Goldrausch auf der Alb - Maria Stich - E-Book

Goldrausch auf der Alb E-Book

Maria Stich

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Beschreibung

Die Lokalreporterin Eva Witten ist zusammen mit dem Archäologen Professor Feinäugle auf der Jagd nach einer Landkarte, auf der eine Höhle mit einem Keltengrab eingezeichnet ist. Sie findet bald heraus, dass der zwielichtige Immobilienmakler Trost in die Sache verwickelt ist. Der Tod eines notorischen Spielers, einer Helferin von Trost und auch noch dessen Bodyguard alarmieren die Kriminalpolizei in Stuttgart und in Tübingen. Als der von Trost beauftragte Grabräuber Eva und der Professor ins unterirdische Höhlenlabyrinth entführt, kommt es zum Großeinsatz. Aber Eva Witten hat noch was vor! Mit ihrer Freundin und Kollegin Berta Schwinghammer stürzt sie sich in ein Zockerabenteuer in einer illegalen Spielhöhle. Schließlich soll das Keltengold doch noch was bringen.

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Maria A. Stich

Maria A. Stich wurde 1954 als Maria Anna Grund in Nürnberg geboren. Nach ihrem Studium an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät unterrichtete sie als Grund- und Hauptschullehrerin. Sie lebt jetzt in der Nähe des Bodensees in Markdorf.

Sie ist als ehrenamtliche Vorleserin im Vorlesenetzwerk der Kinderstiftung Bodensee tätig. Teilnahme an Schreibwettbewerben der Literaturtage in Isny und der Literarischen Vereinigung Signatur e.V. Seit 2015 schreibt sie kleine Buchbände mit Schmunzelgeschichten und Kindergeschichten über Abenteuer der tierischen Super Gang. Tübingen, der Wohnort ihrer beiden Töchter, inspirierte sie zu humorvollen und spannenden Regionalkrimis.

Wolfgang Grund

Wolfgang Grund wurde 1957 in Neumarkt i. d. Opf. geboren. Nach dem Studium der Elektrotechnik machte er sich selbstständig und gründete ein Software Haus in Fürth. Anfang der 2000er-Jahre verkaufte er es. Jetzt lebt er in Langenzenn in der Nähe von Nürnberg.

Seine Passionen sind Kino und Motorradfahren in fremden Ländern. Viele Erfahrungen daraus verarbeitete er in seinem mehrbändigen Romanwerk baenkle.de und in der Romanreihe mit dem Schriftsteller Wolfgang Prakl.

Gemeinsam verfassen die beiden Geschwister Lokalkrimis mit den Protagonisten Wotan Wilde und Eva Witten.

Maria A. StichWolfgang Grund

GOLDRAUSCH AUF DER ALB

Krimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2022

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehaltenTitelbild: Jürgen Meyer

Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, Reutlingen

Lektorat: Bernd Weiler

Korrektorat: Sabine Tochtermann

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-96555-146-6

Besuchen Sie unsere Homepage und informierenSie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

1

An einem sonnigen Herbsttag im September bog ein roter Kleinwagen in den Hof von Hubertus Hollerer auf der Schwäbischen Alb ein. Die Lokalreporterin Eva Witten bremste abrupt vor dem Tor zum Kuhstall. Mit einer automatischen Handbewegung stellte sie den laut fiedelnden Klassiksender im Radio ab und blieb noch einen Augenblick sitzen. Sie war genervt und frustriert. Auf der Heimfahrt von Tübingen nach Hagelloch hatte sie eine halbe Packung Russisch Brot aufgeknabbert, was sie noch zusätzlich wurmte. Warum konnte sie sich nicht beherrschen, wenn sie einmal mit der Nascherei anfing? Das lag bestimmt an dem öden Vortrag im Hegelbau, von dem sie gerade kam. Mit diesem Regionalkram verschenkte sie Tag für Tag das enorme schriftstellerische Potenzial, das in ihr schlummerte. In ihrem jetzigen Aufgabenbereich als Lokalreporterin beim »Tübinger Tagblatt« fühlte sie sich total unterfordert.

Der einzige Lichtblick neben Evas monotonem journalistischen Leben waren die gemeinsamen Stunden mit ihrem süßen Hubertus. Süß nannte sie ihn nur in Gedanken, sonst hätte er sich in seiner Männerehre gekränkt gefühlt. Eher halbherzig war sie vor einem halben Jahr auf dessen Bauernhof in der Nähe von Tübingen gezogen. Aber, oh Wunder, das Landleben bekam ihr erstaunlich gut. Den riesigen Freilaufstall mit den 100 Milchkühen und 60 Mastbullen neben dem Wohnhaus versuchte sie zu ignorieren und mied ihn so gut es ging.

Hubertus hatte sie vor zwei Jahren auf dem legendären Traktorentreffen bei der Weihermühle rotzfrech angebaggert. Die Affäre nahm dann aber so schnell Fahrt auf, dass ihr Hören und Sehen verging. Auch in anderer Weise hatte das Treffen ihrem Leben eine Wendung gegeben. Sie war dort von der Hausfrau Mathilde Stecher mit einer Pistole bedroht worden, hatte sich mit ihr auf ein riskantes Geschäft am Rande der Legalität eingelassen und war so zu einem kleinen Vermögen gekommen. Das zugehörige Abenteuer, das sie beinahe mit dem Leben bezahlt hätte, lag Gott sei Dank weit hinter ihr. Sie hatte aus ihren Fehlern gelernt und sich geschworen, nie wieder im Alleingang, ohne Hilfe der Polizei, Verbrecher zu jagen. Zumindest glaubte sie das fest.

Den Hof hatte Hubertus vor fast zehn Jahren von seinen Eltern übernommen und renoviert. Das frisch gestrichene Bauernhaus war mit den grünen Fensterläden und dem dunklen Fachwerk sehr einladend. Auch die Innenräume waren komplett modernisiert worden. Das ehemalige Gästezimmer war mit einem Durchbruch zum Schlafzimmer versehen und Eva konnte es als begehbaren Kleiderschrank für ihre unzähligen Schuhe und Kleidungsstücke nutzen. Es mussten aber nicht immer neue Klamotten sein. Sie stöberte auch in Secondhandshops oder auf Flohmärkten. Das war voll nachhaltig und sparte eine Menge Geld, was ihr Shoppinggewissen sehr beruhigte. Die Kleidung von Hubertus passte dagegen in den schmalen Schlafzimmerschrank und die zwei Paar Sneaker, die er besaß, standen im Flur an der Garderobe. Dafür hatte er mehrere Paar Gummistiefel für die Stallarbeit und andere landwirtschaftliche Tätigkeiten. Zu ihrer Dreierwohngemeinschaft gehörte noch Merlin. Der stattliche schwarzbraune Beauceron liebte es gemütlich. Sein Tagesablauf bestand hauptsächlich aus Fressen und Schlafen.

Während des Vortrags am Nachmittag »Die Kelten, das geheimnisvolle Volk auf der Schwäbischen Alb« hätte Eva auch gerne ein Nickerchen gehalten. Professor Dr. Magnus Maria Feinäugle dozierte im Hegelbau der Uni Tübingen und die Reporterin hatte sich beim Gähnen fast den Kiefer ausgerenkt. Der Mann erzählte in einem einschläfernden Singsang zu antiquierten Schautafeln. Ein hochmoderner Beamer hing ungenutzt von der Decke. Der Professor entschuldigte sich, dass er zum Betrieb des Geräts einen Datenstick seiner Sekretärin gebraucht hätte, die noch in Mutterschutz war. Er verfügte leider nicht über das Wissen, so etwas zu erzeugen. Die Handvoll Zuhörer nahm das stoisch zur Kenntnis. Trotzdem folgten sie konzentriert den Ausführungen über Keltenzüge, Beerdigungsrituale und Fundorte von Waffen, Schmuck und Alltagsgegenständen. Eva schaltete ihre Ohren auf Durchzug und amüsierte sich innerlich über Feinäugles Erscheinungsbild. Es erfüllte alle Klischeevorstellungen, die man von einem Professor hatte. Dr. Feinäugles schmales Gesicht wurde von einer dunklen Hornbrille dominiert. Die hagere Gestalt steckte in einem braunen Tweed-Jackett und einer ausgeleierten Jeans. Die schwarzen Halbschuhe hingegen glänzten frisch poliert.

Zum weißen Hemd trug er eine blaue Fliege, die er nur für offizielle Anlässe verwendete. Reflexartig rückte er sie ständig gerade, obwohl sie tadellos saß. Die Fünfzig hatte der Wissenschaftler bestimmt schon überschritten. Trotzdem konnte Eva in der glatt zurückgekämmten Frisur kein einziges graues Haar entdecken. Eva strich sich ihre dunklen, schulterlangen Haare hinter die Ohren zurück. Sie hoffte, dass das bei ihr im fortgeschrittenen Alter genauso war. Der Professor wirkte sympathisch, war aber überhaupt nicht ihr Typ. Zwischendurch schielte sie auf ihr stumm geschaltetes Handy. Ups, Ludmilla vom »Huber Hof« in Apfelstetten hatte während ihrer Überlegungen angerufen. Wahrscheinlich wollte sie mal wieder mit einer kultivierten Person reden. Ihr Mann, der Alois, war eher wortkarg. Wenn er den Mund auftat, schwadronierte er nur über Weinreben, Weinvermarktung, Bodenbeschaffenheit und die extreme Trockenheit in den Weinbergen. Hin und wieder nervte sie das Mitteilungsbedürfnis der Bäuerin, aber als Reporterin war sie nun mal auf jeden Informanten angewiesen.

»Liebe Zuhörerschaft«, beendete Feinäugle seinen Vortrag und umging damit geschickt das Gendern. Er rückte seine Fliege noch mal gerade und räusperte sich vielsagend, »hiermit kann ich schon ankündigen, dass ich, wie auf der Heuneburg, wo das Grab einer keltischen Fürstin entdeckt wurde, Ähnliches auch auf der Schwäbischen Alb vermute. Ich habe hierfür gesicherte Hinweise.«

Der Hinweis, ein vergilbtes Blatt Papier, war ihm beim Ausräumen des Büros seines verstorbenen Kollegen, Dr. Phileus Karl-Heinz Sonntag, in die Hände gefallen. Der Professor erkannte sofort seinen Wert, konnte es heimlich an sich nehmen und studieren. Es gab zwei Lageskizzen jeweils auf der Vorder- und Rückseite aufgezeichnet. Der Plan auf der Vorderseite trug die Überschrift »Tumulus sanctorum ducum Cartimanduea familiae Dolmenicae«. Das übersetzte Feinäugle, als alter Lateiner, mit »Grabstätte der heiligen Führerin Cartimandua der Sippe Dolmenica«. Die Überschrift auf der Rückseite »Villa Dolmenica familia« konnte nur bedeuten, dass das der Lageplan des Dorfes eben dieses Clans war.

Das Dokument steckte als Einmerker in dem Buch »Keltenbräuche – Der Einfluss der Kelten auf den modernen Menschen« von dem kongenialen Autor Breanainn Agrona, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Keltenforschung. Sein Kollege hatte einen Text markiert, der die Bräuche bei der Beerdigung von Clanchefs, am Beispiel der einzig bekannten Clanführerin Cartimandua, beschrieb. Angeblich war sie mit ihrem sagenumwobenen, heiligen Dolch und ihrem Torque, einem Halsband, das nur die Clanführerin schmückte, begraben worden. Als weitere Grabbeigaben wurde ein unermesslicher Schatz an Goldmünzen und kunstvoll gefertigter Schmuck genannt. Cartimandua sollte mit ihrem Clan auf der Schwäbischen Alb in der Nähe des heutigen Tübingens, gelebt haben.

Mithilfe dieses Planes würde er, Professor Dr. Magnus Maria Feinäugle, seine fachliche Reputation international ausbauen, wenn er die Fundstätte eines Keltengrabes entdeckte und wissenschaftlich auswerten würde. Dessen war er sich ganz sicher. Leider sollten ihm bei diesem Vorhaben sein krankhafter Zwang zum Pokern und seine Vorliebe für alten Whisky gehörig in die Quere kommen.

Zum Abschluss seines Vortrages zeigte Professor Feinäugle ein großformatiges Foto der keltischen Goldkugeln, die den märchenhaften Luxus der keltischen Fürstin auf der Heuneburg belegten. Eva reckte den Hals nach den Preziosen. Sahen geil und sehr wertvoll aus, die Dinger. Als der Professor noch eine Fragerunde ankündigte, verließ Eva fluchtartig den stickigen Raum. Sie war sich sicher, dass der penetrant herbe Duft im Raum vom Rasierwasser des Professors stammte. Vermutlich benutzte er, wie ihr Chefredakteur Bernd Kohler, »Tabac Original«. Jetzt hatte sie erst mal die Nase voll und genug Stoff für einen Artikel. Den Rest würde sie im Internet recherchieren. Die Reporterin stieg in ihren altersschwachen Redaktions-Fiat und rief Ludmilla zurück. Die hob sofort ab.

»Hubers Heuhotel und Pension. Ludmilla am Telefon, was kann ich für Sie tun?«, meldete sich Ludmilla.

»Eva hier, du hast mich angerufen!«, begann Eva ohne Vorrede.

»Hallöle! Stell dir vor, die Krötenheinrich kommt endlich!«, rasselte Ludmilla herunter.

Nachdem Eva ratlos schwieg, fuhr sie fort: »Das ist doch die Wünschelrutengängerin, die nach Wasseradern im Weinberg suchen soll. Die Frau, die Sepp wegen der Trockenheit und dem versiegten Brunnen angeheuert hat.«

»Stimmt, ich erinnere mich! Hört sich interessant an«, stellte Eva fest, »wann kommt sie denn genau?«

»Am Mittwoch, mit dem Bus«, teilte Ludmilla ihr mit.

»Das schreit nach einem Interview! Melde mich!«, sagte Eva. Aufgelegt.

Ludmilla hängte noch ein »Gern geschehen!« an das Gespräch, aber da ertönte schon das Freizeichen. Sie schüttelte den Kopf. Diese Eva war immer im Stress. Wie die rasende Reporterin es schaffte, dabei immer so modisch und wie aus dem Ei gepellt auszusehen, war ihr ein Rätsel. Sie war ja eine Hübsche, aber durch ihre spitze Nase wirkte sie immer etwas aggressiv.

Eva war nach dieser Mitteilung wieder guten Mutes. Ihre Freundschaft mit den Hubers lohnte sich immer wieder. Die bauen nicht nur hervorragenden Täleswein an, sondern sind auch ein Quell an Informationen, dachte Eva, als sie vom Parkplatz auf die Straße fuhr. Alois Huber hatte ihr von der Wünschelrutengängerin erzählt, als sie sich das letzte Mal trafen und behauptet, dass Annabell Krötenheinrich verborgene Quellen und Wasserläufe aufspüren könne wie keine andere. Wann und wo war das gewesen? Sie erinnerte sich nicht mehr. Kein Wunder, bei ihren vielen Verpflichtungen. Diese Wasserzauberin sollte auch in seinem Weinberg die Rute schwingen. Wie sie wohl aussah? Eva stellte sich eine Mischung aus Kleiner Hexe und der Eiskönigin Elsa von Arendelle vor. Sie würde alles daransetzen bei einem Wünschelrutengang dabei zu sein. Das gäbe einen klasse Artikel. Vielleicht war ihr Berufsleben doch nicht so öde, wie sie es sich immer einredete.

Zwischen diesem viel versprechendem Telefonat und ihrer Ankunft auf dem Hof von Hubertus, lagen eine halbstündige Irrfahrt durch die Staus der Tübinger Innenstadt und eine halbe Packung Buchstabenkekse. Eva seufzte und wischte sich die braunen Krümel von der hellgrünen Steppjacke und der cremefarbenen Chinohose. Sie warf einen anerkennenden Blick auf ihre silberfarbenen Ankle Boots, die sie zum sensationellen Schnäppchenpreis beim Schuhhaus Geiger in Tübingen ergattert hatte. Zufrieden stieg sie aus, umrundete eine Pfütze und kletterte über Merlin, der wie immer quer vor der Haustür lag.

Jetzt brauchte sie erst mal ein paar Streicheleinheiten von Hubertus. Wahrscheinlich war der aber im Stall bei seinen Kühen. Insgeheim war sie sich sicher, dass er die Viecher mehr liebte als sie. Dass ihr süßer Hubertus in diesem Augenblick einen Anruf erhielt, der weitreichende Folgen haben sollte, ahnte sie nicht.

2

Hubertus bestieg gerade seinen Minitraktor um Silage in den Kuhstall zu fahren, als sich sein Smartphone meldete. Ärgerlich über diese Störung, zog er es aus der Tasche seiner grauen Arbeitshose. Die Nummer kannte er und wollte sie eigentlich wegdrücken. Verdammt, die Rahman!

Die hatte ihm gerade noch gefehlt. Diese lästige Maklerin verfolgte ihn seit einem Monat und wollte ihn unbedingt zum Verkauf seines Hofes bewegen. Sie klebte an ihm wie Hundescheiße an den Schuhen. Mehr als einmal hatte Hubert ihr erklärt, dass er sein Anwesen niemals verkaufen würde. Schließlich war das sein Elternhaus. Momentan war zwar der Milchpreis indiskutabel und der Preis für Rindfleisch sank auch permanent, aber solange er den Hof halten konnte, würde er das auch tun. Nachdem er nicht auf ihre ersten Angebote eingegangen war, griff die Rahman zu subtilen Drohungen. Sie fragte scheinheilig, ob der Hollerer Hof ausreichend gegen Feuer versichert sei und ob er alle notwendigen Impfungen für sein Vieh gemacht habe. Als sie dann über eine Lebensversicherung für seine Freundin Eva Witten zu spekulieren begann, wurde Hubertus laut und komplimentiert sie aus dem kleinen Büro neben dem Stalleingang hinaus auf den Vorplatz. Das ging dann doch zu weit. Eva hatte er von den Vorkommnissen nichts erzählt, obwohl sie einige Male nachgefragt hatte, warum er so schlecht drauf sei. Er wollte sie nicht zusätzlich zu ihrem stressigen Reporteralltag mit der Sache belasten. Und jetzt hatte er das penetrante Maklerpüppchen mit ihren Stöckelschuhen schon wieder am Apparat.

»Hollerer!«, meldete er sich dann doch unwirsch.

»Guten Tag, Herr Hollerer, Valea Rahman hier. Gute Neuigkeiten! Ich habe ein neues, überaus lukratives Angebot für ihr Anwesen, extra für Sie ausgearbeitet. Wir haben die brandaktuellen Baupläne für unser Luxusressort ›Keltengolf‹ mit Golfplatz noch einmal durchkalkuliert, das darauf entstehen wird. Das wird Sie sicher interessieren«, überfiel ihn Valea Rahman mit einem wahren Redeschwall.

»Ich verkaufe nicht! Das wissen Sie doch! Verdammt noch mal!«, bellte Hubertus jetzt in den Hörer.

»Nicht so voreilig! Geben Sie mir nur zehn Minuten, um Ihnen das neue Angebot zu unterbreiten. Dann lasse ich Sie für immer in Ruhe, Ehrenwort«, versprach die Maklerin.

Hubertus überlegte kurz. Wenn dem so wäre, sollte er diese Schwätzerin für die paar Minuten noch einmal ertragen können.

»Gut, dann kommen Sie um Himmels willen zur Melkzeit um 18 Uhr zu mir in den Stall. Da habe ich die zehn Minuten zwischen den Kuhwechseln an der Melkmaschine«, antwortete Hubertus resignierend.

Sollte sie doch auf ihren Pumps im Stall herumstöckeln und durch die Scheiße staksen, dachte Hubertus grimmig.

»Freue mich! Bis bald!«, meinte die Maklerin euphorisch und legte auf.

Kurz nach 18 Uhr, Hubertus säuberte gerade ein Kuheuter und wollte die Saugnäpfe der Melkmaschine ansetzen, trippelte Valea Rahman durch den Futtergang auf ihn zu. Sie hielt respektvollen Abstand zur Silage und den mahlenden Kuhmäulern. Anscheinend waren ihr diese Monster nicht ganz geheuer.

»Einen wunderschönen guten Abend, Herr Hollerer!«, grüßte sie in ihrer glatten, anbiedernden Art, »haben Sie jetzt kurz Zeit für mich?«

Dabei strich sie mit einer angedeuteten Handbewegung ihr kinnlanges, pechschwarzes Haar aus der Botox geglätteten Stirn.

»Abend!«, Hubertus war kurz angebunden, »Norman, mach’ du hier weiter.«

Hubertus winkte einen Mitarbeiter zu sich und gab ihm das Vlies, mit dem er die Zitzen gesäubert hatte. Er machte diesmal keine Anstalten, die Maklerin in sein Büro zu bitten, sondern blieb im Futtergang neben ihr stehen.

»Legen Sie los!«, forderte er sie auf.

In ihrem knapp geschnittenen Business-Kostüm und den hochhackigen Schuhen war sie ein Fremdkörper im Stall. Wenn Hubertus dieses Puppengesicht mit den perfekt geschminkten Lippen nur sah, drehte sich ihm schon der Magen um.

»Hier unser Top-Angebot!«, verkündete Valea Rahman und tippte auf ihr iPad.

Die dunkelroten Krallen passen perfekt zu dir, du Drachen, dachte Hubertus, als ihre makellos modellierten Fingernägel über die Scheibe des Rechners huschten. Widerwillig las er die Zahl auf dem Display, lachte bitter auf und sah dann die Maklerin abschätzig an.

»Unser absolutes Top-Angebot!«, versicherte die und lächelte ihn mit strahlend weiß gebleichten Zähnen an.

»Scherz! Das ist nicht Ihr Ernst! Da ist ja mein Traktor mehr wert! Ich glaube, Sie gehen jetzt besser!«

Hubertus hatte das Geschwätz jetzt endgültig satt und hob seine Stimme. Man hörte ihn über die Geräusche der Melkmaschine und des Viehs hinweg im ganzen Stall. Seine Mitarbeiter hoben die Köpfe. So kannten sie ihren Boss gar nicht.

»Sie sollten annehmen!«, zischte die Maklerin und steckte das iPad in ihre Aktenmappe, »sonst kann ich nicht für die Gesundheit Ihrer Lebensgefährtin garantieren.«

Sie reckte das Kinn vor und funkelte Hubertus herausfordernd an.

»Sie wollen mir drohen? Was bilden Sie sich ein?«, Hubertus packte Valea Rahman am Oberarm und schob sie in Richtung Stalltor.

»Lassen Sie mich los! Oder soll ich Sie wegen Körperverletzung anzeigen?«, keifte sie schrill.

Man sollte ihm nicht nachsagen, dass er gegen eine Frau handgreiflich geworden wäre, beschloss Hubertus, ließ sie los und drängte sie aber weiter zum Ausgang. Die Maklerin verlor das Gleichgewicht, stolperte und plumpste mit einem spitzen Schrei auf ihren Hintern in das ausgebreitete Silofutter. Dort zappelte sie kurz wie ein Maikäfer, was Hubertus einen Augenblick belustigte. Mit hochrotem Kopf rappelte sie sich hoch und wischte an ihrem taubenblauen Rock herum. Sie warf einen unsicheren Blick auf den drohend dastehenden Hubertus und stolperte dann weiter. Bei der Güllegrube am Stalltor blieb sie stehen und rümpfte die Nase.

»Das werden sie noch bereuen! Mein Kostüm bezahlen Sie! Ich verklage Sie«, keuchte Valea Rahman.

Sie hatte ihre Kontenance komplett verloren. Grimmig standen sich beide gegenüber. Hubertus ballte die Fäuste. Ruhig, Hubertus, ruhig! mahnte er sich. Er traute sich selbst nicht mehr. Diese Frau setzte die niedersten Instinkte in ihm frei.

»Geh’n Sie einfach, bevor ich mich vergesse«, murmelte Hubertus durch die zusammengebissenen Zähne mit äußerster Beherrschung.

»Das werden Sie noch bereuen!«, blaffte sie Hubertus an.

Die Angestellten hatten ihre Arbeit unterbrochen und verfolgten interessiert den Streit.

»Macht weiter, hier gibt es nichts zu sehen!«, rief ihnen Hubertus zu.

Er wandte sich wieder an die Maklerin. Doch die stöckelte, um einen würdigen Abgang bemüht, auf ihr silberfarbenes Cabrio zu und zeigte ihm mit erhobenem Arm den Stinkefinger.

»Machen Sie sich von meinem Hof und belästigen Sie in Zukunft jemand anderen!«, rief er ihr hinterher und kickte einen Stein in ihre Richtung.

3

Am nächsten Morgen wurde Hubertus von anhaltendem Klingeln und Pochen an der Haustür aus dem Schlaf gerissen. Schlaftrunken sah er aufs Handy, das auf dem Nachttisch lag. Halb fünf! Wer machte denn um diese Uhrzeit so einen Krawall? Gab es einen Notfall im Stall? Ächzend krabbelte er aus dem Bett. Er warf einen kurzen Blick auf Eva. Die hatte sich die Bettdecke bis über die Ohren gezogen und atmete tief und gleichmäßig. Zärtlich streichelte er ihr übers wirre Haar. »Schlaf weiter, Evchen«, murmelte er. Dann schlüpfte er in den karierten Bademantel, angelte sich die Filzpantoffeln unter dem Bett hervor, und schlappte durch den Flur zur Haustür.

»Polizei, aufmachen!«, rief eine Stimme.

Das Klopfen hielt an. Merlin erhob sich beleidigt von seiner Schlafdecke in der Küche, in der Nähe seines Futternapfes, und tappte hinter seinem Herrchen her.

»Polizei, aufmachen!«, wiederholte eine zweite Stimme.

Hubertus riss die Tür auf und starrte die beiden Männer an, die da im Schein der Hoflampe standen.

»Sind Sie wahnsinnig! Was ist denn los?«, fragte Hubertus die Gestalten.

Die beiden Männer hatte er noch nie gesehen. Der drahtige Mittfünfziger in Lederjacke und der etwas jüngere Mann im beigen Anorak wirkten übernächtigt, aber entschlossen.

»Guten Morgen, Herr Hollerer! Wir müssen dringend mit Ihnen sprechen! Ich bin Hauptkommissar Wilde und das ist mein Kollege Schickenrieder. Es geht um ein Gewaltverbrechen!«

Wilde von der SOKO Gewaltverbrechen der Polizei in Tübingen hielt Hubertus seinen Ausweis unter die Nase.

»Ein Gewaltverbrechen? Ist wer tot?«, Hubertus sah die Männer an. Nachdem die schwiegen, forderte er sie auf: »Kommen Sie rein! Gehen wir in die Küche!«

Offenbar hatten um diese frühe Morgenstunde weder er noch die Männer, Lust zu diskutieren. Er war sich sicher, die Sache würde sich als Irrtum herausstellen. Vielleicht wollten die Polizisten zu seinem Nachbarn Theophil Trost. Laut Eva hatte der einigen Dreck am Stecken. Er lotste die ungebetenen Besucher durch den Flur und dann links in die Küche.

»Nehmen Sie doch Platz!«, forderte er die Beamten auf und deutete auf die Stühle am Küchentisch. Er selbst zog seinen Bademantelgürtel fester und blieb an die Kücheninsel gelehnt stehen.

»Einer Ihrer Angestellten hat eine Tote in ihrem Güllebehälter gefunden und uns sofort verständigt. Er behauptet, es ist die Besucherin, mit der sie gestern Abend im Stall einen heftigen Streit hatten«, führte Wotan aus.

Hubertus war erst mal sprachlos. Welcher Depp von seinen Angestellten hatte die Polizei verständigt, ohne ihn zuerst zu informieren? Bestimmt war es der neue Leiharbeiter gewesen. Dem würde er gehörig die Leviten lesen. In dem Moment tappte Eva barfuß in die Küche. Der knöchellange, lila Bademantel mit den pinkfarbenen Blumengirlanden am Saum war ein Hingucker. Sie versuchte mit beiden Händen die wirren Haare zu einem Pferdeschwanz zu bändigen und gähnte ungeniert.

»Hubertus, was ist den los?«, fragte sie.

Nach einem kurzen Rundblick meinte sie erstaunt: »Herr Hauptkommissar Wilde! Was machen Sie denn hier? Und Herr Schickenrieder ist auch dabei!«

»Das ist alles ein Missverständnis, Evchen, geh wieder ins Bett!«, versuchte ihr Freund abzuwiegeln.

Wotan Wilde stutzte kurz. Seit wann wohnte diese Nervensäge Eva Witten hier? Wo diese Reporterin auftauchte, war alles voller Verwicklungen und Komplikationen. Er würde im Regierungspräsidium Tübingen eine Witten-freieZone beantragen.

»Frau Witten! Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen!«, konterte Wotan.

»Herr Hollerer ist mein Lebensgefährte!«, antwortete sie stolz.

Sie hakte sich bei Hubertus unter und hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange. Wotan atmete kurz durch und beschloss, diese nervige Frau einfach zu ignorieren. Dann nahm er das Verhör wieder auf.

»Herr Hollerer, ich würde Sie bitten, sich die Tote anzusehen und uns zu sagen, ob Sie sie kennen«, fuhr Wotan fort.

»Kann ich mir erst noch etwas anziehen?«, fragte Hubertus patzig.

»Aber natürlich! Wolfgang begleitest du den Herrn?«, ordnete Wotan an. Schickenrieder und Hubertus verließen die Küche.

»Wollen Sie mich auch begleiten und beim Umziehen beobachten?«, fragte Eva spitz.

»Sie sind nicht verdächtig. Sie können machen was Sie wollen«, sagte Wotan pampig.

»Vielleicht habe ich ja die Frau umgebracht!«, meinte Eva schnippisch.

Sie schob Merlin beiseite, der sabbernd neben seinem Futternapf ausharrte und auf ein frühes Frühstück hoffte, und ging ins Schlafzimmer.

»Dann hätte ich wenigstens einen Grund dich wegzusperren!«, murmelte Wotan und stellte sich genüsslich vor, wie er die Reporterin in Handschellen abführte. Kurz darauf verließen die Polizisten, Hubertus und Eva das Haus.

Vor der Güllegrube im Hof kniete der Pathologe Julius Burmeister neben einer Leiche auf einer Plastikfolie. Kleidung und Haare der Toten hatten sich voller Gülle gesogen, ein Schuh fehlte. Aus dem blassen Gesicht starrten die geöffneten Augen in den dunklen Nachthimmel. Die Situation beleuchteten zwei Scheinwerfer der Spurensicherung. Aus dem Stall waren Kuhgeräusche zu hören. Das Vieh war, ob der ungewohnt frühen Aktionen vor seinem Stall, unruhig.

»Dieser Aufstand, den Ihre Leute machen, wirkt sich auf die Milchleistung meiner Hochleistungskühe aus! Wer zahlt mir den Ausfall?« Hubertus war sauer.

Wotan ging nicht darauf ein. Penny Schönblick, die Leiterin der KTU, machte Fotos und ihre Mannschaft werkelte im Umfeld der Grube.

»Kennen Sie diese Frau?«, wandte sich Wotan an Hubertus.

Julius versuchte vorsichtig dunkle Gülleflecken vom Gesicht der Leiche zu wischen. Hubertus trat näher. Er hatte sofort erkannt, wer das war.

»Ja, das ist Valea Rahman, eine Immobilienmaklerin, die meinen Hof kaufen wollte«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Eva packte ihn am Arm.

»Hubertus, davon weiß ich ja gar nichts!«

»Wir unterhalten uns später!«, versuchte Hubertus abzuwiegeln.

»Aber …«, setzte Eva an.

Wotan unterbrach sie: »Nach Aussage ihres Angestellten haben Sie sich gestern Abend mit der Frau heftig gestritten und sie körperlich bedrängt. Ist sie zurückgekommen? Ist der Streit eskaliert? Haben Sie sie dann in die Gülle gestoßen?«

»So ein Schmarrn!«, sagte Hubertus, verstummte dann und scharrte mit den Füßen.

»Was haben sie zwischen 22 und 24 Uhr gemacht?«, fragte Wotan scharf.

Hubertus sah Eva an und schwieg.

»Er war die ganze Nacht bei mir!«, verteidigte ihn Eva. Wotan sah Hubertus an, als ob er den Einwurf von Eva nicht gehört hätte.

»Sie wollen sich also nicht dazu äußern? Dann werden Sie uns wohl begleiten müssen«, stellte Wotan fest.

Er nickte Wolfgang zu, der Hubertus am Arm nahm und einem Polizisten im Hintergrund übergab.

»Ruf unseren Anwalt, den August Bellingheim an, der soll aufs Revier kommen!«, instruierte Hubertus Eva im Vorbeigehen.

»Mache ich! Soll ich mit aufs Präsidium kommen?«, fragte sie. Das alles musste ein schrecklicher Irrtum sein. Davon war sie felsenfest überzeugt.

»Nein, das schaffe ich schon!«, hörte sie Hubertus noch, der gerade in ein Polizeiauto verfrachtet wurde.

Wieso nahm er ihre Hilfe nicht an? Naja, so war er, immer mit dem Kopf durch die Wand und möglichst im Alleingang.

»Schönen Morgen noch!«, sagte Eva in gekünstelt zuckersüßem Ton zu Wilde. Sie nickte ihm hoheitsvoll zu, machte kehrt und ging erhobenen Hauptes ins Haus zurück. In der Küche setzte sie sich an den Esstisch und starrte blicklos auf die Küchenzeile.

Es erschien ihr alles so unwirklich. Aus heiterem Himmel steckte sie mitten in einem Mordfall, beziehungsweise, ihr Liebster war in einen verwickelt. Eigentlich mochte sie Kriminalfälle, aber das hier war ein anderes Kaliber. Es war jetzt kurz vor sechs. Einen Anwalt sollte man um die Zeit schon anrufen können, legte Eva fest. Sofort googelte sie den Namen Bellingheim und hatte schnell seine Nummer gefunden.

Beim dritten Klingeln hörte sie eine verschlafene Stimme: »Bellingheim!«

In knappen Worten schilderte Eva die Faktenlage.

»Ich kümmere mich drum!«, sagte Bellingheim und legte auf.

Merlin belagerte immer noch seine Futterschüssel. Jetzt begann er ganz leise und herzerweichend zu winseln. Eva holte die Packung Trockenfutter aus dem Küchenschrank und schüttete ihm eine gehörige Portion in die Schüssel. Dann schaltete sie die Kaffeemaschine ein und schälte sich eine Banane. Das war Nervennahrung pur!

»Evchen, jetzt ist Recherche angesagt! Hier stimmt was nicht!«, sagte sie in die leere Küche.

Sie stopfte sich den Rest Banane in den Mund und setzte sich auf einen Barhocker an der Küchentheke. Dort stand immer noch ihr Laptop, mit dem sie die Telefonnummer des Anwalts gesucht hatte.

Zuerst würde sie die Tote googeln. Voll konzentriert tippte sie »Valea Rahman« ein. Das Ergebnis war ernüchternd. Google fand eine Inneneinrichterin in Bremen und eine Fitnesstrainerin in München. Dann versuchte sie Immobilien, Makler, Tübingen. Es erschien eine Liste, aber keine Rahman. Entweder war der Name falsch oder die Tote war keine Immobilienmaklerin.

Denselben Gedanken hatte Hauptkommissarin Bernadette von Hohenstein im Präsidium der Polizei Tübingen. Sie war inzwischen zu Wotan und Wolfgang gestoßen. Die beiden Kommissare saßen im Vernehmungsraum eins und sprachen mit Hollerer. Zuerst suchte Bernadette in der Datenbank der Meldebehörde. Da gab es nur eine Valea Rahman in Bremen, eine Innenausstatterin und eine Fitnesstrainerin in München. Dann durchforstete sie das Verzeichnis der Immobilienmakler, keine Valea Rahman. Wer war diese Frau? Sie hatte keine Papiere dabei. Wahrscheinlich lagen die noch in der Güllegrube. Möglicherweise hatte Julius Burmeister, Pathologe und ihr Liebster, schon einen Treffer zu den Fingerabdrücken der Toten. Bernadette wählte seine Nummer.

»Burmeister!«, meldete der sich.

»Hallo Schatz!«, sagte Bernadette.

Seit sie zusammen in seinem Haus wohnten, rutschte ihr im Dienst manchmal diese private Anrede heraus.

»Hast du schon was zu der Gülleleiche. Vielleicht Fingerabdrücke und einen Namen dazu?«

»Hab’ ich!«, meinte Julius, »unsere Tote ist eine gewisse Annedorle Schräuble. Hat ein paar Vorstrafen wegen Rauschgiftvergehen, aber nichts Gravierendes.«

»Danke, du bist der Beste«, flötete Bernadette, aufgelegt.

Warum hatte sie sich als Immobilienmaklerin ausgegeben und was wollte sie eigentlich von Hollerer? Die Kommissarin beschloss, Eva anzurufen, zu der sie seit dem letzten Fall mit dem Überfall auf den Geldtransporter eine gute Beziehung hatte. Sie wusste, dass die Witten und der Hollerer verbandelt waren. Der Anruf erwischte Eva beim Zähneputzen.

»Witten!«, versuchte Eva mit schäumendem Mund zu artikulieren und schaltete das Telefon auf Lautsprecherfunktion.

»Hallo, hier ist Bernadette. Ihr macht ja Sachen!«, begann sie.

Eva spülte kurz aus.

»Hallo auch! Ich weiß von der ganzen Sache mit der Immobilienmaklerin gar nichts. Hubertus hat mir den Kontakt zu dieser Rahman vollkommen verschwiegen. Da könnte man ja direkt auf dumme Ideen kommen!«

»Und wenn ich dir sage, dass die gar nicht Rahman heißt, sondern Annedorle Schräuble?«, teilte Bernadette ihr mit.

Im gleichen Augenblick erschrak sie. Eigentlich war das ja Polizeiwissen. Aber jetzt war es schon raus.

»Dann verstehe ich gar nichts mehr.«

Eva klang resigniert.

»Tröste dich, wir wissen auch nicht mehr. Aber wir ermitteln in alle Richtungen«, versprach Bernadette und stellte gleichzeitig fest, dass sie jetzt auch nicht schlauer war als vorher.

»Auf jeden Fall danke für den Anruf!«, schloss Eva.

Gedankenverloren spülte sie ihre Zahnbürste aus und stellte sie neben die von Hubertus ins Zahnputzglas. Kurzzeitig fühlte sie sich abgrundtief alleine und hilflos. Sie nebelte sich mit dem Deospray von Hubertus ein. So war ihr Liebster wenigstens geruchlich anwesend. Als sie im Ankleidezimmer stand, ging es ihr etwas besser. Was sollte sie an so einem Ausnahmetag anziehen? Spontan wählte sie ihre rot-weiß geringelten Gute-Laune-Socken, eine dunkelblaue Marlene-Dietrich-Hose und eine weiße Bluse mit Matrosenkragen. Die schwarzen Stiefel mit Plateausohle gaben ihr genügend Standfestigkeit um sich mit Chefredakteur Bernd Kohler zu kabbeln. Das würde sie kurzfristig ablenken.

Im Präsidium saß Bernadette nach dem Telefongespräch noch kurz mit dem Hörer in der Hand am Schreibtisch. Dann nahm sie den letzten Schluck Kaffee aus der Tasse mit der Aufschrift »No ed huddla!!!« und machte sich auf den Weg zu Wotan in den Vernehmungsraum eins, um ihm mitzuteilen, dass Valea Rahman in Wirklichkeit Annedorle Schräuble hieß.

4

Der Donnerstag hatte sich nach dem Schock am Morgen doch noch zu einem ganz passablen Tag für Eva entwickelt. Hubertus rief um die Mittagszeit bei ihr in der Redaktion an um zu verkünden, dass er wieder auf freiem Fuß und auf dem Hof sei. Die Polizei hatte ihn gehen lassen müssen, da sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärtet hatte.

Am Abend diskutierten sie bei einer XXL-Fertigpizza, die Hubertus für sich mit einer extra Portion Sardellen aufgepimpt hatte, über das seltsame Angebot von dieser Valea Rahman alias Annedorle Schräuble. Vor allem der Name »Keltengolf« warf Fragen auf. Was hatten die Kelten mit Golf zu tun? Gespielt hatten sie es damals sicher nicht, wie Eva sofort googelte.

»Vielleicht ist sie nur von jemandem vorgeschoben worden, als Strohmann, beziehungsweise Strohfrau«, vermutete Eva und schob die mörderisch scharfen Jalapeños von ihrem Pizzastück.

»Aber für wen und warum?«, fragte Hubertus, stibitzte die Paprika von Evas Teller und verspeiste sie genüsslich. Beide spülten mit reichlich Täleswein nach. Hubertus hatte immer einen ausreichenden Vorrat von der Weingärtner Genossenschaft Hohenneuffen im Keller.

»Warum hast du mir nichts von der Immobiliensache erzählt«, warf Eva plötzlich ein, »Ist das die Partnerschaft, die du dir vorstellst?«

Ihre Zunge war von zwei Gläsern Rotwein gelöst. Alkohol machte sie immer etwas angriffslustig.

»Ich wollte dich damit nicht belasten. Es ist schon schwer genug, mich immer wieder neu zu motivieren, um weiterzumachen. Die Milch- und Fleischpreise sinken andauernd. In der Situation hatte ich nicht die Kraft mit dir auch noch zu diskutieren. Ehrlich gesagt, zwischendurch war ich schon knapp davor, auf den Vorschlag von dieser Rahman einzugehen und alles hinzuwerfen«, gestand Hubertus.

»Du wärst doch ohne Hof wie ein Fisch auf dem Trockenen. Aber informieren hättest du mich schon können!«

Eva zog eine Schnute. Hubertus beugte sich zu ihr hinüber, um sie zu küssen. Aber sie wehrte ihn ab. So rangelten sie miteinander und zum Schluss zog Hubertus Eva ins Schlafzimmer. Die Diskussion war damit abgeschlossen, der Tisch in der Küche nicht abgeräumt und der Liebe standen Tür und Tor offen.

Leider war der Kuhflüsterer am darauffolgenden Morgen schon wieder bei seinen weiß-braun gefleckten Lieblingen, als Eva um sieben Uhr von dem probeweise installierten Hahnenschrei auf dem Handy, geweckt wurde. Eine Wiederholung des gestrigen Abends war also nicht möglich. Ihr blieb nichts anderes als dem Gefühl nachzuspüren. Sie stellte die Weckfunktion auf altmodisches Weckerrasseln zurück und quälte sich aus den Federn.

Noch etwas schlaftrunken duschte sie ausgiebig und steckte dann alle benutzten Handtücher in den überquellenden Wäschekorb. Waschen musste man auch wieder einmal. Da konnte sie sich voll auf Hubertus verlassen. Nur empfindliche Kleidungsstücke musste sie vor seiner »Ich-stopf’-alles-in-die-Waschmaschine-Mentalität« in Sicherheit bringen. Gut gelaunt wählte sie zur kamelhaarfarbigen Hose den kirschroten Mohairpullover mit den Fledermausärmeln. Darin fühlte sie sich schlagartig wie eine elegante Französin, da sie das Kleidungsstück in Colmar bei »Monoprix« gekauft hatte. Passend dazu gönnte sie sich eine Schicht kirschrotes Lipgloss und eine Extraportion Chanel N°5.

Ihren Chefredakteur Bernd Kohler würde sie mit einer Farb- und Geruchsexplosion blenden.

Evas gute Laune schwand aber schlagartig, als sie die verwüstete Küche betrat. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und räumte leise vor sich hin schimpfend die Reste der gestrigen Pizzamahlzeit und des Frühstücks von Hubertus auf. Schließlich saß sie an der Kücheninsel und nippte an ihrem Kaffee. Merlins Napf war leer und von dem Hund nichts zu sehen. Mit halbem Auge überflog sie den Aufmacher der »Stuttgarter Zeitung«. Was interessierten sie heute Baustellenprobleme bei Stuttgart 21! Annedorle Schräuble, Annedorle Schäuble!, rotierte der Name der falschen Maklerin in ihrem Gehirn. Eva legte die Zeitung beiseite und klappte ihren Laptop auf.

Dann googelte sie den Namen. Neben allem möglichen Schrott, wie einer Bestatterin in Ravensburg und einer Rechtsanwältin in Filderstadt, fand sie nur eine Luise Schräuble in Stuttgart. Es war ein Artikel über die Verleihung des Bundesverdienstordens an Schräuble für ihren langjährigen Einsatz bei der Arbeiterwohlfahrt. Aber nicht der Artikel selbst war interessant, sondern das Foto darunter. »Luise Schräuble mit ihrem Verdienstorden und ihrer Tochter Annedorle«, stand da. Bingo! Mit der Mutter sollte sie mal reden. Ihre Recherchen ergaben, dass die in der Ludwigstraße 51 in Stuttgart wohnte. Sie würde sie zuerst anrufen und nicht einfach so überfallen. Schließlich hatte sie ja einen Todesfall in der Familie. Die Telefonnummer herauszubekommen war für Eva ein Klacks. Nach nur einem Läuten ging schon jemand hin.

»Schräuble!«, meldete sich eine Männerstimme.

»Hier ist Eva Witten, ich hätte gerne die Frau Luise Schräuble gesprochen«, sagte Eva forsch.

»Wir sind hier in Trauer wegen Annedorle. Das ist ein wirklich ungünstiger Zeitpunkt«, antwortete der Unbekannte ernst.

»Mein herzliches Beileid. Kann ich dann vielleicht gleich mal kurz vorbeischauen und kondolieren?«, fragte Eva.

»Wir haben hier offenes Trauerhaus, Sie können jederzeit vorbeikommen!«, aufgelegt.

Sollte sie selber nach Stuttgart fahren? Nein, sie würde ihre Freundin Berta anrufen, die bei den »Stuttgarter Nachrichten« arbeitete. Heute konnte sie sich keine Eskapaden mehr leisten. Ihr Chef hatte sie schon auf dem Kieker, weil sie sich so selten in der Redaktion sehen ließ. Deshalb entschied sie sich, Berta um einen Gefallen zu bitten.

»Schwinghammer!«, meldete sich Berta. »Hab’ ich dich endlich am Hörer, du Irrlicht. Sag’ bloß nicht, dass du heute Abend nicht ins ›Fisherman’s Pub‹ kommen kannst. Wir haben unser Treffen schon etliche Male verschoben und ich hab’ dir einiges zu erzählen.« Die beiden wollten sich in Stuttgart treffen, um endlich ihre erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Aufklärung des Falls mit dem Geldtransporter zu feiern.

»Berti, das würde ich nie wagen! Ich freue mich schon, aber du könntest mir vorher noch einen kleinen Gefallen tun«, sagte Eva und erzählte in Kurzform alles von der toten Valea Rahman bis zur Verbindung zu Luise Schräuble.

»Vielleicht springt ja für mich auch ein Artikel ’raus!«, Berta schien sehr erfreut über den Auftrag zu sein, »ich ruf dich an, wenn ich was weiß!«

Eva wollte schon auflegen, da hängte Berta noch einen Nebensatz an: »Übrigens, heute Nachmittag schau ich mir eine Wohnung an. Ich will doch schon lange umziehen, näher ans Pressehaus.«

»Und wo ist die? Erzähl!«, fragte Eva.

»In der Mühlhaldenstraße 4 im dritten Stock. Da ist keiner über mir, der Stepptanz übt oder ein Klavier durchs Zimmer rollt. Um 16 Uhr habe ich einen Termin mit der Maklerin«, meinte Berta.

»Dann mal viel Glück, kannst mir ja heute Abend alles genau erzählen.«

Eva hatte es jetzt eilig. Bedächtig wählte sie ihr zweites Paar rot-weiß geringelter Motivationssocken aus der Sockenschublade. In den knöchelhohen Stiefelletten würde man diese modische Entgleisung nicht sehen. Dann bereute sie kurz, dass sie Berta angerufen hatte und nicht selbst nach Stuttgart gefahren war. Schließlich siegte ihr Pflichtbewusstsein, vielleicht wirkten auch die Socken.

Mit dem Mantra »Bernd hat einen tollen Auftrag für dich« düste sie unter den Klängen des Boleros von Ravel in die Redaktion nach Tübingen. Sie aß sehr diszipliniert nur fünf Buchstaben aus der Russisch-Brot-Tüte auf dem Beifahrersitz, ohne sie einem Wort zuzuordnen, was sie normalerweise machte. Die zerbrochenen Kekse zählte sie natürlich nicht mit. Dass sie über eine stinklangweilige Grundsteinlegung für eine neue Turnhalle in Reutlingen berichten sollte, und was das für Verwicklungen nach sich ziehen würde, wusste sie da noch nicht.

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