Gevatter Tod in Altötting - Anton Leiss-Huber - E-Book

Gevatter Tod in Altötting E-Book

Anton Leiss-Huber

4,0

  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

In Altötting, dem katholischen Epizentrum Deutschlands, wird Frömmigkeit noch großgeschrieben. Nur für Dr. Spögler gilt das nicht mehr. Denn der Tierarzt liegt tot vor der Brauerei. Spögler wollte mit seinem Bolzenschussgerät den vorhergehenden Abend seiner Stammtischrunde etwas auflockern. Ein anderer hat offenbar die Gunst der Stunde genutzt und ihn damit getötet. Verdächtig ist vor allem die Prominenz des Ortes, denn diese hatte mit Spögler gezecht. Kein leichter Fall für den jungen Oberkommissar Max Kramer.

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Seitenzahl: 227

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Anton Leiss-Huber

Gevatter Tod in Altötting

KRIMINALROMAN

Zum Buch

Tödliche Probeleich In Altötting wird Frömmigkeit noch großgeschrieben. Zumindest außerhalb der eigenen vier Wände. Der ortsansässige Tierarzt Dr. Spögler feiert mit seinem Stammtisch in einem Brauereigasthof eine „Probeleich“. Das vor Jahren angelegte Geld für die Trauerfeiern der einzelnen Mitglieder hat inzwischen so viel Ertrag abgeworfen, dass es für ein Abendessen zu Lebzeiten aller Beteiligten reicht. Am nächsten Morgen liegt der Tierarzt tot vor der Brauerei. Todesursache war ein Bolzen aus seinem eigenen Schlachtschussapparat. Spögler hatte ihn mitgebracht, um den Abend etwas aufzulockern und etwas Spaß zu haben. Die hinzugerufenen Polizeibeamten Max Kramer und sein Kollege Fritz Fäustl nehmen die Ermittlungen auf. Zu den Verdächtigen zählen alle Gäste des Brauereigasthofes: der Stadtpfarrer, eine Haushälterin, ein Banker, der Bürgermeister und die Landrätin. Max’ zur Seite eilt wieder einmal seine Jugendliebe, die spätberufene Novizin Maria Evita. Doch Vorsicht: Alte Liebe rostet nicht!

Anton Leiss-Huber wurde im oberbayerischen Altötting geboren. Er ist studierter Opernsänger und Schauspieler. Einem breiten Publikum wurde er in den letzten Jahren vor allem durch seine Auftritte im deutschen Fernsehen bekannt. Man kennt ihn aus der Musiksendung des BR Fernsehens »Brettl-Spitzen«, der bayerischen Kultserie »Im Schleudergang« oder der Radio-Sendung »Schmankerl« auf BR-Heimat. »Gevatter Tod in Altötting« ist sein neuer Kriminalroman um den jungen Oberkommissar Max Kramer und seine Jugendliebe die Novizin Maria Evita.

Impressum

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten aus meinem Lebenslauf und mit tatsächlich lebenden Menschen, Geschehnissen und Institutionen um mich herum ist rein zufällig.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Erika / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6576-5

Zitate

»Du machst keinen Unterschied und holst den Reichen wie den Armen.«

Der Gevatter Tod. Kinder- und Hausmärchen Band 1, Brüder Grimm

*

»Wie man den Acker bestellt, so trägt er.«

Sprichwort

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Zitate

Inhalt

Widmung

Der Schatz im Acker

Aufbruch

Probeleich

I. Welch ein Acker!

II. Dornen, Disteln nur – Glüh’nder Sand

III. Und toter Steine Wucht

IV. Auf der ganzen ungeheuren Flur

V. Nicht die kleinste Frucht!

VI. Und doch in der Tiefe

VII. Glanzverklärt, unter Scherben

VIII. In der Dunkelheit ruht ein Schatz

IX. Von unermeß’nem Wert

X. Jesu Herrlichkeit

Mein aufrichtiger Dank geht an:

Lesen Sie weiter …

Widmung

Für meinen Patenonkel

Nicht mehr da, aber doch stets bei mir

Der Schatz im Acker

Gedicht von Elisabeth Josephson aus der Sammlung »Perlen aus bitterer Flut«

Welch’ ein Acker! Dornen, Disteln nur

Glüh’nder Sand und toter Steine Wucht,

Auf der ganzen, ungeheuren Flur

Nicht die kleinste Frucht!

Und doch in der Tiefe, glanzverklärt,

Unter Scherben, in der Dunkelheit,

Ruht ein Schatz von unermeß’nem Wert:

Jesu Herrlichkeit.

Aufbruch

Das rote Profil von Queen Elizabeth schien zu lächeln. Gezielt fuhr das Messer über ihren Kopf hinweg. Die Klinge glitt mit einem rauen Geräusch in das Papier und öffnete den Umschlag. Dieser Brief würde nun Gewissheit bringen. Allen unbequemen Fragen der Vergangenheit eine Antwort geben und dieser quälenden Unruhe ein Ende setzen.

Zitternde Finger klappten den gefalteten Brief auseinander. Das mittägliche Sonnenlicht, das seitlich durch die weißen Vorhänge gefiltert wurde, beleuchtete Zahlen und englische Worte. Es handelte sich um einen maschinell bedruckten Zettel einer Firma, die sich »Gene4you« nannte. »(…) The probability of paternity is 99,9998%.«1

Die Din-A4-Seite fiel zu Boden. Der Schmerz war kaum auszuhalten. Nun war es amtlich. Diese Drecksau sollte dafür mit seinem Leben bezahlen.

1 Die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft liegt bei 99,9998 %

Probeleich

»A schöne Leich« ist im süddeutschen Sprachraum kein gut aussehender Verblichener, sondern eine großzügig ausgerichtete Trauerfeier

»Sie hätten dagegen vehement einschreiten müssen, Monsignore. Einfach pietätlos!« Mürrisch schlurfte Fräulein Schosi an Hirlingers Arm dem Eingang des Bestattungsunternehmens Bauschmidt an der Kardinal-Wartenberg-Straße entgegen. Ein Neonschild, das den Namen des Altöttinger Totengräbers trug, hing darüber und war eben aufgeflackert, da die Dämmerung über der Stadt in den letzten Zügen lag.

Fräulein Schosi füllte ein schwarzes Kostüm mit einer farblich passenden Strumpfhose aus, welches vor zwanzig Jahren ihrer damaligen Größe entsprochen hatte. Als von ihrem Arbeitgeber keinerlei Reaktion auf den geäußerten Unmut kam, schnaufte sie entrüstet und blieb stehen. Unter einem lauten Ächzen bückte sie sich und strich mit der Hand über ihre eingepressten Beine. »Ahhh, meine Haxen tun heut scho wieder so weh.«

Golfplatz, kam Hirlinger bei diesem Anblick in den Sinn, denn an mehreren Stellen zeichnete sich unter der dunklen Nylonoberfläche, durch nicht behandelte Krampfadern, eine unübersehbare Hügellandschaft ab.

»Dann wären Sie halt einfach zu Hause geblieben, wenn Ihnen der Abend so gar keine Freude bereitet«, entgegnete er.

»Ich komme mir gerade vor, als wäre ich zu einem Beerdigungsfasching unterwegs.«

Hirlinger griff nach Fräulein Schosis Ellenbogen, um sie zu sich heranzuziehen. »Tun Sie mir einen Gefallen und verlieren bitte, sobald wir drinnen sind, kein Wort mehr darüber.«

Die grüne Iris seiner Haushälterin funkelte unberechenbar. »Keine Sorge, ich halt meinen Mund. Trotzdem bleibt es für mich eine Geschmacklosigkeit sondergleichen.«

Hirlinger bezweifelte, ob er sich auf dieses Versprechen verlassen konnte. »Ich bitte Sie inständig, uns den Abend nicht zu verderben.«

»Wenn ich sag, dass ich meinen Mund halt, dann können Sie Gift drauf nehmen. Herrschaftszeiten!« Mit dem letzten Wort drehte sie sich ruckartig zur Eingangstüre. Ihre geschwollenen Beine stampften auf die Klinke zu.

»Vielen Dank für Ihre Unterstützung«, rief Hirlinger dem breiten Rücken nach. Er musste schlucken. Durch die Nase nahm er einen tiefen Zug kühler Luft in seine Lungen auf und ließ ihn mit einem befreienden »Ahhhh« aus dem Mund wieder entgleiten. Anschließend folgte er seiner Haushälterin ins Innere in der Hoffnung, dass Fräulein Schosi wirklich Wort halten möge.

Orgeltöne begrüßten sie im Empfangsraum. Irgendwo lief eine sanfte Aufnahme von Johann Sebastian Bachs »Jesus bleibet meine Freude«. In gedämpftem Licht hielt eine junge Frau im schwarzen Dirndl mit gelber Schürze den beiden ein Tablett entgegen, auf dem Sektgläser angerichtet waren. Hirlinger identifizierte sie als Tochter des Hauses beziehungsweise Juniorchefin. Hanna, wenn er sich recht an die Vorbesprechung erinnerte.

»Herzlich willkommen, Monsignore. Darf ich Ihnen zu Beginn ein Glas Prosecco anbieten?« Das freundliche Gesicht war bedeckt mit Sommersprossen. Ihre rötlich schimmernden Haare hatte Hanna zu einem Dutt zusammengesteckt.

Fräulein Schosi biss sich auf die Unterlippe. »Also, das is doch …«

Hirlinger warf ihr einen mahnenden Blick zu.

»Gerne.« Ohne ein Widerwort griff seine Haushälterin nach einem der gefüllten Gläser.

Hanna Bauschmidt drückte Hirlinger ebenfalls das perlende Getränk in die Finger. Der ließ seine Haushälterin dabei nicht aus den Augen. Er wollte sichergehen, dass von ihrer Seite keine weiteren bösen Kommentare zu erwarten waren. Ohne Murren prostete sie ihm zu. Dabei simulierten ihre Lippen sogar so etwas Ähnliches wie ein Lächeln. Vielleicht sollte Hirlinger seine Haushälterin gleich noch zu einem zweiten Glas nötigen, denn Alkohol erhellte grundsätzlich Fräulein Schosis Stimmung.

Beide hatten ihren Prosecco zur Hälfte geleert, als ein Mann das Bestattungsunternehmen betrat. Er trug einen wadenlangen beigen Trenchcoat und hatte einen hellen Hut mit breiter Krempe tief in die Stirn gezogen. Plötzlich hob er seinen Kopf und grinste breit. »Ja, Petronilla«, sagte er und gab ihr die Hand. »Das ist ja eine Freude. Haben Sie sich doch überzeugen lassen?«

Fräulein Schosis Laune wechselte von geheuchelter Milde zu wirklicher Freude und hielt die kräftige Hand des Neuankömmlings in der ihren. Der Mann lüftete zur Begrüßung seinen Hut. Schütteres dunkles Haar kam zum Vorschein, welches an den Seiten fülliger, aber bereits ergraut war.

»Hias«, flötete Fräulein Schosi. »Wenn man an die Sonne denkt, dann geht sie auf.«

Der Tierarzt Hias Spögler, eigentlich Dr. Mathias Spögler, wusste um seine Wirkung auf Fräulein Schosi. Er war Hirlingers bester Freund. Seine Gegenwart allein reichte seit Jahren aus, um den Drachen zu zähmen. Amüsiert zwinkerten Hirlinger und er sich zu.

»Joseph. Servus.«

»Grüß dich Gott, Hias.«

Vertraut schlugen die beiden Männer ein.

»Sind wir die Ersten?« Spögler sah sich um.

Hanna Bauschmidt näherte sich mit einem weiteren Sektglas. »Nein.« Sie wies auf eine Treppe, die ins Souterrain führte. »Im Ausstellungsraum warten bereits der Herr Bürgermeister Molaufer, die Landrätin, der Mooser Bräu und der Obermüller von der Sparkasse.«

»Dann sind wir die Letzten«, kommentierte Spögler die Aufzählung und machte sich daran, seinen Mantel loszuwerden. Fräulein Schosi ließ es sich nicht nehmen, ihm dabei zu assistieren. Auch er war in einen dunklen Anzug gekleidet, die schwarze Seidenkrawatte hatte Spögler durch einen akkuraten doppelten Windsorknoten am Kragen befestigt.

»Bin ich denn das einzige Anhängsel?«, wandte sie sich nach getaner Arbeit an Hirlinger.

»Ja, ich denke schon. Vier sind bereits da, mit dem Hias und mir sind es sechs. Sie sind Nummer sieben. Vom Stammtisch wollte sonst niemand eine Begleitung mitbringen.«

Spögler räusperte sich. »Oder hat niemanden mehr zum Mitbringen.«

Unter der Führung von Hanna Bauschmidt stiegen Fräulein Schosi, Monsignore Hirlinger und Dr. Spögler Stufe für Stufe nach unten. Ein großer schlichter Raum, in dem Särge verschiedenster Größen standen, lag vor ihnen. Einer aus unbehandeltem hellem Holz befand sich zentral in der Mitte und wurde von zwei brennenden Kerzen eingerahmt. Davor lag ein Kranz aus grünem Plastikefeu, auf dessen weißer Trauerschleife in goldener Schrift »Wir werden Dich nie vergessen. Deine treuen Kameraden« zu lesen stand.

Im hinteren Teil unterhielten sich drei ältere, dunkel gekleidete Herren, von denen einer einen Krückstock mit Silberknauf in Händen hielt. Es war der ehemalige Sparkassendirektor Obermüller. Ohne diesen Stock war er nie anzutreffen, wobei er eher ein schickes Accessoire war, denn wirklich vonnöten. Der Mittlere, der nicht ganz so groß wie sein Nachbar Obermüller war, hatte einen Bart unter der Nase stehen, der viele an Kaiser Wilhelm denken ließ. Molaufer der Bürgermeister der Kreisstadt. Als Letzter und Kleinster stand Eugen Mooser in der Reihe, der Besitzer einer der größten Brauereien der Gegend. Ob sich die drei Herren bewusst der Größe nach sortiert hatten? Hirlinger amüsierte der Anblick, ihn erinnerte das Bild an die Daltons aus den Lucky-Luke-Heftchen seiner Jugend.

Seitlich etwas abseits hatte sich eine Dame im pinken Cocktailkleid mit blondem Pagenschnitt postiert, deren Alter schwer einzuschätzen war. Dieser leuchtende weibliche Farbklecks zog Hirlingers und Spöglers Aufmerksamkeit auf sich. Ohne zu zögern gingen sie auf die Dame zu, gaben ihr einen Handkuss und schüttelten der Reihe nach die übrigen Hände. Fräulein Schosi beließ es bei einem Nicken.

»Mein herzliches Beileid«, sagte Spögler und die Gruppe überkam ein befreiendes Lachen, das aufgrund der kahlen Wände noch stärker hallte.

Entschuldigend zuckte die pinke Dame mit den Schultern. »Ich wusste nicht, dass ihr das alle so ernst nehmt.« Ihr Blick fiel auf Fräulein Schosi, die sie ratlos anstierte. »Sonst hätte ich vielleicht auch etwas Zeitloseres angezogen.«

Ein erneutes Lachen war die Reaktion der anwesenden fünf Männer. Fräulein Schosi kräuselte ihre Lippen.

»Man kann der Vergänglichkeit durchaus mit ein bisschen Farbe begegnen, Erlaucht«, sagte Hirlinger. »Und ich muss zugeben, dass du eines deiner schönsten Kleider für diesen Anlass aus dem Schrank geholt hast.«

»Ich bin neulich in Baden-Baden an einem Schaufenster vorbeigelaufen und da konnte ich nicht widerstehen.«

»Die Farbe is jetzt ned grad besonders schmeichelhaft«, entfuhr es Fräulein Schosi, die sich demonstrativ an die Seite des Monsignore gestellt hatte.

Hirlinger verdrehte die Augen und suchte den Boden nach einer zufällig auftauchenden Falltüre ab, in die er hätte versinken können.

»Finden Sie?«, strahlte die Dame in Pink, als hätte sie den Angriff soeben gar nicht wahrgenommen, und vollführte eine kleine Pirouette. Die umstehenden Herren bekamen dabei glänzende Augen.

»Äußerst stilvoll, Bibba«, lobte Dr. Spögler. »Wie immer.«

Von Fräulein Schosi vernahm der Monsignore ein halb ersticktes Grunzen, das sie mit geschlossenem Mund von sich gab. »Denken Sie bitte an den schönen Abend«, zischte er ihr zu.

Ein Klatschen rettete die Situation. Hanna Bauschmidt hatte ihre Handflächen zusammengeschlagen und entspannte so die aufgetretene Stimmung. »Vielen Dank für Ihr Kommen«, eröffnete sie ihre kurze Rede. Alle Anwesenden wurden ruhig. »Als mir Monsignore Hirlinger von ihrem Plan erzählte, eine Probeleich abzuhalten, war ich sofort begeistert. Man sollte sich viel früher mit dem Ableben befassen. Wenn der Gevatter Tod an die Tür klopft, wissen viele Angehörigen nicht, wie es weitergehen soll.«

Mit dem Zeigefinger an die Wange gelegt nickte Hias Spögler mehrmals hintereinander.

»Unser Familienunternehmen existiert nun bereits in der dritten Generation …«, fuhr Hanna Bauschmidt fort. »Mein Großvater hat noch eigenhändig mit einem Spaten die Gräber auf dem Altöttinger Friedhof ausgehoben. Heute erledigen das die Friedhofsangestellten mit einem kleinen Bagger.« Nach dieser historischen Einleitung gab sie einen kurzen Abriss über die Vorbereitungen zu den verschiedensten Arten von Trauerfeiern, sprach über die Unterschiede von christlichen und nicht konfessionellen Erd- oder Feuerbestattungen, bis sie zum Ende die Besuchergruppe einlud, die ausgestellten Särge zu inspizieren. Auftretende Fragen würde sie gerne beantworten. Die Gruppe zerstreute sich und nahm die Ausstellungsstücke ins Visier.

»Modell Herbstzeitlose« prangte auf einem Kartonschild in der rechten äußeren Ecke des Vorführraums. Komplett weiß und schlicht präsentierte sich die Holzkiste darunter. In unmittelbarer Nachbarschaft entdeckte Hirlinger eine massive Eichenholzkreation, die sich »Letzte Reise« nannte.

Hanna Bauschmidt schien seinen interessierten Blick aus der Entfernung zu lesen und unterbrach das Gespräch mit Dr. Spögler und dem Mooser Bräu. »Den gibt es auch in rustikal, hell gekalkt oder altdeutsch. Einer unserer Renner im Angebot.«

»Einfach greislig«, murmelte Fräulein Schosi hinter Hirlingers Schulter.

Die Dame in Pink trat an seine andere Seite. »Ach, Joseph, wenn ich die ganze Ausstellung so betrachte, denke ich mir, ob Moslem, Christ oder Atheist«, sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, »ist doch alles egal. Am Ende stehen wir vor dem gleichen Richter.«

»Da sprichst du ein wahres Wort, Erlaucht«, pflichtete ihr Hirlinger bei.

Als sie sich nach diesem kurzen Einwurf wieder entfernt hatte, um weiter mit den anderen Herren über die Vergänglichkeit an sich zu konversieren, zupfte Fräulein Schosi Hirlinger ungehalten am Ärmel seines Sakkos. »Impertinente Person! Warum müssen Sie die eigentlich dauernd noch mit Erlaucht ansprechen?«

Einen Moment lang schloss Monsignore Hirlinger seine Augen und bat Gott um Ruhe und Gelassenheit. »Ob ich Frau Vermehr mit Larissa, Bibba oder Erlaucht anspreche, kann Ihnen bitte vollkommen gleichgültig sein. Ich habe sie als Komtess kennengelernt, und das wird sie immer für mich bleiben. Egal mit wem sie gerade verheiratet ist oder war.«

»Dass die sich jedes Mal so aufspielen muss«, nörgelte Fräulein Schosi weiter.

Hirlinger gab auf. Er hatte mit der Zeit verstanden, dass, wenn seine Haushälterin einmal mit dem falschen Fuß aufgestanden war, es fast nichts gab, was ihre Stimmung wieder aufhellen konnte. Außer vielleicht … »Hias, schau dir mal die Holzmaserung hier an. Einzigartig!«

Der treue Spögler begriff sofort, ließ Hanna Bauschmidt sowie den Mooser Bräu stehen und eilte seinem Freund zu Hilfe. »Ja, ja, sehr schön, sehr schön. Gefällt’s Ihnen auch so gut, Petronilla?«

Als das Wort an sie gerichtet wurde, merkten die Außenstehenden, wie Fräulein Schosi ein paar Zentimeter größer wurde. Da war er wieder, dieser Moment, in dem das Mienenspiel des alten Drachens die Züge eines flirtenden Teenagers annahm. »D’rüber hab ich noch gar ned nachgedacht, aber durchaus.«

»Gell, da möchte man doch gleich Probe liegen?«, setzte Spögler noch eins drauf.

»Bitte?« Nervös gingen die Mundwinkel Fräulein Schosis auf und ab.

»Ausprobieren, wie es sich anfühlt. Es ist sicher ganz beruhigend, wenn einen der frische Holzduft umhüllt.«

Unsicher versuchte Fräulein Schosi an Hias Spögler abzulesen, ob er gerade einen Witz machte. »Sie meinen das doch ned im Ernst?«

»Frau Bauschmidt«, seine Stimme erfüllte den Raum, »darf man sich zufälligerweise mal zur Probe da reinlegen?«

Die Gerufene durchquerte die Sargausstellung. »So eine Frage wurde mir bisher noch nie gestellt, muss ich zugeben. Aber gut, warum nicht.«

»Der da, der sieht mir doch recht bequem aus.« Spögler deutete auf die Eichenholzkiste mit der angeblich so tollen Musterung.

»›Letzte Reise‹«, nickte Hanna Bauschmidt. »Eine gute Wahl. Na, dann unternehmen Sie doch mal einen Gemütlichkeitsversuch.«

Fräulein Schosi verfolgte mit eingefrorenen Zügen, wie Spögler und der hinzugeeilte Mooser Bräu mit leichter Hand den Deckel anhoben. Das Innere war grün gepolstert. Am Kopfende lag ein kleines Kissen.

»Fast wie im eigenen Bett«, scherzte Spögler, als er sich darauf ausstreckte. »Und jetzt verschließen.«

Hirlinger und Mooser taten, wie ihnen befohlen.

»Gott! Welch Dunkel hier«, hörten die Umstehenden Spöglers weit entfernt wirkende Stimme.

Im Monsignore zuckte es, da er als Beethovenverehrer das eben benutzte Zitat erkannte. Plötzlich lachte er einmal laut auf. »Fidelio«, sagte er entschuldigend, als er sich wieder im Griff hatte. Der ehemalige Sparkassendirektor Obermüller war mit seiner Silberkrücke hinzugehinkt und schmunzelte wissend. »Florestan Arie.«

Nur Fräulein Schosi blieb stocksteif. »Des geht mir alles bald zu weit«, flüsterte sie Hirlinger zu.

»Unser Herrgott ist auch mal für einen guten Witz zu haben. Wie oft soll ich denn das noch sagen?« Sein Blick bohrte sich in ihr Gesicht. »Haben S’ halt mal ein bissal Humor.«

Vom Sarg drang ein dumpfes Klopfen nach oben. »Danke, das reicht schon wieder. Bitte öffnen.«

Als Spögler sich aus der liegenden Haltung erhoben hatte, machte er sich daran, seinen Anzug zu glätten. »Ein wirklich fantastisches Erlebnis«, sagte er an Fräulein Schosi gewandt. »Das sollten Sie unbedingt selbst versuchen.«

»Ich weiß ned …«

Spöglers rechter Arm legte sich um Fräulein Schosis Schulter, die keine Gegenwehr leistete. »Petronilla, diese Möglichkeit darf man nicht ungenutzt an sich vorbeiziehen lassen.«

»Dafür bin ich ehrlich die Falsche.«

»Jetzt keine Widerworte, hopp, hopp. Ich helfe Ihnen auch rein und wieder raus.«

Der Klang seiner Stimme schien auf Fräulein Schosi einen hypnotischen Effekt zu haben, denn sie ließ sich ohne Weiteres zum »Letzte Reise«-Sarg geleiten. Wie ein Schlangenbeschwörer seine Kobra, so führte Spögler sie um die Kiste herum. Hias nahm ihre Hände in die seinen und strahlte Fräulein Schosi auffordernd an. Als wären ihre Knie aus Butter sank sie mit dem Hinterteil auf die grüne Liegefläche. Es knarzte und Hanna Bauschmidt schien sich Sorgen um die Stabilität ihres Musterstückes zu machen. Mit unsicherem Gesichtsausdruck verfolgte sie das Schauspiel.

»Jetzt kuscheln Sie mal so bequem wie Schneewittchen.« Das schwarze Kostüm belegte die komplette Sargbreite.

Der Mooser Bräu und Spögler setzten den Deckel auf.

Hirlinger blinzelte ungläubig umher. Ein zufriedenes Gefühl entfaltete sich in ihm. Auch wenn nur für einen kurzen Augenblick, so hätte er doch nie im Traum daran gedacht, dass die Aussicht auf einen Sarg, der Fräulein Schosi enthielt, seine Stimmung so dermaßen nach oben katapultieren konnte. Halleluja! Zuerst drehte er sich zum geschlossenen Eichenholzmodell und dann mit einem breiten Grinsen auf den Lippen zu Hanna Bauschmidt hinüber. »Hammer und Nägel haben sie nicht zufällig parat?«

Der Witz kam an. Wie nahe er an der Realität lag, war seinen Stammtischbrüdern nicht bewusst.

Larissa Vermehr bohrte ihren Zeigefinger in das linke Ohr und streifte mit einem tadelnden Blick den Altöttinger Bürgermeister Engelbert Molaufer, der direkt neben ihr ein lautes dreckiges Lachen aus den Tiefen seiner Lunge presste. Bisher hatte er sich in allen Gesprächen zurückgehalten.

»Berti, du erinnerst mich gerade an ein grunzendes Walross.«

Der Seitenhieb zog an Molaufer vorbei. Nun trieb es ihm sogar Tränen in die Augen. Die Spitzen seines gezwirbelten Schnurrbarts wippten. »Wie ein altes Ehepaar«, brachte er heraus, als sich sein Atem wieder beruhigt hatte. Seine Hand wanderte in die Innentasche des Sakkos. Ein weißes Stofftaschentuch kam zum Vorschein, welches er auf den Mund presste, um weiteres Glucksen und Kichern zu verhindern.

»Ich hätte keinesfalls für möglich gehalten, wie spaßig dein organisierter Programmpunkt wird«, zollte Larissa Vermehr Hirlinger ihre Anerkennung.

»Was hast du denn vorbereitet, Lara?«, drängte sich der Sparkassen-Obermüller dazwischen.

»Nach dem Essen werde ich über die Geburten- und Sterberate in unserem Heimatlandkreis sprechen und wie wir vonseiten der Politik darauf reagieren.«

»Klingt ja interessant.« Skeptisch wiegte Obermüller seinen Kopf.

Engelbert Molaufer rang nach Luft und versuchte, seine Contenance wiederzuerlangen. »Zwei Dumme ein Gedanke. Vielleicht hätt’ ma uns vorher besser absprechen sollen. Ich hab nämlich die aktuellen Zahlen auch über Altötting zusammengestellt.«

Plötzlich hörte Hirlinger seinen Magen raunen. »Was kommt nachher eigentlich auf den Tisch?«

Eugen Mooser, in dessen Brauereigasthof der anschließende Leichenschmaus stattfinden sollte, räusperte sich. »Mei’ Frau hat einen Hirschbraten im Ofen. Nachtisch dann Käse oda Pfirsich Melba … oda aa beides. Außerdem zapf ich für euch ein kleines Fassl Festbier an. Fünf Komma sieben Umdrehungen. Ich hoff, es muss keiner mit dem Auto heimfahren.«

»Bestell ma halt a Taxi.« Spögler rieb sich die Hände.

»So ein Großraumteil kostet eh nicht die Welt. Teilen wir uns die Fahrtkosten einfach«, schloss sich Obermüller der Idee an.

»Und zur Not kann ich auch zu Fuß heim«, sagte Spögler. »Das Fassl wird ausgetrunken.«

Bürgermeister Molaufer schlug Hirlinger auf die Schulter. »Manchmal is eine Haushälterin mit Führerschein einfach Gold wert. Gell?«

In diesem Moment vernahmen die Anwesenden ein Schnarchen, das mit einem Pfeifen vermischt zu ihnen drang.

Durch das Geplänkel über die kommenden Programmpunkte hatten sie vollkommen vergessen, dass Fräulein Schosi noch immer im Sarg lag. Hirlinger und Molaufer lüfteten umgehend die Abdeckung, während sich Hias Spögler darüberbeugte und überschwänglich Fräulein Schosi im Licht begrüßte. »Was für ein Erlebnis. Nicht wahr, Petronilla?«

Auf Spöglers Freundlichkeitsoffensive kam von Fräulein Schosi keine Reaktion. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesichtszüge entspannt. Nur ihr rechter Nasenflügel bewegte sich bei jedem knarzenden Atemgeräusch.

»Die Gute ist ja eingeschlafen«, sagte Larissa Vermehr mit Blick auf das »Altöttinger Schneewittchen«.

»Am liebsten würde ich jetzt vorschlagen, dass wir uns alle auf Zehenspitzen aus dem Staub machen«, senkte Hirlinger seine Stimme.

Plötzlich schwiegen alle, bis Bürgermeister Molaufer laut auflachte und Fräulein Schosis Oberkörper davon reflexartig in die Höhe schnellte.

»Ach, du liebes bissal … Jetzt bin ich doch da drin kurz eingenickt.« Hustend hievte sie ihre Beine über den Rand. »In der Kiste isses so stickig.« Entschuldigend schüttelte sie den Kopf. »Der Sauerstoffmangel is ned guad für mich.«

»Na, Gott sei Dank hab ich für meinen Programmpunkt was an der frischen Luft vorbereitet.« Spögler hob theatralisch seinen Daumen und drückte pantomimisch auf einen unsichtbaren Knopf, dabei schnalzte er mit der Zunge.

Verständnislos sah ihn Fräulein Schosi an. »Was wird des?«

»Jeder von euch darf nachher gern mein Bolzenschussgerät an einem Brett ausprobieren. Aber Vorsicht mit dem Rückstoß.«

Molaufers Schnurrbart zuckte fasziniert. »Des wollt ich scho immer mal versuchen.«

»Ach geh, Hias! So ein Schmarrn.« Fräulein Schosi wandte sich ab.

»Ganz und gar nicht. So fühlt man am besten, wie kurz die Zeitspanne zwischen Leben und Tod sein kann. Beim Schuss fährt es dir in alle Knochen und der Ellenbogen beginnt zu summen. Währenddessen bricht das Vieh, auf dessen Schädel man es aufsetzt, normalerweise in Sekundenschnelle zusammen.«

Fräulein Schosi zeigte einen angewiderten Gesichtsausdruck. Aufmunternd reichte ihr Hias Spögler seinen Arm. »Fahr ma mal nach Bräu im Moos und dann schauen wir weiter. Ich zwing niemanden zu seinem Glück.«

I. Welch ein Acker!

Diese Nacht fühlte sich nicht nach Frühling an. Hier draußen fröstelte man, als wäre der Winter für ein kurzes Gastspiel zurückgekehrt. Er lauschte in die einsame Stille, die jedes Flüstern, jedes Schleifen eines Kieselsteins unter den Schuhen zu einem unüberhörbaren Lärm heranwachsen ließ. Selbst diese Geräuschlosigkeit schien im Moment einen eigenen Klang zu verbreiten, der sich an seinem Trommelfell zu einem Wummern auswuchs.

Wann würde diese Sau endlich herauskommen?

Plötzlich musste er hemmungslos schluchzen. Ein Fetzen der Vergangenheit war in ihm aufgeflammt. Die Bilder kamen immer wieder, er konnte sie nicht verdrängen und sie taten weh. Er presste beide Hände auf den Mund und biss dabei die Zähne zusammen, um keinen Laut mehr herauszulassen, der ihn vielleicht verraten hätte.

Endlich ging der Eingang des Gasthofs auf und dieses Schwein torkelte heraus. Seinen Hut hielt er in der Hand, sein Mantel war nicht geschlossen.

»Frische Luft tut immer gut«, lallte er zum Abschied in die geöffnete Türe hinein, dann drehte er sich und stolperte mehr, als dass er ging, in seine Richtung. Er kam auf ihn zu, hatte ihn aber noch nicht entdeckt. Noch ein paar Sekunden, dann würde das Schwein weit genug vom Gebäude entfernt sein.

Nun stieß er einen Pfiff aus, was sein Opfer tatsächlich dazu veranlasste, stehen zu bleiben.

Was nun geschehen sollte, hatte er in seinem Kopf bereits mehrmals durchgespielt.

»Fahr zur Hölle!«

*

Oberkommissar Max Kramer spürte, wie Gänsehaut seinen Rücken entlangkroch. Das lag nicht nur an der kühlen Morgenluft, sondern vor allem an dem ekelerregenden Anblick.

An diesem Dienstag hatte ihn ein Anruf der Kriminalpolizeistation Mühldorf um sechs Uhr fünfzig in seinem Bett auffahren lassen. Zehn Minuten vor dem Wecker. Er solle sich schleunigst zum Brauereigasthof »Bräu im Moos« in der Nähe von Tüßling begeben und auf das Schlimmste gefasst sein, so der Kollege am Telefon.

Max stand nun an einer Betonrampe, von der aus die Bierfässer des Lagers auf Lastwägen verladen wurden. Vor ihm lag ein ausgebluteter männlicher Leichnam. Weit aufgerissen starrten die toten Augen dem trüben Himmel entgegen. Vom Kopf der Leiche bis zur Kante verlief ein Rinnsal gestocktes Blut, das anschließend nach unten auf den asphaltierten Wendeplatz getropft war. Dort war eine matschige Lache entstanden. Der rote See tauchte den darunterliegenden Asphalt in ein dunkles Lila. Pfui Teufel!

Max hob den Blick und ließ ihn über die Landschaft schweifen, um seinen Nerven ein paar Sekunden Ruhe zu gönnen.

Über dem Bach, der das gesamte Areal durchfloss, und zwischen den Bäumen des kleinen Wäldchens oberhalb hingen weiße Nebelfetzen. Der umliegende Acker war aus pechschwarzer Erde und bildete einen Kontrast zu den hellen Schwaden, die sich zu dieser Tageszeit darauf breitmachten. Pittoresker hätte es der Romantiker Caspar David Friedrich nicht auf seine Leinwand pinseln können. Ein friedliches Bild, das auch als Kalenderblatt etwas hergemacht hätte. Einzig die Leiche trübte die Stimmung. Max wünschte, dass dieser Friede sich auch auf ihn legen und seinen Ekel vertreiben möge. Die schöne Aussicht tat die gewünschte Wirkung jedoch nicht, und die Männer der Spurensicherung in ihren raschelnden Ganzkörperanzügen störten ihn in seinen Beruhigungsversuchen.

»Geht so was schnell?«, wandte er sich schließlich an den Notarzt, der dabei war, die Todesbescheinigung auszufüllen.

»Sie meinen, Dr. Spöglers Ende?«

»Ja.«

»Besonders flott hüpft man dadurch nicht über den Jordan. Bolzen durch den Hinterkopf ins Hirn, irreversible Betäubung und dann langsames Ableben durch Blutverlust und Lähmung der Lebensfunktionen. Da ist es einfach besser, man läuft vor ein Auto und wird in Sekundenschnelle zu Brei. Oder fällt von einem Hochhaus, was denselben Effekt hat.« Auf den Lippen des Arztes lag ein breites Grinsen, denn anscheinend fand er seine Erklärung witzig oder er war stolz auf sich, so schnell andere Beispiele parat zu haben.

»Gott, Drengelmann, bitte. Mir wird gleich übel.« Seit Max in seiner alten Heimat tätig war, lief ihm dieser Macho in Weiß alle heiligen Zeiten über den Weg, und mit jedem Mal wurde er ihm unsympathischer.

»Manches Ableben ist eben qualvoll und nicht gerade ein Zuckerschlecken«, sagte Dr. Drengelmann trocken. »Sie sollten sich mal ein dickeres Fell zulegen, Kommissar, sonst landen Sie noch auf der Couch bei Ihrem Polizeipsychologen und schlussendlich …«, er machte eine Kunstpause, »in der Klapse.« Das P im letzten Wort betonte er extra. »Ich wäre hier fertig. Um den Rest kümmert sich dann wohl die Rechtsmedizin.«

Max hatte zweifelsohne ein Problem, wenn er es mit Leichen zu tun bekam, die ihm persönlich bekannt waren. Das musste er sich immer wieder aufs Neue eingestehen. Aber dieses Problem ausgerechnet von Drengelmann unter die Nase gerieben zu bekommen, ärgerte ihn. »Und Sie könnten in Ihrer Wortwahl ein bisschen professioneller sein.«

Dr. Drengelmann musterte ihn. »Wir werden wohl nie Freunde, oder?«

»Kann ich mir schlecht vorstellen. Wir haben wohl nicht viel mehr gemeinsam als die Tatsache, dass jeder von uns ein Y-Chromosom besitzt.«