HAIYMAATH - Heinz Kirchner - E-Book

HAIYMAATH E-Book

Heinz Kirchner

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Beschreibung

Neun Theaterstücke enthält dieser Band. Neun Stücke, die zum einen sehr unterschiedlich sind, aber auch Stücke, die den Ton eines vorangegangenen wiederaufnehmen und modifizieren. (Haiymaath und Über den Gärten oder Dalbergtauben und Eine Silvesternacht) In den Dramen, die zwischen 2003 und 2014 auf der Studiobühne des Aschaffenburger Stadttheaters uraufgeführt wurden, tummeln sich schräge, skurrile und oft auch bedrohliche Gestalten: ein vermeintlicher Neonazi etwa, der ein schwarzes Mädchen, in das er sich verliebt hat, erschlägt; ein Baltikum-Tourist, der auf Frauen mit fehlenden Gliedmaßen steht; zwei Männer, die sich nahezu inbrünstig ihrem Schicksal ergeben, obwohl sie dagegen aufbegehren könnten; ein Verzweifelter, der seine Großtante, die ihn jahrelang missbraucht hat, umbringt oder Alwin und Robert, die unbedingt nach Paris müssen, weil sie sich eine Südstaatlermütze besorgen wollen, die der Schnulzenfuzzy Adamo beim Zieleinlauf der Tour de France 1966 auf dem Kopf trug. Heinz Kirchner hat die Stücke inszeniert und dabei großen Wert darauf gelegt, die Produktionen nicht zu überfrachten, sondern stets Schauspieler und Sprache in den Mittelpunkt zu rücken.

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Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Heinz B. J. Kirchner

Haiymaath

Theaterstücke von 2003 bis 2014

©2017 Heinz Kirchner

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

978-3-7345-5948-8 (Paperback)

978-3-7345-5949-5 (Hardcover)

978-3-7345-5950-1 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Heinz Kirchner, geb. 1951 in der Lucas-Cranach-Stadt Kronach, lebte von 1972 bis 1992 in Berlin; arbeitet seit 1992 als Lehrer in Hösbach bei Aschaffenburg.

Gründer des ab:art-theater./freies ensemble aschaffenburg 2002; inszenierte bisher über 20 Theaterproduktionen im Stadttheater, davon zehn eigene Stücke. Sein Drama schwarzweissrot gewann 2008 u.a. den Publikumspreis eines Dramenwettbewerbs des Städtebundtheaters Landshut/Passau/Straubing;

2006 erschien seine Erzählung Adamos Südstaatlermütze; 2011 gab er den Erzählband Der Tag, als Klaus Kinski nach Aschaffenburg kam heraus und 2012 die Sammlung WasserMainWasser. Beide Anthologien erschienen im Aschaffenburger alibri-Verlag.

Von 1998 bis 2002 arbeitete Kirchner als freier Journalist für die Kulturseiten des Main-Echo und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Inhaltsverzeichnis

Vorworte

Zu den Stücken

schwarzweissrot

MutterLiebeMutter

Haiymaath

Burkersdorph - Ein Mörder

Dalbergtauben

A.M.I.L.O. | Alte Maenner in laecherlichen Outfits

Britpop | Feincord, dunkelblau

1913 - Eine Silvesternacht

Über den Gärten

Vorworte

Seit 1948 gibt es am Aschaffenburger Stadttheater kein eigenes Ensemble mehr. So vorteilhaft der Gastspielbetrieb für uns sein mag, was uns fehlt, ist der schöpferische Impuls, die eigene künstlerische Konzeption und die Identifikation der Stadtgesellschaft mit dem eigenen Theater, die von einem Ensemble ausgehen kann.

Immerhin: Auch nach der Auflösung des eigenen Ensembles gab es immer wieder Schauspielinitiativen, die in Aschaffenburg entstanden und das Theater als Podium für ihre Produktionen nutzten, durchaus im Sinne identitätsstiftender Beiträge für unser Haus. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die von Christian Schad geleitete Aufführung von Julius Maria Beckers „Brückengeist" am 20. August 1949 mit Bettina Schad, Josef Gurk und Karlheinz Kaiser oder „Die junge Bühne" mit der Komödie „Christoph Kolumbus oder die Entdeckung Amerikas" im Juni 1986, für die das Theater regelrecht auf den Kopf gestellt wurde.

2002 trat das ab:art-theater unter der Leitung von Heinz Kirchner auf den Plan und bereicherte das Programm regelmäßig mit bemerkenswerten Arbeiten. Eigene Stücke standen genauso auf dem Spielplan dieses semiprofessionellen Ensembles wie Werke von und über Julius Maria Becker. Immer konnte man sich auf originelle und klug in Szene gesetzte Theaterangebote freuen, es scharte sich eine kleine, treue Fangemeinde um das ab:art-theater und besuchte die Veranstaltungen regelmäßig. Das ab:art-theater und das drei Jahre vorher gegründete mot wurden zu Hausensembles, sie wurden zum wichtigen, identitätsstiftenden Bindeglied zwischen Publikum und Theater.

Neben den eigenen Werken von Heinz Kirchner standen Beiträge zur Theaterhistorie und die bemerkenswerten Stücke von und über Julius-Maria-Becker in sehr gelungenen Bearbeitungen im Mittelpunkt der reichhaltigen Produktion des ab:art-theaters.

Glanzpunkt und Abschluss der ertragreichen Arbeit des ab:arttheaters war die deutsche Erstaufführung der „Briefe an Élise" von Jean-FrançoisViot in der Übersetzung von Thomas Stauder, die in Anwesenheit von Autor und Übersetzer am 28. November 2015 zu erleben war. Es war ein unglaublich berührender Theaterabend, mit dem die Geschichte des ab:art-theaters in Aschaffenburg ihren krönenden Abschluss fand. Heinz Kirchner und seinem Ensemble sei herzlich gedankt für 13 Jahre aktive und erfolgreiche Mitgestaltung unseres Spielplans.

Burkard Fleckenstein Leiter des Kulturamts

* * *

Ich mag diesen Blick aus dem Altstadtcafé. Bei jeder Tasse guck ich zum Theater, bei jedem Schluck zum Theater, zum Bachsaal, zum Ordnungsamt. Rechts der Bachsaal, links das Ordnungsamt. Und das Theater dazwischen als Seil zwischen kirchlicher und staatlicher Macht, ein Seil, auf dem die Bühnenkünstler balancieren. Von Planungen verschont liegt der Karlsplatz unverhunzt da. Er ist einfach da. Mit Kugelakazien, Sitzbänken und dem Hinterteil des Theaters. Weil die Rückseite nicht so wichtig ist, hat man alles gelassen, wie es war, Torbögen, Fries und Giebel, da hat kein Gestalter dran herumgefuhrwerkt.

Vom Karlsplatz werden Kulissen auf die Bühne gewuchtet.

Kronleuchter aus dem Meininger Kässbohrer, Geraffel aus dem Berliner Gripsbus, Wiener Blut aus Warschau, jeden Tag ein anderes Spektakel.

Aus der Garderobentür kommt der Herr Kirchner von der abartigen Truppe, die hat bald Premiere. Ein Riesending. Der Märtyrer von LaMancha, oder so ähnlich. Die Hauptrolle spielt der Herr Sylla, der kann auf Kommando in Tränen ausbrechen. Gut, das können viele.

Das übt man in der ersten Klasse der Schauspielschule jeden Tag.

Aber der Herr Sylla ist in der Welt des Theaters ein Unikum, er kann aufs Stichwort bluten. Ich hatte das Glück, einer Probe beizuwohnen, der Sylla hat sich so hineingesteigert, er sah aus wie die Therese Neumann, wenn Ihnen das was sagt. Dieser stigmatisierten Frau aus der Oberpfalz kam Blut aus den Händen und aus der Stirn, sogar aus den Augen!

Der Kirchner kommt näher. Ich versteck mich, senk meinen Kopf über die Kaffeetasse, damit er mich nicht erkennt. Der Kirchner biegt in die Pfaffengasse ein, hoffentlich sieht er mich nicht. Er sieht mich nicht. Er hat mich schon gesehn. Ob ich endlich fertig wär mit meinem Text, fragt er. Es geht um dieses Theaterprojekt, da soll ich einen Beitrag schreiben zum Jubiläum. Und dem Kirchner kann man nix abschlagen. Er hat sowas Maximilian-Schell-Frank-Schätzingartiges, einen Charme und eine Begeisterung, die mich paralysieren.

Ich frag ihn, bis wann ers braucht, er sagt, Deadline wär nächsten Freitag.

Ja, ich bin mittendrin, sag ich, und er: Da will ich nicht weiter stören. Jetzt komm ich ihm nicht mehr aus. Um Blut soll's gehn. Irgendwas mit Blut. Theaterblut, Deadline, auf was hab' ich mich da eingelassen. Mann Mann Mann.

Nachtrag Allerseelen 2016

Nach 13 (!) Jahren hat sich das ab:art-theater aufgelöst und ein Loch in die Aschaffenburger Kulturszene gerissen, denn es war das einzige Ensemble, das mit zuverlässiger Regelmäßigkeit eigene Stücke aufgeführt hat.

Die Premiere war jedes mal Überraschung und Inspiration. Ich hab' gestaunt, was aus dem Kirchner-Kopf herauskam und wie es seine Künstler umsetzten. Deshalb verurteile ich das Ende dieser Theatergruppe mit aller mir zur Verfügung stehenden Strenge.

Ja, ihr gehört zur Buße in ein Kloster gesteckt. Dort könnt Ihr Euch sammeln, dort könnt ihr bereuen und in einer Novene zu Judas Thaddäus beten, dem Heiligen für hoffnungslose Fälle. Dort könnt ihr ein neues Stück schreiben und proben und endlich die Premiere bekanntgeben. Nennt eure Wiedergeburt meinetwegen phö:nix oder tabu.la.rasa oder ab:art-reloaded oder was halt so ein Hirnsturm hergibt. Egal wie Ihr das nennt, Hauptsache, Ihr führt eure Spektakel mit den oft verstörenden, aber grad dadurch anregenden Bildern auf.

Versteht ihr mich? Ihr gehört nämlich auf die Bühne, getreu dem Propheten Jesaja, Kapitel 38, Vers 20: „Darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben."

Nun ja.

Es ist wie es ist.

Deadline.

In Heinz Kirchners Buch können wir uns nun einen Eindruck verschaffen, was wir in Zukunft versäumen.

Norbert Meidhof

* * *

Er hatte sich wahrlich keine einfache Aufgabe für seine erste Inszenierung ausgesucht.

Julius Maria Becker, Aschaffenburger Lyriker und Dramatiker, war entweder längst vergessen oder wurde in vager Erinnerung allein mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Es war im Sommer 2002, als ich zu dem jungen Ensemble stieß, das sich gerade in der Gründungsphase befand. Heinz Kirchner hatte Beckers „Der Brückengeist", das 1929 in Aschaffenburg uraufgeführt worden war, einer Bearbeitung unterzogen und wollte es erneut auf die Bühne bringen. Ich erinnere mich gut an die Stimmung im Ensemble, die zwischen Euphorie und fiebernder Erwartung schwankte, wie die Premiere wohl aufgenommen werden würde.

Nach der Vorstellung am Premierenabend sagte der damals schon betagte Leiter der Ersten Aschaffenburger Kunstschule, Karl Albrecht Thiem, sichtlich gerührt zu mir: „Der Zugang zu Becker war mir lange Zeit verwehrt, erst heute Abend hat sich das geändert."

Seine Aussage hat mich damals schwer beeindruckt, zumal Thiem persönlich mit Becker bekannt gewesen war.

Was Heinz Kirchner mit „Der Brückengeist" gelang, ist beispielhaft für die ertragreiche Arbeit der folgenden 13 Jahre. Er stellte sich damals selbst die Frage, ob es möglich sei, ein solches Stück in unserer Zeit noch spielen zu können. Dabei ging es ihm nicht vordringlich darum, unterhalten zu wollen. Er ist niemand, der den einfachsten Weg geht, sondern Herausforderungen sucht.Mit seiner Bearbeitung von „Der Brückengeist" berührte er nicht nur einstige Weggefährten Beckers, sondern entfachte auch Diskussionen in einer Gymnasialklasse, die eine Vorstellung geschlossen besucht hatte. Für den Regisseur Kirchner selbst ist das vielleicht das größte Kompliment, denn er ist ein Mann des Dialogs, der sich weder als Autor, noch als Regisseur erhaben über den Dingen stehend sieht, sondern stets die Verbindung zum Publikum im Blick behält. Er möchte es nicht berieseln, sondern begegnet ihm auf Augenhöhe.

Er hat sich eine Offenheit bewahrt, die ihn von allem Festgefahrenen fernhält. Er weiß, dass er sein Publikum fordert und dass er es fordern kann. Er ist bereit, das Risiko einzugehen, zu provozieren, zu verunsichern oder gar zu schockieren. Dass er das in Kauf nahm und die Grenzen des Konventionellen immer wieder aufs Neue auslotete und auch durchbrach, ließ das „ab:art-theater" zum Geheimtipp für eingefleischte Theaterbesucher werden. Zwölf erfolgreiche Inszenierungen, darunter allein zehn Uraufführungen, sprechen für sich.

Es freut mich sehr, dass seine Stücke nun auch in geschriebener Form zugänglich sind. Seine Fähigkeit des atmosphärischen Schreibens, seine Gabe, die Worte so erscheinen zu lassen, als seien sie eigens für seine Figuren geschaffen, eröffnen dem Leser alle Möglichkeiten. Nutzen wir sie! Lassen wir unsere eigene Inszenierung entstehen, indem wir den Bildern und Gedanken, die das Geschriebene auslöst, Raum geben.

Florian J. Kerzim Oktober 2016

* * *

Zu den Stücken

schwarzweissrot | "Boy meets Girl" In einer Tanzschule probt ein Mädchen, ihre Mutter ist Afrikanerin. Ein Junge im Outfit eines „Neonazis" kommt dazu, beobachtet sie, spricht sie an. Die beiden kommen sich sehr nahe, zu nahe. Als dann aber die beiden Kumpel des Jungen auftauchen, ändert sich alles brutal und radikal. Eine antike Tragödie aus heutigen Tagen. Das Stück gewann den Zuschauerpreis des Landestheaters Niederbayern.

MutterLiebeMutter | Ein junger Mann entführt eine Frau, die er für seine Mutter hält. In Rückblenden erlebt der Zuschauer die Qualen und Leiden einer furchtbaren, lieblosen, durch die Grausamkeit der Grimm´schen Märchen geprägten Kindheit. Bis zum tragischen Schluss bleibt offen, ob der junge Mann tatsächlich der Sohn der Gekidnappten ist.

Haiymaath | In dem Stück geht es um die „Ablösung" einer alten, überkommenen Kultur durch eine neue Macht, die keine Sentimentalitäten, keine Skrupel kennt. Die Tragödie über die Müdigkeit der westlichen Welt führt uns resignierte Menschen vor, am Ende stehend und unfähig, ja unwillig, ihrem Schicksal eine Wendung zu geben.

Burkersdorph - Ein Mörder | Ein düsteres, äußerst beklemmendes Kammerspiel-Psychogramm, das auf einer wahren Begebenheit beruht. In einem oberfränkischen Dorf erdrosselt und ersticht im Jahre 1978 ein 20-Jähriger seine Großtante. Bei Verhören vor Gericht gibt er an, von ihr jahrelang sexuell missbraucht worden zu sein. Als die Dorfbewohner davon erfahren, sind sie fassungslos. Niemand hätte ihm eine solche Bluttat zugetraut. Das Drama versucht zu ergründen, wie es zu so einer schrecklichen Tat kommen konnte und wie die Innenwelten eines zum Mord Getriebenen beschaffen sind.

Dalbergtauben | Dalbergtauben versucht, sich der schillernden Figur Julius Maria Becker, gerade auch der privaten, intimen, in 20 ständig in der Zeit springenden Szenen, anzunähern. Wir sehen ihn, stets an der Seite seiner geliebten Frau Luise, in all seiner Gebrochenheit und Widersprüchlichkeit. Nie anbiedernd, aber auch nie verräterisch. So richtig sympathisch wird der konservative Opportunist mit dem One-Hit-Wonder „Der Brückengeist" dem Zuschauer nicht werden. Aber ihn aus der Rückschau ausschließlich auf seine Nazi-Liaison zu reduzieren, das lässt das Stück nicht zu.

Alte Maenner in lächerlichen Outfits - A.M.I.L.O. | Helene, 45, spätes Mädchen und Hubert, 55, großer Junge, lernen sich auf einer Rundreise durchs Baltikum kennen. Beide haben ein Handicap, das sie zutiefst geprägt hat. Und beide haben ihre Leichen im Keller.

Auch der schwerblütige finnische Tango spielt eine Rolle, selbst wenn man ihn gar nicht wirklich zelebriert, denn Hubert ist ein leidenschaftlicher Nichttänzer, bestenfalls Wipper, der von einem Fotoband mit alten Männern in lächerlichen Outfits träumt. Und Helene tanzt sowieso am liebsten mit ihren Freunden Pekka oder Mikka durch das ganze verdammte Finnland. Am Ende wird aus der verrückten Rundreise eine hauchfeine Liebesgeschichte, und im Keller ist auch noch das eine oder andere Plätzchen frei. Vielleicht für den dussligen litauischen Kellner Edgaras oder John Malkovichs hässlichen Bruder, den penetranten schwäbischen Nerd Alfred.

Britpop | Feincord, dunkelblau |Dem Stück liegt Heinz Kirchners Erzählung „Adamos Südstaatlermütze" zu Grunde. Es spielt im Jahre 1966 und ist eine glühende Hommage an die legendäre Band „The Kinks".

Alwin und Robert haben in Herthas Bar im Fernsehen während des Zieleinlaufs einer Etappe der Tour de France den zutiefst verachteten Schnulzenfuzzy Adamo gesehen - aber - und das ist der springende Punkt - langhaarig und auf dem Kopf eine Südstaatlermütze. Und die müssen die beiden unbedingt haben. Also, nichts wie auf nach Paris! Wahrscheinlich wäre alles wunderbar gelaufen, hätte da nicht der kleine DKW-Junior angehalten, um sie zu nächsten Bahnhof mitzunehmen ... Die tragische Geschichte einer wunderbaren Jungenfreundschaft, in der die rassige Ramona, mit dem schönsten Sprachfehler der Welt und dieser sexy Feincordhose in Dunkelblau, alles durcheinander wirbelt.

1913 - Eine Silvesternacht | Am 16. Dezember 1913 wird im Aschaffenburger Stadttheater Julius Maria Beckers Einakter „Eine Sylvesternacht" uraufgeführt. Becker ist 26 Jahre alt. Das brisante Stück, das mit einer schockierenden, blasphemischen Variante eines Selbstmordes endet, entfacht einen Pressekrieg zwischen der Aschaffenburger Zeitung und dem katholischen Beobachter amMain, der „Pessimismus und Unmoral" des Werks scharf attackiert. Heinz Kirchner hat Beckers Stück bearbeitet und verknüpft und durchwirkt die Bühnenhandlung mit Geschehnissen aus dem Vorkriegsjahr - aus Aschaffenburg und dem kulturellen und politische Deutschland und Europa.

Und niemand ahnte damals, welch grauenerregendes Unheil das darauffolgende Jahr über die Welt bringen würde.

Über den Gärten | Ein ähnlich hermetisches, geheimnisvolles, unverortetes Stück wie Haiymaath. Auch hier geht es um eine dumpfe, dunkle Angst vor dem Unbekannten, das allmähliche Schwinden der eigenen Identität und letztlich die brutale und sinnlose Verteidigung des einst sicher geglaubten Territoriums. Ein Mann lebt auf dem Balkon hoch über den Gärten. Seine Frau ist verschwunden, und die Tür zur Wohnung verschlossen. Unten zwischen den Gärten windet sich ein träger, stinkender Bach, an dem Versprengte ihr Lager aufgeschlagen haben und auf etwas warten. Eines Tages bekommt der Mann auf dem Balkon Besuch mit ungeahnten Folgen. Vier Personen haben den Weg vom Bach durch den „Glyziniendschungel" auf den Balkon hoch über den Gärten geschafft. Und die haben nicht vor, sich auf den Weg zurück zu den am Bach lagernden Barbaren zu machen. Ein ungleicher Machtkampf beginnt, in einem Stück von brennender Aktualität.

ab:art-theater. 2002 bis 2015 | Herzlichen Dank an:

Berthold Brunn, Kordula Kohlschmitt, Torsten Kleemann, SteffenRosenberger, Mike Lörler, Florian Kerz, Jürgen Brenner, Bodo G.Toussaint, Peter Rose, Joschi Pevny, Wolfgang Schnellbacher, FrankHeck, Katrin Bindernagel, Anna Ewelina Cieplinski, René Fugger,Simone Wagner, Agnieszka Kleemann, Albrecht Sylla, La DinhQuang, Stephan Ebert, Sabine Grant-Siedel, Norbert Meidhof, CarinGrausam, Hanne König, Cornelia Denk, Achim Greser & HeribertLenz, Daniel Stenger, Johanna Serg, Thomas Amberg, Carolin Meier,Susanne Hasenstab, Jörg Fabig, Carsten Pollnick, Marie Schwind undChristoph Sauer, Stefan Varga, Stefan Valentin Müller, HajoSchmidtner, Vic Schlusky, Emil Emaille, ...

schwarzweissrot

Uraufführung 2003 | Stadttheater Aschaffenburg

 

Personen

Mädchen

farbige junge Frau, 18 bis 25 Jahre alt

Junge/Junge

junger Mann, ab 18 Jahre alt

Einheitsbühne mit drei Schauplätzen für das Mädchen, den Jungen und dann für beide zusammen.

Die Schauplätze können mit jeweils wechselndem Licht herausgehoben werden.

„Zum Schluss, lieber Calvino, möchte ich dich auf etwas aufmerksam machen. Nicht als Moralist, sondern als Analytiker. In deiner .... Antwort .... istdir ein Satz entschlüpft, der in doppelter Hinsicht unselig ist. Es handelt sichum den Satz:

, Die jungen Faschisten von heute kenne ich nicht, und ich hoffe auch, dassich keine Gelegenheit haben werde, sie kennen zu lernen.'

Es ... ist der Wunsch, nie junge Faschisten kennen lernen zu wollen, eineLästerung, denn wir sollten im Gegenteil alles tun, um sie zu finden und mitihnen zu sprechen. Sie sind nämlich nicht vom Schicksal auserwählte undprädestinierte Ausgeburten des Bösen: Sie sind nicht geboren worden, umspäter Faschisten zu werden.

Niemand hat ihnen, als sie halbwegs erwachsen und im Stande waren, sichzu entscheiden – aus Gründen und Zwängen heraus, die wir nicht kennen –rassistisch das Brandmal des Faschisten aufgedrückt.

Was einen jungen Menschen zu dieser Entscheidung treibt, ist eine Mischung von grenzenloser Verzweiflung und Neurose, und vielleicht hätteeine kleine andersartige Erfahrung in seinem Leben, eine einzige simple Begegnung genügt, um sein Schicksal anders verlaufen zu lassen."

(Pier Paolo Pasolini, Freibeuterschriften)

Mädchen

(Dunkel; lange anhaltender, schwebender Ton.)

Plötzlich hat er auf mich eingeschlagen. Von jetzt auf gleich. Ohne Warnung, ohne Ankündigung, ohne mir auch nur den Hauch einer Chance...! Der erste Schlag war furchtbar ... ich sah tatsächlich diese Comic-Sternchen, die dem Donald oder dem Goofy bei solchen Gelegenheiten immer um die Köpfe schwirren. Dann wurde es dunkel und warm, das Blut, das viele Blut lief mir in die Augen, in die geöffneten Augen wie ein roter und dann schwarzer Vorhang lief es über meine Pupillen, ein fürchterlich klebriges Zeug. Die nächsten Schläge , ... wie eigenartig, ... die spürte ich gar nicht mehr als Schmerz, eher als Bewegungen meines Körpers, hörte diese dumpfen Aufschläge wie von ganz weit. Dann wurde es weich und kühl und hell ...

Der Junge schaute mich mit entsetzten Augen an beim ersten Schlag , über seinem Kopf eine riesige Sprechblase, nein, ich meine diese Denkblasen, diese wolkenähnlichen Dinger, von denen diese Bläschen zum Kopf der Figur führen. In dieser Denkwolke stand ein riesengroßes „Sorry!" Der fassungslose, verzweifelte Blick war wie eine einzige gigantische Entschuldigung! Faszinierend!

(Bach: Prelude. Das Licht wird mehr, sie tanzt dazu; ihr Kopf ist mit rotem Tüll verhüllt.)

Junge

Sie hat es nicht anders verdient, diese Dreckschlampe, diese scheiß Niggerfotze! Weggefegt gehören die! Ausradiert, mit Stumpf und Stiel! Was wollen die hier, diese scheiß Dreckskanaken! Scheiß Dreckschlampe! Scheiße!!Ich hab ihr gesagt, kuck mich nicht an, kuck mich nicht an! Ich hab ihrgesagt, hör auf mit deiner schwulen Gefühlsscheiße! Hör auf!! Selberschuld, selber schuld, selber schuld! Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiß Blutüberall! Überall Scheißblut! Mein T-Shirt! Alles voll von diesem scheißNiggerscheißblut!

(Dunkel; laute, harte Musik)

Mädchen

Ich tanze für mein Leben gern, für mein Leben. Ich liebe diese alten Tanzfilme, Fred Astaire, Gene Kelly ... Diese Mädchenträume, Märchenträume, wenn alle Menschen einer Stadt – das waren ja damals alles nur Kulissen, eigentlich lächerlich – wenn alle Menschen einer Stadt durch die Straßen, über die Plätze tanzen, anstatt zu laufen, in den Gesichtern ein seliges Lächeln, die „Anmut" der Bewegungen, das pure Glück, das Paradies auf Erden.

Manche auf diesen komischen Fahrrädern mit diesen irre dicken Ballonrädern und diesen riesigen geschwungenen Lenkern. Andere auf Rollschuhen, Inlineskater gab's ja damals noch nicht. Alles tanzt und singt und lacht ... die Klamotten in Bobonfarben, pink, hellblau, quietschgelb ...

Ich war auf dem Weg zur Tanzschule, ging im Kopf meine Choreographie durch, tanzte im Kopf durch die Straßen, Kulissen ... Ich war so glücklich, ja ich war heute so unsagbar glücklich. Ich hätte tanzen können auf der Straße, ehrlich gesagt tat ich es auch, ab und zu. Einen kleinen Sprung, eine knappe Drehung, ein Trippeln, ein Lächeln. Ich lächelte die Menschen an, nickte dem ein oder anderen dabei zu. Das wirkt Wunder, da kommt was zurück. Ich war heute eine Stunde früher, ich wollte meinen Tanz für die Zwischenprüfung noch einmal ganz allein für mich üben.

Ich zog mich schnell in der kleinen Kabine um. Schwarze Leggings, weißes T-Shirt, barfuß. Kurzes Warming-up. Legte die CD in den CD-Spieler, Knopfdruck, dann schnell in Position. Den Körper gestrafft, Arme mit „Anmut" - meine Tanzlehrerin liebt dieses altmodische Wort „Anmut" – Arme also mit Anmut nach oben gestreckt, das Lächeln in die Spiegelwand. Und dann ....

Junge

(Der „schwarze" Junge kommt durch den Zuschauerraum auf die Bühne. Er stopft ein weißes Hemd und eine Krawatte in eine Alditüte.)

Ich war noch nie in dieser Gegend, noch kein einziges Mal. Hab mich fastverlaufen, weil ich so schnell weg bin. Mann, die haben genervt, dieScheißtypen. Mit ihrer Politscheiße. Die Gegend war nicht gut für mich,das hab ich gleich geschnallt, überall Scheißkanaken, überall Nigger undÖlaugen. Scheiße! Dies scheiß Geglotze, Mann hat das genervt! Angst? Ich?Nein! Nur das scheiß Generve von diesen Scheißtypen. Ich hasse es, wennman mich anglotzt!!! Das macht mich voll aggressiv! Ich hasse das, ist dasklar?! Ich will mit dieser Politscheiße nichts zu tun haben! Die haben jarecht! Ich seh das auch so! Aber dieses ständige Gelaber, dieseParteischeiße! Da kann ich ja gleich zu den Kaninchenzüchtern!

Dann seh ich dieses graue Haus. In meinen Rücken das scheiß Kanakengestarre!! Hunger hatte ich, in der Plastiktüte vier Dosen Bier, paar voll abgefahr'ne CDs Ich also rein ins Haus. War mir sicher, dass es leer steht!

Mädchen

(Sieht im Spiegel den Jungen. Er hält einen Baseballschläger in den Händen.)

Hallo....

Junge

Hallo, (Sie öffnet ihr Haar.), hallo .................. Niggerfotze ...!

Mädchen

O, mein Dummy [spricht: dammi]! Gib her, den brauch ich zum Üben.

Junge

Dammi?

Mädchen

Ich meine Dummi [spricht: dummi], ... so wird ...

Junge

Ey, ey, ey, du spielst mit deinem scheiß bisschen Niggerleben, ist dir das klar?

Mädchen

So wird das geschrieben, „dummi", ... das ist –

Junge

Okay, okay, ich weiß, bin doch nicht weich im Kopf! „Crash Test Dummy" und so! So als ob oder so...

Mädchen

Ja, ich brauch den für meinen Tanz, ...

Junge

Einen Baseballschläger? Machst wohl nen Faschotanz oder was?

Mädchen

Ha, ha, ha! Nein, für den Tanz brauch ich dann einen goldenen Stab, den ...

Junge

Der liegt gut in der Hand. Der Golfschläger für Arme. (Er holt aus und hält kurz vor ihrem Kopf inne.) Du kennst doch die „Smashing Pumpkins"?

Geiler Gruppenname!

Mädchen

(Er streicht ihr mit dem Schläger von der Brust über den Hals ans Kinn.)

Geile Musik. Gib her, ich brauch den!

Junge

„Smashing Pumpkins", echt fetter Gruppenname. Oder „Smashing Niggerhead" Auch geil! (Er holt wieder aus, macht das gleiche Spielchen.)

Sma ...ssssshhh ........!!!! Sma ...ssssshhh ........!!!! Sma ...ssssshhh ........!!!!

Mädchen

Gib schon her! In einer Stunde muss ich vortanzen! Zwischenprüfung ...

Ich hab keine Zeit für diese Spielchen ....

Sma ...ssssshhh ........!!!! (Sie schnappt sich den Schläger und holt aus.)

Sma ...ssssshhh ........!!!! „Smashing Red Neck"! Geiler Gruppenname!

Junge

Echt geil! Du bist ganz schön dreist, Nigger! Ganz schön dreist!

Mädchen

Natürlich hatte ich Angst. Wie ich immer etwas Angst habe, eine Art Grundangst, wenn ich alleine durch die Straßen gehe. Wenn die Typen mich anstarren mit dieser unverhohlenen Frechheit, mit diesem dummen Ausdruck der Überlegenheit in den Gesichtern, natürlich ...

Ich habe eigentlich ein gutes Feeling dafür, ob die wirklich gefährlich sind. Es gibt da welche, die muss ich nur einmal anlächeln, dann schauen sie weg, oder werden rot und starren auf ihre Schuhspitzen ...

Den Jungen konnte ich schlecht einschätzen. Auf jeden Fall war er nicht dumm und auch nicht unsensibel, aber irgendwie geladen, wie eine kleine kompakte Bombe, hellwach und immer bereit zu reagieren. Wie ein Kater wenn er sein Revier abgeht, alle Antennen gespreizt, alle Kanäle auf „on" ...

Mädchen

Wenn du dich zum Tanzkurs anmelden willst, bist du zu früh ...

Junge

(Trinkt Bier, verschluckt sich; lacht und hustet lang.)

Tanzkurs? Ich und Tanzkurs? ---- Pogo? Wird hier auch Pogo unterrichtet?

(Lacht.)

Mädchen

(Lacht mit.) Pogo in Togo. Propaganda in Uganda. Meine Mutter kommt aus Togo. Pogo in Togo.

Junge

Hör auf zu lachen, Nigger!! Wenn ich lache, hast du noch lange nicht zu lachen, okay? Ob das okay ist, du Niggerschlampe?

Mädchen

Woher weißt du, dass ich eine Schlampe bin?

Junge

Schnauze Sklave! Was wollt ihr alle hier? Geht doch dahin, wo ihr hingehört!

Mädchen

Meinst du vielleicht zum Baumwolle zupfen in die Südstaaten? (Lacht.)

Junge

Zum Beispiel, Schlampe! Oder zu den Hottentotten! Oder nach Togo!

Mädchen

Also Pogo wird hier nicht unterrichtet. Aber Stepptanz zum Beispiel oder HipHop!

Junge

(Er steht auf und macht einige Pogosprünge.) Der Boden ist geil. Der federt voll geil! HipHop? Diese fetten Niggersklaven mit ihren schwulen Goldketten. Eklig wie die in ihren versifften Slums um die brennenden Mülltonnen rumlungern und ihre stumpfsinnigen Gedichte runterleiern.

Mädchen

Ich find HipHop auch scheiße.

Junge

Tickst du nicht richtig? Das ist doch unlogisch!! HipHop scheiße?

Du spinnst wohl? Willst dich wohl einschleimen, Schlampe?

(Ballettmusik.)

Mädchen

Er hat sich dann hingesetzt, war ganz außer Atem. Hat mich angestarrt und dann in seiner Plastiktüte gekramt. Ich hab weitergetanzt , paar Drehungen gemacht, mit viel „Anmut". Er hat mich angestarrt. Mich und mein Spiegelbild, abwechselnd. Hat sich entspannt. Ich hab ihn aus den Augenwinkeln beobachtet. Sein Gesicht war sehr müde und sehr weiß und sehr jung ...

Junge

Ich war fertig. Den ganzen Tag Stress mit diesen Politwichsern. DieserPenner Andi. Ständig diese Theoriescheiße, diese Parteischeiße. Das sinddoch alles Spießer, wie die andern auch. Ich mach mein Ding, mein eigenesDing ... Und den ganzen Tag nichts gegessen. Das eine Bier auf nüchternenMagen hätte mich fast umgehauen. ... und dann diese scheiß Opernkacke,schläfert einen voll ein. Und wie sie dazu tanzte , das Mädchen, dieSchlampe mein ich, .. voll eingeschläfert hat mich das, Kontrollverlust, vollScheiße ....

Mädchen

Hier, du siehst irgendwie hungrig aus.

Junge

Was ist das für 'ne Scheiße? Ich fress' keine Niggerscheiße!

Mädchen

Keine Angst, ist keine Niggerscheiße. Ist nur Kamelscheiße!

Junge

Kamelscheiße? Willst du mich verarschen?

Mädchen

Nein, nein. So wird das in Togo genannt. Weil es so ähnlich aussieht!

Junge

Kamelscheiße für Weiße! Ich lach mich krank!

Mädchen

Hat meine Mutter gemacht: Die beste Kamelscheiße der westlichen Welt, sagt mein Vater immer !

(Ballettmusik.)

Junge

Dann hab ich diese scheiß Kamelscheiße gegessen. Aber nur, weil ich sofurchtbar hungrig war. Ich hätte fast gekotzt vor Hunger. Ich saß auf demBoden, an die Wand gelehnt, hab die Kamelscheiße gegessen und meinzweites Bier aufgemacht. Es ging mir scheißgut. Kein Stress mehr, keinePanik. Die Opernkacke, dieses Mädchen, das tanzte und die beste Kamelscheiße der westlichen Welt, ... ich muss dann wohl eingeschlafen sein.

Mädchen

Ich hab ihn beim Tanzen aus den Augenwinkeln beobachtet. Er tat erst so, als würde ihm die Kamelscheiße nicht schmecken, verzog absichtlich das Gesicht und so. Aber, gegen Mamas Kamelscheiße hat keiner eine Chance, selbst der härteste Nazi nicht. Dann hat er sich entspannt, sah unendlich müde aus, richtig abgeschlafft, total fertig. Dann fielen ihm die Augen zu und er fing an zu schnarchen. Ein zartes Geräusch, ein feines Flattern seines Zäpfchens. Im Mundwinkel hing ihm noch etwas Kamelscheiße ....

In dem Moment hätte ich gehen können. Aber irgend etwas zwang mich, dazubleiben. Es war dieser kleine braune Rest Kamelscheiße in seinem rechten Mundwinkel. Das störte mich ungemein, dieser braune Fleck in dem blendend weißen Jungengesicht ....

Junge

Ich hatte von meiner Mutter geträumt. Von dem Bild, das ich in meinemSchulatlas versteckt habe. Seite 48, Afrikanische Staaten. Mein Vater würdemir die Fresse polieren, wenn er es finden würde. Zu Recht! Völlig zu Recht!Auf dem Foto ist sie im Badeanzug zu sehen, schwarz ist er. In Wirklichkeitwar er knallrot, ist ein Schwarz-Weiß-Foto. Ich steh neben ihr, fünf Jahre alt,Leoparden-Badehose, PlasGkschaufel in der einen Hand, an der anderen dieHand meiner Mutter. Ich seh zu ihr auf, mit offenem Mund, Sie winktmeinem Vater zu, der sie fotografiert hat. Der rechte Träger vomBadeanzugist ihr über die weiße Schulter gerutscht, man sieht den Ansatzihrer Brust ...

Am nächsten Tag war sie weg, die Drecksschlampe, mit irgend so einemDreckskerl ... Das Bild hab ich zerrissen und in die Abfalltonne geschmissen.Am nächsten Tag hab ich´s dann wieder rausgewühlt zwischen faulenKartoffeln und stinkigen Fischkonserven. Hab´s mit Tesa wieder zusammengeklebt. Mein Vater wenn´s wüsste, oh oh oh, er würde' michtotschlagen.

(Das Mädchen kniet vor ihm und reinigt seinen Mund.)

Junge

Fass mich nicht an!! Ich hasse es!! Kuck mich nicht so an, du Drecksschlampe!! Verpiss dich!! Verpiss dich endlich!!(Er stößt das Mädchen weg.)

Mädchen

He! He! Du hast geschlafen, und dann hast du geredet! War das deine Mutter? Was ist mit ihr? Ist sie weg?

Junge

(Schreit) Halt dein dreckiges Niggermaul! Sie ist die gleiche Drecksschlampe wie du!! Alle Drecksschlampen!! Alle!! Alle!!

Mädchen

Fehlt sie dir? Sie fehlt dir? Wenn meine Mutter, ... ich würde sterben!

Junge

Hör auf mit dieser schwulen Gefühlskacke!! Hör auf!!

Mädchen

Ich wollte nur, ... du hattest noch Kamelscheiße im Mundwinkel ...

Junge

(Vom Schlaf verwirrt.) Kamelscheiße?

Mädchen

Ja, die beste Kamelscheiße der westlichen Welt!

Junge

Die beste ...? Ach ja ... Kamelscheiße! Kamelscheiße im Mundwinkel! (Lacht.)

Mädchen

„Kamelscheiße im Mundwinkel!" Guter Gruppenname! (Lacht.)

Junge

Wirklich guter Gruppenname! „Kamelscheiße im Mundwinkel!"

(Beide lachen lange.)

Mädchen

Deine Mutter ist tot, gestorben?

Junge

Ich hab ein Bild von ihr. Sie ist weg, auf und davon. Macht nichts.

Ich war fünf. Brauch sie nicht. Die Drecksschlampe ist mit so einem Dreckskerl ...

Mädchen

Hast du das Bild ...

Junge

Nein, es ist zerknittert, geklebt, ich hatte es zerrissen und dann ...

Es ist in meinem Schulatlas, Seite 48, Afrikanische Staaten ...

Mädchen

Afrikanische Staaten ....

Junge

Du kannst ruhig weitertanzen ...

Junge

Ich bin eingeschlafen, einfach weggepennt. Das Bier, der Hunger, der scheiß Stress.

Junge/Junge

Wie lang hab' ich wohl gepennt? Scheiße! Scheiß Kontrollverlust! Andis Worte! Kein Kontrollverlust! Nie Kontrollverlust! Er hat uns mal eineStelle aus einem Buch vorgelesen, von so `nem Dreckskommunisten. Hasleroder so ähnlich, österreichische Kommunistensau, meint Andi. Derbeschreibt, wie einige coole Nazitypen ein behindertes Mädchen, äh ...halt ficken, nacheinander und dabei gleichzeitig mit einer Pistole irgendwelche Flaschen abknallen. Andi meint, wir sollten uns die Typen alsVorbilder nehmen. Das ist die totale Kontrolle, die totale Wachsamkeit, in so einer Situation, Herr der Dinge zu sein, in so einer Situation, .......Sie hätte abhauen können, so fest wie ich gepennt hab'. Sie hätte einfachverschwinden können, einfach weg?

Jetzt tanzt sie wieder. Hat die keine Angst? Hat die keine Angst vor mir?Also, ich hätte schon Angst vor mir, wenn ich, ... also an ihrer Stelle ...Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle, ... Sie kann ... , eigentlich, ... na ja bei denSchwarzen, bei den Niggern halt da, die, sagt man so, ham das ja im Blut. In ihrem Scheißniggerblut eben.

Ich hatte mal nen Kumpel, als Kind, Nigger, schwarz wie Katzenscheiße. Der hieß Hans-Heinz! Hans-Heinz, muss mansich vorstellen! Schwarz wie verdammte Katzenkacke und heißt Hans-Heinz!(Lacht.) Seine Mutter hatte sich von so ´nem Scheiß GI, na ja ! Wir dachtennatürlich alle, so schwarz wie der ist , und groß war er und schnell, .... wirdachten natürlich, blöd wie wir waren, der muss automatisch auch vollgutFußball spielen können, muss das sozusagen in seinem scheiß Niggerbluthaben.