Gesünder kränkeln - Thomas C. Breuer - E-Book

Gesünder kränkeln E-Book

Thomas C Breuer

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Beschreibung

Flow im Ohr und anderswo Die Zeiten ändern sich. Da fällt es nicht leicht, festen Boden unter den Füßen zu behalten. Das Angebot zur Wahrung des inneren Gleichgewichts ist riesig und entsprechend unübersichtlich. Wie überlebt man in diesem Dickicht der Möglichkeiten zwischen Apero und Ayurveda, Schrebergarten und Schwitzhütte, Chili und Chillen? Wie findet man den Unterschied heraus zwischen Genuss und Nepp, zwischen Gurus und Bauernfänger:innen? Thomas C. Breuer unterzieht die einschlägigen Angebote einer Prüfung, bei der kein Auge trocken bleibt. Und er findet selbst weitere Phänomene, etwa die Amselung der Adrenalinproduktion oder die Prada-Atmung (wenn einem die Luft wegbleibt beim Blick auf das Preisschild einer Handtasche). Wer sich auf der Suche nach dem Glück nicht entscheiden kann zwischen Pontius und Pilates, wer sich auf dem Weg zum inneren Kind zu verlaufen droht oder sich von der Pflicht zum Wellbeing verfolgt fühlt, findet in diesem Buch einen verlässlichen Kompass zum Stabilbleiben. Der Autor: Thomas C. Breuer, Buchhandelskaufmann; freier Schriftsteller, Radiomoderator; von 1977 bis 2019 als Kabarettist unterwegs auf Kleinkunstbühnen in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika. Regelmäßige Rundfunkarbeit für das Schweizer Radio SRF, WDR und SWR. Preisträger des Salzburger Stiers 2014.

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Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Beatrice

Carl-Auer

Thomas C. Breuer

Gesünder kränkeln

Wohlfühlatlas zum Stabilbleiben

2025

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagfoto: © Bartek – stock.adobe.com | KI-generiert

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2025

ISBN 978-3-8497-0603-6 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8552-9 (ePUB)

© 2025 Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Achtsam anfangen (Beginning for Starters)

Angeln

Apéro

Asiatisch

Askese (komplett)

Atmen

Ayurveda

Bachblüten

Backen

Bärlauching und Trüffeling

Birchern

Body Positivity

Boot

Bücher

Bügeling

Cannabis

Carpe diem

Chili

Chillen

Cocktails

Darstelling

Doping

Eimerliste

Feiern

Feiertage

Flow

Flying

Gartenmarkting

Glück

Handarbeiting

Hygge

Imkern

Innerer Schweinehund

Kamasutra für Einhandsegler

Kick

Kirche

Koffein

Koi

Landliebe

Lichting

Low Carb

Nichts

Nordic Noir

Offswitching

Okay

Ordnung

Power Nap

Qi

Radfahring

Reisen

Schlemming

Schrebergardening

Schwitzhütte

Shopping

Smoking

Sommer, ewiger

Strand

Superfoodies

Artischocke

Avocado

Brokkoli

Giersch

Knoblauch

Mangold

Nüsse

Pastinake

Salat

Suppe

Tattoo

Urban Chickening

Verkleiding

Vitamine

Apfel

Aprikose

Beeren

Exoten

Zitrusfrüchte

Vogelbeobachting

Wacken wagen!

Wandern

Wandern 1: Das Wandern an sich

Wandern 2: Der Jakobsweg

Wandern 3: Fastenwandern durch Einbauküchen

Wandern 4: Der Weg – Eine kleine Unterwegsmeditation

Wellness

Windkraft

Ydyllen

Zeit

Zen

Epilog

Über den Autor

Achtsam anfangen (Beginning for Starters)

Hiking, Mountain-Bergsteiging, Paradontosing, Dingolfing – Freizeitbeschäftigungen müssen seit über dreißig Jahren konsequent auf -ing enden, sonst werden sie nicht ernst genommen – außer vielleicht: Beach-Mikado. Das gilt ebenso für den weltanschaulichen Bereich: »Where are you churching?« lautet eine in den USA übliche Frage. Trinkfreudige Naturen geben sich dem Riesling hin. Ein Renner ist Stubenhocking, sogar unter freiem Himmel! Nur eines darf man nicht, wie schon Billy Wilder wusste: »Thou shall not be boring!« – langweilen sollst du nicht. Ohnehin sind zum Thema-ing seit RTL Samstag Nacht alle Witze gemacht, und das schon in den 90ern, und das zu toppen ist ein Unding. Ohne einen Shitstorm seitens der Gewerkschaften lostreten zu wollen: Die Forderung nach geringerer Arbeitszeit kollidiert mit der Tatsache, dass viele Leute schon jetzt nicht wissen, wie sie die Zeit totschlagen sollen.

Andere können nicht loslassen, wissen nicht mal ansatzweise, wie sie ihr inneres Vakuum füllen sollen. Urlaub zuhause funktioniert nicht, nach spätestens drei Tagen fühlt man sich hohl und leer wie ein Hündchen, das sein ganzes Leben in der Armbeuge von Paris Hilton verbracht hat, also permanent auf den Arm genommen. Ohne Bodenhaftung. Das sagt sich immer so leicht: mal Zeit für sich selbst nehmen. Die Bakterien aufladen. Womit? Wenn die Wake-up-calls zunehmen, ist der Anrufbeantworter keine Option.

Suchende begeben sich auf Reisen. Leider nimmt man immer sich selbst mit. Unterwegssein kann Therapie sein, lenkt aber von den eigentlichen Problemen ab. Hilfreich ist Bewegung. Bewegung ist in den letzten Jahrzehnten eine Massenbewegung geworden. Manche stehen auf Camping. Beziehungsweise Glamping. Das sind die Äußeren Reisen, die Wohlfühlwühltische sind diesbezüglich gut bestückt. Wichtiger, um nicht zu sagen: nachhaltiger, sind die Inneren Reisen, und da fangen die Probleme an, denn das Angebot ist riesig, unübersichtlich. Als King Charles noch Prinz war, äußerte er sich zum Thema so: »Das 20. Jahrhundert war Zeuge einiger merkwürdiger Verwirrungen des menschlichen Geistes.« Das 21. Jahrhundert kann das bisher lässig toppen. Keiner weiß, wie diese Zeiten einmal historisch eingeordnet werden können, die Belle Epoque hieß zu ihren Zeiten ja auch nicht Belle Epoque, oder? Wie das Institut für Allgemeine Ratlosigkeit IAR in Trier in einer Langzeitstudie feststellte: Die Lage ist unübersichtlich. Daher gleich die frohe Botschaft dieses Buches: Es will Ordnung in das Durcheinander bringen.

Allein in der Eso-Branche ist das Angebot gigantisch: Pendeln? Schwierig. Auf die Bahn warten zu müssen ist sicher eine ausgezeichnete Unterweisung in Demut, erschwert aber das Berufsleben. Hellsehen? Tagelang in der Garage vorm Abblendlicht zu hocken – das kann nicht gesund sein. Feuerlaufen? Und wenn einem irgendwann die Kohle ausgeht? Channeling? Schlägt bei den meisten außerhalb von Venedig, Amsterdam und Bangkok überhaupt nicht an. Rolfing? Klingt schon vintage. Wer heißt denn heute noch Rolf?! Rebalancing? Wenn man alles in eine Waagschale wirft, können die Vibrationen die Geschirrschränke der gesamten Nachbarschaft zum Schwingen bringen. Edelsteine in der Hosentasche? Wem zehnmal in der Öffentlichkeit die Hose bis auf die Knöchel runtergerutscht ist wegen der Gewichte, geht jedweder Unverkrampftheit verlustig. Ätherische Öle? Als wüssten wir nicht, wohin uns die Abhängigkeit vom Öl gebracht hat! Blütentherapie? Wer einmal versucht hat, mit Blüten zu bezahlen, weiß, was einem da blühen kann. Eiertanzen in der Tradition altburmesischer Wegelagerer? Kommt auf die Eier an. Quantensprung? Bloß eine Übersprungshandlung. Rebirthing? Im Fernsehen gibt es schon genug Wiederholungen. Autogenes Training? Hat ein Auto neuerdings Gene? Heilfasten? Macht manche Menschen so lange heil, bis sie halt tierischen Hunger kriegen. Hai Chun Gong, die Verjüngungsübungen chinesischer Kaiser? Gibt es dafür nicht ein Mindestalter?

Die Schweizer Psychologin Esther Pauchard meint, die junge Generation sei angesichts von Klimakrise, Krieg, Corona starr vor Schreck auch wegen fehlender Belastbarkeit. »Jahrzehntelang ist es uns gut gegangen im Wohlstand und in Frieden.« Die Zeiten ändern sich, die Menschen brauchen wieder einen Boden unter den Füßen. Tempo ist vonnöten, bevor der Baum der Erkenntnis vom Borkenkäfer dahingerafft wird. Ressourcen nutzen ist das A & O, vor allem die inneren. Aber wo werden diese gelagert? Im Hirnkastl? In der untersten Schublade? In der Besenkammer? Im Gefrierschrank? Im Schuppen draußen? Höchste Zeit, sich auf die Suche zu begeben!

Fragen über Fragen: Irrt hier ein Suchender? Sucht hier ein Irrender? Menschen, die sich bei diesem Angebot, das ja nur einen kleinen Ausschnitt darstellt, überfordert fühlen, möge dieses Buch als Orientierungshilfe dienen, als Kompass, als Wegweiser, im Einklang mit dem Dings. Gar nicht so einfach, in aller Seelenruhe eine innere Heimat zu finden. Erste Hilfe für alle, denen das Leben verwirrender daherkommt als ein Maislabyrinth. Obacht: Optimal für Wohlfühlempfänger, nichts für No-Brainer!

Angeln

In England verschreiben Ärzte Angeln auf Rezept, so geschehen unlängst in Manchester. (Man nennt dieses Volk nicht zufällig Angelsachsen.) Andererseits schwer vorstellbar angesichts der Schauergeschichten, die man über das Gesundheitssystem Großbritanniens hört. Statt teurer Medikamente oder Therapien sollen »soziale Aktivitäten« den Menschen helfen, also nur du und der Hecht. Die Gruppe Tackling Minds in Manchester arbeitet mit Therapeuten und Ärzten zusammen, vor allem bei Schwermut: Angeln soll die Depressionados davor bewahren, ins Wasser zu gehen: »Niemand beurteilt dich, wenn du am Wasser bist.« Therapien dieser Art existieren bereits seit den 80ern und werden vom Angling Trust unterstützt.

In Holland beschreitet man ähnliche Wege. Sportvisserij Nederland berichtet von einem depressiven Mann, der von seinem zehnjährigen Sohn ans Angeln herangeführt wurde. Er wurde von seinen Sorgen abgelenkt, wenn er was am Haken hatte. Die vielen Blinker in der Wohnung machten seinen Alltag heller. Blinker sind Kunstköder aus Metall, die man einfach so im Laden kaufen kann, man muss sie nicht eigens aus dem Auto ausbauen. Sogar in Frankreich versucht man sich daran, Therapie und Angeln miteinander zu verbinden, hier spielt allerdings der Gourmet-Faktor die entscheidende Rolle: Wichtig ist, was auf den Tisch kommt. In Deutschland steckt wie immer alles in den Kinderschuhen, und die sind nicht einmal aus Gummi. So schreibt ein gewisser »Tiedenspringer« in einem Anglerforum: »Wenn ich im Verlaufe eines Tages vier Abrisse und fünf Hänger habe, ist meine geistige Gesundheit auch am Ende.« Mit einer gedrosselten Erfolgsfixierung würde man besser fahren.

Betreutes Angeln. Frei sein, selbst wenn einem das Wasser bis zum Halse steht. In sich selbst versinken, ohne abzusaufen. Hässliche Hüte tragen. Fernab der großen Routen die großen Ruten schwingen, ohne Fußangeln, im Einklang mit der Natur. Die Bewegung tut gut. Oder das Stillsitzen. Einfach mal die Brasse halten. In der Sonne aalen. Lax für ein paar Stunden. Ein Fluss ist eine ideale Umgebung nicht nur für die, die zu nahe am Wasser gebaut haben, es geht um den Fluss des Lebens und den Einfluss, den die Natur auf die Psyche nehmen kann. Der Fluss hilft schließlich bei der Selbstfindung: Wo bin ich? Ganz einfach: am Fluss!

Apéro

In der Schweiz nennt man es Apéro, in Amerika Cocktailstunde und bei uns … tja. Vorteil des ersteren: Schon am Samstagmittag, oft nach dem Marktbesuch, sieht man in den Cafés und Bistros Menschen mit langstieligen, dickbauchigen Gläsern, in denen eine meist orangefarbige Flüssigkeit schwappt: der Aperol, der den Hugo in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts abgelöst hat. Beiden zu eigen ist der Prosecco, der die Grundlage für beide Drinks bildet und gerne auch als unabhängiges Getränk in Erscheinung tritt. All diese Getränke stehen für Leichtigkeit, Lockerheit und Weltläufigkeit und tragen zu einem ausgeglichenen Leben bei – als lebensverlängernde Maßnahmen. Allerdings nicht für Nüchternbolde.

Den Campari hat der Aperol lässig überholt, die Farbe Rot ist derzeit nicht gefragt, sogar Männer süffeln Orange und machen sich nichts aus der Farbe, die früher sog. Frauendrinks vorbehalten war. (Hoffentlich wird nicht eines Tages Blue Curaçao zum Modedrink …) Das Wort »Frauendrink« ist zum Glück parallel zum Campari ausgestorben. Dem Stammhaus hat der Aperol nicht geschadet, im Gegenteil: Er sorgt dort mittlerweile für die Umsätze und benötigt zur Produktion auch keine Läuse. Mens sana in Campari soda. Man nehme zwei Drittel Prosecco, ein Drittel Aperol und ein Drittel Sodawasser – das ist auch schon das ganze Geheimnis: Vier Drittel, das schafft nicht einmal der Eishockeysport. Obendrein kann man sich einen Schnitzer erlauben, bevorzugt Orange. Anschließend das Ganze auf Eis legen.

Dabei ist der Aperol alles andere als Lifestyle, er blickt auf eine lange Geschichte zurück. Erfunden wurde er 1919 von den Gebrüdern Barbieri im Veneto, die Männer hatten also ausreichend Zeit, sich an die Farbe zu gewöhnen. Italiener waren leidgeprüft, bereits 1907 war der FC Palermo in rosa Trikots aufgelaufen, da war ordentlich was los in der sizilianischen Metropole, aber dem Alkohol, dem Fußball und gelegentlich den Frauen sehen Männer alles nach.

Proseccco wurde ebenfalls im Veneto kreiert, von Antonio Carpenè 1868 in Conegliano. Mit seinem Aroma von Akazienblüten, Pferdeäpfeln und Birnen passt er zu vielen Anlässen: Hochzeit, Prüfung, Einstellung, Entlassung, JunggesellInnenabschied, Hochzeit, Baby Shower, Scheidung oder einfach nur unverhohlenem Alkoholismus, sogar zu leichten Gerichten wie dem Amtsgericht. Das ideale Getränk für Schaumschläger, die gar nichts weiter machen müssen – der Schaum ist ja schon geschlagen. ProsecciererInnen wissen zu schätzen: Aperol ist tiefschlürfend, aber nicht tiefschürfend, und gleicht gegebenenfalls fehlende Spritzigkeit aus.

Winston Churchill trank selten vor dem Frühstück, wohl aber zum Frühstück. Alkohol machte ihn zu einem ausgeglichenen Menschen. Dazu passt – obschon aus Schottland – diese schöne Weisheit: »Breakfast is the most important drink of the day« – Frühstück ist der wichtigste Drink des Tages. Stößchen!

Asiatisch

Bisweilen wendet sich die Orientierung zum Orient hin, gelegentlich darüber hinaus. In der westlichen Welt ergehen sich viele Menschen in gepflegter Selbstversenkung asiatischen Zuschnitts: Go East! Ihnen dient der Ferne Osten als »Safe Space«, wo sie sich den existenziellen Fragen des Lebens stellen: Wen lade ich zu meinem Wiedergeburtstag ein? Karma und Dharma, schon klar, aber was genau ist Pharma? Was kommt nach der Tigermücke in unsere Breiten – die Lao-Tse-Tse-Fliege? Neil Yang ist bekannt, aber wer ist Yin? Hat Konfuzius tatsächlich gesagt: »Ein gutes Resultat ist immer ein schönes Ergebnis«? Sollte man nicht besser den Satz der chinesischen Geschwindigkeitsphilosophin Tai Ming beherzigen: »Wo es Gründe gibt, sind Ursachen nicht weit«?

Wer die Philosophie außen vorlassen möchte, sich aber trotzdem zum asiatischen Lifestyle hingezogen fühlt, wird rasch fündig bei den Ressorts Kampfsport, Gartengestaltung, Ernährung, Rausch – im Osten finden sich Antworten auf viele Fragen und Bedürfnisse, und das, seit Marco Polo die Halbseidenstraße unsicher machte. Ob Samowar oder Samurai, im Osten ist für jeden was dabei. Umgekehrt sind bei uns viele Menschen aus dieser geheimnisumwobenen Region heimisch geworden und in Familienverbänden wie Triaden, Yakuza oder Sun Yee On organisiert.

Junge Leute zog es seit den 60ern zum Roten Libanesen (Vorderasien), zum Schwarzen Afghanen oder zum Blonden Nepalesen. Den Hesse im Gepäck, suchten sie ihr Heil im Wirrwana, in Poona, Auroville oder Goa und konnten recht rasch blind unterscheiden zwischen Buddha und Burda. Manche schafften sogar die Ausbildung zum Pagodenaffen. Den Weisheiten der Gurus wie Swami Pastrami wurde bedingungslos gefolgt, wenngleich der Unterschied zwischen Erleuchtung und Beleuchtung nicht immer tadellos herausgearbeitet werden konnte. Später reisten Alleinstehende in Billigfliegern nach Bangkok oder Phuket und suchen dort Erlösung. Viele schließen ihr Leben in einer Thai-Seniorenresidenz ab. Derweil vergnügen sich die Kiddies mit K-Pop und üben sich im Gangnam-Style.

Manche Zeitgenossen ernähren sich sogar auf Reisen in unseren Breiten ausschließlich asiatisch und nehmen im Restaurant immer die 85, ganz gleich in welcher Stadt. So haben sie unterwegs Fixpunkte, die ihren Alltag übersichtlicher machen. Sushi, behaupten Wissenschaftler, seien gut gegen Lungenkrebs. Deshalb dürfen die Kinder Nippons so viel rauchen. Japan-Bashing ist indes eine leichte Übung, vor allem, wenn sie gerade wieder eigenmächtig die Fangquoten für Sushi erhöht haben. Wer damit ein Problem hat, kann seine Mahlzeit bei den Nudelschlürfern in der nächsten Ramenhandlung zu sich nehmen, nichts hilft mehr als eine heiße Suppe. Aber wieso Miso? Weil die leckeren fermentierten Bakterien den Darm versorgen. Mit dieser Art von Ernährung wird es zwar schwierig, die Figur eines Sumo-Ringers zu erwerben, aber es geht, wenn man will. Freilich sollte man beim Essen auf permanente Reisüberflutung achten. Dazu trinkt man einen heißen Pu-Erh-Tee, ein Name, der klingt, als habe man ihn in der Augsburger Puppenkiste entwickelt.

Einen hohen Rang nimmt die Kultur Nippons ein: Ob Steingarten, Ikebana, Ikenada (Nichtstun) oder Ike-a (die Kunst des Vermöbelns), ob Kampfsportarten wie Kendō, Jiu-Jitsu, Bushidō, Mikadō oder Kantate – hier sind die Japaner marktführend, wobei Thai-Boxen wesentlich gefährlicher ist als Bento-Boxen. Auch die Chinesen haben diesbezüglich einiges zu bieten, was jeder bestätigen kann, der den schwarzen Gürtel im Feng Shui gemacht hat oder im Affen-Kung-Fu (chinesisch 猴拳) bewandert ist, bei dem die Bewegungen von Affen imitiert werden. Diese Disziplin wurde soeben von der Royal Academy of Martial Arts in Hongkong anerkannt.

Der Dalai Lama hat gesagt: »Nichts ist entspannter, als anzunehmen, was kommt.« Ja tatsächlich, wenn man es nur annimmt und nicht genau weiß – das kann tiefenentspannend sein. Lateiner sprechen hier vom Que sera, sera, whatever will be, will be … Zur Not kann man ohnehin immer die Annahme verweigern. Namasté! Und machen wir uns nichts vor: Räucherstäbchen sind ein gefährlicher Eingriff in den Duftverkehr.

Askese (komplett)

Kennen Sie diesen Altwiener Kaffeehauswitz:

»Ich hätte gerne einen Kaffee ohne Milch!«

»Milch ist leider keine mehr da. Darf's auch ohne Schlagobers sein?«

Egal. Hauptsache, ohne!

Bald ist die Liste komplett. Jeden Tag kommt etwas Neues hinzu. Gestern waren es Tee und Nüsse – »Schlecht für die Stimmbänder!«, hat jemand versichert. Olli hat sich aufrichtig gefreut: »Oh, prima!« Gleich zwei Artikel für seine Liste. Dabei war Tee erst vor Kurzem an die Stelle von Kaffee getreten, nachdem Wissenschaftler lobenswerterweise herausgefunden hatten, dass selbst die magenfreundlichste Plörre langfristig den Magen, selbst der koffeinärmste Tropfen irgendwann den Kreislauf angreifen kann. Jetzt nimmt Olli Kakao, aber für den findet sich bestimmt auch noch ein Gebresten.

Zucker bekommt ihm nicht. Auf Hülsenfrüchte bläht er. Orangensaft zum Frühstück – ein Attentat! Gute Butter – schieres Gift. Kürbis stellt ihn vor Probleme. Von Eiern kann er Zustände bekommen. Salz – oh weh! Selbstverständlich ist er Vegetarier, Veganer sogar, seit er mal an eine Leberwurst geriet, die nicht nur grob, sondern handgreiflich geworden war. Essen an sich ist ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und sollte vom Grundgesetz verboten werden.

Ollis Karriere begann mit Fenchel. Das war vor drei Jahren. Er verzichtete auf Fisch wegen des Cadmiums, und er verzichtete durchaus aggressiv. Voller Enthusiasmus sah er sich im Fernsehen alle appetitzügelnden Politmagazine an, in denen die skandalöse Aufzucht von Genusstieren gegeißelt wurde. Schon in den 1980ern hatte er triumphierend die BSE-Debatten verfolgt, nun stürzte er sich auf sämtliche Vogelgrippevarianten. Weltanschauliche Wut fegte Schweinefleisch und Sandelholz aus seinem Nahrungsmittelspektrum.

Abgewöhnen geht nicht immer ohne Probleme ab. Es bedurfte verschiedener Therapien, um mit dem Lesen von Kochbüchern aufzuhören. Bei Mozartkugeln lässt er den Mozart weg. Von der flüssigen zur überflüssigen Ernährung ist es nur ein kleiner Schritt. Gerade versucht er eine Akupunktur gegen Vokale, weil diese die Rachenmandeln angreifen sollen.

Die Liste jedenfalls wird Tag für Tag länger, hoffentlich geht ihm nicht eines Tages der Stoff aus. Noch fühlt er sich wohl. Die verträglichen Dinge verabschieden sich allmählich von diesem Planeten, und die Umwelt fordert immer mehr Zuwendung ein. Natürlich ist er nicht abhängig: Das Aufhören könnte er von einem Tag auf den andern drangeben, wenn's denn sein müsste. Mittlerweile kann er eigene Verzichtworkshops anbieten: »Selbst versagen leicht gemacht«. Nur Mut, aller Anfang ist schwer, es heißt erst einmal: Verzicht üben. Im Hintergrund lauert außerdem die »Orthorexia nervosa«, die bei PatientInnen auftritt, die sich streng an Ernährungsvorschriften halten und darüber jeglichen Genuss vergessen oder sich dem sogar aktiv verweigern. Manche fangen sogar an zu fletchern: Man kaut jeden Bissen vierzigmal, also so lange, bis man erschöpft einnickt. Das soll gesund sein. Diese Essstörung wurde entwickelt von Horace Fletcher, der trotzdem 1919 in Kopenhagen (dän. København) verstorben ist.

Das Projekt ist ausbaufähig. Kneipen ohne Musik und Warteschleifen ohne Muzak, die spendet nämlich zero Serotonin. Vor allem, prego: Talkshows ohne Worte. Mit Text sind die nämlich wirklich … also da fehlen einem die Worte! Denen eben leider nicht. Sogar bei jungen Leuten kann man immer häufiger beobachten: Grillpartys mit Gemüse, zum Trinken irgendwas mit Ingwer. Kann man alles käuflich in der nächsten Weglasseria erwerben. Verzicht auf Alkohol und Fleisch: Für sie absolut posh. Die Jungfernschaft wird bis zur Ehe aufrechterhalten. Entsagung ist Mantra. Auslassing. Entsaging. Das Leben ist keine Bedürfnisanstalt. Ende der Bohnenstange.

Atmen

Das Atemzentrum sitzt im verlängerten Rückenmark. Im Ruhezustand atmen wir etwa zehn- bis fünfzehnmal aus und schleusen damit sechs bis neun Liter Luft durch unseren Körper. Ohne Atmen wird unser Alltag öde und leer. Manchmal aber bleibt einem schlicht die Luft weg, und da nutzt es nichts, sich das Zwerchfell über die Ohren zu ziehen. Selbst atmungsaktive Kleidung hilft dann nicht mehr. Wer raucht oder falsch atmet, fügt dem Körper schlimme Schäden zu, so dass man im Alter konstatieren muss: »Lunge, komm bald wieder!« Das ist keine irre Parabel, sondern irreparabel. Atemlos durch die Nacht – und den Tag. Nicht einmal der Besuch von Open-Air-Veranstaltungen entlastet. Viele wenden sich in ihrer Not an Sauerstoffhändler – von denen natürlich keine ehrliche Hilfe zu erwarten ist, da geht es nur ums schnelle Geld.

Schon die Art, wie wir atmen, bestimmt unser Wohlbefinden. Der große Inhalator Beatma Gandhi hat erkannt: »Wenn du einatmest, schätze dich selbst. Wenn dein Nachbar nicht mehr atmet, schätze ab, ob er noch lebt.« Yoga hilft uns, bewusster zu atmen. Auf unserem Weg zur Eisernen Lunge begegnen uns unterschiedliche Techniken:

Ujjayi-Pranayama: Die Stimmritze wird verengt, der Atem gedrosselt. Wem es um Langsamkeit geht, kann gleich nach Bern ziehen (Klischee-Alarm!). Mit den Pranayama-Techniken kann man besser seine Kundalini-Energie wecken. (Dabei handelt es sich leider nicht um eine italienische Pastasorte.)

Prana-Atmung: Augen und Ohren mit Fingern und Daumen verschließen. Ganz arg tief einatmen. Langsam ausatmen – mit einem summenden Geräusch, wie ein Wespe. Sollte das Summen beim nächsten Einatmen unverändert zu hören sein, dann a) sind die Ohren nicht ganz dicht, b) befindet sich tatsächlich eine Biene im Raum oder c) eine Wespe.

Prada-Atmung: wenn einem die Luft wegbleibt beim Blick auf das Preisschild einer Handtasche, bekannt als Schnappatmung (engl. Snapchat). Kommt aus Italien. Effektiver: die Schnäppchenatmung.

Buteyko: Falls du durch den Mund atmest, schließe ihn, halte die Luft an für zehn Sekunden. Intensität steigern, auf Nasenatmung achten. Auf Ohrenatmung umschalten. Falls das nicht funktioniert, zurück auf Nasenatmung.

Kapalabhati: Schädelleuchten oder Feueratmung. Konzentration auf das Ausschnauben. Halte einfach die Luft an für zwei Minuten. Konzentration auf Bauch, Wirbelsäule, Schädeldecke. Forciere das Tempo. Birne glüht. Tolle Sache!

Brambarsati: Wie Buteyko, aber unter ständigem Murmeln. Entwickelt vom tibetischen Mönch Lapsang Souchong, der gesagt hat: »Hauche dem Leben Leben ein, aber benutze ein gutes Mundwasser.«

4-7-8: vier Sekunden ein, sieben Sekunden anhalten, acht Sekunden aus. Keinesfalls mit Minuten verwechseln, zeitigt unschöne Erlebnisse.

Neu auf dem Markt: Breathworking. Man berauscht sich am eigenen Atem und gewinnt trotzdem Kontrolle über seine Atemmuster. Dudelsacking – das Spielen dieses Instruments erhöht die Lungenkapazität und lässt den Blutdruck absacken, birgt allerdings das Risiko, zum beweglichen Ziel für Schützenvereine zu werden.

Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass unsere Atemzüge nicht von der Deutschen Bahn verantwortet werden. Schon Nietzsche hat darauf hingewiesen, dass man nicht in Kirchen gehen solle, wenn man reine Luft atmen will. Jetzt brauchen wir erst einmal dringend eine Verschnaufpause. Zuvor jedoch ein kleiner Spoiler: Wenn man vor die Tür tritt, wen trifft man da? Die Raucher! Die haben sich dort versammelt, weil drinnen striktes Rauchverbot herrscht. Nirgends ist die frische Luft ungesünder als an der frischen Luft, vor allem im Eingangsbereich von Krankenhäusern, der Nikotin-Schleuse.

Ayurveda

In Asien sind ayurvedische Heilmethoden Alltag, bei uns eher im Wellnessbereich zu verorten, importiert von sinnsuchenden Touristen. Bei den Followern gilt Ayurveda als Alternativmedizin, die Schulmedizin stuft sie als Pseudowissenschaft ein. Es ist wie so oft im Leben: Man muss daran glauben, sonst muss man dran glauben. Um die Entstehung ranken sich Mythen. Ayurveda stammt aus dem Sanskrit, dem ältesten medizinischen Werk, das uns erhalten geblieben ist: Charaka Samhit. Akribisch werden hier sämtliche Krankheiten auf das jeweilige Fehlverhalten des Menschen zurückgeführt. Gut, das kommt ein wenig sauertöpfisch daher, aber wer sich an die Ratschläge von Dr. Feelgood oder anderen Menschheitsbeglückern hält und die unangenehmen Dinge ausklammert, unbeschwert mit dem Karma Ghia durch die Natur braust, seine Speisen mit ordentlich Shakalaka würzt, darf die Frage »Are you veda?« (R U veda?) aus frohem Herzen mit »Jawoll!« beantworten. Oder mit »Aber hallo!«. Hey, sogar Jimi »Blue« Ochsenknecht soll an Karma glauben.

Grob gesagt geht es um das Zusammenspiel von Ernährung, Pflanzenheilkunde, Askese und Yoga, alles ganzheitlich, also nicht teilzeitlich. Bewerkstelligt wird das mittels Massage- und Reinigungstechniken, Letzteres durchaus mit Borstenbürsten oder dem Waschlappen Kretschman'scher Provenienz. Beim Reinigungsprogramm kann man die Vorwäsche schon mal vernachlässigen und vielleicht die ECO-Taste ausprobieren. Ayurveda geht von drei unterschiedlichen Lebensenergien (Dosha) aus: Vata für die Bewegung; meistens drahtige, ausgemergelte Gestalten mit Verdauungsstörungen. Kapha für die Struktur; das sind Leute mit einer enorm langsamen Verdauung. Schließlich Pitsa für den Stoffwechsel: Diese Typen haben ein starkes Verdauungsfeuer, das man aber mit Feuerwasser lässig in den Griff bekommen kann.

Alle Energien sollten sich in Harmonie befinden. Darauf sind die Inder spezialisiert, jede Kaste verfügt über ihre eigene Harmonie, nicht zufällig wurde in Indien das Harmonium erfunden. Generell ist die Ernährung wichtig: Der Mensch soll nur bei Hunger mittags bei ruhigem Gemüt zwei Hände voll Essen zu sich nehmen, ungesunde Gewohnheiten aufgeben und Wasser nur abgekocht trinken und niemals kalt. Niemand soll seine natürlichen Bedürfnisse unterdrücken. Ayurveden erkennt man leicht an ihrem vorbehaltlosen Verhältnis zu Darmwinden. Das erklärte Ziel: die Abwehrkräfte des Körpers zu stärken. Der Mensch setzt sich zusammen aus den drei Doshas sowie sieben Basisstoffen, in der Reihenfolge ihres Auftretens Rasa, Rakta, Mensa, Asthi, Tschakko und Shakira. Dazu gesellen sich die Abfallstoffe des Körpers. Das sollte aber kein Problem sein, wenn man anhand des Jahreskalenders die Tonnen am Abend vorher an die Straße stellt.

Obacht: Indische Medikamente enthalten häufig Schwermetalle, weswegen AyurvedikerInnen am Airport Dabolim, dem internationalen Flughafen von Goa, bei der Sicherheitsschleuse häufig Alarm auslösen – zu viel