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Generationen von Heilkundigen nutzten die Heilkräuter vor ihrer Haustür. Besonders heutzutage brauchen Pflanzen, die in unserer Nachbarschaft wachsen, besondere Widerstandskräfte. Dafür entwickeln sie Inhaltsstoffe, die uns zur Genesung dienen können. Anne Wanitschek und Sebastian Vigl zeigen, welche Heilpflanzen sich für Tees, Salben und Tinkturen eignen. Sie stellen eine Hausapotheke mit nur 10 Heilpflanzen vor, die leicht zu finden und anzuwenden sind. Auf rein pflanzlicher Basis lassen sich mit ihnen die häufigsten Beschwerden und Erkrankungen behandeln. Der als Autor und durch Fernsehauftritte bekannte „Extrembotaniker“ Jürgen Feder ergänzt die Heilpflanzenporträts mit persönlichen Texten und Pflanzenfotos.
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Seitenzahl: 247
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Die grüne Hausapotheke – Quickfnder
Mit den Heilpfanzen aus diesem Buch lassen sich 100 Beschwerden und Erkrankungen behandeln oder lindern. Die häufgsten Beschwerden finden Sie hier aufgelistet.
BeschwerdeHeilpflanzenAnwendung auf SeiteÄngste und LampenfieberSchafgarbe, Hopfen141BauchschmerzenSchafgarbe, Hopfen148BlähungenSchafgarbe, Löwenzahn150DurchfallNelkenwurz, Schafgarbe, Breitwegerich186ErkältungHolunder, Spitzwegerich, Weide, Brennnessel, Gänseblümchen162ErschöpfungLöwenzahn, Hopfen165FieberWeide, Schafgarbe, Holunder169HalsschmerzenSpitzwegerich162HustenSpitzwegerich, Gänseblümchen, Weide, Brennnessel, Holunder156KopfschmerzenWeide, Hopfen, Holunder181SchlafstörungenHopfen209SodbrennenSchafgarbe211StressHopfen, Holunder213VerstopfungSchafgarbe, Löwenzahn, Holunder, Wegeriche217Wunden und VerletzungenGänseblümchen, Schafgarbe, Breitwegerich, Nelkenwurz220VORWORT
ZEHN HEILPFLANZEN VOR IHRER HAUSTÜR
Grüne Heiler sind nah – Heilpflanzen in unserer Nachbarschaft
Warum Pflanzen heilen – Gesundheit aus der Apotheke Darwins
Heilsame Begegnungen mit der einheimischen Pflanzenwelt
Mit dem Hopfen zur Ruhe kommen
Frieden stiften mit der Schafgarbe
Heilsamer Baumfunk: die Silber-Weide
Die Brennnessel, die Therapeutin mit den Spritzen
Löwenzahn: der Stickstoff-Liebhaber für den Stoffwechsel
Schild und Lanze für umkämpfte Schleimhäute: Breit- und Spitzwegerich
Die herb gerbende Nelkenwurz
Der Holunder heilt Menschen und Vögel
Zweierlei reizend: das Gänseblümchen
Kapuzinerkresse und Meerrettich – das pflanzliche Antibiotikum
Eleu-Wurzel: Natürliche Hife bei Erschöpfungszuständen wie Müdigkeit und Schwäche
DIE GRÜNE HAUSAPOTHEKE MIT ZEHN HEILPFLANZEN
Die Hausapotheke zusammenstellen
Heilpflanzen besorgen und aufbewahren
Präparate, Holunderbeerensaft, Flohsamen
Heilpflanzen selbst sammeln
So trocknen Sie selbstgesammelte Heilpflanzen
Tees richtig zubereiten und dosieren
Die Teetherapie schont Ihren Geldbeutel
Das ideale Lösungsmittel für die Heilpflanzentherapie
Die Aktivierung von Pflanzenwirkstoffen beim Trocknen
Tees herstellen und richtig anwenden
Das Mischen von Teekräutern
Zusammenfassung
Tee trinken und abwarten
Länger leben und gesund sein mit dem richtigen Lebensstil
Warum Heilpflanzen unterschiedlich schnell wirken
Zusätzliches Leiden vermeiden
Hindernisse bei der Teetherapie
Darmkur für Heilpflanzenfreunde
„Sei lieb zu deinem Aua“
Eine freundliche und verständnisvolle Haltung
Sich selbst ein guter Freund sein
Zusammenfassung
Wichtige Hinweise vor der Behandlung
100 ERKRANKUNGEN UND BESCHWERDEN MIT 10 HEILPFLANZEN BEHANDELN
Erkrankungen und Beschwerden von A bis Z
ANHANG
Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Gegenanzeigen
Weiterlesen: Büchertipps
Botanische Führungen und Heilpflanzenführungen
Bezugsadressen
Akne
Ängste
Appetitlosigkeit
Ärger
Arthritis
Arthrose
Asthma
Bauchschmerzen
Bettnässen (Enuresis nocturna)
Blähungen
Blasen an den Füßen
Blasenentzündung (Zystitis)
Blutarmut (Anämie)
Bluthochdruck (Hypertonie)
Blutfettwerte, erhöhte (Hypercholesterinämie)
Bronchitis, akute
Burnout
Darmerkrankungen, chronisch entzündliche (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa)
Depressive Verstimmung (Stimmungstief)
Diabetes mellitus Typ 2
Durchfall
Erkältung (grippaler Infekt)
Erschöpfung und Müdigkeit
Fasten
Fettleber
Fettleibigkeit (Adipositas)
Fieber
Frühjahrsmüdigkeit
Gewichtsreduktion
Gicht (Arthritis urica)
Grippe
Gürtelrose
Haarausfall
Hämorrhoiden
Harninkontinenz
Hautausschlag
Heiserkeit
Heißhunger
Heuschnupfen (Rhinitis allergica)
Husten
Hüftschmerzen
Insektenstiche
Insulinresistenz
Juckreiz
Kehlkopfentzündung (Laryngitis)
Konzentrationsschwäche
Kopfschmerzen
Knieschmerzen
Krebs, Nebenwirkungen behandeln
Lampenfieber
Magen-Darm-Entzündung (Gastroenteritis)
Magengeschwür (Ulcus ventriculi)
Magenschleimhautentzündung (Gastritis)
Magenübersäuerung (Hyperazidität)
Mandelentzündung (Angina tonsillaris)
Mittelohrentzündung
Migräne
Morbus Bechterew
Mundgeruch
Mundtrockenheit
Muskelkater
Muskelschmerzen
Myome der Gebärmutter
Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis)
Nervenschmerzen
Neurodermitis
Ohrenschmerzen
Offenes Bein (Ulcus cruris)
Osteoporose
Polyneuropathie
Prostatavergrößerung, gutartige (benigne Prostatahyperplasie)
Psoriasis-Arthritis
Rachenentzündung (Pharyngitis)
Regelschmerzen (Dysmenorrhoe)
Reizblase
Reizdarm
Reizmagen
Rheuma, entzündliches
Rückenschmerzen
Schlafstörungen
Schnupfen
Schweißfüße
Sodbrennen
Sommerhitze
Sonnenbrand
Stress
Trigeminusneuralgie
Übergewicht
Unruhe und Nervosität (vegetative Dystonie)
Verbrennungen
Verstopfung
Völlegefühl
Wechseljahresbeschwerden
Winterblues/Winterdepression
Wunden und Verletzungen
Wundliegegeschwüre (Dekubitus)
Zahnbettentzündung (Parodontitis)
Zahnfleischentzündung (Gingivitis)
Zahnschmerzen
Zyklusstörungen
Liebe Leserin, lieber Leser,
auf der Suche nach Heilmitteln durchforsten Wissenschaftler extreme Lebensräume und finden dort Lebewesen, die Strategien entwickelt haben, um den Widrigkeiten zu trotzen. Die Wirkstoffe, die sie dafür bilden, können uns bei Krankheiten helfen. Der Biochemiker Giuseppe Brotzu entdeckte 1945 beispielsweise einen Pilz in einem sardischen Abwasserrohr. Dieser produziert einen Stoff, der bis heute in einzelnen Antibiotika zu finden ist und jedes Jahr viele Menschenleben rettet.
Lassen Sie uns gemeinsam einen extremen Lebensraum besuchen und dort nach Heilmitteln Ausschau halten: menschliche Siedlungen. Für uns sind diese recht komfortabel, doch Pflanzen stellen sie vor große Herausforderungen. Will eine Pflanze zum Beispiel auf einem Gehsteig gedeihen, braucht sie starke Widerstandskräfte. Hitze, Dürre, Überschwemmungen und der Tritt unserer Füße schwächen ihren Organismus. Die Pflanze schützt sich mit besonderen Inhaltsstoffen, die uns wiederum zur Genesung dienen können.
Viele unserer bekanntesten Heilpflanzen leben in menschlichen Siedlungen – wir begegnen ihnen jeden Tag! Vielleicht haben Sie bislang keine davon oder nur einzelne wahrgenommen; das möchten wir mit diesem Buch ändern. Wir stellen Ihnen zehn Heilpflanzen vor, die in Ihrer Nachbarschaft leben – ob Sie nun auf dem Land oder in der Stadt wohnen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie mit diesen zehn Heilpflanzen eine komplette Hausapotheke zusammenstellen und mit ihr gerüstet sind gegen 100 der häufigsten Beschwerden und Krankheiten.
Das Wissen von Generationen von Heilkundigen konnte die moderne Wissenschaft inzwischen zu großen Teilen bestätigen. Auch in unserer Praxis und auf unseren Heilpflanzenführungen in Berlin profitieren Patienten heute von den Heilmöglichkeiten der einheimischen Pflanzenwelt. Wer den Pflanzenheilkundler Klaus Krämer gekannt hat, der begegnet seinem Geist und Wissen bei der Lektüre dieses Buches: Der 2016 verstorbene Heilpraktiker hat die Therapie mit Heilpflanzen in Deutschland durch die Verbindung von moderner Forschung und traditionellem Wissen belebt. Unsere Kenntnis und unsere Begeisterung für Heilpflanzen verdanken wir den Lehrjahren in seiner Schule und seiner Praxis.
Und jetzt sind Sie an der Reihe! Wir laden Sie ein, in die lange Tradition von Heilpflanzenkundigen einzutreten und Ihr Leben mit der Pflanzenheilkunde zu bereichern. Die Beschäftigung mit ihr ist nicht nur heilsam, sondern auch spannend. Daher haben wir für Sie interessante Porträts der einzelnen Heilpflanzen angefertigt – und dafür den „Extrembotaniker“ Jürgen Feder um seine Mitarbeit gebeten. Vielleicht kennen Sie Deutschlands bekanntesten Pflanzenexperten schon durch seine Auftritte im Fernsehen oder seine unterhaltsamen Bücher. Möge sein liebevoller, kenntnisreicher und humorvoller Blick auf die Pflanzenwelt und unser praktisches Wissen dieses Buch zu einem echten Gewinn für Sie und Ihre Lieben machen.
Wir wünschen Ihnen anregende und spannende Lesestunden und natürlich: Alles Gute für Ihre Gesundheit.
Die Heilpraktiker Anne Wanitschek und Sebastian Vigl
Manche Nachbarn lernt man erst im Laufe der Zeit kennen, schätzen und lieben. Oft erst dann, wenn man plötzlich auf ihre Hilfe angewiesen ist. Solche Nachbarn stellen wir Ihnen in Ihrer Ortschaft vor. Dabei lernen Sie einige von einer neuen Seite kennen. Jemand, der Sie vielleicht bei der Gartenarbeit schon zur Weißglut gebracht hat, kann Ihnen Ruhe und Gelassenheit verschaffen. Ein bissiges grünes Wesen lindert Ihre Schmerzen. Eine der lieblichsten Pflanzen unserer Vorgärten und Parks kratzt Sie im Hals. Begleiten Sie uns auf eine spannende Entdeckungsreise zu den heilsamen Überraschungen der heimischen Pflanzenwelt.
Heilpflanzenführungen in Siedlungen sind ein Kinderspiel, denn auf zehn Metern Wegstrecke begegnen wir oft genau so vielen Heilpflanzen. Manche kriechen zwischen den Pflastersteinen, andere sprengen sich durch den Asphalt oder klettern an Laternen empor. Sie wachsen dort wegen uns: Sie kamen schon immer, wenn der Mensch sich ansiedelte und dabei die natürliche Vegetation störte.
„Wie sähe es hier wohl ohne uns Menschen aus?“ Zu diesem Gedankenexperiment laden wir manchmal auf unseren Führungen ein. Denn dabei lernen wir viel über die Heilpflanzen in unserer Umgebung. Sie kennen sicher den Alexanderplatz in Berlin. Täglich laufen über 300.000 Menschen über den mit Granit gepflasterten Platz. Wie sähe es hier aus, wenn wir Menschen nicht wären? Statt des von Einkaufszentren und Sehenswürdigkeiten wie Fernsehturm und Nikolaiviertel eingefassten Platzes stünde dort wahrscheinlich ein Buchenurwald. Wenn wir Menschen plötzlich nicht mehr da wären, würde es gar nicht so lange dauern: Dann stünden Buchen rund um den Alexanderturm.
In einer Welt ohne Menschen wäre die Gegend von Berlin wahrscheinlich ein Buchenurwald.
Unweit des Alexanderplatzes gab es bis vor Kurzem noch einige Brachflächen, Relikte der bewegten Geschichte Berlins. Dort ließ sich sehr gut beobachten, welchen Weg die Natur nimmt, wenn wir sie gedeihen lassen. Auf den ersten Blick mag so eine Brache immer gleich aussehen: Irgendetwas Grünes wächst da. Wer die Brache über einen längeren Zeitpunkt beobachtet, sieht, wie sie sich verändert. Jedes Jahr stehen neue Pflanzen auf ihr, andere verschwinden. Zunächst siedeln sich kleine, meist einjährige Pflanzen an. Dann gesellen sich etwas höhere, mehrjährige Kräuter dazu und in ein paar Jahren bilden sich schon kleinere Büsche. Zum Schluss stehen die ersten Bäume auf der Brache. Dies ist die natürliche Vegetationsentwicklung an zunächst pflanzenfreien Standorten: Zuerst kommen die ganz kleinen und kurzlebigen. Dann kommen die etwas größeren und ausdauernden, bis zum Ende ein Wäldchen dasteht. Auf den Brachen Berlins besteht es häufig aus Pappeln, Weiden, Birken, Götterbäumen oder Robinien.
Begleiten Sie uns auf eine spannende Entdeckungsreise zu den heilsamen Überraschungen der heimischen Pflanzenwelt.
Unter natürlichen Bedingungen wäre der größte Teil Deutschlands mit Buchen oder Buchenmischwäldern bedeckt. Die Buche wäre die dominante Pflanzenart – wenn wir Menschen nicht wären. Lassen Sie uns 5000 Jahre zurückreisen in der Zeit: Wir befinden uns in der Jungsteinzeit und gründen irgendwo im heutigen Deutschland eine Siedlung an einem Fluss. Zunächst müssen wir Platz schaffen und jede Menge Buchen fällen. So schaffen wir uns Raum für unsere Wohnstätten, unsere Felder und die Weideflächen unserer Tiere. Nach ein paar Jahren leben wir ganz gut in unserer Siedlung. Wir haben dort sogar eine Frau, die sich mit Heilpflanzen auskennt. Zu ihr schleppen wir uns, wenn wir Fieber haben. Zu ihr laufen wir mit verschleimten Lungen oder blutenden Armen, wenn wir uns beim Fällen der harten Buchen verletzen. Wir könnten sie Eir nennen, nach der Göttin der Heilkunde der nordischen Mythologie. Wenn wir ihr zeigen, wo es uns schmerzt, nickt sie. Sie gibt uns zu verstehen, dass sie gleich wieder bei uns ist und macht sich auf die Suche nach der Heilpflanze, die uns helfen wird. Lange müssen wir mit unseren blutenden Armen oder fiebrigen Kindern nicht warten. Eir tritt keine gefährliche Reise an ein entlegenes Moor oder eine heilige Quelle in den Bergen an. Sie muss nicht an magischen und verwunschenen Orten nach seltenen Heilpflanzen suchen. Wenn sie eine Heilpflanze nicht vorrätig hat, tritt sie kurz vor die Tür. Sie denken vielleicht, sie hätte einen Kräutergarten angelegt? Das musste sie gar nicht! Alle Heilpflanzen, die sie braucht, wachsen direkt in unserer jungsteinzeitlichen Siedlung.
In der jungsteinzeitlichen Siedlung wuchsen die Heilpflanzen sicherlich vor der Haustür.
In den letzten 5000 Jahren hat sich viel ereignet – wenn wir den Zeitraum aus der Perspektive der Menschen betrachten. Käme Eir gleich morgen zu Besuch, sie würde ganz schön staunen! Viele der Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, könnten wir ihr gar nicht erklären: Wie wir heute mithilfe von fossilen Energieträgern aus der Dinosaurierzeit in kurzer Zeit einmal um den Globus reisen. Oder wie wir das Manuskript dieses Buches in einer Datenwolke in Sekunden auf verschiedenen Servern in der ganzen Welt speichern.
Gewisse Dinge haben sich in den letzten 5000 Jahren sehr wenig verändert. Wir sehen etwas anders aus, doch unsere Körper funktionieren nach dem gleichen Bauplan. Eir weiß sicher, was Fieber ist und dass Wunden versorgt werden müssen. Wenn wir husten, wüsste sie uns zu helfen. Wir könnten mit ihr mitten in Berlin einen Spaziergang machen und sie würde viele Pflanzen wiedererkennen. Sie haben dieselben Inhaltsstoffe und damit auch dieselbe Wirkung. Schon im Umkreis von 20 Metern rund um unser Haus mitten in Berlin würden wir viele verschiedene Heilpflanzen finden. Neun der zehn Heilpflanzen, die wir Ihnen in unserem Buch vorstellen, finden sich allein an der Kreuzung, an der wir wohnen.
In 5000 Jahren haben wir Menschen uns stark verändert – die Heilpflanzen blieben dieselben.
Der Hopfen klettert an einem Zaun empor, der den Spielplatz umgibt. In dessen schattiger Ecke tummeln sich Nelkenwurz und Brennnessel. Das Gänseblümchen und der Spitzwegerich fühlen sich in einem Rasen wohl. Der Holunder wächst inmitten von Sträuchern. Die Schafgarbe blüht in den geschützten Bereichen am Gehsteig rund um Fahrradständer und Mülleimer. Der Löwenzahn mag Stellen, an denen Hunde ihr Geschäft verrichten. Der Breitwegerich steht exponiert mitten am Gehsteig. Um eine Weide zu finden, müssten wir nur ein paar Schritte laufen. Dann hätten wir alle Heilpflanzen beisammen, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen – mitten in Berlin. Unweit Ihrer Haustüre wachsen dieselben Pflanzen, egal ob Sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen. Sie wachsen wild, niemand hat sie gesetzt und sie fühlen sich in unseren Siedlungen offenbar wohl.
Eine Skizze von der näheren Umgebung Ihres Hauses kann auch für Sie hilfreich sein. Darauf können Sie jede Heilpflanze eintragen, die Ihnen begegnet. So lernen Sie die Bestandteile unserer Hausapotheke kennen. Zum Sammeln der Heilpflanzen eignen sich Siedlungen meist aber nicht. Wie Sie die Hausapotheke bestücken, zeigen wir Ihnen im zweiten Teil dieses Buches.
Wie viele der zehn Heilpflanzen finden Sie? Die folgende Tabelle verrät, wo Sie suchen müssen.
Die Heilpflanzen lernen wir in unseren Siedlungen kennen – sammeln sollten wir sie dort nicht.
Hier finden Sie die Heilpflanzen aus diesem Buch
HEILPFLANZE
VORLIEBEN
HÄUFIG ZU FINDEN
Hopfen (Humulus lupulus)
Eher sonnig, sehr nährstoffreiche und feuchte Böden
An Hecken, Bäumen oder Gebüschen kletternd
Gemeine Schafgarbe (Achillea millefolium)
Sonnig, eher trockene Böden
Auf Fußwegen, Weidewiesen, Trockenrasen und Baumscheiben
Silber-Weide (Salix alba)
Nährstoffreiche, sehr feuchte Böden
An Ufern von Seen oder Flüssen, in Gräben und Parks
Große Brennnessel (Urtica dioica)
Eher feuchte und sehr nährstoffreiche Böden
Auf Baumscheiben und Schutt- und Müllplätzen, an Weg- und Straßenrändern, in Hecken, auf Weideplätzen, an Häuserwänden
Gewöhnlicher Löwenzahn (Taraxacum officinale)
Sonnige und nährstoffreiche Böden
Auf Fußwegen und Baumscheiben, an „Gassiplätzen“, auf Fettwiesen, Weiden, Park- und Gartenrasen
Breitwegerich (Plantago major)
Sonnig, trockene oder feuchte, mäßig fruchtbare bis nährstoffreiche Böden
Auf Fußwegen und Baumscheiben, an Straßen, auf stark benutzen oder feuchten Rasen und Wiesen
Spitzwegerich (Plantago lanceolata)
Sonnig
In Wiesen, Weiden und an Weg- und Straßenrändern
Echte Nelkenwurz (Geum urbanum)
Schattig, nährstoffreiche Böden
In lichten Baumbeständen, an Waldrändern
Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)
Sonnig, eher feuchte und sehr nährstoffreiche Böden
Auf fruchtbaren, frischen Böden, in Hecken, Gebüschen und Gärten
Gänseblümchen (Bellis perennis)
Sonnig, mäßig fruchtbare bis nährstoffreiche Böden, regelmäßiges Mähen
Auf Fettwiesen, Weiden, Park- und Gartenrasen
Eir wüsste mit den Heilpflanzen an unserer Kreuzung wahrscheinlich einiges anzufangen. Es wäre interessant, bei diesem Spaziergang noch mehrere Pflanzenheilkundler aus verschiedenen Epochen dabeizuhaben. Zum Beispiel den griechischen Gelehrten und Militärarzt Pedanios Dioskurides aus dem ersten Jahrhundert. Oder den deutschen Arzt und Apotheker Jacobus Theodorus Tabernaemontanus, der im 16. Jahrhundert lebte. Als Jugendlicher verdiente er sich sein Geld als Heilpflanzensammler, nach Abschluss eines Medizinstudiums lehrte er als Professor für Heilpflanzenkunde. Aus der heutigen Zeit würden wir gerne die Professorin Karin Kraft mitnehmen, die an der Universität Rostock lehrt und Heilpflanzen erforscht. Unserer Gruppe würde es nicht leicht fallen, sich zu verständigen. Wir müssten viel gestikulieren und uns vielleicht mit ein paar Brocken Latein behelfen. Was die Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Heilpflanzen betrifft, wären wir uns aber einig: Wir würden übereinstimmen, dass zum Beispiel die Schafgarbe gegen Bauchschmerzen hilft und der Löwenzahn bei Blasenentzündung eine gute Wahl ist. Die Pflanzenheilkundler früherer Epochen verdanken ihr Wissen der praktischen Anwendung und der genauen Pflanzenbeobachtung. Die Professorin Karin Kraft könnte davon sprechen, wie wir uns heute die Wirkung der Heilpflanzen durch ihre Inhaltsstoffe erklären. Pflanzliche Inhaltsstoffe werden mittlerweile intensiv beforscht, denn sie können unsere Körpervorgänge beeinflussen. Wissenschaftler nehmen sie unter anderem als Vorbilder, um neue Medikamente zu entwickeln. Viele der Chemotherapeutika, die Ärzte bei Krebsleiden einsetzen, sind zum Beispiel pflanzlichen Ursprungs.
Die Heilanzeigen der meisten Heilpflanzen haben sich in den letzten 2000 Jahren kaum geändert.
Der Hopfen webt seine Triebe in den Drahtzaun an unserer Kreuzung.
In allen Kulturen haben die Menschen zunächst die Pflanzen kennengelernt, die vor ihrer Haustüre wuchsen. Die kamen nicht plötzlich, sondern so, wie auf der Brache auf Seite 10 beschrieben: Der Mensch lässt sich nieder und zerstört dabei die ursprüngliche Vegetation wie den Wald. Doch vertreiben lassen sich die Pflanzen nicht! Zunächst kommen die kleinen einjährigen zurück. An ungestörteren Ecken wachsen dann die mehrjährigen Kräuter und die busch- oder baumbildenden Pflanzen.
Nur bestimmte Pflanzen nehmen an dieser Rückeroberung teil. Denn Pflanzen, die in menschlichen Siedlungen wachsen, sind Überlebenskünstler und hart im Nehmen. Sie müssen mit widrigen Umständen zurechtkommen, wie die folgende Tabelle zeigt.
Der Einfluss des Menschen auf die wild lebenden Pflanzen in den Siedlungen
VORAUSSETZUNGEN FÜR DAS PFLAN-ZENWACHSTUM
NEGATIVER EINFLUSS DES MENSCHEN
Luft
Belastung durch Schwefeldioxid und Ozon. Hohe Feinstaubwerte erschweren den Wasserhaushalt von Pflanzen.
Wasser
Meist wasserarme Böden, Grundwasserspiegel oft abgesenkt, das Regenwasser fließt sehr schnell ab. An exponierten Stellen oft längere Dürreperioden.
Boden
Übersättigt mit Nährstoffen, basisch durch den Kalk von Bautätigkeiten, belastet mit Schwermetallen oder Chemikalien. Durch die Last von Gebäuden und Fahrzeugen verdichtet sich der Boden und ist damit nicht leicht zu bewurzeln.
Standort
Einflüsse wie Tritt, Rasenmähen, das Streuen von Salz oder Bauvorhaben stören das Wachstum. Der Belag von Straßen und Gehsteigen erhitzt sich schnell und kann für sehr hohe Temperaturen in Bodennähe sorgen.
Die meisten Pflanzen sind diesen Bedingungen nicht gewachsen. Die unwirtlichen Begebenheiten schwächen das Wachstum und machen sie anfällig für Krankheiten. Pflanzen, die trotzdem wild in unseren Siedlungen gedeihen, zeichnen sich durch besondere Widerstandskraft aus. Diese Widerstandskraft spiegelt sich in ihren Wirkstoffen wider, die wir wiederum für Heilzwecke verwenden. Nehmen wir zum Beispiel den Breitwegerich, die Nelkenwurz und die Schafgarbe. Das sind drei der Pflanzen, die wir in diesem Buch vorstellen. Der Breitwegerich kann einiges einstecken. Er wächst mitten auf unseren Gehsteigen und wir fügen ihm mit unseren Tritten Schaden zu. Eine zarte Orchideenart hätte da keine Chance! Die Verletzungen am Wegerich müssen schnell versorgt werden, Bakterien und Pilze infizieren sonst das Blatt und dann die ganze Pflanze. Der Breitwegerich bildet daher zum Eigenschutz stark antibakterielle und pilzwidrige Stoffe aus. Diese nutzen uns Menschen, wenn wir von Bakterien oder Pilzen befallen sind. Die Nelkenwurz wächst in unseren Siedlungen an schattigen Stellen, an denen der Boden durch Abfall oder Hundekot überdüngt ist. Das Überangebot an Nährstoffen macht Pflanzen anfällig für Krankheitserreger. Denen hält die Nelkenwurz wirkungsvolle antivirale, antibakterielle und pilzwidrige Wirkstoffe entgegen. Dasselbe gilt für die Schafgarbe, darum empfehlen wir sie Ihnen bei verschiedenen Infektionen. Ihre kraftvollen Abwehrstoffe lassen sie selbst an Stellen gedeihen, die durch Dürre und Schwermetalle stark belastet sind.
In menschlichen Siedlungen finden wir Pflanzen, die mit potenten Wirkstoffen den widrigen Umständen trotzen.
Auf dem Gehsteig machen wenige Pflanzen dem Breitwegerich den Platz streitig. Er muss dafür aber widrigen Umständen trotzen.
Die Pflanzenheilkunde ist mehrere Jahrtausende alt. Im Laufe dieser Zeit fanden Menschen unterschiedliche Erklärungen für die Heilkraft der Pflanzen. Viele Naturvölker vermuteten Pflanzengeister am Werk – spätere Kulturen ihre Götterwelt. Würden wir die oben erwähnten Heilpflanzenexperten aus unterschiedlichen Epochen befragen, bekämen wir unterschiedliche Antworten. Moderne Antworten könnte uns die Professorin Kraft liefern: Die Heilpflanzen wirken aufgrund ihrer Inhaltsstoffe. Diese beeinflussen unseren Organismus. Die Inhaltsstoffe der Brennnessel sorgen zum Beispiel dafür, dass wir mehr Harn bilden. Das kann bei Entzündungen der Harnwege hilfreich sein, denn häufiges Wasserlassen spült Bakterien einfach aus dem Körper. Bestimmte Inhaltsstoffe beeinflussen unser Innenleben und können heilend wirken. Doch warum bildet die Pflanze sie? Warum reguliert sie unseren Stoffwechsel? Bei der Beantwortung dieser Fragen werden uns keine Götter und keine Pflanzengeister begegnen … wir werden aber eine sehr mächtige Kraft kennenlernen, eine Kraft, die alles Leben auf diesem Planeten geschaffen hat!
Jede Epoche fand eine andere Erklärung, warum gewisse Pflanzen heilen.
Warum heilen uns Pflanzen? Warum sie bei Infektionen helfen, haben wir schon erklärt: Auch sie haben mit Viren, Bakterien und Pilzen zu kämpfen und produzieren wirksame Stoffe dagegen. Heilpflanzen beeinflussen aber auch das Zusammenspiel unserer Botenstoffe, regulieren Entgiftungsorgane oder fördern Schlaf und Appetit. Warum machen sie das? Diese Frage beschäftigte Heilpflanzeninteressierte aller Epochen. Sie wollen unsere Antwort jetzt schon wissen? Also gut: Sie können uns heilen, weil sie nicht laufen können. Wer sich nicht bewegen kann, muss eben die Welt um sich herum bewegen!
Erinnern Sie sich an den erfindungsreichen Serienhelden McGyver? Mit einem Schweizer Taschenmesser, ein paar Büroklammern und Kaugummi bestand er jedes Abenteuer. Pflanzen sind die McGyvers unter den Lebewesen. Sie benötigen vier Zutaten für die unglaubliche Gestaltungsvielfalt und die Produktion komplexer chemischer Verbindungen: mineralischen Boden, Luft, Wasser und Sonnenlicht. Mithilfe eines Verfahrens, der sogenannten Photosynthese, verwandeln sie die Energie der Sonne in energiereiche Stoffe. Sie ernähren sich, indem sie ihre Blätter in die Sonne halten. Die Wurzeln versorgen sie mit Mineralien und Wasser und mit der Blattunterseite nehmen sie Kohlendioxid auf. Wäre das nicht großartig: sich einfach ein Weilchen in die Sonne stellen, und wir wären satt? Uns ist das leider nicht vergönnt, wir müssen Nahrung zu uns nehmen, und ohne die Pflanzen wären wir dabei aufgeschmissen. Denn jedes Nahrungsmittel, das wir zu uns nehmen, gäbe es ohne die Schaffenskraft der Pflanzen nicht. Das gilt auch für Fleisch oder Molkereiprodukte. Sie stammen von Tieren, die Pflanzen aßen oder die Tiere verspeisten, die wiederum Pflanzenfresser waren. Ohne Pflanzen hätten wir nicht nur nichts zu beißen: sie liefern außerdem den Sauerstoff für unsere Atemluft und bilden den Rohstoff für Kleidung, Möbel, Bausubstanzen, Treibstoff, Medikamente oder das Papier für dieses Buch. Wir sind von Pflanzen abhängig – und damit sind wir nicht allein.
Luft, Nahrung, Gesundheit, Gebrauchsgegenstände: unser Leben ist ohne Pflanzen undenkbar.
Neben den Pflanzen betreiben nur ein paar Bakterien Photosynthese. Alle anderen Lebewesen decken ihren Energiebedarf durch den Verzehr von Pflanzen, beziehungsweise von Lebewesen, die Pflanzen verzehrt haben. Seit mehreren Milliarden Jahren fressen die einen, die kein Sonnenlicht verwerten können, die anderen auf, die das eben können. Und dennoch sind die, die gefressen werden, immer noch in der Überzahl. Wenn wir das Gewicht aller Lebewesen auf diesem Planeten addieren, entfallen auf die Pflanzen 80 Prozent. Wie können sie so erfolgreich sein, obwohl sie dem Rest des Planeten als Futter dienen?
Der britische Naturforscher Charles Darwin veröffentlichte 1858 eine Theorie, an der er 20 Jahre gefeilt hatte. Die Zeit war gut investiert, denn seine Gedanken waren revolutionär und entsprachen nicht dem vorherrschenden religiösen und wissenschaftlichen Weltbild. Darwin sah hinter der Entstehung aller Lebewesen einen dynamischen Prozess, den er Evolution nannte. Heute lässt sich seine Theorie wissenschaftlich belegen. Mithilfe der Evolution können wir erklären, dass alle Lebewesen dieser Erde die gleichen Vorfahren haben. Aus kleinen Einzellern entwickelte sich die immense Vielfalt an Tieren, Pilzen, Bakterien und Pflanzen. Die heute lebenden Arten sind das Resultat eines vier Milliarden Jahre langen Prozesses, bei dem immer die Spezies überlebt, die sich am besten an ihre Umweltbedingungen anpasst. Ständige Mutationen sorgen dafür, dass dem Prozess der natürlichen Selektion nicht der Treibstoff ausgeht. Durch Mutation veränderten sich die Flossen von einzelnen Fischen. Die erlaubten es ihnen, kurze Landgänge zu unternehmen. Aus den veränderten Flossen wurden schließlich Beine, die uns und den meisten anderen Landtieren die Bewegung ermöglichen. Durch Bewegung können wir uns Dingen nähern, die uns anziehen und interessieren, oder vor Gefahren fliehen. Bewegung bringt die Maus zum nahrhaften Käse und schnell weg von der hungrigen Katze.
Das Zusammenspiel von Mutation und natürlicher Selektion lässt Arten entstehen und sich entwickeln.
In Zeiten von Lieferservices und Online-Handel können wir uns viele Wege in ein Geschäft oder Restaurant ersparen. Wir bestellen bequem aus dem heimischen Sessel und unsere Nahrung kommt zu uns. Andere erledigen die Wegstrecke für uns. Dafür geben wir ihnen Geld. Eine Maus, die diesen Service in Anspruch nehmen könnte, müsste nicht mehr zum Käse laufen – der Käse käme zu ihr.
Reife Holunderbeeren und deren Samen, die einfach zu Boden fallen, haben im Schatten des Mutterbaumes wenig Aussicht, selbst einmal groß zu werden. Der Holunder ist fest verwurzelt und er kann nicht einfach um den Block laufen, um seine Nachkommen zu verteilen. Diese Arbeit erledigen Vögel für ihn: Sie essen die Beeren und scheiden deren Samen wieder aus. Für diesen Lieferservice bekommen sie die Nährstoffe der Beeren. Das ist ein gutes Geschäft für beide Seiten, bei dem die Farbstoffe der Beeren eine wichtige Rolle spielen. Sie locken die Kuriere, sobald die süßen Früchte reif sind.
Der Holunder lockt die Vögel an, sobald seine Beeren reif sind.
In der Nähe des Holunders stehen gerne Brennnesseln. Ihre Blätter wären für viele Tiere sehr nahrhaft, denn pflanzliche Proteinquellen sind selten und Brennnesselblätter sind reich an Eiweiß. Kommen hungrige Tiere angeflogen oder angelaufen, kann die Brennnessel nicht davonlaufen. Ihre Wurzeln stecken tief in der Erde. Doch sie weiß sich anders zu helfen. Der chemische Cocktail ihrer Brennhaare ist perfekt auf den Körper von Säugetieren abgestimmt. Gerät er unter deren Haut, sorgt er für anhaltenden Brennschmerz. Kleinere Tiere, die das Problem umgehen, kann sie mit dem Alkaloid Nikotin vertreiben, wie wir im Porträt der Brennnessel noch sehen werden.
Wer so nahrhaft ist wie die Brennnessel, hat viele Feinde. Selbst im jungen Zustand wissen sich die Pflanzen zu wehren.
Wie andere Pflanzen haben Holunder und Brennnessel keine Beine. In einer Welt, in der die anderen Lebewesen Beine oder Flügel haben, kommen sie ohne aus. Sie bewegen nicht sich selbst, sie bewegen die Welt um sich herum. Der Holunder lockt die Vögel, die Brennnessel macht den hungrigen Mäulern Beine. Auch die anderen Heilpflanzen, die wir Ihnen vorstellen, handhaben das so. Sie locken und vertreiben. Dabei benutzen sie eine besondere Sprache. Wir hören die Brennnessel nicht brüllen: „Hau bloß ab!“ Sie spricht in speziellen Formeln, es sind nicht magische Formeln, es sind chemische Formeln, denn die grünen McGyvers bilden aus Erde, Wasser, Luft und Sonnenlicht eine unglaubliche Vielzahl an chemischen Stoffen. Viele ähneln sich und doch hat jede Pflanze ihren eigenen Bausatz. Manche dieser Stoffe sind so komplex, dass Chemiker selbst heute noch Schwierigkeiten haben, diese nachzubauen.
Jede Pflanze bastelt ihren eigenen Cocktail aus mehreren Dutzend chemischen Wirkstoffen. Nach ihrer Funktion können wir diese grob unterteilen in Lockstoffe und Abwehrstoffe. Von beiden werden wir einige kennenlernen. Die Schafgarbe lockt Insekten zum Beispiel mit gewissen ätherischen Ölen und Farbstoffen. Sie weisen ihnen den Weg zur Blüte. Die Silber-Weide und die Nelkenwurz schlagen Schädlinge mit Gerbstoffen in die Flucht. Viele Abwehrstoffe wirken auch gegen Krankheitserreger wie Viren, Pilze und Bakterien.
Zum chemischen Arsenal von Pflanzen zählen Lock- und Abwehrstoffe.
Die Effektivität ihrer Wirkstoffe verdanken die Pflanzen der Evolution. Im Laufe von Millionen von Jahren haben diejenigen Pflanzen überlebt, deren Stoffe Wirkung zeigen. Welche Stoffe wirken besonders gut? Es sind die, die perfekt auf die Bedürfnisse und die Körperchemie der anderen Lebewesen abgestimmt sind. Die Brennnessel enthält zum Beispiel Gewebshormone von Tieren und ihr Nikotin beeinflusst deren zentrales Nervensystem. Die Farbstoffe von Holunderbeeren schützen ihre gefiederten Kuriere vor viralen Infektionen.
Uns lassen die Wirkstoffe der Pflanzen nicht kalt, schließlich sind wir auch nur Tiere. Wer es genau wissen will: Wir zählen zur Ordnung der Trockennasenaffen.
Menschliche Embryos sind in frühen Stadien kaum zu unterscheiden von den Embryos der Vögel, Frösche oder Hunde. Die Entwicklung im Mutterleib zeigt unser gemeinsames evolutionäres Erbe. In der späteren Entwicklung unterscheiden wir uns durch die Leistung unserer Gehirne, andere Organsysteme bleiben sich ähnlich. Unser Stoffwechsel gleicht dem anderer Tiere und darum funktioniert auch unsere Körperchemie ähnlich. Pflanzliche Wirkstoffe, die die Körperchemie von Tieren beeinflussen, wirken auch auf unser Innenleben ein. Da der Hopfen das Hormonsystem seiner Fressfeinde beeinflusst, kann er auch in das Zusammenspiel unserer Hormone eingreifen.
Unser Stoffwechsel und unsere Körperchemie gleichen vielen anderen Tieren.
Zusammengefasst: Pflanzen können nicht laufen. Das müssen sie auch gar nicht. Sie machen einfach allen anderen „Beine“. Sie locken und vertreiben. Dafür bilden sie chemische Stoffe, mit denen sie andere Lebewesen beeinflussen – und damit auch uns. Diese Stoffe verdanken sie der Evolution. Im Laufe von Milliarden Jahren haben sich jene Pflanzen durchgesetzt, deren chemischen Formeln an andere Lebewesen angepasst waren. Zu diesen Pflanzen zählen insbesondere die zehn Heilpflanzen, die wir Ihnen vorstellen.
Eine Hausapotheke aus den bekanntesten Heilpflanzen unserer Siedlungen hat viele Vorteile, denn die getrockneten Pflanzen kann man günstig und flott in Apotheken oder Kräuterläden kaufen. Dazu haben sie sich alle in der Anwendung bewährt und sie sind gut erforscht. Durch ihre Präsenz in Ihrem Wohnort werden sie Ihnen auch schnell vertraut werden. Freuen Sie sich auf erfrischende, lehrreiche und heilsame Begegnungen!
Heilpflanzen beleben nicht nur mit ihren Inhaltsstoffen. Die bloße Beschäftigung mit den grünen Nachbarn kann wohltuend sein und lässt uns den Ort, an dem wir leben, mit neuen Augen erleben. So sehen Sie plötzlich am Mülleimer an der Bushaltestelle oder am Eingang zum Supermarkt viele kleine Lebewesen sitzen. Mutig und selbstbewusst strecken sie ihr zerbrechliches Zellgerüst zur Sonne. Wir gehen davon aus, dass sie kein Bewusstsein haben wie wir. Doch sicher ist das nicht. Sie nehmen ihre Umwelt genau wahr und registrieren dabei auch Dinge, für die wir blind sind. Wenn wir sie betrachten, halten wir inne. Wir lösen uns von unserem alltäglichen Stress und befreien unseren Kopf. Wir freuen uns über diese grünen Wunder.
Brennnesseln am Straßenrand in Berlin. Ist das eine männliche oder eine weibliche Pflanze? Dazu später mehr.
Pflanzenentdeckungen im Alltag können Stress abbauen und Freude bereiten.
Je mehr Sie sich mit Pflanzen beschäftigen, desto mehr werden sie sich Ihnen zeigen. Sie werden Ihnen bei jedem Schritt außerhalb Ihrer Wohnung begegnen. Uns erzählen Menschen, dass sie unterwegs weniger auf ihr Smartphone starren, um jetzt Pflanzen zu entdecken. Statt dem „Buch der Gesichter“, Facebook, widmen sie sich jetzt dem „grünen Buch des Lebens“.
