Grosse Erneuerung der Wissenschaften (Novum Organon) - Francis Bacon - E-Book

Grosse Erneuerung der Wissenschaften (Novum Organon) E-Book

Francis Bacon

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Beschreibung

Das Novum Organum, auch Neues Organon, ist das wissenschaftstheoretische philosophische Hauptwerk von Francis Bacon, das in Latein verfasst und 1620 in England veröffentlicht wurde. Es gilt als Wendepunkt in der Kulturgeschichte zwischen mittelalterlichem Denken und neuzeitlicher methodischer Forschung, die auf Fortschritt und damit Gemeinwohl ausgerichtet ist. Als Idolenlehre wird das in diesem Werk von Francis Bacon 1620 entwickelte erkenntniskritische Konzept des Empirismus bezeichnet. Mit diesem Vorgehen sollen Trugschlüsse und naive Naturverständnisse vermieden werden. Im wissenschaftlichen Sinne sollen die Ereignisse kognitiv geordnet werden mit dem Ziel die Welt zu verstehen und Regeln zu entwickeln. (aus wikipedia.de)

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Große Erneuerung der Wissenschaften

Instauratio Magna Novum Organum, sive Indicia vera de interpretatione naturae

Francis Bacon

Inhalt:

Francis Bacon – Biografie und Bibliografie

Große Erneuerung der Wissenschaften

Ansichten und Erwägungen

Widmung.

Vorrede.

Die Eintheilung des Werkes.

Der erste Theil

Der zweite Theil

»Neue Organon«

Vorrede.

Das Wesentliche des zweiten Theiles

Kurze Sätze

Erstes Buch.

Zweites Buch.

Große Erneuerung der Wissenschaften , F. Bacon

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849605452

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Francis Bacon – Biografie und Bibliografie

Viscount von St. Albans und Baron von Verulam, gewöhnlich Baco von Verulam genannt, einer der bahnbrechenden Geister im Gebiet wissenschaftlicher Forschung, geb. 22. Jan. 1561 in London, gest. 9. April 1626 in Highgate, bezog schon im 14. Lebensjahr die Universität Cambridge, ging im Gefolge des englischen Gesandten nach Paris, wurde durch den Tod seines Vaters (1579) nach England zurückgerufen und genötigt, sich einem Beruf zuzuwenden. Er widmete sich den Geschäften eines Rechtsanwalts, wurde zum außerordentlichen Rat der Königin ernannt und 1595 in das Haus der Gemeinen gewählt. Er hatte an Graf Essex einen Freund und Gönner, der ihn auch materiell unterstützte. Als derselbe beim Hof in Ungnade fiel, übernahm B. die Ausarbeitung der Klagschrift wider ihn. Später verteidigte er dies sein Verfahren in einer Apologie damit, dass er als Kronanwalt dazu verpflichtet gewesen sei. Erst Jakob I. wendete B. seine launenhafte Gnade zu, erteilte ihm noch im Jahr seiner Thronbesteigung (1603) die Ritterwürde und ernannte ihn zum Dank für geleistete Dienste zum königlichen Rat. Sein schriftstellerischer Ruf, sein Glück als Sachwalter und seine Ergebenheit gegen den allgewaltigen Herzog von Buckingham erhoben ihn in der Gunst des Hofes immer höher und schließlich (1619) zum Lord-Kanzler. Zum Peer des Reiches ernannt, erhielt er den Titel eines Barons von Verulam und 1620 den eines Viscount von St. Albans. Dagegen wurde er 1621 vor der Peerskammer der Bestechlichkeit angeklagt, zu einer Geldbuße von 40,000 Pfd. Sterl., zur Einkerkerung in den Tower verurteilt und für unfähig erklärt, ein Staatsamt zu bekleiden oder im Parlament zu sitzen. B war nicht unschuldig, obgleich das, was man ihm mit Recht zur Last legen konnte, d. h. das Annehmen von Geschenken im Amt als Richter nach entschiedener Sache, und wohl Schlimmeres als er selbst begangen, damals in England allgemein üblich war. Der König schenkte ihm nach wenigen Tagen seine Freiheit wieder, erließ ihm die Geldstrafe und bewilligte ihm sogar eine Pension. Karl I. begnadigte ihn völlig; auch ins Parlament wurde B. wieder gewählt, doch war er nicht wieder öffentlich tätig, lebte vielmehr die letzten Jahre ganz der Wissenschaft. Er starb auf einer Reise im Landhaus des Grafen von Arundel zu Highgate an einer Erkältung, die er sich bei einem Experiment mit Schnee zugezogen hatte.

B. sah es als Aufgabe der Wissenschaft an, die Macht des Menschen über die Natur zu erweitern. Neue Erfindungen, wie die der Buchdruckerkunst, des Schießpulvers, des Kompasses, haben die Kultur vielfach verändert; um in dieser Weise fortzufahren, dazu hat die Wissenschaft den Weg zu zeigen. Damit sie das leiste, was sie sollte, muss sie von allem Aberglauben, von Vorurteilen, auch von religiösen, gereinigt werden, so dass der Geist die Dinge so auffasst, wie sie wirklich sind. Dazu ist eine neue Methode im Gegensatze zu der aristotelisch-scholastischen, d. h. syllogistischen, nötig. Namentlich muss sich die Physik vor der Metaphysik hüten. Die Erfahrung ist aller Wissenschaft, auch der Philosophie, zu Grunde zu legen, indem man von Beobachtungen ausgeht und Experimente anstellt. B. ist nicht der Begründer der neuern empirischen Methode, namentlich nicht auf dem Gebiete der Naturwissenschaft; er hat sie aber prinzipieller betont, auch für die Spekulation, und weiter ausgeführt als andre, z. B. Telesius, Galilei, vor ihm und zu seiner Zeit. Um durch die Tat zu beweisen, dass alle Wissenschaften von ein und demselben methodischen Geist beseelt werden müssten, unternahm er es, das ganze Gebiet des menschlichen Wissens nach allen seinen Seiten hin zu bearbeiten und ebenso den Umfang und die Methode jeder einzelnen Wissenschaft zu bestimmen, wie den gegenseitigen Zusammenhang aller und die sie durchdringende Einheit der Idee darzutun. Diesen Plan wollte er verwirklichen in dem Gesamtwerk: »Instauratio magna«. In ihrem ersten Teile: »De dignitate et augmentis scientiarum« (engl., Lond. 1605; lat., das. 1623 u. ö.; deutsch von Pfingsten, Pest 1783, 2 Bde.), gab er eine Generalübersicht der wissenschaftlichen Disziplinen (den »Globus intellectualis«), eine Art Entwurf einer Universalenzyklopädie. Hieran schloß sich die zweite Schrift an: »Novum organum« (Lond. 1620, 2 Bde.; engl., Leiden 1650, und sehr häufig später; deutsch von Bartholdy, Berl. 1793, 2 Bde.; Brück, Leipz. 1830; Kirchmann, Berl. 1870), schon nach dem Titel im Gegensatze zu Aristoteles stehend, recht eigentlich eine Methodologie der Wissenschaften. In weitern Teilen sollte die Darstellung der Wissenschaften selbst und ihre Anwendung zu Erfindungen folgen; dazu hat B. nur einzelne Beiträge geliefert, namentlich die »Sylva sylvarum«, auf die Naturgeschichte bezüglich und nach seinem Tod erst veröffentlicht. Bacons Einteilung der Wissenschaften, die noch d'Alembert seiner großen Enzyklopädie zu Grunde legte, beruht auf einem richtigen Gedanken. Er geht von der Ansicht aus, der oberste Teilungsgrund müsse durch die Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens bestimmt werden. Da er nun bei dem letzteren nur Gedächtnis, Phantasie und Vernunft unterscheidet, so weist er dem ersten die Geschichte, der zweiten die Poesie, der dritten die Philosophie zu. Weil die Poesie nicht unter die Wissenschaften gezählt werden kann, so kennt er von letzteren nur zwei Gattungen: geschichtliche und philosophische Wissenschaften. Die Philosophie teilt er dann wieder in die Lehre von Gott, von der Natur und vom Menschen. Die Lehre von Gott beschränkt er lediglich auf Bestreitung und Widerlegung des Atheismus und auf Erforschung des Gesetzes der Natur und schließt von ihr die Feststellung der Religionswahrheiten als über aller Erfahrung liegend und der Offenbarung, die keine Wissenschaft mehr sei, angehörig aus. Die Philosophie der Natur teilt B. in die spekulative (Physik und Metaphysik) und operative (Mechanik, natürliche Magie und Technologie). Die Lehre von dem Menschen wird durch eine Abhandlung von der Natur und dem Stande des Menschen überhaupt eingeleitet und dann in philosophia humanitatis oder philosophia civitatis geschieden. Bedeutungsvoller[238] als diese Einteilung der Wissenschaften waren für jene Zeit die Fingerzeige, die B. in seiner Methodologie (im »Organon«) über das Studium der Naturwissenschaften gab. Die herkömmliche Logik mit ihrer Syllogistik führe nur zu Begriffs- und Schulstreitigkeiten, nie zum Finden der Wahrheit und sei namentlich in den Naturwissenschaften durchaus unbrauchbar, wo wir Wahrheit finden sollen, indem wir die Natur interpretieren, aber nicht, indem wir sie mit unserm Denken antizipieren. Um die Natur auszulegen, ist es nötig, sich zuerst aller falschen Vorstellungen und Vorurteile (Idole, Trugbilder) zu entledigen, die aus der Natur des Menschengeschlechts oder des einzelnen Menschen, nicht aus der Natur der zu erkennenden Objekte fließen. Die einzig richtige Methode zur Erkenntnis der Natur ist dann die Induktion, wie die Erfahrung die einzige verlässliche Erkenntnisquelle. Objekt der Induktion aber ist weder die Materie noch die sogen. wirkende Ursache, sondern der Prozess oder vielmehr das (Natur-) Gesetz, durch das dieser beherrscht wird. Die Anwendung dieses Grundsatzes unterscheidet die neuere Physik von der älteren. Wenn auch B. als Methodiker von hervorragender Bedeutung ist, so sind doch alle Großtaten der neuern Erfahrungswissenschaft entweder schon vor seiner Epoche vollzogen oder ihm gleichzeitig, aber nicht von ihm beeinflusst. Die Entdeckung des Kopernikus erkannte er sogar nicht an und war misstrauisch gegen die Mathematik. Die vielfach auf Moral und Politik sich beziehenden Essays erschienen zuerst 1595 in der Zahl von 10, in 3. Auflage 58 an Zahl, im Jahre 1625, neuerdings herausgegeben von Whately (6. Aufl., 1864), von F. Storr und C. H. Gibson (1885), Reynolds (1890), ins Deutsche übertragen mit der »Weisheit der Alten«, von Fürstenhagen (Leipz. 1884); ins Lateinische übersetzt von Walter Raleigh (»Sermones fideles«, 1638). Die »Nova Atlantis«, eine Allegorie, beziehen einige auf die Freimaurerei. Tiefe Blicke in die Mythologie und den Geist des Altertums tut er in der »Sapientia veterum«. Gesamtausgaben seiner Schriften veranstalteten Bacons Sekretär Rawley (Amsterd. 1663, 6 Bde., abgedruckt Frankf. a. M. 1665), Mallet (Lond. 1740, 4 Bde.; 1765, 5 Bde.), am besten Ellis, Spedding und Heath (das. 1857–74, 14 Bde.; davon 7 Bde. Briefe und Biographie). Eine tiefgehende, jedoch nicht parteilose Charakteristik Bacons gab Macaulay in seinen »Essays«; Lasson (»Über Bacons wissenschaftliche Prinzipien«, Berl. 1860) und Liebig in seiner Rektoratsrede (»Über B. und die Methode der Naturforschung«, Münch. 1863) haben die übertriebene Hochschätzung Bacons auch vom Standpunkte der Naturforschung ermäßigt. Vgl. Kuno Fischer, Francis B. und seine Nachfolger (2. Aufl., Leipz. 1875); Bamberger, Über B. v. V. besonders vom medizinischer. Standpunkt (Würzb.1865); Spedding, Account of the life and times of Lord B. (Lond. 1879, 2 Bde.); Abbott, Francis B. (das. 1885); kürzere Biographien von Fowler (das. 1883) und Nichol (2.Aufl., 1901, 2 Bde.); H. Heußler, F. B. und seine geschichtliche Stellung (Bresl. 1889).

Große Erneuerung der Wissenschaften

Ansichten und Erwägungen

deren Kenntniss die Zeitgenossen wie die Nachkommen interessiren wird.

Als ich erkannte, dass der menschliche Geist sich unnöthige Arbeit macht und die wahren Hülfsmittel, wie sie dem Menschen zu Gebote stehen, nicht maassvoll und geschickt gebraucht, so dass vielfache Unwissenheit und zahllose Schäden die Folge davon sind, glaubte ich mit aller Kraft dahin streben zu müssen, dass der Verkehr zwischen dem Geist und den Dingen, von denen sich kaum etwas Aehnliches auf Erden oder in irdischen Dingen zeigt, wieder rein hergestellt oder wenigstens verbessert werde.

Dass die Irrthümer, welche sich eingeschlichen haben und noch fort und fort einschleichen werden, sich einer durch den andern, wenn der Geist sich selbst überlassen bleibt, berichtigen werden, sei es durch die eigene Kraft des Verstandes oder durch die Hülfsmittel und Rathschläge der Dialektik, dazu ist keine Hoffnung vorhanden, weil die nächsten Begriffe der Dinge, welche der Geist beim ersten Griff schnell aufnimmt, dann bewahrt und anhäuft, und von denen alles Andere sich ableitet, fehlerhaft, verworren und leichthin von den Dingen abgenommen sind, und weil in den höheren und weiteren Begriffen die gleiche Willkür und Unbeständigkeit herrscht. Deshalb ist das ganze Verfahren, dessen man sich zur Erforschung der Natur bedient, nicht gut gebildet und eingerichtet und gleicht mehr einem prächtigen Aufbau ohne feste Grundlage. Während die Menschen die falschen Kräfte des Geistes bewundern und preisen, übersehen und verderben sie die, welche es wahrhaft sein könnten, wenn dem Geist die nöthige Hülfe gewährt würde und er selbst den Dingen sich fügte, statt ohnmächtig ihnen Zwang anthun zu wollen.

Es blieb also nur übrig, die Aufgabe von Neuem mit besseren Hülfsmitteln zu beginnen und von den richtigen Grundlagen aus eine allgemeine Erneuerung der Wissenschaften und Künste, sowie aller menschlichen Lehren zu beginnen. Wenn dies unternehmen auch im Beginn unermesslich und die menschlichen Kräfte zu übersteigen scheint, so wird es sich doch bei der Ausführung als gesunder und maassvoller wie alles bis jetzt Geleistete ergeben. Denn hier sieht man ein Ziel ab; bei der Weise aber, wie jetzt die Wissenschaften behandelt werden, dreht sich Alles im Kreise und besteht ein ewiges Schwanken.

Auch weiss ich wohl, wie einsam ich mit solchem Unternehmen stehe, und wie schwer und unwahrscheinlich es ist, hier Zutrauen zu gewinnen. Trotzdem mag ich weder den Gegenstand noch mich selbst aufgeben, und ich will den Weg versuchen und betreten, auf dem allein der Geist weiter kommen kann. Es ist besser, mit einer Sache zu beginnen, die zum Ziele führen kann, als solchen Dingen, die zu keinem Ende führen, fortwährend Kraft und Eifer zuzuwenden.

Die Wege der Betrachtung entsprechen jenen Wegen des Lebens, von denen die Dichter gesungen haben: der eine beginnt steil und mühsam und endigt eben; der andere scheint anfangs glatt und leicht, aber führt auf Abwege und in Abgründe.

Da ich nicht wusste, wann solche Gedanken wie diese von Jemand Anderem aufgenommen werden würden, und da ich bis jetzt Niemand getroffen habe, der sein Nachdenken hierauf gerichtet hätte, so entschloss ich mich, das Erste, was ich hierüber zu Stande bringen würde, zu veröffentlichen. Nicht der Ehrgeiz, sondern die Sorge treibt mich so zur Eile; denn sollte mir etwas Menschliches begegnen, so bliebe dann doch eine Andeutung und Bezeichnung der Aufgabe, die ich mir gestellt habe, zurück und zugleich ein Zeichen meiner ehrlichen, auf das Beste des menschlichen Geschlechts gerichteten Absichten. Allerdings ist mir ein gewisser, wenn auch untergeordneter Ehrgeiz aus dieser Arbeit erwachsen. Denn entweder ist der Gegenstand, um den es sich hier handelt, Nichts, oder er ist so gross, dass er den Lohn in sich selbst trägt, und man ihn nicht anderwärts zu suchen braucht.

Widmung.

Seinem Allerhöchsten, Grossmächtigsten

Fürsten und Herrn

Jacob, durch Gottes Gnade Könige von Grossbritannien, Frankreich und Irland, Vertheidiger des Glaubens u.s.w.

Allergnädigster, Grossmächtigster König!

DeineMajestät könnte vielleicht mich des Diebstahls beschuldigen, weil ich die zu diesem Werke nöthige Arbeit Deinem Dienst entzogen habe. Ich weiss darauf nichts zu sagen; denn die verflossene Zeit ist unwiederbringlich. Vielleicht ist, was an Zeit Deinem Dienst entzogen worden, dem Andenken Deines Namens und dem Ruhme Deines Jahrhunderts zugelegt worden, sofern nämlich diese Arbeit einigen Werth hat. Sie ist wenigstens neu; selbst der ganzen Art nach, obgleich sie von einem sehr alten Exemplar abgeschrieben worden, nämlich von der Welt selbst und von der Natur der Dinge und des menschlichen Geistes. Ich wenigstens, wie ich offen gestehen will, halte das Werk mehr für eine Geburt der Zeit als des Geistes. Nur das Eine ist daran wunderbar, dass der Gedanke dazu und der Verdacht gegen alles bis jetzt für wahr Gehaltene Jemand hat beikommen können. Alles Andere ergiebt sich dann leicht. Es waltet unzweifelhaft der Zufall, wie man sagt, oder ein Ungefähr sowohl in dem, was die Menschen denken, als in dem, was sie thun und sprechen. Diesen Zufall, wie ich es nennen will, möchte ich aber so verstanden haben, dass, wenn in dem, was ich hier darbringe, etwas Gutes enthalten ist, es der unermesslichen Gnade und göttlichen Liebe und dem Glücke Deiner Zeiten zugeschrieben werde. Dir habe ich in meinem Leben mit reinster Hingebung gedient, und wenn ich todt bin, habe ich es vielleicht erreicht, dass diese Zeiten den Nachkommen glänzend voranleuchten, nachdem diese neue Fackel für die in der Philosophie herrschende Finsterniss angezündet worden. Mit Recht verdient die Zeit des weisesten und gelehrtesten Königs diese Wiedererzeugung und Erneuerung der Wissenschaften.

Es bleibt mir noch eine Bitte, welche Deiner Majestät nicht unwerth und für das Unternehmen von höchster Bedeutung ist. Sie geht dahin, dass Du, der Du Salomo in so Vielem, in dem Ernst Deiner Urtheile, in dem Frieden Deiner Herrschaft, in der weit reichenden Milde Deines Herzens, in der edlen Mannichfaltigkeit der von Dir verfassten Bücher gleichst, auch darin noch dem Beispiel jenes Königs nachfolgest, dass Du für die Ausarbeitung und Vollendung jener auf Versuche sich stützenden Naturbeschreibung sorgest, jener wahren und strengen, unter Fernhaltung der Sprachgelehrten, welche die Unterlage der Philosophie bildet, und welche ich an ihrem Orte näher beschreiben werde; damit endlich nach so vielen Jahrhunderten Philosophie und Wissenschaft nicht mehr in den Lüften schweben, sondern sich auf die sicheren Grundlagen einer Alles umfassenden und wohldurchdachten Erfahrung stützen. Ich habe das Werkzeug dargeboten; der Inhalt muss aber von den Dingen selbst entnommen werden.

Möge der gnädige und allgütige Gott Deine Majestät noch lange unversehrt erhalten.

DeinerErhabenen Majestät

treuester und unterthänigster Knecht

Franz Verulam,

Kanzler.

Vorrede.

Ueber die ungünstige, nicht fortschreitende Lage der Wissenschaften; es muss ein durchaus anderer, bisher nicht gekannter Weg dem menschlichen Verstande eröffnet, und andere Hülfsmittel müssen beschafft werden, damit der Geist von seinem Rechte gegen die Natur Gebrauch machen kann.

Die Menschen scheinen weder ihre Mittel noch ihre Kräfte richtig zu kennen; von jenen halten sie mehr, von diesen weniger, als recht ist. So kommt es, dass sie entweder die vorhandenen Künste sinnlos überschätzen und nichts über sie hinaus verlangen, oder dass sie sich selbst mehr als billig verachten, ihre Kräfte auf unbedeutende Dinge verwenden und in den wichtigsten nicht versuchen. So sind ihren Wissenschaften gleichsam Säulen vom Schicksal gesetzt, über die hinauszukommen man weder das Verlangen noch die Hoffnung hat. Aber eingebildeter Reichtum ist eine Hauptursache der Armuth und die Zuversicht auf das Gegenwärtige lässt die wahre Hülfe für die Zukunft vernachlässigen. Deshalb ist es zweckmässig, ja nothwendig, dass hier an der Schwelle meines Werkes ohne Umschweife und im Ernste alles Uebermaass von Ehrfurcht und Bewunderung vor den bisherigen Entdeckungen aufhöre, und dass die nützliche Ermahnung ergehe, man möge dessen Menge und Nützlichkeit nicht übertreiben noch übertrieben rühmen. Denn schaut man genauer in jene bunte Reihe der Bücher von denen Künste und Wissenschaften strotzen, so wird man finden, dass darin überall dasselbe ohne Ende wiederholt wird, wobei nur die Art der Behandlung wechselt aber an Erfindung nichts Neues hervorkommt. So meint man bei dem ersten Blick Vieles zu besitzen, aber bei der Prüfung schmilzt es zu Wenigem zusammen. Und im Punkt der Nützlichkeit muss man offen gestehen, dass jene Weisheit, die wir hauptsächlich von den Griechen empfangen haben, eine kindische Wissenschaft ist und mit den Kindern das Eigenthümliche theilt, dass sie geschickt zum Schwätzen macht, aber unfähig und unreif zum Erzeugen ist. Sie ist fruchtbar an Streitfragen, aber unfruchtbar an Werken, so dass die Fabel von der Scylla genau auf den jetzigen Zustand der Wissenschaften passt, die das Gesicht und den Mund einer Jungfrau zeigte, aber deren Leib bellende Ungeheuer umgürteten und behingen. So haben auch Wissenschaften, an die wir uns gewöhnt, einige schmeichelnde und zierliche Allgemeinheiten; kommt man aber zu dem Besonderen, gleichsam zu den Zeugungstheilen aus denen die Frucht und das Werk hervortreten soll, dann beginnt der Streit und der bellende Zank, in dem sie verlaufen, und welche die Stelle der Geburt vertreten. Wären diese Wissenschaften nicht eine völlig abgestorbene Sache, so durfte es wenigstens nicht dazu kommen dass sie Jahrhunderte hindurch nicht von der Stelle rückten und keinen des Menschengeschlechts würdigen Zuwachs erhielten, wie dies geschehen ist. Dies geht so weit, dass nicht blos Behauptungen oft nur Behauptungen bleiben, sondern Fragen nur Fragen, und dass alle Erörterungen sie nicht lösen, sondern befestigen und unterhalten; ja dass die ganze Ueberlieferung und Folge der Wissenschaften nur Lehrer und Schüler zeigt, aber keinen Erfinder und Keinen, der den vorhandenen Erfindungen etwas hinzugefügt hätte.

In den mechanischen Künsten sehen wir dagegen das Entgegengesetzte geschehen; gleich als wären sie eines Lebensodems theilhaftig, vermehren und vervollkommnen sie sich täglich. Bei dem ersten Erfinder erscheinen sie meist roh, ziemlich schwerfällig und unförmlich; aber später gewinnen sie immer neue Vortheile und werden bequemer, und es möchten eher die Wünsche und Neigungen der Menschen erloschen oder sich ändern, als dass jene zum Gipfel ihrer Vollkommenheit gelangten. Die Philosophie dagegen und die höheren Wissenschaften werden den Götterbildern gleich zwar verehrt und gefeiert, aber nicht vorwärts gebracht. Wenn sie auch mitunter bei ihrem ersten Begründer sich kräftig zeigen, so arten sie doch später aus. Denn nachdem die Menschen sich in fremde Gewalt gegeben haben und auf die Worte eines Mannes gleich den Senatoren ohne Stimmrecht schwören, geben sie den Wissenschaften keine Erweiterung mehr, sondern mühen sich nur, gewisse Autoren zu preisen und in niedrigem Dienst zu umstehen. Man wende mir nicht ein, dass die Wissenschaften allmählich gewachsen und zuletzt eine gewisse Selbstständigkeit gewonnen haben, so dass endlich in den Werken weniger Männer ihnen feste Sitze hätten bereitet werden können (gleichsam als hätten sie den gesetzlichen Zeitraum vollendet). Man sage nicht, dass, weil etwas Besseres sich nicht mehr erfinden lasse, so bleibe nur übrig, das bereits Gefundene auszuschmücken und zu pflegen.

Man möchte freilich wünschen, dass es sich so verhalten hätte. Aber das Richtigere und Wahre ist, dass diese Entlassung der Wissenschaften zur Selbstständigkeit nichts weiter ist als ein Zustand, der aus dem Selbstvertrauen Einiger und aus der Sorglosigkeit und Trägheit aller Uebrigen hervorgegangen ist. Nachdem die Wissenschaften vielleicht in einzelnen Schulen mit Fleiss angebaut und behandelt worden waren, hat sich ein verwegener Geist erhoben, dessen verständlicher Vortrag gefiel und gefeiert wurde, und der nur dem Scheine nach eine Kunst schuf, in Wahrheit aber die Arbeit der Früheren verdarb. Allein den Späteren war das ganz recht; es erleichterte ihre Arbeit, und Ekel und Ungeduld hielten sie von neuen Untersuchungen zurück. Beugt sich Jemand dieser eingewurzelten Einstimmigkeit als dem Urtheile des Zeitalters, so stützt er sich auf einen sehr trügerischen und schwachen Grund. Denn es ist zum grossen Theil uns unbekannt, was in den Wissenschaften und Künsten in verschiedenen Jahrhunderten und Ländern erreicht und dem Publikum mitgetheilt worden, und noch weniger wissen wir, was die Einzelnen versucht und im Stillen betrieben haben. Weder die richtigen, noch die Fehl-Geburten der Zeit sind in den Jahrbüchern verzeichnet. Auch die Einstimmigkeit und ihre lange Dauer ist von keiner grossen Bedeutung; denn so vielerlei Staatsverfassungen es auch geben mag, so gilt in den Wissenschaften doch nur eine, und diese ist immer der Freistaat gewesen und wird es bleiben. Bei der Menge galten freilich am meisten die streitsüchtigen und kampflustigen oder die schön gefassten aber inhaltslosen Lehren, welche die Zustimmung entweder mit dem Streit sich erzwingen oder mit Süssigkeiten sich erschmeicheln. Daher haben die grössten Geister zu allen Zeiten Gewalt erlitten, während Männer von selbst guter Fassungsgabe und Einsicht sich um ihres Rufes willen dem Urtheile der Menge und der Zeit beugten. Kamen irgendwo tiefere Betrachtungen zufällig zum Vorschein, so wurden sie von dem Sturme der öffentlichen Meinung vertrieben und verlöscht. Die Zeit hat, wie der Strom, nur das Leichte und Aufgeblasene uns zugeführt, das Schwere und Feste aber versinken lassen.

Selbst jene Autoren, die eine Art Diktatur in den Wissenschaften sich angemasst haben und mit so viel Zuversicht über die Dinge absprechen, gehen doch von Zeit zu Zeit in sich und beklagen sich über die Feinheit der Natur, über die Schlupfwinkel der Wahrheit, über die Dunkelheit der Gegenstände, über die Verwickelung der Ursachen und über die Schwäche des menschlichen Geistes. Aber deshalb werden sie nicht bescheidener; denn sie beschuldigen lieber die allgemeine Natur der Menschen und Dinge, als dass sie sich selbst für schuldig bekennen. Vielmehr gilt es bei ihnen als ein feierlicher Grundsatz, dass das, was eine Kunst nicht erreicht hat, für diese auch unmöglich sei. Aber die Kunst kann nicht verurtheilt werden, wo sie selbst streitet und das Urtheil spricht; man will damit nur die Unwissenheit noch von der Schande befreien.

Mit dem, was bisher gelehrt worden und gegolten hat, verhält es sich ungefähr so, dass die Leistungen unfruchtbar, die Streitfragen aber zahllos sind; die Fortschritte geschehen langsam und schwach; dem Ganzen giebt man den Schein der Vollkommenheit, aber im Einzelnen kann man nicht Wort halten; man sucht nach beliebten Sätzen; aber sie bleiben den Urhebern verdächtig und werden deshalb durch mancherlei Kunststücke vertheidigt und prahlerisch hervorgehoben. Selbst Die, welche es selbstständig versuchten, den Wissenschaften sich zu ergeben, und ihre Grenzen zu erweitern sich entschlossen, haben es nicht gewagt, von dem Hergebrachten ganz abzuweichen und die Quellen der Dinge aufzusuchen; vielmehr meinten sie schon Grosses geleistet zu haben, wenn sie nur Etwas von sich selbst einschoben und hinzufügten. Vorsichtig überlegten sie, wie im Zustimmen die Bescheidenheit und in dem Vermehren die Freiheit bewahrt werden könne.

Aber indem so den Vorurtheilen und Gewohnheiten Rechnung getragen wird, schlägt solche gerühmte Mittelmässigkeit zum grossen Schaden der Wissenschaften aus. Denn wer die Autoren bewundert, der pflegt sie selten zu übertreffen, und man steigt gleich dem Wasser nicht höher hinauf, als man vorher herabgestiegen ist. Solche Leute verbessern deshalb wohl Einzelnes, aber kommen wenig vorwärts; sie verbessern, aber sie vermehren nicht.

Einzelne haben allerdings mit kühnem Muthe Alles von vorn angefangen; mit gewaltigem Anlauf haben sie gesucht, das Frühere niederzuwerfen und durch Zerstörung sich und ihrer Meinung Platz zu machen. Allein mit solchem Tumult ist wenig gewonnen worden; es lag ihnen nicht daran, die Philosophie und die Künste sachlich und durch Arbeit zu erweitern, sondern nur das Belieben zu wechseln und die Herrschaft über die Gemüther für sich selbst zu erobern. Dies hatte indess geringen Erfolg, da für die entgegengesetzten Irrthümer die Gründe meist dieselben sind. Wenn aber auch Einzelne fremder und eigener Vorurtheile sich entschlugen und die Freiheit begünstigten, um Andere für sich zu gewinnen, so war ihre Absicht zwar lobenswerth, aber ihre Kraft war zu schwach. Sie begnügten sich mit wahrscheinlichen Gründen und wurden so durch die entgegengesetzten Beweisgründe im Kreise herumgeführt; dabei schwächten sie durch ihr willkürliches Auswählen die Strenge der Untersuchung.

Dagegen findet man Niemand, der bei den Dingen selbst und bei der Erfahrung schuldigermassen verweilt hätte. Einzelne überliessen sich wohl den Wellen der Erfahrung und haben es beinah handwerksmässig getrieben; aber sie verfuhren bei der Erfahrung in herumirrender Weise und arbeiteten ohne feste Regel. Auch stellten die Meisten sich nur kleinliche Aufgaben; sie hielten es schon für ein Grosses, wenn sie nur irgend etwas Neues herausbrachten, und ihr Verfahren war ebenso schwächlich wie ungeschickt. Denn Niemand kann die Natur eines Gegenstandes durch diesen allein richtig und treffend erforschen; selbst nach einer Reihe mühsamer Versuche beruhigt man sich nicht, sondern findet, dass man weiter geben muss. Auch ist zu bedenken, dass der auf Versuche verwandte Fleiss gleich vom Anfange ab nur auf bestimmte Ziele in verkehrtem und unzeitigem Eifer bedacht gewesen ist. Man verlangte, ich mochte sagen, fruchtbringende, aber nicht lichtbringende Versuche; man folgte nicht dem Beispiele Gottes, der am ersten Tage nur das Licht erschuf und ihm einen ganzen Tag Zeit liess und an diesem Tage nichts Stoffliches hervorbrachte, sondern erst an den folgenden Tagen dazu überging. Wer aber den höchsten Werth auf die Dialektik legt, von da die zuverlässigsten Hülfsmittel für die Wissenschaften zu gewinnen hofft, der wird auch am sichersten und besten erkennen, dass dem menschlichen Geist mit Recht nicht vertraut werden kann, wenn man ihn sich selbst überlässt. Denn alle Medizin steht noch tiefer als das Uebel, und sie selbst ist nicht frei vom Uebel. Wenn auch die gebräuchliche Dialektik für die Geschäfte des Verkehrs und für die Künste, bei denen es auf Rede und Meinungen ankommt, ihren Nutzen haben mag, so bleibt sie doch von der Feinheit der Natur durch eine grosse Kluft geschieden. Indem sie dennoch nach dem greift, was sie nicht versteht, taugt sie mehr zur Ausbildung und Befestigung des Irrthums als zur Eröffnung einer Bahn für die Wahrheit.

Kurz, um das Gesagte zusammenzufassen, weder das Vertrauen auf Andere noch die eigene Anstrengung scheint bis jetzt den Menschen in Betreff der Wissenschaften zum Glück gereicht zu haben. Auch in den bis jetzt bekannten Beweisen, und Versuchen ist wenig Hülfe zu finden. Denn das Bauwerk des Weltalls erscheint in seiner Einrichtung dem es betrachtenden menschlichen Geiste wie ein Labyrinth; wie in diesem, so zeigen sich auch hier viel Ungewisse Wege, viel trügerische Aehnlichkeiten zwischen Dingen und Zeichen, viel schiefe und verwickelte Windungen und Verschlingungen der Eigenschaften. Dabei führt der Weg in dem unsicheren Lichte der Sinne, was bald aufleuchtet, bald sich verbirgt, fortwährend durch eine Unzahl von Erfahrungen und einzelnen Dingen. Selbst Die, welche sich, wie gesagt, zu Führern erbieten, verirren sich und vergrössern die Zahl der Irrthümer und der Irrenden. In so schweren Dingen ist an der eignen Kraft des menschlichen Verstandes wie an dem glücklichen Zufall zu verzweifeln. Denn wenn auch die Kraft des Geistes noch so ausgezeichnet ist und das Wagstück der Erfahrung noch so oft wiederholt wird, so führen sie doch nicht zum Siege. Vielmehr muss man die Spur am Faden festhalten, und der ganze Weg muss vom Beginn der ersten Sinneseindrücke ab in fester Weise gesichert werden.

Man verstehe das nicht so, als wenn in so vielen Jahrhunderten und mit so viel Arbeit gar nichts erreicht worden wäre. Die geschehenen Entdeckungen bereue ich nicht, und die Alten haben sich in dem, was vom Geist und dem reinen Nachdenken abhängt, als bewunderungswürdige Männer gezeigt. Aber so wie in frühem Jahrhunderten man bei der Schifffahrt den Weg nur nach den Sternen bestimmen konnte, sich an den Küsten des alten Kontinents halten musste und nur kleine und binnenländische Meere durchschneiden konnte, und wie, bevor der Ocean beschifft und die Länder eines neuen Welttheils entdeckt werden konnten, der Gebrauch der Magnetnadel als eines sichereren und zuverlässigeren Führers bekannt sein musste, so ist in ähnlicher Weise das bis jetzt in den Wissenschaften und Künsten Entdeckte nur derart, wie es durch Uebung, Nachdenken, Beobachtungen und Beweisführungen gefunden werden konnte, indem es den Sinnen näher steht und unter die gewöhnlichen Begriffe fällt; um aber zu dem Verborgeneren und Entfernteren in der Natur zu gelangen, ist nothwendig die Einführung eines besseren und vollkommeneren Gebrauchs und Wirkens des menschlichen Geistes und Verstandes erforderlich.

Ich wenigstens habe, erfüllt von der ewigen Liebe zur Wahrheit, mich auf die unsicheren und steilen Wege und Einöden begeben; gestützt und vertrauend auf die göttliche Hülfe, habe ich meine Seele aufrecht erhalten, sowohl gegen die Gewalt und die geordneten Schlachtreihen der Meinung wie gegen die eigenen und inneren Zweifel und Bedenken und gegen die Finsterniss in der Sache selbst und die Wolken und die mich umflatternden Bilder der Einbildungskraft, damit ich endlich zuverlässigere und sicherere Mittel der Erkenntniss der Mitwelt und den Nachkommen verschaffen könne. Sollte ich hierin etwas geleistet haben, so ist es nur durch die wahrhafte und gebotene Demüthigung des menschlichen Geistes möglich gewesen. Denn Alle, die vor mir den Künsten sich zuwendeten, haben nur ein Wenig auf die Dinge, die Beispiele und die Erfahrung geschaut und haben sofort, als wenn das Erfinden nur ein beliebiges Ausdenken wäre, ihren eignen Geist aufgerufen, um den Orakelspruch zu thun. Ich aber habe mich bescheiden und dauernd unter den Dingen selbst aufgehalten und habe meine Gedanken nur so lange von ihnen abgewendet, bis der Gegenstände Strahlen und ihr Bild, wie bei dem Gesichtssinn, in Eins fielen, wobei der Kraft und Schärfe des Geistes nicht viel zu thun übrig bleibt.

Diese in dem Auffinden geübte Bescheidenheit habe ich auch in der Darstellung festgehalten. Ich versuche nicht durch triumphirende Widerlegungen oder durch die Beihülfe des Alterthums, oder durch Anwendung der Autorität, auch nicht durch den Schleier der Dunkelheit meinen Entdeckungen ein besonderes Ansehen zu geben und zu verschaffen, obgleich das für Den nicht schwer gewesen sein würde, der das Licht nur über seinen Namen und nicht über die Geister Anderer hätte verbreiten wollen. Dem Urtheile der Menschen thue ich keine Gewalt an; ich hintergehe sie nicht, sondern führe sie zu den Dingen selbst und zu dem, was diese verbindet; damit sie selbst sehen, was sie haben, und sehen, was sie beweisen, was sie hinzufügen, und was sie zu dem Gemeinsamen beitragen können.

Sollte ich selbst aber irgendwo zu leichthin geglaubt oder gar eingeschlummert sein und zu wenig Acht gehabt haben, oder den Weg verfehlt, oder die Untersuchung abgebrochen haben, so habe ich doch die Sache so offen und nackt hingestellt, dass meine Versehen erkannt und beseitigt werden können, ehe sie eine tiefere Ansteckung in dem Inhalte der Wissenschaften verbreiten. Auch wird auf diese Weise meine Arbeit leichter und bequemer von Anderen fortgesetzt werden können. So glaube ich zwischen den beobachtenden und denkenden Seelenkräften, deren mürrische und unglückliche Scheidung und Trennung Alles in der menschlichen Familie gestört hat, eine wahre und rechtmässige Ehe für alle Zeiten begründet zu haben.

Da dies aber nicht in meinem Belieben steht, so richte ich bei dem Beginn dieses Werkes zu Gott dem Vater und Gott dem Sohn und Gott dem heiligen Geist das innigste und heisseste Flehen, dass sie der Noth des menschlichen Geschlechts und der Wanderungen in diesem Leben mit seinen wenigen und schlimmen Tagen gedenken mögen und in neuer Gnade sich erbarmen und durch meine Hände der menschlichen Familie eine Ausstattung bereiten lassen mögen. Auch bitte ich inständig, dass das Menschenwerk das göttliche Werk nicht verhüllen möge, und dass, wenn ich die Wege der Wahrnehmung eröffne und das natürliche Licht anzünde, daraus keine Ungläubigkeit und Verdunkelung der Geister für die göttlichen Mysterien hervorgehe; vielmehr soll der gereinigte Verstand, wenn er von Einbildungen und Eitelkeiten befreit worden, doch der göttlichen Offenbarung unterthan und gehorsam bleiben und dem Glauben geben, was des Glaubens ist. Endlich bitte ich Gott, dass, wenn die Wissenschaft von dem Gift, was die Schlange gegeben, und was den menschlichen Geist aufbläht und anschwellt, befreit worden, er uns nicht übermüthig und unmässig werden lasse, damit wir die Wahrheit in Liebe pflegen.

Nachdem ich mein Gebet beendet, wende ich mich zu den Menschen mit einem heilsamen Rath und einer billigen Forderung. Zuerst erinnere ich, dass man, wie ich auch gebetet habe, rücksichtlich der göttlichen Dinge die Sinne in der Zucht halte. Denn die Sinne lassen, gleich der Sonne, wohl das Antlitz der Erdkugel schauen, aber sie schliessen und verdecken das des Himmels. Umgekehrt möge man aus Furcht vor diesem Fehler nicht in den entgegengesetzten fallen, was sicherlich geschehen würde wenn man meinte, die Erforschung der Natur sei nach irgend einer Richtung hin durch Verbot uns untersagt. Denn jene reine und unbefleckte Kenntniss der Natur in welcher Adam den Dingen ihren Namen nach ihren Eigenthümlichkeiten gab, war nicht der Beginn oder der Anlass zu dem Sündenfall. Vielmehr lag der Grund und die Weise der Versuchung in jenem ehrgeizigen und herrschsüchtigen Begehren des moralischen Wissens was über das Gute und Böse aburtheilt; dies liess den Menschen von Gott abfallen, damit er sich selbst seine Gesetze gebe. Von den Wissenschaften aber, welche die Natur betrachten, sagt jener heilige Philosoph: »Der Ruhm Gottes ist es, die Dinge zu verhüllen; der Ruhm des Königs aber ist es, die Dinge zu enthüllen.« Es ist, als wenn die Gottheit sich an den unschuldigen und gutmüthigen Spielen der Knaben erfreute, welche sich verstecken, damit man sie finden solle, und als wenn sie den menschlichen Geist sich zu dem Gehülfen bei diesem Spiel in ihrer Nachsicht und Liebe für die Menschen auserwählt hätte.

Endlich möchte ich Jedermann ein für allemal erinnern, der wahren Ziele der Wissenschaft eingedenk zu bleiben. Man soll sie nicht erstreben des Geistes wegen, nicht zum Streit, nicht am Andere zu verachten, nicht des Vortheils oder des Ruhmes und der Macht oder anderer niederer Absichten willen, sondern zum Dienst und Nutzen für das Leben; in Liebe sollen sie es verbessern und leiten. Aus Begierde nach Macht sind die Engel, und aus Begierde nach Wissen sind die Menschen gefallen; aber in der Liebe giebt es kein Uebermaass, und weder ein Engel noch ein Mensch ist durch sie je in Gefahr gekommen.

Die Anforderungen, welche ich stelle, sind folgende: Von mir selbst schweige ich, aber um der Sache willen, die verhandelt wird, bitte ich, dass man sie nicht als einen Einfall, sondern als eine Arbeit anerkenne und überzeugt sei, dass ich nicht nach den Grundlagen einer Sekte oder eines Ausspruchs, sondern nach den Grundlagen für der Menschen Nutzen und Grösse suche. Möge man, seines Vortheils eingedenk, den Eifer und die Vorurtheile der oberflächlichen Meinung bei Seite lassen, gemeinsam Raths pflegen, und wenn man aus den Irrwegen und Hindernissen durch meine Mittel und Hülfe sich befreit und gesichert hat, so möge man an der übrigen Arbeit sich selbst betheiligen. Auch möge man sich beruhigen und meine Erneuerung der Wissenschaften

Das Werk hat sechs Theile; davon handelt

der erstevon der Eintheilung der Wissenschaften;

der zweitevon dem Neuen Werkzeuge oder von den Mitteln zur Erklärung der Natur;

der drittevon den Erscheinungen des Weltalls oder von der beobachtenden Naturbeschreibung, als Unterlage der Philosophie;

der viertevon der Leiter der Erkenntniss;

der fünftevon den Vorläufern oder von den im Voraus aus der zweiten Philosophie entlehnten Sätzen;

der sechstevon der zweiten Philosophie oder von der thätigen Wissenschaft.

Inhalt der einzelnen Theile.

Es gehört zu meiner Aufgabe, Alles so klar und offen als möglich darzulegen; denn die Nacktheit der Seele ist, wie ehedem die des Körpers, die Gefährtin der Unschuld und Einfalt. Deshalb ist: zunächst die Anordnung und die Eintheilung des Werkes aufzuzeigen. Ich sondere es in sechs Theile.

Der erste Theil giebt eine Uebersicht der allgemeinen Darstellung aller Wissenschaften oder Lehren, in deren Besitz die Menschheit sich jetzt befindet. Es schien rathsam, auch bei dem jetzt Geltenden etwas zu verweilen, um desto leichter dem Alten seine Vollendung und dem Neuen den Eintritt zu bereiten; denn ein gleicher Eifer treibt mich zum Ausbau des Alten wie zur Erwerbung von Neuem. Auch hilft dies das Vertrauen wecken, nach dem Ausspreche: »Der Thor hört nicht auf die Worte der Wissenschaft, bevor ihm nicht gesagt worden, was in seinem Herzen vorgeht.« Deshalb werde ich nicht versäumen, die Küsten der vorhandenen Wissenschaften und Künste zu besuchen und gleichsam im Vorbeifahren mancherlei Nützliches zuzuführen.

Die Eintheilung der Wissenschaften nehme ich aber so, dass sie nicht blos das Entdeckte und Bekannte, sondern auch das bisher Uebersehene und noch Nöthige mit umfasst. Denn auf der Geisteskugel giebt es, wie auf der Erdkugel, sowohl angebaute als wüste Ländereien; man wundere sich deshalb nicht, wenn ich die gewohnte Eintheilung mitunter verlasse; denn ein Zusatz, der das Ganze verändert, muss auch die Theile und Abschnitte verändern, und die hergebrachten Eintheilungen entsprechen nur dem jetzigen Vorrath des Wissens.

In Bezug auf das bisher Uebersehene werde ich nicht blos inhaltslose Bezeichnungen aufstellen, sondern bestimmt angeben, was gefordert wird. Sollte hierbei Manches vorkommen, was schwer fasslich erscheint, und muss ich deshalb fürchten, dass man meine Absicht und das Werk, was ich in Gedanken habe, nicht recht verstehen mochte, so werde ich bei allen erheblichen Fällen solcher Art stets entweder die Anleitung zur Verfertigung solcher Werke beifügen, oder auch einen von mir bereits gefertigten Theil davon zur Veranschaulichung des Ganzen hinzufügen, um im Einzelnen mit Rath und That zu Hülfe zu sein. Denn nicht blos der Nutzen Anderer, sondern auch die Rücksicht auf meinen eignen guten Ruf verlangt von mir den Nachweis, dass nicht blos oberflächliche Begriffe von solchen Dingen meine Seele durchzogen haben, und dass das, was ich fordere und mir vorsetze, mehr ist als ein blosser frommer Wunsch. Im Gegentheil ist es der Art, dass die Menschen, wenn sie nicht selbst verzagen, die volle Macht dazu haben, und dass ich selbst in mir den bestimmten und deutlichen Begriff davon trage. Denn es ist nicht meine Absicht, wie die Vogelschauer, zur Erforschung des Kommenden die Himmelsgegenden im Geiste abzustecken, sondern als Führer einzutreten, mit dem Willen, mich nützlich zu machen. Dies ist der erste Theil des Werkes.

Nachdem ich so an den alten Künsten vorbeigefahren bin werde ich den menschlichen Geist zur Fahrt ins offene Meer vorbereiten. Im zweiten Theile folgt deshalb die Lehre über den bessern und vollkommneren Gebrauch der Vernunft bei Erforschung der Dinge und über die wahren Hülfsmittel der Erkenntniss; damit auf diese Weise (so weit der Stand des Menschen und seiner Sterblichkeit es gestatten) der Geist erhoben werde, seine Kraft sich erweitere, und er das Steile und Dunkle in der Natur überwinde. Die Kunst, welche ich einführe (und die ich Erklärung der Natur zu nennen gewohnt bin), gehört zur Logik; obgleich sie vielfach und also auch gleichsam unendlich von ihr verschieden ist. Die gewöhnliche Logik verspricht, auch dem Verstande Hülfsmittel und Unterstützung zu gewähren und zu bereiten, und darin stimmen beide überein; dagegen unterscheidet sich die meine von der gewöhnlichen in drei Punkten; nämlich in dem Zwecke, in der Art des Beweisens und in den Anfängen der Untersuchung.

Denn das Ziel meiner Lehre ist nicht, Beweisgründe, sondern Künste zu entdecken; nicht das, was den Prinzipien entspricht, sondern diese Prinzipien selbst; nicht das blos Wahrscheinliche, sondern die bestimmte Erkenntniss der Thatsachen. So folgt aus dem unterschied des Zweckes auch ein Unterschied in den Ergebnissen. Dort wird der Gegner durch Disputiren besiegt und gefesselt, hier wird es die Natur durch die That.

Diesen Zielen selbst entspricht auch die Natur und Form der Beweise. In der gewöhnlichen Logik wird alle Kraft auf den Syllogismus verwendet, und an die induktive Methode hat man kaum gedacht; mit wenig Worten wird sie da bei Seite geschoben, und man eilt zu den Formeln des Disputirens. Ich aber verwerfe die Beweisführung durch den Syllogismus, denn er verwirrt und lässt die Natur aus den Händen entschwinden. Wenn es auch unzweifelhaft ist, dass, wo Zwei mit einem Mittleren übereinstimmen, sie auch unter sich stimmen (was ja auch zum Theil die mathematische Gewissheit bildet), so steckt doch in dem Syllogismus insoweit ein Betrug, als er aus Sätzen und die Sätze aus Worten bestehen, die Worte aber nur die Marken und Zeichen der Begriffe sind. Hat deshalb die Seele diese Begriffe (welche gleichsam die Seele der Worte sind und die Grundlage des ganzen Baues und Werkes abgeben) schlecht und übereilt von den Dingen entlehnt, schwankend und nicht genau umschrieben und bestimmt, sondern in vieler Hinsicht mangelhaft gebildet, so bricht Alles zusammen. Deshalb verwerfe ich den Syllogismus, und nicht blos in Bezug auf die Prinzipien (wofür er auch dort nicht benutzt wird), sondern auch für jene Mittelsätze, die zwar jeder Syllogismus herausfördert und erzeugt, aber die unfruchtbar und unpraktisch und für den thätigen Theil der Wissenschaften ohne Werth sind. Ich überlasse deshalb dem Syllogismus und den übrigen berühmten und viel geübten Beweisführungen dieser Art die Herrschaft über die landläufigen in der Meinung sich bewegende Künste (mit denen ich nichts zu thun habe), und ich werde für die Natur der Dinge mich der Induktion überall, sowohl zu den niedern wie zu den höhern Aufgaben, bedienen. Induktion nenne ich aber das Beweisverfahren, welches die sinnliche Wahrnehmung festhält, auf die Sache eindringt und den Werken nahe steht und beinahe daran Theil nimmt.

Auch die Regeln des Beweisens werden dabei völlig verändert; denn bisher pflegte man so zu verfahren, dass man von dem sinnlich Wahrgenommenen und Einzelnen sofort zu dem Allgemeinsten sich erhob, als zu jenen festen Polen, um die alle Disputationen sich drehen. Von diesen wurde das Weitere durch Mittelsätze abgeleitet. Ein solcher Weg ist allerdings kurz, aber auch gefährlich; von der Natur führt er ab, aber zum Disputiren ist er bequem und verführerisch. Nach meiner Weise werden dagegen die Lehrsätze im Zusammenhange und nach und nach aufgestellt, und erst zuletzt gelangt man zu dem Allgemeinsten. Dieses Allgemeinste tritt dann aber nicht in selbst gemachten Begriffen auf, sondern wohl begrenzt und so, wie es die Natur als ihr zugehörig anerkennt, und wie es den Dingen in dem Marke steckt.

Vorzugsweise behandele ich hierbei die Form der Induktion und den daraus sich ergebenden Satz. Jene Form, welche die Dialektiker erwähnen, und welche auf der einfachen Zahlung beruht, ist ein kindisches Geschäft; sie kommt nur zu bittweisen Sätzen, bleibt den Gefahren entgegengesetzter Fälle ausgesetzt, hat nur das Gewohnte im Auge und findet den Ausgang nicht.

Die Wissenschaften bedürfen vielmehr eines solchen induktiven Verfahrens, was die Erfahrung auflöst und trennt, und was erst, nachdem das Erforderliche ausgeschlossen und beseitigt worden, zu den Schlussfolgerungen gelangt. Hat nun schon jene gebräuchliche Weise der Dialektiker Mühe gemacht und grosse Geister beschäftigt, wie viel mehr Anstrengung ist dann nöthig, wenn das Gesuchte nicht blos aus dem erreichbaren Inhalt der Seele sondern auch aus den Eingeweiden der Natur herausgezogen werden soll?

Aber damit ist das Ziel noch nicht erreicht. Denn auch die Fundamente der Wissenschaften lege ich tiefer und fester nach unten und den Anfang der Untersuchung stecke ich höher, als es bis jetzt geschehen ist, indem ich auch das der Untersuchung unterwerfe, was die gewöhnliche Logik auf Treue und Glauben annimmt. Die Dialektiker borgen die Prinzipien der einen Wissenschaft bei der andern wechselsweise; dann beugen sie sich in Ehrfurcht vor den obersten Begriffen des Geistes, und zuletzt beruhigen sie sich bei der unmittelbaren Kundgebung der gesunden Sinne. Ich meine aber, dass die wahre Logik die einzelnen Gebiete der Wissenschaften mit einer wahren Macht betreten muss, die über deren eigene Prinzipien hinausgeht, und dass auch diese vermeintlichen Prinzipien sich erst über ihre Gestaltung zu rechtfertigen haben. Was aber die obersten Begriffe des Verstandes anlangt, so ist mir Alles, was der Verstand in seiner Isolirung sich ausgedacht hat, verdächtig; ich erkenne es nicht an, bevor es sich nicht einer neuen Untersuchung unterworfen hat, und nur so, wie da der Spruch gefällt werden wird. Auch die Auskunft der Sinne prüfe ich auf vielfache Art; denn die Sinne täuschen wohl, aber sie zeigen auch ihre Irrthümer an; die Irrthümer sind freilich sofort da, während ihre Berichtigung weit hergeholt werden muss.

Der Fehler der Sinne ist ein zwiefacher; entweder lassen sie uns im Stich, oder sie täuschen. In erster Hinsicht giebt es Vieles, was selbst den vollkommen gesunden und unbehinderten Sinnen entgeht, sei es, dass der Gegenstand überhaupt zu fein ist, oder die Theile zu klein sind, oder dass die Entfernung zu gross, oder die Bewegung zu langsam oder zu schnell ist, oder weil der Gegenstand zu bekannt ist, oder aus andern Gründen. Aber auch da, wo die Sinne die Sache erfassen, sind ihre Wahrnehmungen nicht immer zuverlässig. Denn das Zeugniss und die Kundgebung der Sinne geschieht immer nur in Beziehung auf den Menschen, nicht in Beziehung auf das Weltall, und es ist ein grosser Irrthum, zu behaupten, dass die Sinne das Maass der Dinge seien.

Um dem entgegenzutreten, habe ich mit vieler und ernster Arbeit von allen Seiten die Hülfe für die Sinne aufgesucht und herbeigeholt, damit der Mangel durch den Inhalt und das Schwankende durch das Richtige ersetzt werde. Nicht Instrumente, sondern Experimente benutze ich dazu. Denn die Feinheit der Versuche übertrifft die der Sinne, wenn sie von guten Instrumenten unterstützt werden. (Ich meine die Versuche, die für einen bestimmten Zweck mit Umsicht und Geschick erdacht und ausgeführt werden.) Deshalb gebe ich auf die unmittelbare und eigentliche Sinneswahrnehmung nicht viel, sondern ich richte die Sache so ein, dass der Sinn nur über den Versuch, der Versuch aber über die Sache das Urtheil fällt. Deshalb habe ich die Sinne (von denen im Natürlichen Alles entnommen werden muss, wenn man nicht irrsinnig reden will) zu den kirchlichen Thürstehern und zu den erfahrenen Auslegern der Orakel erhoben; und während Andere nur in Worten die Sinne vertheidigen und ehren, thue ich es in Wirklichkeit.

Solcher Art ist das, was ich für die Erleuchtung der Natur, für die Anzündung und das Eindringen des Lichtes vorbereite. Es würde für sich genügen, wenn der menschliche Geist geebnet und aller Inhalt, wie bei einer Tafel, in ihm ausgelöscht wäre; allein die Geister der Menschen sind wunderlich verhüllt, und es fehlt die getreue und glatte Fläche, um die Strahlen der Dinge richtig aufzufangen; deshalb muss auch hierfür ein Hülfsmittel gesucht werden.

Die Götzenbilder, welche die Seele erfüllen, sind entweder von aussen gekommen oder angeboren. Erstere dringen entweder aus den Aassprüchen und Sekten der Philosophie oder aus den verkehrten Beweisregeln in die Geister der Menschen. Die angebornen hängen dem Geiste von Natur an; er neigt viel mehr als die Sinne dem Irrthume sich zu. Denn so sehr man auch sich darin gefällt, den menschlichen Geist zu bewundern und gleichsam anzubeten, so ist es doch ganz gewiss, dass, so wie ein unebener Spiegel die Strahlen der Gegenstände durch seine eigene Gestalt und Biegung verändert, so auch der Geist bei dem sinnlichen Wahrnehmen und bei Austrennung und Mischung seiner Begriffe seine eigene Natur mit der Natur der Gegenstände in keinesweges redlicher Weise vermengt.

Jene beiden ersten Arten von Götzenbildern sind schwer, die letzte aber in keiner Weise zu vertilgen; es bleibt nur übrig, dass man sie kennen lernt, und dass diese hinterlistige Kraft der Seele erkannt und gehemmt werde, damit nicht etwa aus der Zerstörung der alten Irrthümer Sprösslinge zu neuen wegen der schlechten Beschaffenheit der Seele hervorkeimen, und die Sache darauf hinausläuft, dass die Irrthümer nicht vertilgt, sondern nur vertauscht werden. Vielmehr muss es in Ewigkeit gelten und feststehen, dass der Geist nur durch Induktion und die rechte Weise derselben zur Erkenntniss gelangen kann. Deshalb schliesst die Lehre von der Reinigung des Verstandes, um ihn für die Wahrheit geschickt zu machen, mit drei Widerlegungen; mit der Widerlegung der Philosophien, mit der der Beweise und mit der der angebornen menschlichen Vernunft. Ist dies geschehen, und erhellt endlich, was die Natur der Dinge, und was die Natur des Geistes zu übernehmen hat, so meine ich das gemeinsame Brautbett für den Geist und die Welt unter dem ehestiftenden Schutz der göttlichen Liebe bereitet und geschmückt zu haben. Der Wunsch des Hochzeitsgedichtes sei aber dass aus dieser Verbindung Hülfe für die Menschen und ein Geschlecht von Erfindern hervorgehen möge, welche die Noth und das Elend des Geschlechts einigermassen lindern und besiegen. Dies ist der zweite Theil des Werkes.

Es ist aber rathsam, die Wege nicht blos zu zeigen und zu ebnen, sondern auch zu betreten; deshalb umfasst der dritte Theil des Werkes die Erscheinungen des Weltalls, d.h. die Erfahrungen aller Art und die Naturgeschichte, so wie sie der zu errichtenden Philosophie zur Grundlage dienen kann. Denn weder die ausgezeichnetste Art der Beweisführung, noch die beste Weise, die Natur zu erklären, vermag, obgleich sie den Geist gegen Versehen schützt und stützt, den Stoff des Wissens zu gewähren und zu unterbreiten. Wer nicht blos vermuthen und prophezeihen, sondern entdecken und erkennen will, und wer nicht blos die Aeffchen und Fabeln der Welt sich merken, sondern dieser wirklichen Welt Natur durchschauen und auseinanderlegen will, der muss Alles von den Dingen selbst entlehnen. Diese Arbeit und Untersuchung und Durchwanderung der Welt kann von keinem scharfsinnigen Nachdenken und Beweisen ersetzt oder ausgeglichen werden; selbst wenn die volle Geisteskraft Aller sich vereinte. Deshalb muss man sich hierzu entschliessen oder das Unternehmen für immer aufgeben. Bis zu dem heutigen Tag hat man es aber in einer Weise getrieben, dass man sich nicht wundern darf, wenn die Natur sich nicht zu erkennen gegeben hat.

Denn erstlich lässt die Kunde die Sinne im Stich und ist trügerisch; die Beobachtung geschieht unaufmerksam, unregelmässig und gleichsam, zufällig. Die Ueberlieferungen sind eitel und beruhen auf Gerüchten; der Praxis kommt es nur auf das Werk an, und sie ist knechtischen Sinnes; die Kraft zu Versuchen ist blind, beschränkt, schwankend und voreilig; endlich ist die Naturkunde leichtfertig und hülflos, und so ist dem Geist nur der mangelhafteste Stoff für die Philosophie und die Wissenschaften geboten worden. Zuletzt sucht man, aber zu spät, in spitzfindigen Ausführungen und Wendungen eine Hülfe, ohne damit die Sache verbessern und die Irrthümer beseitigen zu können. Deshalb liegt alle Hoffnung auf eine erhebliche Vermehrung und auf den Fortschritt der Wissenschaften nur in einer gewissen Erneuerung derselben.

Eine solche hat aber mit der Naturgeschichte zu beginnen, und diese selbst muss in einer neuen Weise eingerichtet werden. Denn das Putzen des Spiegels nützt nichts, wenn die Bilder fehlen, und man muss den passenden Stoff dem Geiste gewähren und nicht blos zuverlässige Hülfsmittel beschaffen. Meine Naturkunde unterscheidet sich also, wie meine Logik, vielfach von der jetzt vorhandenen; sowohl in dem Ziele oder der Aufgabe wie in dem Stoffe oder Inhalte, in der Schärfe wie in der Auswahl und in der Reihenfolge der Gegenstände.