem Berg Golgatha ...

Jerusalem, ca. 35 n. Chr.

Der Hammer trieb den Nagel mit einem Schlag glatt durch die Handwurzelknochen. Es ging schnell. Der Mann kannte seine Arbeit. Das Blut lief dunkelrot aus der Wunde und tropfte auf den sandigen Boden. Dann waren die Füße an der Reihe.

Als das erledigt war, stemmten drei weitere Männer das Kreuz in die Höhe und versenkten es in eine kleine Grube. Es wurde mit Holzkeilen stabilisiert, und zum Abschluss schlug der Mann mit dem Hammer die Fußbank, auf der der Delinquent stand, einfach weg. Dieser sackte mit einem leidvollen Reißen an Fleisch und Knochen nach unten.

Hätten die römischen Henker gewusst, wen sie da soeben an das Kreuz nagelten, sie wären schreiend davongerannt. Hätten sie ihn gekannt, sie hätten ihm die Nägel nicht durch Hände und Füße getrieben, sondern mitten durch sein verderbtes Herz. Vielleicht wären sie dann sogar klug genug gewesen, den Leichnam zu verbrennen und die Asche in alle vier Winde zu verstreuen. Aber diese unseligen Narren wussten nicht, wer er war.

Er war kein Mensch. Äußerlich ja. Aber er hatte das Bewusstsein dieses armseligen Mannes schon vor einiger Zeit zerstört und dessen Körper übernommen.

Er war unempfindlich gegen Schmerzen, und so beachtete er die Stahlstifte in seinem Fleisch kaum. Im Gegensatz zu den anderen beiden Männern, die mit ihm zum Tode durch Kreuzigung verurteilt worden waren. Diese stöhnten und schrien unter den Schlägen, welche die Nägel in ihr Fleisch hämmerten.

Am Fuß des Schädelbergs hatte sich eine Menge Schaulustiger versammelt, die sich die Hinrichtungen nicht entgehen lassen wollten. Die drei übergroßen Holzkreuze sollten die Menschen daran erinnern, dass die Macht des Kaisers keinen Bruch der römischen Gesetze duldete. Doch der Pöbel johlte und tanzte vergnügt.

Die Sonne verbarg sich hinter dunklen Wolken, als wolle sie nicht auf die blutige Hinrichtung hinabscheinen. Die Soldaten begutachteten zufrieden ihre Arbeit. Dann packten sie ihre Arbeitsgeräte zusammen und verließen die Hinrichtungsstätte.

Zurück blieben drei Legionäre, die vor den Gekreuzigten Aufstellung nahmen. Mit Speer und Turmschild ausgerüstet, machten sie dem gemeinen Volk deutlich, wer hier das Sagen hatte. Der Dieb mit dem Namen Gestas drehte langsam seinen Kopf und sah den Mann zu seiner Linken an. Soweit er erkannte, hielt dieser seine Augen geschlossen. Doch seine Lippen bebten, so als würde er mit sich selbst reden.

Mit einem hämischen Lachen bemerkte Gestas die Dornenkrone auf dem Haupt des Mannes. Jetzt erinnerte er sich wieder, wer er war. Dieser Mann sollte der König der Juden sein. Ein Prophet und der Sohn Gottes.

Der Verbrecher lachte auf. Jetzt konnte er deutlich hören, was der Mann immer wieder zu sagen versuchte.

Schließlich hob dieser selbsternannte Sohn Gottes seinen Kopf gen Himmel und stieß die Worte ein letztes Mal flehentlich in Richtung der schwarzen Wolken: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

Nun sprach ihn Gestas direkt an, wobei seine Stimme vor Hohn nur so troff: »Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!«

Doch Dismas, der dritte Gekreuzigte, wies Gestas zurecht: »Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen. Dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!«

In diesem Moment brach die düstere Wolkendecke für einen Augenblick auf, und einige Sonnenstrahlen fielen auf die drei Männer.

Der Mann, den Dismas mit dem Namen Jesus angesprochen hatte, antwortete: »Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!«

Gestas schnaubte verächtlich und spuckte aus. Der Dämon wusste, dass ihm das heilige Geschwafel nicht gefährlich werden konnte. Nichtsdestotrotz musste er sich eingestehen, dass diesen wundersamen Rabbi eine merkwürdige Aura umgab, die ihn unruhig machte.

Er schüttelte diese Gedanken ab, denn die Kreuzigungstortur konnte seinem Wirtskörper durchaus gefährlich werden, wenn er nicht bald einen Ausweg fand. Er spürte, wie der Leib schwächer wurde und seine Lebensenergie verlor.

Über Jahrhunderte hatte er sich von den schwarzen Kräften, die diesem Ort innewohnten, genährt und die Zeiten überdauert. Doch das war nun vorbei. Die Magie war unerwartet erloschen, und wenn er die Zeichen und Gerüchte seitdem richtig gedeutet hatte, war diese verfluchte Stadt dem Untergang geweiht. Er musste von hier fort. Irgendwohin, wo die alten Zauberkräfte der Schatten noch lebendig waren.

Die Geißelung, die vor der eigentlichen Kreuzigung stattfand, hatte den Körper dieses armseligen Diebs mehr geschwächt, als er zugeben wollte.

Der Dämon kannte das Ritual dieser unmenschlichen Foltermethode nur zu gut. Schließlich war er bei vielen Hinrichtungen dabei gewesen. Oft sogar als einer der Henker.

Die Prozedur endete immer und unweigerlich mit dem Tod. Sollte einer der Wachsoldaten glauben, dass der Gekreuzigte gestorben war, bekam er mit der Lanze einen Stich in den Bauch. Und das brachte ihn auf eine Idee. Eine Idee, wie er doch einen Ausweg finden könnte.

Sein Plan war tollkühn, und er riskierte dabei nicht weniger als seine Existenz. Die Gesetze des Dämonenreiches ließen es nicht zu, dass er seinen Wirt nach Belieben wechseln konnte. Eine Reihe von Konstellationen und magischen Ritualen mussten dafür beachtet werden. Und Vorbereitungen hatte er in der Kürze keine mehr treffen können. Die Verhaftung durch die römischen Truppen war unverhofft und schnell geschehen. Ihm blieb jetzt keine Zeit mehr, denn er wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass seine schwarzmagische Seele in einem Zwischenreich dahinsiechte oder womöglich gänzlich vernichtet wurde. Hatte er also überhaupt eine andere Wahl?

»Ihr elenden Heuchler!«, schrie er so laut, dass sich einige Männer in der Menge neugierig zu ihm hindrehten und manche sogar aufhörten zu tanzen.

»Verflucht sollt ihr sein. Für alle Ewigkeit verfluche ich euch, auf dass ihr allesamt im Höllenfeuer schmort. Eure Nachkommen sollen besessen werden von den Dämonen der Unterwelt, damit sie Unzucht treiben mit den Tieren. Das Korn soll euch auf den Feldern verdorren, und euer Vieh soll darniederliegen und unfruchtbar werden!«

Er holte Luft, damit er noch weitere Schmähungen und Flüche über das Volk und überhaupt alle Anwesenden ausbringen konnte. Doch schon traf ihn wie aus dem Nichts heraus ein Stein mitten ins Gesicht. Sein Kopf ruckte nach oben, und der Dämon spürte, wie ihm das Blut am Kinn hinunterlief.

Er fing an zu lachen. Da traf ihn der nächste Stein an der Schulter, und mit einem Mal flogen dutzende Brocken auf Gestas. Es waren fürchterliche Treffer, die einen Menschen schwer verletzt hätten. Doch er lachte weiter, bis seine Stimme schließlich doch verstummte.

Bevor noch weitere Gegenstände auf den Delinquenten geworfen werden konnten, schritten die Soldaten ein und beendeten den entstehenden Tumult.

Der Dieb rührte sich nicht mehr. Sein Kopf hing schlaff nach unten. Blut tropfte auf den Boden. Kratzer, Schrammen und blutige Wunden verteilten sich auf seinem fast nackten Körper. Es schien kein Leben mehr in ihm zu sein.

Das bemerkte auch einer der drei Wachsoldaten am Fuße des Kreuzes. Skeptisch blickte er auf den erschlafften Körper, der nur noch durch die Nägel am Holzbalken gehalten wurde, und suchte nach einem Lebenszeichen. Der Brustkorb bewegte sich nicht mehr. Dieser Mann musste tot sein.

Langsam hob Novatus Romus Gellius, der dritte Sohn einer angesehenen römischen Familie, seinen Spieß und drückte die geschliffene Spitze fast zärtlich gegen die Bauchhöhle des Delinquenten.

Vorsichtig ritzte der Römer die Haut auf. Für den Fall, dass der Mann noch lebte, durfte er ihn nicht aus Versehen töten. Zuerst geschah nichts. Dann quoll ein dunkler Tropfen Blut aus der Wunde und berührte die scharfe Klinge des Speers.

In diesem Moment geschah etwas Seltsames. Die Wolken zogen sich mit einem Mal zusammen, und eine unnatürliche Stille legte sich wie ein schwarzes Tuch über den Schädelberg. Es war, als wären der Legionär und der Delinquent ganz allein inmitten der Finsternis.

Im nächsten Moment blähte sich der Bauch des Diebes auf und platzte wie eine überreife Frucht. Schwarzes Blut ergoss sich über die Lanze. Ohne jede Vorwarnung brach plötzlich ein greller Blitz aus den Wolken und schlug mit großer Wucht und einem gewaltigen Knall in die Speerspitze. Grüne Lichtblitze tanzten in der Luft.

Der Wachsoldat schloss instinktiv die Augen und ließ die Waffe fallen, als hätte sich der Schaft in glühend heißes Eisen verwandelt.

Das dunkle Blut kroch von der Spitze hinab, bis es den stählernen Kopf des Speers vollständig umgab. Es entstand ein schmatzendes Geräusch, und das Blut wurde nach innen gesogen. Der Speerkopf hatte die Flüssigkeit vollständig in sich aufgenommen. Dann war alles vorbei.

Novatus Romus Gellius schüttelte verwirrt den Kopf. Er bemerkte, dass ihn die anderen beiden Legionäre argwöhnisch und mit offenkundigem Unverständnis beobachteten. Was war geschehen?

Der Mann, im Range eines Legionärs, der bald in den Stand des Offiziers erhoben werden sollte, griff behutsam nach seinem Kriegsgerät, das vor ihm auf dem Boden lag, und prüfte dessen Einsatzbereitschaft. Nichts deutete darauf hin, dass die Stichwaffe beschädigt war.

Er hob den Blick und starrte auf den Delinquenten, den gekreuzigten Dieb. Bis auf die winzige Wunde, die er ihm in den Bauch geritzt hatte, war nichts zu sehen. Es schien, als hätte der Soldat alles nur geträumt.

Noch einmal hob Novatus Gellius den Kopf. Bestimmt war die verfluchte Hitze in diesem gottverlassenen Land schuld. Er wünschte sich mehr denn je, endlich wieder nach Rom versetzt zu werden. Nicht, dass es dort weniger warm gewesen wäre, aber hier in dieser Provinz gab es nicht die Vorzüge der römischen Zivilisation. Von anderen Vorzügen der Heimat ganz zu schweigen.

Gellius stach ein weiteres Mal zu und vergewisserte sich, dass der Delinquent wahrhaftig nicht mehr am Leben war. Anschließend hob er seine Hand und gab das Zeichen, dass die Todesstrafe vollzogen war.

Die Jubelschreie des Pöbels nahm er kaum wahr. Vielmehr schien es ihm, als würde die Lanze in seinen Händen schwach vibrieren.

Novatus Romus Gellius stellte sich am Fuße des Kreuzes auf und wartete auf seine Ablösung. Der Römer wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass er soeben zum Spielball eines unheimlichen Plans geworden war, der einmal in ferner Zukunft die Welt verändern sollte.

Der Camerlengo empfing Pater Pius, der um eine Privataudienz bei seiner Heiligkeit und Namensvetter Papst Pius IX. gebeten hatte. Die beiden Männer mochten sich nicht sonderlich und waren nur durch ihren Glauben und die Treue zum Heiligen Vater einander verbunden.

»Wie ich hörte, bist du erst jüngst von einer Expedition aus Frankreich zurückgekehrt. War sie von Erfolg gekrönt?«

Schon allein die Tatsache, dass ihn der Camerlengo duzte, störte Pater Pius gewaltig. Davon abgesehen, ging es den Kammermeister des Papstes nichts an, ob Pius' Mission erfolgreich war oder nicht. Auch wenn Tommaso Riario Sforza das natürlich anders sah.

Dennoch musste der Geistliche schmunzeln, als er gerade daran dachte, dass er einen Teufel tun und dem Camerlengo weder Rede noch Antwort stehen würde.

»Die Reise verlief glücklicherweise komplikationslos. Danke der Nachfrage.«

»Konntest du das Artefakt sicherstellen und in Besitz nehmen?«

»Mit Verlaub werde ich nur dem Heiligen Vater berichten. Wenn es an der Zeit ist, Euch darüber zu informieren, wird es Eure Heiligkeit Euch sicherlich wissen lassen.«

Riario Sforza lächelte schief und deutete eine Verbeugung an, die er als Kardinal einem einfachen Pater gegenüber nicht hätte machen müssen. Pius erkannte die Falschheit hinter dem Lächeln und den Hohn hinter der Verbeugung. Trotzdem ließ er sich zu keiner Bemerkung hinreißen.

Der Kammermeister klopfte an die reichlich verzierte Tür zur Privatbibliothek des Papstes. Dort wurden die Privataudienzen abgehalten.

Der Camerlengo öffnete die Tür, ging voraus und kündigte Pater Pius dem Heiligen Vater an.

Der Pontifex Maximus erhob sich aus seinem schweren Ledersessel, breitete seine Arme aus und lief freudestrahlend auf Pater Pius zu.

»Mein lieber Claudio! Wie schön, Euch gesund und munter zurückzusehen!«

Obwohl Pater Pius fast einen gesamten Kopf größer war als der Heilige Vater, umarmten sie sich herzlich. Anschließend kniete sich Pius nieder und küsste den Siegelring des Papstes. Mit einem Kopfnicken entließ der Bischof Roms den Camerlengo.

Als sie allein waren, fragte er: »Wie war dein Besuch in Alet-les-Bains?« Der Pontifex pflegte Pius zu duzen, wenn sie unter sich waren. Beide verband eine langjährige Freundschaft, auch wenn der Papst deutlich älter war als Pius.

Mit seiner rechten Hand bot der Stellvertreter Gottes auf Erden seinem Besuch einen Platz und schenkte aus einer silbernen Karaffe einen tiefroten Wein in zwei Becher.

Sie prosteten sich zu und nahmen jeder einen tiefen Schluck. Beide setzen ab, und erwartungsvoll blickte der Papst auf Pius.

»Ich traf den Großmeister des Templerordens auf dem Kloster in Alet-les-Bains. Er zeigte mir das Artefakt aus dem 12. Jahrhundert. Es ist zweifellos echt. Aber es stellt lediglich ein Zeitdokument dar. Ich konnte keinerlei Absonderlichkeiten feststellen. Es ist und bleibt ein Medaillon. Kunstvoll gefertigt, keine Frage. Es an uns aushändigen zu lassen erschien mir nicht gerechtfertigt. Es ist mit der Geschichte der Templer verbunden und nicht mit der unsrigen.«

Der Papst lächelte freundlich.

»Du bist ein gütiger und gerechter Mensch, Claudio. Du hast das Herz am rechten Fleck.« Er machte eine Pause. »Aber das ist nicht der Grund für den Wunsch nach einer Privataudienz. Dafür kennen wir uns viel zu lange. Was kann ich für dich tun, mein Sohn?«

»Ich habe gehört, dass weitere Hinweise auf Artefakte vorliegen. Aufzeichnungen insbesondere über die Lanze, die wir schon lange suchen. Ich bitte um Erlaubnis, mir diese Dokumente ansehen und auswerten zu dürfen.«

Der höchste Kirchenvater verzog das Gesicht und legte seinen Kopf ein wenig schief.

Dann holte er tief Luft und sagte: »Mein Sohn, ich bedaure. Die Papiere werden schon untersucht. Bruder Frederique wurde damit beauftragt. Er hat seine Studien an den Dokumenten bereits begonnen.«

»Bruder Frederique ist zweifelsohne eine Koryphäe auf dem Gebiet. Dürfte ich ihm zur Hand gehen und die Seiten noch einmal durchgehen? Vier Augen sehen mehr als zwei.«

Jetzt musste Papst Pius IX. wieder lächeln. Der Eifer seines Ordensbruders gefiel ihm und war auch ein Grund für ihre andauernde Freundschaft.

»Du bist jetzt gerade erst aus Frankreich gekommen. Ruh dich ein wenig aus. Es wird sich früh genug Gelegenheit finden, dass du die Studien aufnehmen kannst. Spätestens sobald die ersten Ergebnisse vorliegen, lasse ich dich daran teilhaben. Versprochen, Claudio.«

Ergeben und enttäuscht nickte Pater Pius stumm. Die beiden Männer verabschiedeten sich und Pius begab sich in Richtung der Wohnquartiere.

»Was bedrückt dich, Riario?«, wollte der Heilige Vater wissen, der den Kardinalkämmerer bereits bemerkt hatte. »Du würdest dich nicht anschleichen wie ein Büßer, wenn dein Herz voller Freude und Zuversicht wäre.«

»Wie immer kann ich nur meinen Kopf in Demut vor Eurer Weisheit und Güte senken.«

Der Papst winkte ab.

»Hegst du noch immer Groll gegen Bruder Pius?«

»Als einfacher Pater scheint er seine Kompetenzen bei Weitem zu überschreiten. Er entscheidet, welche Artefakte der Heiligen römischen Kirche zugeführt werden und welche nicht. Das ist nicht richtig.«

Der Heilige Vater schwieg einen Moment und fixierte seinen Camerlengo mit seinen Augen.

»Unser Heiland, Jesus Christus, war ein einfacher Zimmermann und dennoch Gottes Sohn. Was sind Titel und Ränge? Nichts im Vergleich zu Taten. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, doch nähme seine Seele Schaden?«

»Ich bitte um Vergebung, Vater«, sagte Sfzora und beugte sein Haupt.

Dass er vor Wut mit den Zähnen knirschte, bemerkte der Heilige Vater indes nicht.

Pater Pius kniete demütig gebückt auf dem kalten Steinboden und hielt seine Hände fest zum Gebet gefaltet vor seinen Schoß. Seine Augen waren geschlossen. Er gab sich völlig seiner Fürbitte hin und verlor sich in der spirituellen Energie, die er daraus schöpfte.

Der hochgewachsene Mann strahlte selbst in dieser demütigen Haltung eine Erhabenheit aus, die ihn sympathisch und charismatisch zugleich erscheinen ließ. Seine Stirn berührte fast den Boden, als er sich wieder aufrichtete und man seinen athletischen Körper durch die grob gewebte Kutte erkennen konnte.

Mens sana in corpore sano war eines seiner Leitmotive, und so sorgte er neben seiner geistlichen Tätigkeit auch immer für einen körperlichen Ausgleich. Die kleine Kapelle, in der er seine Andacht ausführte, war sehr spartanisch eingerichtet. Ein kleiner steinerner Altar mit zwei brennenden Kerzen darauf bildete das Zentrum, während das große Holzkreuz im Hintergrund dem Raum etwas Majestätisches gab.