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In diesem Buch finden sich die Freunde in den Osterferien bei Maria in der Düsseldorfer Villa ein. Doch der 13 -jährige Manne fühlt sich in dem Protzbau nicht wohl. Außerdem kann er seinem „Hühnerhaufen“ nicht aus dem Weg gehen. Die Situation ändert sich schlagartig, als er auf dem Dachboden Hinweise aufstöbert, die in die Zeit des Krieges zurückführen. Durch ein aufklärendes Gespräch mit Marias Eltern werden viele Unklarheiten zwar beseitigt, dennoch bleibt die größte Frage offen: Haben sie die Chance die alte Dame, die als Kind dort oben versteckt wurde, zu finden? Nun hat Manne eine Aufgabe, die ihn sehr fesselt und gemeinsam mit seinen „Mädels“ macht er sich auf Spurensuche. Unterstützung bekommen sie von Marias muslimischer Schulfreundin Dilara. Eingebettet in eine Woche, in der auch Kreuzigung und Auferstehung ein Thema ist, erleben sie eine extrem spannungsreiche Zeit. Die „Glückskinder“ vermitteln christliche Werte, die alltagstauglich gelebt werden; mit Spannung, Humor und voller Inspirationen.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2017
Inhalte der Bände 1 und 2:
Während ihre Eltern in Amerika weilen, wird die zehnjährige, luxusverwöhnte Maria Stein in den Sommerferien nach Rügen abgeschoben; zu einer Tante, die sie nicht kennt, in ein kleines Dorf, das sie abfällig Kleinkleckerdorf im Nirgendwo nennt. Dass es dann zu ihrem persönlichen Glückshausen wird, liegt nicht nur an fünf Kindern, die dann ihre besten Freunde werden, sondern zu guter Letzt auch an einem besonderen Erlebnis, das sie zum „Türöffner des Himmels“ führt. Seitdem hat „Reichtum“ für sie eine andere Bedeutung. Durch die Entfernung sind die Freunde auf die Ferien angewiesen, aber zu Weihnachten (in Band 2) ist dann eine gemeinsame Reise mit den Eltern nach Rügen geplant. Allerdings ist die Erfüllung mit Hindernissen verbunden, genauso wie Marias allergrößter Weihnachtswunsch, dessen Botschaft in einem geheimen Rosenkästchen schlummert.
In diesem Buch
finden sie sich in den Osterferien bei Maria in der Düsseldorfer Villa ein. Doch der 13 -jährige Manne fühlt sich in dem Protzbau nicht wohl. Außerdem kann er seinem „Hühnerhaufen“ nicht aus dem Weg gehen. Die Situation ändert sich schlagartig, als er auf dem Dachboden Hinweise aufstöbert, die in die Zeit des Krieges zurückführen. Durch ein aufklärendes Gespräch mit Marias Eltern werden viele Unklarheiten zwar beseitigt, dennoch bleibt die größte Frage offen: Haben sie die Chance die alte Dame, die als Kind dort oben versteckt wurde, zu finden? Nun hat Manne eine Aufgabe, die ihn sehr fesselt und gemeinsam mit seinen „Mädels“ macht er sich auf Spurensuche. Unterstützung bekommen sie von Marias muslimischer Schulfreundin Dilara. Eingebettet in eine Woche, in der auch Kreuzigung und Auferstehung ein Thema ist, erleben sie eine extrem spannungsreiche Zeit.
Die „Glückskinder“ vermitteln christliche Werte, die alltagstauglich gelebt werden; mit Spannung, Humor und voller Inspirationen.
Brigitte Lehnemann wurde 1959 in NRW geboren und war als ausgebildete Erzieherin tätig.
Seit 2000 arbeitet sie als Gesundheitsberaterin und Seminarleitern für Stressbewältigung in einer eigenen Praxis.
2005 wurde Rügen ihre neue Heimat.
Brigitte Lehnemann
Auf den Spuren der Vergangenheit
Band III
© 2017 Brigitte Lehnemann
Covergestaltung / Einband:
Inselwerbestudio
Coverillustration:
Katharina Kelting / Atelier Schneepfote
Gestaltungselement „Füße“ :
Brigitte Lehnemann
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7439-0508-5
Hardcover:
978-3-7439-0509-2
e-Book:
978-3-7439-0510-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
an alle Menschenkinder, die mithelfen, dass Gottes Spuren in dieser Welt sichtbar bleiben
Irgendwo auf dieser Welt, sitzt eine alte Dame in einem Schaukelstuhl in ihrer behaglichen Zweizimmer-Wohnung mit den vielen Erinnerungen eines langen Lebens und beobachtet Schneeflocken, die pappig und schwer niederfallen.
Das werden wohl die letzten in diesem Winter sein,denkt sie, denn der Frühling kämpft bereits mit aller Macht.
So sitzt sie nun schon eine ganze Weile an diesem Sonntagnachmittag und die hereinbrechende Dämmerung hindert sie daran, die schwarz-weißen Fotos in dem abgegriffenen Album weiter zu betrachten. Aber das macht nichts. Sie kennt sowieso jede einzelne Kleinigkeit auswendig. Vieles haben ihre unergründlichen, tiefbraunen Augen gesehen – viel Gutes, aber auch viel Trauriges. Liebevoll legt sich ihre etwas runzlige Hand auf ein Foto aus ihrer Kindheit, in der es damals nichts Wichtigeres gab - außer Vater und Mutter natürlich - als die Puppe in ihren eigenen Armen. Die alte Dame atmet intensiv durch und schließt die Augen.
Ja, die Puppe. Wie viele ungezählte Male hatte sie mit tiefer Sehnsucht im Herzen an diese Puppe gedacht. Diese Puppe, die sie aus einem besonderen Grund so sehr liebte - und die sie dennoch zurücklassen musste, wie so etliches andere in ihrem Leben auch.
Wenn man jetzt der alten Dame erzählen würde, dass sich schon bald ihr Lebensweg aus Kindertagen mit dem heutigen Lebensweg von sechs Kindern kreuzen wird, dann würde sie wahrscheinlich milde lächeln und fragen: „Wie soll das denn gehen?“
Und wenn man ihr auch noch mitteilen würde, dass genau diese Kinder auf außergewöhnliche Weise etwas ans Licht bringen, das schon längst verloren schien, dann würde sie aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.
Zugegeben, das klingt alles sehr mysteriös.
Aber dennoch wird es so sein!
Nur zwei Wochen später, an einem sonnigen Montagmorgen im April, den Scharen von Vögeln durch ihr Trällern begrüßen, verlässt ein IC pünktlich um 7.27 Uhr den Stralsunder Bahnhof - und mit ihm fünf Freunde an Bord auf der Fahrt nach Düsseldorf. Dass sie allerdings nicht nur eine gemeinsame, aufregende Woche vor sich haben, sondern geradewegs in ihr größtes gemeinsames Abenteuer hineinfahren, das ahnt zu diesem Zeitpunkt keiner.
Fünf zusätzliche Zahnputzbecher stehen in Reih und Glied auf der Ablagefläche und im Regal liegen Berge von Handtüchern in allen Größen bereit.
Maria, die auf allen vieren auf dem Boden herumkrabbelt und fünf kleine Tafeln Schokolade mit Ostermotiven auf fünf Kopfkissen verteilt, sieht ihre zehn Jahre ältere Freundin fragend an. „Kathinka? Denkst du, wir haben an alles gedacht?“
„Zumindest an alles, was wichtig ist. Wie ihr euch allerdings hier zu sechst bewegen wollt“, Katharina deutet auf den Fußboden, „das ist mir noch schleierhaft.“
Maria guckt sich in ihrem Zimmer um, das seit gestern einem Matratzenlager gleicht. „Ist doch cool. Nur im Bad wird’s Gedrängel geben, das ist mal so klar wie Kloßbrühe.“ Sie lacht. „Aber auf Mannes Gesicht freu ich mich, wenn er sieht, dass er ein Bad ganz für sich alleine hat.“ Ihr Gesichtsausdruck wird schwärmerisch.
„Ich sag dir, staunen wird dein Manne“, meint Katharina schmunzelnd.
Marias Gesichtsausdruck verändert sich und die Stimme wird lauter. „Erstens ist er nichtmeinManne“, kontert sie ungehalten, denn jetzt tut es ihr fast leid, dass sie Katharina häufiger von ihm vorgeschwärmt hat, „und zweitens kann er ja wohl unmöglich bei uns Mädchen duschen.“
„Das leuchtet ein“, versichert Katharina schnell, denn es kann unangenehm werden, wenn sich ihr Schützling ertappt fühlt. Ihre Zunge ist dann schärfer, als sie eigentlich will. Besonders, wenn sie nervös ist, so wie jetzt. „Du, ich hole noch Waschlappen.“ Katharina entschlüpft durch die Tür und ist damit erst einmal aus der Schusslinie.
Maria setzt sich aufs Bett und wird nachdenklich. Werden sie sich hier wohlfühlen? Ihr Blick streift das gerahmte Foto der Freunde auf ihrem Nachttisch und bleibt an Manne hängen. Wie wird er auf Mick reagieren? Mick, der natürlich von Manne weiß, nur umgekehrt hat Manne von Micks Existenz bisher null Ahnung. Plötzlich ist sie sich gar nicht mehr so sicher, ob das tatsächlich so eine gute Idee war, Mick für Samstag eingeladen zu haben … Ja, und dann auch noch Didi … Maria schaut auf die fünfte Matratze, die neben der Badezimmertür an der Wand entlangliegt.
„Kathinkaaaa?“
„Ja, was ist?“
„Glaubst du, es ist okay, dass Didi auch dazukommt?“
Katharina, die soeben die fehlenden Waschutensilien ins Bad gelegt hat, setzt sich zu ihr auf die Bettkante. „Darüber hättest du dir früher Gedanken machen sollen. Du kannst unmöglich dein Weihnachtsgeschenk an sie wieder zurücknehmen, oder?“
Da ist es wieder, das Fräulein Neunmalklug, denkt Maria, zieht eine Schnute und ist erst einmal schweigsam. Didis Bekenntnisse vor den Weihnachtsferien sich einmal Urlaub von ihrer Großfamilie zu wünschen, nahm Maria als genialste aller Ideen zum Anlass, ihr am vierten Januar einen Gutschein zu überreichen, der ihr drei Tage Ferien in der Steinschen Villa bescherte. Und welcher Termin konnte da besser passen, als damit auch gleichzeitig eine Freundeszusammenführung in den Osterferien zu verbinden. „He, nun komm. Das wird schon alles gut gehen“, besänftigt Katharina und streicht über Marias dunkelbraunen Haarschopf. „Deine Freunde werden auch Dilaras Freunde, sonst wären sie wohl kaum mit dir befreundet.“
Maria runzelt die Stirn, denn dieser Logik kann sie nicht sofort folgen.
„Was gibt’s denn noch?“, fragt Katharina, die spürt, dass das noch nicht alles war.
„Na ja!“ Maria zeigt auf die Matratze an der Badezimmertür. „Die soll ja für Didi sein.“
„Du meinst, sie könnte sich so fühlen wie die Matratze? So an den Rand gedrückt und nicht dazugehörig?“
Maria nickt. „Du hast es erfasst.“
„Und wenn du nachher die anderen einfach aussuchen lässt, wo sie schlafen wollen?“
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, da legt sich einer freiwillig an die Klotür?“
„Wer weiß. Schick doch einfach noch ein Stoßgebet zum Himmel.“ Katharina grinst.
„Du brauchst dich nicht lustig zu machen.“
„Tu ich nicht. Ich mein’s ganz ernst. Wie sagt deine Freundin Fee immer?“
„Null Problema, die Lösung ist schon da.“
„Eben drum.“ Katharina lächelt sie an.
Und auf einmal hat Maria das Gefühl, dass doch alles gut wird. „Ja, Frau Sorglos. Du hast ja recht.“ Nur die Überlegung, die mit Mick zusammenhängt, die will sie ihr dann doch nicht anvertrauen. Womöglich würde sie dann nur wieder sagen: Das hättest du dir früher überlegen sollen. Oder sie würde noch etwas anderes, viel Peinlicheres denken.
Kurz darauf betritt Maria das Gästezimmer, um auch auf Mannes Kopfkissen ein Leckerli zu legen. Da kriegt sie urplötzlich weiche Knie. Woher die nun wieder gekommen sind, kann sie sich nicht erklären. Einen Haufen von Möglichkeiten gäbe es da. Sie schließt die Augen und streicht verträumt übers Kissen, auf dem nun für sieben Nächte sein blondes, welliges Haar liegen wird.
„Mariaaa! In zehn Minuten müssen wir los!“, ruft Mutter Stein von unten.
PITSCH!Das geistige Bild zerplatzt bei dieser jähen Unterbrechung wie eine zu große Seifenblase und holt sie abrupt in die Wirklichkeit zurück. „Jaaa! Komme gleich!“, ruft sie über das Geländer zurück, verschwindet in ihr Zimmer und taucht fünf Minuten später mit glühenden Wangen in der Küche wieder auf.
Frau Stein, die Nadine noch letzte Anweisungen für den Rest des Tages gibt, muss beim Anblick der Tochter lachen. „Hätte ich mir ja denken können.“
„Klaro, was sonst!“, erwidert Maria und steckt ihre Daumen zwischen die Träger der Latzhose, über der Oma Johannas rote Strickjacke wie eine vollreife Tomate leuchtet. „Und die Zöpfe dazu flechte ich mir im Auto.“
„Dann fehlen eigentlich nur noch die grünen Turnschuhe“, entschlüpft es Nadine, die damit eine mittlere Panikattacke in Maria auslöst. Zwei Stufen auf einmal nehmend, hechtet sie die Treppe wieder hoch, und Nadine ignoriert den missbilligenden Blick ihrer Arbeitgeberin, der ihr wohl sagen soll: Das hätten Sie sich jetzt aber auch verkneifen können. Stattdessen lächelt Nadine Frau Stein an und drückt ihr fünf Osterglocken in die Hand. „Hier! Die hätte sie bestimmt vergessen.“
Einige Minuten später klingt es durchs große Treppenhaus: „Deine Mutter sitzt schon im Auto.“ Doch Nadines Stimmchen verhallt, denn Marias Oberkörper steckt im Kleiderschrank auf der Suche nach dem zweiten passenden Turnschuh.
„Verflixt! Das gibt’s doch nicht!“
Und noch ein Paar fliegt ungeachtet auf den Boden. Endlich ertasten ihre Finger noch einen einzelnen Schuh. „Typisch! Wie immer, wenn man was sucht, ist es meistens das Letzte!“, flucht sie laut vor sich hin.
„MARIA! WENN DU JETZT NICHT KOMMST …“
Ach du dickes Ei! Oma!
Mit hochrotem Kopf, Ameisenkribbeln im Bauch und den Turnschuhen in der Hand spurtet sie aus dem Haus.
Und um 13.52 Uhr verlassen dann endlich zwei PKW das parkähnliche Grundstück der Steins. Die Vögel, die an diesem lauen, sonnigen Frühlingstag fröhlich vor sich hinträllern, scheinen genauso glücklich zu sein wie sie. Ja, mehr noch. Sie krönen diesen besonderen Tag.
Nur Oma Johanna, die das zweite Gefährt kutschiert, schimpft leise vor sich hin: „Immer alles auf den letzten Drücker. Ich hasse das.“
Dummerweise ist es ja ganz oft im Leben so: Wenn man es besonders eilig hat und keine Zwischenfälle gebrauchen kann, kommt von irgendwoher irgendetwas dazwischen. In diesem Fall kommt alles zusammen: Die Stadt ist verstopft, jede Ampel rot, dann …, als sie endlich den Bahnhof erreichen, sind die günstigsten Parkplätze natürlich besetzt und Oma Johanna, die unbedingt mit aussteigen will, ist verständlicherweise nicht mehr so wieselflink.
Auweia! Drei Minuten zu spät.
„Da vorne ist es! Gleis 16! Mama! Oma! Ich laufe vor!“
Die Vorstellung, die Freunde halten schon suchend Ausschau, verleiht Maria Flügel. Mit fliegenden Zöpfen und heftig wippenden Osterglocken hetzt sie die Stufen nach oben.
Phhhh!Na, Gott sei Dank. Noch kein Zug da!
„Es fährt ein der Intercity von Greifswald über Stralsund nach Stuttgart …“
Durch die Lautsprecherdurchsage vermehren sich jetzt die Ameisen in Marias Bauch in null Komma nix zu einem ganzen Ameisenstaat. Keine Minute später gibt ihr Handy ein Signal:Wir sind in Wagen neun, zeigt das Display.
„Du hast mehr Glück als Verstand“, donnert ihr Oma Johanna entgegen, die auf der anderen Seite am Arm der Schwiegertochter die Rolltreppe nahm. „Durch deine blöde Schuhaktion hätten wir beinahe …“
„Ach Oma, sei lieb“, sagt Maria sanft und küsst sie auf die Wange. „Ich bin glücklich.“
Oma Johannas Blick wird weich. „Na ja“, lenkt sie ein. „Wir haben es ja noch geschafft.“
Schon ist die Lok zu sehen. Maria greift nach der Hand der Mutter und beobachtet angestrengt die Leuchtziffern an den einzelnen Wagen. Endlich kommt der megalange Zug zum Stehen. „Wir müssen nach rechts“, dirigiert sie und beschleunigt ihre Schritte.
Und dann … taucht unter den ganzen Köpfen einer auf, der die anderen überragt - mit blondem, welligem Haar. „DA!“ Maria reißt die Arme hoch und fuchtelt wie wild durchdie Gegend. „Da ist Manne. Der lange Lulatsch da vorne.“ Am liebsten würde sie losflitzen, aber aus jedem Waggon quillen Menschen heraus, auf die sie achten muss. So schlängelt sie sich durch viele rollende Koffer, Kinderwagen, Beine und nochmals Beine und vernimmt immer wieder Müppis Stimme:„MARIAAA! HIER SIND WIR!“
Nur noch wenige Meter trennen sie jetzt und dann – stürmen vier Mädchen mit Gejohle gleichzeitig auf sie los. Nur Manne steht etwas abseits, denn zum allerersten Mal fühlt er sich unter all den Mädchen seltsam verloren.
„Ich hab die rote Jacke als Erstes gesehen. Die hat voll gut durchgeleuchtet“, triumphiert Müppi und hält Maria umklammert.
„Das war der Plan“, sagt die lachend. „Aber vielleicht liegt’s ja auch daran, dass du wieder ein ganzes Stück gewachsen bist.“
„Wurde auch Zeit, wo ich doch neun geworden bin.“ Müppi grinst. „Aber guck dir mal Manne an. Der wird mal ein Zweimeter-Mann.“
Nun rührt er sich. Zögernd nähert er sich Maria und sie gibt ihm die letzte Osterglocke und forscht in seinen rehbraunen Augen. Was sagen die?
„Wollt ihr euch nicht begrüßen?“, fragt seine Schwester Meli scherzhaft.
„Ehm, ja klar.“ Manne umarmt Maria kurz und klopft ihr freundschaftlich auf den Rücken. Also stürmisch konnte man das nun wirklich nicht nennen, aber noch ehe sie darüber nachdenken kann, warum sie das so ganz anders empfand, als noch zu Weihnachten, nimmt Felicitas ihre Hand und legt ihre eigene darauf. „Und jetzt unseren Spruch“, fordert sie alle auf.
In null Komma nix sind auch Meli und Müppi dazu bereit. Nur Oberlehrerin Moni und Manne reagieren mit Protest: „Wie jetzt?“ „Doch nicht mitten auf dem Bahnsteig!“
Felicitas wird quengelig. „Wollt ihr nun oder wollt ihr nicht?“
Von Wollen kann bei beiden gerade keine Rede sein, das heißt: Wenn sie unter sich sind, machen sie das liebgewordene Ritual immer noch gerne - aber so!
„Also Manne, dann los jetzt!“, sagt Moni schließlich, so nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Ach, was soll’s,denkt er.Bei den Massen kriegt das sowieso keiner mit.
„Lasst uns an das Gute denken, und heute ganz viel Freude schenken“, tönt es wenige Sekunden später und zwölf Hände und fünf Osterglocken fliegen in die Luft und Müppi brüllt:„JIPPI! JÄÄÄÄH!“
Unglaublich viele Köpfe, die sich noch auf dem Bahnsteig tummeln - und das ist auf großen Bahnhöfen ja meistens so - verdrehen sich in die Richtung, aus der der Freudenruf kam und Manne würde am liebsten im Boden versinken. „Küken, geht’s noch lauter?“, zischt er ihr entgegen.
„Aber immer!“, sagt das Küken voller Inbrunst. „Soll ich mal?“ Zwei Schokostückchen, die ihr flux in den Mund geschoben werden, hindern sie im letzten Moment daran. „Aah! Isch weisch! Dasch schind die, die du in deinem Gurkenglaschkalender vergeschen hascht.“
„Und jetzt kann man das Glas nicht mehr anfassen, weil sie ständig durchgezählt hat.“ Moni verzieht den Mund, als hätte sie in die letzte der sauren Gurken gebissen. „Igitt, sag ich dir!“ Und Maria bekommt innerhalb von Millisekunden die Vorstellung von Trillionen kleinster Lebewesen, die sich ebenfalls irgendwann mit im Glas befunden haben mussten.
„Herzlich willkommen zu den Ostertagen in Düsseldorf“, begrüßt nun auch Mutter Stein die Freunde etwas steif. Na ja! Immer locker zu sein, das kriegt sie wohl noch nicht so ganz hin.
Ganz anders Oma Johanna. „Kinder, Kinder“, sagt sie, während sie einen nach dem anderen an ihre Brust drückt, „war das knapp, denn Maria musste unbedingt noch …“
„Noch mal aufs Klo“, ergänzt die Enkelin blitzschnell und zupft der Oma am Ärmel.
„Äh ja, genau. Hattet ihr denn eine gute Fahrt?“ Sie schaut Manne an, weil sie vermutlich meint, er, als der Älteste, könne die Situation am besten beurteilen.
Der grinst. „Na, ja.Wirsind ja schon alle sehr vernünftig. Aber mit Küken im Schlepptau ist es einfacher einen Sack Flöhe zu hüten.“
„M.M., also echt. Jetzt fehlt nur noch, dass du erzählst, dass ich Limo verschüttet hab.“
Oma Johanna lacht und wuschelt durch Müppis etwas stachelige Gelfrisur. Dann schlägt sie den Generalston an: „Also dann! Nehmt alle eure Gepäckstücke und auf geht’s.“
Die Düsseldorfer Innenstadt ist an diesem frühen Nachmittag voller Menschen und Fahrzeugen und Oberlehrerin Moni nutzt das langsame Vorwärtskommen, um ihren Bildungshorizont zu erweitern. Diese Chance kann sie sich nicht entgehen lassen, und Meli und Manne im selben Fahrzeug machen nach der siebenundzwanzigsten Frage die Ohren auf Durchzug. Pardon, Manne schon nach der vierzehnten.
„Wetten, Moni fragt deiner Mutter das Hemd aus der Hose“, äußert Felicitas treffsicher, die neben Maria im Auto von Oma Johanna sitzt. Drei Menschen kichern, nur Müppi nicht. Sie beschäftigt viel mehr die Rettung ihrer Frisur und die Klärung der Frage: Wieso und weshalb sind Opa Heinrich und Vater Stein in Italien?
„Du weißt doch bestimmt noch, dass mein Papa wegen des Schneesturms nach Weihnachten nicht rechtzeitig nach Amerika zurück konnte.“
Müppi nickt.
„Na ja“, fährt Maria fort, „und später wollten die Amerikaner dann was anderes, als er wollte und deshalb müssen wir jetzt sparen, und da haben sich meine Eltern überlegt, als Erstes schon mal unsere Jacht zu verkaufen, weil wir doch in den Ferien viel lieber auf Rügen sind, und da hat sich Papa mit so einem Macker von Supermillionär getroffen, und weil der sie seiner Frau zu Ostern schenken will, musste es ganz schnell gehen, sonst wäre der Deal geplatzt, und weil Opa auch mal ein paar Tage mit seinem Sohn verbringen wollte, sind die beiden am Freitag zusammen los, aber spätestens übermorgen sind sie ja wieder da.“
„Verstehe!“, sagt Müppi und zwickt sie in die Seite. „Und Bandwurmsätze kannst du immer noch am besten.“
„Dafür bin ich bekannt.“ Grinsend wuschelt Maria ihr durch die Haare.
„Na toll!“ Müppi zieht einen gespielten Schmollmund. „Jetzt kann ich von vorn anfangen.“
Als die Autos in eine ruhige Gegend abbiegen, in der prachtvolle, riesengroße Häuser mit noch größeren Grundstücken davor zu sehen sind, klebt Müppi mit der Nase an der Scheibe – und als sie nach links schwenken und durch ein hohes, schmiedeeisernes Tor fahren, steht ihr der Mund offen. „Sind wir hier bei Fürstens oder so was Ähnliches?“ Mit Augen so groß wie zwei Untertassen schaut sie Maria an. Dass es groß ist, das hatte die ja erzählt, aber das hier, das ist ja schon fast ein Schloss.
Felicitas lacht, aber Marias Lächeln auf ihrem Gesicht gefriert. Die beiden Autos rollen eine lange, gepflasterte, rasengesäumte Auffahrt entlang, vorbei an blühenden Büschen und Bäumen, deren frisches Grün in der Sonne leuchtet, und als Müppi den riesigen Swimmingpool erblickt, bemerkt sie: „Nach Sparen sieht das aber nicht aus.“ Aber andererseits: Einmal in ihrem Leben Prinzessin zu sein, wenn auch nur in einem sozusagen geliehenen Haus, das regt ihre Fantasie an. Dafür hat sich die Reise nach Düsseldorf schon gleich dreimal gelohnt.
„Sag mal, müssen wir dich jetzt siezen?“, platzt es aus Moni heraus, als Maria gerade aus dem Auto steigt, und sie schaut an der reichlich verzierten Fassade entlang. „Wieso hast du denn nie Fotos vom Haus geschickt, sondern immer nur von deinem Zimmer?“
„Ach, das ist doch nur ein Riesenkasten, und so super würdet ihr das auch nicht finden, wenn ihr ständig darin wohnen müsstet“, wiegelt Maria ab. „Und außerdem ziehen wir ja sowieso bald hier aus.“
„Dann ist es ja gut, dass ihr noch gewartet habt, sonst hätten wir jetzt nicht bei dir wohnen können“, stellt Müppi fest und denkt an ihre Prinzessinnenzeit.
Nur Felicitas lässt dieser Prachtbau augenscheinlich völlig unberührt, denn sie läuft auf den Rasen und verkündet: „Ich mag den Garten. Ist der nicht wundervollig? So viele Tulpen und Osterglocken auf einen Haufen hab ich ja noch nie gesehen.“
Maria lächelt. Eine tiefe Zärtlichkeit für dieses Menschenkind macht sich in ihr breit.Ihr hätte ich locker von diesem Kasten erzählen können, ohne dass ich Muffen hätte haben müssen, dass sie das verschreckt. Aber wie wär’s bei den anderen gewesen?,überlegt sie.
Manne hat in der Zwischenzeit, ganz Kavalier, das Gepäck ausgeladen, und Oma Johanna bewegt sich, den linken Arm durchs Autofenster gestreckt, winkend vom Grundstück. Auch Mutter Stein lässt den Motor an. „Mein Kind, ich muss noch mal kurz weg. Nadine weiß ja Bescheid.“
Während die Kinder die vier halbkreisförmigen Stufen hinaufgehen, wird von innen der rechte der herrschaftlichen, zweiflügeligen Tür mit den goldfarbenen Beschlägen geöffnet. „Schön, dass ich euch endlich mal persönlich kennenlerne“, begrüßt sie die junge Hausangestellte warmherzig. „Ich bin Nadine, aber das wisst ihr ja schon von den Fotos.“
Gott sei Dank, das ging ja prima,denkt Maria, denn sie hatte die Freunde vorher geimpft: „Wehe einer kichert wegen ihrer Stimme, denn ansonsten ist die echt lieb.“
Nadines Stimmchen verlor sowieso komplett an Bedeutung, sobald die Freunde über die Schwelle den ersten Blick in den riesigen Eingangsbereich mit der ausladenden Marmortreppe werfen konnten.
„Wie bei Fürsten, hab ich’s nicht gesagt.“ Lachend stolziert Müppi an den anderen vorbei und breitet die Arme aus. Ihre Prinzessinnenzeit hat begonnen.
„Du musst Monis Schwester Christina sein“, meint Nadine schmunzelnd.
„Ja, von der, die so aussieht wie Katharina, nur mit Brille. Aber die meisten nennen mich immer noch Müppi oder noch schlimmer, Manne sagt Küken, aber er hat mir versprochen, wenn ich nächstes Jahr zehn werde, dann wird er das endlich lassen.“
„Dann nenne ich dich schon ab heute Christina“, teilt Nadine mit, und damit ist Müppis Herz im Sturm erobert, denn wenn Moni sie Christina nennt … Na ja. „So, Kinder! Jetzt muss ich mich aber ums Essen kümmern. Ich hoffe, ihr habt Hunger.“
Die anderen nicken, aber bevor Müppi sich entschließen kann, ob sie nun Hunger hat oder nicht, will sie vorher wissen: „Was gibt’s denn?“
„Spaghetti mit Bolognesesoße“, erwidert Nadine und Müppi erwidert trocken: „Da bin ich aber beruhigt, dass es in einem Schloss auch ganz normales Essen geben kann.“
Die Mädchen lachen und Nadine lacht auch.
„Also, dann stellt jetzt einfach die Koffer hier ab und Maria zeigt euch danach, wo ihr eure Hände waschen könnt.“ Sprachs und verschwindet Richtung Küche.
Manne, der immer noch auf der Türschwelle verharrt, macht ein paar Schritte vorwärts - so unsicher, als würde er auf Glas treten.
„Und? Was sagst du? Voll gut, gell?“
„Jooo, Küken. Bolognese ist okay.“
„Das meinte ich jetzt aber gar nicht“, entgegnet sie, indem sie die Türen im Erdgeschoss zählt. Hier kann man bestimmt wunderbar Verstecken spielen.
Scheppern und Klappern dringen durch die angelehnte Küchentür und dann Nadines enttäuschtes Stimmchen: „Oh Mann! Darf ja wohl nicht wahr sein! Jetzt sind sie nur noch Mus.“
Dann wird die Tür sperrangelweit geöffnet. „Och, Kinder, ihr steht ja immer noch in der Diele.“
Melis und Monis Augen gleiten an der Wand nach oben. Die nicht endenwollende Höhe beeindruckt und Meli murmelt:
„Diele ist gut.“
„Eine Halle ist das“, kommentiert Moni knapp.
„Schätze, das sind bestimmt acht Meter.“ Felicitas zeigt zur Treppe. „Maria, und wie viele Stufen sind das?“
„Sechsundzwanzig.“
„Meine Güte. Ein Haus mit eingebautem Sportprogramm.“
„Heißt die Halle eigentlich Halle, weil es da immer so hallt?“, fragt Müppi, die das metallene, mit Blätterranken gestaltete Treppengeländer bewundert, das das ganze obere Stockwerk einrahmt wie ein riesengroßes, umgedrehtes L. Es scheint in der Luft zu schweben, denn, was dahinter ist, kann man nicht sehen. Aber das macht das Ganze ja nur umso spannender.
„Wo bleibt ihr denn?“, meldet sich ein energisches Stimmchen aus der Küche.
„Dann ist aber Pustekuchen mit Händewaschen“, ruft Maria.
„Na gut.“ Nadine erscheint im Türrahmen und droht scherzhaft mit dem Finger. „Aber wehe, ihr verratet mich.“
„Du sammelst Pluspunkte bei mir.“ Kess hüpft Müppi an ihr vorbei. Maria, Meli und Moni folgen und schon hört man schwatzendes und lachendes Stuhlrücken.
Nur Manne ist beim Fenster vor der Küchentür stehen geblieben und schaut in den Garten. Keinen Ton hatte er bislang gesagt und keinem war das aufgefallen, das heißt, bis auf einer – Felicitas. Sie nimmt nun seine Hand und sucht seinen Blick. Ein paar Sekunden muss sie sich gedulden, dann wendet er den Kopf und reagiert mit einem Achselzucken.
„Denkst du, ach du dickes Ei?“, flüstert sie.
Er sieht sie ernst an und nickt.
„Ich kenne da einen Jungen, der würde in so einer Situation sagen: Nicht verzagen, auch was wagen. Na ja, und zur Not schicke ich dir ein paar von meinen Engeln.“
Er versucht zu lächeln.
Etwa eine halbe Stunde später geht Müppi, nein, man müsste sagen: Sie schreitet die imposante Marmortreppe hinauf. Sollen sich die anderen doch beeilen. Sie lässt sich Zeit, denn Prinzessinnen tun das auch; zumindest in den meisten Märchen.
Achtzehn, neunzehn. Die Treppe macht jetzt einen Schwung nach links.
„Müppi! Nun komm schon!“
„Och Mensch Fee, du nervst! Die paar Sekunden mehr.“
Vierundzwanzig, fünfundzwanzig, oben.
Enttäuscht muss sie feststellen, dass das Rätsel hinter dem eleganten Geländer weniger spektakulär ist, als gedacht. Nur ein langer Gang mit einem blauen Fußbodenbelag und jede Menge Türen, die alle geschlossen sind. Zu gerne würde sie wissen, was sich dahinter so alles verbirgt. Ganz sicher gibt’s auch neugierige Prinzessinnen.
„Hier ist es.“ Nicht ohne Stolz öffnet Maria kurz darauf die letzte Tür am Ende des Ganges.
Felicitas, die es nicht abwarten kann, tritt als Erstes hinein. „Upps!“
„Kannst du laut sagen“, äußert Moni und blickt sich um.
„Das sah auf den Fotos aber kleiner aus“, bemerkt Meli.
„Absicht“, sagt Maria nur.
„Ich bin megasuperfroh.“ Müppi schlängelt sich durch das Matratzenlager. „Wenn’s kleiner wäre, dann könnten wir nicht alle bei Maria schlafen.“
„Auch wieder wahr“, betont Meli und deutet schmunzelnd auf die verstreuten Schuhe. „Hast du eben noch was gesucht?“
Maria hebt einen Fuß an und zeigt auf ihren Turnschuh.
„Ehm, Maria“, meldet sich da Manne etwas kleinlaut von der Tür. „Wo schlafe ich denn?“
„Klaro! Warte kurz!“ Flink setzt sie die mitgebrachte Vase mit den fünf Osterglocken auf dem Schreibtisch ab.
„So! Jetzt haben alle was davon. Also, dann macht’s euch schon mal gemütlich. Katharina meinte, jeder sollte sich sein Bett alleine aussuchen.“
Und während gleich nebenan Manne sein Zimmer begutachtet, erklärt Müppi die Schlafstätte am Rand für die nächsten sieben Tage zu ihrem geheimen Thron, denn Prinzessinnen haben auch immer einen besonderen Platz.
„Na, was sagst du?“ Maria präsentiert das Bad, als hätte sie es selber installiert. „Ganz für dich allein. Nicht wie bei Traudi, wo du immer auf uns warten musstest.“