Gottjäger - David Yildirim - E-Book

Gottjäger E-Book

David Yildirim

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Beschreibung

In der Geschichte geht es um den Engel Jahwe, der für die Iron Core Company arbeitet, einer Company, die ihr Territorium über das gesamte Universum ausgebreitet hat. Ihr Ziel: Alle Engel von der Versklavung der Götter zu befreien, um ein freies, sorgloses leben zu ermöglichen, wonach sich alle Engel sehnen. Bei einem Routineeinsatz am Eisernen Kern, einen mechanischen Hohlplaneten, gerät er zusammen mit seinem Freund und Kamerad Tyson in einen Hinterhalt, der Rebellen Organisation R.I.O. Als jedoch aus einem Kampfschiff der Rebellen sich die letzte Göttin zeigt, ergreift Jahwe die Flucht zurück nach Helius, der Hauptstadt der I.C.C. Unerwartet erhält er eine Audienz beim Regenten der Stadt, dem Gottkönig höchst persönlich. Seine Flucht blieb nicht unbemerkt und als die Company eine wohlmögliche Verbindung zwischen ihm und der Göttin erkennen wird er mit einer letzten Mission beauftragt. Sein Ziel: Die Göttin, seine Ziehmutter, zu töten und damit seine Loyalität der Company erneut unter beweis zu stellen. Ihm wird versprochen nach erfolgreicher Beendigung den Titel Gottjäger zu erhalten, mit dem er bis ans Ende seines Lebens in Wohlstand, Ruhm und Ehre leben kann. Trotz allem zögert er und verdammte, in nur einem Augenblick des Zögerns, das Leben seiner große Liebe Lynn die nun im Visier der Company geraten ist. In seiner Verzweiflung muss er sich nun entscheiden, wen er schützen will. Seine Mutter oder seine großen Liebe.

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Gottjäger

PrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17EpilogImpressum

Prolog

Ein Alarm piept in meinem Cockpit. Rote Lampen leuchten auf, Funken sprühen aus allen Instrumenten und das Steuerrad lässt sich nicht mehr drehen. Aus dem Fenster sehe ich die Sonne, auf die ich zurase, und die schwarze Landebahn von Helius. Wenn ich es schaffe, die Drohne ein wenig mehr auf die Bahn zu lenken, lande ich zwar hart, aber zumindest nicht in der brodelnden Lava.

   „Komm schon, beweg dich, tu es für mich!" Die Drohne reagiert nicht. Wahrscheinlich funktioniert überhaupt nichts mehr.

Der Antrieb ist hinüber und die Maschine fällt auf die Sonne zu. Vergebens reiße ich am Steuerrad. Es klemmt. Die Strahlen der Sonne erleuchten das Cockpit bereits in einem strahlenden Weiß. Ich spüre schon die brennende Hitze auf meinem Gesicht. Mit meiner Faust schlage ich gegen die Instrumente, in der Hoffnung, dass sich irgendetwas löst oder einrenkt, in der Hoffnung, dass es wieder funktioniert. Aber vermutlich habe ich noch einen viel größeren Schaden verursacht.

   „Wir nähern uns der Stadt Helius. Schnallen Sie sich an, die Maschine landet gleich", ertönt eine wohltemperierte weibliche Stimme im Cockpit. Es ist die künstliche Intelligenz des Autopiloten.

   „Oh, es lebt!", brülle ich der KI entgegen. „Flieg mich lieber auf die Landebahn, du verdammtes Ding!" Ich werde auf der Lava aufprallen, wenn ich nicht schnell etwas unternehme.

   „Landung in vier Minuten. Machen Sie es sich bequem und freuen Sie sich auf die Landung."

   „Ja, und wie ich mich freue, du blödes ..." Es ist aussichtslos, ich werde in der Lava notlanden und versinken. Wie konnte es nur so weit kommen? Es war doch nur ein Routineeinsatz ...

Alles begann mit einem Anruf von Sanctus, dem Einsatzleiter und Leiter der Überwachungssysteme. Tyson, mein bester Freund, und ich waren für einen Routineeinsatz im Eisernen Kern abbeordert. Wir sollten die neuen Rekruten mit den Abwehranlagen auf den äußeren Verteidigungsringen vertraut machen.

Was ganz normal begann, endete plötzlich. Aus dem Augenwinkel sah ich noch ein Kampfschiff, das aus dem All langsam in unsere Richtung schwebte. Dann stiegen auch schon Rauch und Asche zur oberen Ringplatte empor. Explosionen erschütterten den Boden unter unseren Füßen. Von der Wucht einer Explosion getroffen, wurde ich zu Boden gerissen. Rauch verdeckte meine Sicht. Schreie. Dann legte sich der Rauch ein wenig, Tyson kniete neben einem blutenden Rekruten, zwischen den zerfetzten Körperteilen der anderen.

   „Achtung, Achtung, an alle Einheiten", tönte es aus meinem Kommunikator, „begeben Sie sich unverzüglich zur Astralstation. Ich wiederhole: Alle Einheiten zur Astralstation."

   „Jahwe, geh du schon mal vor, ich komme nach", schrie mir Tyson zu. Über mir zerrissen die ohrenbetäubenden Schüsse der Abwehranlagen die Luft, während ich ans andere Ende der Platte rannte, zur Landebahn. Von dort sah ich zur unteren Ringplatte hinunter. Ein kleines, unter Beschuss stehendes Transportschiff der Rebellen schwebte direkt über der Astralstation. Ich zögere eigentlich vor einem Angriff nicht. Doch mein Körper erstarrte und meine Knie wurden weich, als die Frachttür sich öffnete. Eine Frau in goldener Rüstung, mit langen blonden Haaren, mit einem goldenen Speer und einem goldenen, achteckigen Schild bewaffnet, trat hervor. Es war meine Mutter...

   „Wen haben wir denn da?", ertönte eine Stimme hinter mir. Es war der Berater des Präsidenten selbst. Sichtlich unbeeindruckt blickte er auf das Rebellenschiff hinab.

   „Was tun Sie hier?", brüllte ich über den Lärm der Explosionen hinweg. „Bringen Sie sich in Sicherheit!" Er lächelte nur.

   „Verstehe", sagte er leise vor sich hin, gerade als die letzte Explosion verklungen war, und blickte auf meine Mutter hinab. „Es ist schwer, sich gegen die eigene Mutter aufzulehnen, nicht wahr?" Er hob seine Hand, der Rauch zu seiner Rechten lichtete sich und enthüllte eines der Ein-Mann-Raumschiffe, die zwischen Helius und dem Eisernen Kern als Transportmittel genutzt wurden. Ich blickte auf ihn, dann auf die Drohne.

   „Ich kann nicht", sagte ich schließlich, „nicht ohne meinen Partner."

   „Tyson? Keine Sorge er ist bereits auf dem Weg nach Hause."

   „Das glaube ich nicht. Er würde nicht ohne mich ... Warum tun Sie das?"

Ich weiß nicht, was es war, ob es an seiner sanften, aber tiefen Stimme lag, an seinem Lächeln oder an der Art, wie er mit mir redete ... obwohl ich skeptisch war ... ein Teil von mir glaubte ihm. Er war der Berater des Präsidenten, warum sollte er mich belügen? Ich hatte Angst, meiner Mutter nach all den Jahren gegenüberzutreten, ich fürchtete mich davor, in ihre enttäuschten Augen zu blicken. Dennoch stand ich zu meinen Entscheidungen. Ich hatte im Namen der Company für eine freie Welt gekämpft und eine solche aufgebaut. Wenn es zu einem Kampf kommen sollte ...

   „Dann würdest du wirklich gegen sie kämpfen?", sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Du stehst vor einer großen Entscheidung, mein Lieber."

   „Ich werde wohl kaum fliehen. Es ist meine Pflicht als Krieger der I.C.C., den Eisernen Kern zu verteidigen."

  „Ah, aber du bist kein Krieger, richtig? Nur ein Ausbilder. Von mir wird niemand etwas erfahren, der gute alte Victor hält sein Wort. Versprochen." Einen Moment zögerte ich, dann stieg ich in die Drohne und befahl dem Autopiloten, Helius anzufliegen.

Ich hätte wohl besser manuell steuern sollen. Die Kampfschiffe der Rebellen und die Abwehrkanonen des Eisernen Kerns schenkten sich nichts. Ich glaube, weder Rebellen noch Abwehrkräfte bemerkten meine Drohne als sie durch das Kreuzfeuer flog; ein heftiger Knall erschütterte das Cockpit ...

Und nun sitze ich hier. Gefangen in meinem fliegenden Sarg.

   „Nur noch dreißig Sekunden bis zur Landung."

Verdammt! Ich kann nichts tun. Es gibt nur noch Eines. Die letzte Möglichkeit, dem Ganzen zu entgehen. Ich blicke auf den unscheinbaren grünen Knopf über mir. Wenn ich auf diesen Knopf drücke, wird ein Gas im Cockpit freigesetzt, das mich in einen tiefen Schlaf versetzen wird. Normalerweise benutzt man dieses Schlafgas, um weite Strecken zu überbrücken. Doch dieses Mal wird es mir dabei helfen, schmerzlos zu sterben. Zögernd halte ich meinen zitternden Zeigefinger unter den Knopf, vor mir die rote Fratze der Sonne, die immer näherkommt. Meine Gedanken sind bei meinem Freund Tyson, dem es hoffentlich gut geht und – bei Lynn. Ich hätte ihr sagen sollen, was ich wirklich für sie empfinde, als ich die Gelegenheit noch hatte.

Ich schließe die Augen und drücke auf den Knopf.

Nichts passiert.

   „Nicht einmal das funktioniert!?", brülle ich und schlage mit der Faust auf die Instrumententafel. „Nein! Es kann nicht so enden." Wutentbrannt schmettere ich meinen Körper gegen die linke Wand der Drohne, woraufhin sie ein Stück nach links taumelt.

   „Das ist es", schreie ich. „Beweg dich!" Erneut schmettere ich meinen Körper gegen die Wand. Ein Stück weit rückt die Drohne von ihrer Flugbahn ab. Ich schmettere mein ganzes Gewicht gegen die Wand, bis die Schmerzen in meiner linken Schulter einsetzen. Es ist meine einzige Chance, die Landebahn zu erreichen. Immer weiter nähere ich mich der Oberfläche der Sonne. Die Hitze ist bereits so stark, dass ich meine Augen schließen muss. Meine Bemühungen werden immer hektischer.

   „Landung in drei ..."

Komm schon!

   „ ... zwei ..." Noch ein klein wenig ...

   „ ... eins."

Verdammt! Das Cockpit wird von einem gewaltigen Aufprall erschüttert, dann schlittert die Drohne über eine glatte Oberfläche. Sie hebt ab, dreht sich, und ich werde durch das Cockpit geschleudert. Mein Kopf stößt gegen das Steuerrad.

Als ich die Augen öffne, ist es dunkel um mich. Alles schmerzt, aber ich lebe! Ich muss wohl in irgendwas hineingeflogen sein, denn aus dem Fenster sehe ich nichts als Schwärze. Es ist still.

   „Willkommen in Helius", ertönt die Stimme der KI und ich zucke zusammen. „Wir wünschen Ihnen einen wundervollen Aufenthalt. Versuchen Sie jedoch bei ihrer nächsten Landung, die vorgesehene Landebahn zu benutzen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten."

Ich beginne zu lachen.

   „Sollten Sie noch Flugstunden benötigen, nutzen Sie den Service des Autopiloten."

Ich lache weiter wie ein Irrer.

   „Sie können die Drohne nun verlassen.“

   „Nichts lieber als das!“

Ich lege meine Hand auf den Scanner. Die Tür entriegelt sich nicht. Die Maschinerie muss beschädigt sein, wie alles andere. Von draußen ertönen ein paar dumpfe Schläge. Mit einem Ruck fällt die Tür aus der Verriegelung. Ein Strom heißer Luft peitscht mir ins Gesicht. Auf wackligen Beinen trete ich aus dem Cockpit und blicke in ein Dutzend neugieriger staubiger Gesichter. Vor mir steht ein barfüßiger Mann in dreckigen Lumpen mit einem Hammer in der Hand. Seine Augen weiten sich bei meinem Anblick. Ich kann seine Angst förmlich riechen.

Er verneigt sich vor mir.

   „Können wir Ihnen helfen?“, fragt er.

Der Geruch nach Metall und Schwefel liegt in der Luft, vermischt mit dem widerlichen Gestank von Schweiß, der an den halbnackten Körpern der Engel vor mir hinabläuft.

Wo zum Henker bin ich denn hier gelandet? Ich sehe mich um. Dicht an dicht gedrängte Schmieden, die an den Rändern der Eisenplatte errichtet sind, nahe der Lava der Sonne, um ihre Hitze für die Schmelzöfen zu nutzen. Das ist definitiv nicht die Landebahn.

Ein Blick nach hinten verrät mir, dass meine Drohne von der Landebahn in eine der dutzenden Schmieden gefallen ist. Ohne die Schmiede wäre die Drohne weiter über die Oberfläche der Platte gerutscht, direkt in die Lava, die nur wenige Meter vor mir brodelt.

Bäh, musste ich ausgerechnet hier landen? Bis auf den Mann, dessen Schmiede meine Drohne zerstört hat, betrachten mich die anderen mit Augen, in denen die Missgunst geschrieben steht. Ich bin im Marodar-Distrikt gelandet, dem Distrikt des Verräters. Die Engel vor mir sind jene, die sich eines Tages entschlossen hatten, gegen uns zu kämpfen, gegen das System, gegen die Iron Core Company. Ihr Fleisch ist mit den Initialen des Anführers der Rebellen gebrandmarkt … Marodar. Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Selbst meine Mutter hat sich ihnen angeschlossen. Die Schüsse und die Schreie der Rekruten hallen noch immer in meinem Kopf wider. Sie erinnern mich erneut daran, wie sehr ich die Rebellen hasse. Sie verstehen einfach nicht, dass wir sie von der Versklavung der Götter befreien wollen.

   „Glotzt nicht so und geht an die Arbeit!“, sage ich. Der Mann vor mir senkt wortlos den Blick und weicht zurück, als ich an ihm vorbeilaufe. Die anderen kehren zu ihren Schmieden zurück, um weiter Rüstungen und Waffen für die Stadtwachen, Krieger, Vollstrecker und Ausbilder der Company herzustellen. Ausbilder wie mich und Tyson.

Mein Einsatz im Eisernen Kern war ein reiner Fehlschlag, es wird Zeit, nach Hause zu gehen. Mein Haus befindet sich im Yerran-Distrikt, östlich vom Zentrum der Oberstadt, die wie die Landebahn weit über der Oberfläche der Sonne steht, fast als schwebe sie. In Wirklichkeit wird sie natürlich von zahlreichen Säulen gehalten, die von hier aus gut zu erkennen sind. Es ist eine Stadt, ganz aus schwarzem Kerneisen erbaut, eine uneinnehmbare Festung, der Sitz der Macht. Wer die Stadt regiert, regiert das gesamte Universum.

Vom Zentrum der Oberstadt ist es nur noch ein Katzensprung nach Hause. Ich laufe an den Schmieden, links und rechts von mir, vorbei. Die schrillen Schläge der Hämmer erfüllen die Luft. Was hier geschmiedet wird, ist Kerneisen – ein Metall, aus dem auch meine Rüstung und alles andere hier in der Stadt besteht. Die Platten, auf denen Helius steht, die Häuser, Waffen, Rüstungen, Maschinen, einfach alles. Alles, was aus diesem Metall geschmiedet und erbaut wird, ist Eigentum der Company.

Häuser haben die Schmiede keine, Schlaf ist nicht nötig, solange sie genug zu essen bekommen, um sich zu regenerieren. Beinahe bewundernswert, wenn es keine Rebellen wären. Denn sie arbeiten nicht für sich. Ihre Familien, die in der Oberstadt leben, werden sie nie wiedersehen. Außer, sie stellen fehlerhafte Teile her oder erfüllen den Tagessoll nicht, denn dann wird der Luxus, der ihren Familien gegeben wurde genommen. Der Schmied landet auf dem Schafott und sein ältestes Kind wird sein Henker.

Ich nähere mich dem Rand der Platte, auf die der Distrikt erbaut ist und der Treppe, die in die Oberstadt führt. Am Fuß der Treppe wird sie von einer Baustelle verunstaltet. Über der Treppe, die in die Oberstadt führt, stechen Hochhäuser in den Himmel, deren Fassaden durch eine beinahe lückenlose Fensterwand ersetzt wurden.

Ich betrete die erste schwarze, makellos glatte Stufe, als eine demütig leise Stimme hinter mir erklingt.

   „Entschuldigen Sie bitte?“ Ich drehe mich um und erblicke den ärmlichen, zerlumpten Schmied, der mich aus der Drohne befreit hat.

   „Was willst du?“

   „Meine Schmiede … Sie … sie haben sie zerstört. Ohne sie kann ich nicht arbeiten.“

   „Und?“

   „Meine Familie … wir werden hingerichtet, wenn ich nicht den täglichen Ertrag liefere und mein Sohn … er wird meinen Platz, als Schmied des Imperiums einnehmen müssen. Bitte, was soll ich tun? Ich will arbeiten, ich will meine Schuld begleichen … bitte.“

   „Warum erzählst du mir das?“ Wen interessiert sein Geschwafel? Wenn das sein Schicksal ist, so sei es. Er ist schließlich selbst dafür verantwortlich, dass er hier gelandet ist.

   „Mein Name ist Gareth, ich habe vor langer Zeit einen Fehler begangen. Ich brauche eine Chance, um ihn wiedergutzumachen.“ Warum auch immer hallen Lynns Worte durch meinen Kopf. Wahre Stärke kommt von innen, das sagt sie immer zu mir, wenn ich meine eigene Schwäche bedauere, die dafür verantwortlich ist, dass ich nie den Rang eines Kriegers erreicht habe.

Ich blicke in die Augen des Schmieds und sehe dort nackte Verzweiflung. Schweiß läuft über sein Gesicht.

   „Weil es deine Schmiede war, die mein Leben rettete, gebe ich dir eine Chance. Ich werde die Stadtwache und die Verwaltung in Schach halten, einen Tag lang.“ Auch wenn ich nicht genau weiß, wie genau ich das hinbekommen soll.Kaum habe ich den Satz zu Ende gesprochen, bricht der Mann in Tränen aus, fällt mir vor die Füße und dankt mir vielmals für meine Güte.

Gütig? Ich? Ich schüttle den Kopf und komme wieder zur Besinnung. Güte ist eine Schwäche; und Schwäche werden die Feinde der Iron Core Company ausnutzen, wo sie sie finden. Ich kann es mir nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Ein vertrautes Gefühl des Zorns und der Abneigung gegenüber ihm und dem Rest der verräterischen Engel überkommt mich. Meine Hand wandert zum Griff meines Schwertes. Ich halte inne, als ich den schwarzen Rauch erblicke, der von der Absturzstelle aufsteigt.

   „Verdammt! Kümmere dich endlich darum, deine Schmiede und meine Drohne bis morgen wiederaufzubauen und zu reparieren!“ Ich ziehe mein Schwert und deute mit der Spitze auf ihn.

   „Ansonsten richte ich dich persönlich hin.“ Er nickt, ohne mir ins Gesicht zu schauen, und wendet sich zum Gehen. Ob er es schafft oder nicht, ist mir egal. Falls nicht werde ich die Hinrichtung persönlich einleiten, denke ich und steige die Treppe hinauf.

Anders als im Marodar-Distrikt ist die Oberstadt übervölkert und belebt. Hier wohnen all jene Engel, die sich der I.C.C angeschlossen haben, nur darauf wartend in einen mechanischen Planeten, wie den Eisernen Kern, umgesiedelt zu werden.

Mein Haus ist nicht mehr weit von hier, ich muss zur großen Kreuzung, dem Zentrum der Stadt, von wo aus man in alle Distrikte gelangt. Meine Gedanken wandern zu Tyson. Wenn ich den Berater des Präsidenten richtig verstanden habe, müsste Tyson vor mir nach Helius zurückgekehrt sein. Er wartet mit Sicherheit in Lynns Laden, auf dem Forum. Erst jetzt bemerke ich, dass die Engel, an denen ich vorbeilaufe, mir schräge Blicke zuwerfen. Ich schaue an mir hinunter. Ich bin mit Dreck und Asche bedeckt, nur mein Schwert ist blank.

Mein Schwert! Es klebt kein Blut daran! Verdammt. So blank poliert wie es ist, wird mir niemand glauben, dass ich nicht geflohen bin.

Ich mache einen kleinen Umweg durch eine Gasse, die sich zwischen zwei schwarz in den Himmel ragenden Hochhäusern windet. Nachrichten sind an die Wände der Gebäude gekritzelt. Bilder vermisster Personen kleben dort, unter ihnen ein kleiner Text, der von einer Verschwörung spricht und davon, dass bereits vier männliche Bürger spurlos verschwunden sind. Ich habe schon davon gehört, aber dem bis jetzt keine Aufmerksamkeit geschenkt. Dass es schon vier Personen sind, innerhalb so kurzer Zeit, ist beunruhigend.

Ich schaue mich um. Die Luft ist rein. Gut, hier kann ich es tun. Ich streife meinen linken Handschuh ab, ziehe mein Schwert, beiße die Zähne zusammen, lege die Klinge auf die Handfläche, zögere … schneide mir in die linke Handfläche und beschmiere die Klinge mit meinem Blut. Unter Schmerzen ziehe ich den Handschuh wieder an. Zum ersten Mal seit meiner Flucht wird mir bewusst, in welche Lage ich geraten bin. Auf der Flucht vor einem Kampf steht in der Iron Core Company die Verbannung. Aber war es denn eine Flucht? Oder war es ein direkter Befehl von oben? Was hatte der Berater des Präsidenten überhaupt im Kampfgebiet zu suchen? Und noch wichtiger: Was soll ich jetzt tun? Ich lehne meine Stirn gegen die schwarze Wand. Ich muss mich beruhigen.

Etwas vibriert an meiner Taille. Mein Kommunikator! Ich greife danach. Es ist Sanctus’ Sequenz. Ich zögere ranzugehen, aber es bleibt mir keine Wahl.

   „Ja?“, melde ich mich mit unsicherer Stimme.

   „Was tust du da?“

   „Was meinst du?“

   „Schau mal hoch.“ Mein Blick wandert nach oben. Verdammt! Eine Überwachungsdrohne, an der Fassade befestigt, nur erkennbar durch ihr rotes Lämpchen.

Ich schlucke. Hat er es gesehen? Ich hoffe nicht, ich muss so tun als sei nichts gewesen.

   „Was glaubst du denn, was ich hier tue?“

   „Es geht nicht darum, was ich glaube, sondern was ich sehe. Begib dich sofort wieder auf die Straße! Es gibt Neuigkeiten.“

   „Verstanden“, sage ich. Dann merke ich, dass er bereits aufgelegt hat.

Wie Sanctus es mir befohlen hat, laufe ich zur Straße zurück.

Ein lauter Warnton setzt ein, eine an- und abschwellende Sirene. Die Fassaden der Häuser verlieren ihre schwarze Undurchsichtigkeit, ein Bild leuchtet auf. Ein roter Flammenball erblüht, hinter ihm die schwarzen Außenplatten des Eisernen Kerns.

  „Heute wurde der Eiserne Kern erneut von der R.I.O. angegriffen. Ziel ihres Angriffes war die Astralstation.“ Die schwarzen Ruinen der Astralstation verschwimmen und formen sich zu einer Frau in goldener Rüstung, mit langen blonden Haaren, die von einer grünen Aura umgeben ist.

   „Angeführt wurde der Angriff von der letzten Göttin Gaia Nova. Ihr Versteck wurde lokalisiert.“ Das Bild wechselt zu einer großen Gestalt in einer schwarzen Rüstung, auf deren Helm ein emotionsloses Gesicht eingraviert ist. Der Präsident.

   „Sobald der morgige Tag sich dem Ende zuneigt, ist die Götterjagd beendet und die letzte Göttin gefallen“, spricht er in einer mechanischen Stimme. „Wir möchten euch noch einmal daran erinnern, der Gefallenen zu gedenken, die sich für uns und den Frieden des Universums im Kampf gegen die R.I.O. geopfert haben und feiert. Ab morgen ist der lang ersehnte frieden eingetroffen. Eine Welt ohne die Götter, die uns versklaven wollen und mit Ihnen die Rebellenorganisation R.I.O.“

Das Bild wird schwarz.

Ich sehe mich um. Die Bewohner der Stadt haben die Übertragung zum großen Teil ignoriert. Sie war nicht live. Wahrscheinlich läuft sie in regelmäßigen Abständen, sodass sie bereits jeder kennt … außer mir. Die Rebellen haben es also tatsächlich geschafft, die Station zu zerstören. Warum hast du dich gezeigt, frage ich in Gedanken meine Mutter. Jetzt werden sie dich jagen. Das war dumm und das alles nur, um eine Astralstation zu zerstören? Warum war es dir so wichtig?

Erneut vibriert mein Kommunikator.

   „Ja?“

   „Du weißt, was das bedeutet, oder?“

   „Ich denke schon …“ Sanctus unterbricht mich.

   „Der Gottkönig erwartet dich morgen zur Einsatzbesprechung. Ich werde dir den Weg zum Hauptquartier frei machen.“

Aufgelegt.

Der Gottkönig will mich zur Einsatzbesprechung sehen? Ich arbeite bereits seit über drei Jahren für die I.C.C., doch noch nie war ich im Hauptquartier.

Auf dem Weg zur zentralen Kreuzung ragt, das größte Gebäude der Stadt, das Hauptquartier der Iron Core Company, deren Logo von zwei Scheinwerfern beleuchtet wird, am Ende der Stadt empor. Die Außenwände der oberen Etagen sind aus Glas. Bevor die I.C.C. Helius zu ihrem Hauptquartier erklärte, soll hier nur der Palast des Gottkönigs, der das Universum regierte, gestanden haben. Nach der Gründung der Iron Core Company gab er sein Amt jedoch an den Präsidenten ab. Den Göttern zum Trotz und als Zeichen seiner Macht errichtete dieser hier eine Stadt. Schaut her!, scheint Helius zu rufen. Die Götter sind nicht die Einzigen, die auf der Sonne leben können! Nachdem der Eiserne Kern, der erste mechanische Planet, fertiggestellt wurde, zog der Präsident jedoch aus Helius aus. Er überließ dem Gottkönig die Stadt als Geschenk und als Zeichen seiner Anerkennung, dass er dem Imperium beigetreten war. Mit dem Gottkönig hatten die Götter ihren obersten Machthaber verloren und morgen … morgen soll nun auch die letzte Göttin fallen. Eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber stattdessen wird mein Herz schwer bei dem Gedanken. Von den vier Göttern war meine Mutter immer die schwächste. Nach dem Gott des Todes, dem stärksten aller Götter, fiel der Gott der Natur und gleich darauf der Gott der Zerstörung. Gaia Nova dagegen, die Göttin des Lebens, wurde lediglich in die Arme der Rebellen getrieben. Ich remple einen Passanten an, der mir einen wütenden Blick zuwirft, bevor er hinter mir in einer der Häuserschluchten verschwindet. Ich sollte besser aufpassen, wohin ich laufe. Vor mir breitet sich die zentrale Kreuzung aus. Ein Geflecht von Wegen entspringt hier, die in jeden Winkel der Stadt führen. Ein Weg führt nach Westen in den Xerxis-Distrikt, der in ein Wohn- und ein Forschungszentrum eingeteilt ist. Das Forschungszentrum ist nach dem Hauptquartier das zweitgrößte Gebäude der Stadt. Links und rechts des Gebäudes werden gerade zwei Flügel angebaut. Was genau dort erforscht wird, ist mir allerdings immer noch schleierhaft. Die Wohnhäuser liegen am Rande des Distrikts. Der Weg, den ich gerade gekommen bin, führt in den Marodar-Distrikt. Dort liegen das Industriegebiet und die Landebahn, die meine Drohne so glorreich verfehlt hat … Vor mir, im Norden, befindet sich das Forum für die Soldaten der I.C.C., an das sich der Stadtmarkt anschließt. Dahinter liegt das Hauptquartier der Iron Core Company, ummauert und unerreichbar für die normale Bevölkerung. Nur ein schmaler Pfad führt dorthin, an dessen Eingang zwei Wachen darauf achten, dass niemand unbefugt das Gelände betritt.

Im Osten erstreckt sich der Yerran-Distrikt, wo sich die Wohnanlagen jener befinden, die vom Planeten Sirius stammen. Bevor ich jedoch nach Hause gehe, möchte ich noch jemandem einen Besuch abstatten. Ich brauche unbedingt Nahrung, um mich von den Verletzungen zu regenerieren. Ich freue mich auf ein paar Früchte, die knallroten Äpfel meiner Heimat sind die leckersten, süß und saftig wie sie sind. Noch mehr als auf die Äpfel freue ich mich aber auf Lynn. Ihr Lächeln, das unschuldige Lächeln einer unverbesserlichen Optimistin, wird mich vergessen lassen, was für einen schlechten Tag ich heute hatte, und sollte der Berater recht behalten, müsste Tyson lange vor mir bei ihr eingetroffen sein.

Als ich neu in Helius war und gerade angefangen hatte, für die Iron Corps zu arbeiten, verwirrten mich die unterschiedlichen Läden. Jeder Rang hat seinen eigenen Lebensmittelladen. Es war mein größter Traum – nein, vielmehr die größte Ehre, die mir hätte zuteilwerden können – ein Krieger oder sogar ein Volltrecker zu werden. Stattdessen taugte ich nur zu einem Ausbilder, da ich kein großartiger Kämpfer bin. Ich erinnere mich noch, als wäre es erst gestern gewesen: Es war mein erster Tag. Ich war müde und hungrig nach einem langen Tag auf dem heißen, staubigen Planeten Gloria auf der Suche nach neuen Rekruten. Als Mitglieder der Company erhält man jeden Tag eine Gratisration, die Menge hängt vom jeweiligen Rang ab. Um die Sache abzukürzen: Ich ging in den falschen Laden. Ein Engel, ebenfalls ein Neuling, sah mich, wie ich aus dem Laden der Krieger geworfen wurde. Anhand meiner Rüstung erkannte er, dass wir denselben Rang teilten. Er nahm mich an die Hand und zeigte mir, wohin ich gehörte. Es war Tyson, der mich in den Ausbilderladen brachte, wo ich Lynn zum ersten Mal begegnete. Ich war von ihrer Ausstrahlung sofort bezaubert – von ihren strahlend blauen großen Augen, die einem direkt in die Seele zu blicken scheinen …

Ich betrete das Forum.

Hier ist nicht viel los, ganz anders als im Stadtmarkt. Wahrscheinlich sind sie alle noch im Einsatz im Eisernen Kern.

   „Hey, Jahwe!“, ertönt eine mir bekannte, tiefe Stimme. Sie kommt vom Laden der Krieger. Rubertus, ein etwas älterer Krieger, sitzt, den Oberkörper frei, an einem gut gedeckten Tisch vor dem Laden. Seine Haut ist mit feinen, kunstvoll selbst gezeichneten Narben übersät. Eine Narbe für jeden getöteten Feind der I.C.C. Ich schaue ihm ein wenig neidisch ins Gesicht. Ich kann seinen Spott förmlich riechen.

   „Was?“

   „Du siehst echt scheiße aus“, sagt er mit vollem Mund.

   „Kommst du gerade vom Schlachtfeld, oder was? So abgewrackt würde ich mich nicht einmal nach einem Rebellenangriff zeigen!“

   „Wenn ich du wäre, würde ich mich nicht mal auf die Straße trauen, aus Angst vor Aufgeblasenheit zu platzen“, kontere ich, wende mich ab und greife nach dem Griff der Ladentür. Eine Lampe über der Tür schaltet sich von Rot auf Blau und ein Klingeln ertönt. Lynn steht gebückt hinter dem Tresen. Ihre langen, blonden Haare fallen auf ihr weißes Kleid herab. Sie richtet sich auf. Sie lächelt immer, wenn sie mich sieht, doch heute erschrickt sie.

   „Was ist mit dir passiert?“, fragt sie. „Und wo ist Tyson?“ Mit ein paar schnellen Schritten ist sie bei mir. Ihre Frage sagt mir, dass er nicht hier ist. Verdammt! Tyson, wo bist du? Ob der Berater des Präsidenten mich belogen hat? Aber warum? Ich schaue beschämt zur Seite. Wenn Lynn wüsste, dass ich Tyson im Stich gelassen habe - Das würde sie mir nie verzeihen. Sie umarmt mich.

   „Ich … es ging alles so schnell. Wir wurden angegriffen. Er versorgte die Verwundeten, und rief mir zu, vorzugehen. Wir trennten uns … und dann bekam ich den Befehl nach Helius zurückzukehren“, lüge ich.

   „Mach dir keine Sorgen um Tyson, er schafft das schon. Hauptsache du lebst.“ Wie kann sie sich so sicher sein? Sie war nicht dort, hat nicht gesehen, wie die Explosionen die Rekruten in Stücke rissen. Genau deswegen kämpfe ich, damit sie das nicht sehen muss.

   „Du hast recht“, sage ich trotzdem. „Tyson schafft das.“ Nicht umsonst wäre er fast ein Krieger geworden.

   „Und dir geht es gut?“

   „Du machst dir wirklich Sorgen um mich?“

Sie schaut zu mir hoch, direkt in meine Augen. Ich schlucke. Als ich kurz davor war zu sterben, habe ich mir gewünscht, ich hätte ihr gesagt, was ich für sie fühle. Vorsichtig legt sie ihre Arme um mich. Das einzig Schöne in meinem Leben.

   „Natürlich“, sagt sie und zwinkert mir zu. „Du bist mein bester und liebster Kunde.“

   „Das weiß ich doch.“

   „Dann ist ja gut.“

   „Hast du meine Ration für heute schon erhalten?“

   „Natürlich“, sagt sie, löst sich von mir und verschwindet kurz in dem Raum hinter dem Tresen. Wieder habe ich die Gelegenheit verpasst, ich Feigling.

Unwillkürlich vergleiche ich den Laden, in den ich an meinem ersten Tag hineinging, mit Lynns. Eine dicke alte Dame scheuchte mich hinaus, als sie meinen Rang anhand meiner Rüstung erkannte. Der Laden der Krieger war viel größer und belebter gewesen, was natürlich daran liegt, dass es mehr Krieger als Ausbilder gibt. Eigentlich müsste ich froh sein, einen so niedrigen Rang zu haben, sonst hätte ich Lynn nie kennengelernt …

  „So, hier bitteschön, deine Ration“, sagt Lynn und legt ein kleines schwarzes Kästchen auf den Tresen. Darin befinden sich ein kleiner Laib Brot und ein verschlossenes Glas Wasser.

   „Keine Früchte heute?“

Sie schüttelt den Kopf.

   „Es tut mir leid. Die Yerraner haben wegen des Angriffs nicht geliefert.“

   „Wegen des Angriffs? Der Eiserne Kern liegt genau in der entgegengesetzten Richtung. Die hätten ruhig liefern können.“

   „Du kennst sie ja. Sobald sich die I.C.C. nur ansatzweise im Kriegszustand befindet, schotten sie sich komplett ab, bis die Lage sich wieder beruhigt hat.“

Diese Feiglinge. Verstecken sich immer in ihrer Stadt und hinter ihrer Sphäre. Ich schnappe mir meine Ration.

   „Ich gehe nach Hause, ich bin echt kaputt.“

Sie nickt mit einem Lächeln.

   „Kommst du morgen wieder?“

   „Natürlich.“

Wieder nickt sie. Mit meiner Ration in den Händen und einem warmen Gefühl im Herzen verlasse ich den Laden.

Nun nach Hause, keine Umwege mehr. Als ich mich vom Forum entferne, ruft Rubertus: „Genieße es, vielleicht ist es ja dein letztes Abendmahl.“

Was hat er gerade gesagt?„Was soll das …“ Ich drehe mich um. Mein Blick fällt auf den leeren Tisch.

   „… heißen?“ Rubertus ist verschwunden. Was war das? Habe ich mir seine Stimme eben nur eingebildet?

Ist auch egal.

Mit meiner Tagesration in den Händen kehre ich zur Kreuzung zurück. Im Hintergrund läuft die Wiederholung der heutigen Nachrichten über die Zerstörung der Astralstation und dem Versprechen des Präsidenten, dass die Götterjagd am morgigen Tag beendet werden wird. Ein paar Kinder spielen auf der Kreuzung. Waisenkinder. Ähnlich wie die der Sklaven im Marodar-Distrikt ist ihre Kleidung dreckig und zerrissen. Sie haben niemanden, der sich um sie kümmert. Allein auf sich gestellt kämpfen sie hier ums Überleben. Trotzdem spielen sie. Ich beobachte das einzige Mädchen der Gruppe, deren lange blonde Haare ihr bis zum Hintern reichen, dabei, wie sie lachend hinter einem der Jungen herrennt. Als sie ihn erreicht, schlägt sie ihn mit der offenen Handfläche ab. „Du bist dran!“ Komisches Spiel. So was habe ich als Kind nie gespielt. Liegt wohl auch daran, dass ich keine anderen Kinder zum Spielen hatte.Das Mädchen dreht sich um und bemerkt, dass ich sie beobachte.

   „Was guckst du so blöd?“

   „Oh! Tut mir leid. Ich wollte euch nicht stören.“

   „Hast du aber. Guckst du gerne Kindern beim Spielen zu?“

   „Ähm, eigentlich nicht.“ Sie mustert mich von oben bis unten. Ihr Blick bleibt an meinem, mit meiner Ration gefüllten Kästchen hängen. „Wenn du uns schon beobachtest, kannst du uns wenigstens was zu essen geben.“

Ich denke an meinen kleinen Laib Brot. Überlege, ob ich ihn teilen soll. Aber eigentlich brauche ich das Brot für mich selbst, wenn ich morgen fit sein will.Ich gehe in die Hocke, um auf Augenhöhe mit ihr zu reden. „Wie heißt du, Kleine?“ ihr Blick verfinstert sich.

   „Kleine? Ich bin ein Junge!“

   „Oh, ähm, das tut mir leid. Ich dachte“, ich zeige auf seine Haare, „wegen deinen Haaren, dachte ich, du wärst ein Mädchen.“

   „Luzifer.“

   „Was meinst du?“

   „Bist du irgendwie dumm? Du hast mich doch nach meinem Namen gefragt.“

Wie redet der mit mir? Komisches Kind, spricht mit mir von oben herab, als wäre er der Erwachsene und ich das Kind.

Ich stehe auf, um die Größenverhältnisse wiederherzustellen.

   „Für einen Jungen in deinem Alter bist du ziemlich frech, vor allem angesichts dessen mit wem du sprichst!“

   „Ach, mit wem spreche ich denn?“

   „Ich bin Jahwe, Vollstrecker der I.C.C.“

   „Bekommen wir nun das Brot?“, fragt er mich unbeeindruckt.

   „Nein!“ Ich wende mich von ihm ab.

   „Ich verstehe. Wenn ich ein Mädchen wäre, hättest du das Brot dann mit uns geteilt?“ Es wird plötzlich still auf der sonst so lauten Kreuzung. Die Blicke der Männer und Frauen um mich treffen mich vorwurfsvoll. „Was wolltest du mit mir tun?“ Er reibt sich die Augen. Tränen kullern ihm auf einmal die Wangen herunter. Er beginnt lautstark zu weinen. Aus der starrenden Menge löst sich eine Frau, die sich tröstend zu ihm niederkniet. Sie nimmt ihn in die Arme.          „Warum weinst du denn?“, fragt sie.

Schluchzend antwortet er ihr. „Der Mann da hat versprochen, mir das Brot zu geben, wenn ich mit ihm mitgehe. Er dachte, ich sei ein Mädchen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Junge bin und jetzt möchte er mir das Brot nicht mehr geben!“ Er bricht erneut in Tränen aus. Erzürnt steht die Frau auf und stampft auf mich zu, während ein bösartiges Grinsen auf Luzifers Gesicht erscheint. Dieser verdammte Junge.„Wie konnten Sie ihm nur so ein Angebot machen? Was hatten Sie mit dem Jungen vor?“

   „Ich? Gar nichts. Er lügt!“ Ich höre selbst, wie unglaubwürdig das klingt. Ich hab’s, damit werde ich ihr die Sprache verschlagen.

   „Wenn Ihnen so viel an diesem Jungen liegt, nehmen Sie ihn doch auf.“ Mit einem Grinsen im Gesicht warte ich auf ihre Reaktion. „Das geht nicht, wir haben keinen Platz.“ Wusste ich’s doch. So selbstherrlich daherreden und so wenig tun. Plötzlich schnappt sie sich mein Brot, das ich locker in der Hand halte, wendet sich dem Jungen zu und überreicht es ihm.

   „Das ganze Brot?!“, rufe ich ihr hinterher. „Ich hätte ihm höchstens die Hälfte gegeben!“

  „Rücken Sie jetzt doch mit der Wahrheit heraus?“

Hinter ihr ertönt das Gelächter der Kinder. Mit meinem Brot in der Hand und gefolgt von den anderen rennt Luzifer in Richtung Xerxis-Distrikt. Die Frau redet immer noch auf mich ein. „Ich hoffe, das war Ihnen eine Lehre“, sagt sie zu guter Letzt und verschwindet Richtung Stadtmarkt. „Mein Brot“, jammere ich. Ein Herz für Kinder … pff! Nie wieder, denke ich.

Die Straße führt mich in den Yerran-Distrikt. Hinter dem letzten Haus liegt eine Baustelle, auf der drei große Maschinen stehen, eine große quadratische Gussform und ein Schmelzofen. Dort werden Platten hergestellt, die an der Distriktplatte angebracht und befestigt werden. Gegenüber meinem Haus wird ein langgezogenes Gebäude errichtet, eine neue Astralstation, die das Yerranische Königreich mit Helius verbinden wird.

Vor einem kleinen zweistöckigen Haus bleibe ich stehen. Mein Zuhause. Von außen sieht es schlicht wie alle anderen Häuser hier im Distrikt aus. Ein großer schwarzer Kasten, ohne Fenster. Es gibt nur eine Tür in seiner Mitte, die mit einem Scanner versehen ist. Ich lege meine linke Hand darauf. Das Display leuchtet grün auf, es klickt und die Tür springt auf. Es ist dunkel und kühl im Flur. Eine Treppe führt nach oben ins Schlafzimmer. Dort stelle ich das Glas Wasser auf einen Tisch, lege mein Schwert und den Kommunikator daneben und lasse mich rückwärts aufs Bett fallen. Endlich Zuhause.

Vollkommen erschöpft ziehe ich mir im Sitzen die Schuhe aus und schleudere die Einzelteile meiner Rüstung von mir.

Ich greife nach dem Wasserglas, reiße den Deckel ab und nehme einen kleinen Schluck, der erfrischend meine Kehle hinunterfließt. Ein Kribbeln auf meinen Wunden sagt mir, dass das Wasser sie von innen nach außen zu heilen beginnt. Mein Hunger bleibt ungestillt. Jetzt, genau in diesem Moment, werden diese Gören meinen Laib Brot verspeisen … sollen sie doch. Ich hoffe nur, ich bekomme genug Schlaf, um mich zu erholen. Eine Mission direkt vom Gottkönig wird meine ganze Kraft in Anspruch nehmen. Da dürfen mich keine alten Verletzungen behindern.

Mein verspannter Körper beginnt, sich langsam zu entkrampfen.

Kapitel 1

Jeden Morgen blicke ich von der Straße des Yerran-Distrikts ins weite Universum hinauf. Ein glitzernder Schleier umringt die Sonne: Ferne Galaxien, so weit von hier und dennoch funkeln sie in allen Farben – der göttliche Ring. Einer der funkelnden Sterne ist mein Heimatplanet.

Von Gewissensbissen geplagt mache ich mich auf den Weg zum Hauptquartier. Tyson hat sich gestern nicht blicken lassen, ein Indiz dafür, dass der Berater gelogen hat. Er wird nie auf dem Weg nach Hause gewesen sein. Ich hätte nicht auf ihn hören sollen.

Moment mal, mein Kommunikator! Warum ist mir das nicht schon vorher eingefallen? Über die Frequenz 102.1 rufe ich Tyson an. Ein Moment vergeht, noch einer ...

   „Geh endlich ran."

Keine Reaktion.

Mist. Mein neuer Einsatz wird dieses Mal ohne ihn sein. Ich würde gerne für dich beten, mein Freund, aber es sind keine Götter mehr da, die meine Gebete erhören könnten, denn die letzte wird am heutigen Tage fallen. Das hat der Präsident zumindest gesagt und was er sagt, hält er ein. Ich hoffe, es geht dir gut, ansonsten verliere ich heute nicht nur meine Ziehmutter, sondern auch meinen besten Freund. An alldem sind nur die verdammten Rebellen schuld! Sie haben mit Sicherheit meine Mutter dazu überredet, sich ihnen anzuschließen und wegen ihres Angriffs auf den Eisernen Kern weiß ich nun nicht einmal mehr, ob mein Freund lebt oder gefallen ist. Ich verstehe meine Mutter einfach nicht. Warum hast du dich ihnen nur angeschlossen, frage ich sie stumm. Jetzt jagen sie dich und dass nur für eine zerstörte Astralstation! Alles, was mir bleibt, ist Lynn.

Die wenigen Engel, die bereits auf sind, sind auf dem Weg in den Stadtmarkt, ihre Tagesration holen. Ich frage mich, ob Lynn meine Ration für heute schon bekommen hat. Mein Magen knurrt. Der Laib Brot, den ich an die Kinder verloren habe, macht sich bemerkbar. Der kurze Schlaf genügte wohl nicht, um mich vollkommen zu erholen. Eins muss ich diesem Satansbraten, oder wie er noch mal hieß, jedoch lassen: Sein Theaterstück haben die Leute ihm abgekauft, das Brot war der Eintrittspreis. Im Nachhinein muss ich grinsen. Er würde bestimmt einen guten Krieger abgeben.

Mein Blick gleitet über Lynns Laden zu dem hell beleuchteten Hauptquartier der Company. Links neben dem Forum verläuft ein schmaler Pfad, von dem man glauben könnte, dass er in einer Sackgasse endet, aber tatsächlich ist dieser schmale Weg, den ich jetzt einschlage, der einzige Weg zum Hauptquartier. Er ist so angelegt, dass eine feindliche Armee Schwierigkeiten haben wird, das Hauptquartier zu stürmen. Auch hier sind die Mauern links und rechts von mir mit Kritzeleien bedeckt, in denen Angehörige nach ihren vermissten Freunden und Verwandten fragen. Zwei weitere Personen werden seit gestern vermisst. Worte aufgebrachter Bürger beschuldigen die Company, bleiben aber unbeantwortet an den Wänden stehen. Ich erinnere mich noch vage, wie es anfing. Tyson, dessen Haus im Xerxis-Distrikt steht, behauptete, dass er qualvolle Schreie aus dem Hauptgebäude des Forschungszentrums hörte – ich lachte ihn nur ungläubig aus, aber er beharrte darauf. Vielleicht habe ich zu vorschnell geurteilt. Vielleicht experimentiert die Company tatsächlich an unsersgleichen herum. Nein, das ist die Mundpropaganda der R.I.O. Auffällig jedoch, dass bisher ausschließlich männliche Engel aus dem Zentrum und aus dem Xerxis-Distrikt verschwunden sind – kein einziger aus den Reihen der Company. Wahrscheinlich machen die Angehörigen deswegen die Company für ihr Verschwinden verantwortlich.

Am Ende des Pfades geht es rechts um die Ecke. Ein bewachtes Gittertor versperrt den Weg. Zwei Stadtwachen haben links und rechts vom Tor Stellung bezogen. Ihre Rüstung umschließt sie vollkommen, sodass kein bisschen Haut frei liegt.

   „Ich erbitte Einlass zum Hauptquartier. Der Gottkönig selbst erwartet mich." Sie werfen sich einen Blick zu, dann mustern sie meine Rüstung.

   „Es tut mir leid, Ausbilder sind auf dem Gelände nicht gestattet."

   „Ich muss ...", beharre ich, verstumme jedoch, als beide an ihre Kommunikatoren gehen und lauschen.

  „Ihr verdammten Gören, was habt ihr schon wieder angestellt?", ertönt eine Stimme hinter mir. Ein Poltern, gefolgt von klirrendem Metall. Ich blicke auf die Mauer in meinem Rücken, hinter der sich das Forum verbirgt.

Wem auch immer das Gemecker gerade gilt, ich weiß, wer gesprochen hat: Die nette Dame aus dem Kriegerladen, da kommen mir glatt die Erinnerungen an damals wieder hoch.

  „Sie können weitergehen", sagt die linke Wache zu mir. Das Gittertor schwenkt auf. Auf dem riesigen, fast leerstehenden Innenhof sind zwei große Scheinwerfer angebracht, die ihr Spotlight auf die Gebäudefront gerichtet haben. Auf einer mit Ringen umgebenen Kugel, die den Eisernen Kern darstellen soll, steht in blutroter Schrift:

" Hauptquartier der

Iron Core

Technical & Research

Company"

so groß, dass allein das Logo mehrere Etagen einnimmt. 

Ab hier dürfen eigentlich nur noch Mitglieder des Ranges Krieger oder höher weiter. Ausbilder wie ich oder Stadtwachen haben ab hier keinen Zutritt mehr. In dem ansonsten verlassenen Innenhof fällt mein Blick auf zwei Personen. Einer von ihnen ist Sanctus, mein Einsatzleiter, dessen Stimme ich besser kenne als seine Person; ein junger Mann in blauer Rüstung, der sich sehr aufrecht hält. Er hat kurzes glattes silbernes Haar, das ihm ins Gesicht fällt. Er ist schmal gebaut, im Gegensatz zu dem Mann mit Glatze zu seiner Linken. Dieser ist muskulös und trägt eine komplett türkisfarbene Rüstung – untypisch. Die Rüstungen der Angestellten der Company sind ausschließlich aus Kerneisen, dem stärksten Metall des Universums, gefertigt, das geschmiedet eine tiefschwarze Farbe annimmt. Davon scheinen die beiden nicht viel zu halten. Besonders auffällig sind die Beinschienen des Mannes – es sieht aus, als würden weiße Flügel seine Beine umschließen. Anders als Sanctus steht er lässig mit überkreuzten Armen gegen die Wand gelehnt. Als ich den Innenhof überquere, fällt sein Blick auf mich und saugt sich an mir fest.

   „Ausgeschlafen?", fragt er, als ich nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt bin. Erst da erkenne ich, dass es kein Mann, sondern eine Frau ist, die vor mir steht, und sie hat auch keine Glatze. Feine türkisfarbene Stoppeln bedecken ihren Schädel.Haben nicht alle Engel blonde Haare?Merkwürdig. Dass sie eine Frau ist, erkennt man nur an ihrer Brustrüstung.

   „Der Gottkönig wartet bereits auf dich", begrüßt mich Sanctus.

   „Hat er gesagt, was mein Auftrag sein wird?", frage ich ihn und ignoriere die Frau.

   „Nein." Ich nicke ihm zu und mache Anstalten, an ihm vorbeizulaufen, als die Kriegerin den Arm ausstreckt und mir den Weg versperrt.

   „Warte", sagt sie und mein Körper erstarrt. Ich kann keinen Muskel rühren. So etwas habe ich noch nie gehabt. Sie sieht mich nicht einmal an und dennoch ist mir, als sähe ich in ihre eiskalten grauen Augen.

   „Was ist?", frage ich sie.

   „Sag Danke."

   „... Danke." Danke wofür?

   „Lass ihn in Ruhe, Stigma", sagt Sanctus.

   „Wie du möchtest." Sie senkt ihren Arm und die Starre, die meinen Körper erfasst hatte, löst sich.

   „Geh nun, der Gottkönig erwartet dich im 48. Stockwerk."

Hinter mir fallen die zwei Flügeltüren zu.

Die Eingangshalle ist wesentlich kühler und heller als die Gebäude der Innenstadt. Der Boden ist mit weißen Fliesen belegt. Links und rechts führen zwei große geschwungene Treppen in die nächste Etage. Ein roter Teppich bedeckt die Stufen. Zwischen den Treppen, genau in der Mitte der Halle, steht ein Thron. Er muss wirklich alt sein. Selbst aus der Entfernung erkenne ich gewaltige Risse, die sich durch ihn ziehen. Eine Ecke der Rückenlehne fehlt. Ich weiß nicht, aus welchem Material er angefertigt wurde, aber er hat eine rötlich-braune Farbe angenommen, als würde er rosten. War das der Thron des Gottkönigs? Sein ehemaliger Glanz ist jedenfalls erloschen.

Rechts vom Eingang sitzt eine Dame mit langem braunen Haar hinter einem Tresen. Auf der Nase trägt sie ein Gestell, in das zwei runde Glasscheiben gefasst sind. Ihr Gesicht wird von dem Monitor vor ihr grell angeleuchtet. Und jetzt? Ich war noch nie im Hauptquartier. Wo muss ich denn jetzt hin? Bis auf sie ist niemand hier.

   „Entschuldigen Sie, ich habe eine Frage.“ Mit einem Lächeln wendet sie den Blick vom Monitor ab.

   „Willkommen im Iron Core Hauptquartier, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

   „Hallo … ähm. Ich muss zum Gottkönig. Können Sie mir sagen, wie ich dorthin komme?“

   „Wie heißen Sie?“

   „Jahwe. Und Sie?“

   „Mein Name ist Rachel, schön Sie kennenzulernen.“

   „Können Sie mir nun weiterhelfen?“

   „Natürlich. Mir wurde im Vorfeld gesagt, dass sie kommen würden, einen Moment.“ Sie bückt sich und kramt unter dem Tresen herum. „Wo habe ich es denn hingelegt …?“

   „Hallo?“, rufe ich etwas ungeduldig.

   „Ja, warten Sie kurz, gleich hab’ ich es.“ Sie jubelt auf.

   „Ich hab’s gefunden.“

Ich blicke auf den Gegenstand in ihren Händen.

   „Eine Karte. Was soll ich damit?“

   „Ohne diese Karte können Sie den Lift nicht benutzen.“

   „Welchen Lift?“

Sie zeigt mit dem Finger auf zwei Glassäulen, die von der ersten Etage nach oben führen.

   „Dort oben ist der Lift. Der Gottkönig befindet sich im 48. Stockwerk, im Büro des Präsidenten.“

Sie steckt die Karte in den Schlitz eines kleinen schwarzen Kastens rechts von ihr. Dann wendet sie sich wieder dem Monitor zu.

   „Nun müssen wir Ihre Daten auf die Karte übertragen. Ich werde Ihnen nun einige Fragen stellen und dann erhalten Sie ihre persönliche ID-Karte, sofern das Lämpchen Grün aufleuchtet, verstanden?“

   „Wenn es unbedingt sein muss. Fangen Sie an.“ Der Gottkönig erwartet mich bereits. Ich verschränke meine Arme und trommele ungeduldig mit den Fingern auf meiner Armschiene.

   „Name?“

   „Jahwe.“

   „Geburtsort?“

   „Planet Sirius.“

   „Eltern?“

   „Mutter: Ga …“ Ich zögere. In Anbetracht dessen, was gestern geschehen ist, sollte ich mich wohl lieber nicht als Sohn der Göttin outen, die die Astralstation dem Erdboden gleichgemacht hat. „Ich meine Nova.“ Natürlich weiß ich, dass sie nicht meine richtige Mutter ist, aber für mich wird sie es immer sein. Ich kann mich kaum noch an meine wahren Eltern erinnern. Wenn ich an meine Mutter denke, sehe ich vor meinem geistigen Auge nur die Göttin, in deren Armen ich liege. Wenn ich an meinen Vater denke, sehe ich nichts.

   „Vater: Unbekannt.“

   „Ihr Vater ist unbekannt? Was soll das bedeuten?“

   „Dass ich nicht weiß, wer mein Vater ist, und nun weiter!“

   „Welchen Rang haben Sie?“Mein Rang? Ich kann ihr wohl kaum sagen, dass ich nur ein Ausbilder bin, der nicht einmal hier stehen dürfte, wenn ich nicht die Erlaubnis hätte.

   „Ich rede nicht so gern darüber, muss das sein?“

Sie nickt.

   „Der Rang ist das Wichtigste. Er allein besagt, wo sie hindürfen und wo nicht.“

   „Welchen Rang müsste ich denn haben, um die oberste Etage betreten zu dürfen?“

   „Einen Moment.“ Sie tippt auf das Panel vor ihr. „Also hier steht: Um die oberste Etage betreten zu dürfen, müssten Sie der Präsident sein, zur Sondereinheit gehören, ein Krieger, der oberste Forschungsleiter oder der Gottkönig sein.“

Hm, ich bin nichts von alledem. Soll ich mir einen Rang aussuchen? Um da oben hinzukommen, bleibt mir wohl keine andere Wahl. Präsident, Krieger, Forschungsleiter, Sondereinheit oder Gottkönig. Also …„Forschungsleiter!“ Sie schaut mich einmal kurz verdutzt an, wendet sich jedoch schnell ihrem Gerät zu.    „Na gut. Forschungsleiter“, tippt sie gutgläubig in den Computer ein.

   „Nein, nein, warten Sie, das war ein Scherz. Ich bin ein Krieger.“

Wütend schaut sie mich an. „Verarschen Sie mich? Ich gebe mir die größte Mühe und Sie nehmen mich nicht ernst.“

Oh Mann. Ich hätte auch Präsident sagen können und sie wäre drauf reingefallen. Also, jeder Rebell, der zum Gottkönig will, hat hier freie Bahn.

   „Sie machen sich wohl einen Spaß mit mir.“

   „Das Leben hier ist schon ernst genug, da braucht man schon mal etwas Spaß, oder?“

   „Natürlich. Humor ist gut für die Seele“, sagt sie und beruhigt sich wieder.

Ein Piepen unterbricht unsere Unterhaltung. Eine grüne Lampe blinkt auf, woraufhin die Karte herausfährt. Sie zieht die Karte heraus und überreicht sie mir.

   „Bitte sehr.“

   „Danke.“ Ich nehme die Karte entgegen.

Sie nickt lächelnd. Dann vertieft sie sich wieder in die Betrachtung des Monitors.

Gut, jetzt kann ich endlich zum Gottkönig. Meine Finger, die die Karte umschließen, kribbeln. Zum ersten Mal werde ich ihn leibhaftig sehen. Fast, als ob ich wirklich ein Krieger wäre, so, wie ich es mir immer gewünscht habe. Ohne noch einmal zurückzuschauen, gehe ich auf die rechte Treppe zu.

In der oberen Etage führen zwei runde Glasschächte nach oben. An der rechten Seite jeder Säule befindet sich ein Schlitz, in den ich meine Karte einführe. Eine rote Lampe blinkt auf. Ein Brummen ertönt, vermutlich eine Fehlermeldung. Als ich es nochmal versuche, dasselbe. „Blödes Ding!“ Ich hasse es, wenn die Technik nicht funktioniert. Ich bin froh, dass ich wenigstens eine Drohne bedienen kann, denke ich, als mir die Bilder der Bruchlandung durch den Kopf schießen … oder auch nicht.

   „Gibt es ein Problem?“ Ich sehe zur Seite und erblicke Rachel.

   „Ja, das verdammte Ding funktioniert nicht!“

   „DiesesDingist ein Liftscanner“, sagt sie und hält ihre Hand auf. „Geben sie mir mal ihre Karte.“

Ich überreiche ihr meine ID-Karte.

Gekonnt zieht sie die Karte durch den Schlitz. Nach wenigen Sekunden blinkt eine grüne Lampe auf.

   „Sehen Sie, geht doch.“ Verdutzt sehe ich sie an. „Wie haben Sie das gemacht? Ich habe nichts anderes getan.“

   „Sie müssen die Karte mit der Seite hineinschieben, auf der der ID-Chip ist“, sagt sie und zeigt mit dem Finger auf das kleine schwarze Viereck auf der Karte, das sich kaum von der schwarzen Oberfläche abhebt.

   „Nun können sie den Lift betreten.“ Ich nicke, woraufhin eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher des Liftscanners ertönt.

   „Willkommen im Hauptquartier der Iron Core Company. In welche Etage möchten Sie?“ Die gläsernen Türen des Lifts fahren auf.

   „Muss ich jetzt auch noch mit diesem Ding reden?“

   „Natürlich, ziemlich komfortabel, oder?“ Ich trete in den Lift und drehe mich um. Rachel sieht mir mit undeutbarem Gesichtsausdruck in die Augen. Ein wenig verlegen wende ich den Blick ab und sage: „Zum Büro des Präsidenten.“ Der Lift rührt sich nicht. „In welches Stockwerk möchten Sie?“, fragt der Liftscanner erneut.

   „Hörst du schwer? In …“ Ich schaue zur Empfangsdame. „In welcher Etage war nochmal das Büro des Präsidenten?“, flüstere ich ihr zu. „48“, flüstert sie zurück.

   „Ins 48. Stockwerk.“

Ich warte.

Noch immer rührt sich nichts.

   „Warum bewegt es sich nicht?“

   „Sie müssen ‚Bitte‘ sagen.“ Was muss ich? Bitte sagen? Hat die einen Knall? Grrr! Na gut, wenn es unbedingt sein muss.

   „Ins 48. Stockwerk“, sage ich und schlucke. „Bitte.“ Noch immer regt sich der Fahrstuhl nicht.

   „Was ist denn jetzt schon wieder? Ich habe doch … das Wort gesagt.“

Außerhalb des Lifts ertönt ein Kichern. Ich sehe zu Rachel, die sich das Lachen kaum verkneifen kann.

   „Warum lachen Sie?“ Nach meiner Frage kann sie sich nicht mehr zurückhalten.

   „Wenn es mit dem Reden nicht funktioniert, versuchen Sie doch einfach, einen Knopf zu drücken“, sagt sie und kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus. Zu meiner Rechten bemerke ich eine Schaltfläche mit Knöpfen von eins bis achtundvierzig.Diese verdammte … Sie hat mich verarscht.

   „Was haben wir da gelacht, haha.“

So langsam kriegt sie sich wieder ein.

   „Wie Sie schon sagten, das Leben hier ist schon ernst genug, da braucht man schon mal etwas Spaß.“ Sie zwinkert mir zu.

   „Touché.“ Die Sache bringt selbst mich zum Lachen. Ich kann ihr nicht einmal mehr böse sein. Es muss langweilig und einsam sein, hier zu arbeiten.

   „Bis zum nächsten Mal“, verabschiedet sie sich und kehrt nach unten zurück.

Ich drücke auf die Achtundvierzig. Die Glastüren schließen sich und mit einem Ruck fährt der Lift an. Durch die Glaswand des Lifts sehe ich die Etagen an mir vorbeiziehen. Dann stoppt der Lift abrupt. Die KI des Lifts ertönt. „Willkommen im Büro des Präsidenten.“ Die Glastüren öffnen sich.

Der Boden ist weiß gekachelt, wie im Erdgeschoss. Ein roter Teppich führt vom Lift durch den Raum. Links und rechts des Teppichs wird der Raum von sechs Säulen, drei auf jeder Seite, getragen. An seinem Ende sitzt ein alter Mann. Ist er das?

Ich eile zu ihm. Vor ihm gehe ich auf die Knie.

   „Verzeihen Sie die Verspätung, Gottkönig.“

Er sagt nichts, ich hoffe, er ist nicht erzürnt. So langsam könnte er allerdings schon was sagen.Vorsichtig schaue ich auf. Ich erhasche einen kurzen Blick und kehre in meine Verneigung zurück. Moment mal? Sind seine Augen geschlossen?

   „Gottkönig?“

Er reagiert nicht. Schläft er? Langsam richte ich mich wieder auf. Er hat kurzes, weißes Haar und ein faltiges Gesicht. Er sieht ganz gewöhnlich aus.

Soll ich ihn schlafen lassen? Darf man einen Gottkönig einfach so wecken? Ich warte lieber.Hinter ihm gibt eine Glaswand den Blick auf Helius frei, übergossen von dem rötlichen Licht der Lava, das wie ein Strahlenkranz über die Stadt hinausleuchtet, bis die Dunkelheit des Universums es verschlingt. Der göttliche Ring steht hell am Himmel.

   „Schöne Aussicht, nicht wahr?“, ertönt eine Stimme hinter mir.

   „Herr Gottkönig!“ Ich falle auf die Knie.

   „Lassen wir das mal. Steh wieder auf. Nenn mich Geonova.“ Vorsichtig erhebe ich mich.

   „Du bist dann also Jahwe?“

Ich nicke.

   „Warum hat das so lange gedauert?“, fragt er und gähnt.

   „Eine Empfangsdame hat mich aufgehalten.“

   „Und wie findest du sie?“

   „Ähm, tja, sie hat Humor und ist recht hübsch.“

Der alte Mann beginnt zu grinsen. „So meinte ich das nicht. Ich habe mich gefragt, ob du bemerkt hast, dass sie kein Engel ist.“

   „Kein Engel? Was dann?“

   „Sie ist ein Android der Serie ME. Wir wollten erst Menschen einsetzen, aber … der Versuch war nicht von Erfolg gekrönt.“

   „Warum?“

  „Auf so vielen Planeten kamen die Götter mit ihrer Arbeit nicht hinterher, deshalb erschufen sie Menschen, die als Beschützer ihrer Planeten dienten. Sie wurden nach dem Vorbild der Engel erschaffen, jedoch ohne Flügel und weitaus sterblicher, um sie an ihren Planeten zu binden. Der Präsident versuchte, die Menschen so zu modifizieren, dass ihre Körper die Reise und die Hitze der Sonne überstehen. Sie sollten eigentlich die körperlichen Arbeiten in Helius übernehmen … doch kein Einziger kam hier lebend an. Sie platzten wortwörtlich … ein reines Blutbad. Der Präsident konnte diesen Fehlschlag nicht hinnehmen. So erschuf er die erste ME, ME01 Durch eine Maschine transferierte er die Seele eines Menschen in die ME. Sie sind rein mechanisch, ohne jegliche Organe. In ihren Köpfen spuken die Erinnerungen des Menschen, die ihnen zugeführt wurden. Die MEs sollen die Frauen, die hart in der Stadt arbeiten, ersetzen. In naher Zukunft wird niemand mehr für seine Versorgung arbeiten müssen.“

Was sie mit den MEs machen klingt furchtbar …

Ich war nie ein Sklave eines Menschen gewesen, aber das klingt furchtbar. Aber ich hörte wie erniedrigend es für viele war. Mein Entsetzen muss sich auf meinem Gesicht gezeigt haben, denn der Gottkönig lächelt und wendet sich dem Fenster zu. „Schau auf diese Stadt! Du weißt, wie groß wir geworden sind. All das konnte nur entstehen, weil die Götter uns erniedrigt haben. Und weil ein Engel mutig und raffiniert genug war, sich dem entgegenzusetzen. Xerxis, einer der Erhabenen Drei, legte den ersten Baustein dessen, was wir heute als die Iron Core Company kennen.“

Jeder kennt die Geschichte.

   „Er tötete den alten Gottkönig.“

   „Das ist korrekt. Aber nur weil Manathea Xerxis’ Vision nicht verstand. Er sah nicht das was ich sehe: etwas Wundervolles.“

Eine kurze Stille entsteht. Auch wenn mir Rachel leid tut: Wenn die ME-Serie fertig ist, werden Frauen wie Lynn durch MEs ausgetauscht. Ein furchtbarer Gedanke, andererseits jedoch… bekäme ich die Zeit mit Lynn nach der ich mich sehne. Vielleicht könnten wir ein Picknick auf den weiten Wiesen meines Heimatplaneten machen, unter dem einen großen Baum, den meine Mutter für mich gepflanzt hat, nicht weit vom Gottespalast entfernt.

   „Gut. Nun zu dem Grund, warum ich dich hierher beordert habe“, reißt er mich aus meinen Gedanken. „Mir wurde eine Aufzeichnung vom Angriff auf den Eisernen Kerns gesendet.“

Es gibt Aufzeichnungen?Ich spüre wie mir der Schweiß ausbricht.Der Gottkönig drückt auf einen Knopf unter der Tischplatte, woraufhin schwarze Platten von oben herabfahren und die Glaswand abdecken. Ein Bild erscheint auf ihnen.

Es zeigt die Frau in der goldenen Rüstung, meine Mutter, die aus dem Kampfschiff springt. Kurze darauf geht die Astralstation in einem glühenden Flammenball auf.

Die Übertragung endet.

Das Gesicht der Göttin wird nun auf dem Bildschirm eingeblendet.

   „Die Göttin des Lebens … Gaia Nova …“

Mein Herz schlägt schneller.

   „Sie hat sich gegen uns gestellt und sich der R.I.O. angeschlossen. Du weißt, was das bedeutet?“

Ich nicke. Ein Vollstrecker wird sich ihrer annehmen. Ein Vollstrecker, der stark genug ist, einen Gott zu töten. „Wer wird es sein?“

Eine erneute Übertragung wird eingeblendet: Sechs Krieger. Ihre Namen und ihr Rang erscheinen in Lettern unter ihren Gesichtern. Die ersten beiden sind mir völlig unbekannt, Genos und Balthos steht unter ihnen. Vollstrecker. Danach folgen zwei Tyrannen vom Eisernen Kern – Magna und Bael. Die Roten Gravuren auf ihrer Rüstung zeigen ihren Rang an. Ein Mann mit schwarzen schulterlangen Haaren und leuchtend blauen Augen folgt. Luzis. Nichts deutet auf seinen Rang hin, statt einer Rüstung ist er in einen schwarzen Anzug gekleidet. Der letzte ist ein Krieger, dessen oberkörperfreien Körper mit Narben bedeckt ist. Rubertus.

   „Das sind die Bilder der Krieger, Tyrannen und Vollstrecker, die bei dem Angriff auf den Eisernen Kern getötet wurden.“ Tyson war nicht unter den Opfern oder werden Ausbilder nicht einmal namentlich erwähnt?

   „Da Magna und Bael getötet wurden, haben wir momentan leider keinen Vollstrecker, der sich Gaia Novas annehmen könnte.“

   „Moment mal, die sechs Personen wurden gestern getötet?“

Er nickt.

Das kann nicht sein. Rubertus war doch gestern im Forum. Da stimmt etwas nicht. Das Geräusch der aufgleitenden Lifttüren ertönt, Schritte nähern sich.

   „Oh, verzeiht mir, dass ich eure Unterhaltung störe“, erklingt eine bekannte Stimme. Ich drehe mich um und sehe in die violetten stechenden Augen, seine Violetten Schulterlangen Haare verbergen den Großteil seines Gesichtes. Victor. Er ist hier?

   „Victor, was verschafft uns die Ehre?“, fragt der Gottkönig.

   „Der Präsident schickt mich. Es geht um diesen Ausbilder. Ich fragte mich, warum er gezögert hat anzugreifen, als er die Göttin im Raumschiff der Rebellen erblickte. Er stammt ursprünglich aus dem Yerranischen Königreich, wo die Göttin des Lebens eine Zeit lang ihren Sitz hatte. Er kennt sie, sie war seine Göttin, vor der Company. Nicht wahr…?“ Er kommt bedrohlich näher.

   „Dieses Verhalten empfand ich als äußerst seltsam. Ich glaube, dass er vielleicht der Göttin noch immer gehorsam ist“, er blickt mir tiefer in die Augen. „Was sagst du, Junge, bist du der Company noch immer loyal ergeben?“ Sie haben mich… was mache ich jetzt?

   „Ja“, platzt es aus mir heraus. Mein Herz schlägt schmerzlich gegen meine Brust.

   „Was war dein Traum als du dich der I.C.C. angeschlossen hast?“

   „Mein Traum?“, frage ich und starre auf den weißen Fliesenboden. „Ich wollte Schutz bieten, den die Götter uns nicht mehr bieten konnten, ich wollte die Engel von ihrem Dasein als Sklaven befreien und … ich wollte ein Krieger werden …“

   „So sei es. Erfülle deinen Traum. Stelle dich deiner ehemaligen Göttin im Kampf … und mach ihrem Leben ein Ende. Bring den ewigen Frieden in unser Universum. Auf allen Planeten wird dein Name verehrt werden, als gottgleiches Wesen, das der letzten Göttin ihr Ende brachte. Die Menschen werden dich anbeten, die Engel der I.C.C. werden deinen Taten huldigen und deinen Sieg feiern. Sei stolz darauf, ab dem Zeitpunkt den Titel Gottjäger tragen zu dürfen. Und jeder, der dich …“

   „Er hat es verstanden“, unterbricht Geonova ihn. „Mehr Worte sollten nicht nötig sein, um ihn zu überzeugen.“

   „Oh, na dann“, sagt Victor. „Dann ist wohl alles gesagt. Dann überlasse ich den Rest euch, die Missionsdaten wurden bereits gesendet.“

Jetzt begreife ich erst, was mir bevorsteht. Ich soll meine eigene Mutter töten?

   „Du hast es gehört, Jahwe. Du weißt, was zu tun ist?“

Ich schlucke. Ich kann das nicht. Ich bin nicht einmal ein Krieger.

   „Aber … ich bin kein Krieger“, versuche ich Zeit zu gewinnen.

   „Du hast ihn gehört. Geh vor mir auf die Knie!“

Widerwillig gehe ich vor dem Tisch auf die Knie.

   „Hiermit befördere ich dich mit sofortiger Wirkung zum Krieger der I.C.C. Erhebe dich, Krieger Jahwe.“

Ich erhebe mich.

   „Aber das macht mich noch lange nicht zum Vollstrecker.“

   „Was glaubst du wohl, worin der Unterschied zwischen einem Krieger und einem Vollstrecker liegt?“

   „Ich weiß es nicht. In ihrer Stärke?“

Er schüttelt den Kopf und greift in die Luft, ein goldenes Licht umhüllt seine Hand. Nachdem es erlischt, hält er einen schwarzen Kasten, den und er vor sich auf den Tisch legt. Er drückt auf die Mitte des Kastens. Ein blaues Licht teilt seine Oberfläche, und die zwei Teile gleiten zur Seite.

   „Hier drin liegt der Unterschied“, sagt er und schiebt den Kasten in meine Richtung.

   „Ich verstehe nicht.“

Im Inneren des Kastens befindet sich ein metallischer Stift und eine Spritze. Geonova nimmt den Stift in die Hand. „Sieh her. Dies hier ist ein mobiler Antimagischer-Schutzfeld-Generator. Er bildet bei Aktivierung eine magische Kuppel, in deren Wirkungsbereich die Magie eines Gottes blockiert wird.“ Er legt ihn zurück und nimmt stattdessen die Spritze zur Hand.

  „Der Unterschied liegt jedoch in dieser Spritze. In dieser Injektion steckt das Potenzial eines Vollstreckers. Solltest du trotz der Hilfe des mobilen Antimagischen-Schutzfeld-Generators – oder auch MASG, wie wir ihn nennen – nicht in der Lage sein, Gaia Nova zu töten, injiziere dir diese Flüssigkeit, und du wirst sehen, wie mächtig du wirst. Aber nutze sie mit Bedacht! Sie erfüllt jeden mit Macht, aber nicht jeder überlebt die Dosis. Die Rüstung in der Kiste zu deiner Linken wird jedem zeigen, dass du von nun an ein Krieger bist. Sie wird dich besser schützen, als deine jetzige. Wirst du den Auftrag annehmen?“ Er reicht mir die Hand.

Ich zögere.

Geonova hebt eine Braue.

   „Es ist deine Pflicht, Gaia Nova wegen ihrer Fehler zur Rechenschaft zu ziehen. Denk an den Frieden des Universums. Ist die letzte Göttin endlich tot, wird die Rebellion zerfallen. Du erhältst all das, wovon Victor gesprochen hat, außerdem wirst du für jeden Tag deines restlichen Lebens eine größere Tagesration erhalten und eine eigene Etage hier im Hauptquartier bekommen. Ist es nicht das, wovon du geträumt hast? Nimm meine Hand!“

Für Ehre, Essen und eine eigene Etage im Hauptquartier meine eigene Mutter töten, die mich großgezogen hat?„Und wenn ich nein sage?“

Sein Blick verfinstert sich.

   „Solch eine Frage stellt man nicht bei so einem Angebot. Nimm meine Hand, nimm deinen Auftrag an, sonst kannst du den Leuten im Marodar-Distrikt Gesellschaft leisten oder Schlimmeres.“

Victor legt eine Hand auf meine Schulter.

    „Was ist mit dieser Frau, wie war noch mal ihr Name?“, fragt er spöttisch.

    „Ah, jetzt weiß ich es wieder. Die Frau im Ausbilderladen hieß doch Lynn, nicht wahr? Wenn ich du wäre, würde ich sie nicht für mein Versagen büßen lassen.“

Lynn. Meine Gesichtszüge verkrampfen, ich bin so machtlos. Ich darf nicht weinen … ich muss sie schützen! Das Victor Lynn in diese Sache reingezogen hat, das werde ich ihm nie verzeihen!

   „Natürlich wird von alledem nichts passieren, weil ich weiß, dass du den Auftrag gerne annehmen möchtest“, wirft der Gottkönig ein. Lynn … Mutter … Wen würde ich lieber opfern? Ich muss einen Weg finden, beide zu retten. Aber zunächst muss ich mitspielen.

Wiederwillig ergreife ich seine Hand. Kaum berühren meine Finger seine, weicht aller Ernst aus seinem Gesicht. „Ich wusste, du enttäuschst mich nicht. Nimm den Inhalt des Kastens, du weißt, was zu tun ist. Auf der Landebahn erwartet dich bereits eine Drohne. Sanctus wird dir wie üblich alles Weitere erklären und die Koordinaten über deinen Kommunikator schicken.“ Er wendet sich von mir ab. Ich nehme die neuen Rüstungsteile an mich. Armschienen, Handschuhe und Stiefel, ein breiterer Gürtel, Schulterstücke und Beinschienen, die letzten beiden Teile, die fehlten, um meinen Körper vollständig mit Kerneisen zu schützen. Mein Kopf und mein Hals sind das Einzige, was ungeschützt bleibt. Die Spritze und das Antimagische Irgendwas befestige ich, wie den Kommunikator, an meinem neuen Gürtel.

   „Jahwe!“, ruft der Gottkönig mir hinterher. Mit dem Rücken zu ihm bleibe ich stehen. „Der Frieden des Universums liegt nun in deinen Händen.“

Ohne ein weiters Wort zu verlieren, steige ich in den Lift und drücke auf „1“. Warum ich? Wenn er der Gottkönig ist, warum kümmert er sich nicht selbst darum? Schließlich kann er nichts Großartiges zu tun haben, wenn er auf seinem Stuhl einschläft. Wofür braucht die I.C.C einen Vollstrecker für diese Aufgabe? Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt. Als König der Götter muss die Macht des Gottkönigs über allen anderen stehen. Skeptisch schaue ich auf das Gerät an meinem Gürtel. Und das soll mir helfen? Ich hoffe, dass ich es nicht benutzen muss. Aber selbst wenn es zum Kampf kommt, könnte ich wirklich gegen meine Mutter gewinnen? Ich habe noch nie gesehen oder gehört, wie ein Vollstrecker einen Gott getötet hat. Ich kenne auch niemanden, den ich fragen könnte, bis auf Sanctus vielleicht. Moment mal, warum steht der Gottkönig eigentlich außen vor, schließlich ist er auch nur ein Gott. Weil er sich der I.C.C angeschlossen hat? Ich muss meine Mutter davon überzeugen, sich der der Iron Core Company anzuschließen. Vielleicht verschonen sie sie dann genauso wie ihn.

    „Willkommen in der Empfangshalle“, sagt die KI. Bedrückt, den Blick zu Boden gewandt, laufe ich die Treppe hinab, an Rachel vorbei.

   „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, ruft sie mir winkend zu, aber ich höre es kaum. Ich muss einen Weg finden, sowohl Lynn als auch meine Mutter zu retten.

   „Lebst ja noch, hast wohl Glück gehabt“, sagt Stigma, als ich an ihr vorbeilaufe. Ich ignoriere sie. Glück, von wegen. In meiner Verzweiflung schaue ich zu den Sternen empor, zum göttlichen Ring, als würde dort die Antwort auf meine Frage stehen. Was soll ich tun?

   „Wenn du ihr gegenüberstehst, füge ihr qualvolle Schmerzen zu“, sagt Stigma. „Ich möchte ihre Schmerzensschreie – und deine Seele brechen hören.“ Ich bleibe stehen.Diese verdammte …!Ich merke, dass ich mit den Zähnen knirsche. Mit einem Ruck ziehe ich mein Schwert, wende mich ihr zu und … spüre eine kalte Klinge an meiner Kehle. Stigma steht über mir. Gerade stand sie noch am Eingang und plötzlich presst sie ihr Schwert an meine Kehle und ich liege auf dem harten schwarzen Boden.

   „Wie hast …“, beginne ich, doch bevor ich den Satz beenden kann, schreit sie mit tiefer gebieterischer Stimme: „Schweig!“ Ich verstumme. Was ist los mit mir? Sie lacht höhnisch. Dann neigt sie sich langsam zu mir herab.