Gustafssons Jul - Lars Simon - E-Book

Gustafssons Jul E-Book

Lars Simon

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Beschreibung

»God Jul« im tief verschneiten Schweden Zehn Jahre lang hat sich Carl-Johann Gustafsson (81) von seiner Familie zurückgezogen ‒ das soll sich jetzt ändern. Gemeinsam mit der Familie will er Weihnachten auf seinem Landgut feiern, wie früher. Seine Kinder und Enkelkinder folgen der Einladung nur widerwillig, denn die Familienbande existieren schon lange nicht mehr. Aber niemand will etwas verpassen, und womöglich wird ja das Erbe verteilt ... Am Ende kommt es dann ganz anders als gedacht, doch glücklicherweise haben die gute Seele des Hauses, Diener Alfred, und der Weihnachtsmann höchstselbst ihre Finger im Spiel.

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Lars Simon

Gustafssons Jul

Eine schwedische Weihnachtsgeschichte

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Prolog

Sie glauben nicht an den Weihnachtsmann? Selber schuld. Versuchen Sie es doch einmal. Kommen Sie! Nur ganz kurz. Stellen Sie sich einfach vor, Sie würden am frühen Abend des 22. Dezember, warum auch immer, mit in seinem Schlitten sitzen. Erstaunt ob der Tatsache, sich überhaupt mit ihm in luftiger Höhe zu befinden, würden Sie während des erhabenen Gleitflugs, den der weißbärtige und erstaunlich schweigsame Mann zwei Tage vor seinem großen Auftritt stets noch einmal probt, nach unten blicken.

Und kaum etwas erkennen.

Denn es herrscht dichtes Schneetreiben. Und es ist bereits seit Stunden dunkel. Außerdem ist es wirklich saukalt.

Stellen Sie sich weiter vor, Kräfte, so heilig und wundersam wie die Aura des bevorstehenden Festes selbst, hätten gewisse physikalische Gesetze für nichtig erklärt – und Rentiere und Schlitten könnten fliegen. Wäre doch denkbar, oder? An Weihnachten ist ja bekanntlich alles möglich.

Sie sähen also unter dieser Prämisse noch einmal nach unten und würden auf einer kleinen Halbinsel am Mälarenufer, nicht einmal fünf Rentierschlittenflugminuten vom Städtchen Stallarholmen entfernt, ein selbst aus dieser Höhe ausladend wirkendes und dezent illuminiertes Hofgut namens Riksgården entdecken. Dann die holprige Straße, die dorthin führt. Genau genommen ist es mehr ein Kiesweg.

Und dieser Kiesweg windet sich durch den dichten Forst, der ebenfalls zum Anwesen gehört, und wirkt, als hätte man dort seit Menschengedenken keinen Baum mehr gefällt; die Stämme dicht an dicht, die Wipfel verschneit, das Unterholz tiefschwarz und voller uralter Geheimnisse.

Die Reifenspuren der Autos, die dort schon vor geraumer Zeit entlanggefahren waren, kann man bereits nicht mehr erkennen – ausradiert von schneeweißer Zauberhand. Dass Sie trotzdem um die Spuren wissen … nun, so ist das eben im Schlitten des Weihnachtsmannes.

Der Alte würde Ihnen einen Blick zuwerfen, Ihnen kurz zuzwinkern und dann die Flugfahrt verlangsamen und in sanften, enger werdenden Kreisen niedergehen, um schließlich in sicherer Entfernung vom Gutshaus zu landen. (Es würde einer Katastrophe gleichkommen und schwer an seiner Reputation kratzen, wenn man ihn zufällig entdeckte.)

Nach der Landung würde er sich mit einem Rundumblick davon überzeugen, dass es für seine Zugtiere keinen Grund gibt, unruhig zu werden. Dennoch würden sie schnauben und die Hälse schütteln, dass ihnen der Schnee nur so vom Fell stiebt. Sie würden tippelnde Schritte machen – vor und zurück, und ihre Rentiersehnen würden dabei knacken – grk, grk, grk.

»Das ist das Gut von Carl-Johann Gustafsson«, würde der Weihnachtsmann mit einem Mal brummen und dabei auf eine doch recht unweihnachtliche Art zu dem Anwesen hinübernicken, das hinter der dichten Flockenwand lediglich schemenhaft zu erkennen wäre. »Seine Familie ist zu Besuch. Ich spüre Vorwürfe, Schuld, Neid, Trauer und lange vergessene Liebe. Alles verdrängt. Lachhaft!«, würde er weiter kopfschüttelnd grummeln und die rot gefärbten wildledernen Fäustlinge höher ziehen, die, wie der Kragen seines Mantels, mit weißem Pelz verbrämt sind.

Stellen Sie sich schließlich vor, Sie würden gemeinsam mit dem Weihnachtsmann aus dem Schlitten aussteigen, gingen ein paar Schritte auf das Haus zu und könnten – ganz kurz nur – einen deutlicheren Blick auf den alten Gustafsson erhaschen, da just in diesem Augenblick eine Sternschnuppe am Himmel gleißend hell verglüht.

Hinter Ihnen würden derweil die Rentiere immer unruhiger. Vielleicht spüren sie in diesem Augenblick, dass ihr Herr, der Weihnachtsmann, auch keine rechte Lust hat, länger als nötig an diesem Ort zu verweilen – sagt man nicht: »Wie der Herr, so’s G’scherr«?

Und so verlässt Sie der Weihnachtsmann und sitzt im selben Moment schon wieder im Schlitten. Er hebt seine Hand zum Abschied, schnalzt mit der Zunge und fliegt davon. Die Schlittenglöckchen verklingen leise im Flüstern der Schneeflocken.

Neben der Erinnerung an seinen letzten beinahe mitleidigen Blick und an ein rotbackiges Lächeln hinter schlohweißem Vollbart bleiben Ihnen Zweifel, ob Sie wachen oder träumen.

Und die leise Hoffnung, dass etwas Wunderbares an diesem Weihnachtsfest geschehen könnte.

Aber wir wollen ja nicht vorgreifen …

Erste Vorboten der Weihnachtszeit

1

Auf dem sakralen Ölgemälde eines niederländischen Meisters aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts schwebte eine Schar heilig strahlender Engel und Putten über den Wipfeln der Bäume, aus denen sie aufgestiegen zu sein schienen. Der Holzrahmen des Bildes war wuchtig, mit reichen Verzierungen versehen und mit Blattgold belegt. Beinahe verschwenderisch, auf jeden Fall opulent. Die Szenerie wirkte zuerst düster, doch je länger man davor verweilte, desto mehr erhellte sie auf eine eigentümliche Art und Weise das Gemüt, rief eine unerklärliche Geborgenheit im Betrachter hervor.

Zu Füßen der Engel duckten sich erschrockene Wanderer, die ehrfürchtig ihre Blicke abwendeten. Im Hintergrund sah man eine Familie in einem hölzernen Unterstand, den sie sich mit Ziege, Schaf und Esel teilte. Der Vater deutete mit ausgestrecktem Arm zum Himmel empor, zeigte seinen Kindern, die von der Mutter umarmt und beschützt wurden, das Wunder, das sich dort direkt vor ihren Augen zutrug. In der anderen Hand hielt er eine Ölleuchte. Auffallend war, dass sie nicht brannte. Dieser Umstand wollte nicht so recht zu dem Bild passen.

Es hätte in diesem riesigen Landgut mit Sicherheit mehr als eine Stelle gegeben, wo man das Gemälde durchaus angemessen hätte präsentieren können, aber es existierte nur eine einzige, wo es wirklich hingehörte. Carl-Johann Gustafsson hatte es nach dem Tod seiner Frau von dort abgehängt und eingemottet wie einen nutzlosen Sommermantel, der einen bloß tagtäglich schmerzhaft daran erinnerte, dass es längst zu kalt geworden war und die Blumen aufgehört hatten zu blühen. Er hatte das Kunstwerk bedächtig und mit der gebotenen Sorgfalt in eine graue Wolldecke gewickelt und zusammen mit großen Teilen seiner Lebensfreude auf dem Dachboden eingelagert, wo es zehn Jahre lang schlief.

Sein alter Hausdiener, Alfred, hatte es ihm in Erinnerung gerufen, indem er es unaufgefordert in den Flur gestellt hatte, direkt vor das Kaminzimmer. Er habe den Dachboden seiner turnusmäßigen Inspektion unterzogen, hatte Alfred erklärt, auch um zu überprüfen, ob die Lichterketten für die in Bälde anstehende alljährliche Advents- und Weihnachtsdekoration alle noch vollständig leuchteten. Dabei sei ihm eingefallen, dass dieses Gemälde an und für sich hervorragend in die beginnende Festzeit passen würde. Schließlich sei darauf eine glückliche Familie zu sehen. Und Engel. Mit diesen Worten hatte sich Alfred mit der ihm eigenen tonlosen Zurückhaltung für seinen Kompetenzübertritt entschuldigt, und Carl-Johann Gustafsson war ihm – warum auch immer – nicht böse gewesen.

Nun hing das Gemälde wieder schräg gegenüber dem Kaminzimmer, exakt an der Stelle, wo er, Carl-Johann, es einst aufgehängt hatte. Drei Monate danach war sie gestorben. Und er hatte nicht mehr ertragen, es an der Wand zu sehen. Doch jetzt erfreute es wieder sein Herz, wann immer er daran vorüberging. Er musste es nicht einmal betrachten – er kannte es in- und auswendig –, es genügte ihm, darum zu wissen.

Seitdem geschah mit Carl-Johann Gustafsson etwas, das er sich nicht erklären konnte. Eine angenehme Wärme stieg in ihm auf und begann, ihn mehr und mehr zu erfüllen. Gleichzeitig aber fühlte er eine ungestillte Sehnsucht in sich wachsen, die er sich noch weniger erklären konnte.

Immer wieder in den letzten Wochen war er an vergangene Zeiten erinnert worden. Ob vom Wein beflügelt, den Alfred ihm zum Abendessen servierte, oder von den Köttbullar, den Fleischbällchen, welche Köchin Magda so unübertroffen zuzubereiten wusste und die seine Frau so geliebt hatte. Sogar in der Musik, die Carl-Johann Gustafsson stets zum Frühstück zu genießen pflegte, hatten sich Stücke gefunden, die von so weit weg zu erklingen schienen, dass er kaum noch wusste, wann er sie zum letzten Mal gehört hatte. War es zu Susannas Konfirmation gewesen? Oder zu der Feier, die er ausgerichtet hatte, als er sich aus dem Geschäft zurückgezogen und das Heft an seine Söhne, Stefan und Magnus, übergeben hatte? War es zu Ingemars Geburt gewesen? Später? Früher? Er konnte es nicht mehr sagen.

Was er hingegen sagen konnte, war, dass es in ihm rumorte. Nein, schlecht ging es Carl-Johann Gustafsson nicht – er schlief sogar besser als sonst –, aber ihm war, als habe er vergessen, etwas Wichtiges zu erledigen, nur wollte ihm partout nicht einfallen, was es denn sein könnte.

Bis er eines Tages geboren war, dieser Entschluss, der ihn endlich aus seiner Nachdenklichkeit befreite. Er zeigte sich unvermittelt, einige Zeit nachdem Alfred das Bild vom Dachboden herabgeholt hatte.

 

Es war ein herrlicher Morgen gewesen, an dem Carl-Johann Gustafsson einen Spaziergang unternahm. Die Sonne stand noch tief und ließ ihre Strahlen beinahe waagrecht in die Wälder von Riksgården und die sich langsam auflösenden Nebel über dem Mälaren fallen.

Er hielt unvermittelt inne und stützte sich mit beiden Händen auf den silbernen Knauf seines Gehstocks. Tief und ruhig atmend legte er den Kopf in den Nacken. Versonnen blickte er hinauf in das endlos scheinende Blau des Himmels; lediglich ein paar kleine Wattewolken schwebten vorüber.

Eine ganze Weile stand er so da, verharrte und horchte in sich hinein, lauschte seinem Puls.

Und dann lächelte er.

Breiter und breiter wurde sein Lächeln, bis er in schallendes Gelächter ausbrach.

In diesem Augenblick nämlich war Carl-Johann Gustafsson eine ganz wunderbare Idee gekommen. Ein herrlicher Plan, wie er der Trauer, die sich seit dem Tod seiner geliebten Frau in ihm breitgemacht und ihn von seiner Familie entfernt hatte, etwas entgegensetzen konnte. Warum war ihm alten Narr das nicht schon viel früher eingefallen?

Beinahe hätte er sich vor Freude auf die Schenkel geschlagen, wäre auf den Waldboden gesunken und hätte das kalte, feuchte Laub über sich geworfen wie ein kleiner Junge. Doch der Arzt, der selber dermaßen gebrechlich aussah, als würde er in Kürze und noch weit vor seinem langjährigsten Patienten das Zeitliche segnen, hatte ihm strikt davon abgeraten, die rheumatischen Gelenke dergestalt und über Gebühr zu belasten.

Darum beherrschte sich Carl-Johann Gustafsson und wandte sich zum Gehen. Zurück in Richtung des alten Gutshauses, woher er vor einer guten halben Stunde erst gekommen war.

Mit einem Mal war ihm so leicht ums Herz wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Lange hatte er sich nicht mehr so jung und lebendig gefühlt. Vielleicht, dachte er, war das einer der wenigen Tage, die es wert waren, sich zum frisch gebrühten Morgenkaffee einen schottischen Single Malt mit einem Tropfen Wasser zu genehmigen. Oder sogar zwei – Whiskys natürlich, nicht Wassertropfen!

2

Stefan Gustafsson stand mit prüfendem Blick über ein Gemälde gebeugt. Es war selten schön. Aufkommender Expressionismus des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, verzeichneter Künstler. Das hatte er sofort erkannt. Deswegen hatte er das Gemälde diesem unwissenden Landei auf einem Flohmarkt vor den Toren Stockholms für schlappe dreitausendfünfhundert Kronen abgeschwatzt, obwohl es seiner Meinung nach gut das Dreißigfache wert war.

Da betrat der Postbote das Ladengeschäft. Stefan Gustafsson begrüßte ihn mit einem mürrischen Nicken, obwohl er eigentlich kein mürrischer Typ war. Was er allerdings hasste, war, gestört zu werden, wenn er in ein Kunstwerk versank. Insbesondere, wenn er gerade darüber nachdachte, ob er seinem Bruder von diesem Bild erzählen und es tatsächlich zum Verkauf anbieten sollte oder ob er es lieber in seine persönliche Sammlung integrieren wollte, von der niemand außer ihm wusste.

Stefan Gustafsson streckte die Hand aus und nahm die Tagespost in Empfang. Nachdem sich die Glastür der Kunstgalerie hinter dem Postbeamten geschlossen hatte, wollte er den Stapel Briefe schon achtlos auf den Biedermeiersekretär legen, da fiel ihm ein Umschlag ins Auge, der sich von den anderen deutlich abhob. Format, Papier und Handschrift – alles schien durch eine exponierte Schlichtheit auffallen und damit sagen zu wollen, dass er es nicht mit der Nachricht eines gewöhnlichen Menschen zu tun hatte. Hier schrieb jemand, der keinen Zweifel daran ließ, dass er sich für etwas Besonderes hielt, und der sich auch nicht scheute, diese Selbsteinschätzung, die vermutlich irgendwo zwischen Gott, Papst und schwedischem König angesiedelt war, der ganzen Welt mitzuteilen. Aber stilvoll und dezent natürlich.

Stefan Gustafsson kannte den Absender nur zu gut und ließ die anderen Briefe auf den Tisch fallen. Diesen einen jedoch öffnete er sofort, mit einem Jugendstilbrieföffner aus massivem Sterlingsilber und in Form einer Meerjungfrau, deren weiche Züge und elegante Rundungen ihn stets an seine Frau erinnert hatten, als sie noch nicht so fett gewesen war. Er zog das schwere, selbstverliebte Büttenpapier mit dem Wasserzeichen aus dem Umschlag, faltete es auseinander und las.

Eine Minute später griff er zum Telefon.

»Gustafsson«, meldete sich eine weibliche Stimme nach kurzem Klingeln.

»Stell dir vor, mein Vater hat uns zu Weihnachten eingeladen!«, platzte er heraus und sparte sich die Begrüßung.

»Ach, du bist es, Stefan. Was sagst du?«, fragte Sofia unaufgeregt. Ihre Tonlage ließ keine Zweifel aufkommen, dass es ihrem Gemüt nicht entsprach, sich allzu schnell über etwas zu freuen.

Ganz anders dagegen Stefan Gustafsson. »Mein Vater hat uns zu Weihnachten eingeladen!«, wiederholte er lautstark.

Sofia sagte nichts, und doch schien ihr Mann die unausgesprochene Aufforderung deutlich zu verstehen, er möge gefälligst etwas mehr Informationen preisgeben.

»Hör dir das an«, sagte Stefan Gustafsson daraufhin und begann, den Brief vorzulesen.

Liebe Familie,

ich habe beschlossen, dieses Jahr ein großes Familienweihnachtsfest mit Euch zu feiern, und lade Euch daher herzlich zu mir ein. Eure jeweiligen Lebenspartner selbstredend ebenfalls, sofern Ihr noch welche habt.

Kommt bitte am 22. Dezember so, dass wir um 19 Uhr gemeinsam zu Abend essen können. Wir werden die Feiertage bis zum 27. Dezember 12 Uhr gemeinsam verbringen und gewiss vieles zu besprechen haben.

Ich wünsche mir, dass Ihr zahlreich, pünktlich, frohgemut und ohne Geschenke erscheint.

U.A.w.g. bis 1. Dezember.

Herzliche Grüße

Vater/Großvater/Urgroßvater

»Was hat das denn zu bedeuten?«, fragte Sofia. »Erst schlägt dein Vater zehn Jahre lang alle Weihnachtseinladungen aus, ob von Birgitta oder von uns, und jetzt das. Sehr seltsam.« Skepsis mischte sich in ihre Stimme – zumindest meinte Stefan Gustafsson diesen Unterton wahrzunehmen.

»Tja, ich weiß auch nicht, was ihn dazu bewogen haben könnte. Vielleicht kommt er endlich zur Vernunft? Vielleicht ist es auch Altersmilde? Es soll ja Zeichen und Wunder geben.«

»Vielleicht ist es auch Alzheimer«, mutmaßte Sofia spitz. »Er ist und bleibt ein herrschsüchtiger Tyrann, der sich in dieser Rolle prächtig gefällt. Dieser Wandel kommt mir sehr plötzlich. Am Ende führt er etwas im Schilde. Denk doch nur an euer letztes Telefonat.«

Ja, das tat Stefan. Das Gespräch hatte Anfang des Jahres stattgefunden, und aus emotionaler Sicht war es eher suboptimal vonstattengegangen. Wegen einer Vollmacht für den Ankauf einer größeren Sammlung hatten sie sich gestritten. Er und sein Vater. Und sie hatten sich gegenseitig einige sehr unschöne Begriffe an den Kopf geworfen. – Anfang des Jahres? So lange war das schon wieder her? Vielleicht ging es seinem Vater nicht gut?

»Wie dem auch sei, wir werden hinfahren«, unterbrach Sofia vehement seine Gedanken und verscheuchte damit das aufgekommene schlechte Gewissen aus dem Herzen ihres Mannes. »Ich schreibe ihm, dass wir dabei sind. Dann kannst du es gleich Bengt sagen, wenn er wieder ins Geschäft kommt, damit er sich nichts anderes vornimmt, und ich rufe Jan-Erik an.«

»So wie ich meinen Vater kenne, hat er mit Sicherheit alle einzeln eingeladen. Sie haben den Brief bestimmt auch heute in der Post gehabt«, sagte Stefan Gustafsson, der sich keinen Reim auf den plötzlichen Eifer seiner Gattin machen konnte. »Aber gut, meinetwegen. Ich sage es ihm. Er wird darüber sicher nicht sehr erbaut sein. Ich meine, mich zu erinnern, dass er neulich erst etwas von einem Winterurlaub erzählt hat.«

»Das ist mir egal. Jan-Erik wollte dieses Jahr mit Viola zu ihren Eltern nach Göteborg fahren und dort feiern, aber diesen Zahn werde ich ihm ziehen. Sag Bengt, worum es geht. Ich erwarte Zusammenhalt.«

»Was meinst du? Worum soll es denn gehen?«, fragte Stefan Gustafsson erstaunt.

Am anderen Ende der Leitung schnaubte Sofia verzweifelt auf, und Stefan Gustafsson konnte förmlich sehen, wie sie resigniert die Augen schloss und ratlos den Kopf schüttelte. »Glaubst du denn ernsthaft, dahinter steckt nur ein Fest im trauten Kreise der Familie?«, hob sie an. »Blödsinn! Ich kenne den alten Mann anscheinend besser als sein eigener Sohn. Was wird er wohl mit dieser Einladung bezwecken?«

»Bezwecken? Es ist Weihnachten und …« Stefan Gustafsson zögerte. Dann verstand er, worauf seine Frau hinauswollte. »Du glaubst, es könnte bedeuten, dass er sich endlich von seinen Anteilen trennen und sie uns überschreiben will, mir und Magnus?« Da ging die Ladentür erneut, und ein junger Mann in bestem Zwirn trat ein. »Bengt kommt gerade«, sagte er knapp.

»Ja, genau das glaube ich«, überging seine Frau diese Mitteilung. »Du weißt, wie er ist. Immer alles regeln, alles unter Kontrolle bringen, und am besten noch mitsprechen, wenn der Sargdeckel schon geschlossen ist. Ich bin jedenfalls gespannt, was er sich ausgedacht hat. Hin müssen wir auf jeden Fall! Wer weiß, was wir sonst verpassen? Ich rufe Jan-Erik an, und du redest jetzt gleich mit Bengt. Hej då und bis später.« Sie legte auf.

»Ist etwas passiert? Warum schaust du so verstört?«, wollte Bengt wissen. Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. Dann trat er zu seinem Vater an den Sekretär und sah ihn fragend an.

»Hast du heute schon in deinen Briefkasten geschaut?«, erkundigte sich Stefan Gustafsson. Er spürte, wie der Gedanke an die von seiner Frau vermuteten Möglichkeit der Erbregelung Besitz von ihm ergriff. Ja, je länger er darüber nachdachte, desto logischer erschien ihm diese Schlussfolgerung.