Glück. Spiel. Mord. - Liv Morus - E-Book

Glück. Spiel. Mord. E-Book

Liv Morus

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Beschreibung

Eine junge Frau wird tot aus der Isar geborgen, Kriminalhauptkommissar Henri Wieland ermittelt mit seinem Team. Die erste Spur führt in die nahegelegene Spielbank. Auch Journalistin Elisa Gerlach forscht nach. Sie steckt bald in ihrer Recherche fest. Nachdem sie Henri einen Korb gegeben hat, erhält sie keine Informationen von ihm. Henri spürt mit seinem Team schnell einen Verdächtigen auf, der Fall scheint gelöst. Doch dann bekommt Elisa einen Tipp: In der Spielbank geht nicht alles mit rechten Dingen zu ...

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Über das Buch

Eine junge Frau wird tot aus der Isar geborgen, Kriminalhauptkommissar Henri Wieland ermittelt mit seinem Team. Die erste Spur führt in die nahegelegene Spielbank. Auch Journalistin Elisa Gerlach forscht nach. Sie steckt bald in ihrer Recherche fest. Nachdem sie Henri einen Korb gegeben hat, erhält sie keine Informationen von ihm. Henri spürt mit seinem Team schnell einen Verdächtigen auf, der Fall scheint gelöst. Doch dann bekommt Elisa einen Tipp: In der Spielbank geht nicht alles mit rechten Dingen zu ...

Über die Autorin

Liv Morus wuchs im Rheingau auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von München, wo auch ihre Krimireihe um Journalistin Elisa Gerlach und Kriminalhauptkommissar Henri Wieland angesiedelt ist. Mehr auf www.livmorus.de.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Teil 5

Teil 6

Teil 7

Teil 8

Teil 9

Prolog

Als seine Mutter an die Tür klopfte, ahnte er nicht, dass das einer der letzten Momente war, in dem er alles unter Kontrolle hatte. Sie klopfte leise und zögerlich. Er ließ sie ein paar Augenblicke warten, bevor er ihr erlaubte hereinzukommen.

»Schätzchen, ich will dich nicht stören«, sagte sie mit Blick auf das Comicheft in seiner Hand. »Ich möchte dich nur um etwas bitten ...«

Sie setzte sich auf die Bettkante und strich ein paar Falten in der Tagesdecke glatt.

»Es ist so ...« Sie schluckte, suchte nach Worten, doch er dachte nicht daran, es ihr leichter zu machen. Stattdessen runzelte er die Stirn, wie es sein Vater immer getan hatte. Sofort senkte sie den Blick. Sie hatte reichlich blauen Lidschatten aufgetragen.

»Ich nehme an, dass Herr Schneider nach dem Essen noch auf ein Glas Wein bleibt ... wenn du ins Bett musst ...« Sie zögerte, holte dann tief Luft. »Du kannst heute nicht in meinem Bett schlafen, Schätzchen ...«

Ihre Worte klangen bittend.

»Dein Chef wird nicht hier übernachten, oder?«

»Nein!«, wehrte sie ab. »Auf keinen Fall! Aber er würde es merkwürdig finden, wenn ich dich in meinem Schlafzimmer ins Bett bringe.«

»Merkwürdig? Warum?«

»Schätzchen, er hat keine Kinder. Er versteht das nicht ... na ja ... außerdem bist du jetzt schon zwölf Jahre alt ...«

»Na und?«, unterbrach er sie mit lauter Stimme und genoss ihr Zusammenzucken. »Wenn ich in deinem Bett schlafen will, dann schlafe ich in deinem Bett.«

»Nur heute, Schätzchen. Es ist doch nur dieses eine Mal. Mir zuliebe.« Jetzt bettelte sie. Sie wollte unbedingt einen guten Eindruck bei ihrem Chef hinterlassen. Als sein Vater sie verlassen hatte, war sie zuerst putzen gegangen. Aber ihre Hände hatten die harte Arbeit und das Wasser nicht vertragen. Sie konnte keine Putzhandschuhe tragen, von dem Plastik bekam sie rote Pusteln. Ihre Finger waren nicht mehr glatt und gepflegt, sondern rau und blutig. Erst als sie anfing, für Herrn Schneider die Buchhaltung zu machen, fühlten sich ihre Hände wieder besser an.

Sie sah ihn erwartungsvoll an, die blauen Augen weit aufgerissen. Er ließ sie noch ein wenig zappeln.

»Bitte, Schätzchen.« Sie streckte die Hand aus und strich über seinen Oberschenkel. Der Ärmel ihrer Bluse rutschte zurück und er konnte blaue Flecken an ihrem Unterarm sehen. War sein Vater zurückgekommen? Für einen Moment verwirrte ihn dieser Gedanke so, dass er ihrem Betteln nachgab.

»Wenn es dir so wichtig ist ...«

Sie umarmte und küsste ihn.

»Ich wusste, dass du das verstehst, Schätzchen.« Ihre Augen leuchteten dankbar, sie strich ihm übers Haar, wurde mutig. »Vielleicht könntest du dich kämmen und ordentliche Kleidung anziehen ...?«, fragte sie mit einem unsicheren Lächeln.

Sie mochte seine weiten Hosen, deren Schritt zwischen den Kniekehlen hing, nicht, aber sie wagte nur selten, etwas dagegen zu sagen. Auch jetzt genügte ein leichtes Stirnrunzeln und sie lenkte ein.

»Du musst natürlich nicht ... Es wäre nur schön ...«

Sie strich noch mal über seinen Schenkel. Als es klingelte, zuckte sie zusammen. Sie warf einen Blick auf die Uhr.

»Oh!«, stieß sie aus. »Das ist er schon!«

Sie sprang auf und lief aus dem Zimmer. Er konnte das Quietschen der Wohnungstür hören, gleich darauf die tiefe Stimme eines Mannes und das verlegene Gekicher seiner Mutter. Ohne Eile schob er sich vom Bett. Er verwuschelte das Haar, das sie glattgestrichen hatte. Erst dann ging er hinaus in den Wohnungsflur. Neben seiner Mutter stand ein mittelgroßer Mann mit Bauchansatz und breitem Schnurrbart. Niemand der einem auffallen würde. Das einzig Bemerkenswerte an ihm war der riesige Blumenstrauß, den er in der Hand hielt. Der war gigantisch und hatte mindestens einen Fünfziger gekostet.

»Ist der für mich?«, flüsterte seine Mutter gerade und schlug die Hand vor den Mund. Sie war beeindruckt. Zu ihm sagte sie immer, dass er sein Taschengeld nicht für so etwas Kurzlebiges ausgeben sollte, wenn er ihr einen Bund Blumen aus dem Supermarkt mitbrachte.

»Natürlich!« Herr Schneider lachte dröhnend. »Ein kleiner Blumengruß für die Hausfrau ist ja selbstverständlich, wenn man zum Essen eingeladen wird.«

Sie wurde rot und nahm die Blumen entgegen. »Danke, Karl!«

Karl also, nicht mehr Herr Schneider.

Er schob sich durch den Flur und baute sich neben seiner Mutter auf. Herr Schneider ließ sich von seinem abweisenden Gesichtsausdruck nicht irritieren, sondern schüttelte ihm die Hand wie unter Männern.

»Das ist also der Sohnemann, von dem ich so viel gehört habe«, sagte er und musterte ihn von oben bis unten. »Du bist ja schon ein richtig großer Junge!«

Er zuckte mit den Schultern. Was sollte man auf solchen Blödsinn antworten? Seine Mutter stieß ihn leicht an.

»Sag doch mal Hallo«, forderte sie ihn auf.

»Hallo.«

Sie strich ihm die Haare glatt, bis er unter ihrer Hand wegtauchte, worauf sie nervös auflachte.

»Ich werde mal die Blumen in eine Vase stellen.« Sie drückte den Strauß an sich. »Oh! Ich hab ja meine Kochschürze noch umgebunden.«

Mit einer Hand balancierte sie den Blumenstrauß, mit der anderen versuchte sie, die Schleife am Rücken zu lösen. Karl trat zu ihr.

»Ich helfe dir.« Er löste die Bänder und fuhr vollkommen überflüssig mit der Hand einmal um ihre Taille. »Obwohl ich finde, dass die Schürze dir gut steht«, raunte er ihr halblaut ins Ohr und kniff sie in den Hintern. Sie kicherte und verschwand in der Küche.

Karl war kein bisschen verlegen. Er grinste ihm zu und inspizierte dann ungeniert die Wohnung. Viel gab es nicht zu sehen. Das Wohnzimmer mit der abgewetzten Couch, das kleine Schlafzimmer seiner Mutter, das von dem Bett vollkommen ausgefüllt wurde, weshalb sie ihre Kleider in einem Schrank im Flur unterbringen musste, und schließlich das winzige Bad mit den braungemusterten Kacheln und dem orangefarbenen Duschvorhang.

»Jetzt weiß ich, was du gemeint hast!«, rief Karl zu seiner Mutter in die Küche. »Ihr lebt hier wirklich beengt.«

»Für uns beide reicht es!«, fuhr er Karl an. Was bildete der Typ sich eigentlich ein?

Er versperrte Karl den Weg in sein eigenes Zimmer, doch Karl trickste ihn aus, indem er auf dem Rückweg zur Küche zwei schnelle Schritte zur Seite machte, um den letzten Raum auch noch anzusehen.

»Da hast du ja das größte Zimmer abbekommen, Junge«, stellte Karl fest, als sein Blick über die Wände glitt, die seine Mutter sorgfältig mit der Schwammtechnik blau gefärbt hatte, wie es sein Wunsch gewesen war.

»Meine Mutter fand, dass ich dort die meiste Zeit verbringe ...« Er brach ab. Warum rechtfertigte er sich überhaupt? Wie er und seine Mutter hier wohnten, ging Karl nicht das Geringste an.

Karl bemerkte seine Feindseligkeit nicht. Oder er ignorierte sie.

»Würdest du nicht lieber auch in einem Haus leben? Mit richtig großen Zimmern und einem Garten?«, fragte er und ging in die Küche, wo seine Mutter die Blumen auf dem Esstisch platzierte. Ihre Vase war für den Strauß nicht groß genug, am Rand waren bereits einige Blumenstiele abgeknickt.

Sie hatte Karls Worte gehört.

»Karl hat ein riesiges Haus mit einem wunderschönen Garten«, sagte sie.

Woher wusste sie das? War sie dort gewesen? Wann? Und warum hatte sie ihm nichts davon erzählt? Er musste sich umdrehen, um seine Wut zu verbergen. Sein Blick fiel auf die beiden großen Töpfe auf dem Herd. Im Ofen darunter brannte kein Licht.

»Gibt es keine Lasagne?«, fragte er seine Mutter. Er hatte sich Lasagne gewünscht. Sie wich seinem Blick aus.

»Es gibt Gulasch und Knödel, das magst du doch auch ...«, setzte sie an, doch Karl unterbrach sie.

»So ein Kinderessen ist nichts für eine Einladung«, erklärte er. »Ich bin überzeugt davon, dass deine Mutter eine gute Köchin ist. Und dann soll sie ihre Kunst auch zeigen!« Er trat an den Herd. »Es riecht hervorragend. Gulasch war schon immer mein Lieblingsessen.« Karl lächelte seiner Mutter zu. »Damit machst du mir eine Riesenfreude.«

»Gerne.« Sie wurde wieder rot, wich nun ihnen beiden aus.

»Die Knödel sind fertig.«

Sie schöpfte sie aus dem Wasser und legte sie auf eine Platte.

»Lass mich dir helfen«, sagte Karl. Er nahm ihr die Platte ab und stellte sie auf den Tisch.

»Machst du bitte den Wein auf?« Sie reichte ihm die Flasche und einen Korkenzieher. Karl strich ihr über den Arm, bevor er nach der Flasche griff. Es war, als wären die Erwachsenen allein.

»Setz dich doch, Schätzchen«, forderte ihn seine Mutter auf.

Er ließ sich auf seinen angestammten Platz sinken, obwohl dort ein Weinglas stand. Seine Mutter sagte nichts. Sie nahm die Weingläser vom Tisch und reichte sie Karl zum Eingießen.

»Prost!«

»Prost!«

Erst als die Erwachsenen mit ihrem albernen Anstoßen fertig waren, verteilte seine Mutter das Essen. Karl ließ sich eine große Portion geben und geriet nach der ersten Gabel ins Schwärmen.

»Das schmeckt ganz hervorragend! Wusste ich doch, dass du eine tolle Köchin bist!«

»Danke!«

Erneutes Zuprosten über den Tisch hinweg. Und wieder dieses lächerliche Gekicher. Er schob sich das Essen schweigend in den Mund. Karl sah ihn tadelnd an.

»Wo sind deine Manieren? Willst du deiner Mutter nicht für dieses leckere Essen danken?«

Er hatte sich noch nie fürs Essen bedankt und er würde sicher jetzt nicht damit anfangen.

»Karl, lass doch den Jungen ...«

»Aber das ist das Mindeste, nachdem du dir so viel Mühe mit dem Kochen gegeben hast!«

»Das mache ich gerne!«, sagte sie schnell und wechselte das Thema. »Möchtest du Karl nicht ein bisschen von der Schule erzählen, Schätzchen?«

»Was soll ich denn von der Schule erzählen?«

»Sei nicht so bescheiden! Er ist so gut in Mathematik, dass er den Kopfrechenwettbewerb gewonnen hat.«

Karl nickte beifällig.

»Sehr gut!«, sagte er. »Und wie steht es in den anderen Fächern?«

»Befriedigend«, antwortete seine Mutter nach kurzem Zögern, als er keine Anstalten machte, Karls Frage zu beantworten. »In manchen Fächern steht er auf Ausreichend, aber da hat er auch merkwürdige Lehrer.«

Karl zog die Augenbrauen hoch.

»Auf was für einer Schule bist du denn?«

Wieder ließ er seine Mutter antworten.

»Auf dem Gymnasium«, sagte sie nicht ohne Stolz in der Stimme.

»Auf einem staatlichen?«

»Ja.« Sofort wurde sie unsicher. »Ist das nicht gut?«

Karl wiegte den Kopf hin und her.

»Ich kann natürlich nicht beurteilen, wie gut er dort gefördert wird. Das sind meistens riesige Klassen mit viel zu vielen Schülern, wo ein Kind leicht untergehen kann, wenn seine Talente nicht erkannt werden.«

»Oh.« Seine Mutter sah fragend von Karl zu ihm und wieder zurück zu Karl.

Was wollte der Typ?

»An meiner Schule ist alles bestens«, platzte er heraus.

»Aber hast du nicht erst letzte Woche gesagt, dass es furchtbar laut in der Klasse ...«, wandte seine Mutter ein.

»Nein!«, fuhr er ihr über den Mund. »Alles bestens.«

Karl zog demonstrativ die Augenbrauen in die Höhe und sah zu seiner Mutter. Sie senkte den Blick, doch Karl ließ nicht locker.

»Ist das der Ton, in dem du mit deiner Mutter sprichst?«

Karl würde sich umschauen, wenn er wüsste, in welchem Ton er sonst mit seiner Mutter sprach.

»Ich weiß nicht, was Sie das angeht.« Er funkelte Karl wütend an und wünschte ihn auf den Mond. Seine Mutter schnappte laut nach Luft.

»Schätzchen, so kannst du nicht mit unserem Gast sprechen! Ich möchte, dass du dich entschuldigst!«

»Er muss sich nicht bei mir entschuldigen, sondern bei dir.« Karl ergriff die Hand seiner Mutter und drückte sie mitfühlend. »Das war absolut respektlos!«

Auf keinen Fall würde er sich entschuldigen! Er schob den Stuhl zurück. Und wenn der Typ tausendmal der Chef seiner Mutter war, keiner konnte ihn zwingen, länger mit ihm an einem Tisch zu sitzen.

»Ich bin satt«, sagte er und ging in sein Zimmer. Er schlug die Tür hinter sich zu, damit seine Mutter wusste, dass er enttäuscht von ihr war. Normalerweise kam sie schnell angekrochen und lenkte ein. Diesmal würde er sie aber erst reinlassen, wenn sie diesen nervigen Typen rausgeworfen hatte.

Er wartete. Er konnte Karls laute Stimme aus der Küche hören, dazwischen das Gegurre seiner Mutter, die besänftigend auf ihn einredete.

»Er meint es doch nicht so ...«

»Das ist einfach nur respektlos! Niemals hätte ich gewagt, so mit meiner Mutter zu sprechen!« Karls Stimme überschlug sich. »Noch dazu, wo du dich so abrackerst, um euch ein schönes Leben zu ermöglichen.«

»Er macht eine schwierige Phase durch.«

»Das mag sein, aber das ist kein Grund dafür, sich dir gegenüber so zu verhalten. Mir scheint, du lässt ihm zu viel durchgehen, hast ihn zu sehr verwöhnt ...«

»Meinst du?«

»Ich mache dir keinen Vorwurf, ich verstehe ja, dass du das aus Liebe zu ihm getan hast. Aber ich glaube, es ist an der Zeit, dass der Junge an die Kandare genommen wird.«

»An die Kandare ...?«

»Er braucht eine feste Hand, die ihn führt. Er muss lernen, was richtig und was falsch ist. Er muss Respekt lernen und er muss lernen, sich unterzuordnen. Sonst tanzt er dir nur auf der Nase herum.« Ein Stuhl wurde über den Boden gerückt. »Du bist so eine liebevolle, gute Frau.«

Küsste er sie jetzt etwa? Aus der Küche war nichts mehr zu hören, so sehr er auch das Ohr gegen das Schlüsselloch presste. Warum schickte seine Mutter Karl nicht einfach nach Hause? Gefiel ihr das Geschleime etwa?

Wieder wurde ein Stuhl gerückt, dann hörte er ganz leise die Stimme seiner Mutter.

»Was soll ich denn tun?«

»Als Jugendlicher hatte ich auch so eine schwierige Phase.« Karl räusperte sich. »Meine Eltern haben mich in ein Internat geschickt, eine reine Jungenschule. Da wurden mir die Flausen schnell ausgetrieben.«

»Ein Internat? Aber das kann ich mir nicht leisten.«

Hallo? Das war ja wohl nicht der Punkt!

Er merkte, wie es in ihm zu kochen begann. Sein Atem war plötzlich so laut, dass er Mühe hatte, die Stimmen in der Küche zu verstehen.

»Ich war auf einem kirchlichen Internat«, sagte Karl. »Das hat nicht viel gekostet. Und wenn er in Mathematik gut ist, bekommt er vielleicht ein Stipendium.«

»Meinst du?«

Sie dachte nicht ernsthaft darüber nach?!?

Am liebsten wäre er in die Küche gestürmt und hätte ihnen seine Meinung gesagt, aber er wusste, dass es leichter war, seine Mutter zu kontrollieren, wenn er selbst ganz ruhig blieb. Er würde sie sich vornehmen, wenn Karl weg war.

Doch Karl schien nicht die Absicht zu haben, bald zu gehen. Zuerst säuselte er seiner Mutter noch eine Weile Komplimente ins Ohr, dann erbot er sich zu spülen und nötigte sie dazu, es sich währenddessen auf der Couch bequem zu machen. Das Ploppen eines Korkens verriet, dass Karl eine weitere Flasche Wein aufgemacht hatte. Aus dem Wohnzimmer war nur noch leises Stimmengemurmel zu hören.

Seiner Mutter schien es egal zu sein, ob er sich vor dem Zubettgehen die Zähne putzte. Sonst war ihr das so wichtig, dass sie deshalb sogar gelegentlich einen Streit mit ihm anfing. Doch an diesem Abend lullte Karl sie vollkommen ein.

Er schreckte aus dem Halbschlaf hoch, als er ihre Stimmen vor seiner Zimmertür im Flur hörte. Seine Mutter kicherte, sie hatte zu viel Alkohol getrunken.

»Aber nein ... das geht nicht«, murmelte sie und lachte leise. »Der Junge ...«

Durch das Schlüsselloch sah er, wie Karl sie fest um den Arm fasste und sie an sich zog. Er küsste sie und griff mit der anderen Hand nach ihrem Hintern.

»Du willst mich doch nicht etwa wegen des Jungen rauswerfen«, sagte er und den drohenden Unterton in seiner Stimme konnte selbst seine betrunkene Mutter nicht überhören. Sie sah Karl für einen Moment unsicher an.

»Nein ... natürlich nicht ... es ist nur so ...«

Karl packte fester zu und schob seine Mutter zum Schlafzimmer.

»Dann ist ja alles gut«, erklärte er und klang zufrieden.

Vor der Tür war nichts mehr zu sehen, doch die Wände waren dünn und er konnte gleich darauf hören, was im Nebenzimmer vor sich ging. Das Stöhnen seiner Mutter, die Befehle von Karl, sein Keuchen, das Klatschen seiner Hand auf der Haut seiner Mutter, ihre Schreie. Sie wollte es ja nicht anders. Sie hatte es nicht anders verdient.

Sein Vater hatte recht gehabt. Sie war eine Hure wie jede andere Frau auch. Er würde sich nicht anmerken lassen, wie enttäuscht er war über ihre Schwäche. Wenn sie angekrochen kam, würde er sie mit Verachtung strafen. So wie sein Vater es auch getan hatte.

Doch er konnte nicht verhindern, dass ihm Tränen über das Gesicht liefen, als er die Stimmen aus dem Nebenzimmer hörte.

»Sag es!«

Sie wimmerte.

»Sag es!«

»Ich ...« Ihre Stimme war nur ein Flüstern.

»Ich kann dich nicht hören. Sag es laut!«

»Ich liebe dich!«

»Ich kann dich nicht hören«, wiederholte Karl. »Sag es laut!«

»Ich liebe dich!«

Er zog sich das Kissen über den Kopf und bedeckte die Ohren, doch ihre Stimme, die Worte, der Tonfall brannten sich in sein Gedächtnis. Er empfand Ekel, Scham und Verachtung.

Und gleichzeitig war er so erregt wie nie zuvor in seinem zwölfjährigen Leben.

Teil 1

Als Sarah Peschke mit der Rolltreppe auf Straßenniveau angekommen war, bog sie nach rechts ab. Der Eingang zum Rechts der Isar war bei den Bäumen, die ein Stück weiter die Straße entlang hinter den Häusern hervorragten. Die Sonne strahlte vom Himmel. Eigentlich hätte sie jetzt noch in der Wäscheabteilung des Oberpollingers stehen müssen. Aber heute war sie früher gegangen. Carola durfte sich mit der unangenehm lauten Kundin herumschlagen, die nicht einsehen wollte, dass sie bei Konfektionsgröße 46 angekommen war.

Doch Sarah hatte keine Zeit, den warmen Sommertag zu genießen. Vielleicht konnten Marcel und sie nach dem Gespräch noch in den Biergarten gehen, falls seine Schmerzen ihn nicht mehr so plagten. Sie eilte die Ismaninger Straße entlang, lief neben der Auffahrt hoch zum Eingang und betrat die Klinik. Sarah schwitzte.

»Ich möchte zu Professor Winter, mein Mann hat dort einen Termin«, sagte sie zu einer der Damen an der Information. Die Frau reichte ihr einen Übersichtsplan des Klinikums und markierte darauf ein Gebäude.

»Sie müssen diesen Gang entlang nach links gehen«, sie zeigte den Weg auf dem Plan an, »dann hier abbiegen und dann noch mal hier, dann sind Sie im Haus 6 angelangt.«

Urologische Klinik stand auf dem Plan neben Haus 6.

»Das muss ein Irrtum sein!«, sagte Sarah. »Ich muss in die Orthopädie.«

»Professor Winter ist in der Urologie«, entgegnete die Pförtnerin sanft. »Wenn Sie dort einen Termin haben, wird das schon seine Richtigkeit haben.«

Hatte Marcel sich geirrt? Er war in der Orthopädie untersucht worden, oder nicht? Sie hatten ihn stundenlang durchgecheckt, sogar eine Biopsie gemacht. Sarah war verunsichert. Seine Stimme hatte am Telefon so merkwürdig geklungen, als er sie gebeten hatte, ihn zu dem Gespräch mit dem Arzt zu begleiten. Er hatte nicht viel gesagt, nur dass man ihn angerufen hätte und ihn sprechen wollte, heute um 16 Uhr. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Fünf vor. Sarah nahm den Übersichtsplan.

»Danke.«

Als sie dem Weg folgte, den die Frau ihr gezeigt hatte, kam ihr ein junges Paar entgegen. Er hatte keine Haare auf dem Kopf und seine Haut sah grau aus. Die junge Frau schaute den Mann von der Seite an. Eine Träne lief über ihre Wange, er drückte sie fest an sich. Sie gingen an Sarah vorbei nach draußen. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, Sarah kam es vor, als könnten ihre Füße sich nur in Zeitlupe bewegen. Drei vor. Sie musste zu Marcel. Sarah rannte los. Ihre Absätze klapperten in einem schnellen Stakkato auf dem Linoleumboden.

Er saß in einem kleinen Wartebereich auf einem von mehreren Stühlen und wippte mit den Füßen.

»Marcel!«, rief Sarah.

Er sprang hoch und fing sie in seinen Armen auf. Drückte sie fest an sich, ließ sie nicht mehr los. Auch sein T-Shirt war nassgeschwitzt.

»Warum sollst du hierher in die Urologie kommen und nicht in die Orthopädie?«, fragte Sarah. »Was bedeutet das, Marcel?«

»Ich weiß es nicht. Bei der Untersuchung letzte Woche hatten sie am Ende auch einen Urologen hinzugezogen, aber sie haben gesagt, das sei nur Routine.«

Er ließ sie los, Sarah rückte ein Stück von ihm ab und sah erst jetzt, wie blass er war. Ihr Fels in der Brandung schwankte. Sie griff nach seiner Hand.

»Haben sie am Telefon nichts dazu gesagt?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nur den Termin und die Adresse. Und seitdem ...« Er brach ab.

Sarah beendete seinen Satz.

»Seitdem machst du dir Sorgen.«

Marcel nickte. Sie drückte seine Hand. Bei Marcel war das Glas immer halb leer.

»Warte doch erst mal ...«

Hinter Sarah ging eine Tür auf. Ein Arzt in Weiß sah heraus.

»Marcel Peschke?«, fragte er.

Marcel nickte.

»Das ist meine Frau Sarah.«

»Ich bin Professor Winter.«

Er gab ihnen die Hand und bat sie in sein Büro. Überall lagen Unterlagen, aber Sarah nahm die Unordnung kaum wahr. Sie versuchte, in der Miene des Arztes zu lesen, was er ihnen gleich sagen würde, doch sein Gesichtsausdruck verriet nichts. Er sah kühl und frisch aus, ihm schien die Hitze nicht so zuzusetzen wie ihr. Sarah merkte, wie ihr der Schweiß über den Rücken lief.

»Bitte nehmen Sie Platz.«

Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und zog einen zweiten dazu.

»Herr Peschke,« setzte Professor Winter an und nahm hinter dem Schreibtisch Platz, »die Kollegen aus der Orthopädie haben uns Ihren Fall übergeben, nachdem die Untersuchungen und die Laborwerte gezeigt haben, dass nicht Ihre Hüfte der Grund für Ihre Beschwerden ist. Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie Prostatakrebs haben, Herr Peschke.«

Das Wort hing im Raum, doch Sarah konnte seine Bedeutung nicht erfassen.

»Prostatakrebs?«, flüsterte Marcel ungläubig und räusperte sich. »Das bekommen doch nur alte Männer.«

Alter Mann sagte Sarah manchmal im Spaß zu Marcel, wenn er bei einem Oldie im Radio mitsang oder wenn er lieber den Abend vor dem Fernseher verbringen wollte als auszugehen. Sie war erst sechzehn gewesen, als sie sich kennengelernt hatten. Er war damals siebenundzwanzig.

Sarah griff nach seiner Hand, doch Marcels Blick war auf den Arzt fixiert. Der blätterte in den Papieren auf seinem Tisch.

»Sie sind ... äh ... 54 Jahre alt. Das ist tatsächlich früh, doch es kommt vor.«

»Aber ich habe Schmerzen in der Hüfte, nicht an der Prostata! Ich bin gestürzt. Ich hatte Blutergüsse ... hier war alles blau ... Das muss ein Irrtum sein!«

Marcel wollte es genauso wenig wahrhaben wie Sarah, seine Stimme zitterte. Professor Winter nickte behäbig.

»Ich weiß, dass eine solche Diagnose nicht leicht zu akzeptieren ist. Aber Sie müssen mir glauben, dass wir sie keineswegs leichtfertig stellen. Leider ist der Krebs schon in einem fortgeschrittenen Stadium. Die Kollegen aus der Orthopädie konnten Metastasen an der Wirbelsäule und im Becken ausmachen.«

Krebs. Fortgeschritten. Metastasen. Jedes einzelne Wort war wie ein Faustschlag in den Magen. Sarah wurde schlecht. Sie drückte Marcels Hand. Er sah sie an. Sein Blick war matt, gebrochen, ohne jede Hoffnung.

»Aber Sie können ihn doch heilen, oder?«, fragte Sarah den Arzt. »Wie werden Sie meinen Mann behandeln?«

Professor Winter legte die Fingerspitzen aneinander. Es sah aus, als ob er mit erhobenen Händen betete.

»Die Wahl der Behandlung liegt bei Ihnen ... Es gibt zwei Optionen ... operative Entfernung der Prostata ...«

»Entfernung ...«, echote Marcel.

»... mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung. Ich muss Ihnen allerdings gleich sagen, dass die Erfolgschancen in diesem fortgeschrittenen Stadium eher gering sind. Metastasen bilden sich ...«

»Was heißt gering? Wie groß sind die Erfolgschancen?«, hakte Sarah nach.

Der Arzt wich ihrem Blick aus, sah auf seine Unterlagen.

»Die Wahrscheinlichkeit, dass man vollkommen geheilt werden kann, liegt in diesem Stadium bei drei Prozent.«

»Bei drei Prozent!? Aber Sie haben doch gesagt, dass Sie eine Chemotherapie und Bestrahlungen machen. Damit verhindert man doch, dass sich der Krebs weiter ausbreitet, oder?«

Sarah merkte selbst, wie laut sie wurde. Professor Winter schien es ihr nicht übelzunehmen. Er nickte verständnisvoll.

»Wir müssen davon ausgehen, dass der Krebs bereits im ganzen Körper gestreut hat. Da wir jetzt Metastasen im Becken und an der Wirbelsäule feststellen können ...«

»Und was ist die andere Option neben OP, Chemotherapie und Bestrahlung?«, unterbrach Marcel den Arzt. »Sie haben gesagt, dass es zwei Optionen gibt.«

Professor Winter hielt seinem Blick stand, diesmal sah er nicht auf seine Unterlagen.

»Die zweite Option ist eine Palliativtherapie. Wir würden Ihnen die Schmerzen nehmen. Sie müssten sich nicht quälen.«

»Aber sterben würde ich.« Marcel sah Professor Winter immer noch in die Augen. »Sterben werde ich so oder so, nicht wahr?«

Sarah konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Eine Träne fiel auf ihren Rock.

»Leider kann ich Ihnen nicht viel Hoffnung machen.«

»Wie viel Zeit bleibt mir?«

Der Arzt hob die Schultern.

»Mit solchen Einschätzungen sind wir vorsichtig. Ein paar Wochen, ein paar Monate vielleicht. Ich weiß es nicht.«

Marcel nickte. Seine Hand in Sarahs Hand wurde feucht.

»Trotzdem ...« Er zögerte, warf einen kurzen Seitenblick zu Sarah, dann sah er wieder zu Professor Winter.

»Ich entscheide mich für die zweite Option«, sagte er mit fester Stimme.

Es fühlte sich an, als würde Sarahs Herz explodieren, auf ihre Lunge drücken, ihr den Atem nehmen. Sie würgte.

»Nein, Marcel«, brachte sie hervor.

Professor Winter mischte sich ein.

»Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Reden Sie miteinander, schlafen Sie darüber. Verdauen Sie das alles erst mal. Mir ist klar, dass es nicht leicht ist, einen solchen Entschluss zu fassen. Nehmen Sie sich dafür Zeit!«

Sarah nickte.

»Er hat recht, Marcel. Du kannst nicht jetzt gleich entscheiden, nachdem du es gerade erst erfahren hast.«

Er drehte sich zu ihr und sie konnte sehen, wie seine Augen flackerten.

»Drei Prozent, Sarah! Das ist aussichtslos. Wir würden uns nur quälen. Das möchte ich mir nicht antun und das möchte ich dir nicht antun!«

»Wer sagt denn, dass du nicht zu den drei Prozent gehörst, die es schaffen?« Sie drückte seine Hand und appellierte an ihn. »Ich bin bei dir, Marcel. Wir kämpfen gemeinsam. Wir sind ein Team, das weißt du doch! Wenn wir zusammenhalten, schaffen wir alles! Bitte, Marcel, gib nicht jetzt schon auf!«

Er löste seine Hand aus ihrer und strich ihr damit sanft über die Wange.

»Sarah, ich glaube nicht an Wunder. Ich werde sterben.« Mit dem Daumen strich er die Träne weg, die sich aus ihren Wimpern gelöst hatte. »Ich möchte die verbleibende Zeit nicht damit verbringen, mich sinnlos aufschneiden zu lassen oder mir bei einer Chemotherapie die Seele aus dem Leib zu kotzen. Wir haben doch schon mal darüber gesprochen, dass wir unser Leben nicht auf diese Weise beenden wollen.«

»Das war hypothetisch!«, kreischte Sarah. Wie konnte Marcel nur so ruhig bleiben? »Wenn wir mal über achtzig sind und unser Leben hinter uns haben! Aber doch nicht jetzt!«

Marcel legte seinen Zeigefinger auf Sarahs Lippen. Sie sah, dass auch in seinen Augen Tränen standen.

»Ich möchte die Zeit, die mir noch bleibt, nicht im Krankenhaus, sondern mit dir verbringen. Du bist mein Ein und Alles, meine Geliebte, meine Seelenverwandte, meine beste Freundin. Sarah, ich liebe dich! Ich wünsche mir, dass mein Leben voller Liebe endet. Nicht in einem zermürbenden Kampf ... Ich bitte dich von ganzem Herzen, mir diesen Wunsch zu erfüllen!«

Er zog sie in seine Arme und sie weinten gemeinsam.

Kristina Sommer sah auf die Uhr am Herd. In einer Stunde musste sie los. Die Waschmaschine würde in einer halben Stunde fertig sein. Wenn sie die Wäsche noch vor dem Elternabend aufhängen wollte, dann sollte sie jetzt das Essen zubereiten. Sie wusste, dass es nicht der optimale Zeitpunkt gewesen war, die Waschmaschine anzustellen, aber irgendwann musste sie sich um den Wäscheberg kümmern. Bei dieser Hitze brauchten sie jeden Tag etwas Frisches.

Sie war schon später als sonst im Kindergarten und im Hort angekommen, weil sie noch mal kurz an der Kasse einspringen musste. Und dann hatten Lillis Erzieherin und die Mutter von Max’ neuem Freund Theo sie auch noch angesprochen, sodass sie erst viel später als geplant nach Hause gekommen waren. Sie hatte als Erstes die Waschmaschine angestellt. Zur Not würde sie die Wäsche in der Nacht aufhängen, wenn sie vom Elternabend zurückkam. Solche Tage waren heftig.

Sie holte Kartoffeln und eine Zwiebel heraus. Bratkartoffeln mochten die Kinder gern, sie würde dazu einen Salat machen. Kristina begann, die Kartoffeln zu schälen.

»Mama, weißt du, wie man das nennt, wenn ein Auto zusammengebaut wird? Wenn der obere Teil auf den unteren gesetzt wird? Da gibt’s doch so einen Fachbegriff«, fragte Max. Im Hort war er noch nicht mit den Hausaufgaben fertig geworden und schrieb nun am Küchentisch seinen Aufsatz. In letzter Zeit war er nie fertig mit den Hausaufgaben, wenn sie ihn abholte.

»Keine Ahnung«, sagte Kristina. »Über was schreibst du denn deinen Aufsatz?«

»Wir sollen über den besten Ausflug, den wir je gemacht haben, schreiben. Ich schreibe über die Führung, die wir mit Papa bei BMW gemacht haben. Das war so cool!«

Alle paar Monate geruhte ihr Ex, die Kinder mal für ein paar Stunden zu nehmen, wahrscheinlich wenn seine Neue in Ruhe zum Friseur oder zur Kosmetikerin gehen wollte. Dann unternahm er tolle Ausflüge mit Max und Lilli, gegen die ihre Spaziergänge an der Isar oder ein Besuch bei der Großmutter im Seniorenheim nicht anstinken konnten.

»Bei der Führung haben sie gesagt, dass es ein bestimmtes Wort gibt, wie es heißt, wenn das Auto zusammengesetzt wird, aber es fällt mir nicht mehr ein«, sagte Max und killerte die Tinte von seinen Fingern.

»Hochzeit«, warf Lilli ein, ohne von ihrem Malblock aufzusehen. Sie war nicht ganz so begeistert wie Max von der Führung zurückgekommen, aber anscheinend hatte sie besser aufgepasst.

»Genau!«, rief Max und beugte sich über sein Heft.

»Danke, Lilli«, erinnerte ihn Kristina.

»Ja ja, danke, Lilli.« Er schrieb schon wieder.

Das Geräusch der laufenden Waschmaschine aus dem Bad brach plötzlich ab. Kristina sah, dass die Uhrzeitanzeige am Herd erloschen war.

»Irgendwas stimmt da nicht.«

»Warum?«

Die Kinder hatten nichts gemerkt.

»Wir haben keinen Strom mehr.«

Kristina ging ins Bad, Lilli folgte ihr. Die Waschmaschine stand still und das Anzeigedisplay war dunkel.

»Ist das schlimm?«, fragte Lilli. »Ist die Waschmaschine jetzt kaputt?«

Kristina lachte.

»Ich hoffe nicht. Wahrscheinlich ist nur die Sicherung rausgeflogen.«

Sie ging zum Sicherungskasten im Flur. Der Sicherungsschalter war nach unten gekippt. Kristina drückte ihn nach oben. Gleich darauf war wieder das Rumoren aus dem Bad zu hören.

»Schau, jetzt läuft die Waschmaschine wieder.«

Sie gingen zurück in die Küche. Lilli malte weiter, Kristina stellte die Uhrzeit am Herd neu ein und schälte die restlichen Kartoffeln.

»Elfriede passt heute Abend auf euch auf.«

»Bist du nicht da?«, fragte Lilli.

»Ich muss zum Elternabend fürs Zeltlager.« In den Sommerferien würden Lilli und Max zwei Wochen ins Zeltlager fahren. Kristina konnte nicht sechs Wochen freinehmen. »Sie sagen uns, was ihr mitbringen sollt und was ihr im Zeltlager unternehmt.«

Kristina schnitt die letzte Kartoffel in Scheiben und wollte den Herd einschalten. Sie drehte am Knopf einer der vorderen Kochplatten, die Platte blieb dunkel. Kristina sah auf die Uhr. Die Anzeige war erneut erloschen.

»Das gibt es doch nicht!«

Sie hatte nicht gehört, dass auch die Waschmaschine wieder gestoppt hatte. Fluchend schob sie den Sicherungsschalter nach oben. So würde die Wäsche nie fertig werden!

Kristina stellte von Neuem die Uhrzeit am Herd ein. Langsam wurde es eng. Sie schaltete den Herd an und zog die Pfanne auf die Platte, die rot glühte. Sie ließ darin ein Stück Butter schmelzen und schnitt währenddessen die Zwiebel in kleine Würfel. Die Kartoffelscheiben zischten, als sie sie in die Pfanne gab, doch schon einen Moment später verstummte das Zischen. Genau wie die Waschmaschine im Bad. Wieder war die Sicherung rausgeflogen.

»Verdammter Mist!«

»Mama!«

»Ist doch wahr! Das ist so nervig!«

Kristina schob den Schalter nach oben, Herd und Waschmaschine sprangen erneut an. Sie wusch gerade den Salat, als die Sicherung wieder rausflog.

»Aaaaaaah!«, schrie Kristina. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«

Lilli und Max sahen ihre Mutter mit großen Augen an. Kristina stellte die Waschmaschine aus. Die Wäsche lag darin im Wasser, bis zum Schleudergang hatte es die Maschine noch nicht geschafft. Sie schob die Sicherung wieder rein.

»Ich hole jetzt Bruno. Da muss eine Leitung kaputt sein oder so.«

Bruno war der Hausmeister, der unten in der Erdgeschosswohnung lebte. Er war zu den anderen Mietern extrem unfreundlich und wenig hilfsbereit, doch an Kristina hatte er einen Narren gefressen. Sie durfte ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit behelligen, wenn sie seine Hilfe brauchte, und er hatte nicht mal geschimpft, als Max den Fußball in sein Wohnzimmerfenster geschossen hatte.

»Wenigstens bringt mir mein Aussehen mal was«, dachte Kristina, als sie Brunos Nummer wählte. Ihr Ex hatte immer gesagt, dass sie wie eine bessere Version von Cindy Crawford aussah mit den langen dunklen Haaren und dem Muttermal über der Lippe. Na ja, sie war eben jünger. Am Ende hatte ihr das aber auch nichts genutzt, als er sie wegen der Liebe seines Lebens sitzengelassen hatte.

Das Telefon klingelte und klingelte. Kristina wollte gerade auflegen, als Bruno sich in barschem, abweisendem Ton meldete. Sie nannte ihren Namen und sofort überschlug er sich vor Freundlichkeit. Natürlich würde er sofort mal hochschauen, gerne!

Während sie auf Bruno wartete, konnte sie wenigstens das Essen fertigmachen. Kristina ging zurück in die Küche, gefolgt von Lilli und Max. In der Pfanne lag ein matschiger Brei. Die Hitze hatte nicht annähernd ausgereicht, um die Kartoffeln goldbraun anzubraten.

»Das sieht ekelhaft aus, Mama!«, sagte Max mit angewidertem Blick. »Müssen wir das wirklich essen?«

»Ich hab doch auf die Schnelle auch nichts anderes!« Kristina sah auf ihre Armbanduhr. »Außerdem muss ich gleich los. So ein Mist! Ausgerechnet jetzt muss das passieren!«

Es klingelte an der Tür. Bruno war ausgesprochen schnell in den dritten Stock hochgekeucht. Er strahlte Kristina aus seinem runzeligen Gesicht an.

»Wo brennt’s denn, schöne Frau?«

»Die Sicherung fliegt alle paar Minuten raus. Die Waschmaschine ist gelaufen und ich wollte was kochen, aber das funktioniert nicht, wenn der Strom dauernd weg ist. Ich muss gleich los zum Elternabend. Ich muss mich noch umziehen. Und die Kinder haben noch nichts gegessen, ich weiß gar nicht, wie wir das jetzt noch schaffen sollen!«

Kristinas Stimme wurde hysterisch und schrill. Die Wohnungstür ihrer Nachbarin ging auf und Elfriede schaute besorgt zu ihr rüber.

»Was ist denn los, Kindchen?«

Bruno atmete erleichtert auf, Kristinas Wortschwall hatte ihn überfordert.

»I schaug ma amoi eana Maschin’ o.« Er schob Kristina zur Seite und ging mit seinem großen Werkzeugkasten in die Wohnung. Elfriede kam zu Kristina.

»Ist deine Waschmaschine kaputt?«, fragte sie.

»Ich hoffe nicht. Die Sicherung ist dauernd rausgeflogen. Jetzt ist die Wäsche nicht fertig und ich konnte für die Kinder nichts kochen. Aber ich muss gleich los zum Elternabend.«

»Das bekommen wir schon hin!«, sagte Elfriede und strich über Kristinas Arm. Die Ruhe der älteren Frau übertrug sich sofort auf sie. Kristina atmete tief durch. »Bruno schaut nach der Waschmaschine, ich nehme die Kinder jetzt gleich mit rüber und gebe ihnen was zu essen und du kannst zum Elternabend gehen. Mach dir nur keine Sorgen, alles wird gut!«

»Meinst du?«

Elfriede schob Kristina sanft in die Wohnung.

»Geh dich umziehen. Ich nehme die Kinder mit.« Sie begrüßte Lilli und Max, die sich freuten, Elfriede zu sehen. Sie waren gern bei ihr. Elfriede hatte immer etwas Süßes für sie und bei ihr durften sie viel mehr fernsehen als bei Kristina.

»Danke!«

Kristina drückte Elfriede und die Kinder zum Abschied. Ihre Nachbarin hatte einen Schlüssel für Kristinas Wohnung, sie würde die beiden später dort ins Bett bringen. Kristina zog sich um. Da Bruno im Bad war, konnte sie sich nicht frischmachen, aber es tat schon gut, aus den Kleidern rauszukommen, die sie seit dem frühen Morgen anhatte. Sie hatte stundenlang Paletten hin- und hergefahren und abgeladen und war dabei ins Schwitzen gekommen.

»Und?« Sie steckte den Kopf durch die Badezimmertür. »Woran liegt es, dass die Sicherung permanent rausfliegt?«

Bruno richtete sich auf und stützte die Hände in die Hüften.

»Wann’d Maschin’ aus is, laft ois. As Kabe von derra Maschin’ hob i prüft: des is in Ordnung. In'd Waschmaschin’ konn i ned neischaug'n mit derra Wäsch und dem Wassa.« Er räusperte sich. »De Breitners aus’m zwoadn Stog ham des a amoi g'habt. Dene eana Elektriga hod g'sogt, dess da Motor feicht worn is und in de Dromme da Strom g'floss'n is und oiwei wieda an Kurz'n ausg'löst hod.«

»Und was heißt das? Muss der Motor repariert werden? Soll ich einen Elektriker holen?«

»Des kennas Eana sparn.« Er musterte die Waschmaschine. »Des lohnt se ned, in de oide Maschin an neia Motoa einibaun.«

»Heißt das, ich soll mir besser eine neue Waschmaschine kaufen?«

»Des Reparieren lohnt se ned.«

Kristina hielt sich am Türrahmen fest. Plötzlich fühlten sich ihre Beine an wie Wackelpudding. Bruno umfasste ihren Arm.

»Gäd’s no?«, fragte er.

»Ja, alles in Ordnung.« Sie riss sich zusammen. »Danke, dass Sie alles geprüft haben.«

»Wann’d Dromme laar is, schaug i mia’s noch amoi o.«

»Danke.«

Kristina begleitete Bruno zur Tür. Als er weg war, lehnte sie sich an die Wand. Eine neue Waschmaschine! Wie sollte sie die bezahlen? Ihr Ex überwies ihr nur dann etwas für die Kinder, wenn er Lust hatte, und das wurde immer seltener. Auf ihre Forderungen reagierte er überhaupt nicht, nur wenn ihr Rechtsanwalt ihm schrieb, ließ er sich dazu herab, einmalig den Betrag zu überweisen, den er eigentlich jeden Monat zahlen sollte. Er wusste ganz genau, dass sie sich die Kosten für den Anwalt nicht leisten konnte. Beim letzten Mal hatte er vor Gericht eine vollkommen hanebüchene Geschichte über seine angebliche finanzielle Misere aufgetischt, mit der er die Richterin zu Tränen gerührt hatte. Kristina hatte nicht nur kein Geld gesehen, sondern auch noch die Verhandlungs- und Anwaltskosten selbst tragen müssen. Ihr Ex wusste genau, dass sie nicht so schnell wieder vor Gericht gehen würde. Kristina brauchte Geld.

»Scheiß auf den Elternabend.«

Die Packliste für das Zeltlager konnte sie sich auch so im Pfarrbüro holen. Und die Kinder würden dann eben erst vor Ort erfahren, welche Aktivitäten im Zeltlager angeboten wurden.

Kristina griff nach dem Telefon. Doro war sofort am Apparat.

»Hi Doro, hier ist Kristina. Du hast gesagt, ich soll mich melden, wenn ich mir mal wieder was dazuverdienen möchte.«

»Ich dachte, du wolltest hier nicht mehr arbeiten.«

Kristina hasste es, wenn die Männer in der Spielbar ihr an den Hintern grapschten. Aber sie verdiente dort an einem Abend mehr als im Supermarkt während einer ganzen Woche.

»Ich habe es mir anders überlegt.«

Doro lachte.

»Ich wusste, dass du dich wieder melden würdest.«

»Kann ich kommen?«

»Jetzt gleich?!«

»Sonst würde ich nicht fragen.«

Doro überlegte einen Moment.

»Gut, hinten bei den Separees brauche ich heute noch jemanden, Carmen ist krank. Aber nur, wenn du sofort kommst!«

»Ich ziehe mich schnell um, dann mach ich mich auf den Weg.«

Kristina legte auf. Sie warf einen Blick in den Spiegel. So konnte sie nicht gehen. Sie wusch sich das Gesicht mit einem Schwall kaltem Wasser und rieb sich den Oberkörper mit einem Waschlappen ab. Beim Abtrocknen sah sie die Wäsche in der Maschine. Darum würde sie sich morgen kümmern.

Kristina schlüpfte in ihren kurzen schwarzen Rock und die tadellos gebügelte weiße Bluse. Doro legte Wert darauf, dass ihre Servicekräfte gepflegt aussahen.

Kristinas Magen knurrte. Sie hatte Hunger. Aber Doro wartete schon. Sie schob sich ein paar der matschigen Kartoffeln in den Mund und machte sich auf den Weg. Elfriede nahm das Babyfon mit rüber in ihre Wohnung, wenn die Kinder schliefen. Sie würde es hören, wenn sie aufwachten. Also war es egal, ob Kristina ein paar Stunden früher oder später heimkam.

»Lächeln«, sagte sie zu sich selbst, als sie die Spielbar betrat, und versuchte vergeblich, die Mundwinkel nach oben zu ziehen. »Du musst alles vergessen und lächeln. Sonst gibt es kein Trinkgeld ...«

Als Bastian Gschwendtner sein Fahrrad in die lange Reihe der geparkten Räder quetschte, strömten neben ihm kleine und große Studentengruppen in das altehrwürdige Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität. Im Audimax stand die Vorlesung zur Allgemeinen Betriebswirtschaftlehre an, da war der Hörsaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Studenten redeten und lachten. Die meisten kamen wahrscheinlich gerade aus einem der umliegenden Cafés, würden jetzt die Vorlesung absitzen und danach gemeinsam nahtlos ins Nachtleben hinübergleiten. Sie stammten aus anderen Städten oder Regionen, lebten während des Studiums in einer WG oder hatten sogar eine eigene Wohnung. Beneidenswert.

Bastian wohnte immer noch in seinem Elternhaus in Freimann. Mit dem Fahrrad sieben Kilometer von der Uni entfernt, wenn er durch den Englischen Garten fuhr. Er hatte einen Großteil des Tages damit verbracht, das Altpapier zum Wertstoffhof zu bringen, den Rasen zu mähen und für seine Mutter ein Beet umzugraben, das sie neu bepflanzen wollte. Und nach der Vorlesung erwarteten ihn seine Eltern zum Abendessen zu Hause.

Bastian nahm den Fahrradhelm vom Kopf. Er zog das Verbindungskabel zu seinem Handy heraus und überprüfte den Ladestatus. Die Fahrt in der Sonne hatte für die Solarzellen, die er oben auf dem Helm befestigt hatte, ausgereicht, den Akku nahezu ganz aufzuladen. Bastian schwitzte, das Fahrradfahren in der prallen Sonne war anstrengend gewesen. Er freute sich auf den kühlen Hörsaal.

Als er ihr Lachen hörte, fuhr Bastian herum und hatte sie eine Sekunde später umringt von ihren Freundinnen neben dem Brunnen auf dem Geschwister-Scholl-Platz entdeckt. Mara. Eigentlich hieß sie Maria, wie er von der Teilnehmerliste der Einführung ins empirische Arbeiten wusste, doch alle nannten sie Mara. Als Bastian ihr zum ersten Mal über den Weg gelaufen war, hatte ihr Anblick ihn umgehauen. Sie war eher auffällig als schön, mit ihren weißblonden Haaren und den ungewöhnlichen hellblauen Augen. Es dauerte nach Beginn des Wintersemesters nicht lange, bis sie eine Clique um sich versammelt hatte, deren lebhafter Mittelpunkt sie war. Sie war der Grund, warum Bastian das Studium, das ihn langweilte, nicht nach dem ersten Semester hingeschmissen hatte.

Bastian beobachtete sie und kannte bald ihren Stundenplan. Er besuchte die gleichen Vorlesungen und Kurse, doch er hatte noch nie ein Wort mit ihr gewechselt. Jemand wie sie hatte es nicht nötig, sich mit jemandem wie ihm abzugeben. Er war ein Nerd und er würde immer einer bleiben. Die Clique der Coolen war für ihn unerreichbar. Nicht dass er jemals abgewiesen worden wäre. Das Problem war, dass sie ihn noch nicht einmal wahrgenommen hatten. Und daran würde sich auch nie etwas ändern. Sie sahen einfach durch ihn hindurch.

Bastian beobachtete, wie Mara mit ihren Freundinnen vom Brunnen herübergelaufen kam. Gleich würde sie nur wenige Zentimeter entfernt an ihm vorbeigehen. Sie sagte etwas zu dem Mädchen neben ihr, warf den Kopf in den Nacken und lachte. Jetzt oder nie.

Bastian machte zwei schnelle Schritte nach vorn und stellte sich ihr in den Weg. Sie prallte gegen den Helm, den er in der Hand hielt.

»Hoppla!« Sie lachte immer noch.

»Ent ... Entschuldigung«, stotterte Bastian. »Hast du dir wehgetan?«

»Nix passiert.« Sie wollte weitergehen, doch dann fiel ihr Blick auf den Helm in seiner Hand. »Was ist das denn?«

»So ... Solarzellen.«

»Solarzellen auf einem Fahrradhelm?«

Bastians Zunge war wie gelähmt, die Worte steckten in seinem Kopf fest.

»Ich ... ja ... Das war so ’ne Idee ...«

Ihr Lächeln war ermutigend. Ihr ganzer Anblick in dem Minirock und dem Top mit dem weiten Ausschnitt war ermutigend.

»Du siehst toll aus«, platzte er heraus. »Ich finde dich toll!«

Das Lächeln erlosch.

»Das ist ja mal eine wahnsinnig originelle Anmache«, schnaubte sie. »Ich hab dich nach den Solarzellen auf deinem Helm gefragt ...«

»Ja, natürlich«, unterbrach Bastian sie eifrig und hob den Helm bis knapp vor ihre Nase. »Mit den Solarzellen lade ich mein Handy auf. Schau!« Mit der anderen Hand hielt er das Ladekabel hoch. »Das stecke ich hier ein und hab damit eine direkte Verbindung zu meinem Handy in der Tasche.«

»Das ist ja cool! Und wie lange dauert es, bis es aufgeladen ist?«

»Das kommt darauf an, wie stark die Sonneneinstrahlung ist und wie leer der Akku vorher war. Mir reicht meistens die knappe halbe Stunde Fahrt, um den Akku komplett aufzuladen.«

»Du solltest die Idee patentieren lassen. Damit kannst du reich werden!«

»Meinst du?«

»Sicher!« Sie nickte überzeugt. »Das ist absolut cool. Diese Helme werden weggehen wie warme Semmeln.«

»Mara!«, rief eine ihrer Freundinnen vom Eingang des Gebäudes aus.

Sie wandte sich zum Gehen.

»Wenn du willst, kann ich dir auch so einen Helm machen.«

Sie drehte sich um und er meinte, Bedauern in ihren Augen zu sehen. Oder war es Belustigung?

»Ich trage keinen Helm. Aber danke!« Sie ging zum Eingang. Bastian folgte ihr schnell. Wenn er es jetzt schaffte, während der Vorlesung im Audimax neben ihr zu sitzen! Vielleicht bekam er ihre Telefonnummer.

»Ich hab noch mehr coole Sachen erfunden«, erzählte er ihr. »Eine Messvorrichtung am Fahrrad, mit der man feststellen kann, wie viel Energie man beim Fahren verbraucht. Und ein Gestell für einen Hundespaziergang mit Fahrrad. Damit immer ein sicherer Abstand zwischen Rad und Hund ist und der Hund sich nicht an den Speichen verletzen kann.«

»Du fährst wohl viel mit dem Rad?«

Sie betraten gemeinsam das Gebäude. Bastian ließ sich von ihr die Tür aufhalten, schließlich hatte er die Hände voll mit seiner Tasche und dem Helm. Er folgte ihr zur Treppe. Er wusste, dass sie sich mit ihren Freunden meistens oben auf der Empore einen Platz suchte.

»Natürlich fahre ich mit dem Rad, wann immer es mir möglich ist. Ich finde, dass jeder die Verantwortung für den ökologischen Fußabdruck trägt, den er auf der Erde hinterlässt.«

Sie zog die Augenbrauen hoch und beschleunigte ihre Schritte.

»Ist dir das nicht auch wichtig?«

»Doch, natürlich.«

Sie lief neben ihm an Ludwig I. vorbei, die zweite Treppe nach oben und bog in den Flur zum Audimax ab. Ihre hellen Haare flatterten um den Kopf, ihre Brüste wippten, Bastian konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden.

»Du bist echt schön, Mara!«, sagte er.

Sie blieb stehen.

»Woher kennst du meinen Namen?«

»Oh ... den hab ich wohl aufgeschnappt ... äh ... deine Freundin hat dich vorhin so gerufen ... Ich heiße übrigens Bastian.«

Er griff nach ihrer Hand und schüttelte sie.

»Freut mich sehr, dass wir ins Gespräch gekommen sind.«

Sie ließ seine Hand los und lief die letzten Stufen zur Empore des Audimax oben. An der Tür blieb sie stehen. Das Sonnenlicht, das durch die Glaskuppel über ihr hereinschien, ließ ihre hellen Haare leuchten.

»Und jetzt ist das Gespräch auch schon wieder beendet«, sagte sie. »Heb dir deine Plattitüden für eine andere auf. Ich hab kein Interesse!«

Sie drehte sich um und ging zu ihren Freunden. Als sie sich hinsetzte, sah er, dass sie die Augen verdrehte und dem Mädchen neben ihr lachend etwas erzählte. Von seinem Helm? Oder von ihm?

Bastian stieg ein paar Stufen nach oben und setzte sich auf einen Platz zwei Reihen hinter Mara. So konnte er genau sehen, ob sie der Vorlesung aufmerksam folgte oder ob sie abgelenkt war und über anderes nachdachte. Vielleicht ließ sie ihr Gespräch noch einmal Revue passieren. Ihre letzten Worte konnten unmöglich ernst gemeint sein. Wahrscheinlich glaubte sie, dass sie ihn auf Distanz halten musste. Wenn man so aussah wie sie, wurde man vermutlich ziemlich oft blöd angesprochen. Da war es notwendig, sich einen Schutzwall aufzubauen. Aber er würde ihr beweisen, dass es ihm ernst war mit ihr. So schnell gab er nicht auf. Sie war von seiner Erfindung beeindruckt gewesen und er würde ihr zeigen, dass noch viel mehr in ihm steckte.

Diana Weinhold nahm die Brille herunter und beugte sich zum Spiegel. Ohne die Brille konnte sie nicht gut sehen, ob die Wimperntusche da landete, wo sie hingehörte, aber mit Brille konnte sie sie schlecht auftragen. Also tuschte sie, setzte die Brille wieder auf und prüfte das Ergebnis. Sie wischte die überschüssige Wimperntusche vom Lid. Dabei verschmierte der Lidschatten und sie wiederholte die Prozedur mit dem Lidschattenapplikator. Sie schminkte sich nicht oft, weil es jedes Mal damit endete, dass sie genervt war – so wie jetzt. Deswegen hatte sie nicht viel Übung, das nannte man wohl einen Teufelskreis. Seit Jahren hoffte sie darauf, dass irgendein schlauer Mensch Kontaktlinsen aus einem Material entwickelte, auf das sie nicht allergisch reagierte.

Die Zahnpastatube war fast leer. Diana drückte den letzten Rest auf ihre Zahnbürste. Das reichte nicht. Sie nahm die Nagelschere und schnitt das untere Ende der Tube auf. Da war noch genug Zahnpasta für mindestens dreimal Zähneputzen.

Diana bleckte die frisch geputzten Zähne und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie trug den gleichen Rock wie beim letzten Mal zusammen mit einer nahezu durchsichtigen kurzen Bluse, die sie für nur einen Euro im Gebrauchtwarenhaus ergattert hatte. Etwas nuttig. Diana beschloss, darunter noch ein Top anzuziehen, dann war sie zufrieden mit ihrem Aussehen. Wenn nur die Brille mit den dicken Gläsern nicht wäre. Sie würde sie nachher runternehmen. Und hoffen, dass sie nicht überall anrempelte.

Sie cremte sich die rauen Hände mit Melkfett ein, griff nach ihrer Tasche und verließ die Wohnung. Im Flur roch es schon wieder nach Urin. Ekelhaft. Diana stakste mit möglichst großen Schritten zum Aufzug. Defekt stand auf einem eingerissenen Stück Papier, das der Hausmeister mit Tesafilm an die Aufzugstür geklebt hatte. Das war nichts Neues. Sie lief die Treppe hinunter, immerhin neun Stockwerke. Die Ecken, wo sich Müll und Substanzen sammelten, von denen sie nicht wissen wollte, worum es sich dabei genau handelte, mied sie. Sie hielt die Luft an, bis sie vor dem Haus stand, doch dort war es auch nicht besser, denn eine Horde Jugendlicher saß auf den Treppenstufen am Eingang. Sie rauchten. Nikotin und anderes. Diana eilte an ihnen vorbei. Sie kannte die meisten vom Sehen. Sie waren harmloser, als sie aussahen, auch wenn sie gern den Proll raushängen ließen.

»Hey, Puppe, warum hast du es denn so eilig?«, rief prompt einer hinter ihr her. »Lass uns doch ein bisschen Spaß haben!«

Die anderen lachten.

»Du mich auch!«

Diana drehte sich nicht mal um. Sie hatte in den zwölf Jahren, die sie in diesem Wohnblock lebte, gelernt, dass es das Beste war, einfach schnell weiterzugehen. Kein Blickkontakt, kein Gespräch, nichts, was die Jungs unnötig herausforderte.

Mit der U5 fuhr Diana direkt bis zum Odeonsplatz. Sie nahm nicht den Ausgang zum Hofgarten, sondern fuhr mit der Rolltreppe auf der anderen Seite des Platzes hoch. Beim letzten Mal waren sich ihre neuen Freundinnen einig gewesen, U-Bahn-Fahren sei asozial. Sie mussten nicht unbedingt sehen, dass Diana mit der U-Bahn hergekommen war, weil sie sich kein Taxi leisten konnte. Von einem eigenen Auto ganz zu schweigen.

Zum ersten Mal gingen sie nicht nach der Yoga-Stunde einen trinken. Sie hatten sich verabredet, um Sannas Scheidung zu feiern. Diana freute sich, dass Sanna sie eingeladen hatte. Das bedeutete doch, dass sie sie inzwischen als Freundinnen betrachtete, nicht nur als Frauen, die zufällig den gleichen Yoga-Kurs besuchten.

Diana spähte über den Platz. Vor dem Tambosi saßen die Leute in Reihen wie im Kino, streckten ihre Gesichter der Sonne entgegen, beobachteten die Passanten und wirkten unfassbar elegant und kultiviert. Es war immer noch heiß, aber nichts im Vergleich zu den Temperaturen in der Wäscherei.

Ganz vorn, in der ersten Reihe saßen ihre Freundinnen und stießen mit ihren bauchigen Aperol-Spritz-Gläsern an. Diana mochte den bitteren Aperol nicht, aber es war leichter, einfach nur Für mich bitte auch zu sagen. Sanna, die frischgebackene Exfrau, trug ein todschickes weißes Etuikleid und lachte so laut, dass Diana sie auf der anderen Seite des Platzes hören konnte. Neben ihr saß Ann-Kathrin mit einer riesigen Sonnenbrille auf der Nase und fuchtelte mit ihren sorgfältig manikürten Fingern in der Luft herum. Corry, die Tierärztin, war immer legerer als die anderen gekleidet – heute trug sie Jeans und ein schwarzes Top. Beides hatte sie sicher nicht im Supermarkt oder bei H&M gekauft.

Diana nahm ihre Brille ab und verstaute sie in ihrer Tasche. Jetzt war der Odeonsplatz in einen schummrigen Nebel gehüllt, die Konturen der Menschen und Dinge waren nicht mehr so beängstigend scharf. Eigentlich keine schlechte Methode, um die Realität für eine Weile auszublenden.

Mit unsicheren Schritten überquerte Diana den Platz. Sanna sah sie schon von Weitem.

»Huhu!« Sie winkte ihr zu und sprang auf, als Diana zu ihrem Tisch kam. Sanna drückte sie an sich und küsste sie auf beide Wangen. »Schön, dass du da bist!«

»Tut mir leid, dass ich zu spät komme.«

Diana begrüßte Corry und Ann-Kathrin ebenfalls mit Küsschen.

»Hast du es auch nicht aus dem Büro geschafft?«, fragte Ann-Kathrin. »Mein Chef hat mich in letzter Minute aufgehalten. Ich bin gerade erst angekommen.«

Ann-Kathrin war die rechte Hand des Geschäftsführers eines mittelständischen Familienunternehmens in der Elektronikbranche. Anscheinend war er ohne sie handlungsunfähig, wie sie gern betonte. Irgendwie war der Eindruck entstanden, Diana hätte in ihrem Hotel eine ähnliche Stellung und sie hatte nicht widersprochen. Auch jetzt murmelte sie nur: »So ungefähr.«

Sanna drückte ihr ein Glas Spritz in die Hand und deutete auf den vierten Stuhl, den sie freigehalten hatte.

»Ich hab gleich für dich mitbestellt. Das ist dir doch recht, oder?«

»Sicher.« Diana lächelte. »Also ist die Scheidung gut über die Bühne gegangen?«

»Ja, sehr gut. Er muss mir sogar noch mehr Geld zahlen, als ich gedacht habe!«

»Darauf stoßen wir an!«

Sie erhoben die Gläser und tranken auf Sannas neues Leben ohne ihren Mann.

»Mädels, ich bin jetzt frei!«, rief Sanna. »Ich muss mir nicht mehr sein Schnarchen anhören ... Oder sein Schweigen am Esstisch ... Ich muss sonntags nicht mehr in die Kirche gehen und lächeln, während er den Spießern die Hand schüttelt, die genau wie er ihre Frauen betrügen ... Ich muss kein Fleisch mehr zubereiten, sondern kann Tofu kochen, ohne dass jemand die Augen verdreht ... Ich bestimme, was im Fernsehen läuft ... Ich kann abends ausgehen und endlich mal wieder richtig einen draufmachen ... Ich kann mich jederzeit mit euch treffen, ohne dass mir jemand reinredet. Ist das nicht herrlich?«

Sie lachten. Diana lehnte sich behaglich in ihrem Stuhl zurück. Sie streckte ihr Gesicht in die Sonne. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ein junges Mädchen sie im Vorbeigehen musterte. Für sie sah es sicher so aus, als gehörte Diana richtig dazu.

»Und du kannst lauter junge Kerle aufreißen und viel Spaß haben«, sagte Ann-Kathrin und schob ihre Sonnenbrille hoch in die Haare. Sannas Ex-Mann war mehr als zehn Jahre älter als sie.

»Ich weiß nicht.« Sanna erwiderte Ann-Kathrins Blick nachdenklich. »Mein Bedarf an Männern ist gerade gedeckt. Ich habe es nicht eilig, mir einen neuen zuzulegen.«

»Ich rede ja nur vom Spaßhaben«, meinte Ann-Kathrin. Diana wusste, dass Ann-Kathrin sehr wohl nach einem Mann suchte. Sie hatte sich beschwert, dass sie bei ihren Arbeitszeiten viel zu selten Gelegenheit zum Ausgehen und Kennenlernen hatte. Sanna schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich glaube, dass ich mich durchaus auch ohne einen Mann gut amüsieren kann. Mein ganzes Leben bin ich von einer Beziehung in die nächste gestolpert. Diesmal mache ich es anders. Ich nehme mir jetzt erst mal Zeit für mich. Ich tue nur Dinge, auf die ich wirklich Lust habe. Ich will keine Kompromisse mehr eingehen. Ich habe mich immer nach den Männern gerichtet ...«

»Und dabei wird man meistens ausgenutzt«, warf Diana ein. Sanna nickte.

»Du hast vollkommen recht, Diana. Letzten Endes habe ich für jeden etwas aufgegeben oder Dinge getan, die ich eigentlich nicht tun wollte.«

»Dafür ist dein Kleiderschrank voller Designermode und du wohnst in einem Haus mit Whirlpool und Sauna«, spottete Corry.

»Ich brauch das alles nicht«, behauptete Sanna. »Zumindest nicht, wenn der Preis so hoch ist.« Sie lachte. »Was aber nicht heißt, dass ich es mir von dem Geld nicht gutgehen lassen will. Was haltet ihr davon, wenn wir zusammen ein bisschen Urlaub machen? Ich glaube, wir könnten viel Spaß miteinander haben.«

Urlaub. Diana fuhr hoch. Deswegen hatte sie bei dem Gewinnspiel mitgemacht. Sie hatte gehofft, eine Woche in einem wundervollen Hotel an der Cote d’Azur zu gewinnen. Stattdessen war sie im Yoga-Kurs in einem der exklusivsten Studios der Stadt gelandet und hatte Sanna, Corry und Ann-Kathrin kennengelernt. Das war viel besser als ein Urlaub allein.

»Urlaub klingt toll«, meinte Corry. »Ich brauche dringend Erholung. In letzter Zeit habe ich so viel gearbeitet.«

»Geht mir genauso«, stimmte Ann-Kathrin zu. »Aber ich hatte keine Lust, allein zu verreisen. Mit euch ist es sicher lustig!«

Sanna sah zu Diana.

»Bist du auch dabei, Diana?«

»Gerne.«

Sie zögerte, doch bevor sie mehr sagen konnte, sprudelte es aus Sanna heraus.

»Toll! Alle kommen mit! Das ist eine geniale Idee.« Sie hob ihr Glas und stieß mit den anderen an. Erwartungsvoll schaute sie in die Runde. »Wo wollen wir denn Urlaub machen?«

»Ibiza soll cool sein«, meinte Corry.

»Da war ich schon.« Sanna stellte schwungvoll ihr Glas auf dem Tisch ab. »Das ist ganz nett. Aber habt ihr nicht auch Lust auf was Außergewöhnliches? Die Fidschi-Inseln oder so?«

Diana schluckte. Die Fidschi-Inseln waren auf der anderen Seite der Erde. Allein der Flug dahin würde ein Vermögen kosten. Sanna deutete ihren Gesichtsausdruck falsch.

»Na ja, wenn ihr nicht nur am Strand rumliegen wollt, wie wär’s dann mit der Karibik? Da gibt’s türkisblaues Meer, traumhafte Strände und man kann viel unternehmen.«

»Karibik klingt gut! Mein Chef war letztes Jahr dort auf Kreuzfahrt«, erzählte Ann-Kathrin, »und er ist völlig begeistert zurückgekommen. Er war auf Kuba, Haiti, den Bahamas und ein paar kleineren Inseln.«

»Eine Kreuzfahrt! Das ist die Idee!«, rief Sanna. »Das wollte ich immer mal machen, aber leider wurde mein Mann schon seekrank, wenn er den Ausflugsdampfer auf dem Starnberger See betrat. Ja, lasst uns eine Kreuzfahrt in der Karibik machen. Das wird ein Spaß!«

Während Sanna, Ann-Kathrin und Corry in hysterisches Gekicher ausbrachen und anfingen, wild durcheinanderzureden, blieb Diana still. Sollte sie zugeben, dass sie sich eine Kreuzfahrt niemals leisten konnte? Aber die anderen freuten sich so. Und was würden sie sagen, wenn sie erfuhren, dass Diana ihnen etwas vorgemacht hatte? Angefangen bei dem Yoga-Kurs im teuersten Studio der Stadt, den sie nicht bezahlt, sondern gewonnen hatte, bis zu ihrem vorgetäuschten gutbezahlten Job. Sie hatte zwar nie gelogen, aber sie hatte sich auch gehütet, ihnen die Wahrheit zu verraten. Jetzt war es dafür zu spät. Entweder sie musste auf die Kreuzfahrt verzichten oder sie brauchte auf die Schnelle einen ganzen Haufen Geld.

Torsten Schilling betätigte die Fernbedienung. Das Garagentor fuhr mit einem leisen Quietschen nach oben. Die Hortensien vor dem Haus ließen die Köpfe hängen, er würde sie später wässern müssen. Torsten bog in die Einfahrt und steuerte den Audi in die Garage neben Simones BMW. Er stieg aus und warf einen Blick in den Kofferraum. So sauber war der Wagen noch nie gewesen. Torsten schloss ihn ab, ließ das Garagentor herunterfahren und ging durch die Verbindungstür ins Haus. Im Gegensatz zur Garage war es im Haus angenehm kühl.

»Hallo, ich bin da!«, rief er.

»Wir sind schon beim Essen«, antwortete Simone aus dem Erker. Sie sah ihm mit einem erwartungsvollen Lächeln entgegen, die Kinder hatten die Köpfe über die Teller gebeugt und reagierten überhaupt nicht auf seine Ankunft. Sie schoben sich das Essen in den Mund, als ob sie kurz vor dem Verhungern stünden.

Torsten gab Simone einen flüchtigen Kuss auf die Wange, strich Hannah über den Kopf und boxte Felix und Leon spielerisch gegen den Oberarm.

»Hi, Papa«, sagte Hannah, Felix grunzte. Sie waren mitten in der Pubertät.

»Wir haben schon angefangen, weil Felix nachher noch Training hat«, erklärte Simone.

Torsten legte sein Portemonnaie und sein Handy auf die Theke, die die Küche abgrenzte, und setzte sich an den Tisch.