Gute Reise, Tante Britta - Lise Gast - E-Book

Gute Reise, Tante Britta E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Brigitta Heilmann hat ihr ganzes Leben hart gearbeitet. Ihr Mann verstarb früh und sie musste sich alleine um die beiden Söhne kümmern, sie versorgen und großziehen. Über zwanzig Jahre hat sie in einem Reisebüro gearbeitet und hatte währenddessen weder Zeit noch die finanziellen Mittel, um selbst zu verreisen.Doch jetzt soll alles anders werden. Denn ab heute ist Brigitte Heilmann in Pension. Als Rentnerin hat sie endlich alle Zeit der Welt und sie genießt vom ersten Tag an ihre Freiheit. Als erstes beginnt sie ein, Tagebuch zu schreiben. Denn sie will jetzt reisen und damit sie ihre Erlebnisse nicht vergisst, muss sie diese aufschreiben. Gute Reise, Tante Britta ist ein unterhaltsamer Roman über eine lebensfrohe Frau, die im Rentenalter einen neuen Lebensabschnitt beginnt. Mit viel Spaß und Freude erzählt Lise Gast von den Erlebnissen und Erinnerungen einer Frau, die ihre schwere Zeit als alleinerziehende und arbeitende Mutter hinter sich gebracht hat und sich nun des Lebens freuen kann. Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-

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Seitenzahl: 69

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Lise Gast

Gute Reise, Tante Britta

Saga

Gute Reise, Tante Britta

© 1969 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711509494

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com.

Am 31. Dezember

Es hat etwas Widersinniges an sich, wenn man am letzten Tag des alten Jahres etwas Neues anfängt; das macht mir aber nichts. Ich bin mein Leben lang eigene Wege gegangen, habe mir das unzählige Male von anderen Leuten unter die Nase reiben lassen und gehorsam dazu genickt, ohne es zu ändern – nun werde ich mir doch nicht auf meine alten Tage untreu werden! Heute morgen jedenfalls, als ich das lustige Schneegestöber vor dem Fenster sah, beschloß ich, von nun an Tagebuch zu schreiben.

Eine solche Kateridee ist das im Grunde gar nicht, denn heute beginnt mein neues Leben. Bisher „Angestellte Brigitta Heilmann in Buchhandlung und Reisebüro Hahnele“, der Buchhandlung am Platze – der Platz ist eine winzige Kleinstadt, die so gerne Großstadt werden möchte –, bin ich ab heute pensioniert. Eigentlich schon seit den Feiertagen, aber als gutmütiges Schaf habe ich in den Tagen „zwischen den Jahren“ dem lieben Hahnele bei der Inventur geholfen, obwohl ich es nicht brauchte. Seit heute bin ich Rentnerin, hurra! Und es schneit, zweimal hurra! Und ich werde im Bett bleiben und mich überhaupt nicht rühren und unsagbar, undenkbar, unaussprechlich faul sein – dreitausendmal hurra!

Das letztere – also: im Bett bleiben, ist natürlich eine Redensart. Schon allein, weil man im Bett nicht oder doch nur schlecht schreiben kann. Dazu muß man aufstehen, und wenn man schon aufgestanden ist, heizt man das Zimmer schnell ein bißchen, damit es warm und gemütlich wird, und gießt einen herrlich duftenden Kaffee auf. Aber man könnte im Bett bleiben, das ist es, darauf kommt es an!

Wenn ich – mit einem winzigen, nicht abzugewöhnenden Rest von schlechtem Gewissen – ich bin ja preußisch erzogen, das heißt, erzogen zur Pflicht und immer wieder zur Pflicht –, wenn ich nun heute auf mein Leben zurückblicke, so kann ich eigentlich ruhig sagen: ich hab das Ausruhen verdient. Mir war eine wunderschöne Kindheit beschert, mit vielen Geschwistern, einem strengen, redlichen Vater und einer reizenden, lachlustigen Mutter, dann kam die kurze Berufsausbildung und eine leider noch kürzere Ehe, die aber sehr, sehr glücklich war. Wenn ich sehe, was bei anderen Menschen zuweilen aus einer langen Ehe wird, – nein, da möchte ich nicht tauschen. Zwei Söhne sind mir geblieben, Söhne, wie sie sein sollen: erst blond gelockt, rundlich und süß, später zahnlückig und dünn, noch später flegelig, frech und übermütig, und im ganzen Gott sei Dank brav, lieb und ordentlich und von einer nachsichtigen Freundlichkeit ihrer Mutter gegenüber, die erfreulich absticht von der kritischen Nörgelsucht vieler junger Leute heutzutage ihren Eltern gegenüber. Nun sind beide schon eine Weile verheiratet und beglücken mich in regelmäßigen Abständen mit Enkeln, leider bisher nur mit Enkelsöhnen, ich hätte so gern auch Töchter gehabt, und natürlich dann wenigstens Enkeltöchter. Aber das kann ja noch kommen.

Ich war also gezwungen, meine Kinder allein aufzuziehen, wie viele Frauen meines Jahrgangs. Das war nie ganz einfach – verständlicherweise, man ist ja dann gleichzeitig Hausfrau, Mutter und berufstätige Frau. Merkwürdigerweise wird man da von der Umwelt nicht respektiert, sondern bei jedem kleinen Versagen mit harter Kritik bedacht. „Natürlich, der Vater fehlt!“ heißt es streng, und keiner denkt daran, daß er uns selbst ja am meisten fehlt, und daß wir nichts sehnlicher wünschten, als ihn noch neben uns zu haben. Immer wieder begegnen wir dem erhobenen Zeigefinger: „Du als Witwe ...!“ Dabei wollen wir doch gar nichts anderes und haben nie etwas anderes gewollt, als die Aufgaben bewältigen, die für zwei gedacht waren und nun von einem gemeistert werden müssen. Wirklich, manchmal war es schwer, wenn ich zu Hahnele mußte, und daheim lag einer oder auch alle beide, spuckend und würgend und mit Fieber, oder wenn die berühmten blauen Briefe aus der Schule ins Haus flatterten, die übrigens in Familien mit Vätern auch nicht fehlen: „Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, daß Ihr Sohn ...“ und so weiter. Ja, einfach war es nicht, jedenfalls nicht immer. Und weil es nicht immer einfach war, kann ich mich jetzt endlich einmal faul ausstrecken, jedenfalls bildlich: „So, jetzt ist es mit Gottes Hilfe geschafft. Jetzt brauchen die Söhne mich nicht mehr. Jetzt kann ich endlich, endlich tun und lassen was ich will.“

Was ich will? O, ich weiß es schon lange!

Man muß verstehen, was es heißt, über zwanzig Jahre in einem Reisebüro zu arbeiten und nie, nie verreisen zu können. Ich muß dazu einen Vergleich heranholen. Vergleiche machen klar, was man sonst nicht auf Anhieb versteht. Also:

Es gibt Vögel, Cormorane heißen sie, die fressen gern Fische, und also fangen sie sich welche. Das hat der Mensch, der kluge, gemerkt. Er hat sie gezähmt, ihnen hinterlistigerweise einen Ring um den Hals gelegt, damit sie zwar den Schnabel auf- und zumachen, aber nicht schlucken können, und sie auf Fischfang geschickt. Nun fliegen diese großen Vögel und fangen Fische, dann pfeift der Mensch, und sie kommen gehorsam zu ihm zurück, worauf er ihnen die Beute abnimmt.

An mir und meinen Kollegen handelte das Leben ähnlich. Ich saß über zwanzig Jahre in meinem Reisebüro und stellte anderen Leuten die Reisen zusammen. Nach Amerika, in den Schwarzwald oder nach Kufstein, nach Bornholm oder auf die Fidschi-Inseln. Selber reisen konnte ich nicht. Da war in den kurzen Urlauben, die ich bekam, so viel nachzuholen, was eine berufstätige Mutter zwangsläufig immer wieder aufschiebt; und nachzuschlafen galt es auch. Ich habe einmal am ersten Urlaubstag siebzehn Stunden hintereinander geschlafen.

Natürlich gibt es Leute, die sagten immer und sagen noch heute: „Du hättest eben ...“ Es gibt so kluge Leute. Aber mich vertreten, mir die Pflichten für ein paar Reisewochen abnehmen, das haben sie nicht getan, nie. Keiner von ihnen. Nur klug reden konnten und können sie. „Du müßtest eben ...“

Ich bin also nie gereist, auch deshalb nicht, weil es mit meinen Söhnen zusammen zu teuer geworden wäre, und sollte ich die kurze Zeit, in der ich endlich einmal für sie da sein konnte, allein wegfahren, von allen anderen Gründen abgesehen? Aber jetzt werde ich reisen. Jetzt werde ich alles, alles nachholen, was ich bisher nicht tun konnte. Deshalb habe ich mir das Tagebuch gekauft. Wenn man auf Reisen ist, passiert so viel, daß man es einfach aufschreiben muß. Ich bin dazu entschlossen.

Frau Brigitta Heilmann war aufgestanden und vor den Spiegel getreten. Wie sehe ich nun aus als Pensionärin, fragte sie sich und schaute prüfend in den Spiegel.

Groß, nicht mehr schlank, eher vollschlank – „dick“ ist solch ein unfreundliches Wort –, aber keineswegs auseinandergegangen. Dafür ein fast faltenloses Gesicht mit lustigen braunen Augen. „In einem gewissen Alter muß man sich entweder für das Gesicht oder für die Figur entscheiden“, hatte eine gleichaltrige Frau ihr einmal gesagt, als sie gemeinsam deren sehr dicken Dackel betrachteten, „wer sich schlank hungert, kriegt Falten im Gesicht. Wer auf Schlagsahne und Mayonnaise, Gänsebraten und Klöße nicht verzichten kann – wie ich zum Beispiel –, trägt jugendliche Platzbacken über einer, mild gesprochen, rundlichen Figur. Unser lieber Waldmann hat sich, wie man sieht, ebenso entschieden.“

„Man müßte einen goldenen Mittelweg finden“, hatte Brigitta damals nachdenklich gesagt und versucht, danach zu leben. Ergebnis, wie gesagt: nicht mehr schlank, aber keineswegs dick, kleine Fältchen um die Augen – man kann sie Lachfältchen nennen, wenn man freundlich gesonnen ist – aber kein hohläugiges Asketengesicht, von jedem etwas.

Brigitta fuhr herum. Sie hatte Schritte gehört. Wenn sie jemand in ihrem Alter vor dem Spiegel überraschte! Aber es war nur der Briefträger. Für die Post war heute kein Feiertag.

Sie ging hinaus. Ein Einschreiben, drei Päckchen, ein Paket, das Zustellgebühr kostete.

„Kommen Sie doch herein, Sie sind ja schon der reinste Schneemann“, sagte sie und hielt ihm die Tür auf. Er wippte den Schnee von der Mütze, blieb aber im Flur stehen.

„Sie haben doch auch keine Zeit.“

„Doch, denken Sie, ab heute. Ab heute bin ich Pensionärin“, sagte Brigitta und lachte, „ab heute tue ich gar, gar, gar nichts mehr. Ich hab mein Leben lang geschuftet und werde nun nur noch faul sein.“