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Das große Dilemma vieler Paare: Wir lieben uns, wir verstehen uns gut – aber wo ist die Erotik geblieben? Sexuelle Langeweile bestimmt die Zweisamkeit. Aber auch in einer langjährigen Partnerschaft können Begehren und Lust aktiv gestaltet werden. Aus seiner langjährigen Erfahrung als Paartherapeut gibt Ulrich Clement konkrete Anregungen, wie Sie den Teufelskreis der Unlust überlisten und eine neue aufregende Phase der Partnerschaft beginnen können.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2011
Das Buch
Zahlreiche Paare klagen, dass nach ersten leidenschaftlichen Monaten und Jahren der Sex immer langweiliger wird. Das anfängliche Feuer glimmt nur noch, das Begehren ist auf der Strecke geblieben. Obwohl sie sich lieben und zusammenbleiben wollen. Woher kommt diese Lustlosigkeit? Kann der Teufelskreis der Unlust durchbrochen werden? Darauf gibt das Buch Antworten und zeigt, wie Erotik und Begehren neu entfacht werden können.
Dabei verlässt Ulrich Clement die Sichtweise bisheriger Sexualratgeber, die vor allem in den Gemeinsamkeiten zweier Menschen die Lösung suchen. Er hingegen lädt die Partner dazu ein, das eigene sexuelle Profil, eigene Wünsche und Sehnsüchte wieder zu entdecken und in den Mittelpunkt zu rücken. Die Lust an der Verschiedenheit, am Spiel und an der erotischen Kommunikation erzeugt frische Spannung und eine Sexualität des Begehrens.
Der Autor
Ulrich Clement ist einer der führenden deutschen und international renommierten Paar- und Sexualtherapeuten. Sein Ansatz gilt als profilierte und originelle Innovation der Sexualtherapie. Ulrich Clement arbeitet als Dozent, Coach und Psychotherapeut und ist Professor für Medizinische Psychologie an der Universität Heidelberg (www.ulclement.de).
Von Ulrich Clement ist in unserem Hause bereits erschienen:
Wenn Liebe fremdgeht
Ein Rat für eilige Leser: Legen Sie das Buch gleich wieder weg. Nehmen Sie es erst wieder in die Hand, wenn Sie Muße haben. Schnelle Tipps für hastige Sexualpraktiker finden Sie hier nicht. Sie brauchen Zeit. Weniger für das Buch als für das, was Sie daraus machen.
In diesem Buch geht es darum, wie Sie Ihre erotische Lebensqualität entwickeln können, wenn sie nicht von selbst besser wird. Was sie selten tut. »Guter Sex trotz Liebe« spielt auf das große Rätsel an, warum Erotik selbst bei den Paaren schlechter wird, die sich lieben und die ihre Beziehung fortsetzen wollen.
Erotik ist auch eine Frage von Entscheidungen. Und eine erste Entscheidung ist die, ob Ihnen besserer Sex die Investition von Zeit wert ist. Wenn ja, finden Sie hier reichlich Anregungen, Tests, Hinweise, Übungen und nützliche Überlegungen, wie Sie festgefahrene sexuelle Situationen wieder flott kriegen. Und wie Sie zu einer Erotik kommen, die nicht nur aufregend, sondern auch authentisch ist und zu Ihrer persönlichen Entwicklung passt.
Das Buch nutzt die Erfahrung, die ich in drei Jahrzehnten als Sexualtherapeut und -wissenschaftler mit unzähligen Paaren und Einzelklienten gemacht habe. In Einzelgesprächen, Paartherapien, Paar-Gruppenseminaren, Interviews. Im Dschungel des menschlichen Sexuallebens gibt es kaum etwas, das es nicht gibt. Für jede erdenkliche Vorliebe gibt es Liebhaber. Alles, was gemacht werden kann, wird von irgendjemandem auch gemacht. Und alles, was die Leidenschaft fliegen lässt, kann die Fliegenden auch schmerzlich abstürzen lassen. Sex tut gut, Sex tut aber auch weh. Sex ist exotisch, Sex ist aber auch kreuznormal. Und in den Fallstricken der ganz normalen Sexualität habe ich viele Paare zappeln sehen. Das Ganze hat mit sexueller Unterdrückung wenig zu tun. Eher im Gegenteil. Wir haben heute (fast) alle Freiheiten. Und müssen ständig selbst entscheiden, was wir mit der Freiheit anfangen. Auch davon handelt dieses Buch. Mein heimlicher Untertitel ist »Anleitung zum Umgang mit der sexuellen Freiheit«.
Nach dem Erfolg meines Buches »Systemische Sexualtherapie« für Therapeuten kam von vielen Klienten, Kollegen und Freunden die Idee, mein Konzept doch einmal allgemeinverständlich zu schreiben. Das habe ich getan und auf den Fach-Jargon verzichtet – nach dem Motto: »einfach – praktisch – gut«.
Neidisch bin ich auf die Autoren, die auf Englisch publizieren. Sie haben ein Problem nicht, für das die deutsche Sprache keine vernünftige Lösung bereit hält: die geschlechtsgebundene Schreibweise, die mir auferlegt, immer von »Partnerin bzw. Partner« zu sprechen. Korrekt, aber umständlich. Das mute ich Ihnen nicht zu. Aber dass der weibliche Blick auf die Erotik trotz der männlichen Diktion gesichert ist, das garantiert meine Kollegin Sam. Sie begleitet die Leser als erotische Kommunikationsberaterin und bringt in weiblicher Direktheit alles Wesentliche auf den Punkt.
Ich bin vielen Personen zu Dank verpflichtet. Für die rundum erfreuliche Zusammenarbeit Gudrun Jänisch vom Ullstein Verlag, Dr. Christiane Lentz (Lektorat) und Joachim Jessen (Literaturagentur Schlück). Und dreien ganz besonders: Bernhard Ludwig dafür, dass er mir gezeigt hat, wie man Sexualtherapie ohne inhaltliche Verluste jenseits der Expertengrenzen verständlich und lebenspraktisch darstellen kann. Dr. Thomas Zimmermann für seine gründliche Expertise im Verfassen eines Ratgeberbuchs. Und Elisa für ihre unschätzbar aufregenden Anregungen.
Ulrich Clement
Am Anfang einer Liebesbeziehung träumen alle Paare davon: Die Tage und Nächte voller Verliebtheit, die Innigkeit und Leidenschaft mögen ewig so weitergehen. Immer. Ohne Ende.
Aber das Träumen hilft nicht. Die Leidenschaft kommt in die Jahre. Das anfängliche Feuer glimmt nur noch. Irgendwann ist die Glut unter der Asche des Alltags fast nicht mehr zu sehen. Und dann spielt Sex kaum noch eine Rolle. Das erotische Begehren ist auf der Strecke geblieben. Als Paar verstehen sich beide gut. Sie lieben sich weiter. Aber das scheint sich nicht bis zum gemeinsamen Sexualleben durchzusprechen. Sexuelle Unzufriedenheit macht sich breit. Beide sind gefangen im Trott der ganz normalen sexuellen Langeweile. Viele Paare erschrecken über eine solche Erkenntnis. Sie sind mit anderen Erwartungen in diese Liebesbeziehung gestartet: Die Lust sollte Ausdruck der Liebe und auch nach vielen Jahren noch groß und schön sein.
Stellen Paare fest, dass der erotische Pegel deutlich gesunken ist und sich die anfängliche Begeisterung verflüchtigt hat, wirft das Fragen auf:
Holen wir das Begehren zurück in die Beziehung und wenn ja, wie geht das?
Suchen beide Lust außerhalb der Beziehung?
Bleiben beide in der Beziehung und verabschieden aber die Lust?
Oder verlieben sie sich neu? Suchen die beiden einen frischen Kick? Entfachen sie neues Begehren?
Oder auch: Wie stehen die Chancen, sich in den alten Partner neu zu verlieben?
Wer das Begehren wieder aufleben lassen will, muss einen Neustart wagen. Er oder sie muss sich anders verhalten als in der Zeit, in der sich der Sex weggeschlichen hat. Gleichwohl: Unter der Asche des verloschenen Feuers in den eigenen vier Wänden glimmt noch das Begehren. Häufig ist es ein Seitensprung, der klar macht, dass die erotischen Gefühle nicht abhanden gekommen sind, sondern sich woanders hin bewegt haben.
An dieser Stelle stellen sich weitere Fragen:
Ist es nicht sowieso der Lauf der Dinge, dass die Sexualität zwischen Liebenden mit den Jahren abnimmt?
Wie wichtig ist ihnen der Sex?
Lohnt es sich, für das erotische Begehren zu kämpfen und sich dafür zu verändern?
Kann man Erotik überhaupt beeinflussen?
Kühlt die erotische Beziehung nicht natürlicherweise aus?
Natürlich? Hier ist ein Bild hilfreich: die Schwerkraft. Sie ist auch natürlich – Gegenstände fallen durch die Gravitation nach unten. Es sei denn, man aktiviert Gegenkräfte. Man kann Dinge wieder aufheben, man kann sie bewegen, kann mit ihnen jonglieren und, wenn es drauf ankommt, sogar zum Mond schießen. Ähnlich ist es bei der Erotik: Wir können sie zu Boden fallen lassen. Und dann liegt sie da. Es trifft also zu: Wenn wir nichts tun, wird Erotik von selbst schlechter. Oder wir heben sie auf, sehen sie uns neu an. Und wenn wir wollen, können wir jonglieren. Wenn wir wollen …
Genau darum geht es in diesem Buch. Es zeigt Ihnen Möglichkeiten auf, das erotische Begehren neu zu entfachen und das vermeintliche Schicksal nicht einfach hinzunehmen. Sich zu lieben und dabei das erotisches Feuer ausgehen zu lassen, ist eine Entscheidung des Paares und keine natürliche oder zwangsläufige Entwicklung in einer Beziehung.
Die langjährige praktische Arbeit als Paartherapeut mit sexuell unzufriedenen Paaren hat mir gezeigt, dass es möglich ist, den Teufelskreis der Unlust zu durchbrechen: Er hat keine Lust, weil sie nicht so Lust hat wie er, weil er nicht so Lust hat wie sie … Es geht: Auch nach vielen Jahren gemeinsamen Lebens können Paare wieder richtig neugierig aufeinander werden und ihre Beziehung neu entdecken.
Ein paar der Gründe, warum der erotische Traum unerfüllt bleibt, sind offensichtlich: Alltagsstress und Alltagssorgen, die Kinder, der Beruf, die gesellschaftlichen Verpflichtungen. Davon wird hier nur am Rand die Rede sein. Denn eine weitaus wichtigere Rolle als diese wenig geheimnisvollen Gründe spielt ein zentraler Widerspruch. Und der macht die Musik aller erotischen Beziehungen aus.
Ehe Paare Partner werden, sind sie sexuelle Individuen. Wenn wir uns als Liebespartner begegnen, treffen wir mit verschiedenen sexuellen Profilen aufeinander. Wir bringen unsere Vorlieben, Erwartungen, Befürchtungen und Erfahrungen mit. Dieser Unterschied spielt am Anfang meist kaum eine Rolle, weil der Taumel der Verliebtheit alles Trennende verwischt. Da sind wir nur Liebende, keine abgegrenzten Individuen. Aber wenn wir länger zusammen sind, meldet sich das individuelle Profil zurück. Nach einer Weile des Zusammenlebens stellen wir dann oft fest, wie verschieden wir sind. Manches passt, manches ist auch unwichtig, aber manches passt auch gar nicht. Früher oder später sehen wir uns dann einem widersprüchlichen Phänomen gegenüber: Wir lernen uns immer besser kennen und auch lieben, aber sexuell entfernen wir uns immer weiter voneinander.
In den folgenden Kapiteln finden Sie bewährte Vorschläge, wie sich dieser Widerspruch nutzen lässt. Ich werde Ihnen Anregungen geben, wie Sie den Liebes- und Beziehungsfallen entkommen können, die einem befriedigenden erotischen Leben im Weg stehen. Um diese Ideen zu illustrieren, berichte ich auch von Paaren aus meiner Praxis, die sich an mich gewandt haben, weil das sexuelle Unglück die Beziehung zu bedrohen begann. Auf manche Geschichten komme ich öfter zurück, manche tauchen hingegen nur einmal auf.
Begleitet und ergänzt werden die Paargeschichten von Sam. Als »guter Geist der Erotik« macht sie Ihnen anschaulich, welche Möglichkeiten Sie haben, sich als Paar aus den Fesseln der sexuellen Langeweile zu befreien. Sam steht mit Rat und Tat zur Seite, erklärt, erläutert und weist Wege aus der Sackgasse. Als guter Geist unterstützt Sam Sie auf der Entdeckungsreise zu einer besseren Erotik. Dabei kommentiert Sam meine Vorschläge. Sam ist manchmal vorlaut und frech, manchmal skeptisch, manchmal gibt sie Tipps. Und Sam hilft Ihnen, gelegentlich innezuhalten und sich selbst die richtigen Fragen zu stellen. In diesem Buch ist Sam dafür da, den Unterschied zu machen. Sam versteht sich als erotische Kommunikationsberaterin. Denn Kommunikation umfasst weit mehr, als nur miteinander zu sprechen.
Sam erklärt:
Als Liebes-Coach schätze ich die direkte Sprache!
Vielmehr geht es um solche Fragen:
Wie bringe ich meinen Partner dazu, überhaupt erst einmal mit mir ins Gespräch zu kommen?
Wie lade ich erfolgreich zum erotischen Austausch ein?
Wie gelingt es uns, einander unsere sexuellen Fantasien zu offenbaren, selbst wenn das den anderen bedrohen könnte?
Welche Vereinbarungen können wir treffen, um uns langsam anzunähern, ohne den anderen gleich zu überfordern?
Wie können wir unsere Unterschiede positiv für unser Sexualleben nutzen?
Mit der Betonung der Unterschiede verlasse ich die Sichtweise der gängigen Sexualratgeber, die auf die Gemeinsamkeit der partnerschaftlichen Sexualität ausgerichtet sind. Mein Ansatz betont stattdessen das Spiel mit den erotischen Unterschieden: Wie können wir mit unseren Unterschieden spielen? Wie können wir diese Unterschiede nutzen? Welchen Unterschied macht eigentlich der Unterschied?
Ich verabschiede mich zudem von der traditionellen Sicht auf sexuelle Probleme. Danach beruhen sexuelle Schwierigkeiten wie Lustlosigkeit oder Erektionsstörungen auf einem Mangel, einem Nicht-Können. Demgegenüber betone ich die Perspektive des Wollens: Wer in langjährigen Beziehungen Sexualität leben möchte, muss eine erotische Kultur entwickeln, in deren Mittelpunkt das Wollen, nicht das Können steht: Wie will ich? Wie willst du? Wie wollen wir gemeinsam?
Mit meinem Entwurf einer »Sexualität des Begehrens« lade ich die Partner dazu ein, das eigene sexuelle Profil, die eigenen Wünsche und Sehnsüchte wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Ich verzichte darauf, jemandem Defizite und Mängel zu unterstellen, die bisher dazu geführt haben könnten, sexuell unglücklich zu sein. Ich stelle nicht die sexuelle Funktion in den Mittelpunkt und die Frage, ob es sexuell »klappt« oder nicht. Technik interessiert in einer »Sexualität des Begehrens« zunächst nicht. Gekonntes Streicheln, ein verbessertes Vorspiel oder ein verzögerter Orgasmus sind hilfreich, garantieren aber keine sexuelle Lust, wenn sie nur technisch vollzogen werden. Stattdessen will ich zeigen, wie sich die Möglichkeiten der erotischen Kommunikation nutzen lassen, um die Entwicklung der erotischen Paarkultur zu beflügeln. Dafür richte ich den Blick bevorzugt auf die erotischen Unterschiede. Erst sie machen den Reiz unserer erotischen Gemeinsamkeit aus.
Ich möchte all jene erreichen, die nach den ersten leidenschaftlichen Monaten und Jahren spüren, dass ihr sexuelles Interesse aufeinander nachlässt – obwohl sie sich lieben. Ich möchte die Leserinnen und Leser ansprechen, die ein neues Kapitel in ihrer erotischen Beziehung aufschlagen wollen. Wer sich einladen lässt, eine neue Sicht auf das eigene Sexualleben auszuprobieren, wird überrascht über die Chancen sein, die die neue Perspektive bietet.
Die Ursachen für sexuelle Unlust und Unzufriedenheit mögen vielfältig sein. Meist ändern sie jedoch nichts an unserem Wunsch nach einem erfüllenden Sexualleben. Die meisten Menschen glauben fest daran, dass Sex ein wichtiger Teil der Partnerschaft sei. Wir sind überzeugt, dass ein ausgeglichenes Sexualleben uns auch im sonstigen Leben voran bringe und das Wohlbefinden stärke – wir haben hohe Ansprüche an unsere Sexualität. Wir erwarten auf jeden Fall mehr als nur den eigentlichen sexuellen Akt. Leicht fühlen wir uns dann unter Druck gesetzt, wenn im Bett nicht alles so läuft, wie wir es erhoffen. Stets orientieren wir uns dabei auch an unserer gesellschaftlich-kulturellen Umgebung. Was ist erlaubt? Was ist verboten? Was ist erwünscht? Was ist verpönt?
Die Antworten auf diese Fragen haben sich in den vergangenen vier Jahrzehnten stark gewandelt. Sexuelle Werte und Normen haben sich verschoben. Die Kultur des sexuellen Verbots und der sexuellen Normierung (Was ist normal? Was ist pervers?) hat sich in den 1960er und 1970er Jahren in eine Kultur des Gebots und der Leistungsorientierung verändert. Bis dahin war z. B. außerehelicher Verkehr oder Homosexualität gesellschaftlich geächtet. Nun ging es darum, sexuell etwas zu leisten, sexuell attraktiv und einfallsreich zu sein – und die alten Normen und Werte möglichst weit hinter sich zu lassen. In den 1980er Jahren wiederum galt es, sich sexuell wieder stärker zu beschränken. Das HI-Virus und AIDS verstörten unser Sexualleben. Die »freie« Liebe zu leben, war plötzlich nicht mehr selbstverständlich, sondern unvernünftig und riskant. Sexualität verbanden wir nunmehr mit Ängsten und Gefahren. Eine neue Vorsicht machte sich breit. »Drum prüfe, wer sich ewig bindet« bekam wieder eine neue Bedeutung. Aber neben der Treue gab es schließlich auch Kondome …
Im Lauf der Zeit veränderten sich die Szenarien. In den 1990er Jahren war es möglich, dass viele erotische Lebensentwürfe friedlich nebeneinander existierten. Ob schwul, hetero- oder asexuell, jedem ist es heute erlaubt, nach eigenem Geschmack und eigenen Wünschen glücklich zu werden. Auch mit HIV haben wir gelernt zu leben. Außer den drei Tabus Sexualität mit Kindern, sexuelle Gewalt und Inzest gilt inzwischen alles als erlaubt.
Es gibt keine Normen, die die Partner in ihrer Entscheidung beschränken. Vorausgesetzt, sie haben sich verständigt und sind sich einig. Wir können wählen zwischen verschiedenen Formen der Sexualität, Praktiken und Lebensformen. Ausschweifung ist genauso möglich wie Enthaltsamkeit. Wir dürfen heute sogar keine Lust haben – und stoßen damit meist auf Verständnis. Unsere Sexualität ist weitgehend frei von äußeren Einschränkungen.
Diese neue Freiheit erleichtert es uns, eigenverantwortlich zu handeln. Zugleich fordert sie uns heraus: Wir müssen uns, ganz und gar selbstbestimmt, darüber klar werden, wofür wir uns in all der Vielfalt entscheiden wollen. Nicht mehr die Eltern, die Kirche oder der Staat und seine starre Gesetzgebung sind für unser Handeln als Erwachsene verantwortlich: Wir selbst entscheiden, wie wir uns lieben und wie wir unser Begehren zeigen. Die Orientierung für unser erotisches Leben müssen wir in uns selbst suchen und finden. Suchen wir außen nach Orientierung, sind wir verloren. Wir stoßen auf eine unübersehbare Vielzahl von Meinungen und Ansichten, die mehr verwirrt als hilft.
Angesichts der vielen Meinungsanbieter ist es uns überlassen, ob wir uns an ihnen orientieren. War früher die Zeitschrift »Bravo« das Leitmedium für die pubertierende Generation, ist das Heft heute allenfalls eine Stimme unter vielen. Auch die Kirche liefert weiterhin Orientierungsangebote. Genauso versuchen es die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die AIDS-Hilfe, der Biologieunterricht, der Freund mit dem Zugang zu Pornoseiten im Internet oder andere Verbreiter sexueller Informationen. Hinzu kommen mediale Ikonen, die zu Vorbildern werden: Der Berliner Bürgermeister outet sich als schwul. Die Musikerinnen Madonna und Britney Spears küssen sich öffentlich auf der Bühne. »Metrosexuelle« Männer wie Boris Becker oder David Beckham schmücken sich mit weiblichen Attributen und verwischen die Grenzen zwischen den Geschlechtern.
Die Suche nach Orientierung findet in einer Umgebung aus vielen Überzeugungen und ungezählten Möglichkeiten statt. Fließende Übergänge zwischen Wertvorstellungen und Werbeästhetik liefern nur ungenügende Anhaltspunkte für individuelles Verhalten. Wer hat Recht? Woran können wir uns orientieren, wenn fast alles erlaubt ist? Selbstbestimmte sexuelle Freiheit lässt sich jedenfalls nur nutzen, wenn wir den Verlust der Eindeutigkeit verschmerzen können und stattdessen lernen, die Mehrdeutigkeit zu begrüßen.
Den Partner oder die Partnerin am Anfang der Beziehung zu begehren, fällt kaum jemandem schwer. Das sexuelle Begehren bahnt häufig die Beziehung überhaupt erst an. Doch mit der Zeit erfahren wir, dass Sexualität nicht vom Himmel fällt, egal ob wir zufrieden damit sind oder nicht. Guter Sex erfordert, dass wir selbst bewusst aktiv und aufmerksam sind.
Wenn jedoch alles geht, geht oft auch nichts, wenn keiner den Anfang macht. Einer muss sich entscheiden, die sexuelle Unzufriedenheit nicht länger hinzunehmen. Einer fängt an und beginnt, unter verschiedenen Möglichkeiten zu wählen. Sex an einem ungewöhnlichen Ort? Ein Gespräch über sexuelle Erfahrungen in der Vergangenheit? Sex, wie ich ihn schon immer erträumt habe? Ganz ohne Reden geht das nicht. »Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht«, ist das Bekenntnis derjenigen, die schweigend darauf warten, dass sich das mit dem Sex schon ergeben wird. Aber ähnlich wie das Glück des Tüchtigen eben nur dem Tüchtigen zufällt, entwickelt sich Erotik eher bei denjenigen, die Entscheidungen treffen. Entscheidungen, sich zu offenbaren. Entscheidungen, beim Partner nicht nur das Erwartete, sondern auch das Beunruhigende wahrzunehmen. Entscheidungen, erotische Risiken einzugehen. Damit kommen wir zur ersten Botschaft dieses Buchs:
Erotik braucht Entscheidungen. Gerade in längeren Beziehungen ergeben sich erotische Momente kaum spontan. Vielmehr entscheiden sich die Partner, wie aktiv sie ihre Erotik gestalten wollen.
Darum geht es im Kapitel »Vom Können und Wollen«, ab Seite 34. Im Sinn des Erlaubten ist relativ viel möglich. Doch nicht alles Erlaubte ist individuell gleich viel wert. Beide Partner müssen für sich und gemeinsam entscheiden, wie sie sich entwickeln wollen. Im ersten Schritt heißt es dafür, Farbe zu bekennen. Beide wollen den Zustand sexueller Unzufriedenheit nicht mehr länger hinnehmen. Ist das Eis gebrochen, bietet es sich an, dem anderen mitzuteilen, wie denn die erotische Freiheit genutzt werden könnte. Will der eine mehr Handlungsfreiheit probieren, muss der andere dazu einladen – ohne dass er oder sie sich durch diese Initiative bedroht fühlt. Diese Einladung muss den anderen ins Boot holen und gleichzeitig die eigenen Interessen fördern: »Ich habe wieder einmal Lust auf …«, »Was hältst du von …?«, »Lass uns probieren …« Die Kunst liegt darin, Farbe zu bekennen und sich gleichzeitig Rückzugsmöglichkeiten offen zu halten.
Sams Wegweiser:
Lieber charmant als ungalant – fünf Tipps, wie du deinen Partner zum erotischen Gespräch einladen kannst– und wie besser nicht!
1. Verführen statt einklagen
Nie machst du Sex mit mir!
Du bist so ein guter Liebhaber! Zeig’s mir!
2. Aktiv werden statt abwarten
Wenn du halt nichts machst, mache ich auch nichts!
Ich habe ein Öl mitgebracht. Darf ich dir eine Massage anbieten?
3. Neugierig statt besserwisserisch sein
Eine gute Partnerschaft braucht mindestens dreimal pro Woche Sex. Also heute!
Was würdest du denn gern mal mit mir ausprobieren?
4. Wertschätzen statt bewerten
Du bist immer so fordernd!
Mir gefällt, worauf du mich neugierig machst!
5. Unverbindlich anbieten statt Druck ausüben
Jetzt habe ich was vorgeschlagen – nun müssen wir aber auch!
Ich habe eine Idee, was hältst du davon?
Freiheit will gestaltet sein. Der Mut, sich zu seinen erotischen Wünschen zu bekennen und sich zu öffnen, sich vielleicht auch zu entblößen, ist der erste Schritt. Mit der Entscheidung, Farbe zu bekennen, nehmen wir endgültig Abschied von der Erwartung, spontane erotische Begegnungen könnten uns aus dem Stillstand heraus führen.
Neben der eigenen Entscheidung gibt es auch äußere Umstände, die das Sexualleben verändern können: Kinder, die geboren werden und aus dem Duett ein Trio machen. Erkrankungen oder Unfälle, nach denen das gemeinsame Sexualleben anders aussehen muss als gewohnt. Ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder ein Umzug setzen der Beziehung oftmals so stark zu, dass sie auch die Erotik beeinflussen. Aber nicht unbedingt negativ! Wem es gelingt, diese Situationen zu nutzen, kann dem erotischen Leben eine neue Wendung geben. Um in der Erotik neue Wege zu beschreiten, sollte man darüber reden, wohin die Reise gehen soll. Wenn der eine den anderen zu dieser Reise einlädt, ist es wichtig, die Wünsche und Sehnsüchte des anderen einzubeziehen. Das vergrößert die Chancen, dass die Reaktion positiv ist – nicht völlig an den anderen Bedürfnissen vorbei, nicht völlig vom anderen Stern.
Auf diese Weise machen wir erstmals einen Unterschied. Wir denken uns unabhängig vom Partner. Und: Wir denken den Partner unabhängig von uns. Was könnte er oder sie wollen? Schon das zu überlegen, grenzt uns voneinander ab. Wir denken dann unsere Sexualität nicht mehr als »wesensgleich«. Wir suchen danach, worin wir uns unterscheiden. Das führt zu meiner zweiten Botschaft in diesem Buch:
Zwei Partner haben zwei unterschiedliche erotische Profile. Die Lust an diesem Unterschied kann erotische Spannung erzeugen.
Das erotische Profil setzt sich aus den Erfahrungen (Was habe ich bereits erlebt?), den Fantasien (Welche erotischen Bilder geistern durch meine Vorstellungswelt?) und Wünschen (Was möchte ich gern erleben?), den erotischen Fähigkeiten und Fertigkeiten (Wie viel Verführungskunst habe ich auf Lager?) sowie dem aktuell gelebten Sex (Wie verhalte ich mich in meiner Liebesbeziehung?) zusammen. Im Kapitel »Lust auf den Unterschied«, ab Seite 62, erörtern wir genauer, was ein erotisches Profil ausmacht und wie Partner mit diesem Unterschied umgehen können, um erotisch zu profitieren.
Ob wir Lust auf den Unterschied bekommen, hängt davon ab, ob wir uns tatsächlich erlauben, als Liebende verschieden zu sein. Zwar erkennen wir im Alltag Unterschiede recht schnell an, bewerten sie aber oft als störend. Sie führen zu Konflikten und Auseinandersetzungen. Sexuell richten wir uns deshalb häufig in der Komfortzone des kleinsten gemeinsamen erotischen Nenners ein. Sexuell zählt dann nur die Gleichheit als Währung. Den Unterschied vernachlässigen wir, denn er ist bedrohlich. Beschränken wir uns aber ausschließlich auf unsere Gemeinsamkeiten, erzeugen wir selbst die Lustlosigkeit, die wir beklagen. Erst wenn wir uns auf den Unterschied besinnen, schaffen wir die Spielräume, in denen wir uns erotisch entwickeln können.
Meist unausgesprochen einigen wir uns jedoch auf eine komfortable Schnittmenge sexueller Bedürfnisse, mit denen wir die Grenzen der Gleichheit abstecken. Es gehört zum guten Beziehungston, dass wir die Grenzen des Partners respektieren. Das ist anständig. Aber damit verzichten wir auch auf eine besondere Entwicklungschance. Nur wenn wir es wagen, manchmal zum sexuellen Grenzverletzer zu werden, können wir gemeinsam Neuland betreten.
Dass Liebende sich gleich oder zumindest sehr ähnlich sein sollen, ist auf das Ideal der Übereinstimmung aus der Zeit der Romantik zurückzuführen. Dieses Ideal ist also historisch noch nicht so alt. Aber es ist bis heute die Königin der Beziehungen. Sie hat diesen Platz durch alle Anfechtungen gehalten. Affären, Untreue und Betrug haben das Ideal der romantischen Liebesbeziehung nicht gefährden können. Relativ unbeeindruckt von Enttäuschungen und unbeirrt von alternativen Lebensformen nennen bei empirischen Untersuchungen über 90 Prozent der Befragten die romantische Liebensbeziehung, also die ausschließliche und lebenslange Beziehung, als ihr Ideal. Wir leben in einem eigenartigen Wider spruch: Bestenfalls die Hälfte aller heutigen Paarbeziehungen lebt konsequent, dauerhaft und ausnahmslos die sexuelle Treue. Und noch weniger tun dies, »bis der Tod sie scheidet«. Der empirische Normalfall ist die Endlichkeit der meisten Liebesbeziehungen. Der romantische Normalfall dagegen ist der Neustart in die Ewigkeit, die Liebe immer will. Die Liebe widersetzt sich dem besseren Wissen. Liebende sind immun gegen Erfahrung.
Die romantische Liebe
Liebe und Sexualität gehören zusammen.
Romantische Liebe wird durch dauerhafte Bindung ausgedrückt.
Das Gefühl entsteht von selbst, wenn jemand den Menschen trifft, für den diese Liebe bestimmt ist.
Jede gezielte Beziehungsanbahnung und sämtliche Bemühungen, korrigierend in den Beziehungsverlauf einzutreten, sind künstlich und deplatziert.
Es gibt nur die eine wahre Liebe mit dem einen Menschen.
Diese Liebe gibt die Chance, in seiner Einzigartigkeit anerkannt zu werden, verbunden mit einer sehr hohen Glückserwartung an die Beziehung.
Erst eine wechselseitig erwiderte Liebe wird zur »wahren« Liebe.
Die Romantiker erheben die emotionale Verbundenheit zwischen den Partnern zum entscheidenden Kriterium. Die »wahre« Liebe zwischen zwei Auserwählten begründet einen »Bund fürs Leben«. In freier Wahl gibt das mächtige Liebesgefühl den Ausschlag, wer für wen bestimmt ist. Dabei erfüllt der Partner oder die Partnerin sämtliche Wünsche, befriedigt alle Bedürfnisse und stillt die Sehnsucht, mit dem einen Wesen zu verschmelzen, das genauso denkt und fühlt und handelt.
Diese Aussicht, diese Hoffnung auf den einen erfüllenden, den »wahren« Traumpartner bewegt uns auch heute noch. Der Wunsch nach der oder dem einen, der oder die uns rundum glücklich macht, wirkt als großer Ansporn für eine oft intensive Suche. Die idealisierende Vorstellung setzt die Maßstäbe dafür, ob wir eine Partnerschaft als erfüllend wahrnehmen oder nicht. All die Vorstellungen, dem einen »Traumpartner« zu begegnen, eine »Hochzeit in Weiß« zu feiern, einander »blind« zu verstehen, sich dabei aber die Wünsche »von den Augen abzulesen«, »bis dass der Tod uns scheide«, üben eine große Macht auf unsere Sehnsüchte aus.
Sich darauf einzulassen, anders als der geliebte Partner zu sein, bedeutet nicht, dem romantischen Liebesideal abzuschwören. Vielmehr ist es sinnvoll, die Gleichheit durch die Unterschiede zu ergänzen. Die sichere Nische des kleinsten gemeinsamen erotischen Nenners zu verlassen, ist kein leichter Schritt. Eventuell sind wir verunsichert – und möchten doch lieber bei der vertrauten Lustlosigkeit bleiben. Sie ist ein Hort der Stabilität. Damit kennen wir uns aus. Wir haben uns ja die ganze Zeit darin eingerichtet.
Verunsicherung spüren wir aber auch, weil wir nicht wissen, wie wir mit der Reaktion des Partners umgehen sollen. Vielleicht reagiert er unerwartet verstört und zurückweisend – oder aber drastisch uneinfühlsam: »Sehr schön, dass auch du endlich drauf kommst, was wirklich gut ist. Hab ich es dir nicht schon immer gesagt?« So sehr wir versuchen, die Reaktion des Partners vorwegzunehmen, so sehr ist der Partner für Überraschungen gut. So vertraut eine Beziehung auch ist, es gibt keine obere Kennenlerngrenze. Genauer betrachtet werden wir nie an den Punkt gelangen, an dem wir alles vom Partner wissen. Stattdessen können wir sicher sein, dass der andere Facetten hat, die uns bisher verborgen geblieben sind. Das können erotische Ressourcen und Fähigkeiten sein, aber auch unangenehme und schwache Seiten.
Mit dieser Sicht auf den Partner lassen wir die uns bekannten, gemütlichen Wahrheiten hinter uns. Nun erwarten wir neue Einblicke – und plötzlich stellen sich wieder unbehagliche Gefühle und bange Fragen ein. Fast so wie damals, als wir uns ineinander verliebten. Lassen sich Paare auf den Unterschied ein, können sie mit einem Mal nicht mehr erwarten, dass der Partner jede Idee gleich mit Begeisterung aufnimmt. Dennoch muss unsere Einladung, sich sexuell weiter zu entwickeln, über die bisherigen, vertrauten Muster hinausweisen. Die haben ja zur sexuellen Langeweile geführt. Nur im Aufbruch zu neuen Ufern können wir damit rechnen, dass sich das erotische Leben langfristig verändert. Nur dann machen wir wirklich einen Unterschied zu vorher.
Ich will hier nicht verschweigen: Sich auf den Weg zu machen und sich zu verändern, ist anstrengender, als sich nicht zu verändern. Ein solcher Schritt enthält auch das Risiko, damit zu scheitern. Wägen Sie ab: Erotische Entwicklung gibt es nicht mit Sicherheitsgarantie. Wie wir das Andere in unsere Liebesbeziehung einlassen, hängt auch von den Antworten auf folgende Fragen ab:
Kann ich es mir vor meinem Partner erlauben, anders zu sein? Anders, als mein Partner mich kennt?
Was denke ich, wie mein Partner reagiert?
Reagiere ich gekränkt und beleidigt, wenn sich mein Partner anders zeigt als erwartet?
Erlaube ich dem Partner, anders zu sein?
Ertrage ich, dass mich der andere befremdet?
Will ich mit den Wünschen meines Partners wirklich konfrontiert werden?
Möchte ich mit einer bislang unbekannten Seite meines Partners leben, von der ich vielleicht später denke, dass sie mir besser verschwiegen geblieben wäre?
Halten wir an der Gleichheit fest, erzeugen wir fortgesetzt Lustlosigkeit. Bekommen wir Lust auf den Unterschied, bringen wir erotische Spannung in die Beziehung zurück. Die will gestaltet sein. Erotische Spannung ist kein fossiler Rohstoff, den wir nur abbauen müssen. Es handelt sich um eine Ressource, die durch unsere weiteren Aktivitäten veredelt wird. Als Zutaten brauchen wir dafür Neugier, Experimentierfreude und einen ausgeprägten Spieltrieb.