Glitzerkram - Mara Winter - E-Book

Glitzerkram E-Book

Mara Winter

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Beschreibung

Wenn die Liebe einen Menschen ändert, kann es dann die wahre Liebe sein? Noreen liebt Glitzer, Kitsch und selbstgebastelten Schmuck. Sie pflegt ein studentisch lässiges Auftreten und wird die meiste Zeit von ihren Gefühlen gelenkt und nicht von ihrem Kopf. Das muss sich ändern, erklärt ihr der Chef des Interieur-Magazins, bei dem sie nach dem Examen ein Praktikum angeboten bekommt. Langzeit Freund Jan dagegen zeigt keinerlei Veränderungswünsche für die Zukunft und Noreen beendet kurzerhand die Beziehung, als er sich nicht fürs Heiraten und Nachwuchs begeistern kann. Um Neu-Single Noreen von ihrem Elend abzulenken, beschließen die Freundinnen Steffi und Simone, dass ein neuer Mann für Noreen her muss! Stichwort: Online-Dating! Doch das ist gar nicht notwendig, denn der Unternehmensberater Tobias, eine Bekanntschaft aus einem Kölner Club, verdreht Noreen augenblicklich den Kopf. Tobias scheint perfekt: gut aussehend, clever, organisiert und ganz auf die Zukunft ausgerichtet. Noreens Chef ist begeistert von der neuen Arbeitsmoral und dem Auftreten seiner Praktikantin. Kann Noreen ohne Kitsch und Glitzerkram glücklich werden? Und wie sieht Noreens Rolle in der Nacktputzeragentur »Golden Balls«, die ihr Bruder Phillipp eröffnen will, aus? feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Humor: 2, Gefühl: 2 »Glitzerkram« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Mara Winter

Glitzerkram

Roman

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Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Widmung1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. Kapitel48. KapitelEpilogDanksagung
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Für Karin und Maggie <3

 

»Ich laufe nicht gegen die Palme, die Palme läuft gegen mich.«

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1. Kapitel

Ich stehe in meinem verstaubten Bad und trage als Allerletztes Wimperntusche auf. Dafür nehme ich mir Zeit und tusche jedes Härchen einzeln, bis meine Wimpern gleichmäßig dunkelblau strahlen. Jetzt brauche ich bloß noch die schlichten, seriösen Haarklammern, die waren da doch irgendwo in der lila Schachtel – oder in der gelben oder in dem grünen Döschen oder in einem meiner dreizehn niedlichen Körbchen auf der Ablage.

Leider ist die Ablage so zugestellt mit Deo, Zahncreme, Bodylotion, Wattepads, feuchtigkeitsspendenden Gesichts­masken und tausend rosa Glitzerhaargummis und-spängchen, dass ich nicht wirklich an die Körbchen herankomme. Und ich habe jetzt echt keine Zeit, das alles wegzuräumen. Nehme ich halt die Blümchenspangen, die Röschen sind so klein, dass sie gar nicht auffallen. Hoffe ich.

Ich bin selten hier, weil ich die meiste Zeit bei Jan verbringe, aber meine Businessverkleidungsklamotten lagern natürlich zu Hause, die brauche ich ja nur ganz selten. Na ja, in letzter Zeit leider öfters.

»Wir sind hier kein Studentenmagazin«, hat der Chef mit zugekniffenen Augen gesagt, »kaufen Sie sich ein paar ordentliche Kostüme, Frau Berger.«

Gut, vielleicht war es eher ungeschickt, zum Bewerbungsgespräch in Batikkleidchen und Hippiesandalen zu kommen, aber wir hatten schließlich einunddreißig Grad.

Und außerdem waren die Referenzen des Kölner Studentenmagazins schließlich meine Eintrittskarte in die heiligen Hallen des Interieur Magazins gewesen. Für diesen Praktikumsplatz war ich sogar bereit, auf meine Sommerferien zu verzichten, dabei hatte ich mich eigentlich bloß dort beworben, um meinen Vater ruhigzustellen, der genau zehn Stunden nach meiner Examensfeier anfing, mich mit seinen Zukunftsängsten zu nerven. Völlig verkatert hatte ich am Telefon – wär’ ich bloß nicht rangegangen! – versprochen, bis Ende der Woche die erste Bewerbung loszuschicken. Und die Ausschreibung von Interieur war die einzige, die mir wirklich gefiel. Also polierten Steffi und ich meinen Lebenslauf auf und bastelten großartige Referenzen zusammen. Ich hätte trotzdem nie erwartet, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, und erst recht nicht, den Praktikumsplatz dann auch zu bekommen.

Aber ein Gott oder das Schicksal hatte Erbarmen mit mir, oder Herrn Bodenkampp gefielen einfach bloß meine Beine, wie Jan vermutete. Jedenfalls musste ich ab August täglich antreten und Pressemitteilungen über Echtholzparkett, pflegeleichten Kunstrasen und hochwertige Klobürsten online stellen, anstatt mit Jan an den See zu fahren oder mit Steffi und Simone im Freibad abzuhängen.

Bezahlt wurde ich natürlich nicht, aber ich sammelte »wertvolle Erfahrungen«, wie mein Vater mir versicherte.

Der Wert meiner Erfahrungen hielt sich zu Beginn zwar eher in Grenzen, weil der Chef Anfang August auf der Möbelmesse in Amsterdam weilte und seine Mitarbeiter mir nicht allzu viel zutrauten. Solange Herr Bodenkampp nicht im Büro war, durfte ich außer stumpfsinnigem Artikel-online-Stellen nichts machen, keine Themen vorschlagen, nicht ans Telefon gehen, nicht mal Kaffeekochen durfte ich. (Es ist mir bis heute untersagt, die teure, komplizierte Kaffeemaschine zu bedienen, denn dafür braucht man eine Einweisung, und »dafür ist nun wirklich keine Zeit übrig«, wie die Chefredakteurin Susanna mir am ersten Tag mitteilte. Daher muss ich immer unterwürfig bei einem meiner Kollegen um Kaffee bitten, und ich glaube, es bereitet ihnen einen Mordsspaß, mich zu vertrösten, weil sie noch »was ganz Wichtiges« fertig machen müssen.)

 

Susanna war mir gegenüber erst mal misstrauisch eingestellt, weil ich »in ihr Ressort eindringen wollte«, sprich, sie unterstellte mir, heimlich den Wunsch zu hegen, eigene Artikel zu schreiben, womit sie auch durchaus recht hatte. Agnes, die untergebene Redakteurin, war dagegen sauer, weil ich ihren Computer bekommen hatte und sie meinetwegen zu Pierre ins Büro ziehen musste. Ich hatte zwar angeboten, mit ihr zu tauschen, aber die Chefsekretärin Frau Spitz untersagte das strengstens, damit ich keine »Interna« spitzbekam und möglicherweise Firmengeheimnisse ausplaudern konnte. Pierre als Anzeigenleiter verhandelt nämlich täglich mit potenziellen Kunden über geheime Summen für halbseitige Anzeigen. (Die geheimen Summen stehen zwar in der Anzeigenliste, aber anscheinend traut Frau Spitz mir nicht zu, ein PDF zu öffnen.) Außerdem sollte ich »selbstständig arbeiten«, was im Klartext bedeutete, dass nach dem ersten Tag niemand mehr Zeit hatte, mir irgendwas zu erklären, andererseits sollte ich aber »keine eigenmächtigen Entscheidungen treffen«, was Dörte mir vorgeworfen hatte, als ich das Foto eines besonders attraktiven Metallbauers der Fachrichtung Konstruktionstechnik blau anstatt schwarz umrahmt hatte. Ich fand, dass seine Augen so besser zur Geltung kamen, aber Dörte sah das anders. Dörte ist die Auszubildende und hasst mich, weil ich ihr »die Homepage weggenommen habe«, für deren Betreuung sie sich zwei Jahre lang selbst qualifiziert hat.

»Die hat bloß keine Lust, sich um die Buchhaltung zu kümmern«, hielt Susanna dagegen, »die bastelt den ganzen Tag an der blöden Website rum und geht Schlag fünf nach Hause, egal, was liegenbleibt.«

 

Doch sobald der Boss zurück war, wehte ein anderer Wind. Er verschanzte sich zwar im hintersten Büro und durfte offiziell nicht gestört werden, aber per E-Mail konnte man ihn kontaktieren, denn das merkte Frau Spitz nicht. Entgegen ihren Prophezeiungen antwortete er sehr wohl auf Themenvorschläge und Artikelentwürfe, und meistens war sein Feedback auch recht positiv. Ich war wahnsinnig stolz, als er meinen ersten Artikel absegnete, obwohl Agnes danach zwei Tage lang nicht mehr mit mir redete. Sie ist nämlich im fünften Monat schwanger und momentan sehr emotional. Die Vorstellung, jemand könne sie ersetzen, macht ihr schwer zu schaffen, obwohl sie uns früher oder später für eine dreijährige Babypause verlassen wird. (Eher früher, weil ihr seit Wochen schlecht ist und sie schon jetzt allergisch auf Druckerschwärze reagiert.)

Aber Susanna reagierte überraschend wohlwollend auf meinen Erfolg und schustert mir seitdem einige Randthemen zu. Meine Artikel stehen zwar bis zum Anzeigenschluss auf der Warteliste, aber durch kurzfristige Absagen einiger Werbekunden landeten sowohl »Warum Gärten glücklich machen« als auch »Die Haustür – Visitenkarte des Eigenheims« von Noreen Berger in der September-Ausgabe des Interieur Magazins.

Bis auf die Klamottenfrage war Herr Bodenkampp wirklich zufrieden mit mir, und seit einem Streifzug durch die Kölner Secondhand-Läden ist auch dieses Problem behoben. Außerdem hat Steffi mir gezeigt, wie ihr altes Bügeleisen funktioniert, und mir spießige Perlohrringe geliehen.

 

Ein letzter Blick in den Spiegel – der müsste auch mal wieder geputzt werden! – und ich bin beruhigt.

Der knielange schwarze Rock, die blütenweiße Bluse mit gebügeltem Kragen und der graue Blazer umfassen meine beinahe schlanke Taille, Feinstrumpfhose und High Heels zaubern meine Beine lang und schlank, und mein dunkelblondes Haar schlingt sich brav zum perfekten Knoten. Bis auf die rosa Spängchen sehe ich aus wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau, und niemand würde mehr die chaotische Studentin in mir vermuten, die ich vor vier Monaten noch war.

Ich komme mir zwar immer noch irgendwie verkleidet vor, wenn ich so vor die Tür gehe, aber vielleicht geht das anderen Berufseinsteigern auch so?

O Mann, Berufseinsteiger, das klingt so erwachsen. Aber mit siebenundzwanzig und beendetem Studium muss man das vielleicht auch sein. Irgendwie habe ich mir nie so richtig vorstellen können, dass die Uni irgendwann tatsächlich zu Ende geht.

 

Die vergangenen sieben Jahre habe ich überwiegend mit Lesen, Zusammenfassen und Kaffeetrinken verbracht, und das hat mir sehr gefallen. Vorlesungen und Seminare habe ich natürlich auch öfter besucht, aber man konnte unliebsame Kurse doch meistens noch um ein, zwei Semester verschieben. Oder sich mit einer kleinen Hausarbeit um eine schwierige Klausur drücken. Bis uns die blöde Bachelorordnung überfallen hat und wir auf einmal ziemlich rasch das Examen durchziehen mussten, bevor die alte Prüfungsordnung ungültig wurde.

Die Fülle an Lernstoff hat mich erst mal überwältigt, aber irgendwie gewöhnt man sich ans Bulimie-Lernen, abends alles reinschaufeln und am nächsten Tag auskotzen. Oft wusste ich am Nachmittag schon nicht mehr genau, was ich morgens zu Papier gebracht hatte, aber das war ja auch egal. Und nach einem halben Jahr Lernkoma war auf einmal alles vorbei.

Zur Examensfeier trugen wir alberne amerikanische Doktorhüte und tranken Kirschbowle, und bevor ich in ein After-Work-Loch fallen oder mit Jan Last Minute wegfliegen konnte, spazierte ich schon frühmorgens in Blüschen und Bleistiftrock ins Büro am Mediapark.

 

Und jetzt sind der Sommer und das Praktikum vorbei, und heute steht das »Abschlussgespräch mit weiterführenden Optionen« an. Wenn mich nicht alles täuscht, bin ich ab morgen festangestellte Online-Redakteurin mit Weihnachts- und Urlaubsgeld. Ich habe mich die letzten beiden Monate wirklich angestrengt und viel mehr Fleiß und Ehrgeiz bewiesen, als ich eigentlich besitze. Aber ich wollte meinem Bruder Philipp den Triumph nicht gönnen, mich scheitern zu sehen, der mir prophezeit hatte, spätestens nach einer Woche das Handtuch zu schmeißen. Und auch Mama hält nichts von dieser »oberflächlichen Konsumscheiße«, zu der sie Designermöbel und Werbung im Allgemeinen zählt, und sie befürchtet, mein Seelenheil könnte durch diesen Job ernsthaften Schaden nehmen.

Aber ich wollte auch der restlichen Familie beweisen, dass ich bestens für mich selbst sorgen kann. Mamas Schwester Elvira, die sich beizeiten an einen wohlhabenden, saudämlichen Banker verkauft hat, predigt mir nämlich seit meiner Konfirmation, dass ich mir einen liquiden Ehemann angeln soll, bevor »mein Reis verkocht ist«.

Und Jan hat mir sowieso nicht zugetraut, pünktlich um acht irgendwo zu erscheinen. Mein Freund hält mich nämlich für liebenswert, schusselig und vor allem faul. Aber ich bin nicht faul, ich vermeide bloß unnötige Anstrengungen. Wozu soll man seine Bettdecke jeden Morgen umständlich falten, wenn man sie abends sowieso wieder zerknautscht? Wozu Jeans und Unterwäsche bügeln, wenn man sie auch glatttragen kann? Und wen bitte interessiert es, ob mein Geschirr farblich zusammenpasst? Eben.

Aber Jan hat gut reden, der schreibt an seiner Doktorarbeit und kann jeden Morgen ausschlafen. Außerdem schreibt er eigentlich gar nicht, sondern recherchiert bloß ein bisschen und trägt, wenn er überhaupt was macht, abends die Ergebnisse zusammen. Danach ist er geschafft und muss ein Bier trinken, und dann hat er sich »warmgetrunken« und muss daher noch ein Bier trinken. Oder einen Joint rauchen. Zum Entspannen von seinem stressigen, stressigen Tag.

 

Eigentlich hat mir das Leben so auch immer ganz gut gefallen, aber jetzt, wo ich um acht perfekt gestylt im Büro antanzen muss, ärgert es mich schon etwas, dass mein Freund in meiner Mittagspause noch im Bett liegt. Aber heute wird er rechtzeitig aufstehen, das hat er versprochen, denn ich habe mir den Nachmittag freigenommen, um zu feiern.

Ich habe mich zwar nie als Expertin für Inneneinrichtung gesehen, aber hey, Redakteurin beim Interieur Magazin, das klingt doch nach was, oder? Und irgendwas muss ich ja schließlich auch machen, jetzt, wo das schöne Leben – sprich die Uni – vorbei ist und »der Ernst des Lebens« beginnt. Geld verdienen und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden oder so. Scheiße!

Aber ehrlich gesagt bin ich irgendwie auch ein bisschen stolz. Nicht jeder hat schließlich gleich nach dem Examen einen festen Arbeitsvertrag in der Tasche. Okay, so gut wie fest!

Ich habe Herrn Bodenkampp nämlich raunen hören, dass sie sich die aufwendige Suche nach einer neuen Redakteurin diesmal zum Glück sparen können, weil sie ja mit der neuen Praktikantin das große Los gezogen haben. Offenbar befürchtet er, bei Agnes könnten stündlich die Wehen einsetzen und sie würde ihm den teuren Teppich ruinieren, daher würde er sie lieber früher als später in den Mutterschutz schicken.

Meine Kommilitonen treiben sich beim Arbeitsamt rum, fahren Taxi, schreiben Bewerbungen oder kramen in der Bibliothek nach einem Thema für ihre Dissertation. Da ist es schon ein Glücksfall, dass ich so unvermutet in diese Branche gestolpert bin und dass mein Chef mich mag. Auch wenn meine Wohnungseinrichtung aus IKEA-Möbeln und Flohmarktfundstücken zusammengebastelt ist, aber das sieht mir ja niemand an. Hoffentlich.

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2. Kapitel

Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass ich sehr gut in der Zeit liege, was mich irgendwie irritiert. Ich bin es so gewohnt, spät dran zu sein, dass es mich richtig nervös macht, nicht zur Bahn rennen zu müssen. Ich hole mir um die Ecke noch einen Coffee to go (man weiß ja nie, wann man im Büro einen bekommt), als mein Handy klingelt.

Es ist meine Cousine Sandra, Tante Elviras wohlgeratene und einzige Tochter, die mich an das Co-Taufgeschenk für ihren Sohn Cedric-Noel erinnert, der die drohende Taufe seiner Schwester ohne eine Extraportion Aufmerksamkeit offenbar nicht überstehen kann.

»Er weiß natürlich, dass Letizia-Julienne im Mittelpunkt stehen wird, und ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz kommt seiner psychischen Entwicklung auch zugute, aber er darf sich nicht völlig an den Rand gedrängt fühlen. Vor allem du als Patentante seiner neuen Spielgefährtin/Konkurrentin solltest ihm die Bedeutsamkeit des Taufgeschehens vermitteln«, erläutert sie mit ihrer perfekten Telefonstimme.

»In Form einer materiellen Aufmerksamkeit?«

»In jeder Form. Nur eben dezent, er sollte ein Drittel der allgemeinen Aufmerksamkeit bekommen.«

»Vielleicht kannst du mir die Maße von Letizias Geschenken durchgeben, dann versuche ich, für Cedric etwas zu besorgen, was einem Drittel des Volumens entspricht«, sage ich sarkastisch.

»Das ist eine gute Idee«, meint sie erleichtert, »und noch was, Noreen. Es wäre schön, wenn du dich ein kleines bisschen, hm, konservativer herrichten könntest. Ich meine, ein schlichtes Kleid und eher klassischen Schmuck, nicht diesen selbstgebastelten Glitzerkram. Nichts gegen deine kreative Ader, aber zu der Feier kommt schließlich auch Norberts Familie, und da müssen wir schon einen guten Eindruck machen.«

So, so, müssen wir das? Der Kerl hat sie doch schon geheiratet, was gibt es da noch vorzutäuschen? Oder buhlen sie um die Gunst einer reichen Erbtante, von der ich nichts weiß? Aber was gehen die Alte wiederum meine Ohrringe an?

»Und Noreen, könnte Jan vielleicht vorher noch zum Friseur gehen? Nur dieses eine Mal?«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, knurre ich und verspreche, mir von Tante Elvira eine Perlenkette zu leihen.

Die ganze Bahnfahrt über ärgere ich mich, dass ich der blöden Kuh nicht widersprochen habe. Jans Kopf ist auch ungestriegelt tausendmal mehr wert als der ihres gegelten Norberts.

 

Sandra ist neunundzwanzig und perfekt. Ihre Mutter hat sie von klein auf in Designerkleidchen gesteckt und sie mit Barbies, Reitstunden und Cluburlauben bei Laune gehalten. Dagegen hat meine Mutter unsere Klamotten vorzugsweise selbst genäht, gehäkelt oder gebatikt und uns nach wechselnden esoterischen Weltanschauungen erzogen.

Sandra hat immer alles richtig gemacht, sie hat sofort nach dem Abi ihr BWL-Studium durchgezogen und sich einen tollen Job geschnappt. Mit fünfundzwanzig war sie mit einem Anwalt verlobt, und zur Hochzeit trug sie ein Kleid von Versace.

Sie wurde in ihrer Hochzeitsnacht schwanger und hat im pädagogisch wertvollen Abstand von zwei Komma fünf Jahren zwei entzückende Kinder zur Welt gebracht. Cedric kennt mit seinen drei Jahren alle Automarken und beherrscht den Konjunktiv, und Letizia hatte einen Apgar-Wert von 10 und schläft seit der dritten Woche durch.

Zu Cedrics Taufe drei Monate nach der Geburt trug Sandra bereits wieder Kleidergröße 36. Letizia wird mit fünf Monaten getauft, wahrscheinlich trägt Sandra dann Größe 34. (Oder null. Ich glaube, ab 32 abwärts heißt alles null, oder man muss es in Kindergrößen angeben.)

Außerdem sind ihre Haare seidig und fallen bei jedem Wetter in sanften Wellen auf ihre Schultern. Man muss sie einfach hassen.

 

Die Bahn fährt schwungvoll um die Ecke, und ich kralle mich an meinem Sitz fest. Scheiße, jetzt ist mir ein rosa lackierter Nagel eingerissen. Mir wird heiß und kalt. O Mann, wieso kann nicht ein einziges Mal alles einfach klappen? Ich habe eineinhalb Stunden in das blöde Outfit investiert, und jetzt komme ich mit Schweißflecken unter den Armen und abgeblättertem Nagellack an!

Vielleicht sollte ich einfach an der nächsten Haltestelle aussteigen und wieder zurückfahren? Ich könnte den Bodenkampp anrufen und ihm sagen, dass ich krank sei. Sommergrippe oder Magen-Darm-Virus oder so was, hoch ansteckend. Ich bitte ihn einfach, mir mein Abschlusszeugnis zuzuschicken. Der gibt mir den Job doch sowieso nicht, ich bin doch nicht mal in der Lage, zwei Stunden lang annähernd so toll auszusehen wie meine blöde Cousine. Meine Füße tun mir auch schon weh, ich kriege sicher eine Blase! Wie schaffen die anderen Mädels das bloß, den ganzen Tag in High Heels herumzulaufen und dabei auch noch elegant auszusehen? Ich sehe mit High Heels nur elegant aus, wenn ich sitze und mich nicht bewege. Aber dann sieht man die Schuhe ja auch wieder nicht so richtig.

In meiner Verzweiflung rufe ich Steffi an und klage ihr mein Leid. Steffi ist meine beste Freundin und weiß immer Rat. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben schon den Sand aus dem gleichen Sandkasten gegessen. In der Grundschule haben wir für dieselben Jungs geschwärmt, was uns nur enger zusammenschweißte. Als Teenies haben wir zusammen geraucht und getrunken, und niemand kennt mich so gut wie sie. Trotzdem ist aus ihr eine energische, ehrgeizige Frau geworden, während ich die Verkörperung des Chaos bin.

»Du musst deine Ziele fokussieren!«, unterbricht Steffi mein Lamento, »du bist eine intelligente, souveräne Frau, und du holst dir jetzt diesen läppischen Vertrag!«

»Aber mein Nagellack blättert ab.«

»Wie viel Zeit hast du noch? Du gehst jetzt zu Müller zu den Testnagellacken und malst dreimal über die eingerissene Ecke, die haben wirklich jeden Farbton da, dann sieht man das nicht mehr.«

»Aber ich schwitze.«

»Du solltest dir wirklich dieses Aluminiumdeo kaufen, zweimal pro Woche über Nacht einwirken lassen und deine Achseln bleiben knalltrocken. Oder du lässt dir gleich die Schweißdrüsen veröden, ich kann dir einen Ratenvertrag mit meiner Kosmetikerin aushandeln, die ist da ganz flexibel.«

»Dafür ist es jetzt zu spät.«

»Hör auf mit dem Gejammer und konzentrier dich auf deine Stärken. Schau in den Spiegel, du siehst toll aus!«

»Hier ist aber kein Spiegel«, sage ich trotzig und steige aus. Ich betrachte mein Spiegelbild im nächsten Schaufenster. Eigentlich hat sie recht, sogar verzerrt sehe ich heute richtig gut aus, nur den Glitzerkajal sollte ich mir vielleicht schnell noch abwischen.

Aus dem Hörer tönt es: »Bist du noch dran?«

»Ja.«

Ich klemme mir das Handy zwischen Schulter und Ohr und wische an meinen Augen herum.

»In Zukunft nimmst du Ersatzkleidung mit, ein Deo, Nagellack und Odol-Spray.«

»Aber das fällt doch auf, wenn ich mich zwischendurch umziehe.« Toll, jetzt sind meine Augenlider rot.

»Quatsch, du nimmst natürlich eine identische Bluse mit, den gleichen Rock und so weiter, dann kannst du kurz auf die Toilette gehen und dich frisch machen, das merkt niemand!«

»Aber dann muss ich ja alles doppelt kaufen!«, sage ich entgeistert.

»Besser dreimal«, meint Steffi, »dann bleibst du relaxed, auch wenn mal ein Fleck draufkommt.«

»Aber das ist doch viel zu teuer.« Im Secondhand-Laden gibt es schließlich nur Einzelstücke.

»Du willst doch Karriere machen, oder nicht?«, fragt Steffi drohend. »Dann musst du eben was investieren.«

»Ja«, erwidere ich kleinlaut und verabschiede mich, denn jetzt muss ich wirklich los, sonst komme ich noch zu spät.

 

Bei Müller gibt es hunderttausend Nagellacke, und ich arbeite mich durch verschiedene Rosétöne, bis die Farbe angeglichen und der Riss nicht mehr zu sehen ist.

Auf den letzten Metern bis zum Mediapark murmele ich mein Mantra vor mich hin: »Ich bin eine aufstrebende Karrierefrau, die freudestrahlend und pünktlich zur Arbeit erscheint. Ich bin aufgeschlossen und kommunikativ und liebe High Heels! Ich fühle mich damit erwachsen und dynamisch!«

Siehst du, klappt doch! Meine Füße in den High Heels tun immer noch weh, aber ich ignoriere es.

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3. Kapitel

Wir haben keine Lochkarten, aber im Foyer muss ich an der Chefsekretärin vorbei, und das ist noch viel schlimmer. Frau Spitz, die darauf besteht, gesiezt zu werden, hält alle Fäden in ihrer großzügig beringten Hand und kommandiert sogar den Chef herum. Er hält trotzdem große Stücke auf sie, weil sie nichts als Professionalität verströmt und ihm jeglichen Ärger vom Hals hält. Alles andere leider auch, sodass es außerordentlich schwer ist, einen Termin bei ihm zu vereinbaren, sogar für wichtige Kunden, aber da sie sowieso alles weiß, trifft sie die meisten Entscheidungen gleich selbst. In ihrer Brust tickt möglicherweise eine Swarovski-Uhr, aber ganz sicher kein Herz.

»Guten Morgen, Fräulein Berger«, sagt sie, ohne die Augen zu heben, »heute mal wieder pünktlich, wie schön. Bereits zum zweiten Mal in Ihrer kurzen Karriere hier.«

»Hm, ja, guten Morgen«, erwidere ich schnell und schleiche an ihr vorbei in mein Büro. Eigentlich wollte ich mir noch ein Glas Wasser holen, aber ich traue mich nicht noch mal am Empfang vorbei. Außerdem bin ich höchstens zwei- oder dreimal zu spät gekommen, und eigentlich geht das die Alte gar nichts an.

Als ich in unser Büro komme, hocken Susanna und Agnes an Susannas PC und stecken die Köpfe zusammen. Da ich das gewohnt bin, gehe ich einfach zu meinem Schreibtisch und fahre den Computer hoch.

»Möchtest du keinen Kaffee?«, fragt Susanna plötzlich relativ freundlich.

»Ach danke, heute nicht«, antworte ich und komme mir sehr überlegen vor.

»Sehr vernünftig«, meint Agnes, »manche Leute vertragen Koffein einfach nicht. Es macht sie blass und irgendwie unattraktiv.«

»Nur weil dir von Kaffee plötzlich schlecht wird, sollen wir auch keinen mehr trinken, oder was?«, fragt Susanna bissig.

Offenbar ist doch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen zwischen meinen Kolleginnen, obwohl sie dauernd zusammenglucken.

»Dich meine ich nicht«, versichert Agnes ihr schnell, »dir steht dieses Schneewittchenhafte richtig gut. Ehrlich, du siehst super aus.«

»Danke, dir stehen deine neuen Rundungen auch richtig gut. Andere Frauen wirken einfach nur fett, wenn sie mal ein Kilo zunehmen.«

Weil mir keine passende Bemerkung einfällt, sage ich gar nichts, sondern zupfe an meinem engen Reißverschluss herum und rufe meine E-Mails ab.

»Termin bei Herrn Dr. Bodenkampp um 10 Uhr!«, lautet der Betreff der letzten Mail von Frau Spitz. In der E-Mail selbst steht nur pünktlich!!! mit drei Ausrufezeichen.

Dann sortiere ich meine Post, die zugegebenermaßen nur aus drei Briefen besteht. Das Erste ist die Einladung zu einer Pressekonferenz der mittelständischen Handelskammer am 10. Oktober. Das Zweite ist eine Pressemitteilung über rostfreie Dachrinnen samt beigefügter CD mit hochauflösenden Fotos und der Bitte um eine kostenlose Veröffentlichung.

Das Dritte ist ein begeisterter Leserbrief, der meinen Artikel über glückliche Gärten in höchsten Tönen lobt. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ein Herr Dr. Sperling meinen lyrischen Stil und die Schärfe meiner Beobachtungsgabe rühmt. Endlich mal jemand, der mein Potenzial erkennt! Obwohl ich eigentlich nur ein paar Phrasen à la »Auftanken mit allen Sinnen« und »Seele baumeln lassen« gedroschen habe. Na ja, oft kommt es nur darauf an, die Floskeln in den richtigen Zusammenhang zu stellen.

»Du sollst um zehn zum Chef kommen«, informiert mich Susanna dann noch mal.

»Ja, danke, das weiß ich schon.«

Auf einmal bin ich ganz ruhig und zuversichtlich. Ich bin eine talentierte Nachwuchsredakteurin und hole mir gleich ganz lässig meinen Vertrag.

»Wir haben uns jetzt übrigens für Lavendel entschieden«, meint Agnes. »Lavendel ist das neue Grün.«

»Wie bitte?«, frage ich nach, falls das an mich gerichtet war. Ich bin ja schließlich kommunikativ und aufgeschlossen.

»Fürs Kinderzimmer«, erklärt sie, »das ist so androgyn, das geht gleichermaßen für Jungen wie Mädchen.«

»Ach so. Ich dachte, ihr kriegt eine Tochter?«, fragt Susanna.

»Wir wissen ja erst nach der Fruchtwasseruntersuchung hundertprozentig, dass Krümeline ein Mädchen ist, obwohl sie mir das feinstofflich schon deutlich übermittelt hat.«

Au Backe, die Alte hat einen kompletten Schuss weg. Die würde sich gut mit Mama verstehen. War die vorher schon so, oder sind das die Hormone?

Ich verdrehe die Augen nur ein ganz kleines bisschen, aber Susanna sieht mich böse an.

»Wir alle fiebern mit, wenn das Wunder des Lebens sich ereignet«, sagt sie streng, »freust du dich denn gar nicht auf Krümelines Geburt? Ach so, bis dahin bist du nicht mehr hier, heute ist ja dein letzter Tag.«

»Heute ist der letzte Tag meines Praktikums, das stimmt«, sage ich so würdevoll wie möglich, »was nicht unbedingt bedeutet, dass ich nicht mehr wiederkomme.«

»Glaub bloß nicht, du könntest Agnes verdrängen. Die bleibt noch mindestens bis Januar hier. Oder, Agnes?«

Agnes nickt und rennt aufs Klo, um sich zu übergeben.

»Das Fräulein Berger soll jetzt sofort zum Chef kommen!«, ruft Frau Spitz durch die geöffnete Tür. Es ist zwar erst zwanzig vor zehn, aber das Fräulein Berger ist froh, dem Gemisch aus Feindseligkeit und Hormonen zu entkommen, und erhebt sich folgsam.

 

Ich bin immer etwas nervös, wenn ich das Chefbüro betrete, obwohl Herr Bodenkampp eigentlich immer nett zu mir war. Aber hier ist alles aus Leder und Glas, und irgendwie befürchte ich ständig, auf einen Designerteppich oder in ein Fettnäpfchen zu treten.

Leider ist Pierre ebenfalls anwesend und sitzt bereits selbstgefällig auf dem Sofa, vor sich auf dem Glastischchen einen extra starken Espresso. Bodenkampp bedeutet mir freundlich, neben ihm Platz zu nehmen.

»Also Frau Berger, Sie sind ja nun schon einige Zeit bei uns.«

»Zwei Monate«, präzisiert Pierre.

»Und, wie hat sie sich gemacht?«, richtet der Chef das Wort an Pierre.

»Nun ja, sie hat sehr, wie soll ich sagen, zielgerichtet und nachhaltig gearbeitet«, sagt Pierre bissig, »besonders zielgerichtet in Bezug auf Frau Buchners Elternzeit.«

Oha, offenbar hat Agnes sich bei ihm über mich beschwert.

»Darin kann ich nichts Negatives sehen«, bemerkt Herr Bodenkampp ungerührt. »Wir schätzen Mitarbeiter, die sich engagieren und selbstständig arbeiten«, jetzt wendet er sich an mich, »aber Sie wissen sicherlich, dass die wirtschaftliche Situation momentan alles andere als rosig ist?«

»Ja, das weiß ich.« Wenn er mich nicht behalten möchte, warum redet er dann so lange herum?

»Aber Sie haben Ihre Sache wirklich gut gemacht. Wenn man bedenkt, dass Sie praktisch keine Erfahrung mitbringen.«

»Na ja, immerhin habe ich jahrelang die Schülerzeitung geleitet, und im Unimagazin hatte ich auch regelmäßig Rezensionen.«

»Die Schülerzeitung, ja, ja, aber in der freien Wirtschaft ist die Situation natürlich etwas anders.«

»Natürlich«, erwidere ich kleinlaut.

»Aber ich sehe Potenzial in Ihnen. Ihr Artikel über die Fußbodenleisten war wirklich beeindruckend.«

Oh, den hatte ich ja ganz vergessen. Das war eigentlich nur eine Zusammenfassung von drei Werbetexten, die ich als Schreibübung umformuliert hatte und die in letzter Minute als Lückenfüller herhalten musste.

»Daher haben wir uns entschlossen«, er macht eine wirkungsvolle Pause, »Ihnen ab Oktober …« Ich halte die Luft an. »… ein bezahltes Praktikum anzubieten.«

Wie bitte?

»Sie meinen, ich soll mich weiterhin …« schikanieren und blöd anreden lassen, denke ich, aber ich sage nur lahm »… bei Ihnen engagieren, aber jetzt wollen Sie mich dafür bezahlen?«

»Richtig!« Er strahlt.

Das muss ich erst mal verdauen. Ich schaue zu Pierre, der so offenkundig grinst, dass ich wütend werde. Warum will er mir den Job nicht gönnen, den Agnes doch sowieso nicht mehr braucht? Warum geht sie nicht heim und kotzt in ihr lavendelblaues Babybett?

»Ihr Aufgabengebiet wäre weiterhin die Pflege der verlagseigenen Homepage, gemeinsam mit Frau Fuchs, hinzu kommt eine verantwortungsvolle Tätigkeit im Versand.«

Dieser Tätigkeit habe ich bereits zweimal beigewohnt, sie besteht im Etikettieren und Sortieren von Umschlägen nach Postleitzahlen, wobei Dörte mir ständig unterstellte, die Reihenfolge der Ziffern von eins bis neun nicht zu kennen.

»Kann ich auch eigene Artikel schreiben?«

»Sicher, sicher, nur immer weiter wie bisher«, sagt Bodenkampp geistesabwesend und fummelt an seinem iPhone herum. Offenbar ist das Gespräch für ihn beendet.

»Und Themen vorschlagen?«

»Sie werden Frau Graber in jeder Hinsicht tatkräftig unterstützen«, murmelt er und wischt wild auf dem Touchscreen herum.

»Wieso geht mein WhatsApp nicht auf?«, fragt er anklagend an Pierre gewandt, der sich beeilt, ihm zu helfen.

Ich schlucke und habe nur noch eine Frage. »Erklärt mir jetzt auch jemand die Kaffeemaschine?«

»Ja, hatten Sie denn keine Einweisung? Das sollte Frau Fuchs doch am ersten Tag machen, damit Sie die nicht dauernd bei der Arbeit stören!«

»Das hat sie wohl vergessen«, erwidere ich mit zusammengepressten Zähnen, und dann sage ich nichts mehr.

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4. Kapitel

Ich sitze im Mediapark am See und trinke meinen dritten Coffe to go. Die Sonne scheint so trügerisch aufs Wasser, als hätten wir Hochsommer und nicht beinahe schon Oktober. Ich ziehe die blöden High Heels aus und lasse meine Füße ins Wasser hängen.

Was für ein schöner Tag das hätte sein können! Jan und ich hätten richtig schick essen gehen und uns dann romantisch mit einer Flasche Wein an den Rhein setzen können. Oder wir hätten uns im Bett verschanzt, uns chinesisches Essen bestellt und seine Mitbewohner mit unzüchtigen Geräuschen vergrault.

Ehrlich gesagt haben wir schon lange nichts so richtig Besonderes mehr zusammen gemacht, bloß irgendwie nebeneinander die Zeit abgesessen. Einen Grund zum Feiern hätten wir wirklich gut gebrauchen können. Stattdessen muss ich ihn jetzt anrufen und ihm meine Niederlage gestehen.

 

Er geht erst nach dem sechsten Klingeln ans Telefon.

»Was is’?«, fragt er verschlafen. Ich bin sauer.

»Du wolltest dir doch den Wecker stellen.«

»Ich bin doch wach.«

»Ja, seit einer Minute«, fauche ich.

»Und, hast du den Job?«

Wie schön, dass er sich doch noch daran erinnert, welch wichtiger Tag heute für mich ist.

»Wie man’s nimmt. Wenn du wissen möchtest, ob ich weiterhin Pressemeldungen formatieren darf, Bingo! Außerdem wird mein Aufgabenbereich insofern erweitert, als ich mir nun auch selbstständig einen Kaffee holen darf. Ach ja, und ich bekomme 3,70 Euro die Stunde.«

»Wie darf man das verstehen?«

»Das darf man so verstehen, dass sie mein Praktikum verlängert haben. Wenn ich mich bewähre«, zische ich, »dann reden wir in sechs Monaten noch mal über eine Festanstellung.«

»Ich weiß nicht, was du hast, das klingt doch nicht schlecht.«

»Die wollen mich doch bloß ausnutzen! Was soll ich denn bitte schön in den sechs Monaten noch beweisen? Dass ich für sechshundert Euro im Monat effektiver arbeite als umsonst?«

»Reg dich ab, Noreen. Du als Berufseinsteigerin kannst nicht erwarten, dass sie dir gleich die Superjobs nachwerfen. Offenbar sind sie doch mit dir zufrieden.«

»Das können sie auch sein, nachdem ich den ganzen Sommer über Vollzeit umsonst für sie gearbeitet habe! Die haben mir noch nicht mal die Fahrkarte bezahlt!«

»Ja und? Deine Eltern werden dich die paar Monate doch noch unterstützen.«

»Die paar Monate, bis ich arbeitslos werde, meinst du?«, frage ich zynisch.

»Nein, das meine ich nicht. Vielleicht bieten sie dir dann ja eine richtige Stelle an.«

»Das glaube ich weniger. Frau Spitz hat mir den Vertrag zur Unterschrift hingelegt, und als ich gesagt habe, dass ich gerne bis Montag drüber nachdenken würde, meinte sie nur, dass die Praktikantinnen hier Schlange stünden und ich jederzeit ersetzbar sei.«

»Jeder ist überall ersetzbar.«

»Was soll das denn jetzt heißen?« Der Typ hat wirklich keine Ahnung, wie man mit Frauen umgeht.

»Ich glaub, wir reden lieber später weiter. Im Moment kann man dir echt nichts recht machen.«

»Doch, wenn man mir eine Festanstellung gibt.«

»Dann bewirb dich für ein richtiges Volontariat«, meint er ungerührt, »sonst fasst du niemals Fuß in der Branche!«

»Als hättest du irgendeine Ahnung vom Journalismus.«

»Aber du. Wenn es sonst nichts gibt, würde ich gerne noch ’ne Runde schlafen. Kommst du später vorbei?«

»Weiß noch nicht, mal sehen.«

Ich lege wütend auf.

Irgendwie habe ich überhaupt keine Lust mehr, mich heute mit Jan zu treffen, und zu feiern gibt es ja wohl auch nichts.