Ghost No Girl! - Joe Vitani - E-Book
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Joe Vitani

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Beschreibung

Allie will ihre Teenager-Zeit voll auskosten –und von diesem Plan wird sie auch so eine Kleinigkeit wie ihr Tod nicht abhalten! Allie staunt nicht schlecht, als sie feststellt, dass sie nach ihrem Tod als Gespenst weiter existiert. Zum Glück kann immerhin ihr bester Freund Jake sie sehen und sich mit ihr unterhalten. Als auf ihrer Beerdigung unverhofft Mädchenschwarm Jamie Gordon auftaucht und sogar eine Träne vergießt, geht ihr eine Frage nicht mehr aus dem Kopf: War der mysteriöse und gutaussehende Surfer womöglich heimlich in sie verliebt?  Allies Entschluss steht fest, dem gemeinsam mit Jake auf den Grund zu gehen. Bei ihren Nachforschungen stößt sie allerdings nicht nur auf die eine oder andere Überraschung, sondern auch auf einen ziemlich nervigen Gespenster-Jungen, dem sie sich trotz seiner altklugen Art auf unerklärliche Weise verbunden fühlt. Doch Allie muss auf der Hut sein, denn nicht jeder in der Geisterwelt möchte ihr etwas Gutes … "Ghost No Girl!" ist der erste Teil einer Dilogie. Der zweite und letzte Band erscheint am 28.07.2022.

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Ghost No Girl!

Band 1

Joe Vitani

Widmung

Für Alicia,

weil ich mit dir immer was zu lachen habe

&

mir unsere Freundschaft viel bedeutet.

Playlist

Queen - You’re My Best Friend

AC/DC - Highway to Hell

The Runaways - Cherry Bomb

Halestorm - Beautiful with You

Foo Fighters - DOA

My Chemical Romance - Welcome to the Black Parade

P!nk - So What

Green Day - Boulevard of Broken Dreams

Lady Gaga - Born This Way

The Pretty Reckless - Waiting for a Friend

John Rzeznik - I’m Still Here

U2 - With Or Without You

Ramones – Pet Sematary

Queen - Don’t Stop Me Now

My Chemical Romance - Famous Last Words

1

Allie

Ich habe einmal gehört, dass die Highschool etwas ist, das es zu überstehen gilt. Hast du dieses Höllennest voller großkotziger Football-Spieler, Möchtegern-Schönheitsköniginnen, übertrieben gelenkiger Cheerleader, besserwisserischer Geschichtslehrer (und aller anderen Arten von Lehrern), abartigem Kantinenfraß und noch dazu einer Tonne an Hausaufgaben und ehrenamtlicher Projekte einmal hinter dich gebracht – so heißt es –, steht dir die ganze Welt offen! Du hast es überstanden! Diese Zeit, in der du lernst wie eine Irre, dir mindestens zehntausend Mal das Herz brechen lässt, neue Freunde findest (und sie wieder verlierst), dir viel zu viel Stress wegen deiner Zukunft machst, eine Million Pläne schmiedest, die du am Ende eh wieder verwirfst, und neben allem irgendwie herauszufinden versuchst, wer du bist und wer du in dieser Welt sein möchtest. Verdammt, wenn etwas anstrengend ist, dann ist es die Highschool! Und das Ganze ist kein Musical.

Klingt das negativ? Für euch vielleicht, die ihr euch durch das alles noch durchkämpfen müsst oder es mit mehr oder weniger Bravour bereits hinter euch gebracht habt. Für mich klingt es wie der Himmel auf Erden, und ich würde sonst was dafür geben, um noch ein wenig länger ein Teil dieser knallbunten, dabei immer gleichen und dennoch irgendwie verrückten Masse sein zu können.

Aber das geht nicht. Denn ich bin vor ein paar Tagen gestorben.

Traurig, nicht wahr? Das könnt ihr laut sagen.

Jetzt fragt ihr euch sicher, wie ich denn gestorben bin. Wie schafft es ein sechzehnjähriges Mädchen, dem ganzen Highschool-Drama zu entkommen, indem es einfach so den Löffel abgibt? Nun … Da bieten sich vermutlich unzählige Möglichkeiten, und die meisten davon sind mit großer Sicherheit deutlich spannender als meine elende Geschichte. Deshalb möchte ich euch auch nicht damit langweilen oder unnötig auf die Folter spannen. Obwohl es gar nicht von Bedeutung ist, wie genau ich gegangen bin. Aber okay. Ich hatte eine ziemlich miese und hinterlistige Krankheit. Einen hässlichen bösartigen Gehirntumor, der zu spät erkannt wurde und sich schon viel zu weit ausgebreitet hatte. Da konnte man nicht mehr viel tun. Tragisch, ich weiß.

Aber genug davon! Es liegt nicht in meinem Interesse, euch mit meiner Geschichte traurig zu machen oder runterzuziehen. Glaubt mir, es haben schon genug Menschen meinetwegen Tränen vergossen. Allen voran natürlich meine Eltern, mein bester Freund Jake und mein kleiner Bruder Josh. Meinem großen Bruder Simon blieb nicht viel Gelegenheit zum Weinen. Denn er musste gerade in dieser Zeit für den Rest meiner Familie stark sein. Er war schon immer der Vernünftigste in unserem kleinen Clan. Armer Simon … Es liegt so eine schwere Last auf seinen Schultern.

Stattdessen hoffe ich, dass meine Geschichte ganz unterhaltsam werden könnte, denn ich weiß selbst noch nicht, was mich in den nächsten Tagen, Wochen oder Jahren so erwarten wird. Denn …

… Ich bin immer noch hier.

Das mag jetzt vielleicht verrückt klingen, aber als mein Körper in diesem elendigen Krankenbett, das für die letzten Tage meines kurzen Lebens mein Zuhause war, vollends den Geist aufgegeben hat, ist meine Seele – oder was auch immer – nicht in die nächsthöhere Ebene aufgestiegen. Ich habe mir vorher alles Erdenkliche ausgemalt, was wohl nach meinem Tod mit mir geschehen würde. Aber auf diese Möglichkeit bin ich ehrlich gesagt nicht gekommen. Zumindest schien sie mir so absurd zu sein, dass ich sie von Anfang an ausgeschlossen habe.

Aber keine Engel auf flauschigen Wolken haben mich in Empfang genommen. Ich habe kein Himmelstor durchschritten, keine Unterwelt betreten, habe mich nicht im Nirwana aufgelöst, und wiedergeboren wurde ich bislang auch nicht. Ich bin hiergeblieben. Auf der Erde. Genauer gesagt in Long Beach in Südkalifornien.

Mein Name ist Allie Winter, ich bin ein Gespenst, und das hier ist meine Geschichte.

2

Die Sirene und der Rockstar

Wie könnte ich meine Geschichte besser beginnen als mit meiner eigenen Beerdigung? Sparen wir uns einmal die ganzen Formalitäten, die zuvor erledigt werden müssen, und begeben uns lieber direkt auf die letzte große Party meines menschlichen Lebens.

Wer von euch hat sich schon mal gewünscht, bei der eigenen Beerdigung spionieren zu dürfen? Wird alles so laufen, wie ihr es euch vorgestellt habt? Werden eure Wünsche respektiert? Wer wird alles dort sein? Ich muss sagen, ich war ganz schön aufgeregt! Heute würde sich zum letzten Mal alles um mich drehen, bevor ich ganz allmählich in Vergessenheit geraten würde. Vielleicht nicht unbedingt bei meiner Familie und meinem besten Freund Jake, aber doch bei vielen anderen … Aber nein, Jake würde mich nicht vergessen! Das hatte er mir einen Tag vor meinem Tod hoch und heilig versprochen. Dabei hatte er geheult wie ein Klageweib und ich selbst vermutlich nicht weniger.

Jake und ich waren seit dem Kindergarten befreundet. Wir haben zusammen Matschkuchen gebacken, sind auf Bäume geklettert, haben uns Fantasiewelten ausgedacht und altes Ehepaar gespielt. Dann ging es in die Schule, und unser Leben drehte sich bald um ernstere Themen. Die schräge Frisur unserer Englischlehrerin Mrs Noals zum Beispiel. Oder die Kunst, auf einem sich fortbewegenden Skateboard zu stehen, ohne sich dabei auf die Fresse zu legen und vor der gesamten Klasse zu blamieren. Mir persönlich hat das zwar nie sonderlich viel ausgemacht, aber Jake war schon immer ein kleiner Perfektionist und hatte stets mit seinem niedrigen Selbstwertgefühl zu kämpfen. So hat er sich bislang auch noch nie getraut, irgendein Mädchen anzusprechen. Außer mir natürlich! Ich denke, dadurch, dass wir wie Bruder und Schwester aufgewachsen sind, hat sein verunsichertes Unterbewusstsein ganz vergessen, dass ich ja auch ein Mädchen bin. Entschuldigung … war.

Ich selbst hatte zwar nie Probleme damit, andere Menschen anzuquatschen, sei es nun Mädchen oder Junge, aber trotzdem hatte ich nie wirklich andere Freunde, geschweige denn einen festen Freund. Es gab immer nur Jake und mich. Und das war auch gut so. Zumindest habe ich immer versucht, mir das einzureden. Denn als mir klar wurde, dass sich mein Leben auf dieser Erde dem Ende neigte, begann ich schließlich doch damit, mir Gedanken darüber zu machen, was alles hätte gewesen sein können, wenn …

Aber das sind Gedanken, die ich möglichst schnell aus meinem Kopf vertreiben möchte! Ich hatte ein tolles Leben mit einem tollen besten Freund. Und nun stand ich vor meinem geöffneten Sarg in unserer kleinen Kirche und wartete gespannt, ob Jake einen gewissen Wunsch für meine Beerdigung respektieren würde.

Bislang war nur meine Familie da, aber die hatten sich dazu entschieden, draußen auf die anderen Gäste zu warten und sie dort in Empfang zu nehmen. Eine Entscheidung, für die ich ihnen sehr dankbar war. Ich hätte es nur schwer ertragen können, sie hier die ganze Zeit über trauernd neben meinem toten Körper stehen zu sehen. Stattdessen blieb mir jetzt ein bisschen Zeit, um mich ein letztes Mal mit den Augen einer Fremden zu betrachten.

Es ist schon merkwürdig. Du meinst immer, du wüsstest, wie du aussiehst. Schließlich siehst du dich jeden Tag mehrfach in irgendwelchen Spiegeln. Aber du wirst dich niemals so sehen, wie andere Menschen es tun.

Zum Glück hatte der Leichenbestatter gute Arbeit geleistet und die Krankheit aus meinem Gesicht verschwinden lassen. Ich sah wieder halbwegs wie ein gesundes sechzehnjähriges Mädchen aus, das lediglich ein kleines Nickerchen machte. Sie hatten mir auch tatsächlich meine blaugrüne Perücke aufgesetzt, wie ich es mir gewünscht hatte. Dabei hatte meine Mom extra eine mit blondem Echthaar anfertigen lassen, damit ich so aussehen konnte wie vor meiner Bestrahlung. (Ja, das ganze Prozedere hatte ich trotz der minimalen Chance auf Heilung durchgestanden.) Doch dieses Geschenk hatte ich unter Tränen abgelehnt, denn ich war nicht länger das Mädchen vor der Krankheit. Ich wusste, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb. Und diese Zeit wollte ich nutzen, um immerhin noch einen kleinen Teil meiner verrückten Seite ausleben zu können. Jetzt sah ich in meinem petrolfarbenen Kleid, das sich wie eine zweite Haut an meinen dünnen Körper schmiegte, und mit meinem schulterlangen Meerjungfrauenhaar wie eine schlafende Sirene aus.

Auf einmal hörte ich, wie sich die Tür zum Kirchenschiff öffnete und eine Person hereintrat. Als ich aufblickte, musste ich mich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Eine alte Angewohnheit aus meinen Lebzeiten. Inzwischen war es egal, was ich sagte oder wie laut ich lachte. Es konnte mich ja niemand hören. Es war Jake, und wie ich sofort erkannte, hatte er meinen Wunsch respektiert. Obwohl es ihm sicherlich ziemlich peinlich war. Ich hatte ihn nämlich gebeten, sich zu meiner Beerdigung als Freddy Mercury zu verkleiden. Die spezifische Wahl des Bühnenoutfits hatte ich ihm überlassen, unter der Bedingung, dass es ausgefallen sein musste!

Durch die alten Schallplatten unserer Eltern war Freddy schon früh zu unserem persönlichen Idol geworden. Unsere Freundschaft wurde von Queen-Liedern zusammengehalten, die wir in meiner Garage (dem einzigen Ort, an dem Jake sich getraut hatte, ganz und gar er selbst zu sein) lauthals mitgesungen hatten. Einmal waren wir so ausgerastet, dass wir aus Versehen eine von Dads Gitarren zerschmettert hatten …

Jetzt stand mir ein leibhaftiger Freddy in seinem rot-schwarzen Lederdress gegenüber. Ich betrachtete meinen besten Freund belustigt von unten bis oben und blieb dann überrascht an seinen weit aufgerissenen Augen hängen, die mich direkt anstarrten. Man hätte denken können, er hätte einen Geist gesehen. Moment …

Sah er etwa mich?

Jake rieb sich mehrfach ungläubig die Augen. Doch dann starrte er mich immer wieder direkt an. Und weil ich selbst nicht weniger verwundert darüber war, was hier gerade vor sich ging, tat ich das Einzige, was mir in diesem Moment in den Sinn kam.

Ich winkte.

»Heilige Scheiße!«, sagte Jake und fixierte mich weiterhin mit seinen stechend blauen Augen.

»Aber, Mr Mercury! Sie befinden sich hier in einem Haus Gottes!«, scherzte ich. Noch immer zu einer großen Gewissheit in dem Glauben, dass er mich gar nicht würde hören können.

»Allie?« Er kam ein paar Schritte auf den Altar zu, blieb dann aber wie angewurzelt in der Mitte des Kirchenschiffes stehen.

»Was? Hast du etwa Angst, ich könnte der Teufel sein und dich auffressen, wenn du mir zu nahe kommst?«, fragte ich, um die Stimmung zu lockern.

Doch Jakes skeptischer Blick verriet mir, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Er hatte keine Ahnung, was hier gerade vor sich ging.

Ich allerdings auch nicht.

»Bist … bist du es wirklich?«, stammelte Jake vorsichtig.

»Na ja. Das bin ich«, sagte ich und deutete auf meinen Leichnam vor mir. »Was ich bin«, ich legte eine Hand auf meine Brust, »weiß ich selbst nicht so ganz.«

Jake brachte keinen weiteren Ton heraus. Er sah mich einfach an und blinzelte nur, wenn es absolut notwendig war. Vermutlich hatte er ein bisschen Angst, dass ich jeden Augenblick wieder verschwinden könnte.

Dann öffnete sich die Tür zum Kirchenschiff erneut, und mein Dad kam herein.

»Jake«, sagte er in seinem gutmütigen Tonfall, der mir für jede meiner Schürfwunden stets das beste Pflaster gewesen war.

»Dad? Dad, kannst du mich hören?«, rief ich aufgeregt. Doch er ging geradewegs auf Jake zu, ohne auch nur die kleinste Notiz von mir zu nehmen.

Natürlich konnte er mich nicht hören. Was dachte ich mir denn? Ich war schließlich die letzten zwei Tage kaum von seiner Seite gewichen. Oder von Moms. Sie hatten mich nie bemerkt …

»Wollen wir uns schon mal setzen?«, fragte mein Dad, als er Jake erreicht hatte.

Dieser riss sich nur äußerst zögerlich von meinem gespensterhaften Abbild los.

»Du sitzt natürlich vorne bei uns. Du warst schließlich wie ein dritter Bruder für sie.« Mein Dad legte Jake mitfühlend eine Hand auf dessen lederbepackte Schulter. »Das war ihre Idee, nicht wahr?« Er deutete lachend auf Jakes Kostüm. Aber es war ein trauriges Lachen, in das sich ein Schluchzen mischte. Es brach mir das Herz.

Jake nickte.

»Also gut.« Dad seufzte und ging auf die vorderste Bank zu.

Jake kam ihm langsam hinterher, ließ mich dabei nicht aus den Augen. Als er mein trauriges Gesicht sah, zwang er sich zu einem Lächeln.

Ich lächelte zurück.

3

Who is who?

Mein Platz vorne am Altar war perfekt, um alle Gäste genau unter die Lupe nehmen zu können, die – wie erwartet, oder auch zu meiner eigenen Überraschung – meiner Beerdigung beiwohnen wollten. Die schmalen Kirchenbänke verwandelten sich vor meinem inneren Auge sofort zu einem Silbertablett. Allerdings ließ meine Konzentration leider immer wieder zu wünschen übrig. Ich musste nämlich ständig zu Jake hinüberlinsen, der mich kaum eine Sekunde aus den Augen ließ. Mir blieb nur die Hoffnung, dass diese seltsame Verbindung, die offenbar zwischen uns bestand, noch länger anhalten würde. Dann könnte ich später eine Gelegenheit abpassen, um mich ungestört mit ihm zu unterhalten. Also riss ich mich mühevoll von Jakes vertrautem, aber auch leicht verstörtem Anblick los. Es interessierte mich schließlich brennend, ob mich hier vorne noch einer meiner anderen Gäste entdecken würde, die nun nach und nach eintrudelten.

Die ersten lebenden Seelen – abgesehen von meiner Familie und Jake natürlich –, die in der Kirche eintrafen, waren unsere Nachbarn, die Fishermans. Die Fishermans waren ein ziemlich junges Paar, das seine zwei kleinen Kinder heute anscheinend bei der Nanny oder den Großeltern gelassen hatte. Doch die beiden würdigten mich keines Blickes. Weder Leonard Fisherman, der sogar in der Kirche seine schräge Sonnenbrille trug, mit der er aussah wie eine mutierte Stubenfliege, noch seine Frau Sarah, die selbst in ihrer Trauerkleidung den Eindruck erweckte, als wäre der Mittelgang ein Laufsteg, den sie um jeden Preis zu erobern gedachte. Sie setzten sich in eine der mittleren Reihen. Und das, obwohl ich – abgesehen von ein paar flüchtigen Grüßen über die Straße hinweg – kaum je ein Wort mit ihnen gewechselt hatte.

Die nächsten Gäste, die nach und nach eintrudelten, unterteile ich der Einfachheit halber in unterschiedliche Kategorien. Dann muss ich nicht immer hin und her springen.

Beginnen wir mal mit der Kategorie ›Familie‹. Meine Eltern und meine zwei Brüder habe ich ja bereits erwähnt. Aber ich denke, ich werde diese Gelegenheit beim Schopfe packen, um sie euch ein bisschen besser zu beschreiben.

Da haben wir einmal meinen Dad, John Winter, zweiundvierzig Jahre. Der liebste Mensch auf diesem Planeten. Meine ursprünglich blonden Haare, die meine Mom immer so sehr an mir geliebt hat, habe ich von ihm geerbt.

Obwohl er schon über vierzig war, hatte sich noch kein einziges graues Strähnchen in seine Haarpracht gemogelt, was ihm ein geradezu unverschämt jugendliches Aussehen verlieh. Ich kannte Dad als fröhlichen, aber schüchternen Menschen, der immer ein Lächeln auf den Lippen trug. Und eine Weisheit im Herzen, die er jedoch nur mit den Menschen teilte, die sein vollstes Vertrauen genossen. Nur heute wurde sein sonst so heiteres Gesicht von einer Trauermiene verdüstert. Sein größter Schmerz im Leben war es immer gewesen, wenn eines seiner Kinder hatte leiden müssen …

Meine Mom Frances – nur Dad durfte sie je Fanny nennen – war zwei Jahre älter als ihre bessere Hälfte, und in ihrer Beziehung machte sie schon immer den dominanteren, extrovertierten Part aus. Aber was würde man von einer taffen, großen Frau mit einer wilden roten Lockenpracht, die bei jedem ihrer selbstbewussten Schritte um ihr schnittiges Gesicht tanzte, auch anderes erwarten? Frances Winter war keine Frau, mit der man sich leichtfertig anlegte. Aber sie hatte auch ein großes Herz, und ich bewunderte sie dafür, dass sie eine richtige Karrierefrau geworden war, damit Dad weiterhin seinen Träumereien nachhängen konnte.

Ach ja, ich habe ganz vergessen, zu erwähnen, dass er Hobby-Musiker ist und mehrere kurze Thriller geschrieben hat, die sich zwar nie sonderlich gut verkauft haben, bei Jakes und meinen Lagerfeuerabenden jedoch immer für die richtige Prise Grusel gesorgt haben.

Mein kleiner Bruder Josh hatte Dads künstlerisches Talent geerbt. Er spielte mit seinen elf Jahren bereits im Schulorchester. Und wenn er dann mit seinem feurigen Flammenhaar auf der Bühne stand und seiner Geige die zauberhaftesten Töne entlockte, sah er wirklich zum Anbeißen aus! Abseits des Scheinwerferlichts war er ein kleiner Wildfang und immer und überall zu Scherzen aufgelegt. Ich vermisste es sehr, mit ihm herumzutoben …

Mein großer Bruder Simon hatte nicht nur die blonden Haare, sondern auch das stille Wesen unseres Dads geerbt. Allerdings hatte er nie Zeit für Träumereien gehabt, denn er hatte schon früh die Position des stellvertretenden Familienoberhauptes übernehmen müssen, was ihn zu einem ernsten Siebzehnjährigen hatte werden lassen. Doch unter seiner harten Schale ruhte ein weicher Kern. Er war für mich immer der geborene Beschützer gewesen. Auch jetzt saß er neben Josh auf der alten Kirchbank und hatte zärtlich einen Arm um dessen zierliche Schulter gelegt.

Neben den beiden saß Jake, der mich immer noch anstarrte. Ich winkte ihm noch einmal zu, woraufhin er sich unsicher nach rechts und links umsah. Als wäre er sich nicht sicher, ob ich ihn gemeint hätte …

Egal, weiter geht’s, denn mit der Familien-Kategorie bin ich noch nicht ganz am Ende angelangt.

Da wäre zum einen noch mein Onkel Cedric, Moms kleiner Bruder, sowie ihre Eltern, meine Großeltern Richard und Kendra, die allesamt extra aus Seattle angereist sein mussten. Dies war der Teil meiner Verwandtschaft, den ich zu meinen Lebzeiten nicht oft zu Gesicht bekommen hatte. Meine Großeltern waren nämlich nicht gerade erfreut gewesen, als Mom ihnen verkündet hatte, sie wolle einen Straßenmusiker aus Kalifornien heiraten. Es folgten achtzehn Jahre voller standardmäßiger Weihnachtskarten und Telefonate über das derzeitige Landesoberhaupt. Als Barack Obama an die Macht kam, hatte ich Mom zum ersten Mal freundlich mit ihrer Mutter reden hören. Mit Donald Trump hatte sich die Stimmung wieder verschlechtert. Für meine Brüder und mich hatten meine Großeltern nicht halb so viel Interesse übriggehabt wie für die Frage, ob Trumps Haare nun echt waren oder nicht. Aber na ja, immerhin hatten sie es jetzt zu meiner Beerdigung geschafft.

Zu den Eltern meines Dads – Edgar und Luise Winter – hatte ich eine deutlich bessere Beziehung gehabt. Doch leider waren beide bereits vor fünf Jahren gestorben. Erst meine Grandma und dann, keine zwei Wochen später, war Grandpa Eddy seiner großen Liebe ins Grab gefolgt.

Mein Dad hatte zwar keine Geschwister, aber dafür zahlreiche Cousinen und Cousins. Ein ziemlich bunter Haufen, der nun eine gesamte Bank füllte.

Ich werde es euch an dieser Stelle ersparen, euch mit Fakten über meine Onkel und Tanten zweiten Grades zu bombardieren. Aber damit ihr zumindest ihre Namen mal gehört habt: Sie heißen Ricky, Martin, Fiona, Lily, Andrea, Peter, Milton, Keath und April.

Kommen wir als Nächstes zu der Kategorie ›Freunde‹.

Streng genommen ist diese mit Jake bereits abgehakt. Aber da ich nie sonderlich schüchtern gewesen bin, gab es noch ein paar andere Menschen, mit denen ich mich immer gut verstanden und auch gerne mal unterhalten habe.

Da wären zum Beispiel meine Mitschülerinnen Hailey und Madeleine, über deren Anwesenheit ich mich sehr freute. Und Lobster Johnny, der ältliche Inhaber meines Lieblingsshops an der Strandpromenade. Er hatte mir als Kind – oder seien wir ehrlich, bis zu meinem Tod – immer die schönsten Bonbons aufgehoben, um sie mir zu schenken.

Kommen wir zu der letzten Kategorie: ›Menschen, die sich aus irgendwelchen Gründen dazu entschieden haben, auf meiner Beerdigung aufzukreuzen. Weiß der Teufel, warum‹.

Da hätten wir einmal meine Kunstlehrerin Mrs Leopold, die mich meines Wissens nie sonderlich hatte ausstehen können. Ich hatte es einfach nie fertiggebracht, Proportionen korrekt abzuzeichnen. Okay, das war vielleicht noch kein annehmbarer Grund, mich nicht zu mögen. Aber ihr verzweifeltes ›Wie kann man das denn nicht hinbekommen?‹ klingt mir heute noch in den Ohren.

Auch einige weitere Lehrerinnen und Lehrer sowie mein früherer Nachhilfelehrer Steve hatten sich blicken lassen. Und außerdem noch Killian, einer der Rettungsschwimmer vom Beach, eine ältere Dame, deren runzliges Gesicht mir absolut nichts sagte, und zu guter Letzt ein ganzer Haufen Teenager der Hillview High School, meiner früheren Schule.

Ich ließ einen flüchtigen Blick über ihre überraschend trübsinnigen Gesichter schweifen. Bis ich an einem besonders entzückenden Exemplar hängen blieb, das mein Herz – wenn ich als Gespenst denn noch eines besaß – so doll schlagen ließ, dass ich meinte, es würde mir gleich aus der Brust springen und wie ein Flummi über den Mittelgang nach draußen hüpfen.

Was zur Hölle machte er denn hier?!

Jamie Gordon war mit seiner athletischen Figur, seinen mittellangen Surferhaaren, der gebräunten Haut und dem verwegensten Lächeln, das sich je auf ein Jungengesicht gestohlen hatte, eindeutig der bestaussehende Typ auf der Hillview High. Und ich war bereits seit der Vorschule in ihn verknallt.

Jetzt saß er hier, keine zwanzig Meter von meinen sterblichen Überresten entfernt, und wirkte alles andere als begeistert über mein frühzeitiges Ableben. Entgegen meiner Erwartung schien ich also doch nicht bloß Luft für ihn gewesen zu sein. Mein Tod machte ihn traurig. Das musste folglich bedeuten, dass er mich gemocht hatte!

Meine Gedanken spielten verrückt. Irgendwann begann ich mich sogar zu fragen, ob auch er die ganze Zeit über heimlich in mich verknallt gewesen sein könnte.

Aber wieso um alles in der Welt hätte er mir das denn nicht sagen können, solange ich noch am Leben gewesen war?

4

Beste Freunde

 

 

Während ich voll und ganz damit beschäftigt war, Jamie Gordons makelloses Gesicht einer eingehenden Musterung zu unterziehen, bemerkte ich kaum, wie Pastor Michaels sich neben mich an die Kanzel stellte und mit dem Gottesdienst begann. Erst als ich Jamies Blickrichtung genau verfolgte, registrierte ich, dass der alte Mann mit der Halbglatze bereits angefangen hatte zu sprechen.

Kurz überlegte ich, ob ich die ganze Zeit über hier vorne stehen bleiben sollte, entschied mich aber ziemlich schnell dagegen. Das wäre dann doch etwas zu komisch gewesen. Also schwebte ich schleunigst auf die vorderste Bank zu und setzte mich neben Jake, auf den einzigen noch freien Platz. Als hätte er ihn extra für mich freigehalten.

»Ich muss völlig verrückt geworden sein«, flüsterte Jake so leise, dass nur ich ihn hören konnte.

»Ehrlich gesagt hattest du schon immer eine Schraube locker«, neckte ich ihn. Ich war ja so froh, dass er mich hören konnte! Das würde mein Dasein als Gespenst deutlich weniger trostlos gestalten. Immerhin hätte ich nach wie vor eine Verbindung zu meinem früheren Leben. Und jemanden, den ich mit all den verwirrenden Gedanken vollquatschen konnte, die seit Neuestem durch meinen Kopf wuselten.

Jetzt sah ich Jake erwartungsvoll an. Ich konnte spüren, dass es ihn ein großes Maß an Überwindung kostete, doch endlich drehte auch er seinen Kopf ein wenig in meine Richtung, sodass er mir direkt in die Augen blickte. Seine sagten mir wiederum, dass er sich nicht dafür entscheiden konnte, wie er sich fühlen sollte. In seinen Augen und der tiefen Furche zwischen seinen Brauen konnte ich sowohl Angst, Neugier, Unsicherheit, Freude aber vor allem die große Sorge in Bezug auf seinen eigenen Geisteszustand lesen.

»Du schwebst also neuerdings durch die Gegend?«, flüsterte er mir schließlich mit einem Zwinkern in der Stimme zu.

Da war er wieder! Mein bester Freund. Die Freude darüber, mich sehen und hören zu können, schien alle anderen Gefühle für einen Moment in den Schatten gestellt zu haben.

Ich schenkte ihm mein breitestes Lächeln und entgegnete verschwörerisch: »Wieso laufen, wenn man auch schweben kann?«

Daraufhin gab Jake sein typisches Grunzen von sich. Das machte er immer, wenn er lachen wollte, es ihm aber aufgrund seines aktuellen Umfeldes nicht möglich war. Und eine Kirche, noch dazu während einer Beerdigung, war keinesfalls ein Ort zum Lachen.

»Hey Jake. Alles okay?«, fragte Simon mit besorgter Stimme. Er musste das Grunzen für ein Schluchzen gehalten haben.

»Ja, schon gut«, flüsterte Jake ausweichend. »Danke.«

Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen. Na ja, immerhin störte ich dabei nicht den Gottesdienst. Aber dann zwang ich mich doch, mich am Riemen zu reißen. Ich hatte aufgrund meiner Unaufmerksamkeit schon genug verpasst. Die restliche Zeremonie wollte ich voll und ganz in mich aufsaugen. Man starb schließlich nur einmal.

Da ich zu meinen Lebzeiten nie sonderlich gläubig gewesen war, hatte ich darum gebeten, Gott so weit wie möglich aus dem Gottesdienst zu streichen. Und ja, ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass das widersprüchlich klingen mag. Natürlich musste es auch das übliche Herumgebete und Ave Maria geben, schließlich fand die Feier in einer Kirche statt. Aber dafür hatte ich nach langem Suchen einige Lieder entdeckt, die nicht zu sehr nach ›Jesus, du bist unser heiliger Herr und Erlöser!‹ klangen.

Vielleicht bin ich ja deshalb nicht erlöst worden. Möglicherweise öffnet sich der Himmel tatsächlich nur für die wirklich gläubigen Seelen, und deswegen hat man mich einfach hier unten auf der Erde gelassen. Obwohl ich diese Tatsache absolut nicht als etwas Schlechtes empfinde.

Es machte mir jedenfalls großen Spaß, die Lieder alle selber mitsingen zu können. Ich bedauerte es nur ein wenig, dass mich außer Jake niemand hören konnte. Meine Stimme – insbesondere meine Singstimme – war nämlich zu meinen Lebzeiten das Einzige gewesen, worauf ich mir wirklich etwas eingebildet hatte. Ich hatte immer unbedingt eine Band gründen wollen, aber irgendwie war es dann doch nur bei Jake, mir und Freddy in der Garage geblieben.

Apropos Freddy: Der Höhepunkt des Gottesdienstes stand eindeutig noch aus. Aber dazu später mehr, wenn die Zeit gekommen ist. Vorher möchte ich noch zwei Menschen zu Wort kommen lassen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, vor versammelter Menge einige Worte über mich zu sagen.

Die Erste, die nach vorne an die Kanzel schritt und den Platz des alten Pfarrers einnahm, den sie auch ohne ihre schwarzen Pumps um mehr als eine Kopflänge überragt hätte, war meine Mom. Ihre wilden roten Locken hatte Frances Winter an diesem Tag unfrisiert gelassen. Sie wusste, dass ich sie so am liebsten mochte. Nur auf das strenge schwarze Kostüm hatte sie selbst mir zuliebe nicht verzichtet. Ich meinte immer, dass sie damit viel älter erschien, als sie in Wirklichkeit war. Doch eigentlich stimmte das gar nicht. Sie sah fabelhaft aus. Ihre grünen Augen funkelten, als sie ihren Blick über die Kanzel hinweg über die versammelten Gesichter schweifen ließ. Nur mich sah sie nicht.

»Allie«, begann sie mit ihrer festen Stimme zu sprechen. »Wer hätte gedacht, dass es mir einmal vergönnt gewesen sein sollte, ein so wunderbares Wesen, eine so fabelhafte Tochter in die Welt zu setzen.«

Ach Mom!, schoss es mir durch den Kopf. Ich wäre am liebsten zu ihr geschwebt und hätte sie in den Arm genommen.

Dann hörte ich ein Schluchzen von weiter links.

Dad. Zum Glück musste er keine Rede halten, dachte ich mitleidig. Er wäre da oben kläglich in Tränen ausgebrochen.

»Entschuldige mich«, flüsterte ich Jake zu und lauschte dem Rest von Moms Rede von der Lehne neben meinem Dad aus, wo ich ihm einen Arm um die Schulter legte.

»Ich bin bei dir, Dad«, flüsterte ich ihm zu und hoffte sehr, dass er das tief in seinem Herzen spüren konnte.

»Wir sind heute alle hier, um uns von diesem wunderbaren Mädchen zu verabschieden«, fuhr Mom fort. Nach außen hin wirkte sie super taff. Aber ich wusste, dass ihr diese Maskerade einen großen Haufen Kraft abverlangte. »Doch wer war Allie überhaupt? Vermutlich hat sie für jeden der hier Anwesenden eine ganz andere Rolle in seinem oder ihrem Leben gespielt. Manche von euch mögen sie nur flüchtig gekannt haben. Bei anderen war sie wiederum ein fester Bestandteil seines oder ihres Lebens. Sie war einfach immer da.« Sie warf Jake einen gutmütigen Blick zu. »Fragt euch: Welche Rolle hat Allie in eurem Leben gespielt? War sie eine Freundin, auf die ihr euch immer verlassen konntet? War sie eine Schülerin, die mit ihrer chronischen Unpünktlichkeit mehr als einmal den Unterricht gestört hat?«

Ich konnte beinahe spüren, wie alle meine ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer in meinem Rücken schmunzelten.

»War sie euch eine Schwester? Eine Tochter? Eine Nichte? Enkeltochter? Oder war sie vielleicht einfach nur eines von vielen Gesichtern in den Gängen, das man jeden Tag gesehen und als selbstverständlich erachtet hat? Und dann fragt euch, selbst wenn ihr Allie nicht so gut kanntet; wenn ihr zu letzterer Kategorie gehört«, ich konnte es mir nicht verkneifen. Ich warf einen schnellen Blick über die Schulter, um Jamie Gordon anzusehen, »in welchem Moment hat euch Allie mit Freude erfüllt? Ihr wärt heute sicher nicht hier, wenn sie es nie getan hätte.«

Was hätte ich dafür gegeben, um jetzt in Jamie Gordons Kopf gucken zu können!

»Und sei es nur ihre Tollpatschigkeit gewesen, die euch für einen kurzen Augenblick ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat.«

Super, Mom! Erzähl Jamie doch gleich davon, wie mir in der dritten Klasse beim Sturz von einem Baum der Rock so stark gerissen ist, dass ich lieber in Unterhose als in diesem Fetzen nach Hause gelaufen bin. Oder wie ich mich regelmäßig in Vogelscheiße gesetzt habe, als wäre mein Hintern davon magisch angezogen worden.

Doch Jamie lächelte nicht.

Wieso lächelte er nicht? Am liebsten wäre ich zu ihm rübergeschwebt und hätte ihm jetzt selbst die Unterhosen-Geschichte erzählt. Mit allen peinlichen Einzelheiten.

»Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber es ist in den vergangenen sechzehn Jahren kein Tag vergangen, an dem mich Allie nicht zum Lächeln gebracht hat«, fuhr Mom fort. »Und ich bitte Gott darum, bei dem Gedanken an meine fabelhafte Tochter auch in Zukunft wieder lachen zu können. Das ist es, was ich mir über alles wünsche. Und nun, Allie, mein Engel«, sie sah zu meinem Sarg hinüber, und in ihrem Blick schimmerten nun doch Tränen, »wünsche ich auch dir, dass du glücklich bist, wo immer du sein magst. Und dass du jeden Tag etwas zu lächeln hast.«

»Ich bin hier, Mom«, sagte ich. »Und solange ihr glücklich seid, werde ich immer etwas zu lächeln haben.«

Der nächste Redner war Lobster Johnny. Wie eine sandfarbene Rübe ragte sein beinahe kahler Kopf, auf dem nur noch wenige graue Härchen wuchsen, hinter der Kanzel hervor. Er wurde ein bisschen rot, weil er so viel Aufmerksamkeit, wie ihm in diesem Moment zuteilwurde, nicht gewohnt war. Ich sandte ihm einen stummen Mutmacher, dann räusperte er sich und begann ziemlich schnell zu reden:

»Allie Banelli

wieso bist du nur so schnelli

ins Himmelreich geflogen?

Allie Banelli

hatt’st ein dickes Felli

und deine Freunde nie betrogen

Aber Allie, meine Allie

du fehlst uns wirklich sehr.

Ach Allie, meine Allie

wieso machst du’s uns so schwer?

Allie Banelli

Allie, meine Allie

wieso bist du nur so schnelli

ins Himmelreich geflogen?«

Um noch mal auf Moms letzten Wunsch zurückzukommen: Das hatte mich zum Lächeln gebracht.

Als Lobster Johnny wieder in seiner sicheren Bank abgetaucht war, näherte sich der Gottesdienst auf einmal ratzfatz meinem lange herbeigesehnten Höhepunkt. Und da wurde Jake auch schon vom Pastor nach vorne gebeten.

»Wuh! Go, Jake!«, feuerte ich meinen besten Freund von meinem neuen Sitzplatz aus an.

Jake warf mir ein schnelles verschmitztes Lächeln zu. Er schritt die Treppen hinauf zu dem großen Flügel, auf dessen Rücken irgendwer kitschigerweise ein riesiges Foto von mir gestellt hatte. Und dann begann mein Freddy auch schon zu spielen. Und zwar die mir altvertrauten ersten Takte von You’re My Best Friend.

Die ganze Kirche schien den Atem anzuhalten, als Jake, der schüchterne, introvertierte Jake, auch noch seinen Mund öffnete und sang wie ein junger Gott. Wie ein junger Freddy Mercury. Ich platzte beinahe vor Stolz!