Griechische Einladung in die Musik - Andreas Deffner - E-Book

Griechische Einladung in die Musik E-Book

Andreas Deffner

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Beschreibung

"Sprich nicht länger über Liebe, die Liebe ist überall ..." Hellas, das Land der Musik! Kaum ein anderes Volk ist so geprägt von Empfindungen und musikalischem Ideenreichtum. Bis zurück in die Antike reicht die Spannbreite der künstlerischen Auseinandersetzung mit Instrumenten, Gesang und Klang. Und welche Erlebnisse haben Sie mit der griechischen Musik? Was macht die Musik überhaupt griechisch? Von der traditionellen Volksmusik, über den Rembetiko-Stil, von Laiká-Gesängen bis hin zu Éntechno und griechischem Rock, Pop und Hip-Hop – unsere Autoren liefern hier Geschichten und Erzählungen, die begeistern und den letzten Urlaub nachhallen lassen. Kommen Sie mit in ein beschwingtes Hellas, das tönt, das singt und dessen Klänge Sie in seinen Bann ziehen. Mit original griechischen Musiktexten und Kochrezepten und mit dem Klang der Bouzouki – seien Sie willkommen in Griechenland. Jamas!

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Die Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme.Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet dieses Buch in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage 2017© Größenwahn Verlag Frankfurt am Main Sewastos Sampsounis, Frankfurt 2017www.groessenwahn-verlag.deAlle Rechte vorbehalten.ISBN: 978-3-95771-150-2e-book, eISBN: 978-3-95771-151-9

Andreas Deffner (Hrsg.)

Griechische Einladung in die Musik

Erzählungen, Geheimnisse und Rezepte

IMPRESSUM

Griechische Einladung in die Musik

HerausgeberAndreas Deffner

SeitengestaltungGrößenwahn Verlag Frankfurt am Main

SchriftConstantia

CovergestaltungMarti O´Sigma

CoverbildNikiforos Lytras: ›Der Milchmann‹ 1895, Griechische Nationalgalerie- Alexandros Soutzos Museum el.wikipedia

LyriktexteJannis Karis

RezepteMaria Laftsidis-Krüger

LektoratEdit Engelmann, Steffen Marciniak

Druck und BindungPrint Group Sp. z. o. o. Szczecin (Stettin)

Größenwahn Verlag Frankfurt am MainJanuar 2017

ISBN: 978-3-95771-150-2e-book, eISBN: 978-3-95771-151-9

INHALT

»Die Griechen beschreiben …« Vorwort

Kostas Papanastasiou

Wie ein Adler …

Maria Laftsidis-Krüger

Tsouras

Karsta Lipp

Die Lyra des Manolis

Gerburg Tsekouras

Jorgos Taverne

Hans-Christian Tappe

Der Berg Athos

Salean A. Maiwald

Ob von Deutschen oder Griechen …

Felix Leopold

»Ich produziere Beats!«

Greckoe

Musikí ja húftala

Edit Engelmann

Klagelied an den Olymp

Alexander Günther

Amphion oder Die Magie der Lyra

Steffen Marciniak

Die Sänger der alten Griechen

Max Drushinin

Die klingende Schildkröte

Antonia Pauly

Musik für den Olymp

Bettina Forbrich

Musik überall

Erika Tappe

Die geheime Hymne der Griechen

Paul Gourgai

Ein Mädchen aus Korfu

Katerina Metallinou-Kiess

Gänsehaut pur

Melina Proikas

Gibt es klassische Musik in Griechenland?

Melitta Kessaris

Bockenheimer Klänge

Andreas Arnakis

Plötzlich hörte die Musik auf

Fotini Tsalikoglou

Der letzte Rembet

Klaus Grabenhorst

Herzbube

Brigitte Münch

Der Schlüssel des Herrn Chrysafis

Céline Melanie Spieker

Hellas, der Kommunismus und die Gitarre

Ute Altanis-Protzer

Weinlese bei Georgios

Wolfgang Schulze

Wie alles begann

Sylvia Graf

Heavenly voice

Irma de Groot

Dies ist ein Liebeslied

Joana Papageorgiou

Kaffee mit Filippos Pliatsikas

Filippos Pliatsikas

Zuflucht der Unheilbaren

Hilda Papadimitriou

Sopran, Bouat und Bier im Glas

Andreas Deffner

»Πολύ μπράβο! πολύ μπράβο!« Nachwort

Andreas Deffner

Erläuterungen & Quellenangaben

 

Rezeptregister

 

Liederregister

 

Biographisches

 

Μαντήλι καλαματιανό,

ϕορείς στον άσπρο σου λαιμό.

Να σε χαρεί, να σε χαρεί,

εκείνος που σε λαχταρεί.

Έλα, πουλί μου έλα,

αν μ’ αγαπάς κι εμένα

πες το μάτια μου το ναι,

δε θα βρεις άλλον σαν κι εμέ.

Εσύ είσαι ένας ήλιος,

ϕεγγάρι λαμπερό

που θάμπωσες το ϕως μου

και δεν μπορώ να ιδώ.

Ein Tuch aus Kalamata,

trägst du um deinen weißen Hals.

Soll sich freuen, soll sich freuen

jener, der sehnsüchtig dich will.

Komm – mein Vogel – komm,

wenn du mich auch liebst

sage zu mir das ja – mein Augenstern,

keinen wie mich wirst du finden.

Du bist eine Sonne,

ein leuchtender Mond

hast meinen Blick geblendet

und ich kann nicht mehr schauen.

Μαντήλι καλαματιανό

Ein Tuch aus Kalamata

Volkslied

Ü-Text: Sevastos P. Sampsounis

Für die Kunst,die Musik,die Liebeund die Freundschaft!

VORWORT

Kostas Papanastasiou

»DIE GRIECHEN BESCHREIBEN DIE GESCHICHTE DURCH IHRE LIEDER.«

Immer wenn ich an griechische Musik denke, dann erinnere ich mich an die »Thermopylen«. Der berühmte Spartaner des antiken Griechenland, Leonidas, führte dort vor rund zweieinhalb Tausend Jahren mehrere Tage eine erbitterte Schlacht gegen die Übermacht persischer Angreifer. Ein Kampf für die Freiheit, gegen Fremdbestimmung, für das Vaterland. Egal wie man den Ausgang der Schlacht bei den Thermopylen interpretiert, ob als Sieg oder als Niederlage, Leonidas wurde für seine Landsleute zum Helden. So unsterblich, wie die großen Musikstücke der griechischen Musiker von der Antike bis heute.

Die Griechen beschreiben die Geschichte durch ihre Lieder. Es gibt Lieder über den Krieg, vor dem Krieg, während des Krieges. Und darüber hinaus über alle erdenklichen weiteren Themen. Von Freude, Liebe und Leid, von Alltagssorgen und Krisen, oder einfach nur von Sommer, Sonne, Meer und Wind.

Von 1967 bis 1974 herrschte in Griechenland eine Militärdiktatur. Während dieser Junta-Zeit wurde die Musik zahlreicher Künstler wie Mikis Theodorakis verboten. Aber die Seele kann man nicht verbieten! Wir Musiker machten weiter, im Untergrund oder im Exil. 1972 nahm ich in Berlin eine Schallplatte auf, auf der ich griechische Lieder zweisprachig auf Deutsch und Griechisch sang. Ein kleines, von mir verfasstes Gedicht, erscheint auf der Platte, ausschließlich auf Griechisch: »Thermopyles«. Wir wollten Aufmerksamkeit und gleichzeitig der Welt zeigen, dass aus der Musik auch die griechische Seele spricht. Und diese lässt sich nicht unterkriegen.

Zeibekiko: Für mich ist es Sinnbild der Vielfältigkeit griechischer Musik. Das Zeibekiko tanzt du, wenn du überglücklich und verliebt bist. Aber auch, wenn du übertraurig bist. Wenn einem Griechen das Schlimmste widerfährt, er seine Familie verliert oder jemand schwer erkrankt, er traurig und ganz allein ist, dann tanzt er. Wenn dann so ein Lied mit entsprechend traurigem Text erklingt, dann steht er auf und tanzt. Allein! Er ist todtraurig und weint, aber er tanzt aus ganzer Seele. Die griechische Musik ist für uns Griechen nicht allein Unterhaltung, sie ist etwas, das wir ganz intensiv mit unserer Psyche verbinden. Sie ist tief in ihr verwurzelt, wie die tapfere Gegenwehr des Leonidas an den Thermopylen.

Ab 1985 war ich für viele Jahre der »Grieche«, aus dem »Akropolis« in der »Lindenstraße«. In meinem Serienlokal des deutschen Sonntagvorabendprogramms wollte ich es authentisch haben. Natürlich mussten wir bestimmte Klischees für das deutsche Fernsehpublikum bedienen, aber wir spielten immer wieder griechische Musik. Wir haben versucht griechische Flair und Denken in die deutschen Wohnzimmer zu tragen. Mit etwas Sirtaki, etwas Laikó, ein paar Skiladika oder einfach nur mit Bouzoukiklängen und Gitarre. Etwas Ähnliches will das vor Ihnen liegende Buch bieten. Es will dem Leser einen Einblick geben, in das Land und die Seele der Griechen am Beispiel ihrer Musik. Von der Antike bis in die Moderne.

Und jetzt schließen Sie die Augen und lauschen Sie den Klängen der Baglamás, der Lyra und Bouzouki! Oder nehmen Sie das Buch zur Hand und lesen Sie! Danach gehen Sie zum Griechen um die Ecke, denken an Udo Jürgens und seinen Klassiker »Griechischer Wein«, und dann tauchen Sie ein in das schier bodenlose Fass der griechischen Musikwelt. Laben Sie sich an diesem musikalischen Symposium!

Kostas PapanastasiouBerlin, Oktober 2016

Alle sagten mir, wenn ich erwachsen

und groß werde, wenn ich ein Mann bin,

werde ich ein Haus und einen Mond haben,

auch eine Lampe für die Finsternis.

alle sagten mir, wenn ich erwachsen

und groß werde, wenn ich ein Mann bin,

werde ich ein Haus und einen Brunnen haben,

eine Gartentür und eine Zypresse.

alle sagten mir, wenn ich erwachsen

und groß werde, wenn ich ein Mann bin,

werde ich einen Hof und eine Taube haben,

in der sengenden Hitze einen frischen Wind.

Menschen raubten meine Träume

sie versperrten das Fenster mit Eisen,

sie löschten mir die Lampe für die Nacht.

Menschen raubten meine Träume

an meine Hände legten sie die Ketten,

töteten meine Sehnsüchte und Hoffnungen

Menschen raubten meine Träume …

Alle sagten mir

Text: Kostas Papanastasiou

Όλοι μου λέγαν σαν μεγαλώσω

σαν γίνω άνδρας και ψηλώσω

θά’ χω ένα σπίτι κι’ ένα ϕεγγάρι

ένα καντήλι για το σκοτάδι

όλοι μου λέγαν σαν μεγαλώσω

σαν γίνω άνδρας και ψηλώσω

θά’ χω ένα σπίτι θά’ χω μια βρύση

θά’ χω μια αύλόπορτα καί κυπαρίσσι

όλοι μου λέγαν σαν μεγαλώσω

σαν γίνω άνδρας και ψηλώσω

μέσ’ την αυλή μου ένα περιστέρι

μέσ’ το λιοπύρι ένα κρύο αγέρι

άνθρωποι κλέψαν τα ονειρά μου

σπάσαν τα σπλάχνα και τα ϕτερά μου

πάνο στον ήλιο μου ρίξαν σκοτάδι

στο μεσημέρι μου ϕέραν το βράδυ

άνθρωποι κλέψαν τα ονειρά μου

σπάσαν τα σπλάχνα και τα ϕτερά μου

ρίξαν στα χέρια μου τις αλυσίδες

και μου σκοτώσαν καυμούς κι’ ελπίδες

άνθρωποι κλέψαν τα ονειρά μου …

Όλοι μου λέγαν

Text: Kostas Papanastasiou

Maria Laftsidis-Krüger

WIE EIN ADLER,DER SEINE SCHWINGEN GEN HIMMEL ERHEBT

Musik ist für die Griechen nicht einfach nur Musik. Sie ist das Lebenselixier, welches sie brauchen, um zu überleben.

Das Wort »Musik« ist über 2500 Jahre alt und hat von seiner Schönheit, seinem Glanz nichts verloren. Selbst Homer webte den 7/8 Rhythmus in seine weltberühmten Verse ein, unaufdringlich und doch so intensiv. Ein Hellene ohne Musik, das ist wie Delphi ohne Pythia, wie Olympia ohne Lorbeerkranz oder gar der Acheron ohne Charon. Der Grieche fühlt Musik, den Rhythmus, vielleicht ein wenig intensiver, weil seit über 5000 Jahren die Klänge von Harfe und Syrinx über die Berge und Täler hallen, als würde Pan höchstpersönlich zum Tanz aufspielen.

Uralte Mythen vergangener Tage verschmelzen in den Klängen von Bouzouki und Baglama, wenn das Taschentuch, das imaginäre rote Wollknäuel der Ariadne, dem Tänzer ein wenig Halt gibt, wenn er mutige Sprünge und Drehungen zelebriert. Mut und Stolz in Vollendung. Musik als Ventil für die Seele, nicht nur, wenn sie fröhlich ist. Auch wenn die Seele fast zerbricht unter einer schweren Last, wird Musik zum Tröster, zum Begleiter, der einfach nur das ist, ohne zu fragen.

Jemand betritt die Bühne, wirft den Musikern ein paar Scheine hin, die Musik spielt auf. Nur für ihn! Niemand stört ihn, wenn er mit gekonnten Schrittfolgen förmlich über das Parkett schwebt. Fast trunken und dennoch Herr seiner Sinne. Beinahe schwankend, als ob er jeden Moment zu Boden geht. Und doch hält er das Gleichgewicht wie ein Akrobat. Der Körper, die Seele werden eins mit dem Takt. In diesen Momenten will sich der Kummer einen Weg bahnen. Er will hinaus, bevor er die Seele zerfrisst. Die Arme erheben sich wie die Schwingen eines Adlers gen Himmel, eine Figur, die es seit Jahrhunderten gibt und die nie sterben wird. Drei, vier Minuten dauert das Schauspiel, fast wie in Trance. Dann ist es vorbei. Der Tänzer hat sich befreit von seiner Last. Musik, die stark macht gegen fast alle Schicksalsschläge des Lebens.

Ein ganz besonderes Gen der Hellenen, welches sie in sich tragen, egal, in welchem entlegenen Winkel dieser Welt sie sich befinden. Sei es in Amerika, wo Nick jeden Abend tanzt, um zu vergessen, dass seine Frau ihn betrügt. Oder Jannis, der in zweiter Generation in Melbourne lebt, und vor Freude über das dritte Enkelkind über zerschlagene Teller tanzt wie einst sein Vater in seinen besten Jahren. Es ist der Rhythmus, der Klang der uralten Instrumente, der überall auf der Welt für Griechen gleich schlägt. Sie müssen sich nicht kennen, um miteinander zu tanzen. Die Musik vereinigt sie … seit Jahrtausenden.

›Auberginensalat‹Μελιτζανοσαλάτα

Zutaten:

1 mittelgroße Aubergine, 2 EL Mayonnaise, Pfeffer, Salz, 1 kleingeschnittene Schalotte , 2 EL Olivenöl, 2 EL gehackte glatte Petersilie.

Zubereitung:

Den Backofen, wenn möglich mit Grillzuschaltung, auf 180 Grad vorheizen. Die Aubergine mit Schale von allen Seiten mit einer Gabel einstechen und in den Backofen legen. Das kann ca. 45 Minuten dauern, bis sie weich wird. Zwischendurch drehen. Die Haut sollte schwarz und schrumpelig sein, dann ist sie gar. Etwas abkühlen lassen. Anschließend die Haut abziehen. Das Fruchtfleisch sollte eine dunklere Farbe angenommen haben. Wenn es noch zu hell ist, muss die Aubergine nochmals nachgegart werden.

Das Fruchtfleisch mit einem Löffel herauskratzen und in eine Schüssel geben. Mit Pfeffer, Salz, Schalotte, Olivenöl und Petersilie vermengen. Die Mayonnaise zum Schluss unterheben und abschmecken. Falls der Auberginensalat nicht cremig genug ist, etwas Olivenöl oder Mayonnaise unterheben.

Tipp:

Noch besser wäre natürlich, die Aubergine draußen auf dem Holzkohlegrill in der Schale zu grillen. Passt auf jeden Fall wunderbar zu frischem Weißbrot als Dip.

Dieses Rezept konnte ich einer freundlichen Wirtin auf Lefkada entlocken, die besonderen Wert auf Mayonnaise aus Deutschland legte.

Karsta Lipp

TSOURAS

Dass ich anfing, ein Instrument zu lernen, war ein Zufall. Es war nicht geplant. Niemals. Alles war neu für mich.

Da war nur die Liebe zur griechischen Musik.

Es war das erste Instrument in meinem Leben.

Es begann auf Anafi, im Laden von Takis. Er sagte, ein Instrument zu lernen, braucht sehr viel Zeit und Geduld. An diesem Abend verließ ich den Laden mit seiner Tsouras auf dem Rücken. Und einem Blatt Papier mit den ersten Noten. Einem Rembetiko.

Es war am 17. September. Ich weiß es noch genau, weil es Agapias Namenstag war und weil an diesem Tag ihre geliebte Tante starb.

Seitdem ist nicht ein Tag vergangen, ohne dass ich auf der Tsouras gespielt habe. Nicht ein Tag.

Es ist, als hole ich mir die griechische Seele in mein Haus. Es ist, als spiele ich meine Sehnsucht. Es ist wie eine neue Sprache. Es ist, als passiert etwas in meinem Leben ohne dass ich weiß, wo es hinführt.

Να το θυμάσαι, του Αγαίου το ϕεγγάρι

– Αύγουστο μήνα –

π’ ορίζοντας του Νότου,

ϕεγγοβολάει

και μήν ξεχάσεις την αύρα του πελάγου,

μες στ’ άρωμά της

κρυμμένη μια πατρίδα

θα μας μεθάει …

Erinnere dich an den Mond der Ägäis

– im August –

Während er den Süden anzeigt,

leuchtet er glanzüberströmt

und vergiss nicht die Brise des Meeres,

mit ihrem Geruch

darin versteckt sich eine Heimat

die uns berauscht …

Nόστος

Nostos

Musik & Text: Jannis Karis

Ü-Text: Sevastos P. Sampsounis

Gerburg Tsekouras

DIE LYRA DES MANOLIS

Mit griechischer Musik kam ich in Berührung noch bevor mein Fuß das Land, das einmal meine zweite Heimat werden sollte, betreten hatte. Ich meine damit nicht die Lieder von griechischen Sängerinnen wie Nana Mouskouri oder Vicky Leandros, die damals in den sechziger und Siebziger Jahren überall in Deutschland zu hören waren mit »Weiße Rosen aus Athen« oder »Après toi«. Sie waren in westeuropäischem Stil geschrieben, und darauf basierte ihr Publikumserfolg. Nein, ich meine die Musik der in Deutschland lebenden Griechen, der Studenten und griechischen Arbeitnehmer, der sogenannten »Gastarbeiter«, die ihre Musik aus Griechenland »importierten«, für die sie ein Stück Heimat in der Fremde bedeutete und oft zugleich auch ein Stück politischen Widerstandes, denn diese Jahre fielen in die Zeit der griechischen Militärjunta.

Während meiner Studienzeit an der Universität Mainz lernte ich meinen späteren Mann kennen, einen Griechen, der dort ein weiterführendes Studium absolvierte. Durch ihn kam ich zum ersten Mal mit Griechen unserer Zeit in Berührung, während der Begriff »Grieche« bisher eher die Assoziation von Menschen der Antike in mir geweckt hatte. Im Zuge meines Theologiestudiums hatte ich Altgriechisch gelernt, musste aber nun erkennen, dass zwar »ήλιος« immer noch »Sonne« bedeutet und »ημέρα« immer noch »Tag«, dass aber die »erasmische« Aussprache des Altgriechischen, die man uns gelehrt hatte, von heutigen Griechen kaum verstanden wird. Und auch ich hatte Mühe, mir eigentlich vom Schriftbild her vertraute Wörter in ihrer heutigen Aussprache zu erkennen. Mit Feuereifer begann ich zwar nun, Neugriechisch zu lernen, dennoch konnte ich zunächst den Unterhaltungen und Diskussionen der Griechen, wenn sie unter sich waren, nicht folgen. Ich stellte fest, dass Griechen nicht nur schneller sprechen als Deutsche, sondern auch ihre Worte meist noch mit raschen, ausdrucksvollen Gesten unterstreichen. Es machte mir Freude, ihnen zuzuhören und sie zu beobachten. Welcher Klang der Sprache mit den vielen tönenden Vokalen! Welcher Rhythmus! Welche Musik! Und dazu noch die Gesten – ein Tanz! Ich glaubte zu verstehen, wie auf dem Boden einer solchen Sprache das antike Theater mit seiner Einheit von Wort, Musik und Tanz entstehen konnte.

Wenn ich mich recht entsinne, war es in einer Einrichtung des Diakonischen Werkes, wo mein Freund und ich an einem geselligen Beisammensein von Griechen teilnahmen. Ein Tonbandgerät sorgte für Musik, und es wurde getanzt. Doch nicht in Paaren wie ich das von den in Deutschland bekannten Tänzen gewohnt war, sondern im Kreis. Man fasste sich an den Händen oder an den Schultern, und auch ich wurde schnell in diesen magischen Zirkel hineingezogen und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass die Füße nach kurzer Zeit wie von selbst die richtigen Schritte ausführten, wenn man sich nur ganz dem Rhythmus hingab. Und dann zum Schluss noch ein »Zeibekiko«! In der Hocke oder auf den Knien scharten sich alle in einem großen Kreis um einen Tänzer herum und feuerten ihn durch rhythmisches Klatschen der Hände an, während er in der Mitte, zwar offenbar gewissen Regeln folgend, aber doch zugleich auch improvisierend, sich um die eigene Achse drehte, weit ausholend die Arme in die Luft warf wie ein Baum im Wind, der Musik hingegeben, selbstvergessen, frei, ein Eindruck, der mir unauslöschlich im Gedächtnis geblieben ist.

Waren wir unter griechischen Kommilitonen, so hörten wir Schallplatten mit Musik von Mikis Theodorakis, Jannis Markopoulos, Manos Chatzidakis. Die ausdrucksvollen Stimmen von Maria Farantouri, Nikos Xylouris, Jorgos Dalaras faszinierten mich. Vor allem die Tatsache, dass erlesene Dichtung wie die von Georgios Seferis oder Jannis Ritsos in Verbindung mit der Musik eine so außerordentliche Popularität erlangte und – wie ich bald erfahren sollte – nicht nur von »Gebildeten«, sondern überall, wo man unter Griechen war, gekannt und auswendig gesungen wurde, setzte mich zunächst in Erstaunen. Als ich dann später in Griechenland lebte und mich intensiv mit byzantinischer Kirchenmusik und griechischer Volksmusik beschäftigte, wurde mir klar, dass dies kein Phänomen unserer Zeit ist. Die Verbindung von hochwertiger Dichtung und Musik ist dem Griechen schon »in die Wiege gelegt«. Er erlebt sie von klein auf ebenso in den wunderbaren Kirchengesängen wie auch auf einem »Panigyri«, einem Kirchweihfest, auf dem oft noch heute zu alten »Dimotiká Tragoudia« (Volksliedern) voll poetischer Schönheit getanzt wird, was sicher prägend für Qualitätsanspruch und Geschmack bleibt.

»Wir müssen heute Manolis zu seinem Namenstag gratulieren«, sagte mein griechischer Freund eines Tages kurz nach Weihnachten. Mein Freund arbeitete, um sich Geld für sein Studium zu verdienen, in einem Wiesbadener Wohnheim für griechische Arbeitnehmer der Firma K., einer Chemikalienfabrik in der Nähe von Mainz. Er hatte dort die Funktion eines Sozialbetreuers, allerdings auch die Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, was nicht immer ganz leicht war und zu manchen Auseinandersetzungen mit den Bewohnern führte. Lärm und laute Radiomusik führten oft zu Beschwerden der Nachbarschaft in dem seriösen Wiesbadener Viertel, und wer auf der strengen Einhaltung der Ruhezeiten beharrte, musste sich unbeliebt machen. Aber zuletzt besann man sich doch immer wieder auf die Gemeinsamkeit als Landsleute in der Fremde und hatte ein gutes, freundschaftliches Verhältnis. Nun besuchten wir also Manolis, einen jungen Mann aus Kreta, der zusammen mit zwei anderen Griechen in einem kleinen Raum dieser Einrichtung lebte. Ich hatte noch nie ein Zimmer des Wohnheims betreten. Zwar war es sauber, machte aber eher einen dürftigen Eindruck. Es gab darin nur drei Betten, zwei davon Etagenbetten, das dritte einzeln stehend, einen Spind mit drei Türen, einen Tisch mit drei einfachen Stühlen in der Mitte und eine nackte Glühbirne an der Decke. Drei Koffer auf dem Schrank unterstrichen die Vorläufigkeit dieser Behausung. Wir wurden bei unserem Eintreten lautstark begrüßt und bekamen zwei der Stühle freigemacht, denn es waren schon mehrere Besucher eingetroffen, alles Männer, die in Ermangelung ausreichender Stühle auf den Bettkanten saßen. Diejenigen auf dem unteren Etagenbett mussten sich vorbeugen, um den Kopf nicht an die obere Bettkante zu stoßen. Aber dies tat der Stimmung, die schon ausgelassen und fröhlich war, keinen Abbruch. Auf dem Tisch stand ein kleiner Plastikkanister mit Tsipouro, ein farbloses alkoholisches Getränk, das in der Kehle brennt. Manolis erklärte stolz, er habe es aus »seinem Dorf« mitgebracht, wo es sein Bruder selbst herstelle, und goss uns in kleine Gläser ein. Tellerchen mit Mesedes, Beigaben bestehend aus Gurken- und Tomatenscheiben sowie aus kleinen Fetastücken und schwarzen Oliven, von denen man sich mittels Zahnstochern bedienen konnte, standen ebenfalls bereit. Nichts hätte mich in dieser Umgebung erwarten lassen, was nun geschah. »Spiel uns etwas, Manolis«, forderte ein Zimmergenosse ihn auf, und Manolis ging zu seinem Spind und holte eine kretische Lyra heraus. Es war kein einfaches, billiges Instrument. Das Schalloch und der Außenrand waren kunstvoll verziert. Manolis setzte sich auf den dritten Stuhl im Zimmer, nahm die Lyra auf seine Knie und begann zu spielen. Er war ein hübscher, noch verhältnismäßig junger Mann um die Dreißig mit dunklen Augen und schwarzem, lockigem Haar, das beim Spielen mittanzte, wenn er den Kopf hin und her warf. Alles an ihm war Bewegung, seine Finger tanzten auf dem Griffbrett, sein Bogen tanzte auf den Saiten, und selbst die Lyra tanzte ein wenig auf seinen Knien. Mit voller, warmer Stimme sang er Lieder aus seiner Heimat, Lieder von Bergen und Tälern, von Sternen und Blumen, von der Liebe und vom Freiheitskampf gegen die Türken. Wir vergaßen das enge Zimmer, in dem wir uns befanden. Die Musik öffnete einen weiten Raum, trug uns in unbekannte Gefilde. Wer die Lieder kannte, sang mit, vor allem das Lied »Póte tha káni Xasteriá” (= Wann wird der Himmel klar werden), ein altes Lied des Kampfes gegen das osmanische Joch, das zur Zeit der Militärjunta eine neue, unausgesprochene, aber für alle mitschwingende Bedeutung gewann.

Nicht nur durch seine Musik ist mir Manolis in Erinnerung geblieben. »Was willst du mit ihm, Mädchen!«, sagte er zu mir lachend und zeigte auf meinen Freund. »Er ist ein Nörgler, und außerdem ist er ein Grieche!« Was er mit »Nörgler« meinte, war mir sofort klar. Es bezog sich auf die Rolle meines Freundes als Ordnungshüter in dem Wohnheim. Aber was er mit »Grieche« meinte, sollte ich erst im Laufe vieler Jahre erfahren, als ich schon in Griechenland lebte. Denn ich habe die Warnung des Kreters Manolis in den Wind geschlagen und bin meinem Freund in sein Land gefolgt. Ich habe es bis heute nicht bereut.

Παραδοσιακόαοό τα Δωδεκάνησα

Traditionelles Lied aus Dodekanes

Musik & Text: Jannis Karis

Ü-Text: Jannis Karis

Γίνε πουλί μου Θάλασσα

και γω το μαΐστράλι

νά’ρχομαι με τα κύματα

στην γαλανή σου αγκάλη.

Μαστίχα και κανέλλα μου

μοσχοστολίσου κι έλα μου.

Werde mein Liebster wie das Meer

und ich der Mistralwind

so lasse ich mit den Wellen

in deine blaue Umarmung treiben.

Mein Mastix und Zimt

schmücke dich mit Düften und komm zu mir.

›Käsefrikadellchen‹

Τυροκεϕτεδάκια

Besonders im Norden Griechenlands dürfen diese kleinen Käsefrikadellchen auf keiner Vorspeisenplatte fehlen. Die Mischung der Käsesorten variiert und jeder Koch hat seine Vorlieben. Wichtig: Es müssen 300 g Käse sein, damit das Rezept gelingt.

Zutaten:

100 g zerbröselter Feta, 100 g geraspelter Pecorino, 100 g geriebener Kefalotiri, 300 g gekochte Kartoffeln, 1 Ei, 1 Prise Rosenpaprika, 1 Prise Bukowo (das griechische Chili), Salz, Pfeffer, 70 g Mehl, 1 Tasse Paniermehl, 10 EL Olivenöl

Zubereitung:

Kartoffeln, Käsesorten, Ei, Rosenpaprika, Bukowo, Salz und Pfeffer in der Küchenmaschine geben und alles für einige Minuten als Brei verarbeiten. Die Kartoffel-Käse-Masse in eine Schüssel geben und Mehl unterheben. Kräftig rühren und abschmecken. Olivenöl in einer Pfanne erhitzen. Je ein Esslöffel von der Käsemischung im Paniermehl wälzen etwas andrücken und von allen Seiten im Olivenöl schön braun werden lassen. Auf ein mit Küchenpapier belegtes Bleck legen und in Backoffen warm halten bis die gesamte Masse fertig zur Frikadellen verbraucht wird.

Servieren Sie die Käsefrikadellchen warm als Mesé zu Ouzo oder Retsina.

Info:

Bukowo ist das Chili des Balkans und wird aus zermahlenen, scharfen, getrockneten Paprika hergestellt. Kefalotiri ist eine Sorte Hartkäse, aus Schafs- und/oder Ziegenmilch.

Hans-Christian Tappe

JORGOS TAVERNE

Anfang der siebziger Jahre war jeder aus meiner Clique schon ein oder mehrere Male in Griechenland gewesen. Und jeder brachte von seiner Reise glühende Erinnerungen mit, die er den anderen gleich unbedingt erzählen musste. Regelmäßig trafen wir uns in Jorgos Taverne, bei ihm hatten wir unser griechisches Zuhause gefunden. Aber auch um die Ecke beim Tanzgriechen, wo wir in langen Nächten durchfeierten. Auf der Bühne spielten griechische Musiker, die als Touristen nach Berlin gereist waren, weil sie keine Arbeitserlaubnis hatten. Der Mann mit der Bouzouki, der mit der Mandoline, der Schlagzeuger, der Bassist und als Krönung die Sängerin, sie alle zogen die Leute in den Tanzsaal hinein. Nach vier Wochen kam die nächste Gruppe, die aufspielte. Männer und Frauen im Sonntagsstaat standen von ihren Tischen auf, fassten sich auf der Tanzfläche an den Händen und bildeten einen Kreis. Die Bouzouki setzte ein, die Mandoline flirtete mit ihr, der Bass gab den Takt an, das Schlagzeug verwebte die Instrumente und über allem schwebte die dunkle Frauenstimme. Sie sang das Lied von der Liebe »Agápi mou«.

Wie ein Tausendfüßler setzten sich die Tänzer in Bewegung. Während sich ihre Beine im Rhythmus kreuzten, blieben die Oberkörper hoch aufgerichtet und ihre Schultern bildeten eine seitwärts wogende Linie. Aus der Reihe der Tanzenden löste sich ein Mann, er wurde für diesen Tanz der Vortänzer. Grazil hielt er sein rotes Halstuch in der Hand, das sein Freund ergriff und das nun beide verband. Der Freund führte die lange Schlange der Mittänzer an. Fast wie ein Tier, das sich vor dem Maul der Schlange fürchtet, vollführte der Vortänzer waghalsige Sprünge, um nicht von ihr geschnappt zu werden. Wenn die Musik melancholisch und zart aufspielte, verharrte er hingebungsvoll in kauernder Stellung, um im nächsten Augenblick beim Aufbrodeln der Klänge wie eine Feder wieder hochzuschnellen. Auch wenn die Schlange durch die Melodie verzaubert wurde, konnte sich der Tänzer seiner Stimmung hingeben und alles um sich herum vergessen. Erst die Stille der sich ausruhenden Musik holte ihn aus seiner Verzückung zurück.

Doch schon wieder eilten Männer zum Bouzoukispieler, riefen ihm Titel zu, nickend nahm er sie an. Jedes dieser Stücke gehörte nur dem, der dafür auch bezahlte. Geldscheine wurden bespuckt und dem Musiker auf die Stirn geklebt. Auch wanderten Geldbündel in seine Hutkrempe oder wurden ihm in seine Reverstaschen gesteckt, die sich immer mehr ausbeulten. Die Stimmung dampfte, die heiße schwitzige und rauchige Luft ließ sich mit einem Messer schneiden. Teller, aufeinandergestapelt so hoch wie Türme, zerschlugen die Griechen auf der Tanzfläche aus Ehrerbietung vor dem Freund oder der Verlobten, dem Vater oder dem Mann an der Bouzouki. Leicht in der Hocke mitwippend, in schwieriger Balance ihres Körpers, hielten sie einen Teller senkrecht in der Hand, die anderen ruhten übereinander getürmt in der linken, wie ein Fallbeil sauste nun der Teller herunter und zerschlug – »tak, tak« – jeden einzelnen nacheinander aus dem Stoß in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, dass die Scherben nur so spritzten. Unter den Kellnern wurde extra einer abgestellt, der für den Tellernachschub sorgte. Ein Teller kostete drei Mark, das war viel Geld für die Griechen und es gab Leute, die in einer Nacht bis zu Tausend D-Mark und mehr ausgaben, wenn sie in den emotionalen Strudel hineingerissen wurden. Tausend Mark, drei bis vier Monatsmieten, aber was zählte das in diesem Moment.

Wieder begann die Musik, wieder setzte sich die Raupe der Tanzenden in Bewegung, immer wieder steigerte sich ihr Vortänzer zu Ekstasen. Wie in Trance überschlug er sich auf dem Scherbenteppich, missachtete das Risiko, sich Hände und Gesicht an den Scherben zu zerschneiden. In jeder Tanzpause kam der Hilfskellner und fegte die Scherben eines Tanzes zusammen. In der hintersten Ecke wuchsen sie zu einem Haufen. Das Tellerwerfen hatte die Militärregierung in Griechenland verboten, aber hier waren wir in Berlin. Jedes Wochenende gingen wir mit unserer Clique zu Jorgos Taverne, sogen in uns die Musik auf, ließen uns zum Mittanzen in den Kreis ziehen und feierten mit Strömen von Retsina.

Eines Tages erfuhren wir, dass Theodorakis in Berlin singen sollte. Er war für seine freiheitliche Gesinnung gegen die Faschisten in Griechenland angetreten, hatte dafür auf der Gefängnisinsel büßen müssen und war für uns Garant und Symbolträger für ein demokratischeres Leben, anders als das unserer Väter. Sein nicht zu brechender Glaube floss in seine Lieder, die wir in uns aufnahmen. Wir alle wollten nun Mikis Theodorakis live auf der Bühne sehen. Ihm huldigen und mit ihm feiern. Schon nach kurzer Zeit war sein Konzert ausverkauft. Wie ein Tanzbär bewegte sich Mikis zu den Melodien, schwerfällig tapsig mit ausgebreiteten Armen und zugleich zart dirigierte er sein Orchester. Mir war, als atme er seine Musik wieder in sich hinein. Schwarz gekleidet stand neben ihm Maria Farantouri, in ihrer Stimme lag Melancholie, Traurigkeit und Kraft. Alles um mich herum hatte ich vergessen, die große Halle, die vielen Menschen, ihre Begeisterungsstürme. Ich fühlte mich von Theodorakis mitgenommen auf einem Schiff nach Griechenland. Als das Lied »Sotíri Pétroula« erklang, wusste ich, dass ich angekommen war.

Σωτήρη Πέτρουλα, Σωτήρη Πέτρουλα

οδήγα το λαό σου, οδήγα μας μπροστά

οδήγα το λαό σου, οδήγα μας μπροστά

Μάρτυρες, ήρωες οδηγούνε

τα γαλάζια μάτια σου μας καλούνε.

Sotiri Petroula, Sotiri Petroula

führe dein Volk, führe uns nach vorne

führe dein Volk, führe uns nach vorne

Zeugen, Helden führen

deine blaue Augen laden uns ein.

Σωτήρη Πέτρουλα

Sotiti Pétroula

Musik & Text: Mikis Theodorakis

Ü-Text: Sevastos P. Sampsounis

Salean A. Maiwald

DER BERG ATHOS

Im ersten Licht der Morgendämmerung startet der Fahrer den Bus, es geht nach Athos. Evelyn wirft einen Blick auf den weißen Turm, das Wahrzeichen Thessalonikis. Durch Seitenstraßen ist das Meer zu sehen, eine flache, graue Fläche. Der Sonnenaufgang lässt noch auf sich warten, doch Evelyn ist bereits hellwach. Sie wünscht sich schon lange, den heiligen Berg, »Ágion Óros«, vom Schiff aus zu betrachten. Warum? Das weiß sie nicht genau. In der Bibliothek, in der sie in der Jugendabteilung arbeitet, gibt es einen Bildband über den Athos. In ihren Pausen hält sich Evelyn gerne bei der Reiseliteratur auf und blättert in dem Band. Dabei überkommt sie eine tiefe Ruhe.

Die Fahrbahn aus der Stadt hinaus ist frei, der Fahrer erhöht das Tempo. Evelyn ist es recht, sie kann kaum erwarten, am Schiffanleger in Ouronopolis anzukommen. Im Reisebüro hatte man ihr nicht versprechen können, ob noch ein Touristenschiff um den Athos fährt, es ist bereits Ende September. Der Busfahrer stellt das Radio an, Unterhaltungsmusik. Theodorakis wäre mir lieber, denkt Evelyn. Ein Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie noch einige Zeit im Bus ausharren muss.

Endhaltestelle. Evelyn eilt durch ein paar Gassen zum Hafen. Keine Taverne, kein Kiosk ist geöffnet. Fischerboote schaukeln träge auf dem Wasser, ein Mann ordnet seine Netze. Evelyn fragt ihn nach einem Schiff um den Berg Athos. Er schüttelt den Kopf. Nichts Gutes ahnend geht sie zu der einzigen Bretterbude weit und breit. Die Tür ist verschlossen. Evelyn entdeckt einen Zettel mit Abfahrtszeiten und Ortsnamen für den Monat August.

Enttäuscht verlässt sie den kleinen Hafen. Keine Touristen sind unterwegs, die Saison ist vorbei. Ziellos läuft sie durch die kleinen Straßen und nimmt kaum die Blumenkübel mit den leuchtenden Blüten wahr. Eine Katze windet sich durch einen Türspalt und lässt sich an einer sonnenbeschienenen Stelle nieder. Der Berg ist allgegenwärtig. Nichts scheint natürlicher, als die niedrigen Wohnhäuser hinter sich zu lassen und den Berg hinaufzusteigen. Doch die unsichtbare Grenze ist spürbar. Evelyn bleibt stehen, als wäre vor ihr ein Gitter. Sie setzt sich auf eine Bank, schließt die Augen und hält ihr Gesicht in die Sonne. Nach einer Weile lässt sie ihren Blick umherschweifen. Von der Anhöhe nähert sich ein Mann im schwarzen Mönchsgewand und setzt unten seinen Weg fort. Ohne zu wissen weshalb, folgt Evelyn dem Mönch unwillkürlich mit einigem Abstand, sie folgt ihm bis zum Hafen. Plötzlich lautes Rufen, lebhaft winkt ihr der Fischer auf dem Boot zu und zeigt aufs Meer. Ein Schiff, nicht allzu weit entfernt, mit einer Gruppe Menschen auf dem Deck. Spontan rennt Evelyn zum Anleger, deutet auf den Berg Athos, auf sich. Macht mit Armen und Händen eine Bewegung, die das Schiff zu ihr hinziehen soll. Wiederholt diese Bewegung, ihre Hände scheinen nach dem Schiff greifen zu wollen.

Unter den Reisenden drängt sich ein Mann im schwarzen Anzug zur Reling. Wie in Zeitlupe hebt er einen Arm und winkt. Evelyns Atem stockt, er winkt tatsächlich in ihre Richtung. Noch heftiger wiederholt sie mit Armen und Händen ihre Bewegung zum Schiff und dann zu sich hin. »Athos!«, schreit sie über das Meer. Endlich: das Schiff drosselt das Tempo, wird langsamer und fährt rückwärts auf den Anleger zu. Evelyn meint zu träumen, Hände greifen nach ihr, ziehen sie aufs Deck. »Athos«, stammelt sie zu dem Mann im schwarzen Anzug. Er klopft ihr wohlwollend auf die Schulter.

Ein junges Mädchen erklärt Evelyn, dass sie sich inmitten einer Touristengruppe befindet, die mit ihrem Priester eine Ägäisrundreise machen. Von Thessaloniki aus sind sie heute früh mit dem kleinen Schiff aufgebrochen. Neben dem jungen Mädchen ist Platz. Jemand drückt Evelyn ein Glas Wasser in die Hand. Sie trinkt, kann ihr Glück kaum fassen, es doch noch geschafft zu haben. Das Schiff setzt seine Fahrt fort, das gleichmäßige Stampfen des Motors klingt in Evelyns Ohren schöner als einschmeichelnde griechische Musik.

Ein Lautsprecher kratzt, der Priester spricht in ein Mikrofon, und das junge Mädchen übersetzt ins Englische: Der Ágion Óros wurde 963 unter kaiserlichen Schutz gestellt und für Mönche reserviert. Seitdem ist Frauen und weiblichen Haustieren der Zutritt untersagt. Lachen in der Reisegruppe, jemand fragt, wie sich die Tiere denn fortpflanzen? Der Priester zuckt die Schultern und fährt fort. Im Laufe der Jahrhunderte wurden 40 orthodoxe Klöster errichtet, von denen heute noch ungefähr 20 bewohnt sind. Aus einem altmodischen Tonbandgerät neben dem Priester tönt feierlicher Mönchsgesang. Evelyn betrachtet ein Kloster, das am Rand einer Klippe errichtet wurde, lässt ihren Blick schweifen, ob nicht hinter Baumgruppen ein weiteres Kloster zu erkennen ist. Sie legt den Kopf in den Nacken. Ein 2000 Meter hoher Berg, der täglich mit einem Kokon aus meditativem Singen umwoben wird. Wochen und Monate reihen sich zu Jahren, Jahrzehnte zu Jahrhunderten. Ein Berg, erhaben über Friedens- und Kriegszeiten, ein unverrückbarer Monolith in Zeiten sich wandelnder Ländergrenzen.

Der Priester unterbricht den Gesang, weist auf Einsiedeleien in Felsen, in denen Mönche leben, die sich von der Außenwelt ganz zurückgezogen haben. Er schweigt, und es erklingen Gesänge zu Ehren Marias.

Der Athos ist als Garten der Panagia, der Maria, geweiht, erinnert sich Evelyn an ihre Athoslektüre. Vor ihrem inneren Auge erscheint die Ikone eines Frauengesichts mit leicht geneigtem Kopf und in sanfter Haltung erhobenen Händen. Das Gold der Ikone wird dunkler. Ein innerer Film läuft in Evelyn ab: Eine hügelige Landschaft im Mondlicht, auf einem schmalen Weg eilen ein Mönch und mehrere Frauen. Während des Bürgerkriegs in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gewährte der Athos verfolgten Frauen Asyl. Mönche, die vom Geist der Panagia und ihren sanft aneinander gehaltenen Hände erfüllt sind, strecken die eigenen Hände verfolgten Frauen entgegen, weisen ihnen mit einladender Handbewegung ein Versteck zu. Frauen, einzeln, zu mehreren, kauern tagsüber in Klosternischen. Doch nachts, wenn die Mönche sich in den Kapellen zur Andacht versammeln, verlassen die Frauen ihr Versteck, schauen verstohlen durch Fenster in die Kapelle. Spärliche Beleuchtung, Flammen der Öllampen und Kerzen reflektieren im Gold der Ikonen. Gesänge und Gebete, die ganze Nacht hindurch.

Das junge Mädchen stößt Evelyn an und deutet auf ein Kloster. Evelyn flüstert ihr ins Ohr, ob sie wisse, dass das Schiff so weit vom Ufer entfernt fahren müsse, weil Frauen auf dem Schiff sind. Beide lachen.