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Eberhard Rondholz

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Beschreibung

Griechenlands Image hat im letzten Jahr arg gelitten, seit das Land knapp am Staatsbankrott vorbeigeschlittert ist. Nun wird in Deutschland nur noch über Misswirtschaft und Korruption geredet, wie ehedem von der weiß-blauen Inselherrlichkeit geschwärmt worden war. Zerrbilder das eine wie das andere. Das weiß niemand besser als Eberhard Rondholz, der seit Jahrzehnten über die Vorzüge und die Schattenseiten Griechenlands berichtet. In diesem Buch schreibt er vom Moloch Athen und seinen liebenswerten Seiten, vom Alltag der Neugriechen und ihrem gebrochenen Verhältnis zu den antiken Vorfahren, vom Dauerkonflikt mit der Türkei und dem Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten, von der Lust der Griechen am Streiken und schließlich von ihrer Gabe, selbst in Zeiten der größten wirtschaftlichen Krise die Kultur der Gastfreundschaft zu pflegen. Ein differenziertes Länderporträt, das sich wohltuend von den allseits gepflegten Klischees abhebt.

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Seitenzahl: 279

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Eberhard Rondholz

Griechenland

Ein Länderporträt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2012 (entspricht der 1. Druck-Auflage von 2011) © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected] Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von einem Fischer im venezianischen Hafen von Náoussa auf der Insel Páros (Schapowalow / Huber) Lektorat: Günther Wessel, Berlin

Inhalt

Einleitung

Griechen und Deutsche

Vom Unglück, ein Grieche zu sein

Von Fallmerayer bis Focus – das (manchmal etwas schiefe) Griechenlandbild der Deutschen

Geschichte im Alltag

Münzen, Statuen und Straßen – alles voller Helden

Panzerkorso und Paraden – Geschichte im Gedenktag

Die Straßen der Philhellenen – von Béranger bis Byron

Politische Kontroversen

Die Blauen, die Grünen und die Roten – Parteien und Dynastien

Griechen gegen Griechen –Exkurs über den Bürgerkrieg

Die Lust am Staatsstreich – Militär und Politik in Griechenland

Die große Krise – und nun die große Katharsis?

Der Grieche und das Meer – eine Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten

Olympisches Feuer – Waldbrand, Müll und andere Umweltprobleme

Krach mit den Nachbarn

Macht und Medien – wem die griechische Presse gehört

Ein Griechenland christlicher Griechen?

Der lange Weg zur Säkularisierung

Arvaniten, Vlachen und Pomaken – Griechenland und seine Minderheiten

500 000 Migranten – was tun? Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland

Zwischen Taverne, Theater und Stadion

Griechische Geselligkeit – Taverne, Ouzerí und Kafeníon

Wenn die Griechen Feste feiern – von Ostern bis Mariä Himmelfahrt

Es muss nicht immer Retsína sein – die neue griechische Weinkultur

150 Millionen Olivenbäume und jungfräuliches Öl

Es gibt nicht nur Bouzoúki und Sirtáki – von der Vielfalt der griechischen Volksmusik

Aus Roïdis wurde Jarry – die unbekannte neugriechische Literatur

Vom Provinzkino zur Goldenen Palme – ein wenig griechische Filmgeschichte

Von Klassik bis Karaghiózis – griechische Theaterlandschaft

Liebling Rehakles – Geschichten vom griechischen Fußball

Zwei Städte

Moloch Hauptstadt – die hässliche und die liebenswerte Metropole Athen

Rund um den Weißen Turm – das griechische und das andere Thessaloníki

Sprachprivatissima

Der Sprachenstreit – von der »Reinsprache« zur Volkssprache

Vom Nutzen der Rechtschreibschwäche der Steinmetzen

Gastwörter im Neugriechischen

Der Türke im Griechen

Anhang

Zeittafel ab 1821

Zur Transkription und Aussprache griechischer Namen und Begriffe

Einige Leseempfehlungen

Basisdaten

Einleitung

Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Griechenlandbild des Durchschnittsdeutschen geprägt durch den Sirtáki tanzenden Urtyp Aléxis Sorbás und durch jene Hafenhure, die es im Kino Sonntags nie trieb – Melína Merkoúri wurde mit dem Film weltbekannt. Imagebildend kam der Pauschal-Urlaub auf einer der vielen griechischen Trauminseln hinzu. Bei Retsína und Souvláki konnte man in der Taverne am Meer die griechische Gastlichkeit genießen.

Mich hatte jemand anders nach Griechenland gelockt, ich war gerade mal 17 Jahre alt. Werner Helwig hieß der, und er hatte 1936 ein Buch über die wilden Dynamitfischer am Pílion geschrieben, das immer noch viel gelesene Buch heißt »Raubfischer in Hellas«. Es erzählte die Lebensgeschichte eines frühen Aussteigers aus Österreich, der die Pilioniten vergeblich zu einer schonenden Form des Fischfangs zu bekehren versuchte, und schließlich einer der ihren wurde.

Das Griechenland, das wir damals, in den späten 1950ern, kennenlernten, war faszinierend. Jede Trampfahrt dorthin war ein Stück Zivilisationsflucht. In vielen Dörfern gab es noch kein elektrisches Licht, in der Taverne am Meer musste eine (vom befreundeten LKW-Fahrer immer wieder aufgeladene) Autobatterie dem Plattenspieler für die Bouzoúki-Musik Strom geben. Das Leben war einfach, wir lernten, dass man mit einer Handvoll Oliven, Wein und Brot, ein wenig Fetakäse und ein paar Tomaten auskommen konnte, wie gut eine weiße Bohnensuppe, das griechische Nationalgericht fassouláda, schmecken kann, oder die gegrillten marídes, die kleinen Sardellen. Fleisch gab es nur an Festtagen. Und wir trafen auf die griechische Gastfreundschaft, die überwältigend war. So etwas kannten wir von zuhause nicht – dass man von wildfremden Menschen nicht nur zum Essen sondern auch zum Übernachten ins Haus eingeladen wurde. Dass wir Deutsche waren, änderte an dieser Gastfreundschaft nichts. Filoxenía heißt sie, o xénios zevs heißt der Gott der Gastfreundschaft, se filoxenó, sagt der Grieche, wenn er dir Gastrecht gewährt. Hätten wir gewusst, was Deutsche noch wenig mehr als ein Jahrzehnt zuvor in Griechenland angerichtet hatten, wir hätten uns richtig geschämt. Aber unsere Väter hatten uns nichts gesagt von all dem. Und wenn wir beim Trampen mit einem der damals noch raren LKWs beim Überqueren eines Flusses eine Furt benutzten statt einer Brücke, hatten wir keine Ahnung, wer diese Brücke zerstört hatte. Dass die Griechen uns, die jungen Gäste, nicht mit dieser deutschen Schuld konfrontierten, nötigt mir noch heute eine Menge Respekt ab. Es ist diese Bereitschaft zu verzeihen, die die Griechen immer noch auszeichnet. Dass das nicht in jedem Fall vergessen heißt, das werden wir später noch sehen.

Das Griechenland, das ich heute nach wie vor gern besuche, hat mit dem der 1950er Jahre nur noch wenig Ähnlichkeit. Nicht nur ist alles teurer geworden, auch die Gastlichkeit ist heute ein Geschäft. Wie könnte es anders sein, Tourismus ist in Griechenland schließlich der Ersatz für die fehlende Schwerindustrie. Doch hat auch die kommerzialisierte Gastlichkeit etwas von ihrer Herzlichkeit und Wärme behalten. Und für das Gefühl, zu Gast zu sein, sorgen die Griechen, mit denen man ausgeht, als freigebige Gastgeber immer aufs Neue.

Die Globalisierung hat auch Griechenland nicht verschont, ganze Gewerbezweige sind am Verschwinden, kleine und große Betriebe haben zugemacht. Und wenn ich auf der Insel Skópelos im Gemischtwarenlanden, der heute, sei er auch noch so klein, supermarket heißt statt bakáliko, Zitronen aus Argentinien in der Auslage vorfinde, Knoblauch aus China oder tiefgefrorenen Fisch vom Viktoriasee, muss ich schon mal den Kopf schütteln. Mit Kopfschütteln haben viele Griechen, aber auch Deutsche, Anfang 2010 reagiert, als die Presse, von Bild bis Focus, eine Kampagne gegen Griechenland begann, die Fakten entstellte und jedes Maß einer sachlichen Kritik vergaß. Ein Sündenbock wurde gesucht für eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die viele Verantwortliche hatte. Da wurden Griechen zu »Betrügern in der Eurofamilie«, als wären sie die Einzigen gewesen, die Bilanzen frisiert und über ihre Verhältnisse gelebt hatten. Alte Vorurteile kamen hoch, das andere, sehr alte deutsche Griechenlandbild, geprägt von den enttäuschten Philhellenen des 19. Jahrhunderts. Und die Griechen förderten nun ihrerseits längst vergessen Geglaubtes zutage, wie die verdrängte Schuld der deutschen Okkupation. Natürlich weiß der informierte Zeitgenosse auch um die Schattenseiten an den »Küsten des Lichts« (Peter Bamm): dass Griechenland ein Schmiergeldbiotop besonderer Art ist und der Siemensskandal nur einer von vielen, dass die politische Klasse Griechenlands sich schlimme Dinge geleistet hat, eine Art kreativer Buchführung bei der Darstellung des Bruttoinlandsprodukts, die weit über das hinaus ging, was auch die anderen EU-Länder sich angewöhnt hatten, dass sie Schulden gemacht und sich bereichert hat über das EU-übliche Maß hinaus. Aber was wissen wir wirklich von unserem EU-Nachbarn im Südosten, von Geschichte, Politik und Kultur der Neugriechen, ihrem gebrochenen Verhältnis zu den antiken Vorfahren, ihren Leiden unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg? Von ihrem Dauerkonflikt mit dem Nachbarn im Osten, der sie zu einem der weltweit wichtigsten Kunden des Rüstungsexporteuropameisters Deutschland machte? Vom Ansturm der Migranten und wie die Griechen mit ihnen umgehen? Von ihrem Talent, sich auch in Zeiten der größten wirtschaftlichen Krise durchzuwurschteln und dabei die Lebensfreude nicht zu verlieren? Wie lebt man mit der Last, immer wieder gemessen zu werden an dem Erbe der Antike, von dem die Griechen von heute 1000 Jahre Byzanz und 400 Jahre Türkenherrschaft trennen?

Sie fluchen im Kafeníon auf ihre Politiker, die den Staat als Beute betrachten und sich vor aller Augen mästen, am Ende dann aber doch wiedergewählt werden, weil sie auch allerlei Gefälligkeiten zu verteilen haben. Kurz: Man arrangiert sich und tut sich nicht weh, knirscht höchstens mal mit den Zähnen. Es war schließlich schon immer so, Liberale und Konservative wechseln sich ab an der Macht wie in den USA Demokraten und Republikaner, und wirklich etwas ändern wollen nur die Kommunisten, aber die kommen über die Zehn-Prozent-Marke selten hinaus (immerhin). Ökologen haben bei den Wahlen keine Chance, und mit der Umwelt geht der Grieche ruppig um. Aber für die Touristen bleibt immer noch genug Landschaft übrig, die man vermarkten kann, und die EU-Strafen für illegale Mülldeponien und andere Umweltsünden zahlt Athen aus der Portokasse. Im Handeln ist der Grieche Weltmeister, als großzügiger Gastgeber aber auch, das hat schon so mancher beim abendlichen Gelage in der Taverne erfahren. Oder bei einer durchzechten Nacht in einem der sündhaft teuren Rebétiko-Lokale, wo man sich als Mitteleuropäer fragt: Wie bezahlt der Grieche das bloß? Auf diese und andere Fragen wollen wir auf den folgenden Seiten Antworten versuchen. Eine chronologische Darstellung der neugriechischen Geschichte enthält dieses Buch nicht, lediglich eine tabellarische Zeittafel, von 1821 bis 2010. Erzählt wird stattdessen von historischen Ereignissen und Gestalten, die den Griechen besonders wichtig sind und die das Bewusstsein der Griechen von heute prägen.

Griechen und Deutsche

Vom Unglück, ein Grieche zu sein

»Ich bin ein unglücklicher Grieche!« erzählt seit 35 Jahren der Schriftsteller Níkos Dímou jedem und er verdient nicht schlecht daran. In die 30. Auflage geht seine erstmals 1975 erschienene Aphorismensammlung Das Unglück ein Grieche zu sein. Inwieweit es ihm gelungen ist, seine Landsleute von eben diesem Unglück zu überzeugen, ist nicht überliefert. Er selber ist ein unglücklicher Grieche (und war es schon vor dem Beinahe-Staatsbankrott seines Heimatlandes) und berichtete dem Athener Korrespondenten Gerd Höhler, warum:

»Ich war immer ein unglücklicher Grieche. Wenn wir das Glück definieren als den Abstand zwischen dem, was wir wünschen und dem, was ist, dann war dieser Abstand für die Griechen immer sehr groß. Denn sie wollen alles. So ist ihr Charakter, das ist ihre Überschwänglichkeit, ihr Temperament. Aber ihnen wird wenig gegeben Und sie sind unglücklich, weil sie ein Identitätsproblem haben. Sie wissen nicht wirklich, wer sie sind. Sie sagen, sie seien Europäer, aber sie fühlen sich nicht als Europäer. Sie sagen, dass sie Nachkommen der alten Griechen sind, die Kinder des Aristoteles und des Platon. Aber zugleich ist das etwas, das sie bedrückt. Man fühlt sich wie der Sprössling eines Nobelpreisträgers, der in der Schule keine guten Noten hat. Die Deutschen sind daran nicht unschuldig, wenn man bedenkt, wie Winckelmann&Co. die griechische Antike quasi neu erfunden und zu einem Idealbild der Vollkommenheit verklärt haben. Das ist eine schwere Bürde. Ich glaube, kein Volk könnte einem solchen Anspruch gerecht werden.«

Für den erfolgreichen Krimiautor Pétros Márkaris – den im deutschen Sprachraum meistgelesenen griechischen Schriftsteller unserer Tage, ist ein zu plötzlicher Reichtum die Ursache des griechischen Unglücks. Der Berliner Zeitung sagte er:

»Griechenland war bis Ende der 70er Jahre ein sehr armes, aber auch ein sehr anständiges Land. Die Griechen hatten eine Kultur der Armut. Sie haben es trotz ihrer Armut immer verstanden, gut zu leben. Ich meine das nicht im materiellen Sinne. Alle großen intellektuellen und künstlerischen Leistungen des modernen Griechenland fallen in diese Zeit: die Nobelpreise für Elýtis und Seféris; Theodorákis mit seiner Musik; Rítsos, der begnadete Dichter; Károlos Koun, der großartige Regisseur – das ist die Kultur der Armut. Dann kam der EU-Beitritt 1981, und das Geld begann zu fließen. Milliarden kamen jedes Jahr aus Brüssel. Plötzlich waren die Griechen reich. Aber was hat dieser Reichtum kulturell produziert? Gar nichts! Denn den Griechen fehlt es an einer Kultur des Reichtums. Die Griechen konnten mit dem Geld, das sie plötzlich hatten, nicht umgehen, weil sie immer arm waren. Sie hatten kein Gefühl für den Wert des Geldes. Sie dachten, man kann damit machen, was man will. Die Bauern haben die EU-Subventionen nicht in ihre Höfe investiert, sondern damit dicke Geländewagen gekauft und Villen gebaut. Von der politischen Klasse wurden sie dazu auch noch verführt, und alle haben mitgemacht.«

Wir wollen dem Schriftsteller Márkaris nicht grundsätzlich widersprechen. Aber von einem Zurück zu den Jahren der Armut werden die meisten Griechen nichts hören wollen, waren es doch für viele, das kann ich aus eigener Anschauung bestätigen, Zeiten des bitteren Elends, in denen Familienväter, die die Ihren nicht mehr ernähren konnten, zu hunderttausenden auf der Suche nach Arbeit das Land verließen. Und von einer Kultur der Armut kann unbefangen nur reden, wer sie nicht kennengelernt hat, weil er immer ein ordentliches Auskommen hatte. Die Mehrheit der Griechen interessiert das Problem der Sprit fressenden Geländewagen herzlich wenig: Sie werden sich so einen nie im Leben leisten können. Sie sehen zu, wie sie mit ihrem kargen Salär über die Runden kommen.

Es stimmt aber auch: Es gibt diese Euro-Profiteure mit der Villa und dem Geländewagen, die korrupten Politiker mit Konten in Liechtenstein und auch die Steuerflüchtlinge. Lebenskünstler waren auch die übrigen Griechen immer, arm oder nicht, der Gang in die Taverne gehörte für sie einfach dazu. Aber es dürfte die meisten von ihnen nur am Rande interessieren, was gut verdienende Intellektuelle sich voller Selbstmitleid für Gedanken machen über die Last des antiken Erbes. Vielleicht empfindet es ja mancher als eine schwere Bürde, gemessen zu werden an einem Idealbild, das ein Winckelmann im 19. Jahrhundert in seiner edlen Einfalt von der Antike gezeichnet hat, und das bekanntlich denkbar fern der Wirklichkeit war. Aber dem Durchschnittsgriechen dürfte es ziemlich egal sein, was die deutschen Philhellenen von den alten Griechen erzählten, nicht hingegen, was im Jahr 2010 in Bild und Focus über ihn zu lesen stand. Und das war ziemlich unfair, meint auch Níkos Dímou, der seinen Mitgriechen sonst gern die Leviten liest.

Im Übrigen haben sich viele Griechen, wenn überhaupt an einem der großen Vorfahren, eher am listenreichen Odysseus ein Vorbild genommen, nicht an Aristoteles, bestimmt jedenfalls der Großreeder Onássis, auch wenn seine Eltern ihm den Namen des großen Philosophen aufgebürdet haben. Auch hält sich die Leidenschaft der Neugriechen für die Sprache ihrer Vorfahren in Grenzen, selbst von dem großen Dichter Jánnis Rítsos, in dessen Werk die Aneignung des antiken Erbes eine zentrale Rolle spielt, ist bekannt, wie lästig ihm der Unterricht in Altgriechisch war. Er freute sich jedes Mal, wenn dieses Fach in der Schule ausfiel.

Was aber den Nobelpreis als Lohn der Armut angeht, so irrt Pétros Márkaris. Jedenfalls gehörten die beiden griechischen Literaturnobelpreisträger, Seféris und Elýtis, nicht gerade zum Proletariat. Jórgos Seféris war ein Leben lang wohlbestallter Diplomat, zuletzt königlicher Botschafter in London, hat an der Sorbonne studiert und konnte sich ausgedehnte Reisen leisten; Odysséas Elýtis entstammte der reichen Seifenfabrikantenfamilie Alepoudélis, auch er hatte viel Zeit für Müßiggang, Armut kannte er nicht, und das Land seiner literarischen Sozialisation war Frankreich. Der Vater von Jánnis Rítsos war reicher Großgrundbesitzer, dass er seinen Besitz im Kasino verspielte, zwang zwar seinen Sohn Jánnis, vor seinen großen literarischen Erfolgen, als Tänzer und Lektor sein Geld zu verdienen, doch hatte er die Sozialisation eines verwöhnten Kindes hinter sich. Der Vater des großen Regisseurs Károlos Koun war ein schwerreicher Kaufmann aus Smyrna, und Míkis Theodorákis schließlich hat früh von den Tantiemen seiner Erfolgskompositionen leben können. Und der Erfolgsschriftsteller Márkaris, der übrigens nicht nur Krimis schreibt, sondern auch renommierter Goetheund Brechtübersetzer ist, der Kosmopolit mit der griechischen Mutter, dem armenischen Vater und dem Abitur vom österreichischen Realgymnasium in Istanbul? Er sagt von sich selber: »Ich habe eine deutsche und keine griechische Kultur – zu 90 Prozent.« Ist deshalb sein Blick aufs Griechische nicht ein wenig der deutsche?

Vieles von dem, was man über die griechischen Saus-und-Braus-Lebeleute in deutschen Zeitungen lesen konnte, war frei erfunden oder aufgebauscht. Die griechischen »Luxusrentner« leben von einer Eckrente von 780 Euro, bei den Kleinbauern sind es gerade mal 440 Euro. Ja, da gab es die viel zitierten Parlamentsboten mit dem 16. Monatsgehalt, da gab es viele griechische Beamte, die so früh in Rente gingen wie manch ein deutscher Berufsoffizier, dass es zuviele Beamte gab, stimmt ja alles, aber unterm Strich hat Griechenland insgesamt nicht mehr vom Bruttoinlandsprodukt für Renten ausgegeben als Deutschland, nämlich ca. 13 Prozent.

Was stimmt: Die Kreativität griechischer Statistiker bei der Zahlungsbilanzkosmetik übertraf das in anderen Ländern der Eurozone Übliche beträchtlich. Was nicht stimmt: Dass man davon in Brüssel nichts geahnt habe. Kein geringerer als Jean-Claude Juncker, Ministerpräsident von Luxemburg, hat im November 2010 bei einer Pressekonferenz am Rande eines Treffens des Weltwährungsfonds ausgeplaudert, dass die Zahlungsprobleme Griechenlands seit vielen Jahren bekannt waren, dass er mit Rücksicht auf die guten Griechenlandgeschäfte der Deutschen und der Franzosen aber zum Schweigen verurteilt war.

Von Fallmerayer bis Focus – das (manchmal etwas schiefe) Griechenlandbild der Deutschen

Als sich im Jahr 1821 die Nachricht vom Aufstand der Griechen gegen die Osmanen in Europa verbreitete, gab es eine Welle des Mitleids und der Solidarität. Man sah in Griechenland Freiheitskämpfer am Werk, die es zu unterstützen galt, doch es folgte bald die Ernüchterung. Allzu wenig glichen die kämpfenden Neugriechen jenem Bild vom klassischen Hellenen, das man sich vorgestellt hatte. Kein Alkibiades weit und breit, und griechisch sprachen die Aufständischen in vielen Fällen auch nicht, das klassische, wie es auf dem humanistischen Gymnasium gelehrt wurde, schon gar nicht. Viele der militärischen Führer des Freiheitskampfes waren albanischer Herkunft, wie die noch heute als Helden verehrten Strategen Márkos Bótzaris, Anastássios Kriekoúkis und Geórgios Karaïskákis sowie die Heldin Laskarína Bouboulína. Was sie zusammen mit den Griechen gegen die Osmanen in den Kampf ziehen ließ war das gemeinsame Glaubensbekenntnis, das orthodoxe Christentum. So blieb bei vielen von denen, die damals nach Griechenland fuhren, um den Freiheitskämpfern zu Hilfe zu eilen, die Enttäuschung nicht aus. Der deutsche Gräzist Wilhelm Wagner brachte das im Jahr 1878 so auf den Begriff:

»Schwer haben es die heutigen Griechen seit der Errichtung eines selbständigen griechischen Staates büßen müssen, dass die ihnen seit dem zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zugewandten und in ihrem Freiheitskampf bestätigten Sympathien Europas zum Theil auf einem Irrtum beruhten. Man schwärmte für die Griechen und stand ihnen gegen die Türken bei nicht aus allgemeiner Humanität, aus Mitgefühl für die Geknechteten und Unterdrückten, sondern doch hauptsächlich deshalb, weil man sie für die echten Nachkommen der alten Hellenen hielt – man wähnte, man müsse den Enkeln die Schuld abzahlen, derer die europäische Cultur den Ahnen gegenüber sich bewusst war. Es war ein Wahn, auf welchen der Rückschlag nicht ausbleiben konnte. Die ins Land geeilten Philhellenen wurden bald durch die nackte Wirklichkeit von ihren unklaren Schwärmereien geheilt und kehrten meist gründlich ernüchtert, oft mit Ingrimm und Haß gegen diese Griechen erfüllt, in die Heimath zurück.«

Dort lasen sie gern, was der Philologe und Publizist Jacob Philipp Fallmerayer aus Südtirol über die Neugriechen festgestellt hatte, dass nämlich bedeutende Teile der Bevölkerung im befreiten Griechenland albanische Dialekte sprachen, dass andererseits viele Ortsnamen, z. B. in der Peloponnes, slawischen Ursprungs waren, was sich aus einer zeitweiligen Besiedlung aus dem serbischen Norden der Balkanhalbinsel erklärte. Fallmerayer resümierte und provozierte: »Das Geschlecht der Hellenen ist in Europa ausgerottet, denn auch nicht ein Tropfen edlen und ungemischten Hellenenblutes fließt in den Adern der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlands.«

Bei den gebildeten Griechen lösten die Thesen Fallmerayers heftigen Widerspruch aus, wobei sich ein Teil von ihnen auf das biologistische Argument einließ und versuchte, seine Behauptungen zu widerlegen. Andere, und das war sicher der richtigere Weg, argumentierten mit einem von der Aufklärung geprägten, geistig-kulturellen Begriff von Volk und Nation: Grieche ist, wer griechisch spricht und das griechische Kulturerbe als das seine betrachtet. Der deutsche Philologe Curt Wasmuth kam ihnen zu Hilfe. Er antwortete 1864 Fallmerayer:

»Schließlich aber ist ja fürwahr die Nationalität eines Volkes nimmer in absoluter Unversetztheit mit fremden Bestandtheilen beschlossen. Oder wären wir deswegen keine Deutsche mehr, weil wir ein gut Theil slavisches und wendisches Blut in uns aufgenommen haben? Das Wesen und die Eigenständigkeit einer Nation liegt, meine ich, ganz ungleich mehr in seiner Sprache, seinem Denken und Empfinden, seiner ganzen Art und Gesittung. Eine mit Händen zu greifende Ahnenprobe giebt vor allem die Sprache, der auch in erster Reihe die Griechen die Erhaltung ihrer Eigenart in den langen Jahrhunderten der Fremdherrschaft zu verdanken haben.«

Bis heute kennen die meisten Griechen Fallmerayer nur aus zweiter Hand. Und so ist den Griechen auch entgangen, dass es Fallmerayer nicht in erster Linie um die rassische Abwertung des Neugriechentums ging. Ihm ging es vielmehr um die Abgrenzung des katholisch geprägten Abendlandes vom in seinen Augen byzantinisch-orthodox geprägten Ost- und Südosteuropa insgesamt, nicht so sehr um Griechenland als um Moskau: die Gefahr aus dem Osten, wie er sie sah. Dort, in Russland, erblickte er den Abgrund alles Bösen und Schlechten, eine »Versumpfung und Verthierung des menschlichen Geschlechts«. In Deutschland liest man Fallmerayer heute schon lange nicht mehr. Aber dass sein Griechenbild nach seinem Tod 1861 nicht in Vergessenheit geriet, dafür haben einige Wissenschaftler und eine Menge Publizisten gesorgt.

Es gab immer auch den anderen, den von antikisierenden Illusionen unverstellten Blick auf das wiederentdeckte Griechenland. Der Byzantinist Karl Krumbacher mit seinem 1885 erschienenen Buch Griechische Reise ist nur ein Beispiel und bietet eine noch heute außerordentlich spannende Lektüre. Eingelassen auf die neuen Griechen haben sich auch Leute wie der Ausgräber Heinrich Schliemann, der sich in Athen niederließ, eine Griechin heiratete und ein Haus bauen ließ von einem, der es ihm gleichtat, in Athen heiratete und mehr als 500 neoklassische Bauten errichtete. Von diesem begnadeten Architekten namens Ernst Ziller aus Radebeul bei Dresden wird noch die Rede sein. Er und eine Reihe anderer Baumeister aus Deutschland und Dänemark gaben der jungen Hauptstadt ein schönes Gesicht, das sie heute leider verloren hat.

Zu denen, die für ein schiefes Griechenlandbild in Deutschland gesorgt haben, gehört der Theaterdichter Gerhart Hauptmann. Auf dem Weg vom Naturalismus zur Mythologie wollte er sich 1907 in Griechenland für einen Dramenzyklus in Anlehnung an die antiken Tragödien des Euripides inspirieren lassen und seine Atriden-Tetralogie vorbereiten. Den Verlauf seiner Reise nach Hellas hat er in dem, jahrzehntelang immer wieder neu aufgelegten, Buch Griechischer Frühling dargestellt. Ein zeitloses Buch insofern, als es zwar eine Menge über Landschaft, Klima und klassische Trümmer mitteilt, dafür aber die heutigen Bewohner des Landes mit Missachtung straft. Die Einwohner tauchen, wenn überhaupt, in Gestalt schwärzlicher, verdreckter Bettler auf, die Kinder erbärmlich schmutzig und von verkommenem Aussehen, die Frauen fast durchgängig brünett, nur ausnahmsweise auch als blonde, blauäugige Nordmenschen von zart weißer Haut, die an die Heimat erinnern. Nur ein einziger Landesbewohner kommt in diesem Band mit Namen vor, er heißt Adamántios Adamantíu, ist Ephor der Denkmäler des Mittelalters in Mistra, 30 Jahre alt, und weil Hauptmann den Namen wohl irgendwie komisch findet, nennt er ihn, als Kuriosum, dann gleich siebenmal. In Athen angekommen, interessiert sich der Autor nur für eines: die klassischen Ruinen. Die Akrópolis will er in weihevoller Ruhe auf sich wirken lassen, ebenso die Überreste des Diónysos-Theaters. Die Athener erfährt er nur als laut und störend. Die damals noch sehr ansehnliche Residenzstadt, mit ihrem Stadtschloss, ihren Parks, ihren Avenuen, ihren von anderen Reisenden jener Zeit viel bewunderten repräsentativen klassizistischen Bauten, sie interessiert ihn nicht. Seine griechischen Schriftstellerkollegen interessieren ihn ebenso wenig, auch wenn einige, wie Emmanouíl Roïdis und Dimítrios Vikélas, längst ins Deutsche übersetzt waren. Selbst das von seinem Landsmann Ernst Ziller erbaute Königliche Theater würdigt er keines Besuchs. Wie die Neugriechen mit dem klassischen Erbe dramaturgisch umgehen, scheint ihn nicht zu interessieren, ebenso wenig wie sie seine Werke aufführen – man hatte 1902 in Athen immerhin den »Fuhrmann Henschel« gegeben, in der Spielzeit 1906 / 1907 stand »Die versunkene Glocke« auf dem Spielplan. Er war wohl der Meinung, dass diese Neuhellenen es sowieso nicht können.

Fragt man den durchschnittlichen deutschen Griechenlandreisenden, welches wohl seine erste literarische Begegnung mit Griechenland war, so dürften die weitaus meisten antworten: Aléxis Sorbás. Für Leute meiner Generation war es noch jemand ganz anderes: ein gewisser Karl May – auch wenn viele diese Jugendlektüre inzwischen vergessen haben. Deshalb hier, zur Erinnerung, ein Blick in die May-Bücher. Der Held der zu Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen sechs Orient-Reiseromane Karl Mays, ein Deutscher namens Kara ben Nemsi, durchreitet mit seinem arabischen Diener Hadschi Halef nacheinander eine ganze Reihe von Ländern des damaligen Osmanischen Reiches, und er begegnet dort bereits im ersten Band (»Durch die Wüste«) neben Vertretern aller möglichen anderen Völkerschaften auch einem Griechen. Koléttis heißt der Mann und ist ein ausgemachter Schurke. Nicht weiter bemerkenswert, durchzögen nicht Stereotypen vom verschlagenen griechischen Bösewicht die ganze Reihe der Bände eins bis sechs, und stünden dieser Koléttis und ein paar seiner Mitgriechen nicht, pars pro toto, für das ganze Volk. So heißt es an einer Stelle: »Wo in der Türkei ein Halunkenstreich verübt wird, da hat ein Grieche seine schmutzige Hand im Spiele.« Derartige Beispiele lassen sich zahlreich finden. Griechen taugen nichts, sind schlicht Gesindel.

Die Deutschen in Griechenland 1941 – 1944

Von einem Politiker wissen wir übrigens, dass er ein begeisterter Karl-May-Leser war: Adolf Hitler. Doch er schien von dieser Lektüre zunächst wenig beeinflusst zu sein. Der gescheiterte Kunstmaler Hitler war bekennender Philhellene, woher auch seine Vorliebe für die monströsen antikisierenden Statuen des Bildhauers Arno Breker stammt. Und so war er nach Abschluss des »Unternehmens Marita«, des deutschen Überfalls auf Griechenland im April 1941, des Lobes voll über die besiegten Griechen und ihre sowohl an der Albanienfront als auch an der Metaxáslinie im Kampf gegen die Invasoren gezeigten Kriegstugenden. Sie hätten »wie die Helden des alten Hellas gekämpft«, ließ er seinen Freund Arno Breker und dessen (griechische) Frau bei einem Besuch auf dem Obersalzberg im April 1941 wissen. Hitler befahl, die griechischen Kriegsgefangenen »ausgesucht gut zu behandeln«, und in einer Reichstagsrede sagte er: »Dem besiegten griechischen Volk gegenüber erfüllt uns aufrichtiges Mitleid«, es habe »so tapfer gekämpft, dass ihm auch die Achtung seiner Feinde nicht versagt werden kann.« Und nach der griechischen Kapitulation befahl er, die unterbrochenen archäologischen Grabungen in Olympia wieder aufzunehmen. Er bezahlte die Kosten zum Teil aus eigener Tasche, aus den Tantiemen, die ihm sein Bestseller Mein Kampf einbrachte. Zum Oberaufseher der Ausgrabungen wurde der SS-Sturmbannführer Hans Schleif bestellt, dafür eigens von einem wichtigen Leitungsposten im besetzten Polen abberufen. So waren die klassischen Stätten von Olympia für ein paar Jahre fest in »brauner« Hand, über dem Dach des noch von dem berühmten Archäologen Ernst Curtius begründeten Grabungshauses wehte die Hakenkreuzfahne. Doch das blieb eine Episode in der bald 135-jährigen Geschichte der deutschen Grabungen an diesem Ort.

Eine Episode blieb leider auch des Führers Sympathie mit dem besiegten griechischen Volk. Die Schonzeit für die Griechen war schon bald vorbei. Dem unerwartet heftigen Widerstand der Kreter gegen die Landung der Fallschirmtruppe im Mai 1941 folgten erste brutale Attacken auf die Zivilbevölkerung. Die Widerstandsbewegung machte den Besatzern schnell klar, dass sie nicht auf wohlwollende Duldung der unfreiwilligen griechischen Gastgeber zählen konnten. Und so machte sich Hitler schon bald die Rassevorstellungen seines Chefideologen Alfred Rosenberg zu eigen, der in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts ein Bild vom levantinischen »Untermenschentum« gezeichnet hatte, dem auch die Griechen zuzurechnen seien. Rosenberg griff dabei die Stereotypen Fallmerayers wieder auf: Auf ewig habe der Hellene die Erde verlassen, schrieb er, und mit ihm »jene herrliche Rassenseele, die einst die Pallas Athene und den Apoll erschuf«, weil die »vielfache Übermacht des Vorderasiatentums durch tausend Kanäle einsickerte, Hellas vergiftete und anstelle des Griechen den schwächlichen Levantiner zeugte, der mit dem Griechen nur den Namen gemeinsam hat«. Und an dessen Stelle seien »die aufgewühlten Schlammfluten der Mischlinge Asiens und Afrikas, des ganzen Mittelmeerbeckens und seiner Ausläufer« getreten.

Solche rassentheoretischen Vorgaben fanden schon bald auch in Handreichungen für die Truppe ihren Niederschlag. Die Wehrmacht übernahm sie willig. In Schulungsschriften der Oberkommados der Wehrmacht werden die deutschen Soldaten eindringlich auf die völkische Minderwertigkeit des Neugriechentums hingewiesen, das rassisch und kulturell mit seinen hellenischen Namensspendern nur noch wenig gemein habe – so steht es etwa in einer Lehrgangsbroschüre aus der Feder des NS-Historikers Georg Stadtmüller. An anderer Stelle wird vor Eheschließungen mit Griechinnen gewarnt, da sie aus rassischen Gründen nicht »umvolkbar« seien. Auch galt für Griechenland schon bald der sogenannte »Bandenbefehl« vom 16. Dezember 1942 (»Banden« war das damals übliche Synonym für Partisanen): »Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Mittel nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden. Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.« Zugleich wird angeordnet: »Kein in der Bandenbekämpfung eingesetzter Deutscher darf wegen seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsgerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden.«

Diese Freistellung von jeder Strafverfolgung war ein Freibrief für jede Art von Sadismus, wie er sich schon bald bei sogenannten »Sühnemaßnahmen« austobte, den Massentötungen von Zivilisten als Rache für Aktionen der griechischen Partisanen, der Andarten. Wobei zur Verrohung der Truppe im Umgang mit der Zivilbevölkerung auch der Ton beigetragen haben dürfte, in dem die Vorgesetzten von den Griechen sprachen. Vom »Sauvolk der Griechen« sprach etwa General von Le Suire, Kommandeur der 117. Jägerdivision. Und er beließ es nicht bei solchen Beschimpfungen: Nach einem verlorenen Gefecht mit Partisanen ließ er die peloponnesische Kleinstadt Kalávryta bis auf die Grundmauern niederbrennen und die gesamte männliche Bevölkerung ab dem 13. Lebensjahr, 696 Menschen, mit Maschinengewehren umbringen. Ein Massaker von vielen, die die Wehrmacht überall im Land verübte, die Namen Dístomo, Komméno und Klissoúra seien hier nur stellvertretend für mehr als hundert andere genannt. Die bundesdeutsche Justiz, ab 1950 selbst zuständig für die Rechtsprechung über Kriegs- und NS-Verbrechen, hat nicht einen der an den »Sühnemaßnahmen« beteiligten Täter vor Gericht gestellt, die Richter und Staatsanwälte übten sich in Täterschutz. Und während Namen wie Lidice und Oradour zu Symbolen des unmenschlichen Umgangs mit der Zivilbevölkerung in deutschen Besatzungsgebieten wurden, blieben Orte wie Kalávryta und Dístomo in Deutschland unbekannt, auch bei den ersten Touristen, die nach dem Zweiten Weltkrieg Griechenland besuchten.

Das war zunächst, in den 1950ern, ein Akademiker- und Rucksacktourismus. Doch dann entdeckten immer mehr sonnenhungrige Ferienreisende, dass es auf den griechischen Inseln Schöneres gab für die schönsten Wochen des Jahres als den Teutonengrill von Rimini und die Betonburgen der Costa Brava: traumhafte Strände und sehr freundliche Gastgeber. Es begann mit Rhódos, Mýkonos und Santoríni, bis schließlich auch die letzten der 100 bewohnten ägäischen Inseln bis hin nach Astipálaia »entdeckt« und für den Sommertourismus erschlossen waren. Und schließlich überstiegen die sommerlichen Touristenzahlen die Einwohnerzahl des Landes. Was nicht ohne Folgen blieb für die Umwelt ebenso wie für die Mentalität der Gastgeber. Aber es gab auch positive Folgen des Reisebooms (von den Folgen für die Zahlungsbilanz einmal abgesehen): Nicht überall wurde auf Betonpaläste gesetzt, in manch verlassenem Dorf wurde verfallende historische Bausubstanz restauriert, ob in der südpeloponnesischen Máni oder in den Zagoriá-Dörfern im griechischen Nordwesten, wo uralte Herrenhäuser zu Ferienwohnungen umgewidmet und so gerettet wurden.

Über eines wunderte sich die griechische Reisebuchautorin Évi Melás, sie fragte sich, »ob es Zufall ist, dass keiner der jungen Deutschen, die ich kenne, über die Rolle, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg in Griechenland gespielt hat, Bescheid weiß, während sie über den Einmarsch der Deutschen in Frankreich, Belgien oder Holland gut unterrichtet sind«.

Das Ausbleiben der Strafverfolgung der Täter war einer der Gründe, ein anderer die Lektüre, die die Touristen der ersten Nachkriegsjahre mit sich führten. Soweit dies nicht »Täterliteratur« war, vom Landserheft bis hin zur idealisierenden Divisionschronik, waren dies vor allem die Griechenlandbücher eines Deutschen, der das Land als »Tourist in Uniform« besucht und im Auftrag der Wehrmacht beschrieben hatte, als Handreichung für die Truppe: Erhart Kästner schrieb Bücher, die noch heute, mehr als sechs Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, immer neue Auflagen erleben. Die ersten 5000 Exemplare des ersten dieser Bücher (Titel damals: Griechenland. Ein Buch aus demKriege) trafen am Neujahrstag 1943, vom Autor persönlich im Güterzug begleitet, in Athen ein. Gleich zu Beginn teilte Kästner seinen uniformierten Landsleuten mit, dass sie sich kraft Haarfarbe und Körperbau als die rechtmäßigen Nachfolger der alten Hellenen betrachten dürften, ihre Invasion in Griechenland somit so etwas wie eine legitime Wiederinbesitznahme darstelle. Anlässlich einer Begegnung mit heimkehrenden Kreta-Kämpfern an einem Strand am Fuß des Olymp schreibt Kästner, ein wahrer Arno Breker der Feder: »(Da) saßen, standen und lagen gleichmütig die Helden des Kampfes, prachtvolle Gestalten. Sie trugen alle nur die kurze Hose, manche den Tropenhelm, und blinzelten durch ihre Sonnenbrille in den hellen Morgen. Ihre Körper waren von der griechischen Sonne kupferbraun gebrannt, ihre Haare weißblond. Da waren sie, die ›blonden Achaier‹ Homers, die Helden der Ilias. Wie jene stammten sie aus dem Norden, wie jene waren sie groß, hell, jung, ein Geschlecht, strahlend in der Pracht seiner Glieder. Alle waren sie da, der junge Antenor, der massige Ajax, der geschmeidige Diomedes, selbst der strahlende blondlockige Achill. Wie anders denn sollten jene ausgesehen haben als diese hier, die gelassen ihr Heldentum trugen und ruhig und kameradschaftlich, als wäre es weiter nichts gewesen, von den Kämpfen auf Kreta erzählten, die wohl viel heldenhafter, viel kühner und viel bitterer waren als alle Kämpfe um Troja. Wer auf Erden hätte jemals mehr Recht gehabt, sich mit jenen zu vergleichen als die hier – die nicht daran dachten?«

Was die »blonden Achaier«, die homerischen Helden der Neuzeit, in jenen Jahren in ihrer wieder in Besitz genommenen eigentlichen Heimat sonst noch trieben – viele hundert Orte ganz oder teilweise dem Erdboden gleichmachten –, das kam in Kästners Reisebegleiter für die Wehrmacht begreiflicherweise nicht vor. Wir könnten uns heute darauf beschränken, die Auftragsprosa des Unteroffiziers Kästner auf ihre literarische Qualität hin abzuschmecken, wären diese Werke nicht in Rucksack und Koffer unzähliger Touristen gelandet, zu regelrechten Kultbüchern einer ganzen Generation von Hellas-Schwärmern geworden, vor allem das erste, das 1953 im Inselverlag neu erschien, unter dem Titel Ölberge, Weinberge. Zwar waren gewisse Blut- und Boden-Peinlichkeiten der Urfassung verschwunden, doch blendete auch die zweite Fassung die politische und soziale Realität der Jahre der Okkupation so gut wie vollständig aus, ohne dass indessen die Entstehungsumstände verschwiegen werden. Es entstand das Bild einer friedlichen Besatzungsidylle.