Gott der Träume - Don DeLillo - E-Book

Gott der Träume E-Book

Don DeLillo

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Beschreibung

»DeLillos brillanter Dreiakter ist eine philosophische Romanze, eine Metapher für Liebe und Tod.« Harpers In dichten und bewegenden Dialogen wirft Don DeLillos Stück die Frage auf, was das Ende des Lebens für Menschen unserer Zeit bedeutet. Gott der Träume ist das dritte Theaterstück des großen Romanciers, den es immer wieder gereizt hat, fürs Theater zu schreiben. Alex war Landart-Künstler. Fasziniert von der Wüste und ihrer Vegetation lebte er im Südwesten der USA. Doch nun, nach zwei Schlaganfällen, ist der alte Mann ohne Bewusstsein und wird künstlich ernährt. Bei ihm sind Lia, seine vierte und viel jüngere Frau, die ihn hingebungsvoll pflegt, Toinette, seine zweite Frau, und Sean, der Sohn aus der ersten Ehe. Sie alle sind ihm durch ihr Leben tief verbunden – Lia voll bewundernder Liebe, Sean voller Enttäuschung über einen Vater, der sich nicht um ihn gekümmert hat, und Toinette voll Bitterkeit nach einer gescheiterten Ehe. Die Gespräche drehen sich um ihre Beziehung zu Alex, der im Wachkoma bewegungslos im Hintergrund sitzt. Vor allem aber um die Frage, wann und wie das Leben zu Ende gehen sollte. Sie ringen, mit wechselnden Positionen, um die Entscheidung, ob das Leiden beendet werden soll oder ob Alex das Recht hat auf seinen eigenen Tod. Unter dem Titel Love-Lies-Bleeding wurde das Stück im April 2006 im Steppenwolf Theatre in Chicago uraufgeführt.

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Seitenzahl: 68

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Don DeLillo

Gott der Träume

Ein Theaterstück

Deutsch von Frank Heibert

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Don DeLillo

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Inhaltsverzeichnis

WidmungPersonenOrtI. AktSzene 1Szene 2Szene 3Szene 4Szene 5Szene 6Szene 7Szene 8Szene 9Szene 10Szene 11Szene 12Szene 13II. AktIII. AktSzene 1Szene 2Szene 3Szene 4Szene 5Szene 6Szene 7Szene 8Szene 9Szene 10Hinweis des Verlags
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Für Nan Graham

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Personen

Alex

ein Mann, siebzig

 

Toinette

eine Frau, Ende fünfzig

 

Sean

ein Mann, fünfunddreißig

 

Lia

eine Frau, Anfang dreißig

 

Zwei Schauspieler treten als Alex auf. Einer spielt die Figur in den drei Episoden, die der Haupthandlung vorangehen. Der andere spielt den sterbenden Alex, eine hilflose Gestalt an einem intravenösen Tropf.

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Ort

Ein geräumiges Zimmer in einem alten, einsam gelegenen Haus. Das Bühnenbild ist sparsam und halb abstrakt, mit gedämpftem Licht und wenigen, abgenutzten Möbeln, darunter ein Sofa. Außerdem ein Metallständer mit einem IV-Tropf.

 

In mehreren Szenen dient ein abgegrenzter Teil der Bühne als Spielbereich.

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I. Akt

Szene 1

Alex und Lia, ein Jahr vor der Haupthandlung des Stücks.

Er ist abgezehrt nach einem Schlaganfall und sitzt in einem Rollstuhl auf der rechten Bühnenseite, nicht in dem Zimmer im Bühnenbild, das fast völlig im Dunkeln liegt. Er kann nur mit Mühe sprechen. Lia sitzt nahe bei ihm, eine Schüssel mit Essen in Reichweite.

Auf der anderen Bühnenseite, spärlich beleuchtet, kaum sichtbar, die sitzende Gestalt eines Mannes.

 

Alex

Ich hab einmal einen toten Mann in der U-Bahn gesehen. Ich war zehn oder elf und mit meinem Vater unterwegs. Der Mann saß auf der Bank gegenüber, in einer Ecke. Nur ein paar Leute im Waggon. Da sitzt ein toter Mann. Wir sind in der U-Bahn. Du kennst die Geschichte nicht. Keiner schaut den anderen an. Er sitzt da, und ich bin der Einzige, der ihn sieht. Ich sehe ihn so deutlich vor mir, fast könnte ich dir aus seinem Leben erzählen. Mein Vater las Zeitung. Die Pferderennen interessierten ihn. Er analysierte die Tabellen. Er studierte die Rennergebnisse. Viel war es nicht, was ihn interessierte, meinen Vater. Pferderennen und Profiboxen. Eine bestimmte Kolumne hat er immer gelesen. Wenn ich lang genug überlege, fällt mir ein, wer sie geschrieben hat.

 

Lia

Und der Mann. Auf der Bank gegenüber.

 

Alex

Niemand schenkte ihm die geringste Beachtung. Schläft wieder einer in der U-Bahn, dachten sie, unterbelichtet, wie sie waren. Ich beobachtete ihn die ganze Zeit. Ich musterte ihn. Ich war wie gebannt. Wenn der Zug schaukelte. (Pause.) Ich denke daran, wie er da saß, halb an die Trennwand gelehnt, am Ende des Waggons. Wenn der Zug schaukelte, wurde er ein bisschen herumgestoßen, und ich dachte, gleich kippt er um. Sein Mund stand offen. Sein Gesicht, ich schwör’s, war grau. Für mich gab es keine Frage. Tot. Keine Spur von Leben mehr. Aber er wirkte, ich kann’s nicht erklären, er wirkte nicht komisch oder erschreckend. Er wirkte schon erschreckend, aber nicht so, dass ich mich persönlich bedroht fühlte. Ich nahm hin, was ich sah. Einen Mann in der U-Bahn, die halsbrecherisch durch den Tunnel raste. Ich hatte Angst, dass er runterfallen könnte. Das war erschreckend. Vielleicht fuhr er schon den ganzen Tag so. Grau wie ein Tier. Er gehörte zu einer anderen Ordnung der Natur. Der erste Tote meines Lebens, und seitdem hat niemand für mich so endgültig und absolut tot ausgesehen.

 

Lia

Und dein Vater. Was hat er getan? Hat er Bescheid gesagt, als der Zug die nächste Station erreichte?

 

Alex

Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich es ihm gesagt habe. Die Erinnerung bricht ab. Da muss ich komplett passen. Wir sind in der U-Bahn. Er liest den Sportteil. Die Kolumne, die er liest, ist zum Teil fett gedruckt, zum Teil normal, und ich sehe das Gesicht des Kolumnisten auf dem kleinen Foto, das in den Text gesetzt ist. Er hat einen feschen Schnurrbart. Einen Rennplatz-Schnurrbart.

 

Lia

Kannst du mir sagen, wie er hieß?

 

Alex

Ich komm gleich drauf.

Szene 2

Gegenwart. Ein Spot beleuchtet die sitzende Männergestalt, Alex nach einem schweren zweiten Schlaganfall. Der Rest des Zimmers liegt im Dunkeln.

Alex sitzt reglos auf einem Sessel mit gerader Rückenlehne und Armlehnen. Man erkennt verschiedene Schläuche für Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr, die an einem Metallständer neben dem Sessel hängen. Alex’ Augen stehen weit offen, sein Mund ein wenig. Die Haare sind kurz geschoren. Er ist glatt rasiert und gepflegt gekleidet – Freizeithose und -hemd, dazu ein neues Paar Laufschuhe.

Das gesamte Zimmer wird hell. Toinette und Sean sitzen ein Stück von der Gestalt entfernt.

 

Toinette

Ich teile ungern das Klo.

 

Sean

Vielleicht kann ich in den Schuppen gehen.

 

Toinette

Nimm’s nicht persönlich.

 

Sean

Oder irgendwo ein Loch buddeln.

 

Toinette

Was wird sie sagen?

 

Sean

Du weißt, was sie sagen wird.

 

Toinette

Ich kenne sie nicht. Ich kenne sie einen halben Tag.

 

Sean

Ich kenne sie nicht viel länger.

 

Toinette

Du warst doch schon mal hier.

 

Sean

Einmal. Nach dem ersten Schlaganfall. Er war aus dem Krankenhaus zurück. Sie kümmerte sich um ihn, sehr effizient, ohne Hilfe. Das wollte sie damals so, und heute auch.

 

Toinette

Meinst du, sie weiß irgendwas?

 

Sean

Sag’s ihr.

 

Toinette

Sag du’s ihr.

 

Sean

Du musst doch das Klo mit Alex geteilt haben. Irgendwann mal unterwegs.

 

Toinette

Wir haben eine Menge geteilt. Wir haben uns gegenseitig erschöpft. Wir haben unsere Erschöpfung geteilt.

 

Sean

Sie tut alles, was ein Mensch für einen anderen tun kann. Sie ist die Männerfantasie der fürsorglichen Frau. Und auch wieder nicht. Sie ist keine kleine Hausmaus. Sie ist clever und zäh. Dickköpfig außerdem.

 

Toinette

Am Ende haben wir das Schweigen geteilt. Das ganze letzte Jahr. Alles ging nach innen. Formlos, reglos. Etwas bedrohlich. Wir wünschten uns beide, der andere würde bei einem Autounfall sterben. Ich saß immer da und betrachtete seinen typischen Blick. Wütend und gefährlich. Immer fragend. Irgendwas irritierte ihn.

 

Sean(mit Alex’ Stimme)

Ich bohre, ich suche. Versuche genau zu begreifen, warum ich dir am liebsten die Leber rausreißen und sie für ein Bild verwenden würde.

 

Toinette

Aber es waren unterschiedliche Verkehrsunfälle. In meinem Kopf war Alex das einzige Opfer. Er lag da und sah okay aus, sozusagen präsentabel tot.

 

Sean

Und der Unfall in seinem Kopf. War wie?

 

Toinette

Drei oder vier Autos. Neun oder zehn Tote. Meine Freunde, Kollegen, heimlichen Liebhaber. Und ich mittendrin, zermalmt und verbrannt. Ja, schön, ich hab ihm manchmal den Tod gewünscht. Aber nicht den Tod in rauchenden Fetzen.

 

Sean

Das ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen.

 

Toinette

Dieser Blick setzte sich fest. Unsere lebendigen, atmenden Tage und Nächte lagen hinter uns.

 

Sean

Aber du bist hier. Weil – sag’s mir.

 

Toinette

Es gab Zeiten, ich schwör’s dir, da lebten wir in derselben Haut. So hab ich es in Erinnerung, und daran will ich glauben. Das macht es verständlicher. Wie wir so lange als Feinde leben konnten, mit Unterbrechungen, immer wieder. Ich bin hier, weil ich bei ihm sein will, sonst nichts. Ich will in seiner Nähe sein – so nah wir einander kommen können, er und ich. Ich war schon mal hier. Das weißt du.

 

Sean

Nein, das weiß ich nicht.

 

Toinette

Paar Tage. Lange vor Lia. Vielleicht hat mich das milder gemacht.

 

Sean

Wieso weiß ich davon nichts? Ich dachte, wir hätten alles besprochen, du und ich.

 

Toinette