Gnadenort - Anton Leiss-Huber - E-Book + Hörbuch
NEUHEIT

Gnadenort Hörbuch

Anton Leiss-Huber

4,4

Beschreibung

Ein toter Wirt, eine ermittelnde Novizin und eine bayerische Gemeinde mit düsteren Geheimnissen In Hoffnung auf etwas Ruhe und Gemütlichkeit hat sich Kommissar Max Kramer von der Großstadt zurück ins beschauliche Altötting versetzen lassen. Doch einiges hat sich in dem erzkatholischen Wallfahrtsort verändert: Seine Jugendliebe Maria ist im Kloster, das Dorf ist mit eigenwilligen Pilgern übervölkert und dann fällt auch noch der Bichler Wirt röchelnd von der Kirchenbank! Statt frühem Feierabend und frisch gezapftem Bier muss Kramer direkt zum Dienst antreten – und gerät prompt unter Zeitdruck, als es wenig später auch die Frau des Wirts hinwegrafft. Tatkräftige Hilfe bekommt er von Novizin Maria, die hinter den Klostermauern für ihn ermittelt – uns schon bald sind es nicht nur die Kirchenkerzen, die bei der gemeinsamen Ermittlungsarbeit zu knistern beginnen … »Unterhaltung vom Feinsten.« – Main Post Der erste Fall für Kommissar Max Kramer und Novizin Maria! Mörderisch gute Regio-Spannung für Fans von Rita Falk und Klüpfl & Kobr!

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Zeit:6 Std. 0 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Anton Leiss-Huber

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Über dieses Buch:

In Hoffnung auf etwas Ruhe und Gemütlichkeit hat sich Kommissar Max Kramer von der Großstadt zurück ins beschauliche Altötting versetzen lassen. Doch einiges hat sich in dem erzkatholischen Wallfahrtsort verändert: Seine Jugendliebe Maria ist im Kloster, das Dorf ist mit eigenwilligen Pilgern übervölkert und dann fällt auch noch der Bichler Wirt röchelnd von der Kirchenbank! Statt frühem Feierabend und frisch gezapftem Bier muss Kramer direkt zum Dienst antreten – und gerät prompt unter Zeitdruck, als es wenig später auch die Frau des Wirts hinwegrafft. Tatkräftige Hilfe bekommt er von Novizin Maria, die hinter den Klostermauern für ihn ermittelt – und schon bald sind es nicht nur die Kirchenkerzen, die bei der gemeinsamen Ermittlungsarbeit zu knistern beginnen …

Über den Autor:

Anton Leiss-Huber, geboren 1980 in Altötting, ist Autor und studierter Opernsänger und stand auf zahlreichen Bühnen im In- und Ausland. Einem breiten Publikum wurde er durch seine Auftritte im BR-Fernsehen bekannt.

Anton Leiss-Huber veröffentlichte bei dotbooks bereits »Fastenopfer«.

Der Autor bei Facebook: AntonLeissHuber

Der Autor auf Instagram: antonleisshuber/

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eBook-Neuausgabe Februar 2025

Copyright © der Originalausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-764-5

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Anton Leiss-Huber

Gnadenort

Kriminalroman

dotbooks.

Hinweis des Autors

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten

aus meinem Lebenslauf und mit tatsächlich lebenden Menschen, Geschehnissen und Institutionen

um mich herum ist rein zufällig!

Widmung

Für meinen Papa

Zitat

Wahre Religion ist gebaut auf das

Wahre, das Gute in der Menschennatur,

nicht auf der Sünde Morast.

Ludwig Feuerbach

Ich bin der Herr, dein Gott.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Im Dunkeln flammte ein Sturmfeuerzeug auf und zündete zwei Zigaretten an. Das war das Zeichen: Die Amis warteten auf ihn vor den Garagen. Während des Aufflackerns erkannte er zwei Buchstaben. Ein großes M stand dort neben einem großen P. Militärpolizei. Unweit entfernt parkte ein Jeep mit vier weiteren MPs. Niemand sprach ein Wort.

Auf einen Stock gestützt, hinkte er an dem Gefährt vorbei auf die Amis zu. Sein Knie war nach einer Verletzung in den ersten Kriegstagen steif geblieben, und die Beweglichkeit kehrte unerträglich langsam zurück. Der Krieg hatte einen Krüppel aus ihm gemacht.

Ein kurzes Nicken in nächtlicher Stille, dann zückte einer der Uniformierten ein Päckchen Lucky Strike und hielt es ihm unter die Nase. Er bedankte sich mit einem knappen, kaum hörbaren »Thank you«. Zigaretten hatte er seit Tagen nicht mehr bekommen.

Angespannt versuchten die drei Männer, die sich hinter einer Hausecke versteckt hielten, ihre Atemgeräusche unter Kontrolle zu halten. Keiner traute sich tief zu inhalieren, um nicht einen verräterischen Laut zu produzieren. Allein das Aufglimmen der Glut verriet, dass sich jemand auf der Straße vor den Garagen aufhielt, sonst war es vollkommen ruhig und finster. Nur der Bruder-Konrad-Brunnen plätscherte leise. Keine Zeugen. Wolken hüllten den Mond ein, der über der päpstlichen Basilika stand. Ideal für ihr Vorhaben.

Die Männer starrten auf den Eingang des alten Kapuzinerklosters neben dem Brunnen. Jeden Moment konnte es so weit sein, und dann musste es schnell gehen.

Endlich öffnete sich die Klosterpforte, und ein kleiner Lichtfetzen fiel auf den Platz. Das nachtfeuchte Kopfsteinpflaster reflektierte den Schein aus dem Gebäudeinneren.

Der Krüppel flüsterte den Soldaten zu: »The one I will take in my arms, that is him!«

Drei Personen erschienen im Eingang. Zwei stämmig gebaute Männer und ein junges Mädchen, höchstens 12 oder 13 Jahre alt, eigentlich noch ein Kind. Sie trug in jeder Hand einen Lederkoffer, auf dem Kopf ein dunkles Tuch. Ihre Begleiter waren in Anzüge aus Schurwolle gekleidet. Sicherlich ein Vermögen wert.

Der Größere von beiden trat auf die Straße, setzte einen Hut auf und zog ihn tief in die Stirn. An seinem Revers leuchtete ein winziges goldenes Kreuz mit zwei Querbalken, und in der Mitte, wo sich die Balken trafen, blitzte ein Diamant auf. Sein Gefährte hatte einen schmalen schwarzen Bart unter der Nase, der seit der deutschen Kapitulation definitiv nicht mehr in Mode war.

Der Mann mit dem Krückstock warf seine Kippe zu Boden und drückte sie mit einem festen Tritt aus. »Auf geht’s!«, sagte er leise. Dann tat er einige stolpernde Schritte aus der Dunkelheit heraus auf die kleine Gruppe zu. Seine Lippen setzten an, etwas zu pfeifen. Die Melodie von »Es war ein König in Thule, gar treu bis an das Grab ...«. Das Zeichen.

Die drei vor der Pforte lauschten, und als Antwort pfiff das Mädchen die fehlende Zeile zurück: »Dem sterbend seine Buhle einen goldnen Becher gab«.

Sie kamen auf ihn zu, und der Mann mit dem Kreuz am Revers wisperte: »Haben Sie die Ausweise und die Karten für die Schiffspassage erhalten? Wurden Sie beim Kardinal in München vorgelassen?«

Der Mann am Stock nickte.

»Das Gold hat also gereicht?!«

Abermaliges Nicken.

Der Anzugträger mit dem Bart beugte sich nach vorne und flüsterte seinem Gefährten etwas ins Ohr. Der ließ den Krüppel nicht aus den Augen. Dann deutete er auf die Ecke, hinter der sich die Soldaten versteckt hielten.

»Sollen wir jetzt das Automobil aus der Garage holen?«

Der Atem des Mannes mit dem Stock beschleunigte sich. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sagte heiser: »Nein.« Schnell setzte er hinzu: »Des wär zu auffällig! Wir würden uns verraten. Glauben S’ mir, wir müssen zu Fuß los.«

Die drei gaben sich damit zufrieden.

Den Stock in der Linken, fasste der Hinkende mit der Rechten die Schulter seines Gegenübers und zog ihn zu sich heran. Der Mann mit dem Kreuz am Revers ließ sich erstaunt gefallen, dass der Krüppel ihn umarmen wollte, und erwiderte die Geste.

»Gott beschütze Sie, Exzellenz!«, flüsterte der Hinkende ihm zu.

Im selben Moment heulte der Motor des Militärjeeps auf, und der Wagen raste auf den Platz. Gleichzeitig stürmten die zwei MPs zur Klosterpforte, ihre Maschinenpistolen im Anschlag.

Energisch stieß der Mann mit dem Kreuz den Krüppel von sich, drehte sich um und rannte am Brunnen vorbei in die Nacht hinein.

Der Jeep bremste vor dem Kloster, seine Insassen sprangen heraus und richteten ihre Waffen auf den bärtigen Mann und das Mädchen.

Das Mädchen trat zwei Schritte zurück, wendete sich ab, faltete seine Hände und begann zu beten.

Die zwei anderen MPs hetzten dem Mann mit dem Kreuz nach. Immer wieder brüllten sie, dass er doch endlich stehen bleiben solle, aber der Flüchtende ließ sich nicht beirren. »Stop! Stop!« Ihre Schreie hallten über den Platz.

Plötzlich ertönte ein Knall: ein Warnschuss. Doch der Mann mit dem Kreuz hetzte weiter.

Die beiden MPs betätigten den Abzug ihrer Maschinenpistolen. Der Platz wurde vom Mündungsfeuer erhellt, und mit einer unerträglichen Lautstärke zerrissen die Schüsse das Dunkel.

Dumpfe Einschläge waren zu vernehmen.

Der Mann mit dem Kreuz sackte vor den Stufen der Basilika zusammen und blieb regungslos liegen.

Plötzlich war es still. Keiner wagte mehr, sich zu bewegen. Nur das Mädchen löste sich fast wie in Trance von den MPs und ging langsam auf den leblosen Körper zu, Schritt für Schritt. Mit etwas Abstand folgten ihr schließlich zwei MPs und der Krüppel, auf seinen Stock gestützt.

Als die Kleine vor dem Leichnam stand und das Blut herausströmen sah, warf sie sich auf ihn, schrie und weinte.

Der Krüppel stand hinter dem Mädchen. Er fühlte sich schuldig, war wie gelähmt, kaum fähig zu sprechen, nur zu stottern: »Ich ... ich wollt ned, dass es so ausgeht!«

Das Mädchen drehte sich zu ihm um. Sein Blick verfinsterte sich, und Verachtung trat an die Stelle des Schreckens. Es fuhr auf, riss dem Krüppel den Stock aus seinen Händen und schlug auf ihn ein. Als die Amis seine Arme endlich zu fassen bekamen, versuchte es sich energisch zu befreien, aber die MPs waren stärker. Das Mädchen unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, die Freiheit wiederzuerlangen, doch er endete mit einem schrillen Schmerzensschrei: Es hatte sich die Schulter ausgekugelt. Seine Knie drohten zu versagen, es war einer Ohnmacht nahe.

Der Krüppel wollte dem Mädchen gerne helfen. Er streckte seine Hand aus, wollte seine Haare berühren, sie streicheln. Da hob sich auf einmal sein Kopf, und die Augen fixierten ihn. »Judas!«, flüsterte es und spuckte ihm ins Gesicht.

***

Schweißgebadet schreckte Gabriel von seinem Kissen hoch. Genau an dieser Stelle erwachte er Nacht für Nacht aus dem Traum, der ihn nun schon seit mehr als 50 Jahren marterte. Sein Gehirn hatte die Ereignisse von damals bis ins Detail gespeichert. Seither befand sich in seinem Unterbewusstsein dieser schmerzhafte, unauslöschliche Abdruck.

Mit dem hilflosen Gefühl, dass er nachts nicht Herr seiner Sinne war, knipste er die Nachttischlampe an. Neben ihm schlief seine Frau.

Er setzte sich im Bett auf und schob das Kopfkissen als Stütze in den Rücken. So verharrte er einige Minuten, um sich zu beruhigen. Schließlich begannen die Bilder aus seinem Kopf zu verschwinden.

Aus jeder erdenklichen Position hatte er die Szene im Traum schon beobachten können. Manchmal wie der Mond von oben, manchmal wie der Erschossene, dem es fast unmöglich war, die Augen zu öffnen, weil die Scheinwerfer des Jeeps schmerzhaft blendeten. Nur die Rolle des Mädchens hatte er in all der Zeit nie eingenommen.

Er schloss seine Augenlider und sah den sonnigen Altöttinger Kapellplatz seiner Kindheit vor sich. Er sah die Gnadenkapelle und dahinter die den Platz dominierende Stiftskirche. Er erinnerte sich an die Bilder, aber es war mehr als das. Auch die Gerüche seiner Kindheit schienen wieder präsent. Dieses Gemisch aus Weihrauch und Schweinsbraten, wie es nur an diesem Gnadenort, seiner Heimat, über den Platz wehen konnte. In seiner Jugend war er hier noch glücklich gewesen.

Plötzlich mogelte sich das Mädchen in seine Gedanken zurück. Ihm war, als würde es im Schlafzimmer schlagartig kälter werden.

Seine Hand tastete nach dem Radiowecker auf dem Nachttisch und stellte ihn an. Durch Ablenkung konnte er sich immer von diesem quälenden Bild befreien. Er wollte irgendetwas hören, um die lähmende Stille zu brechen, die das Zimmer erfüllte.

Mitternacht. Die Bayernhymne, als letzter Programmpunkt des Tages, wurde vom Bayerischen Rundfunk übertragen:

» ... deutsche Erde, Vaterland«.

Der unerwartete Lärm hatte seine Frau geweckt. Schweigend stand sie auf, warf ihm einen bösen Blick zu, griff nach ihrer Zudecke und dem Kissen und ließ ihn allein zurück. Sie würde auf der Wohnzimmercouch schlafen.

Mehrmals pro Woche dasselbe Spiel. Sobald er mitten in der Nacht das Radio anstellte, wanderte sie aus. Für beide war es seit jeher Folter, sich ein Bett teilen zu müssen.

Er verfluchte jede einzelne schlaflose Nacht. Auch seine Ehe war an diesem Zustand gescheitert. Jetzt war sie nur mehr eine Fassade, um der Nachbarschaft keinen weiteren Grund zum Tratschen zu liefern. Für diese Frau hatte er nie viel empfunden und über die Jahre seine Gefühle durch vollkommene Gleichgültigkeit ersetzt.

Warum suchten ihn die Bilder nach all der Zeit noch immer heim?

Aber er war damit nicht allein.

I. Du sollst keine anderen Götterneben mir haben.

Der Kies knirschte unter den Schuhen. Der Boden schien zu beben. Jeder Schritt oder besser Stampfer, den die krampfaderngeschwollenen Beine auf die Erde setzten, hinterließ ein Dröhnen, das die Regenwürmer im nahegelegenen Friedhof von ihrer Arbeit aufschreckte.

Der Monsignore war nicht zum Mittagessen erschienen. Unpünktlichkeit war Grund genug, wütend zu sein, aber dass er vermutlich im Hotel zur Post bei einem Weißwurstfrühstück saß und damit seine Gesundheit malträtierte, machte Fräulein Schosi richtig narrisch. War es denn zu viel verlangt, dass er pünktlich nach Hause zurückkehrte? Schließlich hatte sie ja auch Verpflichtungen, denen sie nachkommen musste.

»Wo ist er?«, schnaubte es aus ihr heraus.

»Keine Ahnung!« Das Fräulein hinter der Hotelrezeption aus Marmor versuchte überzeugend zu wirken.

»Danke, ich find ihn scho’ alleine!«

Fräulein Schosi verschwand hinter der Ecke zum Restaurant, während das andere Fräulein zum Haustelefon griff: »Georg is unterwegs.« Die Maßnahmen der Alarmstufe Rot liefen an.

»Georg«, das in Altötting gebräuchliche Pseudonym für Petronilla Schosi, kannte jeder. Woher es kam, war nicht mehr genau nachzuvollziehen. Wahrscheinlich hatte ihr mannhaftes Auftreten dafür Pate gestanden. Vielleicht jedoch auch, dass sie einem Bildnis des heiligen Georg besonders ähnlich sah, oder eher dem von ihm getöteten Drachen. Aber verbürgt war beides nicht.

Monsignore Joseph Hirlinger war gerade im Begriff, zu seinem Weißbier zu greifen, als die Postwirtin, Frau Kramer, eine adrette, alterslos wirkende Dame im Dirndl, auf ihn zusteuerte und ihn am Arm packte. »Georg is unterwegs!«

Diese Ansage genügte, und der Monsignore ließ sich bereitwillig nach draußen ziehen. Die große Glastür zum Kapellplatz fiel hinter den beiden ins Schloss. Zwei Kellner waren währenddessen damit beschäftigt, die Spuren der Weißwursttat von dem Tisch des Monsignore zu beseitigen.

»Aha!« Fräulein Schosi betrat das Restaurant und schaltete ihren Spürsinn ein. Dieser Tisch war gerade für ein Weißwurstfrühstück benutzt worden. So schnell hatten die Kellner dann doch nicht alles abräumen können. Die Indizien waren eindeutig. Ein halbvolles Glas Weißbier stand dort mutterseelenallein neben einem mit Wasser gefüllten Porzellantopf, in dem eine kleine helle Wurst trieb.

Wo steckte ihr Monsignore? Dieser verlotterte alte laufende Meter.

Hinter der Tür stand er nicht. Wo konnte er nur sein? Der einzige Ausweg aus diesem Raum führte zum Kapellplatz. Richtig! Na, der sollte jetzt aber etwas zu hören bekommen!

Sie mühte sich für ihn mit einer Diätküche ab, und er torpedierte jeden ihrer Versuche, eine fett- und zuckerarme Ernährung in seinem Leben zu etablieren. Warum verstand er nicht, dass dies alles nur zu seinem Besten geschah?! Wenn er den gewohnten Lebenswandel nicht gründlich änderte, so hatte sein Hausarzt gesagt, würde er das Risiko eines Alterszuckers eingehen. Für Fräulein Schosi gleichbedeutend mit dem absehbar frühen Tod ihres Monsignore. Ohne ihn war ihr Leben sinnlos!

Mit einem Ruck öffnete sie die Tür und baute sich draußen auf. Die Fäuste in die Seiten gestemmt, beobachtete sie, wie Frau Kramer die rechte Hand des Monsignore drückte. Ob aus Dank oder als Verabschiedungsgeste, konnte sie nicht deuten. Es interessierte sie aber auch nicht wirklich.

»Sie haben heute so schön gepredigt, Monsignore Hirlinger!«, flötete die Postwirtin.

»Vielen Dank! Es gibt nichts Schöneres, als vor Gläubigen zu predigen, die mich auch verstehen.«

Frau Kramer nickte bejahend. »Danke, dass Sie noch so spontan Zeit für eine Beichte hatten, Monsignore.«

»Aber selbstverständlich, auch die Kirche ist ein Serviceunternehmen und muss ab und an ihre Schalteröffnungszeiten ausdehnen.«

Die beiden würdigten Fräulein Schosi keines Blickes.

Um auf sich aufmerksam zu machen, schnellte ihre Hand nach oben und deutete ein vor Ärger zitterndes Winken an. Mit Gewalt presste sie ihre Lippen aufeinander, und wäre sie nicht eine treue Anhängerin der Betablockerfraktion gewesen, ihr Blutdruck wäre in diesem Augenblick ins Unermessliche gestiegen.

»Einen schönen Sonntag noch, Monsignore!« Die Wirtin klopfte ihm aufbauend auf die Schulter. Dabei fiel ein verstohlener Blick auf Fräulein Schosi, die wegen der vollkommenen Nichtbeachtung ihrer Person von Sekunde zu Sekunde wütender wurde. »Und unser Georg ist schon wieder ganz ruhig, um den brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, sagte die Postwirtin laut in dem Wissen, dass Fräulein Schosi sowieso nicht begriff, wer mit »Georg« gemeint war.

Der Monsignore nickte. »Freilich, freilich, ich hoffe, dass es unserem Georg bald bessergeht. Bestellen Sie bitte einen schönen Gruß!«

Frau Kramer machte Anstalten, sich zu verabschieden: »Die Wallfahrer warten nicht.«

Als sie sich umdrehte, lächelte sie Fräulein Schosi zu und ging an ihr vorbei ins Hotel zur Post zurück. Kurz bevor sie eintrat, sagte sie noch mal mit einem kleinen Teenagerseufzer: »Nein, so schön hat er gepredigt!«

Dann klickte das Türschloss.

»So, also a Beichte ...!« Fräulein Schosi wirkte misstrauisch.

»Ja, manchmal ruft einen die Pflicht aus seinem Zeitplan heraus.«

»Der liebe Herrgott will mir das verzeihen, aber wenn S’ mich verarschen, Monsignore Joseph, dann schmeiß ich irgendwann hin, und dann können S’ schau’n, wer Ihnen den Haushalt macht.«

»Aber Fräulein Schosi.«

»Ich mein ja bloß. Also, kommen S’ jetzt heim? Der Mittagstisch wird vom Warmhalten a ned besser.«

»Sofort, ich hatte noch eine Eingebung für meine nächste Sonntagspredigt. Gehen Sie doch bitte voraus! Ich werde ein paar kleinere Schritte nach Hause machen. In der Eile finde ich sonst nicht die rechten Worte.«

Fräulein Schosis linke Augenbraue hob sich einmal kurz, als ob sie sagen wollte: Wenn es sein muss! Dann machte sie sich ohne ein weiteres Wort auf den Heimweg. Hirlinger war erleichtert.

»Monsignore, beinahe hätten S’ Ihren Mantel vergessen.« Frau Kramer trat vorsichtig aus dem Hotel und sah sich nach allen Seiten um.

In diesem Moment, als hätte sie es geahnt, drehte Fräulein Schosi sich noch einmal um. Keine Sekunde zu spät. Der verräterische Mantel des Monsignore in der Hand der Postwirtin. Also doch!

Energisch stampfte sie zurück und riss der Kramer das Kleidungsstück aus der Hand.

»Achtes Gebot! Dass Sie sich ned schämen!« Mit einem beleidigten Ruck warf sie ihren Kopf in den Nacken.

Der Monsignore schluckte verlegen, und die Postwirtin sah ihn mitleidig an.

»Ich glaub, ich geh jetzt besser heim!«, stammelte er kleinlaut.

In Frau Kramers Gesicht sah er deutlich ein schlechtes Gewissen aufkeimen. Diesmal war ihre Rettungsaktion gründlich in die Hosen gegangen. Die Postwirtin war wieder einmal Zeugin von Szenen einer Ehe geworden, die ja gar keine war.

Erst neulich hatte sie ihn gefragt, ob er denn nie daran gedacht hatte, Fräulein Schosi zu entlassen.

»Nie!«, hatte er darauf geantwortet, aber an Mord habe er gedacht.

Für dieses Bekenntnis hatte er sich ein paar Stunden in die Heilige Kapelle zurückgezogen, um innige Zwiesprache mit der Mutter Gottes zu führen. Die Schwarze Madonna im Allerheiligsten der Gnadenkapelle hatte ihm eindeutig von diesem Gedanken abgeraten und zehn Rosenkränze später seine Entgleisung vergeben. Seither besaß Fräulein Schosi einen neuen Wintermantel.

Diesmal würde die Entschuldigung wohl größer ausfallen müssen. Irgendetwas zwischen Handtasche und einer gemeinsamen Reise nach Loreto oder Lourdes. Beim Gedanken daran wurde dem Monsignore klar, dass es die Handtasche werden sollte.

Die einsamen Pilgerfahrten in alle Welt brauchte er zur Erholung seines übers Jahr angegriffenen Nervenkostüms. Und das Wort »Pilgern« ließ sich in diesem Zusammenhang sehr weitläufig auslegen.

***

»Aber selbstverständlich können S’ mir die Gewitterkerzen zurückbringen, wenn’s nicht funktionieren. Nur weihen müssen S’ es halt noch lassen, dann wirken sie auch hundertprozentig. Schönen Sonntag noch, der Herr!«

Im Unterprammer’schen Devotionalienhandel herrschte Hochbetrieb. Die Chefin war an der Kasse, zeichnete gleichzeitig Ware aus, bediente Kunden und unterhielt sich in den Pausen mit einer jungen Novizin, die ihr nicht von der Seite wich.

Heute waren mehrere Busse aus der nördlichen Oberpfalz angekommen, und nach der ersten Messe und rituellen Augenwaschung im Bruder-Konrad-Brunnen waren die Pilger aus Weiden und Umgebung dabei, die Ramsch- und Andenkenläden im Umkreis der Gnadenkapelle unsicher zu machen: Altötting als Höhepunkt einer einwöchigen Glaubensreise.

Der Raum war bis in die hinterste Ecke angefüllt mit Kreuzen und anderem Schnitzwerk, Karten und Bildern von Heiligen. Dieses Sammelsurium hatte erschreckende Ähnlichkeit mit einem religiösen Disneyland: Christi Geburt, Tod und Auferstehung zusammengepfercht auf 16 Quadratmetern.

Ein Engel mit Trompete, der allerdings mehr an seinem Instrument zu lutschen schien, als dass er wirklich hineinblies, stand zentral am Eingang und begrüßte jeden Hereinkommenden ganz selbstbewusst in seiner Hässlichkeit. Er würde sicher bald einen Abnehmer unter den Wallfahrern finden. Ein Devotionalienladen wie der von Traudl Unterprammer war in Altötting eine Goldgrube. Man konnte darin alles an den Mann oder die Frau bringen.

Plötzlich wurde die religiöse Supermarktatmosphäre gestört. Die Worte der Chefin wurden schlagartig lauter und zogen die Aufmerksamkeit einiger Kunden auf sich. Genervt unterbrach Traudl Unterprammer ihre Arbeit und sagte in scharfem Ton: »Ich hab jetzt wirklich keine Zeit nicht, Kind!«

»Mit dem Glauben anderer Menschen Geld zu verdienen ist ned richtig, Tante Traudl«, gab die junge Novizin zurück.

»Vevi, siehst du ned, dass es mir grade gar nicht passt!«

»Maria Evita!«

»Bitte?«

»Ich möchte mit meinem Taufnamen angesprochen werden, das weißt du doch: Maria Evita!«

»Ach so, ja ...« Frau Unterprammer lächelte gequält und knöpfte dem nächsten Kunden fünf Euro für sein Mini-Kruzifix ab.

»Seitdem ich eingetreten bin, lege ich Wert auf meinen vollen Namen: Maria Evita. Maria und Eva waren zwei wichtige weibliche Persönlichkeiten!«

»Is recht, Kind!« Frau Unterprammer wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Mit dem Inhalt war sie seit der »spirituellen Umorientierung« ihrer Nichte vor zwei Jahren eh bestens vertraut. Sie hatte gerade wirklich anderes zu tun, als Glaubensfragen mit ihr zu diskutieren.

»Tante Traudl, schon als Jesus gesehen hatte, dass in Jerusalems Tempel Handel getrieben wurde, da ...«

»Da hat er sie dann rausgeschmissen! Du, ich kenn das Neue Testament! Wir sehen uns dann später. Bussi und servus.«

Frau Unterprammer umarmte die Novizin kräftig.

Während diese noch versuchte, sich aus der Umarmung zu lösen, bemerkte sie, dass sie von ihrer Tante einfach vor die Tür gesetzt wurde. Dass bei dieser Aktion keines der abertausend Figürchen im Eingangsbereich umfiel, grenzte an ein Wunder.

Unglaublich! Maria Evita konnte es nicht fassen, wieder einmal so abgespeist zu werden. Ihre eigene Tante! Ein Pharisäer! Nicht bereit, auch nur einen Millimeter von ihrem Tun abzuweichen. Sie war sich zwar nicht sicher, ob in diesem Fall die Bezeichnung »Pharisäer« angebracht war, aber es war eines jener Worte, bei denen sie sich, allein durch das Aussprechen oder den Gedanken daran, abreagieren konnte.

Seit ihrem Eintritt ins Altöttinger Nonnenkloster hatte sie einen beträchtlichen Teil ihres Wortschatzes streichen müssen, aber das »Pharisäer« war ihr geblieben. In ihrer persönlichen Rangliste war es sogar weit nach oben gestiegen. Während der Schulzeit hatten ihr andere Kraftausdrücke deutlich nähergelegen.

Aber wie sollte sie dem lieben Gott helfen, seine Schäfchen um sich zu sammeln, wenn es schon bei der eigenen Familie einfach nicht funktionieren wollte? Unzählige Male hatte sie sich bereits den Mund fusselig geredet, um ihre Tante Traudl endlich zur Umkehr zu bewegen. Doch mit ihr zu sprechen war wie gegen eine Mauer anzureden.

Maria Evita sah auf die Uhr: kurz vor dem »Zwölfeläuten«. Sie schaute hinüber zur Gnadenkapelle. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft stand der barocke Bau des Hotels zur Post, in das gerade eine Menge Oberpfälzer Pilger strömte, um das bestellte Mittagessen einzunehmen. Schon wieder so eine Sache. Sie ärgerte sich. In dieser Stadt gab es wirklich keinen, der nicht am katholischen Glauben verdiente. Aus reiner Nächstenliebe rührte hier niemand seine Finger. Die Klingelbeutel waren weit aufgespannt.

»Herr, vergib ihnen, denn sie wissen es nicht besser!« Maria Evita bekreuzigte sich.

Für den Nachmittag hatte sie sich mit dem Monsignore zum Gottesdienst in der Stiftskirche verabredet. Eigentlich war es Zeit, ins Kloster zurückzukehren, um gemeinsam mit den anderen Nonnen zu Mittag zu essen, aber sie verspürte wenig Lust dazu. Vielleicht sollte sie dem Monsignore jetzt schon einen Besuch abstatten. Der ehemalige Stadtpfarrer war einer der wenigen, mit denen Maria Evita vertrauensvoll sprechen konnte. Sie kannte ihn seit frühester Kindheit und konnte ihm alles anvertrauen. Er hatte sie damals auch gefirmt, denn als Altöttinger Stadtpfarrer durfte er die Mitra tragen, die Insignien eines Bischofs, einzigartig auf der Welt.

Tante Traudl war unterdessen mit einem Kunden vor ihren Laden in die Mittagssonne getreten. »Ja, der Madonna kann man die Krone abschrauben und dann das Wasser aus dem Bruder-Konrad-Brunnen einfüllen. Das ist vor allem gegen Augenleiden gut.«

Frau Unterprammers Blick blieb abschätzig an ihrer Nichte hängen, die immer noch wie angewurzelt vor der Schaufensterscheibe des Devotionalienladens stand.

»Bist du noch immer da?«

Maria Evita zuckte zusammen. Der Satz hatte sie getroffen wie der Schlag mit einem Zaunpfahl.

»Keine Angst, bin scho’ weg!«

»Und demnächst bekommen wir auch einen hohlen Jesus am Kreuz! In den können S’ dann auch Wasser abfüllen oder was Sie eben sonst möchten. Der passt in jede Jackentasche. Auch toll, um ihn auf die Fußwallfahrt mitzunehmen. Falls Sie Durst kriegen sollten.«

»Kann man bei Ihnen auch im Internet bestellen?«, wollte der Kunde wissen.

»Noch nicht, aber wir arbeiten dran!«

»Pharisäer!«, entfuhr es Maria Evita. »Pharisäer!«

Sie schloss ihre Augen und atmete tief durch. Der Monsignore würde sie verstehen. Herrgott, vergib mir meine Wut!, dachte sie immer wieder. Ihre Schritte wurden schneller. Sie musste weg von diesem Tempel des Lasters. Jesus hatte die Händler aus dem Tempel vertrieben, und ausgerechnet sie sollte bei ihrer Tante Traudl versagen.

»Vevi!«

Eine männliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Diesen Tonfall kannte sie. Unschlüssig blieb Maria Evita stehen und wendete ihren Kopf.

An einem Tisch vor dem Hotel zur Post saß ein ungefähr dreißig Jahre alter Mann, der gerade in der Mittagssonne einen Kaffee genoss. Seine dunklen Haare fielen ihm fransig in die Stirn, sein Gesicht hatte er in die Hand gestützt. Maria Evita tat zögerlich zwei Schritte auf ihn zu. Diese Lippen und dieses Lächeln waren unverkennbar. Sie konnte es kaum fassen. Max!

Alles sah an ihm eigentlich so aus wie früher, nur dass seine spitzbübischen Augen seitlich ein paar Falten bekommen hatten. Diese kleinen Lebensspuren machten ihn allerdings nicht unattraktiv. Ihre Finger griffen nach dem Rosenkranz in der Tasche ihres Habits, ohne ging sie nie aus dem Haus. Fest quetschte Maria Evita das Kreuz an der Kette in ihre Handfläche und brachte vor Erstaunen erst mal kein Wort heraus.

»Vevi! Respekt! Ich hätte es ja nicht für möglich gehalten, aber die Schwesterntracht steht dir ausgezeichnet. Einen schönen Menschen kann halt doch nichts entstellen!« Max schenkte ihr ein Lächeln. Dann sprang er auf, breitete seine Arme aus und kam ihr entgegen.

Maria Evita stand wie angewurzelt. Auch wenn sie in diesem Moment gerne in seine Arme gefallen wäre, ließ ihr Körper keinerlei Bewegung zu. Stocksteif und mit weit aufgerissenen Augen stand sie Max gegenüber.

Etwas verlegen blieb nun auch er stehen. Plötzlich begann er hörbar zu schlucken, als wolle er einen unangenehmen Film auf seinen Stimmlippen beseitigen. Er räusperte sich. »Schön, dich wiederzusehen, Vevi! Magst ned schnell mit mir an Kaffee trinken? Oder ... bist du gerade in göttlicher Mission unterwegs?« Er setzte sich zurück auf seinen Stuhl.

»Maxl! Warum bist’n du in Altötting?« Maria Evita war platt. Mit Max Kramer hätte sie hier als Letztes gerechnet. Mit jedem anderen, aber nicht mit ihm.

»Ich bin seit drei Wochen bei der Kripo in Mühldorf, und meine Eltern freuen sich selbstverständlich, wenn ich jetzt ab und zu wieder daheim im Hotel vorbeischaue!«

»Dass du wieder im Lande bist, ist an mir vollkommen vorbeigegangen. Und was ist mit München?« Maria Evita nahm auf einem freien Stuhl neben Max Kramer Platz.

»Mei, auch diese Tage waren irgendwann gezählt.«

»Wie kommt’s?«

»Mmh, privat lief’s ned so, und nachdem ich Brand und Sitte durchhatte, konnte ich ins KI der KPS Mühldorf wechseln.«

Max beantwortete Maria Evitas fragenden Blick: »Das Kommissariat für Straftaten gegen Leib und Leben bei der Kriminalpolizeistation. Ich wollt halt wieder heim und mein Leben sozusagen in Ordnung bringen! Hätt auch dumm laufen können und ich wäre als Dienstgruppenleiter in die Schicht der Schutzpolizei gekommen. Aber Papa hat es sich nicht nehmen lassen, einen seiner alten Spezln im Ministerium anzurufen. Mein alter Herr nervt mich allerdings grad, weil er meine Entscheidung, nach Mühldorf zu gehen, nicht kapiert.«

Eine junge Frau im Dirndl balancierte ein Tablett mit Gläsern vorbei. Max Kramer bestellte einen zweiten Kaffee. »Du bist selbstverständlich mein Gast!«

Maria Evita bedankte sich mit einem Lächeln. Wie oft hatte sie sich in den zurückliegenden Jahren gefragt, ob es ihm gut ergangen war ...

»Und deine Tante Traudl hat immer no’ ihren Laden?!«, fragte Max beiläufig. Es war die einzige Frage, die ihm in diesem Moment unverfänglich erschien.

»Ja, aber i mag mich jetzt ned über sie unterhalten.«

»Scho’ komisch. Vor elf Jahren auf der Schule dacht ich immer, ich würd heuer scho’ längst das Hotel übernommen haben und du den Wallfahrerladen nebenan. Wir gemeinsam ... So war zumindest immer der Plan.«

»Gott lacht über jeden Plan!«, entgegnete Maria Evita.

Max Kramer grinste amüsiert. »Ja, das tut er wohl!«

Eigentlich konnte er in dieser Sekunde nicht wirklich über ihre Worte lächeln, aber er wollte sich das nicht anmerken lassen. Seine Hand griff zur Tasse. In seiner Phantasie hatte er sich das Wiedersehen mit Vevi immer anders vorgestellt. Sie waren sich um den Hals gefallen, und alles war wie früher, einer Aussprache hatte es nicht bedurft. Doch nun, im wirklichen Leben, wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Hektisch nahm er einen Schluck Kaffee. Der schwarze Habit, in dem seine Exfreundin steckte, erzeugte zwischen ihnen eine große Distanz. Zumindest empfand er es so, und es machte ihn nervös.