Granturismo - Hanno Millesi - E-Book

Granturismo E-Book

Hanno Millesi

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Beschreibung

Während ein kleiner Angestellter eine krisenbedingte berufliche Freistellung dazu nützt, sich den lebenslang gehegten Traum von jenem Aufbruch ohne ein bestimmtes Ziel, jener Reise um des Reisens willen, zu erfüllen, für die er bislang weder Zeit noch Mut aufgebracht hat, schickt ihn ein Schriftsteller als Hauptfigur seines Prosatextes auf eben jene große Fahrt. Von diesem Moment an werden die Fährnisse des einen zu Unannehmlichkeiten für den anderen. Ihre Wege kreuzen sich: Versiegt die Reiselust, wird die Romanfigur unbrauchbar, lässt der Hunger nach Abenteuern nach, liegt das mitunter an der Erfindungsgabe des Autors. Granturismo erzählt vom Entstehen und Scheitern eines Reiseromans. Wir begleiten den Protagonisten auf den skurrilsten Passagen seiner Fahrt, werden Zeugen überraschender Begegnungen und folgenschwerer Irrtümer. Ob mit todesverachtenden Liebespaaren, Seelenverkäufern mit angeknackstem Selbstbewusstsein oder längst verstorbenen Personen konfrontiert, sobald sich der Reisende gezwungen sieht, eine Atempause einzulegen, wendet sich sein Erfinder der eigenen Umgebung zu und avanciert auf diese Weise zum Helden einer ganz anderen, seiner "eigenen" Geschichte, die immer lebendigere Ausmaße annimmt.

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°luftschacht

Hanno Millesi

Granturismo

Roman

© Luftschacht Verlag – Wien 2012Alle Rechte vorbehalten

www.luftschacht.com

Umschlaggestaltung: Stefan Buchberger, unter Verwendung einerFotografie von W.E. Garrett / National Geographic StockSatz: Florian Anrather

Die im Abschnitt Aus der geflüsterten Welt zitierten Gedichte stammen von Theodor Kramer; die ausführlicher zitierten Songtexte stammen von Sonic Youth (Disappearer) und Aerosmith (I Don’t Want to Miss a Thing).

Dank an: Marianne Schreck und an die Kulturabteilung der Stadt Wien, von der die Arbeit an diesem Text mit dem Elias-Canetti-Stipendium 2011 und 2012 unterstützt wurde.

ISBN: 978-3-902844-11-8eISBN: 978-3-902844-09-5

Und wenn nun einer keine Ahnung hat, was unter einer abschließenden Geste zu verstehen ist, was zuallerletzt getan werden könnte, wenn einer nicht weiß, wie was am besten oder was am besten wie zurückbleibt, wendet der sich an ein fadenscheiniges Prinzip wie das einer Ordnung, ordnet der etwas, möchte er, dass ein aufgeräumtes Profil, ein sorgfältiger Fingerabdruck den Abschluss bildet, eine Ordnung unter den Rechnungsbelegen, den Küchengewürzen oder eine Ordnung unter seinen Büchern, etwa indem er sie in eine alphabetische Reihenfolge bringt, und wenn die bereits alphabetisch geordnet dastehen, sämtliche Bücher und CDs, die sich mit der Zeit angesammelt haben, überlegt er dann, ob eher der Name des Interpreten oder der Titel des Albums den Ausschlag gibt, obwohl da nicht lange nachgedacht werden muss, wohingegen sich The als Teil eines Namens lesen ließe und Very und Golden oder Violent, öffnet dann jemand, der nicht die geringste Idee davon hat, was er hinterlassen soll, den Kleiderschrank und sortiert seine Hemden in einen Stapel mit lauter weißen, einen mit gestreiften und einen karierten, trennt er bedruckte T-Shirts von solchen ohne Aufschrift, schlichtet er Pullover entsprechend einer Skala von helleren zu dunkleren Farbtönen, legt er einen Mottenstreifen neben die Kleidungsstücke, oder hält es jemand, dem zum Schluss nichts Rechtes einfallen will, für notwendig, die ausstehenden Fernsehgebühren zu bezahlen, das Mobiltelefon abzumelden, eine Pauschale für anfallende Reparaturen zu hinterlegen, zahlt er die Miete im Voraus, beendet er seine Mitgliedschaft in einer Spielegemeinschaft, im Autofahrerclub und im Turnverein, kündigt er sämtliche Abonnements, denkt jemand wie er daran, die mit Strom betriebenen Geräte auszustecken, die Kalender abzuhängen, Glühbirnen und Batterien auszuwechseln, sollte sich einer, der keinerlei Ahnung hat, was unter einer abschließenden Geste zu verstehen ist, etwa die Nägel schneiden, das Gas abdrehen, die Leiter zurückbringen, die er sich ausgeborgt hat, wird er die gespeicherten Nachrichten und die Ansage auf seinem Anrufbeantworter löschen, das Telefonverzeichnis auflösen, die paar Nummern, die er auswendig weiß, aus seinem Gedächtnis streichen, zieht er auf dem Computerbildschirm alle Dokumente, die nur für seine Augen vorgesehen sind, in den Papierkorb, verfährt er mit sämtlichen Bilddateien und gespeicherten E-Mails auf die gleiche Weise, möchte er Missverständnissen aus dem Weg gehen, nichts mehr riskieren, wäscht er in der Küche das Geschirr ab, das er eben noch verwendet hat, stellt er alles dorthin, wo es hingehört, entsorgt er verderbliche Lebensmittel, leert er angebrochene Flaschen aus, trennt Glas, Dosen, Müll, nimmt einer, der nicht weiß, wie ein würdevoller Schluss aussieht, alle Fotografien von den Wänden, legt seinen Gürtel ab, sortiert die Geldscheine in seiner Brieftasche dem Wert nach, sodass außen die größeren aufscheinen, der Wert nach innen zu jedoch abnimmt, zählt er die Nägel, die sich in der Werkzeuglade befinden und sich in die Wand einschlagen ließen, ordnet er Andenken und Leistungsnachweise ihrer Größe nach oder versammelt er alles, was mit Kleben zu tun hat, an einer Stelle, näht fehlende Knöpfe an, näht auch die übrigen, losen Knöpfe an, obwohl die nirgendwo fehlen, oder putzt er, der bislang noch kein Ende vor Augen gehabt hat, seine Schuhe, setzt sich an den Schreibtisch und vernichtet Entwürfe niemals abgeschickter Briefe und stopft – was er noch nie zuvor getan hat –, stopft Löcher in Socken und Kniestrümpfen, wäscht die Bettwäsche und die Handtücher, wäscht im Anschluss daran, was er am Leib trägt, bügelt etwas oder öffnet den Badezimmerschrank und holt zuletzt alle angefangenen Tuben und Fläschchen, die offenen Päckchen mit Watte und Ohrenstäbchen heraus, steckt eine unberührte Rolle Klopapier auf die dafür vorgesehene Halterung, entfernt er, der nicht weiß, was zum Schluss angebracht ist, jegliche Spur seiner morgendlichen Toilette, spült Badewanne und Waschmuschel aus, wischt die Fußabdrücke vom Kachelboden, schmeißt eine Zeitschrift, in der er gestern gelesen hat, ebenso weg wie – in dünne Streifen geschnitten – jenen Pyjama, den er morgens noch anhatte, entdeckt er Haare am Badewannenrand und sammelt sie ein, indem er seinen Zeigefinger mit der Zunge befeuchtet, ehe ihn das Bedürfnis überkommt, seine Hand mit irgendetwas Farblosem (Eau de Toilette, Haargel) einzureiben und eine Spur auf der gekachelten Wand zu hinterlassen, zur Erinnerung an die eigene Identität, wie prähistorische Malerei, wie ein digitaler Abdruck auf dem Boulevard der Sieger und Siegerinnen, oder nimmt jemand, der keine Idee davon hat, was unter einer abschließenden Handlung zu verstehen ist, von einem solchen Einfall wieder Abstand, steigt stattdessen auf die Waage und notiert sein aktuelles Gewicht, oder begnügt er sich am Ende damit, irgendwo seine Körpergröße festzuhalten, und könnte es nicht ebenso gut sein, dass er sich das Gesicht gründlich wäscht, die Zähne putzt, sogar Zahnseide verwendet und – sofern keine neue Flasche geöffnet werden muss – mit Mundwasser ausspült, um danach den Staubsaugersack zu wechseln, bürstet er den Mantel, der im Vorzimmer hängt, beult er alle Kopfbedeckungen aus und trägt den Mist hinunter? Unten angekommen, entnimmt er dem Briefkasten die Post und wirft sie, so viel steht fest, unbesehen zum Altpapier.

Möchten Sie ein Glas Wasser, will jemand wissen, der sich offenbar hinter dem Angestellten befindet, und es ist weniger die Frage, die diesen überrascht, als vielmehr, dass ihm beim Betreten des Büros außer dem Vorgesetzten niemand aufgefallen ist. Für ein Umdrehen ist es mittlerweile zu spät, er hat schon Platz genommen, und ein nachträgliches Umdrehen würde bedeuten, ihm unterlaufe die erste Unaufmerksamkeit zuweilen bereits, ehe eine Unterhaltung Gelegenheit hat, in die Gänge zu kommen. Besser gar nicht erst reagieren, denkt der Angestellte, möglicherweise eine mit einem Termin in einem Büro wie diesem untrennbar verbundene Floskel. Wer darauf hereinfällt, gibt sich als unerfahren zu erkennen, als Freiwild, mit dem ein Vorgesetzter während des folgenden Gesprächs leichtes Spiel haben wird. Wahrscheinlich befindet sich ein Knopf an der Unterkante seines Schreibtischs, auf den gedrückt die Frage nach einem Glas Wasser ausgesprochen wird. Vielleicht vom Mund einer der Figuren auf dem Gemälde, an dem sein Blick beim Hereinkommen vorbei hatte müssen. Auf diese Weise soll an ein Prinzip der Fürsorge erinnert werden, das in einem abgelegenen Seitenflügel der breit gefächerten Aura des Vorgesetzten dahinvegetiert; unabhängig davon, dass dieses Prinzip auf eine Schwachheit abzielt. Auf den riesigen Fensterscheiben hinter dem Schreibtisch kleben die Silhouetten von Greifvögeln. Lässt sie ein bestimmtes Zeichen auf die zur Beute erklärte Person herabstürzen? Kreisen sie bereits über jenem Kadaver, der man sein wird, sobald der Vorgesetzte die Unterhaltung für beendet erklärt?

Statt etwas zu erwidern richtet der Angestellte seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Vorgesetzten und stellt fest, dass dieser aus zwei riesigen Augen besteht. In und auf den Gängen, Stiegenhäusern und gelegentlichen Feierlichkeiten des Unternehmens sind ihm diese Augen zwar schon begegnet, er fühlte sich bisweilen von ihnen abgezählt, abgetan, abgehakt, aber in diesem Büro, auf einen Sessel gesetzt, der aller Wahrscheinlichkeit nach in einem für den Vorgesetzten vorteilhaften Blickwinkel ausgerichtet ist, erwecken diese Sinnesorgane den Anschein, der ganze Mann setze sich aus nichts anderem zusammen. Dabei hatte sich der Angestellte vorgenommen, den Sessel vor dem Platznehmen ein wenig zur Seite zu rücken. Auf dem Gemälde sei, hätte er auf eine diesbezügliche Frage geantwortet, ein elegant gekleideter Mann zu sehen gewesen, der seinen Kopf in den trichterförmigen Lautsprecher eines Grammophons hält.

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