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Emmas Leben ist kein bisschen aufregend. Spontanität und Abenteuer. Fehlanzeige. Da kommt ihre geplatzte Hochzeit genau zur richtigen Zeit. Alleine tritt sie die Hochzeitsreise an und startet damit in eines ihrer größten Abenteuer. All ihre längst vergessenen Träume scheinen wahr zu werden: Ein neues Land, die Fotografie und tolle neue Menschen. Als sie dann wortwörtlich in Lukes Arme stolpert, steht für Emma fest: Was wäre ein Abenteuer ohne dieses Kribbeln auf der Haut, was ihr dieser mysteriöse und äußerst attraktive Mann beschert. Ein Mann, der versucht sein Lächeln zu verbergen, meistens schweigt und offensichtlich eine schwere Bürde mit sich herumträgt. Vergessen ist Emmas schwierige Kindheit. Vergessen auch die geplatzte Hochzeit. Und obwohl sie für eine neue Romanze überhaupt kein Interesse hat, lassen sie diese hypnotisierenden grünen Augen nicht kalt und sie setzt alles daran, Luke aus seinem Schneckenhaus zu locken.
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Seitenzahl: 498
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Grünes Samt
Das Kribbeln auf unserer Haut
Von Sofia Maier
Buchbeschreibung:
Emmas Leben ist kein bisschen aufregend. Spontanität und Abenteuer. Fehlanzeige. Da kommt ihre geplatzte Hochzeit genau zur richtigen Zeit. Alleine tritt sie die Hochzeitsreise an und startet damit in eines ihrer größten Abenteuer. All ihre längst vergessenen Träume scheinen wahr zu werden: Ein neues Land, die Fotografie und tolle neue Menschen. Als sie dann wortwörtlich in Lukes Arme stolpert, steht für Emma fest: Was wäre ein Abenteuer ohne dieses Prickeln auf der Haut, was ihr dieser mysteriöse und äußerst attraktive Mann beschert. Ein Mann, der versucht sein Lächeln zu verbergen, meistens schweigt und offensichtlich eine schwere Bürde mit sich herumträgt. Vergessen ist Emmas schwierige Kindheit. Vergessen auch die geplatzte Hochzeit. Und obwohl sie für eine neue Romanze überhaupt kein Interesse hat, lassen sie diese hypnotisierenden grünen Augen nicht kalt und sie setzt alles daran, Luke aus seinem Schneckenhaus zu locken.
Über die Autorin:
Sofia Maier ist eine neue Autorin, die während des ersten Lockdowns 2020 beschlossen hat, ihren lang ersehnten Traum von einem eigenen Roman endlich in die Tat umzusetzen. Neben ihrer Vorliebe für das Tanzen und gesunde Ernährung, haben sie die vielen Reisen und Bücher die sie bis heute gelesen hat, dazu inspiriert eine eigene Geschichte zu schreiben.
Grünes Samt
Das Kribbeln auf unserer Haut
Von Sofia Maier
1. Auflage, 2023
© März 2023 Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung unter Verwendung von „Canva“
Verlag:
Sofia Maier
Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Kapitel 1
Da saß ich nun, im Flieger, der mich sprichwörtlich an das andere Ende der Welt bringen würde. Zu dem wunderschönsten Ort auf Erden in meinen Augen. Hawaii. Vor Jahren hatte ich mich in diese Inselgruppe verliebt, als ich mit meiner besten Freundin Mia eine Tour durch die USA machte. Schon damals stiegen wir aus dem Flieger und es war um mich geschehen. Dieser Ort hatte mich magisch angezogen, so wie die Erde von der Sonne angezogen wird. Begeistert von den lebensfrohen und freundlichen Menschen, die ihre Traditionen zelebrieren und einem das hawaiianische Lebensgefühl übermitteln, sei es durch einen Hula Tanz oder dem Lei – der berühmten polynesischen Blumenkette – den Sie uns in der Ankunftshalle des Flughafens umhingen. Überwältigt von der atemberaubenden und abwechslungsreichen Natur. Rauschenden Wasserfällen, üppigen und saftigen grünen Regenwäldern. Den vielen Vulkanen und farbigen weiten Traumstränden in Papakolea Grün und Punalu`u Schwarz. Am allermeisten hatten es mir die Berge angetan. Diese wunderschöne, samtig grüne bergige Landschaft, die sich stolz aus dem Meer erhebt. Eine wilde Steilküste aus Felsnadeln und Felszähnen auf der einen Seite der Insel. Flachere, genauso eindrucksvolle Lavaformationen, auf der anderen Seite, gegen die das Meer mit Gischtkaskaden anbrandet. Nach Hawaii zu kommen fühlte sich an, als würde man von einer Schwarz-Weiß-Welt, in eine bunte Welt wechseln. Ich wollte diesen Ort nie wieder verlassen. War der Urlaub zu schnell vorüber und wir zurück in unserem tristen Leben im kalten Deutschland. Doch die Erlebnisse blieben wie ein gehüteter Schatz verborgen in meinem Inneren. Ich hörte nie auf, über diese Landschaften zu träumen, und packte die gut versteckten Erinnerungen jedes Mal aus, wenn ich eine Aufmunterung benötigte. Die Gedanken an diesen Ort hatten die Macht meine traurige Seele zu heilen. Daher konnte es doch nur die richtige Entscheidung sein. Oder etwa nicht? Meine Gedanken überschlugen sich, wie kleine Dominosteine, die nacheinander umfielen, sobald man den Ersten in Gang setzte. „Hör jetzt auf, darüber nachzudenken“, ermahnte ich mich selbst. „Du hast das Richtige getan Emma. Ein neues Kapitel startet, nachdem das Alte ganz und gar nicht so gelaufen ist, wie du dir das vorgestellt hattest. Vielleicht sollte es auch einfach so kommen. Schicksal.“ Sagte ich mit bestimmter Stimme und versuchte, mich selbst zu überzeugen. Die ältere Dame im Nebensitz räusperte sich, warf mir einen irritierten Blick zu. Oh Gott, ich führte hier Selbstgespräche. Sie hielt mich sicher für total bescheuert. Ertappt und verlegen zuckte ich mit den Schultern, lächelte nett zurück. Mit einem Seufzen lehnte ich mich in den Sitz, drehte mich zu dem kleinen ovalen Fenster und betrachtete die Szenerie außerhalb des Bleivogels. Wolken, eine unendliche Weite aus weißem Flausch erstreckte sich über den Horizont. Ein wunderschöner und zugleich beruhigender Anblick, der meinen Puls und meine Atmung normalisierte. Augenblicklich ging es mir besser. Die Dominosteine in meinem Kopf verlangsamten sich, bis sie gänzlich zum Stehen kamen. Eigentlich sollte ich jetzt in einem anderen Flugzeug sitzen, das mich in die entgegengesetzte Richtung fliegen würde. Und nicht allein, sondern mit meinem Ehemann. Christian. Naja, er war ja jetzt nicht mein Mann. Aber wenn alles nach Plan verlaufen wäre, hätte ich ihn gestern geheiratet. Den großen dunkelhaarigen, schlaksigen, dennoch gutaussehenden und liebevollen Christian. Der Mann, der mich mit seiner humorvollen Art immer zum Lachen brachte. Der hochgewachsene Mann, der in jedem Fitnessstudio fehl am Platz wirkte und mir doch das Gefühl von Sicherheit vermittelte. Vier Jahre lang gaben wir ein schönes Vorzeige-Paar ab. Unsere Freunde beschrieben uns als das Traumpaar. Aber was bedeutete das Heutzutage? Hätten Sie uns so bezeichnet, wenn sie gewusst hätten das wir uns in den vier Jahren auseinandergelebt hatten und kaum gemeinsame Interessen mehr verfolgten? Das ich meine Träume für seine Karriere aufgegeben hatte? Das unser Sexleben, dem eines alten Rentnerpaares glich? Der äußere Schein trügte. Selbst ich, hatte einen unsichtbaren Schleier über meine Augen gelegt und diese Tatsachen verdeckt. Unsere Beziehung war nicht aufregend, aber wir teilten den gleichen Freundeskreis. Wir konnten gemeinsam lachen und hatten immer ein offenes Ohr für den anderen. Oh Gott, wenn ich hier so meinen eigenen Gedanken lauschte, hörte sich das ziemlich armselig an. Kein Wunder hatte er mich stehen lassen. Zu Anfang war alles wunderschön gewesen. Trotz der ruinierten neuen Schuhe, die er mir bescherte, als er mich an einem Kaffeewagen anrempelte. Sein charmantes Lächeln und sein zugleich reumütiger Dackelblick aus zwei haselnussbraunen Augen ließen mein Herz dahinschmelzen. Ich erwiderte sein Lächeln und es war um uns beide geschehen. Nach diesem Tag waren wir unzertrennlich. Doch mit der Zeit die verging und der gewöhnlichen Routine, verschwanden der Zauber und die Magie, der ersten Monate. Wir steckten in einem Alltag voller banaler Gewohnheiten fest. Warum hatte ich das nicht gemerkt? Oder besser gesagt warum hatte ich das verdrängt? Automatisch sagte ich „ja“, als er mir eines Abends bei einer Flasche Rotwein und einem leckeren Teller Pasta in unserer Lieblingstrattoria um die Ecke den Heiratsantrag machte. Es war der logische nächste Schritt dieser Beziehung. Ohne lange darüber nachzudenken, ließ ich mir den Verlobungsring an den Finger stecken. Womöglich ein Grund, warum ich nicht stinksauer war. Ein wenig wütend war ich schon, er hatte mich schließlich an unserem Hochzeitstag abserviert. Sowas passierte doch nur in Hollywood Komödien und nicht im realen Leben. Dachte ich zumindest immer. Unsere Gäste befanden sich bereits in der großen und mit roten Rosen dekorierten Kirche. In einem Traum von Weiß stand ich Zuhause vor dem Spiegel. Wartete gemeinsam mit meiner besten Freundin und Brautjungfer Mia auf die Limousine, die uns zu dieser Kirche fahren sollte. Als plötzlich ein Schlüssel an der Türe zu hören war und Christian hereinplatzte. Mia kniff die Augen zusammen, rannte empört auf ihn zu. Sie wollte, dass er sich umdreht. „Was zum Teufel machst du hier? Es bringt Unglück, die Braut vor der Trauung zu sehen.“ Schnaubte sie. Er blieb ruhig, flüsterte etwas, das ich nicht verstand, da er zu leise sprach, und drückte Mias Schultern. Meine beste Freundin drehte sich zu mir um, fixierte mich einige Sekunden schweigend mit ihrem stechenden Blick, der meine Verunsicherung steigen ließ. Gleichzeitig signalisierte sie mir damit im Stillen, das sie für mich da sei, wenn ich sie brauche. Mia und ich kannten uns seit unserem fünften Lebensjahr und waren seit jeher unzertrennlich. Wir verstanden uns ohne Worte und kommunizierten oft nur mit unseren Augen. Sie nickte und verschwand in Richtung Schlafzimmer, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich runzelte die Stirn, war sichtlich irritiert, von der Situation. Christian kam auf mich zu, sagte, dass er mir alles erklären würde, ich mich aber vorher setzen sollte. Au weia, das war kein gutes Zeichen. Ich sollte mich setzen damit ich vor Schreck nicht umkippte oder in Ohnmacht fiel oder sonst was. Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf der Armlehne meines grünen Lieblingssessels nieder. Christian hatte diesen ernsten und zugleich besorgniserregenden Blick in seinen Augen. Diesen hatte ich bis zum heutigen Tag nur ein einziges Mal an ihm erlebt. Vor zwei Jahren als unser geliebter Kater Carlo von einem Auto überfahren wurde. Damals war er mit diesem Blick auf mich zugekommen und hatte mir von dem Unglück erzählt. Dieser Blick ließ mich nun vergessen, dass ich hier im Brautkleid vor ihm saß. Es ging um etwas Ernstes. Nervös atmete er tief durch, fuhr sich mit der Hand durch das dünne braune Haar. „Es tut mir leid, dass ich hier so in letzter Sekunde reinplatze, aber für solche Dinge gibt es wohl nie den passenden Moment“ er nahm meine zittrigen Hände und legte sie sanft in seine. Das mulmige Gefühl im Bauch wuchs immer weiter an, verwandelte sich von einem kleinen Ziehen in einen tropischen Wirbelsturm. Mein Herz blieb davon nicht verschont. Es hämmerte wild, wie ein Vorschlaghammer in meiner Brust. Das Blut rauschte wie eine Wildwasserbahn durch meine Ohren und Christians Stimme hörte sich so weit weg an. Eine leise Vorahnung, in welche Richtung dieses Gespräch gehen würde, schlich sich in mein Bewusstsein. Eine gefühlte Ewigkeit verging, in der keiner von uns beiden etwas sagte. „Christian?“ Durchbrach ich unsere Mauer des Schweigens. Er räusperte sich, suchte nach den passenden Worten. Nach ein paar weiteren Sekunden des Schweigens lies er die Bombe platzen „Emma ich kann dich heute nicht heiraten“. Bäm. Und was für eine Bombe das war. Ihre Schlagkraft verwandelte das Rauschen in meinen Ohren in einen schrillen Pfeifton. Meine Handflächen fingen an zu schwitzen und ich entzog sie ruckartig aus Christians Verschränkung. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, in dem Hochzeitskleid zu ersticken. Die enge Korsage, die Minuten zuvor meine Taille sanft umschmeichelte, nahm mir die Luft zum Atmen. „Was ist passiert?“ Stotterte ich „Sollen wir die Hochzeit verschieben?“ Meine Stimme klang panisch. Er blickte zum Fenster, hinaus in Richtung der Stadt, dem strahlenden blauen Himmel, dann wieder zurück zu mir und in mein mittlerweile blasses Gesicht. Er überlegte, wie er sich besser ausdrücken konnte, seine zwei kleinen Fältchen auf der Stirn verrieten ihn. „Ich will die Hochzeit nicht verschieben Emma. Ich will dich nicht mehr heiraten. Und du willst mich lieber auch nicht mehr heiraten.“ Da war er, dieser Moment, den man nur aus Hollywoodfilmen kannte. Die Braut, die ihren Bräutigam vor dem Traualtar stehen ließ, um mit ihrer wahren Liebe durchzubrennen. Ihrem wirklichen Seelenverwandten. Die große Liebe, die Sie erst zu spät erkannt hatte, aber dennoch glücklich war, sie gefunden zu haben, bevor sie den Fehler beging und die falsche Person heiratete. Ein wahres Happy End. Nur leider befanden wir uns hier mitten in der Realität und ich war diejenige, die dabei war abserviert zu werden. An ihrem Hochzeitstag. Ohne einen Ritter, der zu hohem Ross angeritten kam, um mit mir in den Sonnenuntergang zu reiten. Das war ja überhaupt nicht Hollywood Like und genau das Gegenteil von einem Happy End. Plötzlich wurde mir heiß, gleichzeitig rang kalter Schweiß meinen Rücken hinab und mein Mund wurde staubtrocken. Langsam schlich sich wieder diese stumpfe Empfindung in der Magengrube ein. Ich hatte das Gefühl in ein tiefes, unendliches dunkles Loch zu fallen, das mir jegliche Energie raubte. Die Luft zum Atmen nahm. Das Empfinden von großer Einsamkeit. Wie damals als kleines Kind im Heim, als mich keiner haben wollte und ich am Ende immer wieder allein dastand. Wenn alle anderen Kinder von Familien ausgewählt wurden. Warum wurde ich immer verlassen? Warum konnte mich keiner lieben? War ich es nicht wert geliebt zu werden? Mein Atem ging stoßweise, das Korsett wurde enger und enger, raubte mir die Luft zum Atmen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und auf der Oberlippe. War die Temperatur im Raum gestiegen? Es war auf einmal so heiß. Das Korsett nahm mir nicht nur die Luft, sondern es ließ mich ersticken. Es mussten ein paar Sekunden vergangen sein, seit der geplatzten Atombombe. Christian holte mich aus meinem Schweigen und dem Wirrwarr an Gedanken zurück. „Emma bitte sag etwas“ flehte er. Doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was erwartete er von mir? Wie ein kleines, nörgelndes Kind, wollte ich nur schreien, um mich schlagen. Stattdessen entgegnete ich nur „Es ist so heiß hier drin. Ist es heiß hier drin?“ Ich stürzte Richtung Fenster, drehte mich aber auf dem Weg dorthin zu ihm um „Wie kommst du darauf, das ich dich auch lieber nicht heiraten sollte?“. Trotzig sprach ich weiter „Ich will dich heiraten, ich trage nicht umsonst dieses Brautkleid und unsere Gäste sind auch nicht einfach so in die Kirche gefahren und warten dort auf uns.“ Christian setzte sich auf die Armlehne des Sessels, auf die Stelle, an der soeben ich gesessen bin und atmete tief durch „Du bist meine beste Freundin Emma, wir lachen und weinen zusammen und ich werde immer da sein, wenn du mich brauchst, aber das ist nicht die wahre Liebe, für die man vor den Traualtar tritt. Tief in deinem Inneren spürst du es auch, spürst du es schon lange. Unsere Liebe hat sich im Laufe der Zeit zu einer innigen Freundschaft verwandelt. Wir respektieren und schätzen einander aber es existiert nicht mehr die intensive Leidenschaft, die uns am Anfang mal miteinander verbunden hat. Mir ist das besonders in den letzten Wochen klar geworden. Mit jedem Tag, der uns näher an diese Hochzeit brachte. Ich will dir nicht wehtun und dich ganz sicher auch nicht verletzen. Wenn du ganz tief in dich blickst, wirst du es auch erkennen.“ In meinem Kopf ratterte es, ich versuchte, dass gesagte so gut es ging, zu verarbeiten. Umso intensiver wir uns in die Augen schauten, normalisierte sich meine Atmung wieder. Und umso näher kam ich der Realität. Der Wahrheit. Christian kannte mich, uns, zu gut. Diese Wahrheit bahnte sich langsam ihren Weg durch die Dunkelheit ins hier und jetzt. Er hatte Recht. Auch wenn ich mir das nicht sofort eingestehen wollte. Lieber hätte ich wie ein kleines trotziges Mädchen geschmollt und Dinge nach ihm geworfen. Rumschreien und ihn dafür verfluchen das er mir das Herz brach. An unserem Hochzeitstag. Seltsamerweise brach mein Herz nicht. Ja, es fühlte sich leer und einsam an, aber es brach nicht. Dieses Gefühl, das er beschrieb, hatte sich genauso bei mir die letzten Monate, Wochen, eingeschlichen. Das konnte nur eines bedeuten. Er hatte zu hundert Prozent recht. Mit allem, was er gesagt hatte. Er war nur der Erste der sich traute das Band zwischen uns zu durchschneiden. Ich setzte mich zurück auf den grünen Sessel und nahm seine Hände, drückte sie sanft an meine Lippen und formte ein kleines Lächeln. Wir blickten uns stumm in die Augen und atmeten tief durch. Da riss er mich ruckartig an sich. Seine schlaksigen Arme schlossen sich um meinen Körper, drückten mich fest. „Danke“ flüsterte er in mein perfekt frisiertes Haar und küsste mich sanft auf die Stirn. Wir verstanden uns ohne Worte und er erkannte in meinen Augen die gleiche Erkenntnis, die ihn getroffen hatte. Es war vorbei.
Kaum hatte Christian die Wohnung verlassen, stand Mia im Raum. Das Gewicht auf ein Bein verlagert, den Arm in die Hüfte gestemmt, betonte sie so die perfekte S-Linie ihres Körpers, der in einem pfirsichfarbenen, enganliegendem Satinkleid steckte. Sie stand nur da mit offenem Mund, starrte mich aus ihren großen braunen Augen ungläubig an. „Was ist hier bitte soeben passiert?“ Fragend hob sie die Hände in die Luft. „Da du sicherlich wie immer am Lauschen warst, wirst du alles ganz genau mitbekommen haben“ entgegnete ich sarkastisch, konnte mir aber ein Kichern nicht verkneifen. „Wie kannst du dann nur so ruhig bleiben und deine Witze reisen. Das hier ist der Supergau. Eine Riesenkatastrophe. Was machen wir jetzt?“ Christian war auf dem Weg zur Kirche, um den Gästen abzusagen und alle Heim zu schicken. Wenigstens übernahm er diese unangenehme Aufgabe nach der abrupten Trennung. „Ich weiß nicht was du machst Mia, aber ich brauche jetzt erstmal einen Drink. Am besten ein Whiskey auf Eis“ seufzte ich laut und lief zu dem Sideboard neben dem Fenster, auf dem immer eine Auswahl an alkoholischen Getränken bereitstand. Christian und ich waren keine großen Trinker, aber ab und an genossen wir einen kleinen Drink, wenn wir gemeinsam Karten spielten oder Freunde zu Besuch waren. „Soll ich dir auch einen einschenken?“ Eine Augenbraue hebend blickte ich zu Mia, wartete auf eine Antwort. Sie ließ ihre filigranen Arme sinken und atmete hörbar aus. „Du weißt doch, das mir Gin lieber ist als Whiskey.“ Nun lächelte sie und steuerte auf das Sofa zu. Das liebte ich an meiner besten Freundin. Sie erkannte und durchschaute auf Anhieb den Sachverhalt und den Gefühlszustand von Menschen. Keine langen Diskussionen oder Gezicke. Nur Verständnis. Es war nie anstrengend mit ihr. Es fühlte sich leicht an. Ich konnte immer ich sein, mit all meinen Facetten, ohne mich verstellen zu müssen. Sie nahm mich so, wie ich bin, und das vom ersten Moment an. Als wir uns am Tage meiner Adoption im Garten meines neuen Zuhauses begegneten. Ich wuchs in Pflegeheimen auf, bis ich im Alter von fünf Jahren adoptiert wurde. Sabine und Jürgen waren ein wundervolles Paar, das sich immer Kinder gewünscht hatte, aber nie welche bekommen konnte. Sie schenkten mir ihre bedingungslose Liebe und gaben mir nie das Gefühl, nicht ihr biologisches Kind zu sein. Ich werde den Tag niemals vergessen, als sie mich zu sich holten. Wir stiegen vor einer zweistöckigen Doppelhaushälfte aus dem dunkelblauen VW Kombi. Es führte ein von bunten Blumen umsäumter, kleiner steinerner Weg zur weißen Haustüre. Dominierend für das Haus, war das Wohnzimmer. Mit einer großen kuscheligen Lounge und vielen Kissen, auf der wir etliche gemeinsame Abende verbrachten, mit Popcorn, Pizza und Familienfilmen. Eine riesige Fensterfront führte in den Garten, der hinter dem Haus lag. Als sie mir an diesem ersten Tag die Schaukel zeigen wollten, die sie extra für mich an der alten Eiche angebracht hatten, erblickte ich ein kleines blondes Mädchen, mit einem riesigen Lächeln im Gesicht. Sie stand am Zaun, der den Garten mit dem des Nachbarhauses trennte. Sie winkte wie verrückt und ließ ihre kleinen Zähnchen dabei aufblitzen. Zuerst war ich eingeschüchtert und zurückhaltend. So ein Verhalten mir gegenüber war ich als Einzelgängerin ganz und gar nicht gewohnt. „Hallo, ich heiße Mia, wie heißt du?“ Rief sie euphorisch. Mit ihrer einnehmenden Art schaffte sie es schnell, meine Ängste und Zweifel zu überwinden. Vorsichtig lief ich auf sie zu. Doch ihr Lächeln wurde nur breiter und ihre ganze Aura strahlte echte Freude aus. Das war der Beginn unserer tiefen und unzertrennlichen Freundschaft.
Mit den eingeschenkten Gläsern lief ich zu Mia hinüber. Als ich ihr den Drink reichte und mich neben sie setzen wollte, zog sie mich in ihre Arme und drückte mich fest. „Du musst nicht immer so stark sein. Du darfst auch mal Schwäche zeigen und deinen Tränen freien Lauf lassen.“ Flüsterte sie mir ins Haar. Wir ließen uns gemeinsam auf das alte braune Ledersofa sinken und stoßen, mit den überteuerten Kristall Gläsern an, die Christian und ich zur Verlobung von seinen Kollegen erhalten hatten. „Ich würde gerne weinen, weil es vermutlich das normalste auf der Welt wäre in dieser Situation zu weinen. Einfach die Nerven verlieren. Aber so fühle ich nicht. Christian hat komischerweise Recht. Ich habe es nur nicht gleich erkannt. Es lag verborgen in meinem Inneren. Daher bin ich wahrscheinlich auch so ruhig und dreh nicht durch“ ich lächelte, zuckte mit den Schultern. Meinen Blick auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas gerichtet, spürte ich einen Stupser. „Aber?“ Da war es wieder. Dieses Aber. Mia kannte mich zu gut. War ich denn so einfach zu durchschauen? Ein offenes Buch für alle? Oder nur ein offenes Buch für meine Freundin, die mich in- und auswendig kannte. „Was ich fühle, ist diese tiefe Leere in mir“ setze ich an, wurde aber direkt von Mia unterbrochen, indem sie mich an den Schultern packte “Stopp” ertönte ihre Stimme laut und kräftig. Sie richtete sich auf, schaute mich mit todernstem Blick an. Der Blick, den sie immer dann anwendete, wenn sie fest entschlossen war und nichts und niemand sie aufhalten konnten. Der Blick, der keine Widerrede duldete. „Emma, denk nicht eine Sekunde, du wirst nicht geliebt oder seist allein auf dieser Welt. Du hast mich. Ich liebe dich über alles und ich werde immer für dich da sein. Ich bin deine Familie.” Ihre Stimme hatte einen sanften Ton angenommen. Wie eine Feder strichen ihre Worte über meinen verkrampften Körper und ließen ihn langsam wieder entspannen. „Und Christian liebt dich. Er hat dich nicht verlassen, weil er dich nicht mehr liebt, sondern, weil er dich liebt, hat er diese Entscheidung getroffen. Er wollte das Beste für dich. Für euch beide.“ Sie meinte jedes Wort genauso, wie sie es sagte. Aus ihren Augen sprach pure Liebe. Liebe zu mir. Sie war wie die Schwester, die ich nie hatte. In einem Ruck kippte ich meinen Whiskey herunter, stellte das Glas auf den kleinen hölzernen Tisch vor dem Sofa und fiel ihr um den Hals. Langsam bahnten sich die angestauten Tränen, ihren Weg über mein Gesicht. Mias Worte bedeuteten mir die Welt, berührten mich zutiefst. „Ich liebe dich auch“ flüsterte ich an ihrem Haar.
Den Rest des Tages verbrachten wir mit vielen Drinks, tiefsinnigen Gesprächen über das Leben und die Möglichkeiten, die es uns bot. Es flossen Tränen, es wurde gelacht und noch mehr getrunken. Wir sprachen über längst vergessene Träume. Meinen großen Traum, Fotografin zu werden. Diesen besonderen Traum, den ich die letzten Jahre aus den Augen verloren hatte. Er war zusammen mit der Kamera in die Untiefen einer Schublade verbannt worden. Nachdem ich Christian kennenlernte, nahm mein Leben eine andere Richtung an. Diese Richtung wurde von mir nie angezweifelt oder hinterfragt. Es war der normale Lauf der Dinge. So nahm ich es zumindest an. Immer nur vernünftig gehandelt. Einen sinnvollen Job angenommen, im Verwaltungsbereich eines großen Konzerns, der Sicherheit bot. Die Welt durch ein Objektiv zu betrachten war immer mein Wunsch doch dieses Objektiv, verstaubte Vergessen in irgendeiner Schublade. Fotografiert hatte ich schon eine Ewigkeit nichts mehr. Die letzten Jahre lebte ich im typischen Alltagstrott. Alles war irgendwie normal, selbstverständlich. Selbst die Beziehung zu Christian. So wie ich die Klappe des Kameraobjektivs verschlossen hatte und nicht mehr hindurchblicken konnte, so hatte ich die Augen vor der Wahrheit, zu meiner Beziehung mit Christian verschlossen. Er hatte sie mir heute zum Teil wieder geöffnet. Der andere Teil, öffnete sich mit jedem Whiskey ein kleines bisschen mehr. „Mia ich will dieses Leben so nicht weiterleben. Ich will meine Träume endlich verwirklichen. Da draußen wartet doch noch so viel mehr auf uns. Sie mich nur an, ich bin 28 Jahre alt, sitze in meinem Hochzeitskleid am Tage meiner Hochzeit hier mit dir und stoße auf diese Beziehungspleite an.“ Platzte es nach dem gefühlten fünften Drink aus mir heraus. „Süße, ich kann verstehen, dass du im Moment aufgewühlt bist und nach vorne blicken möchtest“ Ich schaute Mia direkt in ihre rehbraunen Augen „Nein, Mia ich meine es ernst.“ Die Schultern straffend erhob ich mich „Emma, nicht jeder verwirklicht seine Träume. Träume bleiben oft nur Wünsche. Jeder führt doch ein ganz normales Leben und sehnt sich ab und zu nach Dingen, die er oder sie niemals wirklich durchziehen würde“ konterte sie lässig und trank einen weiteren Schluck von ihrem Gin. „Nicht ich. Schluss mit der Aufschieberei. Ich will es tun. Ich will meine Träume verwirklichen und allen voran will ich wieder fotografieren“ Meine Stimme bebte und meine Wangen röteten sich vor Aufregung „Wenn nicht jetzt, wann dann. Wenn mir diese Situation mit Christian eines gezeigt hat, dann ja wohl, dass das Leben unvorhersehbar ist und man das tun sollte, was man liebt, denn schon am nächsten Tag kann alles anders kommen“ meine grünen Augen leuchteten vor Aufregung. „Ich will wieder fotografieren. Das hatte ich nach dem Studium zurückgestellt, für Christian. Das kann doch nicht richtig sein“ meine überschwängliche Rede, hatte die sonst so redegewandte Mia zum Schweigen gebracht. Auf einmal war es still im Raum, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sie schaute mich stumm aus ihren braunen großen Augen an. Ich sah förmlich, wie ihr hübsches Hirn ratterte, wusste, das da gleich etwas aus ihr raussprudeln würde. Sie war sonst nicht auf dem Mund gefallen, im Gegenteil war sie immer schon die Redegewandte von uns beiden. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund und hatte stets einen flotten Satz auf Lager. Sobald sich uns ein Typ näherte mit einem Aufreiserspruch, war es Mia, die sofort mit einer kecken Antwort konterte, während ich nach den passenden Worten suchte „Mia? Du sagst ja gar nichts mehr“ tastete ich mich vorsichtig an sie heran, als sie voller Elan vom Sofa aufsprang „Ok, auf geht’s, wie sieht dein Plan aus? Was willst du jetzt tun? Abhauen? Wegfliegen? Neuanfang? Sag mir, was du möchtest, und ich bin dabei.“ Sie gestikulierte mit ihrem ganzen Körper, einige Haarsträhnen lösten sich aus ihrer Hochsteckfrisur und umschmeichelten dabei ihr herzförmiges Gesicht. Laut lachend fiel ich Mia um den Hals. Sie unterstützte mich in jeder Situation. Egal wie verrückt es sein mochte, sie stellte es nicht in Frage, solange ich überzeugt davon war. Selbst im Teeniealter, als ich meine braunen Haare blondieren ließ. Sie begleitete mich zum Friseur und färbte sich ihre blonden Haare braun. Tage später lachten wir über unser skurriles Aussehen. Selbst als ich nach dem Tod meiner Adoptiveltern für einige Wochen in ein Schweige-Retreat flüchtete. Sie folgte mir auch dorthin, war ohne Worte jederzeit eine Stütze in meinem Leben. Dafür liebte ich sie so unsagbar. Sie war immer für mich da. Sie verstand mich wie sonst kein anderer Mensch auf dieser Welt. Nichts, was ich jemals tat, oder sagte, wertete sie ab, nahm es nicht ernst oder machte sich gar lustig. Sie war eine wahre Freundin und ein herzensguter Mensch. Das Tierheim erfreute sich besonders über ihre Herzlichkeit, denn bei ausgesetzten Katzen, konnte sie nicht wegschauen oder vorbeilaufen. Jedes bedürftige Tier wurde von ihr gerettet. Sie war im Grunde eine Heilige. Und diese Heilige, war der einzige Mensch, der mir geblieben war. Im Alter von siebzehn Jahren verstarben meine Adoptiveltern bei einem tragischen Autounfall, auf den kurvigen Straßen von Norwegen. Als mich diese niederschmetternde Nachricht erreichte, saß ich mit Stockbrot an einem kuscheligen Lagerfeuer umgeben von Mia und ihren Eltern. Das wohlige warme Gefühl verließ bei der Hiobs-Botschaft sofort meinen Körper, hinterließ eine unbändigende Trauer und Kälte. Erneut blieb ich allein zurück. Meine leiblichen Eltern gaben mich im Säuglingsalter weg und bis heute wusste ich nicht wer oder wo sie waren. Ich hatte nie das Bedürfnis, sie zu finden. Sie gaben mich als Baby weg. Sie wollten mich nicht. Somit wollte ich sie auch nicht. Allein Mia schaffte es meinem kalten, dürren und trauernden Körper wieder Wärme einzuflößen. Nachdem ich Wochen, ja sogar monatelang nur im Bett lag, wich sie nicht von meiner Seite. Sie gab mir die Liebe, die ich glaubte, für immer verloren zu haben. Mia und ihre Eltern waren alles, was mir geblieben war. „Ich möchte hier erstmal verschwinden und neue Energie tanken.“ Sprudelte es voller Euphorie aus mir heraus. Mia zog ihr Handy aus der Tasche und fing an wie wild darauf rumzutippen. „Morgen früh um sechs geht der nächste Flieger“ erwähnte sie nebenbei, ohne vom Display aufzublicken. „Welcher Flieger und wohin?“ Fragte ich etwas verdattert. Mit der einen Hand in die Hüfte gestemmt und in der anderen das Whiskeyglas stellte ich mich vor sie. Sie verdrehte die Augen und blickte zu mir auf „Na der Flieger, der dich deinen Träumen ein Stück näherbringt. Der Flieger nach Hawaii. Von was hast du denn sonst die ganze Zeit gesprochen?“ Ich verschluckte mich an meinem Whiskey und prustete einige Tropfen aus, die allesamt Mia im Gesicht trafen. „Bitte was? Habe ich dich soeben richtig verstanden?“ Meine Stimme war um mehrere Oktaven gestiegen. Mia wischte sich mit der Hand leicht belustigt über das Gesicht „Du hast schon richtig gehört mein liebe“ grinste Sie „du wirst einen Zwischenstopp in Los Angeles haben und danach in Honolulu landen. Ich benötige nur deinen Pass, um die Onlinebuchung abzuschließen.“ Logischerweise hatte Mia daran gedacht. Hawaii. Wo sonst würde es mich hin verschlagen. Mein geliebtes Hawaii. „Mia warte mal, was machst du da?“ Mein erster Instinkt war Angst „Ich kann doch jetzt nicht so einfach in den Urlaub, nach Hawaii fliegen. Als ich sagte, ich will hier erstmal weg, hatte ich an ein paar Tage in irgendeinem Wellnesshotel in der Nähe gedacht.“ Meine Stimme klang ein wenig fahl „Ein paar Massagen, leckeres Essen, die Natur genießen“. Mia kniff die Augen zusammen „Und ob du verschwinden kannst. Deine Hochzeit ist geplatzt. Du willst endlich deine Träume verwirklichen und Zeit hast du auch, da du ja eigentlich in die Flitterwochen fliegen würdest nach der Hochzeitsfeier. Also denk gar nicht lange darüber nach und pack deinen Koffer.“ Konterte sie ermunternd. „Ach und vergiss deine Kamera nicht.“ Sie grinste bis über beide Ohren und zwinkerte mir zu. Für einige Sekunden saß ich still da, bis die Erkenntnis sich ihren Weg über mein Unterbewusstsein ins volle Bewusstsein bahnte. Quickend wie ein kleines Küken sprang ich auf, hätte um ein Haar das halbvolle Whiskeyglas umgeworfen. Rann ins Schlafzimmer, um meinen Reisepass aus der Kommode zu kramen. Mia hatte recht. Nicht zu lange darüber nachdenken. Handeln. Die nächsten Stunden verbrachten wir mit intensiven Gesprächen über unsere Träume. Da mein Leben heute schlagartig mit einem Kapitel abschloss, startete ich direkt mit einem Neuen. Den ganzen Nachmittag schwärmten wir von den Dingen, die wir lieben. Los ging’s. ‚Emma‘, sagte ich im Stillen zu mir selbst, es ist an der Zeit dein Leben wahrhaftig zu leben`. Grinsend starrte ich in den Spiegel über der Kommode, hielt den Reisepass in der Hand. Ich blickte in ein Gesicht mit rosigen Wangen und zwei glühenden grünen Augen. Das Blut rauschte lauthals durch meine Ohren, meine Brust hob und senkte sich heftig im Gleichtakt meines Atems. Das Lächeln in meinem Gesicht wurde immer breiter und erreichte meine Ohren. Ich würde nach Hawaii fliegen. Es war beschlossene Sache.
Der kleine integrierte Bildschirm im Sitz vor mir zeigte an, dass wir uns mitten über dem Atlantischen Ozean befanden. Bis zur Zwischenlandung in Los Angeles waren es noch einige Stunden. Deutschland lies ich, mit jeder Minute, die verging, ein Stückchen weiter hinter mir. Und mit jeder Minute, fiel mehr und mehr die Last von meinen Schultern. Ein Gefühl von Schwerelosigkeit erfüllte mich. Das lag nicht nur an unserer Flughöhe. Von Minute zu Minute, die verging, fiel immer mehr von der Last ab, die ich unbewusst auf meinen Schultern trug und die mich mit gesenktem Blick durchs Leben laufen ließ. Vieles war mir auf diese Weise entgangen. Christian hatte unser Beziehungsaus zum Rollen gebracht und dadurch mir die Augen geöffnet vor den Dingen, die ich nicht sehen wollte. Die Hochzeit war geplatzt, doch in mir war kein Kummer. Im Gegenteil. Die unsichtbaren Ketten, die sich im Laufe der Jahre um mich gewickelt hatten, wurden gesprengt. Ich fühlte mich wie der unglaubliche Hulk. Meine Kraft wurde stärker und stärker und ließ die Ketten zerspringen. Es war die richtige Entscheidung. Es war Zeit, nach vorne zu schauen, mir zu überlegen, wie es auf der Insel meiner Träume weitergehen würde. Auf meinem Sparbuch hatte sich die letzten Jahre eine beachtliche Summe zusammengetan. Dank meiner Adoptivmutter, die mir immer gepredigt hatte, man sollte nie vergessen, einen Notgroschen in der Tasche zu haben, um für die Zukunft und schwere Zeiten gewappnet zu sein. Bereits in jungen Jahren hatte ich jeden Cent in ein kleines rosanes Sparschwein gesteckt. Einmal im Jahr, ging es dann stolz zur Bank, um die paar gesammelten Euros einzuzahlen und mir meine Belohnung abzuholen, in Form von kleinen Kuscheltieren oder Malbüchern. Eine schwere Zeit würde ich meine jetzige Situation nicht beschreiben, war das Geld doch eher für die Anzahlung eines Eigenheims gedacht. Ein Eigenheim mit Christian, das wir jetzt nicht mehr benötigen würden. Somit konnte ich mir erstmal ein Hotel am Strand suchen und die ersten Tage nur genießen. Später hatte ich immer noch Zeit, um mir zu überlegen, wie es mit mir und meinem Leben weitergehen sollte. Fotografieren musste wieder eine zentrale Rolle in meinem Leben einnehmen. Möglicherweise konnte ich ja einen Bildband über Hawaii erstellen. Wer weiß. Träume waren da, um sie zu verwirklichen, und der erste Schritt war getan. Schließlich saß ich in diesem Flieger. Mutig war ich ins eiskalte Wasser, über den Rand der Klippe gesprungen. Dieser Mut würde hoffentlich belohnt werden. Er musste belohnt werden.
Eine Wolke aus Hitze und Feuchtigkeit umhüllte meinen Körper, als ich aus dem Flugzeug stieg. Sofort fingen meine Härchen, an der Stirn und im Nacken an sich zu kräuseln. Schweiß rann zwischen meinen Brüsten und am Rücken entlang. Meine Garderobe war absolut unpassend für diesen Ort. Doch störte mich das überhaupt nicht. Es war nicht unangenehm, im Gegenteil, es war unbeschreiblich schön. Es gab in diesem Moment nichts Bedeutsameres als die Ankunft auf Oahu. Die Hitze lullte meinen ganzen Körper sanft ein. Ich schloss für zwei Sekunden die Augen. Atmete tief ein und wieder aus. Eine leichte Brise wehte durch mein Haar, hinterließ einen feinen Duft von Salz und Algen, was ich auf beruhigende Weise wunderbar empfand. Der schwitzenden Masse an Passagieren hinterher, ging ich in Richtung der Gepäckausgabe. So viele Menschen drängelten regelrecht, schubsten sich gegenseitig. Es war wie auf einem türkischen Bazar, wenn sich die Menschen um die letzten Angebote stritten. Jeder wollte so schnell wie möglich sein Gepäck abholen und den Urlaub auf dieser Trauminsel beginnen. Auch ich war froh, endlich wieder hier zu sein. Erfreulicherweise war mein Aufenthalt erst einmal ohne Rückflugticket angedacht. Für die Hochzeit und die darauffolgenden geplanten Flitterwochen hatte ich mir vier Wochen Urlaub genehmigt. Das erwies sich als ein genialer Segen. Vier Wochen waren eine lange Zeit, um mir Gedanken zu machen, was nach Ablauf dieser Frist mit mir und meinem Leben passieren sollte. Würde ich zurückkehren in mein eintöniges und durchschnittliches Leben? Jeden Tag sieben Stunden lang vor einem Rechner sitzen? Oder würde mein Leben in vier Wochen eine komplett neue Richtung einschlagen? Ich war für jede Möglichkeit offen und bereit. Hawaiianischer Gesang ertönte durch die Lautsprecher, was einen für kurze Zeit vergessen lies das man sich auf einem Flughafen befand. Es half einem, zu entspannen, trotz des unglaublichen Gedränges um einen herum. Erneut schloss ich die Augen, sog jeden einzelnen Ton tief in mein Inneres ein und war glücklich, an diesem besonderen Ort zurück zu sein. Die Nebengeräusche verschwanden langsam aus meiner Wahrnehmung und ich lächelte sowohl innerlich als äußerlich. Ein plötzlich stechendes Gefühl riss mich aus meinem Miniwellness und ich öffnete schmerzverzerrt die Augen. Ein Familienvater mit zwei kleinen Kindern knallte mit überfülltem Gepäckwagen gegen mich. Er hob verlegen die Schultern, presste die Lippen zusammen und murmelte durch zusammengebissene Zähne eine leise Entschuldigung, während er weiterlief. Die Realität hatte mich wieder und ich wollte nur mein Gepäck holen, aus dieser Menschenmasse verschwinden. Wie lange ich hierbleiben sollte, stand in den Sternen. Vier Wochen oder doch länger? Diesmal würden die Sterne besser für mich stehen als die Jahre zuvor. Denn nun war ich positiver, zuversichtlicher und berauscht vom Zauber des Moments. Trotz schmerzendem Schienbein. Ich sah meinen Koffer auf dem Rollband, griff nach der Lasche, um ihn zu mir zu ziehen und marschierte rasch Richtung Ausgang. Vor der Ankunftshalle stieg ich in eines der vielen Taxis ein, das mich in die Innenstadt fuhr, Richtung Waikiki Beach. Durch das offene Fenster auf dem Rücksitz genoss ich nicht nur die Meeresluft, sondern die ganzen Eindrücke, die ich so vermisst hatte. Die farbenfrohe Blumenpracht an allen Ecken, Häusern und Parks. Der Fahrtwind blies mir ins Gesicht und der salzige Meeresduft vermischte sich mit einer Note aus Orchideen. Die Blüten für die hier traditionellen Lei-Kränze sowie Hibiskus, die Nationalblume Hawaiis. Ich atmete diesen Duft kräftig ein und aus. Ach, war das schön. Wie konnte mich der Geruch von Blumen und Salzwasser nur so glücklich machen. War es denn manchmal so einfach? Wenn man die kleinen Dinge des Lebens bewusst wahrnahm. Kleine Dinge, die aber eine gewaltige Wirkung auf einen hatten. Der Taxifahrer bog auf die Kalakaua Avenue, die geschäftigste Straße in Honolulu mit zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten und vielen luxuriösen Hotels. Die Gehwege waren voller Touristen, die durch die Läden schlenderten oder Richtung Strand unterwegs waren. Ich konnte es kaum erwarten, selbst wieder durch diese Straßen zu schlendern. „Hier bitte einfahren“ wies ich den Taxifahrer an, als meine Augen das rosane, historische Gebäude erblickten. Nur ein großer moderner Turm stach besonders heraus, aus dem sonst spanisch-mauretanischen Stil des Pink Palace of the Pacific. So wurde es liebevoll genannt, durch seinen leuchtend rosa Anstrich. Der Taxifahrer fuhr in die Einfahrtsstraße des Hotels, hielt vor dem Gebäude an und stieg aus, um mir aus dem Kofferraum mein Gepäck zu reichen. Wie angewurzelt stand ich da, bestaunte das beeindruckende Royal Hawaiian Hotel. Dieses historische und wunderschöne Hotel war eines der Wahrzeichen von Oahu. Erschrocken, nahm ich den genervten Taxifahrer neben mir wahr, der sich leise räusperte. Auf sein Geld wartete. „Oh bitte entschuldigen Sie“ entgegnete ich verlegen und reichte ihm ein paar Dollar. Dann drehte ich mich dem Hotel wieder zu, schnappte mir mein Gepäck und lief entschlossen den gepflasterten Weg entlang in Richtung der Rezeption. Schon bei meinem ersten Besuch auf Hawaii, kam ich aus dem Staunen und Schwärmen kaum raus. Damals betrachtete ich das Gebäude nur von außen, da ich leider kein Gast war. Heute hatte ich die Möglichkeit, von innen aus dem Staunen und Schwärmen nicht mehr herauszukommen. Der spanische Stil zog sich durch die Lobby. Dunkle Holzdecken und weiße Bögen an den Wänden. Ein riesiger Kronleuchter, der von der Decke hing. Die Aussicht zwischen den offenen Bögen ging bis hinunter zum Strand. Alles war offen und luftdurchlässig. Es war paradiesisch. An der Rezeption lächelte mich eine bezaubernde Hawaiianerin mit einem bunten Blumenkranz auf dem Kopf an. „Willkommen im Royal Hawaiian Hotel, was kann ich für sie tun?“ Hoffentlich war hier so ungeplant ein Zimmer frei. Mia hatte mir nur den Flug gebucht. Das mit der Unterkunft wollte ich eher spontan entscheiden. Somit stand ich hier, ohne eine Reservierung. Doch das Glück war auf meiner Seite und einer der Pagen nahm sich meinem Gepäck an. Er führte mich durch die Lobby direkt zu den Aufzügen. Der Innenraum war mit goldenen Spiegeln verkleidet. Im fünften Stock stiegen wir aus und nachdem der Page mich zu meinem Zimmer geführt hatte, wollte ich am liebsten vor Glück laut aufschreien. Ich lief in Richtung des Balkons, ignorierte den kompletten Innenraum und öffnete die Schiebetüren, um nach draußen zu gelangen. Der Ausblick ließ mir den Atem stocken. Es war unglaublich. Mein Herz schlug mit einem Mal wie wild. Ein unsagbar großes Glücksgefühl durchlief meinen Körper. Vor mir erstreckten sich die grünen Berge Oahu’s. Die wie gezackte Drachenrücken in den Himmel ragten und so dicht bewachsen waren, dass sie aussahen, als wären sie mit Samt überzogen. Diese Landschaft gehörte zu den schönsten Dingen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Nur einer der vielen Gründe, warum ich mich so in diesen Ort verliebt hatte. Dieser Anblick ließ mich träumen. Träumen von Wanderungen, die ich unternehmen wollte. Träumen über atemberaubende Fotografien, die ich schießen würde. Der Gedanke daran, jeden Tag mit dem Blick auf diesen grünen Samt aufzuwachen, war berauschend. Ein Leben hier führen. Konnte es möglich für mich sein? In diesem Moment fühlte es sich so an. In diesem Moment war für mich alles möglich. Der Rausch des Augenblicks ließ es mich genau spüren. Es fühlte sich klar und unbeschwert an. Es fühlte sich möglich an. War doch dieser Ort der lebende Beweis dafür, dass Träume, die in den Himmel geboren wurden, tatsächlich wahr sein konnten. Die meisten Menschen freuten sich in ihrem Urlaub über ein Zimmer mit Ausblick auf das Meer. Ich liebte das Meer. Jedoch liebte ich hier auf Hawaii den Anblick der Berge noch viel mehr. Seufzend lief ich zurück ins Zimmer, lies mich rücklings auf das weiche große Bett fallen und konnte nicht aufhören zu lächeln. Ich griff nach meinem Handy, um Mia eine Nachricht zu senden. Sie sollte wissen, dass ich gut angekommen war und es mir in diesem prachtvollen Hotel, erstmal gutgehen lassen würde. Anrufen konnte ich sie später. Es trennten uns nicht nur zwei Weltmeere voneinander, sondern auch zwölf Stunden Zeitunterschied. Beim Blick auf das dunkle Display stoppte meine Euphorie schlagartig. Nachdem Christian einen Tag zuvor aus der Wohnung gelaufen war, um unsere wartenden Gäste in der Kirche wieder nach Hause zu schicken, hatte ich das Handy ausgeschaltet. Im Eifer des Gefechts und der Geschehnisse hatte ich nicht weiter an unsere Freunde und Bekannte gedacht. Doch nun war der Moment der Wahrheit gekommen. Ich schaltete das Handy an und kaum hatte es sich in das WLAN Netzwerk des Hotels eingeloggt, begann es zu piepsen und vibrieren. Langsam scrollte ich durch die vielen verpassten Anrufe und Nachrichten. „Emma? Geht es dir gut?“, „Emma wo bist du?“, „Christian dieses Schwein. Ich wusste schon immer, dass er nicht gut genug für dich ist“, „Können wir etwas für dich tun?“ Ich verfasste eine Standartnachricht und sendete sie an alle, die sich bei mir gemeldet hatten. Dass es mir so weit gut ginge, Christian und ich uns einvernehmlich getrennt hatten und sich bitte keiner um mich sorgen müsse. Nur einer Nachricht schenkte ich mehr Aufmerksamkeit. Petra, Mias Mutter hatte sich ebenfalls bei mir gemeldet. „Mein Glühwürmchen. Versteck dein Licht nicht wieder in der Dunkelheit. Wir unterstützen dich, bei allem, was du tun wirst. Wir lieben dich und sind immer für dich da. Fühl dich gedrückt. Kuss.“ Eine wohlige Wärme füllte meinen Bauch und ich blinzelte eine Träne aus dem Augenwinkel hinfort. Mein Glühwürmchen. So nannte mich Petra seit unserem ersten Kennenlernen. Sie meinte, ich verberge mein Licht, so wie die Glühwürmchen, die man nur nachts leuchten sieht. Als Kind hatte ich diese Worte nie verstanden. Doch heute, als erwachsene Frau wusste ich nur zu gut, was sie damit meinte. Von klein auf war ich zurückhaltend. Meine Kindheit über schüchtern, mich immer im Hintergrund gehalten und als junge Erwachsene war es nicht anders gewesen. Ich habe die Bedürfnisse anderer Menschen immer vor meine eigenen gestellt. Nie bin ich für mich selbst eingestanden. Für meine Bedürfnisse und Träume. Damit sollte endlich Schluss sein. Denn eine Sache hatte ich schließlich verstanden. Nur ich alleine war verantwortlich für mein eigenes Glück. Ich alleine hatte meine Träume hinten angestellt. Und ich selbst hatte die Macht, diese Entscheidung umzukehren. Ich tippte eine gesonderte Nachricht an Petra und schrieb auch Mia. Nachdem ich auf den Senden Button getippt hatte, fiel eine Last von meinen Schultern, die sich wie ein unsichtbarer Schleier über mich gelegt hatte. Augenblicklich fühlte ich mich wieder besser.
Erst jetzt bemerkte ich das Gemälde am Kopfende des Bettes, nachdem die Nachrichtenflut meine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag genommen hatte. Ich drehte mich auf den Bauch, um es besser betrachten zu können. Es handelte sich um ein Ölgemälde und zeigte einen Wanderer in den Bergen. Die Farben im Vordergrund waren dunkel, obwohl der Himmel sehr hell war. Dort fehlte das Licht, da das Tal steil und schattig war. Die Felsen im Hintergrund waren hingegen etwas heller. Das Bild zeigte fast den gleichen Ausschnitt, den der Wanderer in dem Bild auch sehen konnte. Dadurch wurde der Blick des Betrachters auf den Wanderer und die dahinterliegende Landschaft gelenkt. Es war wunderschön. Ich versuchte den Namen des Künstlers, am unteren Rand des Gemäldes zu erkennen. I. Moreno. Interessanter Name, der mir nicht bekannt war. Den würde ich bei Gelegenheit mal im Internet recherchieren. Neben der Fotografie hatte mich Kunst im Allgemeinen schon immer interessiert und fasziniert. Ich rollte mich auf die Seite und stütze meinen Kopf mit der Hand hab. Meine Augen wanderten durch den Raum. Für so ein altes, historisches Hotel waren die Zimmer modern gehalten. Etwas Neues im Alten verborgen. Wie ein versteckter, wertvoller Schatz, kam es mir in den Sinn. Zeit, um ein wenig Sonne zu tanken. Ich zog mir meinen azurblauen Bikini an. Schlüpfte in pinkene Flip-Flops und machte mich auf den Weg, runter zum Strand. Nichts und niemand konnte mich davon abhalten jetzt in der Sonne zu liegen und ein gutes Buch zu lesen. Sonne tanken und entspannen. Auf dem Weg nach unten betrachtete ich mein Spiegelbild im Aufzug. Meine grünen Augen leuchteten förmlich, meine Wangen waren rosig. Die Aufregung und die Freude, die ich, seit der Ankunft verspürte, ließen mich von innen heraus strahlen. Ich lächelte mein Spiegelbild an, setze zufrieden meine Sonnenbrille auf, als zwei Sekunden später, der Aufzug in der sonnendurchfluteten Lobby hielt. Ein von bunten Blumen gesäumter Weg, führte geradewegs zu einem großen türkisenen Pool. Vorbei an den Hotelgästen, die sich hier eingeölt wie die Sardinen tummelten. Weiter hinunter zum privaten Strandabschnitt. Ich schlenderte in Richtung der Liegen unter den vereinzelten Palmen als mich ein paar Kinder, die herumtollten, beinahe umrannten. In letzter Sekunde drehte ich mich zur Seite, knallte aber hart mit meinem Ellenbogen und der Strandtasche auf etwas. Besser gesagt auf jemanden. Denn als ich meinen schmerzenden Arm reibend den Kopf hob, blickte ich in ein äußerst sympathisch aussehendes Gesicht. Ein gutaussehender junger Mann mit Augen so blau wie der wolkenlose Himmel und blonden schulterlangen Haaren, grinste mich frech an. „Ist alles ok bei Ihnen?“ Er trug ein Surfbrett unter dem Arm. Ich blinzelte etwas irritiert, rieb mir weiter den Ellenbogen, nickte freundlich. Lief dann aber weiter. Beim nochmaligen Umdrehen war von dem Surferboy nichts mehr zu sehen.
Als die Sonne schon langsam am Horizont unterging, beschloss ich, auf mein Zimmer zurückzukehren und mich für den Abend frisch zu machen, um etwas essen zu gehen. Ich war schon deutlich entspannter als vor meinem Flug auf die Insel. Jedoch waren mir die letzten Stunden immer wieder verschieden Szenarien durch den Kopf gegangen. Wie würde mein Leben weiter gehen? Was würde ich jetzt tun? Wo sollte ich bloß anfangen? Konnte ich hier auf der Insel meine Träume verwirklichen? „Ich brauch jetzt echt was zu essen, sonst dreh ich noch durch“ sagte ich zu mir selbst, packte mein Buch und das rosane Handtuch ein – die Farbe Rosa zog sich hier durch das gesamte Hotelkonzept - und lief den gepflasterten Weg am Pool entlang, durch die Lobby zurück auf mein Zimmer. Nach einer ausgiebigen heißen Dusche in dem großen Marmorbad mit Regenduschkopf, schlüpfte ich in ein leichtes geblümtes Sommerkleid mit dünnen Trägern und flachen glitzernden Sandalen. Meine braunen langen Haare band ich zu einem hohen Pferdeschwanz. Die Temperaturen sowie die Luftfeuchtigkeit waren extrem hoch an diesem Aprilabend. Die Kalakaua Avenue war abends noch aufregender als tagsüber. Überall leuchteten die Schaufenster, es tummelten sich Unmengen an Menschen auf den breiten Gehwegen. Ab und an sah man brennende Fackeln um Bäume herum. Auch Leis, sah man an gewissen Stellen hängen. Diese Mischung aus moderner Architektur, Shoppingmalls, teuren Autos auf den Straßen und traditionellen Akzenten war sehr charmant. Die Straße entlangschlendernd entdeckte ich eine kleine gemütliche Terrasse, die in Richtung Strand lag. Es gab einige freie Tische und ich setzte mich in eine der Ecken. Es handelte sich um eine kleine Trattoria. Eine junge Kellnerin, mit einheimischen Wurzeln, nahm meine Bestellung auf. Salat mit Garnelen und ein Glas Wein. Stundenlang konnte man hier sitzen und Menschen beobachten, die, die Straße auf und ab liefen oder man entschied sich für den Blick in Richtung des Meeres. Dem Rauschen der Wellen lauschen oder die Sterne am Horizont bewundern. Ich entschied mich für den Blick auf die vielen Menschen. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Gesichtern und ethnischen Hintergründen. So viele verschiedene Geschichten. Ich packte meine Kamera aus, die von nun an, mein ständiger Begleiter werden sollte, und begann mit ein paar Schnappschüssen. Die schönsten Bilder entstanden immer dann, wenn die Menschen vor der Linse nicht wussten, dass sie fotografiert wurden. Dieser Blickwinkel hatte etwas Ungezwungenes und eine gewisse Leichtigkeit. So saß ich eine ganze Weile da, trank meinen Wein und knipste Fotos. Ich sah, wie die Welt langsam an mir vorbeizog. Familien mit Kindern, die hier ihren Urlaub verbrachten. Kinder, die ihre Eltern an den Händen zogen, weil Sie etwas haben oder Ihnen zeigen wollten. Surfer, die jetzt erst vom Strand mit ihrem Brett unter dem Arm kamen und in Richtung der Hotels liefen. Aber auch viele verliebte Pärchen, die hier in den Flitterwochen waren. Das hätten Christian und ich sein können, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Als ich merkte, wie meine Gedanken langsam abschweiften vom Hier und Jetzt in die Vergangenheit und in eine ‚was wäre, wenn’ Welt, schüttelte ich den Kopf und ermahnte mich innerlich, aufzuhören diese Szenarien durchzuspielen. Ich befand mich im Hier und Jetzt. Und das bedeutete eine neue Lebenssituation. Ich, meine Unabhängigkeit und meine Träume. Kein Leben mit Christian. Das wollte ich doch überhaupt nicht mehr. Ich hatte mich bewusst dagegen entschieden. Kopfschüttelnd lachte ich über mich selbst und beobachtete weiter die Passanten. Fotografieren konnte so eine beruhigende Wirkung haben, das hatte ich komplett vergessen. Wie Balsam für die Seele. Erst als die junge Kellnerin mit der Rechnung an meinem Tisch auftauchte, merkte ich, wie spät es längst war. Beim Beobachten des Geschehens auf den Straßen hatte ich komplett die Zeit aus den Augen verloren. Ich beglich die Rechnung und machte mich auf den Rückweg zum Hotel. Es gingen mir immer noch so viele Fragen durch den Kopf. Ich musste auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Ich konnte ja hier nicht nur in diesem luxuriösen Hotel leben und in vier Wochen zurückfliegen. Da weitermachen, wo ich aufgehört hatte. Ich musste dieses verrückte Ereignis in meinem Leben für etwas nutzen. Dass Christian mich abserviert hatte, musste doch etwas Positives mit sich ziehen. Mit diesen vielen Gedanken im Kopf lief ich gemächlich zurück in Richtung des Hotels.
Wie ich die Straße so entlang schlenderte, erregte etwas Buntes in einem Schaufenster, direkt am Eingang einer Seitenstraße meine Aufmerksamkeit. Drei bodenlange Fenster, in denen jeweils ein Gemälde hing. Über den drei Fenstern war ein großer goldener Schriftzug „Galeria Isabella“. Sofort war mein Interesse geweckt. Diesen Laden musste ich mir genauer ansehen. Ich lief auf den Eingang zu, vor dem jeweils rechts und links zwei große imposante Blumenkübel mit Zypressen standen. Als ich die Türe aufstieß, kündigte eine Glocke mein Eintreten an. Es handelte sich um eine kleine, charmante Galerie, die nicht groß war. Sie hatte aber ein paar beeindruckende Gemälde an den Wänden hängen. Landschaftsmalereien auf Leinwänden. Gemälde, Zeichnungen und Fotografien von polynesischen Einheimischen. Als ich mir diese, als Hobbyfotografin etwas genauer ansehen wollte, kam ein kleinerer Herr mittleren Alters, mit einem sympathischen Lächeln und einem Schnauzer auf mich zugelaufen. Er trug einen schicken dunkelbraunen Anzug und hatte seine graumelierten Haare nach hinten gekämmt. Als er mich mit einem breiten italienischen Akzent begrüßte, schmunzelte ich. Er musste Mitte sechzig und europäischer Abstammung sein, aufgrund seiner Gesichtszüge und dem Akzent. „Wie geht es Ihnen mein Kind?“ Fragte er mich, „Was kann ich für Sie tun?“ Auch ich schenkte ihm ein großes, breites Lächeln „Ich habe ihre Galerie von außen gesehen und wollte mich nur etwas umschauen. Sie haben hier ein paar sehr beeindruckende Bilder an den Wänden hängen“ schwärmte ich. „Ich wollte mir soeben die Fotografien genauer ansehen.“ Er erzählte mir, dass seine Galerie eine Auswahl von internationalen Künstlern repräsentierte. Jedoch unterstütze er besonders kleinere sowie einheimische Künstler. Auf einer Insel sei es wie in einer großen Familie meinte er. Mein Interesse war geweckt. Die talentierten Künstler Oahu‘s nutzten das günstige Klima der Insel, die dramatische natürliche Beleuchtung, das Meer und die atemberaubenden Landschaften als ständige Inspirationsquellen. Sie erschufen Bilder mit Atmosphäre, Bewegung und Ehrfurcht. Wir unterhielten uns eine ganze Weile über die Fotografien, die Künstler und die Gemälde in seiner Galerie. Es fühlte sich so vertraut und gut an, dass wir die Zeit vergasen und irgendwann vom Thema Kunst abschweiften. Wir sprachen über unser Zuhause, woher ich kam, was mich auf diese Insel verschlug, woher er stammte und seit wann er auf der Insel lebte. Nach einer Stunde und zwei Espresso später wusste ich, dass dieser äußerst sympathische Herr, Leonardo Moreno hieß, 72 Jahre alt war und ursprünglich aus Italien stammte. Vor 40 Jahren hatte er sich bei einem seiner Urlaube verliebt und war nie mehr gegangen. Er eröffnete die Galerie gemeinsam mit seiner Frau Isabella, die leider vor zwei Jahren verstarb. Die Galerie war sein Ein und Alles, da Sie ihn jeden Tag, an seine verstorbene Frau erinnerte. Diese war eine leidenschaftliche Malerin und hatte ebenso Kunstwerke entworfen. Vom aller ersten Moment an, war ich hin und weg von Leonardo. Er erinnerte mich so an meinen Adoptivvater. Auch er hatte immer ein Lächeln im Gesicht und war äußerst charmant gewesen. Es fühlte sich in diesem Moment wie ein kleines Stückchen Heimat an. Heimat, in der ich mich als Kind geborgen und geliebt fühlte. Ich erzählte ihm meine verrückte Geschichte. Warum und wie ich hier gelandet war und wie meine möglichen Pläne für die Zukunft aussahen. Meine um die Schulter hängende Kamera blieb ihm nicht verborgen. Er war beeindruckt von meinem Mut und meiner leidenschaftlichen Passion. Er konnte mich nur zu gut verstehen, da er damals auch diesen Mut aufgebracht hatte und für die Liebe hierher ausgewandert war. Nach einer weiteren Stunde Geplauder, verabschiedete ich mich. Aber nicht ohne Leonardo zu versprechen, ihn erneut zu besuchen, und ihm meine Fotografien zeigen. Ich war entzückt, dass ich diesen netten alten Mann kennengelernt hatte. Und das alles an meinem allerersten Abend auf der Insel. Das er diese Galerie führte und nun meine Geschichte kannte, fühlte sich ein bisschen wie Schicksal an. Eine kleine minimale Last viel von meinen Schultern. Das dumpfe Gefühl der Einsamkeit tief in mir, verflüchtigte sich ein wenig. Rückte in den Hintergrund. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schlenderte ich die Kalakaua Avenue entlang, zurück zum Hotel. Es durchlief mich ein wohliger Schauer, eine Wärme, die unendlich guttat. Die wirren Gedanken der letzten Stunden waren verschwunden. Nur ein einziger Gedanke war geblieben. Ich konnte alles schaffen, was ich nur wollte.