Ghost - Svenja Bartsch - E-Book + Hörbuch

Ghost E-Book und Hörbuch

Svenja Bartsch

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Beschreibung

Ein Fluch - unbändiges Verlangen - eine jahrhundertealte Rache Malus erste Begegnung mit William ist alles andere als erfreulich. William ist nicht nur gutaussehend, sondern arrogant, total von sich überzeugt und ein richtiger Schürzenjäger. Doch er hat ein Geheimnis und Malu will unbedingt herausfinden, was hinter all dem steckt. Ihre Freundin Celina hält das für zu gefährlich. Schnell wird klar, es ist nicht nur die Tatsache, dass William ein Geist ist, sondern auch seine Nähe, die sie erfrieren lassen könnte. William ist das herzlich egal. Er will nur Spaß. Dennoch fühlt Malu sich zu ihm hingezogen, ignoriert alle Warnungen und ist überzeugt, etwas Gutes in ihm zu finden. Ist das am Ende ihr Todesurteil? Und was hat Celina mit all dem zu tun?

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Seitenzahl: 430

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Zeit:9 Std. 44 min

Sprecher:Melanie Winkler

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Über die Autorin:

Svenja Bartsch hat schon früh mit dem Schreiben angefangen. Ihre ersten Geschichten schrieb sie im Altervon 13 Jahren.

Seinen Anfang nahm alles mit dem Schreiben von Märchen und Kurzgeschichten im Deutschunterricht. Darüber hinaus fand sie schnell Gefallen daran ihre eigenen Geschichten zu schreiben, da sie einen Verlauf und ein Ende nach ihren Vorstellungen bekommen konnten.

Bis zum ersten veröffentlichungsreifen Buch dauerte es allerdings noch einige Zeit. Mittlerweile ist die Autorin 24 Jahre alt und schreibt nach wie vor gerne. Ihr erster Roman erschien im April 2020.

Inhaltsverzeichnis

Prolog 1905

Der Fremde

Geister gibt es nicht

Recherche im Archiv

Kälte

Magie

Verflogt

Ausgeknockt

Geister der Vergangenheit

Halloween

Marias Erbe

Versteckspiel

Böse Zauber

Danksagung

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Es geht unter anderem um Gewalt, Folter (am Rande), fehlenden Respekt gegen Frauen und sexuelle Übergriffigkeit.

Keine Garantie auf Vollständigkeit. Lesen auf eigene Verantwortung.

Prolog 1905

„Möge deine Lust nicht mehr zu zügeln sein. Hungern sollst du nach Nähe und doch wird niemand sie stillen. Du wirst nicht gehört und auch nicht gesehen. Nur die Auserwählten können dir Erlösung sein. Doch deine Taten wirst du erst danach bereuen, sodass der Zauber auf ewig Bestand hat.“ Ich stand mitten in einer Gasse, in völliger Finsternis. Nach ihren Worten war es absolut still. Einen Moment lang glaubte ich, taub geworden zu sein, doch dann begann sie, zu lachen. Ein irres, durchgeknalltes Lachen. Unwillkürlich zuckten auch meine Mundwinkel.

„Was soll das bedeuten? Glaubst du, damit machst du mir Angst? Oder glaubst du, ich komme zurück? Ich habe bekommen, was ich wollte.“ Ich grinste sie hämisch an und wandte mich ab. In der Ferne hörte ich Stimmen und Gelächter. Dort spielte heute Nacht die Musik und genau dort gehörte ich hin.

„Unterschätz mich nur nicht. Niemand legt sich mit einer Witthovedes an. Schon wenn du das nächste Mädchen verführst, wirst du dir wünschen, mir nie begegnet zu sein.“ Ihr Lachen klirrte wie Eisregen. „Für deine Taten sollst du büßen und auf ewig in der Hölle schmoren.“

Ein letztes Mal schenkte ich ihr meine Aufmerksamkeit und blickte über meine Schulter in das Gesicht meiner Gespielin. Dunkelrotes Haar wehte um ihr Gesicht und wirkte in dieser Nacht schwarz. So schwarz, wie sie wohl in diesem Moment meine Seele hielt, nachdem ich, ohne zu zögern, das Zimmer verlassen hatte. Nun bauschte sich ihr smaragdgrüner Umhang in einer Windböe um ihren zierlichen Körper und erinnerte mich an das, was ich kurz zuvor mit meinen Fingern berührt hatte. Auch das änderte nichts.

„Komm mal wieder runter. Nur weil du behauptest, eine Nachfahrin von Anna Witthovedes zu sein, bin ich noch lange nicht verflucht. Es gibt keine Hexen. Alles nur Mythos und Legende.“ Langsam fragte ich mich, warum ich überhaupt stehen geblieben war und ihr zuhörte.

„Dann erkläre mir doch, wieso so viele meiner Schwestern sterben mussten. Wieso gibt es Hexenjagden?“ Ihre Stimme klang wie ein Fausthieb, aber an mir prallte sie mühelos ab wie lästige Fliegen.

„Weil die Menschen Angst haben vor dem, was sie nicht erklären können. Jetzt verschwinde!“ Ich ließ sie nicht mehr antworten, schlenderte die Gasse hinunter und erreichte bald eine kleine Bar. Davor stand ein junges Mädchen. Sie lächelte verhalten, als ich näher kam.

„So ein hübsches junges Fräulein, wie Ihr es seid, sollte zu so später Stunde nicht allein hier umherwandern. Es könnten schlimme Dinge passieren“, sagte ich amüsiert.

„Vielleicht suche ich ja ein Abenteuer“, gab sie keck zurück.

„Und wie sieht das aus?“

„Jedenfalls nicht so, wie es sich mein Vater vorstellt. Er sieht mich bereits nächstes Jahr als Mutter und Ehefrau.“ Sie seufzte tief.

„Wollen das nicht alle Frauen?“

„Mag sein. Nur möchte ich ihn mir selbst aussuchen, meinen Mann, und zwar jemanden, der mich nicht nur rumkommandiert, sondern mit mir die Welt bereist.“

„Eine Weltreise klingt spannend“, ging ich auf sie ein und näherte mich ihr etwas. „Sie sind sicher eine Dame, die alle Freuden und Vorzüge des Lebens kennenlernen will. Wie wäre es, wenn wir dort drinnen beginnen würden?“ Ich deutete auf die Bar hinter ihr.

An diesem Abend sah die Kleine nicht mehr viel, außer der Zimmerdecke eines der Pensionszimmer im oberen Stock der Bar. War sie doch zu Beginn sehr aufgeregt gewesen, etwas Abenteuerliches zu erleben und sich ihrem Vater zu widersetzen, wurde sie schnell recht still, als ich sie oben im Zimmer küsste. Doch die Mädchen zu dieser Zeit waren meistens still, so waren sie erzogen worden, deshalb konnte ich nicht sagen, ob sie ihre Meinung plötzlich änderte. Als ich sie auf die Matratze bettete und mit meinem fast allabendlichen Spiel begann, regte sich kein Muskel in ihr, sie starrte nur zur Decke hinauf. Ich beobachtete ihr Gesicht genau und erkannte, als sich ihre Augen weiteten, zunächst den Schock, über den kurzen Schmerz des ersten Mals. Doch allmählich erreichte sie die Lust, Unglauben und Erstaunen über diese Erfahrung glitten über ihr Gesicht. Ihre anfängliche Angst schien verflogen, nun war sie voller Ekstase und bebte am ganzen Körper. Was immer sie bisher gehört haben mochte, nichts von alledem hatte was mit ihrem gegenwärtigen Erlebnis gemein.

Schon vor dem Morgengrauen schlüpfte ich in meine Kleidung und verschwand, bevor sie aufwachte. Ihren Namen hatte ich bereits vergessen. Es waren einfach zu viele. Noch während ich in der Tür zur Bar stand und die Luft des herannahenden Tages einatmete, spürte ich ein unangenehmes Kribbeln im Körper. Es lief über meine Arme und Beine. Kurz glaubte ich, zu schweben, dann war es auch schon wieder vorbei. Gedankenverloren blickte ich mich um, als hinter mir Schritte erklangen. Es war die Kleine von letzter Nacht. Sie trat an mir vorbei und rief meinen Namen, während sie sich suchend umblickte. Aus irgendeinem Grund schien sie mich nicht zu sehen. Als ich ihr Rufen nicht mehr aushielt, antwortete ich, nur um festzustellen, dass auch dies ungehört blieb.

Ich erinnerte mich an die Worte von Maria letzte Nacht. Das kann alles nur ein böser Scherz sein, dachte ich verzweifelt.

Der Fremde

Gegenwart

An diesem Morgen lief einfach alles schief, was nur schieflaufen konnte. Zuerst klingelte der Wecker nicht, was Celina und mich total in Hektik brachte, dann genügte ein Blick aus dem Fenster, um festzustellen, dass ich heute nicht in meinem Lieblingsoutfit zu den Vorlesungen gehen würde. Keine drei Schritte würde das Kleid überleben und die dazu passende Jacke hatte ich letzte Woche leider zerstört. Wenn ich also dem Regen standhalten wollte, dann musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Blöderweise wollte ich erst am Wochenende nach Hause fahren und meine Herbst- und Wintergarderobe einpacken, also blieben mir nicht ganz so viele Optionen. Ich beschloss, unter der Dusche darüber nachzugrübeln, nur um wenige Augenblicke später quietschend von einem Bein aufs andere zu hüpfen. Die Verwaltung hatte sich mal wieder nicht um den Warmwasserbeuler gekümmert und somit kämen Celina und ich erfroren in den Lehrsälen an. Celina war meine Mitbewohnerin und seit fast zwei Jahren meine beste Freundin. Wir hatten uns hier auf dem College kennengelernt und zu meinem großen Glück durfte ich mein Zimmer mit der Person teilen, mit der ich mich am besten verstand. Jetzt hörte ich sie nebenan fluchen und streckte den Kopf aus der Badezimmertür.

„Was ist denn los?“

„Meine Lieblingsjeans hat ein Loch und stell dir vor, an einem meiner High Heels ist der Absatz abgebrochen. Das ist ein total verfluchter Montag!“ Celina schleuderte den Schuh in die hinterste Ecke und stöhnte theatralisch auf.

„Kann gar nicht sein“, erwiderte ich grinsend. „Du glaubst doch nicht an Übernatürliches, wer könnte diesen Tag also schon verflucht haben?“

„Du bist so doof“, rief sie und warf ihr Kissen nach mir. „Du weißt genau, wie ich das gemeint habe. Außerdem hätte ich so was niemals behauptet, bevor ich dich kennengelernt habe. Da wäre mir für alles eine logische Erklärung eingefallen.“

„So gern ich die auch gerade hören würde, aber wir haben leider keine Zeit dafür.“ Ich zog den Kopf wieder zurück und versuchte gleichzeitig, meine Haare zu föhnen und meine Wimpern zu tuschen. Doch meine widerspenstigen Locken waren kaum zu bändigen. Die schwarze Mähne versperrte mir die Sicht und außerdem war mein Mascara leer. Auch das noch!

„Nimm meinen“, rief Celina von der Tür aus, als sie mein Fluchen vernahm, „und beeil dich ein bisschen.“ Wie immer lagen ihre tief dunkelroten Haare in leichten Wellen perfekt über ihren Schultern und brauchten keine stundenlange Aufmerksamkeit. Und selbst wenn sie sich nach wie vor darüber ärgerte, dass einer ihrer Absätze an ihren High Heels gebrochen war, zog sie mit ihren langen Beinen, die in Röhrenjeans steckten, auch in Sneakers die Blicke aller Jungs auf sich. Ich seufzte leise, bevor ich die Badezimmertür schloss. Hoffentlich ging der Tag nicht so weiter wie bisher.

Doch genau das traf leider ein. Auf halbem Wege mussten wir noch mal zurück, weil wir unsere Unterlagen vergessen hatten. Auf dem Rückweg landete ich auch noch fast in einer Matschpfütze. Ich konnte dem Typen gerade noch ausweichen und fing seinen amüsierten Blick auf. Irritiert warf ich meinen Kopf herum, um ihn noch einmal anschauen zu können, aber er war verschwunden.

„Was ist? Malu, komm endlich!“, rief Celina.

„Hast du den Typen gerade gesehen? Den kannte ich gar nicht.“

„Mir ist niemand aufgefallen und es wäre auch ein Wunder, wenn wir hier alle kennen würden.“ Celina zog mich weiter.

„Dieser Typ wäre uns sicher aufgefallen. Der war einfach nur heiß und hatte etwas wirklich Einzigartiges an sich. Er wirkte nicht nur unglaublich sexy, sondern auch gefährlich.“

„Wenn du das sagst. Mir ist niemand aufgefallen, aber ich bin sicher, er wird dir auf dem Campus noch mal über den Weg laufen.“ Wir betraten atemlos das Gebäude und Celina ließ meine Hand wieder los, an der sie mich weitergezogen hatte.

„Also, ich muss weiter. Wir sehen uns in der Mittagspause.“ Wortlos nickte ich, drehte mich um und hastete die Treppe hinauf in den rechten Flügel der Uni. Der einzige Nachteil an Celinas und meiner Freundschaft war, dass wir kaum gemeinsame Kurse hatten. Eigentlich waren wir zwei total verschieden. Sie war der kühle Kopf, diejenige, die mit beiden Füßen fest auf der Erde stand. Ich hingegen lebte mit dem Kopf eher in den Wolken. Ich liebte alles, was mit Unerklärlichem und Übernatürlichem zu tun hatte. Vor allem Hexen und Geister hatten es mir angetan. Ich musste schmunzeln. Als Celina damals zu mir ins Zimmer gekommen war und wir angefangen hatten, unsere Sachen auszupacken, hatte sie im ersten Moment die Flucht ergreifen wollen. Die Talismane und Bücher, die ich auspackte, waren ihr nicht geheuer. Im Gegenteil, sie verteufelte sie. Doch wir hatten festgestellt, dass wir die die gleiche Musik und dieselben Serien mochten und schließlich davon abgesehen, die Verwaltung um einen Zimmertausch zu bitten. Seitdem waren wir unzertrennlich. Außer eben in unseren Kursen. Ich nahm die letzten Stufen im Sprint und kam gleichzeitig mit unserem Dozenten für Okkultismus vor der Tür an. Hinten im Korridor stand plötzlich wieder dieser Typ von vorhin, aber niemand außer mir schien ihn zu beachten. Ich ignorierte meine Beobachtung und schlüpfte vor Professor Kayne in den Lehrsaal.

Nach den Vorlesungen traf ich mich mit Celina in der Cafeteria.

„Bist du noch pünktlich drin gewesen?“, fragte sie.

„Gerade so. Ich konnte noch vor Professor Kayne durchschlittern. Komischerweise stand der Typ von heute Morgen wieder auf dem Korridor.“ Ich erschauderte bei dem Gedanken.

„Und? Was ist an dem so interessant? Du hast doch schon einen gut aussehenden Professor“, erwiderte sie, während sie mir ein Tablett hinhielt und sich an die Schlange stellte.

„Haha. Außerdem hast du den Typ noch nicht gesehen. Der schlägt Professor Kayne um Längen.“ Ich verzog meinen Mund zu einem anzüglichen Grinsen.

„Nicht wahr. Für den Professor würde ich sogar Okkultismus als Fach nehmen, wenn ich ihn dafür zwei- bis dreimal die Woche anschmachten darf, und du willst mir weismachen, der mysteriöse Unbekannte ist noch heißer?“ Sie zog eine Augenbraue in die Höhe und ich bewunderte sie heimlich für dieses Talent.

„Du bist unmöglich!“, rief ich. „Aber mal im Ernst. Der Typ sieht aus, als wäre er der Vampir Damon Salvatore höchstpersönlich. Ich konnte seine Augen nicht sehen, weil ihm seine Haare ins Gesicht fielen, aber ich bin mir sicher, sie waren der Hammer. Und er hatte ein so enges schwarzes Shirt an, dass man seine Muskeln sehen konnte und ich wette, seine Augen vervollständigten das Gesamtbild nur.“ Ich musste mich zusammenreißen, um ein Seufzen zu unterdrücken. Was auch immer sich Celina mit Professor Kayne vorstellte, mit diesem Typen würde ich garantiert noch weiter gehen. In Gedanken sah ich uns bereits in mein Studentenzimmer verschwinden und schüttelte energisch den Kopf. Ich kannte den Kerl ja nicht mal. Normalerweise war ich nicht so einfach zu beeindrucken und auch bei Weitem nicht so schnell rumzubekommen. Das sollte ich nicht wegen irgendeines Fremden aufgeben.

„Wieso schmachtest du eigentlich diesen Typen an? Was ist denn mit dir und David?“, holte mich Celina zurück in die Gegenwart.

„Ach, das war doch nie was Richtiges. Wir sind ein paarmal ausgegangen, aber irgendwie hat es nie gefunkt. Es war lustig und ich hatte meinen Spaß, mehr nicht. Außerdem ist es schwierig geworden, seit er sein Auslandssemester eingereicht hat.“

„Wo geht er hin?“

„Er will nach Kanada, glaub ich. Wir haben in letzter Zeit nicht viel gesprochen. Er ist ja fast nur im Praktikum, deswegen …“

„Hat er dich abblitzen lassen?“

„Nein. Wir haben uns nur darauf geeinigt, Freundschaft plus würde reichen.“

„Das ist es doch gar nicht, was du willst. Ich bin so jemand, aber du bist neben deinem Esoterikkram die totale Romantikerin.“ Celina sah mich an. Wir waren an der Essensausgabe weiter vorgerutscht und unterbrachen unser Gespräch für einen Augenblick. Nach einem Blick auf die Auswahl entschied ich mich für die vegetarische Lasagne mit Spinat. Die sah halbwegs genießbar aus. Dazu nahm ich mir einen Saft und ging mit Celina an einen Tisch in der hinteren Ecke. Hier hatten wir meistens unsere Ruhe. In dem großen Raum, der durch kleinere Tischgruppen unterteilt war, kamen die Studenten zusammen und von allen Seiten drangen einzelne Gesprächsfetzen herüber. Hauptsächlich fing man Lerninhalte auf oder Lästereien über Mitstudenten oder Professoren. Weitere Lieblingsthemen waren aber auch: wer mit wem zusammen war oder verlassen wurde, bei wem die Eltern nervten, wer zu wenig Geld neben der Uni hatte und wann und wo die besten Partys stiegen. Celina und ich übergingen das meiste und widmeten uns unserem Essen.

„Also, was ist das Problem?“

„Nichts. Ich mag ihn, er ist gut im Bett, aber ich liebe ihn nicht und er mich nicht. Als wir das geklärt haben, wollten wir beide trotzdem unseren Spaß und waren uns einig, solange niemand in einer festen Beziehung ist …“ Ich ließ den Satz unvollendet.

„Könnte mir auch gefallen. Dummerweise habe ich niemanden, der so unkompliziert ist wie David. Die meisten wollen wirklich eine Beziehung führen und ich würde sogar mitmachen, wenn Gefühle im Spiel wären, aber momentan hab ich da eh keinen Kopf für. Ich bin ja schon froh, wenn ich ein Wochenende heil überstehe.“

„Was war denn zu Hause wieder los?“ Ich schaute sie mitfühlend an, wusste ich doch, dass sie an der Uni meist vermied, über das Thema zu sprechen, da sie es so am besten verdrängen konnte. Aber ganz vermeiden ließ es sich eben doch nicht.

„Meine Oma war wieder da. Du weißt doch, wie sie ist. Hat mir wieder einen erzählt, was für ein großes Erbe wir zu tragen haben und was weiß ich nicht. Dann fing sie wieder von meiner Urururgroßmutter an, die angeblich eine mächtige Hexe war. Ich kann das Geschwafel einfach nicht mehr hören, weißt du? Sie hat bis heute nicht einen Beweis dafür gebracht, dass wir Zauberkräfte haben, weil es so etwas nicht gibt. Aber nicht mal ein schlecht gemachtes Zauberbuch kann sie mitbringen, wenn sie versucht, uns zu überzeugen. Mom verdreht auch schon immer die Augen.“ Ich musste grinsen. Celinas Oma Marion war eine wirklich einzigartige Frau, sie behauptete an manchen Tagen sogar, der Magie mächtig zu sein, konnte es aber vor Nicht-Magiern nicht zeigen. Also, angeblich. Wenn sie nur meine Oma wäre, aber bislang war es Celina und mir nicht gelungen, zu tauschen.

„Sie meint, meine Zeit sei noch nicht reif und irgendwas mit Halloween. Ich kann das nicht mehr hören. Bei meiner Mom ist auch nichts passiert. An keinem einzigen Halloween.“ Gedankenverloren spielte Celina mit ihrer Serviette.

„Reg dich nicht auf. Du kannst am Wochenende auch gern mit zu mir kommen. Ich weiß nicht mal, ob meine Eltern da sind, aber die warmen Klamotten muss ich sowieso abholen.“ Celina schaute mich dankbar an.

„Andererseits habe ich da diesen Typen getroffen, der am Wochenende mit mir ausgehen will …“

„Gerade hast du noch gesagt, es würde an Typen mangeln, die nur Spaß haben wollen.“ Ich nahm einen Schluck von meinem Saft und wartete ab.

„Das heißt aber nicht, dass ich es nicht versuchen kann. Er sieht gut aus und wenn er nur halb so gut im Bett ist, wie er aussieht, dann könnte das wirklich lustig werden.“

„Und am Ende heulst du wieder, weil er dir wochenlang mit Blumen nachläuft. Ich kenn dich doch. Aber bitte, viel Spaß.“ Celina grinste und ich wusste, ich würde mein Wochenende allein in Bridgeport verbringen. Meine Eltern waren klasse und ich liebte sie über alles. Wenn ich geplant nach Hause kam, veranstaltete meine Mom auch immer einen Zirkus und kochte mein Lieblingsessen und so, aber seit ich aufs College ging, hatten sie sich dazu entschlossen mehr zu unternehmen, denn sie mussten ja meinetwegen nicht mehr zu Hause sein. Das hieß, wenn ich unangemeldet kam, waren sie meist auf Konzerten, Tanzveranstaltungen, Dinnerpartys der Nachbarn oder Ähnlichem. Auch das Theater und das Ballett hatte es ihnen angetan, was mir meistens nur recht war. Diesmal jedoch dachte ich wehmütig daran, wie leer das Haus sein würde, und wünschte, ich hätte mich vorher angemeldet. Wir quatschten noch ein bisschen über dies und das, bevor wir wieder in unsere Vorlesungen mussten. Danach wollten wir uns am Eingang treffen und gemeinsam zu den Studentenwohnheimen zurückgehen.

Da wir heute unseren langen Tag hatten, war es draußen schon dämmerig, als ich den Lehrsaal verließ. Die Flure waren recht leer und ich wurde kaum aufgehalten. Gedankenverloren beobachtete ich das Muster auf dem Parkettboden. Die letzten Sonnenstrahlen ließen es auf fast magische Weise leuchten und flimmern. Mit einem Mal stieg ein seltsames Gefühl in mir hoch. Zunächst konnte ich es nicht einordnen, aber dann wurde ich unruhig, als würde mich jemand beobachten. Ich hob meinen Kopf und sah die Luft vor mir flackern. Ein dunkler Schatten erschien vor meinen Augen, wie düsterer Nebel über einem Moor zog er durch den Flur und dann stand er da. Ich kiekste und klammerte mich an meine Bücher, bevor sie mir entgleiten konnten. Das war unmöglich. Sicher hatte mir das Licht einen Streich gespielt und ich ihn erst spät bemerkt.

„Das war ganz schön knapp heute Morgen“, er grinste dreist, bevor er weitersprach, „aber ich hätte nichts dagegen, wenn du mir zu nah kommen würdest.“

„Was bildest du dir eigentlich ein? Glaubst wohl, alle Mädchen liegen dir zu Füßen, oder was?“, rief ich empört. Ein paar Studenten schauten mich verwirrt an, bevor sie kopfschüttelnd weiterliefen.

„Bisher war das eigentlich immer so. Was wäre denn schon dabei?“ Er trat einen Schritt auf mich zu und ich im gleichen Maße einen zurück, auch wenn ich bei seinem Anblick gern das Gegenteil getan hätte. Er sollte nur nicht glauben, ich sei leicht zu haben und sein überhebliches Getue würde bei mir ziehen.

„Ich kenn dich doch gar nicht. Und wage es nicht, mich anzufassen!“, fügte ich hinzu, als er seine Hand hob. In dem Moment piepte mein Handy. Ich schaute auf das Display, eine Nachricht von Celina: „Warte nicht auf mich, will noch in die Bibliothek.“ Der Typ mir gegenüber schaute mich verwundert an.

„Was tust du da?“

„Ich schreibe eine Nachricht.“

„Mit diesem Ding?“

„Noch nie ein Handy gesehen? Also, was willst du von mir?“ Ich musterte ihn abwartend. Sein Anblick löste ein Kribbeln in meiner Magengegend aus, er war unglaublich heiß. Sein Interesse schmeichelte mir, aber er sollte nicht glauben, alle Mädchen würden nach seiner Pfeife tanzen. „Ich hab dich heute Morgen gesehen und wusste gleich, du bist eine Frau, die es versteht, Spaß zu haben. Und so wie du mich angesehen hast, verzehrst du dich nach mir.“ Er grinste anzüglich.

„Sicher. Davon träumst du. Nur weil du der Meinung bist, unwiderstehlich zu sein, heißt das noch lange nicht, dass es auch stimmt. Schon mal dran gedacht, dass nicht jedes Mädchen auf so einen eingebildeten Typen steht?“ Er musterte mich nachdenklich.

„Das Problem hatte ich bisher nicht. Es war eher andersrum.“

„Wie soll ich das jetzt verstehen?“

„Ich bin sie nicht mehr losgeworden.“

„Du bist so ein arrogantes Arschloch!“, rief ich und brachte damit einige Schüler zum Stehenbleiben. Sie sahen mich entgeistert an, als ob mir gerade Vampirzähne wachsen würden. Ich blickte stirnrunzelnd zurück. Was auch immer sie gerade für ein Problem hatten, es war nicht ihre Angelegenheit. Auch der Typ schien von meinen harten Worten verwirrt. Ich warf meine Haare zurück und ging wortlos an ihm vorbei. So eilig hatte ich es noch nie gehabt, das Gebäude zu verlassen. Draußen erwartete mich der gleiche strömende Regen von heut Morgen und ich zog mir schnell die Kapuze meiner Jacke über den Kopf, bevor ich mich in gebückter Haltung auf den Weg zum Wohnheim machte. Am liebsten wäre ich sofort wieder umgedreht, als es am Ende der Straße in Sicht kam. Direkt vor der Eingangstür unter dem Vordach stand ER.

„Entschuldige, ich bin vorhin nicht dazu gekommen, mich ordentlich vorzustellen. Ich bin William. William Alexander Parker. Besser?“

„Was?“, fragte ich verwirrt. Er stand so dicht vor mir, dass ich einen Blick in seine Augen erhaschen konnte, und ich hatte recht gehabt. Sie waren dunkel und zogen mich förmlich in ihren Bann. Wenn er jetztnicht so ein Arsch wäre, würde ich meine Vereinbarung mit David ganz schnell für nichtig erklären.

„Ob ich jetzt einen besseren Stand bei dir genieße? Viele Mädchen können mich besser leiden, wenn sie meinen vollen Namen kennen.“ Er lehnte sich lässig an die Wand und ließ mich keine Sekunde aus den Augen.

„Du bist so was von arrogant. Und ich fände es schön, wenn du aufhören könntest, mich zu stalken.“

„Zu was?“, fragte er.

„Zu stalken. Mich zu verfolgen, mir nachstellen, auflauern. So was in der Art. Von welchem Planeten kommst du, dass dir meine Sprache nicht geläufig ist, denn Englisch scheinst du immerhin zu sprechen?“

„Ich bin einen etwas gehobeneren, altertümlichen Sprachgebrauch gewohnt. Trotzdem bin ich der Meinung, wir könnten uns prächtig amüsieren. Wie ich hörte, ist deine Mitbewohnerin nicht da …“ Er ließ den Satz unvollendet.

„Und?“ Ich musterte ihn kritisch.

„Da würde mir so einiges einfallen, was wir in der Zeit anstellen könnten.“ Wieder kam er mir näher und diesmal wich ich ihm aufgrund des Regens nicht aus. Seine Hand streifte meine Wange und ich erschauderte. Nicht wegen meiner Hormone, wie ich zuvor annahm, sondern vor Kälte. Seine Hand war eiskalt. Als ich danach greifen wollte, zog er sie zurück. Sein gerade noch ernster Blick wich einem amüsierten Lächeln und er sah mich intensiv an.

„Also, was ist?“

„Ich muss meine Kurse nachbereiten und die für morgen vorbereiten. Du kannst mir gerne Gesellschaft leisten, aber spannend wird das sicher nicht. Und Spaß macht es auch nur wenig.“

„Dann sollte ich besser mitkommen. Vielleicht kann ich dich doch noch zu einer Schandtat überreden.“ Er zwinkerte mir zu und hielt mir dann die Tür zum Wohnheim auf.

In meinem und Celinas Zimmer ließ ich meine Sachen auf den Schreibtisch fallen, zog meine Schuhe aus und setzte mich an den Tisch. Wieso schickte ich ihn nicht einfach zum Teufel? So würde ich garantiert nicht zum Lernen kommen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Auf eine Weise war er eben genau mein Typ, auch wenn sein arrogantes Getue und seine Selbstüberschätzung mir sonst nicht imponierten. William machte es sich auf Celinas Stuhl gemütlich und starrte mich unverwandt an. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, versuchte ich, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren. Stur starrte ich in mein Textbuch, während ich Williams Schritte hinter mir vernahm. Vermutlich sah er sich die Fotos an den Wänden an. Gerade schaffte ich es, mich etwas in den Absatz zu vertiefen, da spürte ich seinen Atem in meinem Nacken. Es prickelte über meinen ganzen Körper, aber ich drehte mich nicht um. Sein Atem strich eisig über meine Haut.

„Du bist total verspannt, vielleicht solltest du wenigstens eine Pause machen“, murmelte er dicht neben meinem Ohr. Seine Hände legten sich auf meine Schultern und übten einen leichten Druck aus. Ich erschauderte unter seiner Berührung. Es fiel mir schwer, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, aber letzten Endes schaffte ich es.

„Wieso sind deine Hände immer noch so kalt? Wir sind doch schon eine Weile drinnen“, flüsterte ich.

„Ich habe immer kalte Hände. Schon seit einer Ewigkeit. Ich habe mich längst daran gewöhnt. Leider schreckt es die Mädchen ab.“ Ich konnte sein freches Grinsen förmlich hören. Empört wollte ich herumfahren, aber seine Hände drückten mich auf den Stuhl und meine Wut löste sich viel zu schnell in Wohlgefallen auf. Seit ich den Typ heute Morgen auf dem Campus gesehen hatte, war ich mir seiner Anziehung bewusst und vielleicht hat er meine Fantasie angekurbelt, aber nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, ihn nur wenige Stunden später hier in meinem Zimmer zu haben. Der gleichmäßige Druck, den er auf meine Schultern ausübte, entspannte mich und ich wusste, was mich noch mehr entspannen würde, auch wenn ich dem noch nicht nachgeben wollte. Ein kleines Seufzen entwich mir.

„Ich habe doch gesagt, wir beide könnten …“

„Sag mal, fällt dir eigentlich sonst nichts ein? Du willst doch nur ne schnelle Nummer, und dann verschwindest du wieder.“ Ich fuhr herum. Einen Moment lang war es still im Zimmer.

„Was will ich?“

„Sag mal, wer hat dir das Sprechen beigebracht?“, fragte ich und stand auf.

„Mein Vater, wer sonst?“

„Und er kam nicht zufällig aus dem fünfzehnten Jahrhundert?“

„Neunzehntes, um genau zu sein.“ Er meinte das ernst und ich verschluckte mich fast, bevor ich „Ja klar!“ rief.

„Um auf deine Frage zurückzukommen. Was immer eine schnelle Nummer auch sein mag, ich will nur ein bisschen Spaß, und du doch auch. Ich kann es fühlen.“ Er kam einen Schritt näher.

„Um dir meine – für dich zu futuristische – Wortwahl zu erklären: Du willst körperlichen Spaß mit mir haben. Du willst mit mir in meinem Bett landen und dann verschwindest du einfach wieder, richtig?“

„Vermutlich. Damals war das alles sehr schwierig, da konnte man einer Frau nicht mehr unter die Augen treten, nachdem man mit ihr ... Außer man wollte sie danach heiraten, aber dann hätte ich oft in der Kirche gestanden. Heutzutage ist das Ganze viel einfacher, allerdings ist es eine Ewigkeit her, dass ich einer Frau so nah war, wie dir gerade.“

„Das sagst du mir doch nur, damit ich zustimme. Außerdem kannst du kaum älter sein als ich, wie kannst du da von damals sprechen?“

Er ließ meine Frage unkommentiert und ging lieber auf meine erste Aussage ein: „Nein, es ist wahr. Es ist Ewigkeiten her. Wie ich schon sagte, die wenigsten Frauen stehen auf kalte Hände.“ So wie er das betonte, war das nicht der wahre Grund. Tatsache war aber auch, dass es einen Grund geben musste, weswegen die Frauen sich von ihm fernhielten. Ich stand auf und ging zu den Fotos an der Wand hin.

„Ich bin aber nicht so eine, die einfach mit einem Fremden Sex hat. Ich kenne dich gar nicht.“

„Ich bin William Alexander Parker, mein Geburtstag ist am 11. November und ich finde dich wirklich sehr begehrenswert. Reicht das nicht?“

„Irgendwie nicht. Normalerweise geht man essen, redet, lernt sich kennen. Und trifft sich einige Male, bevor man einen Schritt weitergeht – oder zwei.“ William trat nah an mich heran. Seine Augen fixierten mich, sodass ich das Gefühl hatte, mich nicht bewegen zu können.

„Wir könnten den Teil auch einfach überspringen. Stell dir vor, wir investieren all die wertvolle Zeit und am Ende stellen wir fest, dass wir gar keinen Spaß miteinander hatten.“

„Es geht aber doch nicht nur um Spaß. Es geht um Beziehungen und Vertrauen ... und ...“ Der eigentliche Sinn meines Satzes entfiel mir unter seinem intensiven Blick.

„Also, mir geht es immer nur um Spaß.“ Er legte seine Hand an meine Wange und ließ sie dort, während sein Gesicht langsam näher kam. Ich blieb völlig regungslos, auch wenn das total gegen meine Prinzipien in der Behandlung einer Frau ging. Wenige Sekunden später streiften seine Lippen über meine. Flüchtig, wie sich der Flügel eines Schmetterlings anfühlen musste. Viel zu schnell war es wieder vorbei und ich starrte ihn unverwandt an.

„Sag ich ja“, murmelte er und senkte seine Lippen wieder auf meine, fester diesmal. Er drückte mich mit seinem Körper gegen die Wand und drängte sich gegen mich. Wie von selbst schlangen sich meine Arme um seinen Hals und ich zog ihn noch näher zu mir heran. Unser Kuss wurde wilder, leidenschaftlicher und kurz darauf schob William mich etwas nach rechts auf mein Bett zu. Ich spürte die Kante in den Kniekehlen und sank nach unten. Er stand über mir und schaute mich kurz außer Atem an. Dann beugte er sich hinab und küsste mich wieder, noch gieriger als zuvor und schob mich dabei weiter auf meine Matratze. Seine Hände wanderten über meinen Körper, meine Finger fuhren durch seine Haare. Ich erzitterte, als seine kalten Finger unter meine Bluse glitten und über meine Haut strichen. Sie waren wirklich unglaublich eisig.

Sanft entfernte er das Kleidungsstück, zugleich auch sein T-Shirt und betrachtete mich einen Augenblick lang. Sein intensiver Ausdruck ließ mich erschaudern, bevor er anfing, meinen Körper mit seinen kalten Händen zu liebkosen. Schnell verschwand auch meine Hose und ich konnte mich gar nicht richtig entsinnen, wann er seine verloren hatte. Mein Körper bebte vor Erwartung auf das Kommende und ich bog mich ihm entgegen, während er meinen Hals küsste. Ein leises Stöhnen entwich meinen Lippen und er lachte. Die Schritte im Flur nahm ich gar nicht wahr und viel zu spät wurde mir klar, dass ich nicht abgeschlossen hatte. Als die Tür aufflog, versuchte ich, nach meiner Decke zu greifen, aber sie lag zu weit unten.

„Ich wollte dich nicht stören“, rief Celina überrascht und grinste breit. „Ich komm in zehn Minuten wieder.“ Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte sie die Tür bereits wieder zugezogen. Ehe ich mich William erneut widmen konnte, fiel mit etwas an ihrem Satz auf. Dich. Sie hatte DICH gesagt. Wieso wollte sie nur mich nicht stören?

„Wieso tat Celina gerade so, als wäre ich allein hier gewesen?“, fragte ich und richtete meinen Blick auf ihn.

„Sag mir bitte nicht, du hattest was mit ihr und sie ignoriert dich deswegen.“

„Ich kenne Celina nicht. Vielleicht sollten wir das später klären“, murmelte er und küsste bereits wieder meinen Hals. Mein Verlangen nach ihm flammte schnell wieder auf und ich wollte ihm gerade recht geben und mich vollständig auf die Matratze fallen lassen, da passierte etwas Ungewöhnliches. Seine Hand hatte bereits meinen BH geöffnet und seine andere griff nach meiner Brust, als sie auf einmal zu schimmern begann. Wie gebannt starrte ich hin und konnte den Blick nicht abwenden, traute mich aber nicht, sie zu berühren. Sämtliche Körperteile, mit denen ich zu William Kontakt hatte, wurden auf einmal eiskalt und ich spürte nichts mehr von ihm. Als hätte man einen Knopf gedrückt, begann er, sich aufzulösen, und segelte mehr oder weniger durch mich hindurch. Ich zitterte am ganzen Körper und schaute mich ratlos um, als William plötzlich in der anderen Zimmerecke auftauchte.

„Verdammt!“, fluchte er. „Hast du nach all den Jahren immer noch kein Mitleid, Maria?“, rief er aufgebracht und machte mit seiner rechten Faust eine Drohgebärde Richtung Decke. Natürlich blieb seine rhetorische Frage unbeantwortet. Ich begann, nun heftig zu schlottern und mit den Zähnen zu klappern. Wieso wusste ich auch nicht, denn es war nicht kalt im Zimmer.

„Du solltest dir vielleicht etwas anziehen oder dir die Decke überlegen“, gab William aus der Ecke zu bedenken. Zitternd grapschte ich nach meiner Tagesdecke und schlang sie mir um die Schultern. Immer noch war mir eiskalt.

„Was ... war ... das?“, flüsterte ich stotternd.

„Das ist kompliziert.“

„Genauso wie die Frage, warum Celina dich nicht wahrgenommen hat?“

„Auch.“

„Dann erklär es mir bitte.“

„Kann ich nicht, du würdest es mir gewiss nicht glauben.“ Er blickte mich an, als ob er darauf wartete, dass mein Zittern abebbte, was aber nicht geschah.

„Wieso ist mir so kalt, als wäre ich gerade in einen gefrorenen Gletschersee gesprungen?“, fragte ich nach einer Weile. „Und wieso hört das nicht auf? Antworte mir!“

„Malu, das ist nicht so einfach. Vermutlich liegt es an mir, aber immerhin habe ich einen Fortschritt gemacht.“

„Was soll das denn heißen?“

„Du sitzt hier und redest mit mir. Die Letzte, der ich so nah gekommen bin, hatte nicht so viel Glück.“ Es sollte vermutlich zerknirscht klingen, aber das tat es nicht. Seine Stimmlage kam eher gleichgültig rüber.

„Kannst du bitte noch mal von vorne anfangen?“

„Du bist doch diejenige die Mythologie, Okkultismus und dergleichen studiert. Dann solltest du dir das doch zusammenreimen können, oder? Ich sollte jetzt besser gehen, bevor noch ein Unglück geschieht, denn solange ich hierbleibe, wird dir nicht warm werden. Aber falls du auf Abenteuer stehst, können wir es morgen gerne wieder versuchen. Ich warte nach deinen Vorlesungen auf dich.“

„Bist du irre? Am Ende erfriere ich noch. Auch wenn ich diesen Wahnsinn absolut nicht verstehe!“, schrie ich ihn an.

Er sagte nichts mehr, öffnete die Tür und trat hindurch. In ihrem Rahmen hielt er inne.

Kurz drehte er sich noch mal um und schaute mir in die Augen. „Vielleicht hilft ja eine warme Dusche.“ Dann war er endgültig verschwunden.

Ich kletterte, in die Decke gewickelt, aus meinem Bett und schlüpfte erst mal unter eine heiße Dusche. Erst als mein Körper knallrot war und zu brennen begann, stellte ich dasWasser wieder ab.

„Bist du fertig?“, hörte ich Celina von der Tür aus rufen.

„Fertig womit?“ Ich verstand ihre Frage nicht ganz.

„Ich hatte gedacht, wenn du es so nötig hast, würdest du dich mit David treffen. Stattdessen finde ich dich hier vor.“ Sie schob grinsend den Kopf durch die Badezimmertür. Dann blickte sie erstaunt in den Nebel. „Was ist denn hier los?“

„Mir war kalt.“ Ich griff mir meinen Bademantel vom Haken und wickelte mich eng ein. Noch immer konnte ich die Kälte in mir spüren, auch wenn die Dusche geholfen hatte. Ein Glück, dass heute Mittag der Beuler wieder lief. Was zur Hölle war das und wieso wollte William nicht mit mir darüber sprechen?

„Kann ich mir gar nicht vorstellen, nachdem du doch ...“

„Was Celina?“, fuhr ich sie an. „Was genau glaubst du gesehen zu haben?“

„Dich. Und du lagst halb nackt auf deinem Bett. Du hattest es anscheinend dringend nötig, richtig in Fahrt zu kommen.“

Ich runzelte die Stirn und sah sie entgeistert an. Wieso hatte sie nur mich gesehen?

„Was ist im College passiert, nachdem ich dir geschrieben habe?“ Sie schaute mich mitfühlend an.

„Was soll schon passiert sein? Ich bin hierhergekommen und wollte lernen, aber William hatte da eine bessere Idee und ehrlich gesagt, kann so eine Lernpause auch nicht schaden.“

„Wer? Ein Neuer, hier?“

„Weiß nicht, ob er neu ist. Hab ihn nicht gefragt. Es war der Typ, der sich heute Morgen so amüsiert hat, als ich beinahe in der Matschpfütze gelandet bin. Ich bin nach dem Unterricht fast in ihn hineingelaufen und dann stand er vor unserem Wohnheim, als würde er auf mich warten.“

„Ich habe heute Morgen niemanden gesehen und vorhin in der Bibliothek haben sie was Komisches über dich erzählt, also ...“ Celina stockte, während ich mir meinen Pullover über den Kopf streifte und mich in meine Bettdecke einkuschelte. Sie schaute mich nicht an und ich wartete gebannt auf ihre Worte.

„Ein paar Leute sind nach mir aufgetaucht und haben gesagt, dass du den Verstand verloren hättest. Du hättest dich mit der Luft unterhalten oder so was. Ja, dich richtig mit ihr gestritten. Malu, ist alles okay?“ Sie schaute vorsichtig auf, als hätte sie Angst, ich könnte sie gleich quer durchs Zimmer schleudern.

„Ich hab was?“, fragte ich fassungslos. In Gedanken ging ich meinen Tag noch mal durch, aber nichts ließ darauf hindeuten, dass ich mit mir selbst gesprochen hätte. Und dann fiel es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen. Es ging um William. Als er mich auf dem Flur angesprochen hatte, sahen wirklich ein paar Leute komisch zu mir herüber. Ich glaubte sogar, mich zu erinnern, sie tuscheln gesehen zu haben. Und vorhin als Celina ins Zimmer gestürzt kam, da hatte sie gedacht ... O Gott ... jetzt wurde mir so einiges klar. Wie das auf sie gewirkt haben musste.Ich merkte, wie mein Kopf rot anlief, und wäre am liebsten unter der Decke verschwunden.

„Hey, ist doch alles gut. Jeder hat mal einen schlechten Tag und wir tun einfach so, als hättest du telefoniert. Bei deinen langen Haaren kann ein Headset leicht übersehen werden.“

„Nein, gar nichts ist gut. Ich weiß, du glaubst so was absolut nicht, aber ich glaube, ich habe einen Geist gesehen.“

Geister gibt es nicht

Den Rest des Abends diskutierte ich mit Celina über das Thema. Sie war der Ansicht, dass ich überarbeitet wäre und zu wenig Sex hätte. Auch das ständige Gefrage meiner Mutter, ob ich schon endlich einen Freund habe, machte mir ihrer Meinung nach sicher zu schaffen. Ich sollte doch David anrufen und richtig einen mit ihm draufmachen. Dazu hatte ich nach den Ereignissen des heutigen Tages aber gar keine Lust. Immer wieder spürte ich Kälteschauer über meinen Körper kribbeln und fürchtete, krank zu werden. Auch ein weiterer Versuch, mich mit Lernen zu befassen, half mir nicht weiter. In vielen Büchern stand ausgerechnet etwas über Geister und andere übernatürliche Wesen, deswegen lenkte es meine Gedanken eher genau auf das Thema und nicht davon ab. Schließlich packte ich meinen Laptop und recherchierte nach dem Namen William Alexander Parker.

William Alexander Parker (*1885 - 1905 verschollen). Vater: Richeard Parker

W. Parker war 1905 mit Freunden unterwegs, als er am folgenden Morgen nicht auf das Anwesen seines Vaters zurückkehrte. Man suchte die gesamte Umgebung ab, befragte Bürger und auch seine Verlobte Maria Witthovedes. Von William Parker aber fehlte zu Lebzeiten jede Spur. Bis heute ist unbekannt, wo der junge Mann verblieben ist.

Ich stockte. Eine alte Fotografie konnte ich nicht entdecken. Auch nach weiteren Eingaben in die Suchmaschinen blieb dies ergebnislos. Immer wieder wurde auf Archive verwiesen. Seufzend klappte ich den Laptop zu und kuschelte mich wieder in mein Bett.

„Alles okay?“, fragte Celina und blickte von ihrem Buch auf.

„Du glaubst mir ja doch nicht“, murmelte ich.

„Es ist nicht so, dass ich es nicht möchte, aber für mich ergibt es einfach keinen Sinn. Es gibt keine Geister.“

„Ich kann das ja auch nicht fassen, aber er war ganz sicher da.“

„Hast du seinen Namen mal gegoogelt? Vielleicht will dir jemand einen Streich spielen?“ Ihre Stimme klang mitfühlend, aber auch irgendwie besorgt.

„Der wäre dann aber schon sehr ausgeklügelt. Er hat mich berührt und geküsst und ist dann durch mich durchgeflogen. Ich bilde mir das doch nicht ein. Und ja, ich habe ihn gegoogelt.“

„Und?“

„Wenn er Zauberer ist, dann war es vielleicht der 83-jährige William Alexander Parker aus Vermont. Oder aber ich habe recht und es ist der 1905 verschwundene William Alexander Parker. Ich hab nur leider keine Bilder gefunden.“ Jetzt drehte ich mich doch zu ihr um.

„Glaubst du das wirklich?“

„Ich weiß es nicht. Ich meine, das, was wir im Lehrsaal besprechen, sind ja auch alles nur Vermutungen und Theorien. Eindeutige Beweise gibt es keine. Zumindest ist Professor Kayne noch nicht mit einem leibhaftigen Geist im Unterricht erschienen.“ Ich grinste verhalten.

„Komisch. Vielleicht solltest du mal mit ihm drüber sprechen. Er ist doch überzeugt davon, dass es Wesen jenseits unserer Vorstellungskraft gibt, oder?“

„Ja, das ist er. Ein Versuch wäre es wert. Es kommt mir nur so komisch vor.“

„Du musst ihm ja nicht sagen, dass du einen Geist gesehen hast. Einfach ein bisschen ausfragen.“

„Ich kann es ja probieren. Immerhin hat er morgen Sprechstunde.“ Ich drehte mich auf den Rücken und starrte zur Decke.

„Wenn du dann schon mit ihm redest, kannst du ihn auch fragen, was es mit Hexen und Halloween auf sich hat? Vielleicht kann ich die Argumente meiner Oma dann beim nächsten Mal außer Kraft setzen.“

Ich nickte nur.

Die halbe Nacht drehte ich mich von einer Seite auf die andere und verlor mich immer wieder in wirren Träumen, aus denen ich hochschreckte. Letzten Endes stand ich auf, noch bevor der Wecker klingelte, und versuchte es noch mal mit meinen Hausaufgaben. Als Celina später wach wurde, versuchte ich, mich abzulenken.

„Wir haben gestern gar nicht mehr davon gesprochen, mit wem du dich am Wochenende triffst?“, fragte ich sie und schon war sie die nächste Viertelstunde damit beschäftigt, mir alle Einzelheiten über den Typ zu verraten, der sie ausführen wollte, obwohl sie eigentlich nur Spaß im Sinn hatte. Ich versuchte währenddessen, das Chaos auf meinem Kopf zu bändigen, das von meiner unruhigen Nacht zeugte und mich an die gestrigen Ereignisse erinnerte.

Als wir aus dem Wohnheim traten, schaute ich in einen trüben Himmel. Bisher war es heute Morgen trocken geblieben, aber die Wolken verhießen nichts Gutes und ich hoffte, mich zu irren, denn nach dem Guss von gestern, war schon alles ganz matschig und schlammig. Noch mehr und wir würden auf dem Campus einsinken. Meine Schuhe schmatzten durch den Modder.

„Wir sollten vor dem Schlafengehen lieber über unsere Serien quatschen“, fing Celina ein neues Thema an.

„Wieso?“

„Ich hab total seltsam geträumt. Da war eine Frau, zumindest ihre Stimme klang danach. Ich konnte sie nicht sehen, aber sie hat mich zu sich gerufen und was vom Erbe meiner Familie gesagt. Ich müsse mich bereithalten. Mein Schicksal bestimme es so und er nahe. Was auch immer das heißen soll. Meine Blutlinie wisse, was zu tun sei.“

„Vielleicht macht dich das Geschwafel deiner Oma doch langsam verrückt.“ Ich wollte das Thema so schnell wie möglich beenden und war erleichtert, dass wir bereits auf den Campus traten. Gerade als ich anfing, mich zu entspannen und meine Aussetzer von gestern als Spinnereien abzutun, fiel meine Sicht auf die alte Eiche. Dieser Baum musste da schon seit über hundert Jahren stehen und er würde sicher auch noch weitere hundert schaffen, selbst wenn die schlimmsten Stürme über ihn hinwegbrausen würden. Mein Blick blieb aber an dem Typen hängen, der lässig an seinen Stamm gelehnt stand. William Parker. Seine schwarzen Haare fielen ihm locker in die Stirn und seine Augen funkelten belustigt, als er seine Lippen zu einem Grinsen verzog und mir zuzwinkerte.

„Celina?“

„Hm?“, machte sie nur und starrte die Nachricht auf ihrem Handy an.

„Bitte sag mir, dass du den Typ sehen kannst, der dort gegen die Eiche gelehnt steht und mich anstarrt.“ Ich wandte meinen Blick nicht von ihm ab, aus Angst, er könnte verschwinden, und kontrollierte nicht, ob Celina wirklich hinsah. Einen Moment war es still und ich hatte sogar das Gefühl, der Wind würde aufhören, zu pfeifen. Dann nahm ich Celinas Stimme wieder wahr.

„Da ist niemand, Malu.“

Ich drehte meinen Kopf, um zu kontrollieren, ob sie auch wirklich in die richtige Richtung sah, und das tat sie. Als ich wieder zum Baum schaute, war William verschwunden. Wurde ich wirklich so langsam verrückt?

„Hey, Malu, was ist denn los? Du bist ja ganz blass.“ Celina legte ihre Hand auf meine Schulter, als hätte sie Angst, ich könnte umkippen oder so.

„Mir gehts gut“, murmelte ich. „Wir sollten reingehen.“ Ich schüttelte ihre Hand ab und lief auf den Eingang des Gebäudes zu. Das konnte doch jetzt wirklich nicht wahr sein.

Den ganzen Vormittag wippte ich nervös auf meinem Stuhl herum und konnte es gar nicht abwarten, bis die Mittagspause begann. Ich musste einfach mit Professor Kayne sprechen. Er war der Einzige, der so überzeugt von dem Ganzen war, dass er mir vielleicht helfen könnte. Als es klingelte und Celina mich aus dem Literaturkurs begleitete, spürte ich ihre besorgten Blicke auf mir.

„Kannst du mir in der Cafeteria ein Sandwich besorgen? Ich werde jetzt mit Professor Kayne reden. Wir sehen uns später.“ Ich bog seitlich in einen Korridor ein und machte mich auf den Weg zu seinem Büro. Dort klopfte ich an, obwohl die Tür bereits offen stand. Als hätte er mich erwartet.

„Malu, was kann ich für Sie tun?“ Er hob seinen Blick von einigen Papieren und sah mich geduldig an.

„Ich habe ein paar Fragen. Die sind allerdings eher privater Natur. Sie haben mal erwähnt, dass Sie viel gereist sind und einige Erfahrungen mit Übersinnlichem gemacht haben, und da dachte ich, Sie könnten mir vielleicht helfen.“

„Ich werde es versuchen. Nehmen Sie doch Platz.“ Ich schloss die Tür und ließ mich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch nieder.

„Also, was genau beschäftigt Sie?“ Er schaute mich ruhig und abwartend an.

„Ich habe das Übersinnliche schon immer faszinierend gefunden und in letzter Zeit drehen sich meine Gedanken immer wieder um Geister. Ich habe mich gefragt, woran ich einen erkennen würde?“ Ich versuchte, mir meine Unruhe nicht anmerken zu lassen, doch ich konnte nicht still sitzen.

„Es kommt immer auf die Art von Geist an, dem Sie begegnen. War er nie zuvor ein Mensch, dann kann es sich um einen Poltergeist oder Wassergeist handeln. Meist sehen wir Menschen diese nur schemenhaft wie einen Schatten oder einen verschwommenen Umriss. Wenn es sich allerdings um einen verstorbenen Menschen handelt, sieht er meist so aus wie vor seinem Tod. Die gleiche Frisur, dieselbe Kleidung und so weiter.“ Er redete wie bei einem seiner Vorträge.

„Muss ein Mensch denn sterben, um sich in einen Geist zu verwandeln?“

„Die meisten tun das. Und sie verwandeln sich nur, wenn sie noch nicht bereit sind, in ein anderes Leben überzutreten. Sie haben das Gefühl, noch eine Aufgabe erledigen zu müssen. So war es jedenfalls bei den Geistern, die ich getroffen habe. Den meisten fieldas sehr schwer, weil sie lieben Menschen etwas mitteilen wollten, aber sie konnten ja nicht sprechen oder eine schriftliche Nachricht hinterlassen. Mit Müh und Not konnten sie manche Gegenstände bewegen und dann hoffen, dass die Personen die Hinweise richtig deuteten. Was nicht leicht ist. Denen, die ich getroffen habe, habe ich geholfen. Da ich sie sehen konnte, habe ich deren Botschaft einfach weitergegeben und somit konnte ihre Aufgabe erfüllt werden. Eine andere Möglichkeit, ein Geist zu werden, ist hingegen ein Zauber.“

„Ein Zauber?“ Ich blickte ihn fragend an.

„Ja. Viele nennen es auch einen Fluch. Sehen Sie, es gibt nur sehr wenige Menschen, die in der Lage sind, Geister zu sehen oder überhaupt irgendeine Präsenz wahrzunehmen. Von daher ist es für den Menschen ein Fluch, wenn er in einen Geist verwandelt wird.“

„Und wer tut so was?“

„Die einzigen Wesen auf der Erde, die außer den feinfühligen Menschen noch Geister sehen können: Hexen.“

„Hexen? Und Sie glauben wirklich, die gibt es?“

„Absolut. Ich habe mal in Afrika einen Geist getroffen, der von einer verschmähten Liebe verzaubert worden war. Er war so froh, nach Jahren endlich wieder mit einer Menschenseele sprechen zu können. Er hatte auf seinem Weg nicht sehr viele gesprächige Geister getroffen, deswegen war das für ihn eine sehr einsame Zeit. Und noch schwieriger war es, den Fluch zu brechen.“

„Das hat er geschafft?“

„Mit meiner Hilfe, ja.“

„Wie geht so was?“

„Das kann ich pauschal nicht sagen. Es kommt immer auf den Zauber und die Stärke der Hexe an. Nicht alle sind gleich stark und jede entscheidet selbst, wie viel Kraft sie in den Zauber legt, wenn sie jemanden verflucht, und auch, was genau geschehen muss, damit der Fluch wieder aufgehoben werden kann. Der Mann hatte Glück, er war gerade mal sieben Jahre verflucht und konnte sein Leben also wieder aufnehmen. Man hat ihn seither zwar für verrückt gehalten, aber ansonsten war alles beim Alten.“

„Interessant. Aber konnte er Sie berühren? Ich meine, in Filmen ist es doch meist so, dass Geister einfach durch einen hindurchfliegen.“ Nervös knetete ich meine Hände, unsicher, ob ich die Antwort hören wollte.

„Es kommt immer auf den Geist an und auf den Zauber. Die meisten, die ich getroffen habe, sind geradewegs durch mich hindurchgeflogen, wenn sie mir zu nahe kamen, aber diese bewegten sich grundsätzlich schwebend vorwärts. Bei dem Mann in Afrika war das auch so, aber sein Schweben fiel kaum auf. Es wirkte so, als würde er ganz normal über den Boden gehen. Ich habe mal von Kollegen gehört, die mit einem Geist Körperkontakt herstellen konnten, aber selbst erlebt habe ich es nicht.“

„War das dann wie mit einem anderen Menschen oder hat es sich seltsam angefühlt?“

„Was meine Sie damit, Malu?“

„Na ja, hat es sich irgendwie ...“ Ich stockte. Meine Versessenheit, Antworten zu bekommen, hatte mich fast dazu gebracht, alles auszuplaudern. „Keine Ahnung, es könnte doch sein, dass ein Geist sich anders anfühlt.“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. So genau hat mein Freund das leider nie beschrieben. Wobei das sicher eine interessante Erfahrung wäre.“

„Sicher, wenn man sie überlebt“, murmelte ich.

„Malu, ich möchte offen mit Ihnen sprechen. Sie wirken auf mich, als hätten Sie kürzlich etwas erlebt, was Sie sehr durcheinandergebracht hat. Falls Sie glauben, eine Begegnung mit einem Geist gehabt zu haben, dann ist das sicher, gerade am Anfang, nicht leicht. Vor allem, weil einem die meisten Menschen nicht glauben, aber es kann durchaus real sein. Ich hatte schon in unserer ersten Vorlesung das Gefühl, Sie strahlen eine besondere Aura für das Übernatürliche aus.“ Er blickte mich offen und verständnisvoll an.

„Ich weiß nicht. Bestimmt will mich nur jemand reinlegen.“

„So? Was haben Sie denn gesehen?“

„Einen Mann. Er sagt, sein Name ist William Alexander Parker“, murmelte ich und senkte beschämt den Kopf. Das war doch lächerlich. Trotzdem tat es gut, offen darüber zu sprechen.

„Niemand anders konnte ihn sehen, habe ich recht?“

„Es waren bisher kaum Leute dabei“, versuchte ich, das Ganze abzuwiegeln.

„Und Sie glauben, der Mann könnte wirklich existieren?“

„Ich weiß nicht. Im Internet habe ich nicht viel zu ihm gefunden.“

„Der Name sagt mir was. Ich erinnere mich. Ich habe mal ein altes Grimoire bekommen. Es ist unglaublich selten, Hexengrimoire in die Hände zu bekommen, aber dieses hier stammte aus dem zwanzigsten Jahrhundert und war gar nicht so alt. Einen Moment.“ Er wühlte in seinem Regal und zog ein paar Zettel daraus hervor. „Hier ist es ja. Genau. Eine Hexe namens Maria Witthovedes hat 1905 geschrieben, sie habe William Alexander Parker verflucht. Er soll kein weibliches Wesen mehr berühren können, kein Herz mehr brechen und als Geist ein einsames Leben fristen, bis ans Ende aller Tage. Interessant. Da muss er sie schon sehr verärgert haben.“ Bei dem Namen wurde ich kurz stutzig. Celina hieß genauso wie diese Hexe, aber hier in Amerika war das ein sehr gebräuchlicher Name und es wäre schon ein Riesenzufall, wenn ausgerechnet meine beste Freundin mit der Hexe verwandt wäre, dessen Geister-Ex-Freund mich jetzt heimsuchte. Vorausgesetzt, das alles stimmte, und ich wäre nicht verrückt.

„Wieso?“, fragte ich den Professor also nach dem Fluch.

„Eine Witthovedes verhängt nicht so leichtfertig einen Fluch. Sie sind eine Familie von Hexen, die immer darauf bedacht waren, ihre Magie nur für Gutes einzusetzen. Und sie haben immer versucht, das Gleichgewicht in der Welt zu wahren und zu beschützen. Ihre Linie reicht weit bis ins sechzehnte Jahrhundert zurück und wahrscheinlich noch weiter. Damals lebten sie noch in Deutschland. Johann Witthovedes kam nach Amerika, nachdem seine gesamte Familie den Hexenprozessen zum Opfer gefallen war.“