Haie auf Borkum - Ocke Aukes - E-Book

Haie auf Borkum E-Book

Ocke Aukes

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Beschreibung

Trickbetrug mit Inselflair Sina hegt den Traum, eine Frühstückspension auf Borkum zu eröffnen. Als sie erfährt, dass die Pension »Krabbe« zum Verkauf steht, kündigt sie kurzerhand ihren Job und zieht dorthin, wo andere Urlaub machen. Alles läuft wunderbar – bis die wahren Hauseigentümer vor der Tür stehen. Sina ist Betrügerinnen aufgesessen und finanziell ruiniert. Kommissar Busboom und Inselpolizist Kutschbauer machen sich auf die Suche nach dem Verbrecherduo. Doch auch Sina will die Sache nicht so einfach auf sich sitzen lassen …

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Ocke Aukes lebt seit ihrer Kindheit auf Borkum. Für den Strandsegelverein nahm sie an Welt- und Europameisterschaften teil, mit der Trachtengruppe tanzte sie vor Touristen, im Inselverein und Einzelhandelsverband kämpfte sie für insulare Interessen. Heute ist sie in der Touristikbranche tätig und hat mehrere Kriminalromane veröffentlicht.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Stefan Liening/Pixabay.com

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Marit Obsen

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-931-0

Insel Krimi

Originalausgabe

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Prolog

Seine Aufklärungsquote, was Tötungsdelikte anbelangt, liegt bei hundert Prozent. Mehr kann man nicht verlangen. Heute jedoch steckt Kriminalhauptkommissar Focko Busboom in einer Sackgasse. Das mag daran liegen, dass ihm Mord und Totschlag eher zusagen als gemeine Diebstähle. Für eine Ganzjahresauslastung gibt es in Ostfriesland allerdings nicht genug Kapitalverbrechen. Deswegen ermitteln Busboom und sein Team auch bei weniger gewaltbeladenen Verbrechen.

Es geht um die Diebstähle von Schiffen. Vorzugsweise Segelboote der gehobenen Klasse. Lustlos surft Busboom durch die Datenbank der Polizei in der Hoffnung, auf Hinweise zu stoßen.

Negativ.

Da erweckt eine Notiz, die gar nichts mit Schiffen zu tun hat, seine Aufmerksamkeit. Ein Mann namens Alfons Mai brachte in einer Polizeistation in Düsseldorf einen Betrug zur Anzeige. Mai hatte ein Haus in Neuharlingersiel kaufen wollen, quasi gleich hier um die Ecke, und ist dabei betrogen worden.

Busboom überfliegt den Text. Mai machte eine Anzahlung in bar. Zwei Wochen später stellte sich heraus, dass die Hauseigentümer gar nicht beabsichtigten, ihr Heim zu verkaufen. Und schon gar nicht hatten sie dessen Veräußerung in Auftrag gegeben.

Fünfundvierzigtausend Euro futsch. Und von den Maklern fehlt jede Spur.

Wie von den Booten, die gestohlen wurden.

EINS

Sina Fuchs hat von Kindesbeinen an lernen müssen, sich auf besondere Merkmale ihrer Mitmenschen zu konzentrieren. Ihr fehlt die Fähigkeit, die Identität einer Person allein an deren Gesicht zu erkennen. Grund dafür ist eine Wahrnehmungsstörung im Gehirn, genannt »Prosopagnosie« oder auch »Gesichtsblindheit«. Für sie sehen alle Gesichter auf Anhieb gleich aus. Diese Wahrnehmungsstörung im Gehirn ist unheilbar und oftmals angeboren. Sina ist damit groß geworden und hielt es lange für vollkommen normal, denn sie kannte es ja nicht anders. Ihre Eltern bemerkten die Behinderung ihrer Tochter vergleichsweise früh. Eine Kindergartenmitarbeiterin, deren Vater das gleiche Problem hatte, wies sie darauf hin.

Was aber machen Gesichtsblinde, um dieses Manko auszugleichen? Sie entwickeln Ersatzstrategien. Indem Sina sich Besonderheiten merkt wie Stimme, Körperhaltung, Frisur oder auch einzelne Merkmale des Gesichts ihres Gegenübers, gelingt es ihr, diese bei einer neuerlichen Begegnung dieser bestimmten Person zuzuordnen. Eine spitze Nase, die ein wenig nach rechts driftet, in Kombination mit einem linken Ohr, das leicht absteht, dazu eine schmale Oberlippe, blaue Augen und eine Narbe über der rechten Augenbraue: Das ist Michael. Ein gebeugter Gang mit schlurfendem Schritt, eine Tätowierung in Form eines Ankers am Unterarm und ein weißer Vollbart unter einer übergroßen Nase: Das ist Opa Hinrich.

In der Schule galt Sina als arrogant. Sie war die blöde Zicke, die es nicht für nötig hielt, ihre Klassenkameraden und die Lehrkräfte außerhalb der Schulklasse zu grüßen. Im Klassenraum stellte ihre Prosopagnosie weniger ein Problem dar, Sina wusste ja, dass das Mädchen, das immer mit dem Kopf wackelte und in der ersten Reihe gleich neben Petra saß, Gisela war. Petra wiederum hatte als einzige Ohrstecker. Knut, eine Reihe dahinter, hatte ein rundes Gesicht und eine platte Nase. Er teilte seinen Tisch mit Marcel: blonde Locken, kratzt sich ständig am Hals und hat O-Beine. Für alle vierundzwanzig Mitschüler besaß sie gedankliche Minilisten, auf denen sie diejenigen Merkmale »notierte«, die ihr ins Auge stachen. Ebenso für die Lehrkräfte. Knifflig wurde es in den Pausen oder wenn die Klassenkameraden sich umsetzten.

Im Laufe der Jahre sind Sinas Fähigkeiten, sich einzelne Details zu merken, immer besser geworden, weshalb ihr die Gesichtsblindheit im Erwachsenenleben nun seltener Schwierigkeiten bereitet. Jedenfalls in Bezug auf Menschen, mit denen sie häufig zu tun hat.

In Sinas Bekannten- und Freundeskreis wissen alle von der Gesichtsblindheit, vor Fremden verbirgt sie sie lieber. Mitleid kann Sina nicht ertragen, und den nervigen Fragen nach dem Verlauf einer Prosopagnosie geht sie gern aus dem Weg. Ihre Familie und Cloe, ihre beste Freundin, unterstützen sie darin.

Sina liest selten Gesellschaftsjournale. Die Gesichter der Prominenten auf den Fotos kann sie nur schwer auseinanderhalten, geschweige denn auf Anhieb wiedererkennen. Das ist anstrengend. Da schaut sie lieber in die »Ostfriesenzeitung«.

Ein Inserat hat es ihr heute Morgen angetan. Mit der Annonce, die sofort ein angenehmes Kibbeln in ihrem Magen entfacht, fängt alles an. Die Geschichte von Borkum, über die Cloe später einmal sagen wird: »Hättest du die Anzeige doch nie gelesen.«

Liebhaberobjekt. Ferienpension auf Borkum aus Gesundheitsgründen zu verkaufen.

»Liebhaberobjekt? Was bedeutet das?« Sina schaut ihre Schwester Lucie fragend an.

Lucie ist leicht wiederzuerkennen. Ständig ist sie am Essen oder Trinken. Und das bei Kleidergröße achtunddreißig. Gelegentlich schaut sie auf ein zweites Frühstück bei ihrer Schwester vorbei, wenn ihr Mann bei der Arbeit ist und die Tochter, Paula, in der Schule. »Ich habe vermutlich einen Bandwurm«, erklärt Lucie jedem, dieser verhindere, dass sie zunehme. Gelegentlich erkennt Sina Lucie auch daran, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes einen Scherbenhaufen hinterlässt. In Lucies Gegenwart ist man besser darauf bedacht, alles Zerbrechliche in Sicherheit zu bringen. Gegenstände, die sie anfasst, könnten jeden Augenblick kaputtgehen. Wenn Getränke verschüttet werden, hat meist Lucie ihre Hand im Spiel. Wie viele Reinigungen fremder Hosen sie schon bezahlen musste, weiß vermutlich nur sie selbst. Sina kann Lucies Stimme aus Hunderten heraushören, so wie auch die Stimmen vieler anderer Menschen in ihrem direkten Umfeld.

»Bestimmt ist die Bude total runtergekommen und dabei sauteuer. Für kleines Geld bekommst du auf den Inseln nur Bruch und Dalles. Und ›Pension‹ hört sich altmodisch, billig und vor allem renovierungsbedürftig an.«

»Von billig steht da nichts.«

»Natürlich nicht. Die wollen schließlich etwas verkaufen.«

»Interessieren tut es mich aber schon.«

»Sina, was willst du auf Borkum?« Lucie beißt einen Happen von einem Schokocroissant ab.

»Eine Pension betreiben!«

»Aber du warst noch nie dort.«

»Stimmt. Warum eigentlich nicht? Borkum liegt doch direkt vor unserer Haustür.«

Lucie legt das Croissant beiseite und nimmt Sina die »Ostfriesenzeitung« aus der Hand. »Lass mal sehen.«

Sie studiert die Anzeige, in der außer dem, was Sina eben vorgelesen hat, nur noch eine Firmenadresse und eine Telefonnummer angegeben sind, und runzelt die Stirn. Wenn sie so weitermacht, wird Sina für sie in Zukunft mit den vielen Stirnfalten ein zusätzliches Erkennungsmerkmal haben.

Lucies Stirn glättet sich wieder, sie greift zu ihrem Handy und wischt darauf herum.

»Willst du da etwa anrufen?«

»Nein. Ich sehe nur was im Internet nach. Ah, da ist es ja. Das scheint mir ein renommiertes Immobilienbüro zu sein.« Sie tippt auf die Telefonnummer.

»Was machst du?«

»Nachfragen, was sonst? – Guten Tag, mein Name ist Lucie Fischer. Ich rufe wegen Ihrer Anzeige an. – Ja, richtig. Die Frühstückspension auf Borkum. Wo liegt die denn genau?«

Lucie lauscht eine Weile, sagt »Ja« und »Oh« und »Unglaublich«. Dann nickt sie. »Das hört sich sehr gut an. Und der Preis? – Aha. Und der Rest? – Klar, ein Bankkredit. – Renditeobjekt, sehr schön. – Gesundheitsgründe. Ja, ich verstehe. So steht es ja auch in der Anzeige. – Auswandern auch noch. Ja, wer’s mag. – Wie lautet die Adresse? – Warum nicht? – Verständlich. – Kann ich das Haus besichtigen?«

Erneut lauscht sie. »So bald? – Ach so, okay. Ja, dann machen wir das doch so. – Vielen Dank. Auf Wiederhören.«

Sina kann ihrer Schwester ansehen, dass sie Feuer gefangen hat. »Nun sag schon.«

»Es ist eine Frühstückspension mit zwölf Fremdenzimmern. Zwei Einzel-, zehn Doppelzimmer. Großer Garten. Das Haus liegt im südlichen Bereich der Insel Borkum. Strand und Nationalpark sind in unmittelbarer Nähe, Einkaufsmöglichkeiten ebenfalls. Die kann man in wenigen Minuten mit dem Fahrrad erreichen. Die Einliegerwohnung unter dem Dach hat drei Zimmer und eine Küche, die ist voll eingerichtet und fast neu. Dazu ein Bad mit Regenwalddusche und ein Balkon. Die genaue Adresse wollte die Dame mir nicht verraten. Sie sagte, es wäre ein Schnäppchen, da die Eigentümer nach Neuseeland auswandern wollen. Sie haben auch gesundheitliche Probleme. Deswegen gibt es die Pension zum Liebhaberpreis.«

»Was soll denn das Schnäppchen kosten?«

»Achthunderttausend.«

»Das ist viel Geld. Was hat sie noch gesagt?«

»Wir könnten kommen und es uns anschauen. Alle weiteren Informationen gibt es vor Ort. Morgen Nachmittag hat sie Zeit für uns.«

»Morgen schon?«

»Klar. Die Frau sagt, es gibt einige Interessenten, da wird nicht lange gefackelt.«

»Aber ich wollte erst in Ruhe darüber nachdenken.«

»Das kannst du immer noch. Du redest schon lange davon, dich selbstständig zu machen. Wenn dir die Pension gefällt, solltest du endlich Nägel mit Köpfen machen und zugreifen.«

Sina nickt. Ja, der Gedanke an eine eigene Pension fühlt sich gut an.

»Na dann. Schau es dir an, das kostet nichts. Anschließend kannst du immer noch entscheiden, ob das was für dich ist.« Lucie nimmt den Rest des Schokocroissants, schiebt ihn sich in den Mund und ergreift Sinas Hände. »Ich bin ja so aufgeregt«, nuschelt sie.

»Du bist aufgeregt? Das ist mein Projekt.«

»Natürlich, aber ich helfe dir dabei, das ist Ehrensache.«

Sina muss lächeln. »Ich und selbstständig, eine Geschäftsfrau. Kannst du dir das vorstellen?«

»Klar kann ich das.«

»Was wohl Papa dazu sagen wird?«

»Dem verraten wir erst mal nichts.«

»Irgendwann wird er es erfahren und mir alles kaputtreden.«

»Ach, Sina. Papa meint es doch nur gut mit dir.«

»Ja? Davon merke ich wenig.«

»Lassen wir das Thema. Du fährst da morgen hin und schaust dir alles an.«

»Kommst du nicht mit?«

»Nein. Aber keine Panik. Das schaffst du auch allein.«

»Das geht nicht, du musst mitkommen.«

»Ich würde ja gern, aber morgen hat Paula einen Zahnarzttermin. Deine Nichte hat Karies. Sie nascht zu viele Bonbons.«

»Von wem sie das wohl hat?« Sina lacht auf und wird gleich wieder erst. »Trotzdem, ich kann unmöglich allein da aufkreuzen. Schon wegen meiner –«

»Prosopagnosie?«, fällt ihr Lucie ins Wort. »Du hast recht. Es ist besser, wenn dich jemand begleitet.«

»Sag ich doch.« Sina verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre Gesichtsblindheit könnte ihre Aussicht auf den Zuschlag vermindern. Es wird komisch aussehen, wenn sie mit den Immobilienmaklern im Büro alles bespricht und sie dann später bei der Besichtigung nicht wiedererkennt.

»Nimm doch deine Freundin mit.«

»Cloe?«

»Ja genau. Cloe Graf ist goldrichtig, wie geschaffen für die Insel. Ich kenne niemanden, der sich in Schickimicki-Angelegenheiten besser auskennt als sie.«

»Ich glaube, Lucie, du verwechselst Borkum mit Sylt.«

»Mag sein. Trotzdem solltest du auch Momo mitnehmen.«

Warum, muss Sina nicht fragen. Björn, ihr Ex-Partner, hatte ihre Yorkshireterrierhündin damals gern als »Schickimicki-Köter, eine Handbreit größer als eine Ratte« bezeichnet. Ein Tier, das High-Society-Mädels gern in der Handtasche mit sich herumschleppen. Und Lucie meint wohl, dass ebendas ihre Chancen auf der Insel vergrößern wird.

Dabei hat sie für Momo gar keine Tragetasche.

»In dem Aufzug nehme ich dich nicht mit.« Cloe Graf kniet vor Momo und krault sie im Nacken und vorn am Hals.

»Was ist an dem Hund auszusetzen? Soll ich ihr etwa ein Hundekleidchen anziehen?«

Cloe erhebt sich, betrachtet Sina und schüttelt den Kopf. »Wer redet denn von der süßen Kleinen? Du bist gemeint. In dem Aufzug solltest du dich da lieber nicht blicken lassen. Schließlich willst du doch Eindruck schinden, oder?«

Sina schaut etwas bedröppelt an sich hinab. Sie hat den Pulli, den sie trägt, erst kürzlich gekauft und fühlt sich gut darin, doch Cloe, die aussieht, als würde sie in wenigen Minuten auf einer Cocktailparty erwartet, lässt keine Widerrede gelten.

»Bei einem Hauskauf ist das ein No-Go. Da sieht man ja gleich, dass du keine überflüssigen Kröten in der Tasche hast.« Sie schaut auf die Uhr. »Wann sollen wir da sein?«

»Zwölf Uhr. Und du solltest an deinen Vorurteilen arbeiten.«

»Ich habe keine Ressentiments. Nur gesunden Menschenverstand. Deshalb weiß ich, dass man in dem Aufzug keinen Schnitt macht, wenn man als Geschäftsfrau angesehen werden will. Beeil dich, wir fahren noch kurz bei mir vorbei.«

Fünfzehn Minuten später stehen sie vor Cloes Kleiderschrank, der vollgestopft ist mit teuren Imitaten. »Der ist ja noch voller als beim letzten Mal«, sagt Sina und lässt sich in den Korbsessel neben dem Bett fallen. Bis Cloe sich entschieden hat, welches Outfit ihrer Meinung nach den Anforderungen bei einem Termin in einem Maklerbüro entspricht, kann es dauern. Doch wider Erwarten geht es ganz schnell. Eine hellblaue Leinenhose mit passender Bluse landet neben Sina auf dem Bett.

»Los, zieh dich um.«

Als Sina Cloes Aufforderung nachgekommen ist, hält ihre Freundin den eleganten Seidenschal, den Lucie und sie ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt haben, in der Hand. »Der Mandrill von Franz Marc«, hatte Cloe begeistert ausgerufen, kaum dass sie des Motivs gewahr wurde. Eine Ehre, dass Sina ihn heute tragen darf.

»Perfekt«, lobt Cloe ihren Aufzug und drapiert den Seidenschal um Sinas Hals. Zusammen begutachten sie ihr Werk im Spiegel.

»Gefällt mir. Dann mal los.«

»Halt, doch nicht barfuß. Die hier fehlen noch.« Feierlich, als bekäme Sina eine Medaille verliehen, überreicht Cloe ihr ein Paar Sandalen.

»Nein, auf so hohen Absätzen kann ich unmöglich laufen.«

»Du musst. Sonst kannst du das hier«, Cloe zupft an der Bluse, »auch vergessen. Das ist doch gerade das i-Tüpfelchen.«

»Blaue Sandalen sind das i-Tüpfelchen?«

»Blaue Sandalen!« Cloe schnauft empört. »Das sind ›Tribute 75‹-Sandalen von Yves Saint Laurent. Tigerpythonleder, zu dreihundertsiebenundneunzig Euro das Paar.«

Sina hat den einen Schuh schon fast am Fuß und zieht ihn wieder aus. »Da habe ich ja Angst, dir einen Kratzer reinzutreten.«

»Kannst du ruhig machen. Diese hier sehen dem Original zwar zum Verwechseln ähnlich, sind aber zu hundert Prozent aus Polyester.«

Sina schiebt ihre Füße in die Sandalen und macht ein paar Gehversuche.

Cloe nickt zufrieden. »Geht doch. Dann mal los, die Fähre legt in einer Stunde ab.«

Auf jeden Fall, denkt Sina, werde ich zum Wechseln ein Paar Turnschuhe mitnehmen. Egal, ob Cloe das schick findet oder nicht.

Die beiden Freundinnen sehen zu, wie die Autos im Emdener Außenhafen verladen werden. Ein Wagen nach dem anderen verschwindet im Bauch der Fähre »Ostfriesland«.

»Dahinten sehe ich Borkum«, Cloe deutet auf den Horizont. Es duftet nach Meer.

»Ganz bestimmt nicht, schöne Frau.« Ein Mitarbeiter der Reederei kontrolliert die Fahrkarten. »Die Insel können Sie frühestens nach einer Stunde Fahrt am Horizont erkennen.«

An Bord suchen sie sich ein nettes Plätzchen und beobachten durch die vom angetrockneten Salzwasser trüben Fensterscheiben die Ankunft des Zuges am Bahnsteig gegenüber dem Fähranleger. Jede Menge Touristen, darunter viele Mütter mit Kleinkindern, steigen aus. Sina ist froh, für die Strecke von Leer hierher ihren Kia genommen zu haben, da brauchen sie bei der Rückkehr auf keine Zugverbindung zu warten. Noch bevor die Kaiarbeiter die Leinen der »Ostfriesland« losmachen, steigen die Freundinnen hinauf aufs Oberdeck, um beim Ablegen zuschauen zu können. Sina spürt einen Druck auf der Brust, aber einen der angenehmen Sorte – der sich einstellt, wenn etwas Aufregendes oder Schönes bevorsteht. Wenn alles klappt, wird sie sich bald Insulanerin nennen dürfen.

»Du grinst wie …«

Sina hebt die Hand. »Komm mir jetzt nicht mit Wolfgangs Lieblingsspruch.«

»… ein frisch geficktes Eichhörnchen«, flüstert Cloe. »Aber«, sagt sie laut, »du hast allen Grund, zufrieden auszusehen. Schau mal die dort.« Sie deutet auf einen Kleinbus, der mit quietschenden Reifen vor dem Eingangsbereich des Fähranlegerhauses stehen bleibt. Die Schiebetür geht auf, und heraus kommen mehr Menschen, als Insassen erlaubt sind. »Eine Putzkolonne«, vermutet Cloe mit Blick auf die Klamotten.

Im Laufschritt erreichen die Leute die Gangway. Gleich darauf schließt ein Reedereimitarbeiter die eiserne Schiffstür hinter ihnen. Motoren springen an, die Fähre legt seitwärts vom Kai ab, ehe der Steuermann Gas gibt und den Emder Hafen verlässt. Als sie den kleinen Leuchtturm am Ende der Mole passieren, wird es ihnen im Fahrtwind zu kalt, und sie gehen wieder unter Deck. Wie versprochen erscheint nach gut einer Stunde Fahrt am Horizont auf der rechten Schiffsseite, backbord voraus, würde der Seemann sagen, ein dunkler Streifen, der sich deutlich gegen den Himmel abzeichnet. Borkum kommt in Sicht.

Am Hafen wartet die historische Inselbahn. Vorn und hinten jeweils eine rote Lok, in der Mitte bunte Waggons, in die bereits die ersten Fahrgäste einsteigen, als Sina und Cloe die »Ostfriesland« verlassen. Kaum dass alle Reisenden im Zug einen Platz gefunden haben, pfeift die Lok. Ein Ruck geht durch die Waggons, als sich die Ketten dazwischen stramm ziehen. In gemächlichem Tempo, die Autos auf der Straße neben den Schienen überholen sie eines nach dem anderen, geht es in Richtung Borkum-Ort. Vorbei an Wattgebieten auf beiden Seiten. Nach der Deichscharte, einem Tor, das bei extremen Hochwassern geschlossen werden kann, passieren sie ein kleines Wäldchen, bis vereinzelt die ersten Häuser in Sicht kommen. Nach ungefähr einer Viertelstunde hält der Zug.

»Der Bahnhof passt in meine Hauseinfahrt«, sagt Cloe belustigt und steht von der hölzernen Sitzbank auf.

»Hier ist die Haltestelle Jakob-van-Dyken-Weg«, informiert sie ein Mann. »Den Bahnhof erreichen wir in fünf Minuten.«

Pünktlich zum vereinbarten Termin stehen Sina und Cloe vor dem Immobilienbüro Friedrichsen in der Strandstraße.

»Na dann.« Sina steigt vorsichtig die beiden Stufen empor. Jetzt nur nicht stolpern und hinfallen, dann merkt gleich jeder, dass sie gewöhnlich nur Turnschuhe trägt. Momo springt ebenfalls die Stufen hinauf und ihr vor die Füße. Vielleicht hätte sie sie doch zu Hause lassen sollen. Beinahe wäre sie ins Straucheln geraten.

Beim Betreten des Maklerbüros weht ihnen ein Hauch von Luxus entgegen. Eine schlanke, große Frau, die hinter einem aufgeräumten Schreibtisch mit nur einer Akte darauf sitzt, schaut hoch und lächelt geschäftstüchtig. Sie rückt kurz mit beiden Händen ihren kunstvoll eingedrehten blonden Haardutt zurecht, steht auf und eilt ihnen entgegen.

»Tanita Heide-Bruchsal«, stellt sie sich vor. »Tanita ist ein irischer Vorname.«

Sie schütteln sich die Hände, und Sina und Cloe nennen ihre Namen.

Die Immobilienmaklerin schließt die Tür hinter ihnen und bittet sie, Platz zu nehmen. Sina versinkt fast in dem schneeweißen Ledersessel. »Ich hoffe, Sie haben gut hierhergefunden?« Es klingt eher wie eine Feststellung denn wie eine Frage. »Wollen wir gleich zum Thema kommen?«

»Gern«, sagt Sina und bemerkt, dass die Frau einen skeptischen Blick auf ihre Sandalen wirft. Oder hat sie was gegen Momo, die sich brav vor Sinas Füße gelegt hat?

»Ein schönes Tier«, meint die Maklerin, als habe sie Sinas Gedanken erraten, und deutet auf die schwarz-weiße Hündin. »Was ist das für eine Sorte?«

»Ein Yorkshireterrier.« Momo sieht zu Sina auf. Sie hat nur um die Augenpartie herum graue Haare, darüber leuchtet eine weiße Stirn, darunter die weiße Mundpartie mit der schwarzen Nase. Sie weiß genau, dass über sie gesprochen wird.

»Wie entzückend. – Nun, kommen wir zum Grund Ihres Besuches. Die hübsche kleine Pension, um die es uns heute geht, liegt im Süden der Insel. Aber das sagte ich Ihnen ja bereits am Telefon. Ganz in der Nähe ist das idyllische Wäldchen, Greune Stee genannt.«

Cloe nickt, so als kenne sie sich in der Gegend bestens aus. »Liegen dort nicht auch der Funkturm und die ›Heimliche Liebe‹?«

Sina muss an sich halten, um sich ihre Überraschung über Cloes Wissen nicht anmerken zu lassen.

»Selbstverständlich.« Tanita Heide-Bruchsal streift sich geschäftig eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus dem Knoten gelöst hat. Sie ist eine schöne Frau, das erkennt auch Sina. Allerdings gibt es an der Immobilienmaklerin nichts Außergewöhnliches. Gleichmäßige Gesichtszüge, schmal gezupfte Augenbrauen und viel Make-up. Ihre Zähne sind für Sinas Geschmack zu weiß. Vermutlich alles Kronen. Keine Grübchen oder eine markante Nase. Sina muss noch genauer hinsehen als sonst, um erkennungstaugliche Merkmale zu entdecken. Vielleicht die angewachsenen Ohrläppchen und der Tick, sich ständig mit dem Daumen der linken Hand über die Kante der lackierten Fingernägel zu streichen? »Das Restaurant ›Heimliche Liebe‹ ist tatsächlich ganz in der Nähe. Wussten Sie, dass Borkum sich Nordseeheilbad nennen darf?«

Cloe und Sina schütteln beide den Kopf.

»Aber zurück zum Objekt. Es ist von einer urwüchsigen Heide-und-Weide-Landschaft umgeben. Die Gegend hat einen hohen Erholungswert. Sie werden demnach mit der Gästevermietung keine Probleme bekommen.« Einmal mehr streicht die Maklerin, die gar nicht aussieht, als habe sie irische Vorfahren, mit dem linken Daumen über die Kante ihrer rot lackierten Fingernägel. »Das Raumkonzept wird Ihnen gefallen, das verspreche ich Ihnen. Der Garten ist groß und mit den inseltypischen Gewächsen bepflanzt. Das mögen unsere Touristen ja ganz besonders an dieser schönen Insel, nicht wahr?«

Momo knurrt leise, als Tanita Heide-Bruchsal, die neben Sina und Cloe stehen geblieben war, wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz nimmt. Dabei entdeckt Sina am rechten Fußknöchel der Maklerin ein kleines Tattoo in Form einiger Schriftzeichen oder Runen.

»Keine Bange, Momo ist harmlos«, sagt sie.

Die Lippen der Immobilienmaklerin verknittern kurz. Entweder hat sie Angst vor Hunden, oder sie kann sie nicht leiden, das spürt Sina deutlich.

Tanita Heide-Bruchsal zieht eine Schublade auf und greift hinein. Eine Tüte mit Hundekeksen kommt zum Vorschein. Mit spitzen Fingern holt sie einen heraus und hält ihn unter den Tisch. Momo erhebt sich, schnuppert daran, wendet sich dann aber ab und legt sich wieder auf seinen Platz zu Sinas Füßen.

»Ihr Hund wird den Garten lieben, Frau Fuchs«, sagt Tanita Heide-Bruchsal und legt den Keks auf die Ecke des Schreibtisches. »Etwa dreihundert Quadratmeter Wiese, Hecken und Beete. Die ›Rosa Rugosa‹, die Dünen- oder auch Inselrose, wird bald blühen. Weiß, Rosa und Lila sind ihre Farben, und sie duftet so herrlich. Das Haus stammt aus den sechziger Jahren, ist also noch relativ neu. Renovierungsarbeiten sind vorerst keine erforderlich.« Sie schlägt einen Aktendeckel auf und zeigt Sina und Cloe Bilder von den Räumlichkeiten der Pension.

»Wie viele Zimmer hat das Objekt noch gleich?«

»Nun, neben der Einliegerwohnung stehen in der Pension zwölf Gästezimmer zur Vermietung. Einzel- sowie Doppelzimmer. Sie sind sonnig und hell eingerichtet.«

»Und die Heizung?«, fragt Sina.

»Zentralheizung. Und ehe Sie nach dem Energieausweis fragen: Nein, für das Haus besteht keine Pflicht dazu.«

»Wie steht es denn mit dem Naturschutz?« Cloe betont das letzte Wort, und Sina ist sicher, dass sie absichtlich das Dummchen markiert.

»Wie niedlich Sie fragen, Frau Graf. Ich weiß, was Sie meinen. Es heißt natürlich Denkmalschutz«, flötet Tanita Heide-Bruchsal und nickt zufrieden. »Nur die Häuser im Ortskern stammen aus den Jahren 1870 bis 1910. Die stehen selbstverständlich unter Denkmalschutz, doch diese Pension zum Glück nicht.«

»Wieso ist das ein Glück?«

»Nun«, sie zögert ein wenig und scheint zu überlegen. »Wenn Sie beispielsweise neue Fenster einbauen wollten, müssten Sie bei einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude vorher das Amt um Erlaubnis fragen.«

»Warum das denn?«

»Kunststofffenster passen wohl schlecht in eine Villa aus dem neunzehnten Jahrhundert. Aber wie gesagt, das Problem haben wir hier nicht.«

»Braucht das Haus denn neue Fenster?«

»Oh Gott, nein. Selbstverständlich nicht.«

Nach weiteren zehn Minuten hat Sina eine ziemlich gute Vorstellung vom Inneren des Gebäudes.

»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«

»Ich bin Buchhändlerin, doch mein Traum ist die Selbstständigkeit im Gastgewerbe.«

»Darauf spart Sina schon sehr lange«, verrät Cloe.

»Nun, dann will ich hoffen, dass ich Ihnen bei der Verwirklichung Ihres Traumes behilflich sein kann.« Die Maklerin lächelt, wird aber sofort wieder ernst. »Kommen wir zum finanziellen Teil«, sagt sie. »Der Kaufpreis beträgt achthunderttausend. Ein Schnäppchen. Ein vergleichbares Objekt werden Sie zu diesem Preis kaum finden. Die Immobilienpreise hier auf der Insel sind in der Vergangenheit enorm gestiegen. Auf Dauer gesehen ist so eine Pension ja auch ein Renditeobjekt.«

Tanita Heide-Bruchsal erläutert ihnen die Renditezahlen. Das hört sich alles sehr gut an.

»Ihre Finanzierung steht? Ich frage, weil die Eigentümer es so schnell wie möglich verkaufen und direkt bei Vertragsabschluss und Schlüsselübergabe eine Anzahlung von sechzigtausend haben wollen.« Sie holt einmal tief Luft. »So ein schneller Verkauf ist ja sicherlich auch Ihr Interesse, nicht wahr? Die Saison beginnt in wenigen Wochen, das sollte man ausnutzen und so schnell wie möglich mit der Vermietung beginnen.« Sie schaut Sina bedeutungsvoll an. Ehe diese etwas sagen kann, fährt sie fort: »Darf ich davon ausgehen, dass Sie die Anzahlungssumme angespart haben und den restlichen Kaufpreis über eine Bank finanzieren werden?«

Sina nickt.

»Sollten Sie dabei Hilfe benötigen, hilft Ihnen unser Haus«, Tanita Heide-Bruchsal macht eine raumgreifende Bewegung, »gern weiter. Wir haben exzellente Verbindungen zur hiesigen Bank.«

»Das klingt wunderbar. Ich möchte mir das Haus auf jeden Fall ansehen.«

»Aber sicher.« Sie blätterte in einem Terminkalender. »Wie wäre es mit übermorgen? Gleiche Zeit?«

»Geht es nicht sofort?« Sinas Wangen glühen vor Aufregung.

»Leider nein.« Tanita Heide-Bruchsal schaut mit bedauerndem Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich bin heute ganz allein im Büro, Ferien, Sie verstehen. Meine nächste Kundschaft kommt jeden Augenblick. Ich gebe Ihnen ein Exposé mit. Darin finden Sie alle erforderlichen Angaben, einen Grundriss des Hauses und eine Rentabilitätsberechnung.« Sie steht auf und blickt zur Eingangstür hinüber, doch dort wartet niemand. Trotzdem kommt sie hinter dem Schreibtisch hervor.

Sina und Cloe räumen daraufhin ebenfalls die Sessel.

»Ich muss sagen, Frau Graf und Frau Fuchs, bei Ihnen beiden habe ich ein sehr gutes Gefühl. Mein guter Rat, entscheiden Sie sich schnell. So ein Schnäppchen ist selten. Hier bitte, meine Visitenkarte. Die untere Nummer ist meine private. Die dürfen Sie jederzeit anrufen, wenn noch Fragen aufkommen sollten.«

»Eine habe ich gleich«, entgegnet Sina.

»Welche?«

»Ich würde mir gerne das Haus schon mal von außen ansehen. Wie ist die Adresse?«

»Meine liebe Frau Fuchs«, Tanita Heide-Bruchsal lächelt verständnisvoll, »wenn ich jedem Interessenten vorab die Anschrift geben würde, können Sie sich vorstellen, was dann dort los wäre?«

Nein, das kann Sina nicht. Sie schüttelt stumm den Kopf.

»Nun, die Inhaber der Pension und die Nachbarn würden sich ganz bestimmt gestört fühlen, wenn sich Interessenten unangemeldet auf dem Grundstück umsehen. Sie glauben gar nicht, wie viele Leute sich bei uns nach Häusern erkundigen, einfach, weil sie neugierig sind. Kaufen wollen die meisten leider nichts. Die Privatsphäre unserer Kunden wird im Hause Friedrichsen ganz großgeschrieben. Wir sehen uns dann übermorgen, hier im Büro.«

Sina bekommt das Kärtchen in die Hand gedrückt, und damit sind sie entlassen.

Wenige Schritte vom Immobilienbüro entfernt platzt Cloe heraus: »Hast du die Klamotten gesehen, Sina? Da bleibt mir glatt die Luft weg.« Sie wedelt zur Illustration ihres Entsetzens empört mit der Hand vor ihrer Nase herum.

»Ich finde, sie hat Geschmack. Eine weiße Bluse mit einem hellbraunen Lederrock, dazu weiße Pumps. Passt doch gut zusammen.«

»Sina, Sina. Du hast mal wieder gar keine Ahnung. Die da«, Cloe deutet verschwörerisch auf die Tür des Immobilienbüros und zieht Sina mit sich, »kombiniert Yves Saint Laurent mit Karl Lagerfeld.«

»Ein absoluter Fauxpas.«

Cloe überhört den Sarkasmus. »Du sagst es.« Sie seufzt schwer. »Allein mit dem Geld für dieses eine Outfit könnten wir uns ein schönes Wochenende machen.«

Sina tut Cloe den Gefallen und fragt nach den Kosten für die Garderobe.

Aufgeregt wie ein kleines Mädchen beginnt Cloe, an den Fingern abzuzählen: »Lagerfeld-Bluse – weiß mit ›Karl‹-Stickerei – etwa hundertfünfundsiebzig Euro. Hellbrauner Kalbslederrock mit Western-Details von Yves Saint Laurent, Knopfverschluss vorne, gut eintausendachthundert Euro.«

»Ich sag es immer wieder, du solltest in so einem Schickimicki-Laden als Verkäuferin arbeiten.«

Cloe überhört das. Der Mittelfinger gesellt sich zu Daumen und Zeigefinger. »Pumps ›Opyum‹, so heißen die Schühchen: gut und gerne neunhundertfünfzig Euro. Hast du die Buchstabenabsätze gesehen? YSL. Phantastisch.«

»Ich hatte nur Augen für die Fotos vom Haus.«

»Ja, ich doch auch. Aber die Handtasche von der Tanita ist eine Wucht!«

»Die habe ich nicht gesehen.«

»Sie stand hinter ihr auf dem Aktenschränkchen. Schwarz mit Goldkettchen. Da müssen dir die drei großen Buchstaben YSL aber doch aufgefallen sein.«

Cloe schüttelt den Kopf.

»Jedenfalls kostet die so um die achthundertfünfundneunzig Euro.« Sie streckt nun auch den Ringfinger in die Höhe.

»Und fünftens?« Sina ist sicher, dass nun nichts mehr folgt. Doch da hat sie die Rechnung ohne Cloe gemacht.

»Um die Handtaschenkette war ein Halstuch drapiert. Ein Seidenschal. Motiv ›Lebensbaum‹ von Gustav Klimt.« Cloe schweigt.

»Kostenpunkt?«, hakt Sina nach. Vermutlich noch so ein Fauxpas. Womöglich ein No-Name-Produkt, Cloe hat dafür einen Blick.

»Für eine Frau wie die da«, sie deutet über ihre Schulter, »Peanuts. Um die neunzig Euronen.«

»Du könntest auch in einer Kunstgalerie arbeiten. Ob es auf Borkum eine gibt?«

»Ach, Sina. Ich habe doch gar keine Ahnung von Kunst.«

»Aber du kennst so viele Maler.«

»Tu ich nicht.«

»Doch. Du kennst Klimt, und gestern hast du mich auf einen Schal von Friedensreich Hundertwasser aufmerksam gemacht.«

»›Song of the Whales‹ heißt das Bild. Als Schal kostet der gut hundertneunzig Euro.«

»Sag ich doch. Du kennst so viele Gemälde berühmter Maler. Von Hundertwasser, Klimt …«

»Ach, das sind alles Maler?«

»Bei mir brauchst du nicht das blonde Dummerchen zu spielen.«

»Schauspielern wir nicht alle?«

Sina winkt ab. »Und?«

»Was und?«

»Was sagst du zu dem Haus?«

»Was diese Tanita erzählt hat, hört sich alles phantastisch an. Und den Kaufpreis finde ich akzeptabel. Die Finanzierung über den zu erwirtschaftenden Umsatz hat sie uns ja ganz genau vorgerechnet. Das schaffst du locker, und es bleibt noch jede Menge für dich übrig. Du musst es kaufen.«

»Aber es sind sechzigtausend Euro Anzahlung aufzubringen. Dreißigtausend habe ich bloß gespart. Wo soll ich den Rest herkriegen?«

»Dann frag deine Schwester oder deine Eltern. Und Freunde hast du auch genug, die dir etwas pumpen würden.«

Sina muss lächeln. Als ob Cloe Geld hätte, das sie ihr leihen könnte.

»Wir schnorren es zusammen. Ist ja nicht für lange. Du hast es doch selbst gehört, die Umsatzzahlen sind hervorragend, du wirst alles bald zurückzahlen können.«

»Zu dumm«, klagt Sina, »ich hätte zu gern schon mal einen Blick auf die Pension geworfen.«

»Das machen wir, und zwar sofort.« Cloe deutet auf ein Café. »Zuerst trinken wir einen schönen Kaffee, dann schaue ich in mein Handy. Im Internet werden wir garantiert fündig. Danach rufen wir uns ein Taxi und fahren hin.«

ZWEI

Cloe und Sina brauchen ein wenig länger als erwartet, um die Anschrift zu finden. Auf Urlaubsportalen suchen sie nach Pensionen auf Borkum und betrachten jedes Angebot, bis sie Bilder entdecken, auf denen sie die Einrichtung wiedererkennen.

»Na also, war doch ganz einfach. Pension Krabbe«, sagt Cloe. »Auf geht’s, lass uns hinfahren und sie anschauen. Ich muss nur schnell die Taxinummer googeln.«

»Am Bahnhof stehen welche. Die paar Schritte bis dahin können wir laufen.«

Gesagt, getan. Nur gut, dass Sina Turnschuhe mitgenommen hat. Auf den Stöckelschuhen wäre sie keine hundert Meter weit gekommen.

»Wie kannst du nur den ganzen Tag auf diesen Dingern laufen?«

»Wer schön sein will, muss leiden.«

»Deine Sprüche hören sich schon fast so an wie die meiner Mutter.«

Sina lacht und öffnet die Beifahrertür des Taxis. »Darf der Hund mit?«

»Aber sicher.« Die Fahrerin macht eine einladende Handbewegung, und schon sitzt Momo im Fußraum.

»Greune-Stee-Weg 167. Ist das weit weg?«

»Zu Fuß gut eine halbe Stunde.«

»Da ist es ja schön«, sagt Cloe und schiebt sich auf den Rücksitz, »dass wir Sie haben.«

»Das da muss es sein. Greune-Stee-Weg 167.«

Der Wagen hält, sie steigen aus. Momo flitzt auf die gegenüberliegende Straßenseite, die auf der gesamten Länge der Straße unbebaut ist, und scheucht einen Fasan auf. Dabei verheddert sich die Hundeleine an einem dornigen Strauch. Momo muss notgedrungen stehen bleiben, und der Fasan zetert mit lauter Stimme aus sicherer Entfernung herüber.

Sina hat nur Augen für das Haus, ist aber im ersten Moment enttäuscht. Da die Maklerin ihnen kein einziges Foto von der Außenansicht gezeigt hat, hoffte sie im Stillen auf ein in die Dünen geducktes Gebäude mit Reetdach. Das Dach dieses Hauses ist mit schwarz glänzenden Pfannen gedeckt, und die Fassade leuchtet hellgelb, was das Gebäude von den übrigen in der Umgebung hervorhebt, die allesamt verklinkert sind. Vermutlich hat die Maklerin ihnen deshalb kein Foto gezeigt. Zudem hängt gleich neben der Haustür ein unübersehbares Schild mit dem Aufdruck »Pension Krabbe«. Das wäre kaum zu übersehen gewesen. Auf den zweiten Blick gefällt Sina das Haus jedoch sehr.

»Der Hund muss aber an die Leine genommen werden.«

Zur mahnenden weiblichen Stimme scheint zunächst niemand zu gehören. Dann entdecken Sina und Cloe im Garten nebenan eine Frau. Von ihr ist hinter den Heckenrosen nur der Kopf zu erahnen. Cloe geht so dicht heran, wie es die Dornen der Rosen zulassen, und ruft: »Guten Tag.«

Die Frau erhebt sich aus ihrer Hockstellung, eine kleine Harke fürs Beet in der Hand.

»Entschuldigung«, sagt Sina. »Das war nicht beabsichtigt. Sie hat sich einfach losgerissen.«

»Wie bitte?« Die Frau sieht zweifelnd auf das winzige Tier. Dann deutet sie auf die andere Straßenseite. »Das dort«, sie umfasst mit einer Armbewegung den gesamten Bereich, »ist Naturschutzgebiet. Jetzt beginnt die Brut- und Setzzeit, da können selbst so kleine wie der da große Schäden bei den Vögeln anrichten.«

»Kommt nicht wieder vor«, sagt Cloe und will Sina weiterziehen.

»Die Eigentümer der Pension Krabbe kennen Sie doch bestimmt, oder?«, fragt Sina und bedeutet ihrer Freundin, schon mal zum Eingang der Pension vorzugehen.

»Natürlich.« Die Frau lässt die Harke fallen und reibt die Hände aneinander, vermutlich um sie von Blumenerde zu befreien. Sina schätzt sie auf Anfang sechzig. Graues Haar, das über der Stirn unter einem Kopftuch hervorschaut. Sie kommt ein paar Schritte auf Sina zu. Dabei scheint sie links ganz leicht zu humpeln. An ihren Fingergelenken hat sie dicke Knubbel, so als hätte ihr jemand kleine Kugeln unter die Haut geschoben. Gicht oder so? Sina hat keine Ahnung, woher die stammen könnten. »Um was geht es denn?«

»Wissen Sie, dass die Pension zu verkaufen ist?«

»Nein. Aber ich kann es mir gut vorstellen. Ich an deren Stelle würde den ganzen Kram auch veräußern und zu meinen Kindern ziehen. Was sollen sie noch allein auf der Insel?«

»Die Kinder sind fort?« Das hat die Maklerin ihnen schon erzählt, dennoch hakt Sina nach. »Wohin denn?«

»Neuseeland. Da sind die Schultes im Moment auch. Es ist also niemand zu Hause.« Sie deutet auf die Eingangstür der Pension, von wo Cloe und Momo gerade wieder zu ihnen zurückkehren.

»Neuseeland. Das ist ganz schön weit weg«, sagt Sina. »Aber die Schultes haben doch bestimmt einen großen Freundeskreis auf der Insel, den gibt man doch nicht so leicht auf.«

»Die Schultes sind keine Borkumer. Sie kommen ursprünglich aus Süddeutschland. Ich meine mich zu erinnern, dass Frau Schulte das Haus damals von einer Tante geerbt hat. Selbst haben sie in den vergangenen Jahren kaum etwas in die Pension investiert.« Aus dem Gesichtsausdruck der Nachbarin spricht Missbilligung. »Na ja. Und Sie wollen es kaufen?« Jetzt liegt Neugier in ihrem Blick. Cloe und Sina werden von oben bis unten betrachtet und augenscheinlich für gut befunden. Ein zufriedenes Lächeln beweist es. »Das wird meinen Lucas freuen. Lucas ist mein Sohn, müssen Sie wissen.«

Sina und Cloe wechseln einen schnellen Blick. Vermutlich ist Lucas im heiratsfähigen Alter, und Mama sondiert schon mal die Lage für ihn. So, wie sie Sina und Cloe ansieht, scheinen die beiden als Kandidatinnen in Frage zu kommen.

»Sagen Sie«, die Nachbarin tritt einen Schritt näher an Sina und Cloe heran, »wie viel wollen die Schultes denn für die Pension haben?«

Sina will antworten, doch Cloe fasst sie am Arm. »Das hat uns die Maklerin leider noch nicht verraten«, lügt sie.

»Aha.« Die Frau macht ein Gesicht, als wisse sie, dass sie angelogen wird, und wendet sich wieder ihrer Gartenarbeit zu.

Zeit, sich das Haus und den Garten ein wenig genauer anzusehen. Das Gebäude ist zweieinhalbstöckig. An der Vorderseite liegt mittig der Eingang, rechts und links daneben jeweils zwei Fenster. Die Etage darüber hat zur Straßenseite hin fünf Fenster, und über dem mittleren thront eine Dachgaube. An der Südwestseite ist eine große Veranda angebaut. Vermutlich befindet sich dort der Aufenthalts- und Frühstücksraum. Sina sieht sich schon frühmorgens, noch bevor der erste Gast erscheint, darin sitzen und mit Blick auf die an das Grundstück anschließende Dünen-und-Wald-Landschaft ihr Frühstück genießen. Die Pension Krabbe ist das letzte Haus in der Straße, gleich danach beginnt das Naturschutzgebiet. Am liebsten würde sie mit Momo sofort den Wanderweg einschlagen, den sie von hier aus erkennen kann.

Sina hat sich bereits in das Haus verliebt, ohne es von innen gesehen zu haben. So viel steht fest, sie will diese Pension haben. Und ein Blick auf Cloe verrät ihr, dass ihrer Freundin das Haus ebenfalls gefällt.

Um nach dem Besichtigungstermin in zwei Tagen Nägel mit Köpfen machen zu können, gilt es, die Fühler nach dem benötigten Kapital auszustrecken.

»Jetzt sollte es schnell gehen«, meint auch Cloe, »nicht dass dir ein anderer das Haus vor der Nase wegschnappt.«

»Mit meiner Schwester habe ich schon telefoniert. Sie kommt vorbei, um alles zu bereden. Sie schätzt, dass sie mir etwa zehntausend Euro leihen kann. Vor dir kommen zwei, und bevor ich meine Eltern bitten muss, will ich zunächst mal meinen Ex fragen«, sagt Sina, dabei schaut sie aus dem Schiffsfenster und blinzelt ein wenig, da ihr die Sonne in die Augen scheint. Sie passieren gerade eine rote Fahrwassertonne. Darauf prangt die Nummer 45. Was das wohl bedeuten mag? Egal, sie hat jetzt über Wichtigeres nachzudenken.

»Deinen Ex?«, fragt Cloe. »Von wem sprichst du? Von Liam, Tante Wolfgang oder von Björn, dem Ich-bin-ein-toller-Bundeswehrsoldat-Typ?«

Sina schnauft. Cloe tut ja gerade so, als ob sie ein Heer von verflossenen Liebhabern hinter sich gelassen hat. »Mit Björn fange ich an. Der schuldet mir noch fünfhundert Euro.«

»Okay. Kleinvieh macht auch Mist. – Nein, Momo, du bist nicht gemeint.« Der Yorkshireterrier nimmt die Hundeleine ins Maul und flitzt den Flur entlang in Richtung Ausgang.

»Momo, hierher.«

Der Terrier hört erst bei der dritten Aufforderung. Cloe nimmt ihm die Leine ab und wirft sie neben sich auf die Sitzbank. Momo springt hinterher.

»Pfui, Momo, runter mit dir«, befiehlt Cloe. »Wenn wir wieder zu Hause sind, bleibst du erst einmal bei mir. – Was denn, Sina? Willst du sie etwa mit zu Björn nehmen?«

Cloe hat recht. Björn kann die Hündin nicht leiden. Für ihn darf ein Vierbeiner die Bezeichnung »Hund« erst tragen, wenn er wenigstens einen Meter groß ist.

Endlich legt die Fähre in Emden an. Sie holen das Auto aus der Borkum-Garage und sind kurz darauf auf dem Rückweg nach Leer.

Eine Stunde später steht Sina vor Björns Wohnungstür. »Keller« steht auf dem Namensschild. Wunderbar, er wohnt also immer noch hier. Bei ihrer letzten Begegnung sprach er davon, dass er umziehen wolle. Kurz hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so lange nicht bei ihm gemeldet hat. Doch auch er hat in den letzten Monaten kein Wort von sich hören lassen. So etwas kommt vor, denkt Sina, beeinträchtigt jedoch niemals eine gute Freundschaft. Sie klingelt.

Ein Mann, den Kopf voll Locken und mit einer Zahnbürste im Mund, öffnet die Tür. »Ja bitte?«, nuschelt er, lässt die Bürste jedoch im Mund stecken.

»Ich bin Sina und möchte zu Björn.«

Mit der Zahnbürste zwischen den Zähnen fällt das Grinsen des Mannes schief aus. Anstelle einer Antwort schiebt er den Ärmel an seinem rechten Arm nach oben. Ein zwei Euro großes Muttermal kommt darunter zum Vorschein.

»Ach, Björn. Ich habe dich gar nicht wiedererkannt.« Sina deutet auf die Locken. Als sie ihn das letzte Mal sah, waren Björns Haare auf Bundeswehrniveau heruntergestutzt.

Eine schwangere Frau tritt neben Björn und hakt sich bei ihm unter. »Schatz, bitte unseren Besuch doch herein.«

»Rebecca, das ist Sina. Sina – Rebecca.«

Die Frauen reichen sich die Hand. »Ich bin die mit dem dicken Bauch«, sagt Rebecca augenzwinkernd und streichelt ihre Rundung. Sina nickt und sieht zu Björn.

»Schau nicht so. Ja, ich habe mit Rebecca über dich gesprochen. Komm rein.«

Sina mag es nicht, wenn Fremde von ihrer Gesichtsblindheit erfahren. Aber um sich darüber Gedanken zu machen, ist dies der falsche Zeitpunkt.

Die Wohnung hat sich verändert. Der Geruch nach neuen Möbeln hängt in der Luft. Björn muss seine Rebecca sehr lieben, wenn er bereit ist, in IKEA-Mobiliar zu wohnen. Zu Sinas Zeit schwor er auf rustikale Sachen.

»Wo ist die schöne hellblaue Küchenvitrine geblieben? Die von Björns Großmutter?«, will Sina von Rebecca wissen, als sie die Küche betreten. Der Backofen ist beleuchtet, es duftet nach Kuchen. Kann nicht mehr lange dauern, bis er fertig ist.

»Den haben Kompanien von Holzwürmern aufgefressen.« Rebecca lacht und berührt kurz Sinas Schulter. »Setz dich. Möchtest du Kaffee?«

»Gern.«

»Der Kuchen braucht noch ein wenig. Milch und Zucker?«

»Schwarz«, sagt Björn, der kurz im Bad verschwunden war und die Zahnbürste dort gelassen hat. Jetzt kann Sina seinen ausgeprägten Amorbogen an der Oberlippe erkennen. Diese schwungvollen Lippen waren ihr vor Jahren als Erstes an ihm aufgefallen. Björn setzt sich zu Sina an den Tisch, und Rebecca deckt Kaffeegeschirr auf. Der Wasserkocher beginnt sein Werk.

»Darf ich dich etwas Persönliches fragen?« Rebecca ignoriert Björns kritischen Blick und greift nach Sinas Hand. Ein Anfasstyp, denkt Sina. An dieser Angewohnheit kann sie Rebecca wiedererkennen, denn die wird ja bald wieder einen flachen Bauch haben.

»Etwas Persönliches?« Sina schaut etwas unsicher zu Björn hinüber. Der zuckt mit den Schultern und lächelt.

»Keine Angst, Soldat.«

»Okay«, willigt Sina ein. Björn redet gern im Bundeswehrjargon.

»Ich hoffe, es ist dir nicht unangenehm, aber was ich schon immer wissen wollte und Björn mir nicht sagen kann, ist …«, Rebecca holt tief Luft, lässt Sinas Hand los und tritt einen Schritt zurück. »Wie lebt es sich mit deiner Behinderung? Quatsch – entschuldige bitte. Behinderung ist ein gemeines Wort. Einschränkung klingt besser, oder? Du erkennst die Leute nur an ihrer Frisur oder daran, wie sie gehen?«

»Entschuldige, Sina.« Björn streicht seiner Freundin über den Bauch. »Rebecca sagt gern, was sie denkt. Viele mögen das nicht.« Er nimmt Rebeccas Hand und küsst die Innenfläche.

Rebecca streichelt mit ihrer anderen Hand über seine Wange, dann sieht sie Sina an. »Mich erkennst du natürlich am dicken Bauch, stimmt’s?«

»Und an dem verdrehten oberen Eckzahn«, kann Sina sich nicht verkneifen zu sagen.

Rebecca grinst. »Björn, du hast recht gehabt. Ich mag sie. Wir könnten Freundinnen werden.«