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Die zehnjährige Maria Stein zeigt nach außen alle typischen Eigenschaften eines völlig verzogenen Unternehmerkindes, aber in ihrem Inneren fühlt sie sich oft einsam, traurig und abgeschoben. Während eines sechswöchigen Ferienaufenthaltes erlebt sie das erste Mal in ihrem Leben Geborgenheit und Angenommensein. Hin- und hergerissen zwischen christlichen Werten und ihren gelernten Mustern, erlebt sie eine Achterbahn der Gefühle, bis für sie nach und nach: "Du siehst nur mit dem Herzen gut …" erfahrbar wird und Reichtum eine andere Bedeutung bekommt. Die alltagstauglichen Erkenntnisse ermutigen die jungen Leser, die Hoffnung auf das Gute auszurichten, sich dem Glauben zu öffnen und das Besondere in sich und der Welt zu entdecken. Eine Geschichte voller Humor, Inspiration und Spannung.
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Seitenzahl: 250
Veröffentlichungsjahr: 2015
www.tredition.de
über das Buch
Die zehnjährige Maria Stein zeigt nach außen alle typischen Eigenschaften eines völlig verzogenen Unternehmerkindes, aber in ihrem Inneren fühlt sie sich oft einsam, traurig und abgeschoben. Während eines sechswöchigen Ferienaufenthaltes erlebt sie das erste Mal in ihrem Leben Geborgenheit und Angenommensein. Hin- und hergerissen zwischen christlichen Werten und ihren gelernten Mustern, erlebt sie eine Achterbahn der Gefühle, bis für sie nach und nach: „Du siehst nur mit dem Herzen gut …“ erfahrbar wird und Reichtum eine andere Bedeutung bekommt.
Die alltagstauglichen Erkenntnisse ermutigen die jungen Leser, die Hoffnung auf das Gute auszurichten, sich dem Glauben zu öffnen und das Besondere in sich und der Welt zu entdecken.
Eine Geschichte voller Humor, Inspiration und Spannung.
über die Autorin
Brigitte Lehnemann wurde 1959 in NRW geboren und war als ausgebildete Erzieherin tätig.
Seit 2000 arbeitet sie als Gesundheitsberaterin und Seminarleiterin für Stressbewältigung in einer eigenen Praxis.
2005 wurde Rügen ihre neue Heimat.
Brigitte Lehnemann
Glückskinder
Marias Schlüsselgeheimnisse
Band I
www.tredition.de
© 2015 Brigitte Lehnemann
Covergestaltung / Einband: Inselwerbestudio
Coverillustration: Reiner Otto
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7323-4354-6
Hardcover:
978-3-7323-4355-3
e-Book:
978-3-7323-4356-0
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Für
Christina, für die die Idee zum Buch entstand. Paula, die als erstes Kind die Geschichte gelesen hat und die sich mit Johanna schon auf die Fortsetzungen freut.
Kapitel 1
Es sind nur drei einfache Sätze, die an diesem Samstagabend ausgesprochen werden, und die sich auch eigentlich ganz harmlos anhören.
Dreizehn Worte, die normalerweise keine großartige Bedeutung haben müssen.
Aber in diesem Fall ist alles anders.
„Tschüss, mein Kind. Hab einen schönen Abend. Wir sehen uns morgen zum Frühstück.“
Die Stimme hallt von einem großen Eingangsbereich eine imposante Treppe mit sechsundzwanzig Stufen hinauf. Dann erreicht sie einen langen Korridor und dringt unsichtbar durch viele Türen. Aber erst am Ende, hinter der letzten Tür, erreichen die Worte endlich den Menschen, für den sie bestimmt sind und klingen nur noch sehr leise. So, als würde man die Hände auf die Ohren legen.
Hinter dieser Tür, in einem Zimmer, in das im Normalfall drei Kinderzimmer passen würden, wohnt die zehnjährige Maria Stein.
Zu diesem Zeitpunkt sitzt sie, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, auf ihrem Himmelbett und in ihr fühlt sich so gar nichts himmlisch an. Ganz im Gegenteil.
Seit sie vor einer halben Stunde erfahren hat, dass ihre Eltern auch an diesem Abend ausgehen, kämpft sie gegen einen dicken Kloß an, der beharrlich auf die Tränendrüsen drückt, als gälte es einen Wettbewerb zu gewinnen. Sie atmet tief durch und schluckt, denn die Stimme der Mutter hat das Ganze noch verschlimmert.
„Du bist doch an allem schuld“, brummelt Maria vor sich hin. „Papa würde ich schon rumkriegen, aber du …“ Schniefend angelt sie eine frische Packung Papiertaschentücher aus der Nachttischschublade. Es ist heute schon die vierte. Der dicke Kloß hat wieder einmal gewonnen.
„Allein …, immer nur allein! Ich hab’s satt.“ In null Komma nix schlägt ihre Traurigkeit in Wut um und das Kopfkissen kriegt ein paar Faustschläge zu spüren. „Und diese dämliche Farbe hab ich auch satt.“ Und an der gegenüberliegenden Zimmerwand mit der rosafarbenen Blümchentapete prallt die ganze Packung Taschentücher ab. „Überall rosa. Das hält ja keiner aus.“ Mit hochrotem Kopf springt sie aus dem Bett, greift das Kopfkissen und schleudert es Richtung Tür. „Ein rosaroter Albtraum ist das.“
Genau in diesem Augenblick öffnet eine junge Frau, völlig ahnungslos, die Zimmertür und bekommt die volle Ladung ins Gesicht. „Sag mal, geht’s noch? Was ist jetzt schon wieder los?“ Katharina Sorglos, seit zwei Wochen Marias neues Kindermädchen, schnappt einen Moment nach Luft.
„Wenn du angeklopft hättest, dann hättest du auch nix abgekriegt“, faucht Maria sie an.
„Ich … habe … angeklopft“, erwidert Katharina ärgerlich mit Nachdruck und legt das Kissen zurück aufs Bett.
„Also, Fräulein Neunmalklug, was willst du denn?“ Maria beißt sich auf die Unterlippe. Dass sie Katharina so nennt, weil sie in ihren Augen immer alles besser weiß, sollte die gar nicht wissen.
Bei Katharina beginnt es innerlich mächtig zu brodeln und der Tonfall wird scharf. „Hatten wir nicht vereinbart, dass du dein Zimmer aufräumst?“
„Wir? Du hast das gesagt.“ Angriffslustig stemmt Maria die Hände in die Hüften.
Aber Katharina beschließt, sich nicht weiter provozieren zu lassen und wendet sich ab. „Ach ja, in einer halben Stunde gibt es Abendbrot. Und kämm dich, bevor du herunterkommst. Du bist ja ganz zerzaust.“
Schwupps – Tür wieder zu – und weg ist sie.
„Gib dir keine Mühe! Ich hab sowieso keinen Hunger!“, ruft Maria ihr hinterher, aber statt einer Antwort vernimmt sie nur noch das Klackern von Stöckelschuhen auf der kostbaren Marmortreppe.
„Und außerdem macht es mir auch gar nix aus, wenn ich schon wieder eine Neue kriege, die auf mich aufpassen soll. Ihr versteht mich ja sowieso alle nicht!“ Und um das noch zu bekräftigen, stampft sie heftig mit dem rechten Fuß auf - ihr beliebtester Blitzableiter. Mittlerweile läuft der Sabber aus der Nase zum Mund. Sie hebt die Packung Taschentücher auf und trompetet in eins hinein. „Mir tut das Herz weh und die denkt ans Aufräumen. Pah!“ Sie kickt ein zusammengeknülltes Taschentuch mit dem Fuß durch die Luft. „Die kann mich mal! Dann kommt eben bald Kindermädchen Nummer zwölf!“
Mit Hummeln im Hintern und Wackersteinen auf dem Herzen durchquert sie ihr Zimmer.
Die vierte Packung Taschentücher ist fast verbraucht, als die Strahlen der untergehenden Sonne das Zimmer in goldenes Licht tauchen. Sie hält inne und öffnet die rechte Fensterseite oberhalb ihres Schreibtisches. Tief ein- und ausatmend lehnt sie sich ein bisschen hinaus.
Kleine Wolken ziehen langsam am Himmel ihre Bahnen und die Sonne fern am Horizont leuchtet wie eine riesengroße Apfelsine. Das parkähnliche Grundstück der Familie mit dem satten Grün der Bäume und den vielen Vögeln, die sich fröhlich unterhalten, verströmen Ruhe und Frieden.
Und ganz allmählich kehrt auch in Marias aufgewühlte Seele etwas Ruhe ein.
Die Luft, die noch immer warm ist vom Tag, streichelt ihr Gesicht und der Wind trägt einen Duft herüber, den sie kennt. Ah ha, - irgendwo in der Nachbarschaft grillt man Würstchen! Sie schließt die Augen und das Kopfkino läuft: Eine Familie sitzt um einen gedeckten Tisch herum und ganz deutlich hört sie Kinderlachen.
Im nächsten Moment verpasst dieses innere Bild ihrem Herzen einen Stich und mit der Ruhe in ihrem Innenleben ist es wieder vorbei. „Ich will nicht auf diese dämliche Insel“, gellt es durch die abendliche Stille, und die scheint ihr ein Echo wiederzugeben, genauso wie am Morgen, als es von den hohen Wänden des Speisezimmers zurückhallte:
„KÖNNENDICHNICHTMITNEHMEN… NICHTMITNEHMEN!“ Und mit diesen einfachen Worten, die jetzt wieder in Marias Ohren dröhnen, wurde ihr Herzenswunsch, wenigstens die Ferien mit den Eltern zu verbringen, von der Mutter einfach so vom Tisch gewischt. Um ganz genau zu sein, vom gedeckten Frühstückstisch in der Steinschen Villa, denn genau dort begann vor mehr als zehn Stunden Marias Herzeleid.
Kapitel 2
Während Mutter Stein sich am Samstagmorgen ein Glas O-Saft eingoss, erkundigte sie sich bei ihrer Tochter: „Na, mein Kind, hattest du einen schönen Abend?“
Vater Stein, der das Luxusleben seiner Familie durch sehr viel Arbeit in einer eigenen Transportfirma verdient, guckte seine Frau über den Rand seiner Zeitung an und nahm Maria die Antwort ab. „Was für eine Frage, Marie-Luise! Natürlich wird sie einen schönen Abend gehabt haben. Sie kann doch dann machen, was sie will, und Katharina liest ihr bestimmt jeden Wunsch von den Augen ab. Nicht wahr, Herzchen?“
Marias Stimmungsbarometer stand bereits auf wolkig - und das aus gutem Grund. Als sie nach dem Aufstehen in ihrem geheimen Vokabelheft mit den Strichlisten für die Kindermädchen und alles Mögliche, die Seite aufschlug mit der „Wann machen Mama, Papa und ich mal was zusammen“ - Liste, da waren - und das schon seit einigen Wochen - nur Striche für die Wochenendfrühstückszeiten verzeichnet. Das war alles.
Die amüsieren sich und ich kann sehen, wo ich bleibe. Diese Feststellung machte traurig und auch ein bisschen wütend und deshalb schmetterte sie nun dem Vater entgegen: „Ich mag Katharina nicht. Und Papa, nenn mich nicht immer Herzchen. Das macht’s auch nicht besser.“
KLATSCH! Das war die Kakaotasse, die sie mit dem Arm streifte, als sie etwas hektisch über den Tisch nach dem Toast griff. Das weiße Tischtuch färbte sich im Nu dunkelbraun und die Tasse hinterließ einen Scherbenhaufen auf dem Marmorboden und ziemlich viele braune Spritzer.
Die Augenbrauen von Marie-Luise Stein gingen ein wenig nach oben und sie runzelte die Stirn. Sie sagte aber nichts, denn sie ist immer darauf bedacht, die Haltung zu bewahren.
Marias Haltung allerdings war alles andere als cool. „Mann! Warum ist der Tisch so groß? Wir essen doch sowieso kaum zusammen und außerdem sind wir nur drei Leute!“
„Wir haben aber oft Gäste zu bewirten. Das weißt du doch“, verteidigte sich ihr Vater. Leicht angesäuert legte er seine Zeitung beiseite und der Blick richtete sich auf seine Ehefrau. „Was ist denn bloß mit deiner Tochter heute los?“
Frau Stein, die missmutig in ihrem Rührei herumstocherte, antwortete pikiert: „Mein lieber Thomas, nur zu deiner Erinnerung, sie ist auch deine Tochter.“ Dann hüstelte sie und kündigte an: „Mein liebes Kind, wir müssen etwas mit dir besprechen.“
Die Hausangestellte Nadine, eine junge Frau von vielleicht zwanzig Jahren, steckte ihren Kopf samt ihrem langen, blonden Zopf zur Tür herein. „Ich hab’s Scheppern hören. War was?“
„Gut, dass Sie kommen.“ Marie-Luise Stein deutete auf das Missgeschick der Tochter. „Bitte bringen sie das wieder in Ordnung.“
Diese Nadine mag ich auch nicht, dachte Maria. Die hat so eine hohe, piepsige Stimme.
Nachdem „Fräulein Piepsi“ die schlimmsten Spuren beseitigt hatte, kam Mutter Stein auf das Gesprächsthema zurück. „Nun …, es dreht sich um die diesjährigen Sommerferien.“
Sie machte eine Pause, zupfte an ihrem gut frisierten Kurzhaarschnitt herum, nahm ihre feine Porzellantasse und nippte kurz an ihrem Tee, den kleinen Finger etwas abgespreizt.
Maria, die ihrer Mutter gegenüber saß, wappnete sich schon einmal innerlich, denn wenn ihre Mutter sagt „Mein liebes Kind“, dann wird’s jedes Mal unangenehm.
„Also, kurz und gut, mein liebes Kind, in diesem Jahr werden wir nicht auf unserer Yacht durchs Mittelmeer schippern, sondern du wirst in Deutschland bleiben.“
Eine Betonung in diesem Satz versetzte Maria in höchste Alarmbereitschaft. „Mama, wieso sagst du du und nicht wir?“
„Weil wir nach Amerika müssen und wir können dich nicht mitnehmen.“
Maria brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was da vor sich ging.
KÖNNEN DICH NICHT MITNEHMEN… NICHT MITNEHMEN! Wie ein Echo schienen die Worte von den hohen Wänden des großen Raumes zurückzuhallen.
Keiner im Raum sagte ein Wort, aber in Marias Hals wurde es so eng, dass sie das Gefühl hatte, der würde gleich platzen. Blitzartig schnellte sie hoch, sodass ihr Stuhl das K.O. als Sitzmöbel bekam und nach hinten fiel. Wütend stemmte sie ihre Hände in die Hüften. Ihr Stimmungsbarometer stand nun auf Sturm. „Wie jetzt? Heißt das, ich bleibe beim langweiligen Fräulein Neunmalklug, hab das ganze Haus für mich und bin wiiieder total alleine?“
Marie-Luise Stein hob zum ersten Mal an diesem Morgen aus lauter Verzweiflung, außer den Augenbrauen, nun auch ihre Stimme: „Thomas! Jetzt sag du doch auch mal was! Das Kind ist ja ganz aus dem Häuschen.“
Ihr Mann zupfte an seinem Krawattenknoten herum, denn irgendwie wurde es auch in seinem Hals ein bisschen eng.
„Herzchen, nun komm mal wieder runter. Ich muss beruflich ganz kurzfristig nach Amerika, um neue Verträge zu schließen, und die Mama wird mich begleiten. Aber natürlich wirst du auch verreisen.“
In Marias Bauch kribbelte es wie in einem Ameisenhaufen. Ihr war völlig egal, ob Mama und Papa nach Amerika müssen. Sie wusste nur eins ganz genau: Die Eltern ließen sie wieder allein und die Seite mit der Strichliste in ihrem geheimen Vokabelheft würde weiß bleiben.
WEG! NUR RAUS HIER!, schrie eine Stimme in ihr.
Doch Eltern haben manchmal das ungewöhnliche Talent, die Gedanken ihrer Kinder zu erraten. Deshalb hielt Vater Stein die Tochter am Arm zurück und sagte sanft: „Herzchen, hör dir mal erst an, was Mama dir zu sagen hat. Also stell den Stuhl wieder hin und nimm Platz.“
Aber Maria machte sich ganz steif. „Danke, ich stehe lieber.“
Mutter Stein wurde die Situation immer unangenehmer. Sie strich nervös mit zwei Fingern über ihren dunklen Haaransatz, seufzte theatralisch und verlegte sich aufs Jammern. „Thomas! Was machen wir nur falsch? Sie hat doch alles, was sich ein Kind nur wünschen kann und ist sooo frech!“ Ihre sorgfältig geschminkten Augen gingen nun empört in die Richtung von Vater Steins Herzchen. „Ich glaube, die sechs Wochen bei Gertrude werden dir guttun. Damit du einmal merkst, was im Leben wirklich wichtig ist.“
„Sechs Wochen!?“ Maria setzte ihr Buchhalterdenken in Gang. „Das sind zweiundvierzig Tage. Und wer überhaupt ist diese Trude?“
Ihr Vater versuchte ruhig zu bleiben. „Tante Gertrude, meine Schwester, das weißt du doch.“
„Tante Gertrude kenn ich nicht mehr und will ich schon gleich gar nicht.“ Marias Wut schlug um in Phase zwei und die hieß: Trotz. Und rein mechanisch stampfte sie mit dem Fuß auf, weil sie das gewöhnlich immer macht, wenn sie sich durchsetzen will.
„So, mein liebes Kind. Ende der Diskussion.“ Mutter Steins Stimme klang nun extrem gereizt. „Du bist jetzt sofort vernünftig. Es ist schon alles abgesprochen.“
„Ja, und in ihrem schönen, alten Fischerhaus direkt am Wasser ist es ideal für Kinder“, fügte Vater Stein hinzu.
Maria reichte das natürlich nicht und sie wollte erst recht nicht vernünftig sein, denn mittlerweile schlugen die Gedanken in ihrem Kopf Achterbahnloopings.
„Fischerhaus? Wasser? Wo? An welches Wasser denn?“
„Aber Herzchen.“ Ihr Vater rollte mit den Augen. „Ich sag nur Rügen, die Insel in der Ostsee. Oma und Opa haben dir doch auch schon von ihren Besuchen dort erzählt.“
Marias Stimme kippte und wurde weinerlich. „Ich weiß nicht, wo diese doofe Insel ist, und ich will auch nicht zu dieser doofen Ostsee. Ich will mit euch nach Amerika!“
„Herzchen, bitte, mach es uns doch nicht so schwer.“ Thomas Steins Gesicht drückte Hilflosigkeit aus. „Vielleicht können wir ja im Herbst wieder zusammen verreisen?“
„Vielleicht …, immer nur vielleicht“, nuschelt Maria jetzt traurig und schließt bekümmert das Fenster. „In letzter Zeit krieg ich nix anderes mehr zu hören. Ich will doch einfach nur mit euch zusammen sein.“
Zwei heiße Tränen kullern ihr über die Wangen.
„Maria, wo bleibst du denn?“ Die energische Stimme vom unteren Treppenabsatz ist nicht zu überhören. „Die Suppe wird kalt.“
„Mir doch egal! Suppen mag ich sowieso nicht und wenn’s wieder diese komische Champignondingsbumssuppe gibt, dann lass ich die sowieso stehen. Stinknormale Pommes mit Mayo möchte ich mal haben.“
Missmutig betrachtet sie das Zimmerchaos der letzten Woche, und kurz entschlossen öffnet sie die beiden großen Kleiderschränke und pfeffert in null Komma nix alles hinein, was irgendwie herumliegt.
Anschließend schlurft sie ins Bad, das eine Verbindungstür zu ihrem Zimmer hat. Sie wäscht sich das Gesicht, kämmt ihre langen, braunen Haare, auf die sie so stolz ist und katzenförmige dunkelbraune Augen sehen ihr trotzig im Spiegel entgegen. Hämisch äfft sie ihre Mutter nach, die schon gefühlte neunhundertneunundneunzigmal gesagt hat: „Wenn du reich bist, brauchst du keine Freunde. Nur Geschäftspartner.“
Mit dem eisernen Vorsatz sich auf jeden Fall noch vor dem Schlafengehen eine Taktik zu überlegen, wie man die doofe Insel aus dem Rennen werfen kann, drückt Maria nur wenig später die Klinke zum Speisezimmer herunter.
Kapitel 3
Auf einem kleinen Fleckchen Erde, ziemlich weit von Düsseldorf entfernt, radelte Felicitas - nur ein paar Stunden zuvor - einen schmalen, holprigen Weg zwischen Wiesen und Wasser entlang. Am Lenker hingen zwei Körbchen mit Erdbeeren, und etliche Rhabarberstangen in der Klemme des Gepäckträgers wippten bei jedem Schlagloch auf dem Weg auf und ab, und sie musste darüber lachen.
Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel herab und der leichte Wind, der über das Meer strich, kräuselte die Wellen wie bei einer Ziehharmonika.
Felicitas, die mit ihren Einkäufen bei Bauer Marten auf dem Rückweg war, hielt an. „Strampeln bei der Wärme macht durstig …, aber … null Problema“, meinte sie und ließ die Finger über einem Korb kreisen. Gleich darauf verschwand eine besonders große Beere in ihrem Mund und sie schloss beim Kauen die Augen, weil es sich so besser genießen ließ. Einfach wundervollig, dachte sie und wischte mit der freien Hand über die Mundwinkel, aus denen der Saft herauslief. „So!“, sagte sie laut. „Der erste Durst ist gestillt und weiter geht’s.“
Felicitas, ein quirliges, aufgewecktes Mädchen von beinahe zehn Jahren, spricht gerne laut mit sich selbst, und manchmal unterhält sie sich mit jemandem, den es augenscheinlich gar nicht gibt. Immer, wenn Menschen sie verwundert fragen, mit wem sie denn rede, obwohl sie doch alleine sei, dann antwortet sie mit fester Stimme: „Ich bin niemals allein, denn meine Engel, die Gott mir mitgegeben hat, sind immer bei mir. Und das sind mindestens sechs Stück: Einer vor mir, einer hinter mir, über mir und unter mir und rechts und links von mir.“ Und dann lächelt sie und fügt hinzu: „Sie haben auch welche, sie wissen’s nur noch nicht.“
Eine besondere Freude machen ihr Wortspielereien, die sie einmal für sich entdeckt hat, als sie als kleines Kind ganz lange im Krankenhaus lag. Dort entstand ihr absolutes Lieblingswort und ihr Lieblingssatz: wundervollig - und - null Problema, die Lösung ist schon da.
Ja, sie ist kein gewöhnliches Menschenkind, diese Felicitas Glück.
Kurz gesagt: Felicitas ist anders.
Mit einer Tasse Kaffee und einem Teller Keksen saß Gertrude Waldmann in ihrem Vorgarten auf der Bank unter den beiden Küchenfenstern und beobachtete die Dorfstraße.
Schon als Kinderärztin an einer Düsseldorfer Klinik hatte sie einen Traum, der sie nicht mehr losließ: eine eigene Ferienpension am Meer. Vor sechs Jahren war es dann soweit. Ein Dorf mit zweiunddreißig Häusern, verteilt auf vier Sträßchen, wurde ihr neues Zuhause. In einem zauberhaft modernisierten, großen Bauernhaus mit jeder Menge Garten drum herum fühlen sich nicht nur Feriengäste wohl, sondern auch ein Hund, zwei Ziegen, mehrere Hühner und eine Schar Katzen.
Wo sie nur bleibt? Ansonsten muss ich mein Rhabarberkompott auf morgen …
Mitten in diesen Gedanken hinein, erblickte sie Felicitas weiße Schirmkappe. Sie stand auf und ging ihr entgegen.
„Entschuldige, ich hab mich verbummelt, weil ich einen wundervolligen Umweg durch die Wiesen gemacht habe!“, rief Felicitas ihr zu.
„Wetten, du hast wieder Schmetterlinge und Bienen beobachtet?“
„Erraten. Bin ich viel zu spät?“
„Passt schon noch. Möchtest du mir beim Schnippeln helfen?“
„Nee, Rhabarber ist nicht mein Ding. Außerdem wartet Mama auf die Erdbeeren. Aber hast du noch von dem selbstgemachten Saft?“
„Na klar! Dann bring du den Rhabarber und ich hol in der Zwischenzeit den Saft.“
Während die Hausherrin auf dem Absatz kehrt machte, sah Felicitas ihr hinterher und bemerkte leise: „Ich mag dich sehr, Traudi Waldmann. Alle hier mögen dich und deine Tiere … und überhaupt.“ Lächelnd, mit den Rhabarberstangen unter den Armen, stieß sie mit dem Fuß das Eingangstörchen zur „Oase“ auf, deren Namen vor einigen Jahren mal in bierchenseliger Laune am Stammtisch des Dorfes zustande kam.
„Meint ihr nicht auch, Männer“, sagte einer, „dass wir uns für die nette Frau Waldmann aus der Pension „Am Wasser“ zum einjährigen Bestehen mal was überlegen sollten?“
„Jo, dat is ’ne nette Deern. Hat immer en offenes Ohr für jeden“, meinte ein anderer.
Und Willem Lehmann, ein pensionierter Lehrer, dessen Enkel oft aus der Stadt zu Besuch kommen, bekräftigte: „Das ist wahr, Karl, wirklich wahr! Und für die Kinder hat sie immer so tolle Mutmachsprüche parat, wie: Hab Vertrauen! oder Trau dich einfach!“
In diesem Moment bekam Hinnerk Schillings, ein alter Seebär, einen Geistesblitz. Er steckte kurz den Kopf mit seinem Freund Krause zusammen, klopfte sich dann auf die Schenkel und triumphierte: „Dann is dat klor. De Gertrude wird ’ne Traudi …“, und sein Freund Krause ergänzte lachend: „Und aus der Pension „Am Wasser“ machen wir „Traudis Oase.“
„Ihr meint ein neues Schild? Das wär ja wunderbar, wirklich wahr“, äußerte Lehrer Lehmann und zupfte an seiner Fliege. „Jo“, erwiderten die alten Seebären Schillings und Krause einstimmig und alle nickten begeistert.
„Na denn, Prost Männer“, sagte der Erste augenzwinkernd. „Auf gutes Gelingen.“
Deshalb hängt, seit nunmehr fünf Jahren, ein mit Liebe selbstgezimmertes Schild über Gertrude Waldmanns Eingangstörchen. Von dort sind es genau dreiundzwanzig Schritte auf dem gepflasterten Weg bis zur Klöntür, die Felicitas immer zählt, wenn sie in die „Oase“ kommt.
Heute allerdings ging sie an der Klöntür vorbei, legte die Stangen auf den Tisch und setzte sich auf die Bank.
„Fünfunddreißig!“
„Ah, du zählst wieder Schritte.“ Traudi, die mit einem Glas Kirschsaft in der Hand aus dem Haus trat, nahm neben ihrer kleinen Freundin Platz. „Vielleicht wirst du ja mal Architektin oder so was?“
„Tja, wer weiß!“ Felicitas musste plötzlich grinsen. „Oder wir erfinden einen neuen Beruf und machen dafür Werbung mit dem Spruch: Mit Deutschlands bester Schrittezählerin von Rügen bis nach Bayern.“
Beide lachten und Felicitas nahm einen großen Schluck vom Saft. „Hmmm! Wenn das so weitergeht, dann hab ich am Abend Fruchtgelee in meinem Bauch. Fehlt nur noch ein bisschen Gelierzucker.“
Auf Traudis fragenden Blick antwortete sie: „Na, heute hatte ich schon eine Banane, einen Apfel, eben eine große Erdbeere und jetzt den Kirschsaft.“
„Und warum magst du keinen Rhabarber?“
Felicitas tippte auf ihre Schneidezähne. „Die werden davon so stumpf und dann quietschen sie so komisch, wenn man sie übereinanderreibt.“
Traudi lachte. „Das liegt an einem bestimmten Wirkstoff in der Frucht.“
„Dieser Wirkstoff kann ja da auch bleiben, wo er ist“, entgegnete Felicitas schmunzelnd. „Hauptsache, ich muss ihn nicht essen.“
Warmherzig sah Traudi sie an und streichelte über ihren rotblonden, kurzen Lockenschopf. „Aber, jetzt mal was anderes. Kommen Manne, Moni, Meli und Müppi auch wieder in den Ferien?“
„Ja, alle von Anfang an.“ Felicitas nickte eifrig und ihre Augen leuchteten. „Und das Wundervolligste ist, dass sie sogar an meinem Geburtstag hier sind. Wieso fragst du?“
„Weil ich noch jemanden für euren Freundeskreis wüsste.“ Felicitas blickte sie neugierig an und baumelte mit den Füßen in der Luft hin und her.
„Ich hab dir doch schon von meiner Nichte Maria erzählt.“
„Ja, weiß ich noch! Ihre Großeltern sind deine Eltern, die dich manchmal besuchen kommen.“
„Ganz genau. Und nun muss mein Bruder wegen seines Transportunternehmens kurzfristig nach Amerika und weil meine Schwägerin ihn begleiten will, fällt die geplante Ferienreise ins Wasser. Deshalb soll Maria in den Ferien hier wohnen.“
„Warum kann sie denn nicht mitfahren?“
„Glaub mir, in eurem Alter ist es sterbenslangweilig bei diesen ganzen Geschäftsgesprächen, Geschäftsessen und was weiß ich noch alles.“
„Ach so, verstehe! Wann kommt sie denn, und wie lange bleibt sie?“
„Geplant sind sechs Wochen und Anreise wäre am nächsten Sonntag, das heißt, wenn nichts mehr dazwischenkommt.“
„Wie meinst du das?“
Traudi zuckte die Achseln. „Bei diesem Teil der Familie kann in einer Woche alles Mögliche passieren.“
Felicitas nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Wenn es für Maria richtig ist, dann werden die Engel auch einen Weg finden, dass sie kommen kann.“
„Ja, aber ich fürchte nur, sie ist ziemlich verwöhnt.“ Traudi verzog spielerisch das Gesicht.
„Null Problema, die Lösung ist schon da.“ Felicitas hüpfte von der Bank und verabschiedete sich mit einer Umarmung.
„Vielen Dank für Saft und Freundschaft.“
„Dieses Kind ist unglaublich“, murmelte Traudi, als sie ihr nachblickte. „Mit diesen klaren graublauen Augen schaut sie einem direkt in die Seele.“
Kapitel 4
In die Seele seines Kindes schauen
würde am nächsten Morgen auch gerne Vater Stein.
„Hier, Herzchen, guck mal, hier liegt Rügen.“ Er tippt auf eine Stelle des schönen alten Globus, der in seinem gemütlichen Arbeitszimmer steht und so riesig ist, dass es an ein Wunder grenzt, dass er einmal durch die Tür gepasst hat.
Maria steht mit Trauermine davor und zeigt null Interesse, obwohl sie dieses Zimmer eigentlich mag. Hier riecht es so wunderbar nach altem Holz, nach Möbelpolitur und nach Papas Rasierwasser. Hier hatte er sie früher öfter auf seine Knie genommen und ihr Märchen und Kinderbücher vorgelesen. Sie hatte sich währenddessen an seine Brust geschmiegt und war dann immer ganz glücklich. Aber die Kuschelzeiten im Hause Stein sind leider nur noch sehr selten. Dabei könnte sie gerade in diesem Augenblick ein bisschen Kuscheln gut gebrauchen, denn Rügen liegt, im Wettstreit mit Amerika, leider zurzeit immer noch in Führung.
Bei der Grübelei, wie man das ändern könnte, kam ihr gestern Abend plötzlich ein Spruch ihrer Oma in den Sinn: Wenn dir das Leben Zitronen gibt, dann mache Zitronenlimonade daraus. Und ZACK! - wurde die Idee geboren, die Maria nun in die Tat umsetzen will.
Kläglich klingt jetzt ihre Stimme und ihr Kopf senkt sich herab. „Ihr wollt mich ja doch nur abschieben. Wenn ihr mich lieb hättet, dann würdet ihr mich auch mitnehmen.“ Stocksteif steht sie da und wartet ab, was passiert.
Die Worte der Tochter treffen Thomas Stein mitten ins Herz. Er geht vor ihr in die Hocke und seufzt. „Herzchen, natürlich haben wir dich lieb, und wenn du jetzt keine Probleme machst, dann darfst du dir auch was wünschen.“
Sie guckt ihn an mit dem besten Dackelblick, den sie so draufhat. „Versprichst du’s?“
Ihr Vater nimmt ihre Hand. „Versprochen.“
Mein Plan kann losgeh’n, denkt sie, holt noch einmal tief Luft und wie aus der Pistole geschossen sprudelt der wohlüberlegte Satz aus ihr heraus: „Okay! Dann wünsche ich mir den Laptop, den du mir schon lange versprochen hast, ein zweites Pferd und neue Sommerklamotten.“ Sie schluckt und ist verwundert über ihren Mut, aber sie glaubt ganz fest, dass jetzt ihr Vater sagen wird: Bei so vielen Wünschen nehmen wir dich dann doch lieber mit nach Amerika.
„Bist du verrückt?“, fragt er dann auch tatsächlich. „Ich hatte gesagt, du darfst dir was wünschen, aber das …“ Er ringt nach Worten. „Das ist unverschämt.“
Maria beobachtet ihn mit Genugtuung und setzt noch einen drauf. „Ach ja, und dann wünsche ich mir endlich ein neues Zimmer. Ich kann das Rosa nicht mehr sehen.“ So, denkt sie zufrieden. Jetzt habe ich alles rausgehauen, was geht. Jetzt müssen sie mich mitnehmen.
Ihr Vater steht wieder auf und fährt sich mit den Händen durch sein helles, leicht gewelltes Haar.
Erwartungsvoll sieht sie ihn an. „Papa?“
„Teure Versprechungen sind das“, meint er verärgert und öffnet den obersten Knopf vom Hemd. Ihm wird die Krawatte zu eng.
Sie zuckt mit den Schultern. „Ganz einfach. Nehmt mich mit, dann wird’s billiger.“
Mit den Händen in den Taschen, kehrt Vater Stein seiner Tochter den Rücken zu und geht schwerfällig ans Fenster.
Jetzt muss er rechnen, überlegt sie und rührt sich nicht von der Stelle. Ihre Augen wandern zu dem Foto, das nur einen Meter entfernt in einem Regal steht. Das ist sie, Tante Gertrude, die Frau mit den vielen Lachfältchen, die ihr manchmal bunte Postkarten schickt.
Fünfzehn Atemzüge lang hat sie Zeit das Foto zu betrachten, bevor ihr Vater reagiert.
„Herzchen …, wir holen den gemeinsamen Urlaub nach, aber im Moment geht’s nicht anders.“
Ihre Kinnlade klappt nach unten. Das kann doch nicht sein?, flucht ihr Inneres.
„Aber ich stehe zu meinem Wort“, spricht er weiter. „Wenn’s dich denn glücklich macht, dann bekommst du dein neues Zimmer und neue Sommersachen.“
Trotzig stampft sie mit dem Fuß auf. „Dann vergiss auch nicht den Laptop und das Pferd.“
Er macht einen tiefen Seufzer, dreht sich zu ihr um und nickt. Maria erschrickt. Auf einmal sieht ihr Vater aus, als hätte er drei Tage und Nächte durchgearbeitet. „Apropos Pferd“, sagt sie mit leiser, zögerlicher Stimme. „Ich möchte gern zu Paul.“
Mein Gott, was hat mich da bloß geritten? Marie-Luise wird mich vierteilen, wenn sie erfährt, was ich Maria alles versprochen habe, sind Thomas Steins Gedanken als er, vom Stall zurück, die Schlafzimmertür seiner Frau öffnet.
Mit einem Waschlappen auf ihrer Stirn, die Augen geschlossen, liegt sie auf ihrer Designercouch und murmelt bei seinem Eintreten: „Und? Was sagt sie? Findet sie sich nun damit ab, dass sie zu Gertrude fährt?“
Urplötzlich packt ihn eine solche Wut auf seine Frau, dass er in null Komma nix krebsrot wird. „Immer dann“, ballert er los, „wenn du dich nicht weiter um Probleme kümmern willst, dann bekommst du Migräne und ich muss Lösungen finden.“
„Schrei mich nicht so an!“, giftet sie zurück und fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf.
„Ach, ist doch wahr! Du weißt genauso gut wie ich, dass du nicht mitfahren müsstest. Aber nun hast du ja deinen Willen.“ Seine Gesichtsfarbe wechselt noch einmal, von krebsrot zu einem blassen grün. Er dreht sich auf dem Absatz um und verlässt das Zimmer.
Marie-Luise Stein atmet auf. „Gott sei Dank. Das wäre erst einmal geschafft.“
In Pauls Box führen er und seine Menschenfreundin Maria eine Unterhaltung. Das heißt, sie redet sich die Sorgen und Gedanken von der Seele und Paul spitzt die Ohren, während er gestriegelt wird.
„Ach, Paul, ich hab’s versucht, wirklich. Ausgequetscht hab ich Papa, weil ich dachte, dass es ihm zu teuer wird. Aber Pustekuchen.“ Sie seufzt. „Na ja, die Wochen werde ich schon irgendwie rumkriegen und auf Tante Gertrude muss ich ja nicht jedes Mal hören. Jedes zweite Mal reicht ja auch.“
Paul wiehert und nickt mit dem Kopf, ganz so, als wolle er ihr zustimmen.
„Ja, und nachher werde ich dann mal eine „Was ich alles mitnehme“ - Liste schreiben. Vielleicht hilft’s ja. Und wenn man die Dinge nicht ändern kann, dafür hat mir Oma mal den Spruch mit den Zitronen erklärt. Ich hasse Zitronen, aber ich mach mir Limo daraus.“
Paul wendet ihr seinen Kopf zu und schaut sie an, so, als wolle er sie was fragen.
„Das ist, wenn man versucht, aus einer dämlichen Situation noch was Gutes zu machen. Zitronenlimo eben, verstehst du?“ Paul wiehert.
Mit einem Seufzer schmiegt Maria sich eng an seinen weißen Hals und flüstert: „Ich sag dir jetzt was, was ich sonst nie sagen darf.“ Sie atmet tief durch. „Trotzdem fühl ich mich so richtig … scheiße.“
Und Paul blickt in die leeren Augen seiner Menschenfreundin, die keine Tränen mehr haben.
Kapitel 5
Mit hochrotem Kopf stürmt Katharina in die Küche. Die fast schwarzen Haare, die zu einem Pagenkopf geschnitten sind, kleben an ihrem Kopf wie ein Helm, dafür ragen die Haare des Ponys in die Luft wie Antennen.