Halle und Jerusalem - Achim von Arnim - E-Book

Halle und Jerusalem E-Book

Achim von Arnim

0,0

Beschreibung

Ein Studentenspiel und Pilgerabenteuer aus dem Jahr 1811. Neben Clemens Brentano und Joseph von Eichendorff gilt er als ein wichtiger Vertreter der Heidelberger Romantik.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 390

Veröffentlichungsjahr: 2012

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Halle und Jerusalem

Achim von Arnim

Inhalt:

Achim von Arnim – Biografie und Bibliografie

Halle und Jerusalem

Halle

Ein Studentenspiel in drei Aufzügen

Personen.

Erster Aufzug.

Zweiter Aufzug.

Dritter Aufzug.

Jerusalem

Ein Pilgerabenteuer

Die ernste Erscheinung.

Die Pilger auf dem Meere.

Die Taufe auf dem Meere.

Das todte Sündenkind.

Die Reisenden und die Jungfrau mit dem Storche.

Die Belagerung.

Die Versuchungen in der Wüste.

Die Aussicht nach Jerusalem.

Der Harem des Pascha von Jerusalem.

Das Nonnenkloster in Jerusalem.

Die drei Alten in Jerusalem.

Die Nacht in der Herberge zu Jerusalem.

Der Ritterschlag am heiligen Grabe.

Halle und Jerusalem, Achim von Arnim

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849603670

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Achim von Arnim – Biografie und Bibliografie

Dichter der romantischen Schule, geb. 26. Jan. 1781 in Berlin, gest. 21. Jan. 1831 in Wiepersdorf (bei Jüterbog), studierte in Göttingen Naturwissenschaften und veröffentlichte eine »Theorie der elektrischen Erscheinungen« (Halle 1799), wendete sich aber bald ausschließlich der poetischen Produktion zu, ließ sich nach längern Reisen 1806 in Heidelberg nieder, wo er, mit Klemens Brentano eng befreundet, die »Zeitung für Einsiedler« (deren Titel dann in »Tröst-Einsamkeit« umgewandelt ward; neu hrsg. von Pfaff, Heidelb. 1883) herausgab und mit Brentano eine Sammlung der ältern deutschen Volkslieder: »Des Knaben Wunderhorn« (s. Wunderhorn), veranstaltete (das. 1806–1808, 3 Bde.). In seinen Jugendromanen: »Hollins Liebeleben« (Göttingen 1802; neue Ausg. von Minor, Freiburg 1883) und »Ariels Offenbarungen« (das. 1804), offenbarte sich schon die phantastische Willkür, die den begabten Dichter nie verlassen sollte. Die Novellensammlung »Der Wintergarten« (Berl. 1809) erneuerte vergessene Erzählungen. Höher stand der Roman »Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores. Eine wahre Geschichte, zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein aufgeschrieben« (Berl. 1810, 2 Bde.), worin der Dichter den Fall und die Buße einer heißblütigen Frauennatur mit ergreifender Wahrheit, wenn auch nicht ohne einiges störende Beiwerk schildert. 1811 verheiratete sich A. mit Brentanos Schwester Elisabeth (Bettina), lebte von da an teils in Berlin, teils auf seinem Gut Wiepersdorf in der Mark, ununterbrochen poetisch tätig, überdies durch eine anziehende, im besten Sinne ritterliche Persönlichkeit ausgezeichnet. Seine Dramen »Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabenteuer« (Heidelb. 1811) und die in seiner »Schaubühne« (Berl. 1813) vereinigten Stücke schwanken zwischen dem Ton des Ernstes und dem toller, phantastischer Puppenspiele in einer Weise, die den rechten Eindruck gefährdet. (Vgl. Bottermann, Die Beziehungen des Dramatikers Achim v. A. zur altdeutschen Literatur, Götting. 1896.) Dagegen sind seine Erzählungen, die teils einzeln in Taschenbüchern, teils gesammelt unter den Titeln: »Vier Novellen« (Berl. 1811), »Landhausleben« (Leipz. 1826) und »Sechs Erzählungen« (Berl. 1835) erschienen, meist anschaulich und anziehend geschrieben, von Humor und warmem Gefühl durchdrungen, aber auch nicht frei von barocken Absonderlichkeiten. Die besten sind: »Isabella von Ägypten«, »Der tolle Invalid auf dem Fort Ratonneau«, »Die Majoratsherren« und »Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott«. Seine Hauptschöpfung sollte der historische Roman »Die Kronenwächter« werden, dessen erster Teil noch den Titel: »Bertolds erstes und zweites Leben« (Berl. 1817) führte, während ein zweiter, unfertiger Teil erst aus Arnims Nachlaß hervortrat. »Die Kronenwächter« sind ein historischer Roman von großartiger Anlage und mächtiger Ausführung; die bedeutende Zeit, der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Beginn des 16. Jahrh.), ist lebensvoll und farbenreich geschildert, und die ausgeführten Episoden sind voll Wärme und Heimatszauber. Arnims »Sämtliche Werke« mit einer Vorrede von W. Grimm (Berl. 1839–46, 19 Bde.; 1853–56, 22 Bde.) fanden nur ungenügende Verbreitung; bessere wurde den »Ausgewählten Novellen und Erzählungen« (das. 1853, 3 Bde.) zu teil. Eine Auswahl der Werke Arnims besorgten Koch für Kürschners »Deutsche Nationalliteratur« und Dohmke für Meyers Klassikerausgaben (Leipz. 1892). Arnims Beiträge zum »Gesellschafter« aus den Jahren 1817–1820 gab Geiger heraus: »Unbekannte Aufsätze und Gedichte von A.« (Berl. 1892). Vgl. »Achim v. A. und die ihm nahe standen«, hrsg. von R. Steig u. Herm. Grimm (Bd. 1, Stuttg. 1894).

Halle und Jerusalem

Studentenspiel und Pilgerabenteuer

Anzeige.

Die frühere dramatische Bearbeitung der italienischen Novelle, die einen Theil der Begebenheiten dieses Schauspiels geliefert hat, von dem alten deutschen Dichter Andreas Gryphius, wird im ersten Bande meiner Alten deutschen Bühne erscheinen, die gänzliche Verschiedenheit meiner Bearbeitung von der feinen, rechtfertigt mich über die Wahl derselben Erzählung; wenn ich sehr weit zurückgeblieben bin hinter der Vollendung jenes alten Meisters, der zu groß ist, als daß ich gegen ihn eine Art literarischer Nebenbuhlerei hätte ausüben wollen, so hatte ich dagegen manches mir und der Zeit Eigentümliche mitzutheilen, was ich nach Form und Inhalt nicht zu leicht und nicht zu schwer zu nehmen bitte. Ich wiederhole bei dieser Gelegenheit eine frühere Bitte an Freunde der Literatur, mir ältere, weniger bekannte Schauspiele zur Ansicht und Benutzung, oder käuflich zu übersenden und verpflichte mich ihnen zu ähnlicher Gefälligkeit.

Ahasverus, ein reisender alter Jude.

Cardenio, ein junger Privatdocent.

Pamphilio, Student und Dichter, Cardenio's Freund.

1. Die Leiche des Hauptmanns Volte.

2. Der Prediger Lyrer.

3. Der Philosoph Wagner.

4. Der Jude Nathan, ein reicher Handelsmann.

Edelchen, dessen Frau.

Nathanael, deren Sohn.

Einige Enkel des Nathan.

Baron Viren, Professor der rechte.

Olympie, dessen Schwester.

Eine Geistergestalt, der Olympie ähnlich.

Doris, Olympiens Kammerjungfer.

Kriegsräthin Tyche.

Celinde, ihre Tochter.

Cleon, ein Glöckner.

Ein Magister aus Leipzig.

Dienemann,

Stürmer,

Suppius,

Becker,

Schmidt,

Meyer,

Ein Kümmeltürke,

Ein Weisenhäuser, nahmhafte Studenten.

Studenten, Musikanten, Halloren, Häscher, Pferdephilister, Masken, ordinäre Zuschauer, Rumpeltopfweiber, eine dicke Magd und ihr Hund.

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Der Marktplatz. Auf der einen Seite stehen drei einsame Pferdeverleiher in der Sonne, auf der andern die beiden Gevaterbuden mit Blumen und Früchten reichlich angefüllt; die Gevatterin zählt Kirschen in Papiertüten. Pamphilio, Dienemann, Suppius, Mayer, Becker, ein Waisenhäuser, ein Kümmeltürke, ein Magister liegen nachlässig auf dem Sopha und auf den Stühlen vor der einen Bude umher und essen so wenig, als sie sprechen. Im Hintergrunde des Theaters erscheint das alte akademische Gebäude, der Thorweg ist geöffnet, es werden von einem Buchhändler Dissertationen und Bildnisse berühmter gelehrten ausgehangen. Ahasverus, ein Reisebündel auf dem Rücken, geht langsam ernst vorüber.

AHASVERUS leise vor sich. Sei mir gegrüßt, du Stadt des Segens und des Fluches die alles mir geraubt und alles mir bewahrt. – ich will doch näher schleichen dem Studentenhaufen, Cardenio mag darunter sein. Zur Gevatterin. Was kostet wohl ein Schock von diesen Kirschen, liebe Frau?

GEVATTERIN. Zwei Groschen.

AHASVERUS. Ich hab nur einen Groschen, hat sie keine schlechteren?

GEVATTERIN. Die Judenkirschen sind dies Jahr nicht gut gerathen, Alterchen.

SUPPIUS lacht. Den Juden muß ich foppen. Zu Ahasverus.Cur ita visum est plerisque biduum aut triduum commorari Halis Saxonum.

AHASVERUS. Qui illic locus est, unde non poterant avelli sicii Ulyssis, illic Sirenes.

SUPPIUS. Was Teufel, der Kerl weiß Latein. Hör Gevatterin, der Jude sagt, du wärst eine Sirene.

GEVATTERIN. Besser rene als unrene, Alterchen er thäte auch gut, sich einmal die Hände zu waschen, oder darf er das nicht? Daß er mir nur keine Kirschen anrührt.

DIENEMANN. Er sieht den Schmutz nicht, denn wie Veneroni sagt, Tschaskeduno sa, ke la tschetschita dei Tschiudäi e Schismatitschi.

AHASVERUS. Blind men must not judge of colours.Meine lieben Herren gehen Sie nur eine Woche so wie ich in der Sonne, Sie werden auch keine weiße Hände behalten. Beso las manos. Ab.

MEYER. Mein Seel, der Jude könnte einem dienen, wie ein Wörterbuch für vier Sprachen.

WAISENHÄUSER. Ich glaube, dies ist der ew'ge Jude, der überall gewesen, alle Sprachen reden soll und immer zittert, so ist er überall beschrieben.

DIENEMANN. Mir kam es vor, als hätt' er in den Augen, in der Stirn so etwas von Cardenio.

MEYER und alle lachen. Du findest überall doch Ähnlichkeiten, weil du in der Mitte stehst mit deinem Angesichte zwischen dem Apollo und dem Frosche; viel eher gleicht der Alte einem Ziegenbocke mit seinem weißen Barte, mit der krummen Nase.

DIENEMANN. Halt still, was schlägt's da? Wahrhaftig schon eilf Uhr und Schlinger ist noch nicht zurück von Reideburg, der Wagner heut zerbeißet und zerstampft sich noch vor Ungeduld. Zur Schlägerei war immer Zeit bis morgen. Gewiß hat ihm Cardenio die Schlenkerprime übers Maul gezogen, daß er nicht reden kann. Verfluchter Streich, warum gab denn Cardenio ihm gestern Abend die Ohrfeige?

PAMPHILIO. Warum? Weil Schlinger ein Ohrfeigengesicht nun einmal hat, frag Gott darum, er hätt sich lang dem Teufel übergeben, wenn ihm ein Teufel dienen wollte, jetzt dienet er dem Wagner; damit ihn der aus Gnade und Barmherzigkeit zum Teufel schickt.

SUPPIUS. Was soll das heißen, ich bin auch ein Schüler Wagners.

DIENEMANN. Jetzt geh, ich bin für deine schlechte Späße heut zu ungeduldig, mach daß du fortkömmst, Schwätzer.

PAMPHILIO. Langweilt euch nun allein, ich hab mich lang genug mit euch langweilt. Ab.

MEYER. Was meint ihr, wollen wir den Lümmel koramiren?

DIENEMANN. Wär nicht Cardenio sein Freund, es juckte mir die Hand, es ist ihm nicht geschenkt.

Zweiter Auftritt.

Cardenio im Kollet, mit Hieber und Burschenhut kömmt auf einem mageren Philistergaule angesprengt, den ihm ein Philister sogleich abnimmt.

PFERDEPHILISTER. Das ist zu arg Herr Cardenio, es ist mein bestes Pferd, es ist ja wie mit Wasser ganz begossen, es fliegt die Brust ihm wie ein Blasebalg.

CARDENIO. Du willst noch reden Schurke, mir ein stät'sches Pferd zu geben, das mich eine Stunde länger aufgehalten, als meine Zeit erlaubt. Er haut auf ihn.

PFERDEPHILISTER. Das leid ich nicht, viel lieber geb ich meine ganze Nahrung auf. Geht mit dem Pferde murrend ab.

DIENEMANN. Nun sag mir schnell, du kömmst allein, wie stehts mit Schlinger, der Wagner wartet sehr auf ihn, er sollt ihm heute opponiren.

CARDENIO. Sag Wagnern nur, er komme gleich, er sei gesund und frisch schon wieder in der Stadt, er möcht nur bald zum Promotionssaal gehen, dort wird er ihn finden.

DIENEMANN. Recht vielen Dank dafür, das wird ihm große Freude machen. Ab.

CARDENIO. Der Wagner wird sich wundern.

MEYER. Ei, wie das?

CARDENIO. Ich werd an Schlingers Stelle opponiren, das wird ein Fest. Dem Schlinger hab ich seine Ehre rasch zurückgegeben, ich habe ihm mit einem Hieb die Backe abgeschält, auf die ich gestern hart geschlagen. Als er da unter des Chirurgen Händen seufzte, bat er mich, weil ich mich seiner Ehre also angenommen, ich möchte seinen Ehrenplatz auch übernehmen, gegen Wagner opponiren; und ich versprach es ihm, da gab er mir so Frag als Antwort, wie er es all mit Wagner abgeredet, da seht! Er zerreißt sie. Ja opponiren will ich, doch darf keiner mir vorschreiben; nach meinem Sinne will ich sprechen. Ich will sehen, wer von uns beiden Wahrheit sagt und Recht behält. He Gevatterin gieb einen Scheffel mir voll Kirschen, geb meinen ganzen Wechsel drum, ach wär nur eine Kirsche dieser ganze Korb, da füllte sie doch noch den Mund, so ist's überall, nichts lohnt der Mühe, nichts den Durst. Gevatterin, war Pamphilio schon hier?

GEVATTERIN. Er war schon hier, Herzkind, und wartete auf dich, da hat er so was fallen lassen, ich weiß nicht mehr, da haben ihn die Herren weggejagt, ich sagt es gleich, sie solltens lassen, es würde Dich verdrießen. Na ...

CARDENIO. Hört ihr Herren, das erkläre ich hier öffentlich, heut mag ich nicht mehr Streit, doch wer Pamphilio was thut, der thut es mir, im Guten und im Bösen; der Junge meint ihr, habe nicht Kurage, so wollet ihr Euch gerne an ihm reiben; er hat Verstand, das ärgert euch und er hat mich, ich diene ihm als Kurage, und ich hab ihn, er ist mein froher Witz, der schnell erfüllt was ich erdacht, so stehen wir zusammen fest verbunden, für einen Mann und ihr, wie steht ihr da?

SUPPIUS. Je Sackerment, wir haben ihm ja nichts gethan, du machst es jetzt zu arg, du wirst zu einem nassen Bruder; wie nasses Heu brennst du gleich lichterloh von selbst in Dir.

CARDENIO. Du bist doch nicht der Esel, der mich fressen wird? Ich habs gesagt und dabei bleibts, Pamphilio ist eins mit mir und meine Freunde sind die Seinen. Was giebts schon wieder Neues, Dienemann, wie schon zurück vom Wagner, wie so fröhlich?

DIENEMANN. Der Wagner ist bald hier. Doch denkt einmal, wie ich vor seiner Thüre, erblicke ich in einer Seitengasse ein wunderschönes Mädchen, der ich ganz eilig folge, zwar sah sie züchtig aus, doch mußt ich wissen, wer sie wäre und ging ihr nach. Da kam der Schimpelschampel her, der weiß von allen in der Stadt Bescheid und sagte mir, das sey Olympie, die Schwester des Viren, sie ist nur wenig Tage hier ein himmlisch Mädchen wie Juno und Minerva; wahrhaft Olympie und Viren, sie können nicht von einem Vater stammen.

CARDENIO. Wer darf so ungesittet gleich vermuthen, glaubt doch kein Mensch, der uns hier beide so zusammen sieht, daß wir von einem Adam beide stammen.

SUPPIUS. Hör Brüderchen, so ist er heute gegen alle Welt, es ist nicht auszuhalten.

DIENEMANN. Du weist Cardenio, von dir laß ich mir alles das gefallen, dir nehm ich gar nichts übel, du hast nun einmal so dein eigen Wesen, man muß dirs lassen. Hätt ich so deine Art, die Sicherheit und das Vertrauen, so wären alle Weiber mein, denn ihre Gunst ist schnell erobert, langsam nur verdient. Wahrhaftig es verwundert mich, daß ich dich nirgends auf dem Strich gesehen.

CARDENIO. Auf dem Lerchenstrich; was soll ich da, ich bin ein Falkonier, laß meinen Vogel zu der Sonne steigen. Bei Weibern sollt ich schmachten so wie du? Damit ich so ein Lumpenkerl auch würde dem seine Backen so herunter hängen, wie das Zeug am Leibe das mit den weichen Falten die Sehnsucht zeigt nach der romantischen Zeit, die Waden hatte.

GEVATTERIN. Das war mal schön gesprochen, Herzkind, dafür muß ich dir einen Kuß in deinen Backenbart eindrücken.

CARDENIO. Bleib mir vom Leibe, du weißt, ich kanns nicht leiden.

GEVATTERIN. Du Krauskopf, wirst es schon leiden müssen.

CARDENIO. Fast zweifle ich, ob ich wohl je mich der Vertraulichkeit ergebe, dem, was ihr andern Liebe nennt. Das Ehejoch ist mir verhaßt, es nimmt mir meine Freiheit. Nichts davon, so lange ich noch ein flinker Kerl. Was bleibt mir nun zu meiner Lust? Die schlechten und verdorbnen Mädchen hasse und verachte ich, ich bin zu gut für andrer Leute Rest; unschuldige, die stößen mir zu viele Ehrfurcht ein, so vieles Mitleid, da ich sie nicht mit meinem Leben, mit meiner Freiheit nicht erkaufen mag. Was kann ersetzen, was ich raube?

SUPPIUS. Das ist gewissenhaft.

DIENEMANN. Sieh, jeder hat nun seine eigene Kurage, du fürchtest dich vor Weibern, ich vor Männern, vor allen andern fürcht ich mich vor dir. Du hast ein schön System erbaut. Was heißt das Unschuld? Heist das, nichts Schuldges denken oder nichts Schuldges thun? Ich meine, das Erste, denn zum zweiten gehört nur noch Gelegenheit, Entschluß und Muth, um alles wahr zu machen, was in Gedanken lüstet. Beim Teufel, in dem ersten Falle ist kein Mädchen schuldlos, und du magst sagen, was du willst unschuldig bist du auch nicht, nur dein Stolz hat dich bewahrt vor der gemeinen Sünde, der wir uns fröhlich überließen.

CARDENIO. Bei Gott, du Schlange, du sprichst wahr.

DIENEMANN. Nun sieh, es kostet nur den ersten Schritt, was du so lang gehegt, das magst du nicht verschwenden; du kannst den Muth nicht finden zu etwas, das beim zweiten Male dir Muth zu unterdrücken kostet.

CARDENIO. Verführer! Verlasse mich unsaubrer Geist! Muth? Wo hat mir je der Muth gefehlt.

DIENEMANN. Hast du Kurage, so mach dich an Olympien, da wird der Muth dir sinken, ja hinter der versteck ich mich und schrei dir zu von allen Seiten: Cardenio jetzt zeig, ob du ein Mann. Adies! Lachend ab.

CARDENIO. Das war dir hohe Zeit. Habt ihr Olympien gesehen?

BECKER. Freilich sah ich sie. Wahrhaftig, du kennst mich sonst, ich habe eine Stirn von Eisen, der könnt ich keine Sauereien ins Angesicht sagen, vielweniger möcht ichs wagen, sie zu lieben, sie würde mich schön ansehen.

MEYER. Ja freilich schön, sie ist zu schön für dich und für uns alle, da muß ein Held einziehen, der die gewinnen könnte. Zu züchtig ist sie für die Weiber, und setzt sie in Verlegenheit; die Pik Aß verweigerte mir neulich in ihrer Gegenwart, daß ich ihr nicht wie sonst den Nacken durfte küssen, das war mir ein verdorbner Spas, gewissermaßen auch beschämend.

SUPPIUS. He Leute kommt doch endlich mit zum Kuchenprofessor, mich hungert mächtig.

MEYER. Es ist ja jetzt bald Zeit zum Promoviren. Adies!

BECKER. Adies! Suppius, Meyer, Becker ab.

GEVATTERIN. Das sind mir liebe Herrn Gevattern, hat wieder keiner hier bezahlt.

CARDENIO. Nun nun, wir werden sie auch sehen, die fabelhafte Jungfrau, die Dienemann so ganz erfüllt, ich glaube er ist mit wenigem zufrieden.

EIN WAISENHÄUSER. Solche vornehme Weiber mag ich nicht, mir gefällt eine runde Aufwärterin viel besser.

CARDENIO. Du übest wohl dein künftiges Geschäft der heidnischen Bekehrung, wenn sie die Zimmer ausgekehrt.

WAISENHÄUSER. Sie glauben nicht, in keinem Weibe sitzt weniger Falsch, als in denen, die da dienen, sie thun alles für den, welchen sie lieb haben und sind zu allem geschickt. Bleibt der Wechsel, aus so bringen sie irgend ein gutes Stück aus der herrschaftlichen Küche, was die Katze nachher soll gethan haben. Und dafür verlangen sie gar keine zusammengesetzte Conversation; geh ich mit meiner Lisbeth Sonntags auf ein Dorf, so scheint ihr das mehr Ehre, als wenn ich mit einem Stiftsfräulein zum Balle Schlitten fahre. Unreinlich ist sie freilich, aber das bin ich auch.

CARDENIO. Ich müßte mich sehr irren oder wahrlich du bist ein recht gemeiner Kerl, dir ist dabei recht wohl in deiner schmutzigen Haut, wie werden sich die indischen Braminen freuen, wenn du in deiner lieblichen Person, ein Vorbild christlicher Religion und europäischer Cultur da giebst. Du bist ein großer Missionär.

WAISENHÄUSER. Ich wollte ihnen die Freude gerne schenken, wenn ich nur hier in der Gegend mir eine Versorgung finden könnte, ich würde Jude, kriegt ich nur des reichen Schimpelschampel Tochter. Da schlägts, hols der Teufel, da muß ich einem Paar Juden, die sich taufen lassen, in der Religion Unterricht geben. Ab.

EIN KÜMMELTÜRKE. Ein gemeiner Hund. Pfui Teufel, eine Magd, die immer Hände hat, wie ein Reibeisen und grobe Hemden, wie die Scheuerlappen. Da lob ich mir mein Kaufmannsweibchen, der Mann wiegt im Laden Schnupftaback ab, mein Kaffee wartet schon da, mein Schlafrock und meine Pfeife, bin da bedient, wie ein Sultan, sie singt mir zu ihrem Klaviere: »Bei Männern welche Liebe fühlen«; dann ließt sie mir einen Roman vor, sie ist so ein Stück von einem schönen Geiste, ich bin da wie Herr und wie Kind vom Hause zugleich.

CARDENIO. Aufrichtig sag ich dir, dein Vornehmthun in schlechter Sache ist mir noch viel verhaßter als des armen Teufels kleine Lust; du dringst geflügelt ein wie eine Motte in das Pelzwerk und zernagst im Müssiggang, was jenen lange Winter konnt erwärmen; es ist kein Wunder, daß ein junger Mensch, der unbeschäftigt ganz dem Willen und den Launen einer Frau kann leben, den armen Mann verdrängt, der mit des Tages Noth-Erwerb muß ringen und ganz erschöpft am Abend zu ihr flüchtet. Doch sag, was kann daraus am Ende werden, ein Ehescheidung, und dir ist doch die Frau zu alt um sie zu nehmen. Sieh Bruder, das muß auch anders werden, ich sag es dir im Namen unsres Ordens, ich gebe dir acht Tage Zeit; Liebschaften dulden wir, doch gegen Ehestand, wo er noch treu gehalten wird, bewahren wir die Achtung; ich sage in acht Tagen mußt du ganz von ihr entfremdet sein, sieh, oder du bist ausgestoßen.

KÜMMELTÜRKE. Aber lieber Bruder, ich wollte sie recht gern verlassen, aber sie hat mich gar zu lieb, sie läßt mich nicht.

CARDENIO. So schlimmer denn für dich, wenn sie dich hat und du sie nicht hast.

KÜMMELTÜRKE. Ich weiß es wohl, ich lerne nichts bei diesem Leben, ich habe so oft mir vorgenommen, wegzubleiben; weil du es willst, ich bleibe heute weg und geh nach Lauchstädt. Ab.

MAGISTER. Wie kann die erhabene Liebe, die über unser Leben, wie die Sterne ewig hinwandeln sollte, so in den Koth getreten werden; ein Blick ist mir genug.

CARDENIO. Wie du das treibst, Magister, mit jeder zu liebäugeln, dich mit jeder zum Entzücken aufzureizen, gleich viel, ob sie gemein und ob sie einzig ist eine Art von geistigem Bordell, die Mädchen werden dir zu Gliederpuppen, an denen du mit schlauem Witz der Worte Prachtgewänder hängst, doch fehlet das lebendige Gesicht noch stets und darum sind mir deine Lieder auch verhaßt, so wie dein Händedruck; nicht kräftig warm und stark ergreift er meine Hand, nein glatt bewegt sich deine Hand in meiner, ich kann in jede Form sie drehen, als wäre gar kein Knochen drein.

MAGISTER. Da haben wir nun jeder unser Theil, Gottlob daß du herum bist, jetzt kehrst du wohl zu dir zurück.

CARDENIO. Ich bin ein Thor, daß ich mich mühe, euch Mohren all den Kopf zu waschen, es kann euch schaden, mir hilft es nichts. Kennst du denn auch Olympien?

MAGISTER. Ich sollte sie nicht kennen, ich leb ja nur von ihren beiden Augen, die gleich zwei stillen Seen, in denen sich der Himmel blau bespiegelt, der Ausdruck von was Höherm sind, was sage ich von ihrer Zähne elfenbeinerm Zauberschloße, in dem die Worte sich wie schöne Königinnen zart begrüßen, was – –

CARDENIO. Zerleg mir nicht die Schönheit so unmenschlich, um sie dann Stück für Stück in Spiritus zu setzen.

MAGISTER. Du willst mich heute nicht verstehn. Leb wohl. Ab.

CARDENIO. Ihr Herren Pferdephilister geht nach Hause, es ist zu spät, um Pferde zu bestellen, ihr steht ja dort so fest, wie Stechfliegen auf euren Mähren, ihr steht mir in der Sonne, wie der große Alexander dem Diogenes; seht zu, was die liebwerthe Frau Philisterin heut gekocht, wer weiß, ob nicht indessen ein alter Kunde bei ihr ist.

EIN PHILISTER. Erlaubs der Herr, wir werden doch so gut hier stehen dürfen, als ein andrer Mensch.

CARDENIO. Du dummer Teufel, siehst du nicht es steht kein andrer hier, als ihr, drum fort mit euch, oder –

PHILISTER. Nun wir gehen schon. Ab.

GEVATTERIN. Da hast du wohl Recht, Herzkind, das Volk will doch nur spioniren und steckt mit allen Juden unter einer Decke und mit dem Prorector.

CARDENIO. Welch ekelhaftes Volk, mit Juden unter einer Decke schlafen und mit dem alten Prorector. Unter einer Decke, wahrhaftig unter einer Decke schlief ich mit Olympien so gern und kenn sie nicht. – Wunderlich, wie kann ein fremder Mensch, den ich verachte, der elend und verworfen, so mit leerem Schwatzen mir den Busen regen mit unbewußtem Drang, ich kenn sie nicht. – Mir fehlte es an Muth bei Weibern? Wie dumm! Und doch, es liegt was Wahres drein, mir fehlt der Muth mit einer zu beginnen, so wie die meisten sind, wie fänd ich sonst ein Ende meiner Liebeleien, genießen müßt ich auch die meisten, ja eine Sehnsucht faßt ich dann nach allen. Ein Mädchen möcht ich, wie keine andre je gewesen, so wie Olympie scheint, fremd, wunderbar und außerordentlich; die Schwere soll mich nicht zur Erde ziehen, nur der Magnet. Die Altagskost der Liebe mag ich nicht, Steinfresser wollen Steine, Eisenfresser Eisen. Heilig Eisen, magnetisch Eisen, das nach Norden deutet, dich starren Stolz der Jungfräulichkeit, der vor dem eigenen Gefühle flüchtet, dich Stein des Anstoßes und der Weisheit, wilde jungfräuliche Schaam, dich zu besiegen, zu gewinnen, ist allein des Lebens Werth, du reißest mich mit allen Kräften hin zu dir und schließest einzig alle Welt in dir. He Gevatterin gebt mir die Laute her, beim holden Klang wird einem manches klar, was sonst nur dämmernd in dem Nebel graut:

Hohe Lilie, hohe Lilie!

Keine ist so stolz wie du,

In der stillen milden Ruh,

Hohe Lilie, hohe Lilie,

Ach wie gern seh ich dir zu.

Hohe Zeder, hohe Zeder!

Keine steh so einsam da,

Doch der Adler ist dir nah,

Hohe Zeder, hohe Zeder!

Der dein sichres Nest ersah.

Hohe Wolken, hohe Wolken,

Ziehen über beide stolz,

Blitzen in das stolze Holz.

Hohe Wolken, hohe Wolken

Sinken ins entfammte Holz.

Hohe Flamme, hohe Flamme!

Tausend Lilien blühen drauf,

Tausend Zedern zehrst du auf,

Hohe Flamme, hohe Flamme!

Sag, wohin dein stolzer Lauf?

Dritter Auftritt.

Olympie mit Doris, ihrer Magd, die Körbe zum Markteinkaufe trägt.

DORIS. Hier Fräulein sind viel bessre Kirschen feil, als jene, die wir von der Röse kauften, wir haben so noch nicht genug zum Kuchen, die Hälfte wird vom Herren Bruder in der Küche roh mir wegschnablirt, Sie kennen seine Art, er ißt so in Gedanken.

OLYMPIE. So kauf nur schnell. – Schön Wetter, liebe Frau, die Maikirsch hat ein schönes Blut, ich nehm den ganzen Korb.

CARDENIO vor sich. Sie ists, sie muß es sein. Heimlich zu der Gevatterin. Was die hier nimmt, das hab ich alles schon bezahlt.

DORIS. Ich will nur sehen, ob auch die Kirschen unten sind wie oben in dem Korbe.

GEVATTERIN. Was macht sie, liebes Kind, sie schüttet ja die Kirschen zu den ihren, die waren schon dem schönen Herrn hier verkauft und ich hab keine andre von der Art für heute.

DORIS. Mein Jesus, ei, wie soll ich nun die Kirschen von einander lesen.

CARDENIO. Das ist ein Unglück! Wohl mir, daß ich doch etwas mein genannt, das Sie mein Fräulein hat gereizt, ich nenne Glück, daß ich erstanden hatte, was Ihnen angenehm. Bei Gott, Sie kränkten mich, wenn Sie dies unbedeutende Geschenk verschmähten, ich nehm es sicher nicht zurück.

DORIS. Ja wenn der Herr nicht anders will.

OLYMPIE. Mein Herr, es wäre gegen alle Sitte, solche Gabe auszuschlagen, doch setzt es mich in einige Verlegenheit, daß ich sie nicht mit etwas anderm gleich erwiedern kann.

DORIS. Ei gnädges Fräulein, sehn Sie nur den schlechten Bindfaden an des Herrn Laute, Sie haben heut ein schönres Band gekauft.

OLYMPIE. Das war ein guter Einfall, Doris. Dies blaue Band mit Silbersternen hell durchwirkt wird, meine ich, nicht übel lassen.

CARDENIO. Es ist vielmehr der schönste Ritterorden, der mich dem schönsten Fräulein weiht.

OLYMPIE. So ernsthaft ist es nicht gemeint.

CARDENIO. So ernsthaft muß ichs nehmen und diese Sterne die mich jetzt umgeben, sie zieren mich nicht blos, sie führen mich hinfort durchs ganze Leben.

OLYMPIE. Ich fürchte, daß ihr Glanz zu bald erlöschen wird.

CARDENIO. Doch nimmermehr ihr Segen. Sagen Sie, ist kein geheimer Glanz in dieser Sterne wunderbarer Windung?

OLYMPIE. Kann sein, ich weiß ihn aber nicht.

CARDENIO. Es leuchtet mir so deutlich drin: Olympie muß Cardenio lieben, weil ihr Cardenio ewig eigen.

OLYMPIE. Wie sagen Sie? Sie kennen mich? Ich heiß Olympie, ich kenne nicht Cardenio, doch hab ich viel von ihm gehört durch meinen Bruder.

CARDENIO. Böses oder Gutes?

OLYMPIE. Es hält sich so die Wage, daß noch der Liebe Hauch dem Guten schnell ein Übergewicht verleihen mag.

CARDENIO. Cardenio liebt Sie, wird nimmer eine andere lieben als Sie, Sie können ihn allein beseligen.

OLYMPIE. Beseligen kann der Himmel nur.

CARDENIO. Sie sind sein Himmel, ich bin Cardenio, ich habe noch nie gelogen, mein Herz ist mir erwacht, Glück auf! Glück auf! – Wenn Sie nicht wieder lieben ist alles aus, Glück aus und Hoffnung aus! – es kann nicht sein.

OLYMPIE. Wie kann die Liebe so erschrecken und verwundern wollen?

CARDENIO. Beim Himmel, ich will gar nichts, ich weiß von nichts, zu heftig schlägt mein Herz; ich seh mich ungeschickt nach einem Ausdruck um, zu ihren Füßen seh ich liegen ein viergeblättert Kleeblatt das deutet Glück, o sei es auch ein Zeichen meines Glückes, wenn Sie es nehmen.

OLYMPIE. Ich muß es nehmen, ich fürchte Sie – mir wird so schwindelnd vor den Augen, ach Doris, komm, wir stehen all zu lange in der Sonne – dort kommt ein großer Zug Studenten. Wir müssen fort.

DORIS. Ei gnädges Fräulein, das ist nicht gut für unsern Einkauf, hier war so wohlfeil kaufen. Noch einmal unsern Dank, mein schöner Herr. Olympie verneigt sich und geht mit Doris ab.

Vierter Auftritt.

CARDENIO. Nach Hause will ich sie begleiten, sie schwankte, schwankte wie die Sonn im Aufgang und meinte, daß es von der Sonne käme; ich muß ihr nach. – –

Wagner mit vielen Studenten, unter denen alle vorhergenannten, zieht nach dem Promotionssaale dem Thorwege zu.

STUDENTEN. Glück zu! Wagner, hoch, abermals hoch, dreimal hoch!

WAGNER zu Dienemann. Sehn Sie Herrn Schlinger noch nicht kommen, ich bin vom Sonnenschein geblendet, nicht länger konnte ich mehr warten.

DIENEMANN. Hier ist Cardenio, der hat es mir versichert, er komme gleich. Cardenio, ist Schlinger noch nicht hier?

CARDENIO. Verflucht, es ist, als würde ich mit kaltem Wasser übergossen, ich will ihr nach, da soll ich oben disputiren. – Geht nur hinauf, er ist schon da. Er sieht in die Ferne.

WAGNER. Wenn mir Cardenio nur keinen Streich gespielt und läßt mich ohne Opponenten oben sitzen. – Mein Herr Cardenio, Sie wissen ganz gewiß, daß mein Herr Opponent sich eingefunden.

CARDENIO. Er kommt gewiß, er ist gewiß schon da. Er sieht in die Ferne.

DIENEMANN. Nun dann, so geh ich, die Musik zu holen. Ab.

WAGNER. So sein Sie für die gute Nachricht schon gegrüßt, befinden sich doch noch recht wohl, so ziemlich wohl, mein Herr Cardenio?

CARDENIO. Den Teufel mag ich mich recht wohl bestanden, ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht.

WAGNER. Da nehmen Sie doch einige Tropfen Assa-Fötida in Äther aufgelöst, es half mir immer gegen Schwindel treulich.

CARDENIO. Bleibt mir vom Leib mit eurem Teufelsdreck. Vor sich. Jetzt ists zu spät, ich kann sie nicht erreichen, jetzt ist sie ihrem Hause schon ganz nahe, ich möchte weinen, wenns nicht kindisch wäre die Zunge mir zerbeißen, o die Gelegenheit kommt nimmer wieder, ihr alles zu erklären.

WAGNER. Mein Herr Cardenio, Sie reden viel vor sich, das ist ein böses Zeichen, hier ist ein Fläschchen Opium, nur wen'ge Tropfen geben Lebenskraft.

CARDENIO. Wünscht mir nicht zu viel Lebenskraft, denn kurz und gut, ich bin heut Opponent, hier ist der Brief von Schlinger worin er euch den Auftrag kund gethan.

WAGNER. Sie, Herr Cardenio? Sie sind zu gütig. Mir wird so schwach, ich bitte meine Herren, ach leiten Sie mich in den Thorweg, dunkel ists vor meinen Augen und meine Willenskraft versagt, nun ich so nah der höchsten Ehre in der Philosophie.

STUDENTEN. Wagner hoch, abermals hoch, immerdar hoch!

CARDENIO. Tief und abermals tief und immerdar tief, dafür, daß er mir heute alle Lust verdorben.

Alle in den Thorweg ab.

Fünfter Auftritt.

GEVATTERIN. Weiß gar nicht, warum sie mir nicht mal so einen alten Doktorhut verehren, was die all wissen, weiß ich lange schon, habs lange an den Schuhen abgelaufen.

DIENEMANN kömmt mit Musikanten. Hier wartet ruhig, werthe Herren Musikanten und schlaft nicht ein und passet auf, ich werde euch mit meinem Hute aus dem Fenster winken, wenn ihm der Doktorhut wird aufgesetzt, dann blaset einen Tusch, daß alle Scheiben zittern. Und wenn wir dann mit ihm ans diesem Thorweg treten im Triumph, dann schwenkt euch, stimmt an den Dessauer Marsch, marschiret drei mal um den Markt, daß er sich allen zeige und wendet euch dann zum Rathskeller, wo ihr zum Schmause musiciren sollt.

ERSTER MUSIKANT. Je Herrchen, denkt doch an uns, wir sind so nüchtern, wie wir vom Balle sind gekommen und sollten in der Mittagssonne nun pausiren und musiciren, so wie ihr mit den Händen winkt, wo kommt da Stimmung her?

DIENEMANN holt aus der Tasche eine Flasche. Dafür ist auch gesorgt, theilts mit den Fingern ab in sieben Theile, daß keiner trinkt zuviel und jeder doch was kriegt. Gebt Achtung! Geht in den Thorweg ab.

ERSTER MUSIKANT. Ein Herrchen von Conduite; ein artig Herrchen, so ein Kluckerfläschen für uns herzutragen. He habt ihr wohl den Feuerwerker Hase noch gekannt, wenn der ein Feuerwerk erdenken wollte mit Brillantenfeuer, so holte er sich solches Kluckerfläschen und setzt es an den Mund und küpte mit dem Kopfe über, daß ihm der Hut zur Erde fiel. Er trinkt.

MUSIKANTEN. He Domine, laß etwas drein.

ERSTER MUSIKANT. Dann klappt er zu den Mund, da stand das ganze Feuerwerk ihm vor den Augen.

MUSIKANTEN. Wir wollen dir ein Feuerwerk vor deinen Augen schlagen, Domine, die Kluckerflasche ist wahrhaftig leer.

ERSTER MUSIKANT. Sagt warum wär ich auch der erste von euch allen, thät ich nichts für euch alle?

MUSIKANTEN. So musicir auch für uns alle. Domine, wir müssen erst bei Herrmann was pausiren. Gehen nach der Schenke.

ERSTER MUSIKANT. Da steh ich nun mit der Posaune ganz allein, was werden doch die Herrchen sagen zu der Musik, ich werd vor ihnen blasen wie der Hirte vor dem Vieh, das wird mal Schläge geben, ich mach voraus schon meinen Rücken krumm.

Er taumelt mit lächerlicher Gebärdung an die Posaune gelehnt, in dem Promotionssaale wird sehr

geschrieen, er antwortet halb wachend einzelne Worte darauf, wie recte bene, ecce quam bonum, gaudeamus igitur, pro salute, Vivallerallera, Meyer und Suppius kommen aus dem Thorwege.

SUPPIUS. Mich hungert mächtig der Wagner macht kein Ende.

MEYER. Macht kein Ende? Gern machte er ein Ende, könnt er eins finden, das Streiten hat kein Ende.

SUPPIUS. Ich hab kein Wort verstanden. Ich weiß nicht, wenn ich disputire, da bin ich euch gleich fertig, entweder – oder sag ich, damit mach ich alles aus.

MEYER. Cardenio opponirt so wunderlich, wie ich noch nichts gehört, erst ließ er sich in Demuth still von ihm belehren, bat sich bald diese Nachricht aus, bald jenes noch von dem Systeme, wie er jetzt alle Welt aus der Vernunft und den Atomen hat erbaut, und unbemerkt hat er aus alle dem sich eine feste Rüstung und ein scharfes Schwert gebildet, womit er die Atomen-Wirbel all zerhaut, er taucht ihn unter in derselben Urvernunft, worauf er erst so prächtig kam geschwommen.

SUPPIUS. Ei was er ist ein feiner Kopf der Wagner, kein Wasser, worin was untergehen kann, hat er dir nicht erzählt, wie er des Aberglaubens Vorhang kühn zerrissen, die Offenbarungen vernichtet hat, vor ihm bestehen keine Religionen; ja sollt ich mir die Aufklärung versinnlicht denken, der Wagner wär ihr Bruder. He Bruder, ich möchte auch ein Wort da oben mal mitreden.

MEYER. Du kannst ja kein Latein verstehn, viel weniger sprechen.

SUPPIUS. Ja das ist wahr, hab mir so viele Müh damit gegeben und hab es doch vergessen. Was ist der Mensch. Ich sag dir, Wagner hat mirs selbst gesagt, daß sein System, wenn man es recht kapirt, so allumfassend wie der Äther sei. He Bruder, mich hungert.

MEYER. Horch einmal zu. Bei Gott, man kann sie bis hieher noch hören, das nenn ich disputiren, der Boden bebt auf viele Meilen in der Runde wie bei einer Schlacht. Ich sage dir, Cardenio ist ein Teufelskerl, er ätzt mit Höllenstein dem armen Wagner alles wilde philosophische Fleisch hinweg. Schon hat Cardenio ihm kühn und fest bewiesen dasheil'ge Grab sei Mittelpunkt derWelt, darum es allen Geistern heilig müsse sein, und allen Menschen, weil alle Christen werden müssen.

SUPPIUS. Wie lächerlich, Grab ist Grab und Erde ist Erde, so sagt Wagner, Ubi penis, ibi patria.

MEYER. Panis.

SUPPIUS. Panis sagt Cardenio, meinetwegen, ich hasse den Cardenio und den Pamphilio und das Folio dazu, sind lauter Narren in Folio. Der Cardenio will alles sein, der Gelehrteste, der beste Fechter, Ordensvorsteher – trinkt sich gestern auch zum Papste gegen mich! – Wart nur, wir haben einen guten Feger aus Frankfurt uns verschrieben, der soll Bescheid ihm sagen, hier wagt sich keiner mehr an ihn.

MEYER. Er ist ein gar besonderes Ingenium was er anfängt, das geräth ihm, ich glaube er gewönne das große Loos beim ersten Einsatz gleich. Hör wie sich jetzt das Schreien mehrt, das klingt ja wunderlich, das Fenster öffnet sich, da kuckt ja Dienemann heraus, hält sich das Schnupftuch vor die Augen.

ERSTER MUSIKANT. Ei guten Morgen, Herrchen soll ich blasen.

DIENEMANN am Fenster. Ich muß Luft schöpfen. Ja blas nur, ausgeblasen ist das Licht und statt des Siegesmarsches blas ein traurend sanft gedämpftes Lied, wie ihr bei Leichenzügen es zu spielen pflegt.

SUPPIUS. He Bruder, was ist denn los, ich kann das Lied nicht leiden, wer wird denn da zum Thorweg todt herausgetragen.

Die Leiche Wagners wird von seinen Schülern traurig heraus getragen, der Musikant bläst ein ernstes Lied auf der Posaune vor ihm her, doch hält der Zug noch, weil einige versuchen ihn wieder zu

beleben. Schmidt und Becker treten aus dem Haufen heraus.

SCHMIDT. O welch ein harter Tag, kaum kann ich glauben, was ich doch selber angeschaut.

SUPPIUS. He Bruder sag, warum läßt sich der Wagner tragen?

SCHMIDT. Glaub nicht, wenn sie dir sagen der Teufel habe ihm den Hals dort umgedreht, es wird gewiß gesagt im Volk, es ist nicht wahr, ich sag es laut, an seiner eignen Größe ist er hingestorben, an seiner Schlüsse ungeheurer Folge, an einem Untersatz ist er geblieben, der alles schließen sollte – sein Blut kommt auf dein Haupt, Cardenio. Ab.

Der Zug will sich fortbewegen, da tritt Cardenio sehr verwildert heraus und hält ihn ein, die Leiche Wagners, mit dem Doktormantel und dem Doktorhute bedeckt wird im Vordergrunde nieder gelassen.

CARDENIO. Bursche, Freunde, Brüder, ihr meine Feinde auch, ihr wisset alle, ich und Wagner waren uneins, wie geschiedne Elemente, – haltet still ihr Träger – keinen Schimpf will ich ihm anthun – nein bei Gott, die letzte Ehre, die einzige, die ich ihm geben kann. Es war ein braver Kerl und was er meinte, ja darin lebte er auch ganz und sagte es auch frei; hat ihn ein Lügengeist geblendet, in ihm war keine Lüge, mit seinem Leben hat er alle Schuld bezahlt, sein Leben hat er ehrlich dran gesetzt, hat für die Sache, der er gläubig angehangen, bis zu dem letzten Hauch gestritten, da fühlte er sich schaudernd überwiesen, sein Streben leer, sein Wirken nichtig, so ging er auf in seines Wesens Öde. Ich hab ihn überwiesen, ich bin sein Sieger, doch schmerzet mich der Sieg, ich schwöre frei vor Gottes Sonne, daß er verdient die Burschenehre, gesellet mit dem Doktorhute, ich leg den eignen Hieber auf den Todten und meinen Burschenhut, mehr kann ich ihm nicht geben. Dies sei ein Zeichen, wie aller Haß aus meinem Herzen ist geschwunden! Er geht mit gerungenen Händen umher.

GEVATTERIN. Je du mein Jesuschen über das Unglück, ihm gehört doch auch ein Myrthenkranz, da er als Junggeselle ist gestorben – wahrhaftig er hat ja nie was sonst als seine Bücher angesehen; davon war er so schwächlich. Da ist der Kranz. Legt einen Myrthenkranz auf ihn. Seht neulich, wie keusch er war, da brachte ich ihm eine warme Schüssel, als er so sehr im Leib litt, da meinte er, ich hätte gar was Böses vor und wies mich fort, du lieber Gott, das hätte mir gefehlt, solch elend Männchen und ich bin ein altes Weib. Nein sagt ich – –

DIENEMANN aus dem Thorweg kommend. Jetzt schweigt sie, denn zu lange schon hat sie den Zug gestört. Wie kommen diese Musikanten hier so einzeln wie auf der Flucht gelaufen, he schweigt ihr Hautboisten wollt ihr das Trommelfell uns zersprengen, wie der posaunt: nun lasset uns den Leib begraben, da blasen jene noch den lustigen Marsch.

ERSTER MUSIKANT. Ja Herrchen mit Erlaubniß, die wissen nichts vom ganzen Unglück, die sehn den Himmel an für einen Dudelsack. Ihr Leutchen seht ihr nicht den Todten, spielt das Todtenlied. Die herbei gelaufenen Musikanten blasen endlich zusammen das Leichenlied, Wagners Körper wird vom ganzen Zuge fortgetragen. Cardenio und Becker bleiben zurück.

CARDENIO. Wahrhaftig sollte ich vor den Gerichten sagen, wie er gestorben ist, ich wüßt es nicht; lebt einer, so lebt er in der Wahrheit und in der Lüge ist kein Leben.

BECKER. Nicht an der Lüge ist der Mann gestorben, was bildest du dir ein, ich hab es ihm seit langer Zeit gesagt; das Denken ist ein Tanzen auf dem Seile, das zwischen Gott und Menschenleben ist gespannt, er spannte dies von einer Seite nur, sein Menschenleben suchte er mit stark erregenden Potenzen mehr zu stärken und Gott verließ er, so verließ ihn Gott, da stürzt er über. Bei seinem kurzen dicken Hals, bei seinem dicken Blute, da mußte draus ein jäher Schlagfluß folgen, was sich in andern zeigt als Nervenschwäche. Heut kam die Anstrengung, der Ärger noch dazu, ich sah es ihm vor einer Stunde an, daß er gewißlich sterben müsse.

CARDENIO. Und sagtest mir kein Wort.

BECKER. Wer hätte mir geglaubt. Hätt ich es ihm gesagt, er hätte gleich dran sterben können auf dem Flecke, von der Reflexion.

CARDENIO. So schick nur deine leere philosophische Betrachtung dem todten Leichnam nach, mich kümmerts nicht. Pamphilio!

PAMPHILIO. Je grüß dich Gott, mein Simson, du hast den Philosophen mit deinen beiden Kinn backen todt gemacht.

CARDENIO. Jetzt schweig davon, ich hab was andres zu vertrauen, dir allein, wobei ich deinen Witz gebrauche. Alle ab.

Sechster Auftritt.

DORIS. Ich wollte noch ein Körbchen Erdbeeren kaufen für Herrn Viren, ja sag sie doch, war wirklich das der Herr Cardenio, der heut mein Fräulein zärtlich angesprochen.

GEVATTERIN. Du lieber Gott, sie wohnt auch wohl draußen vor der Stadt, da wo die Welt mitBrettern vernagelt ist, den Herrn Cardenio kennt sie noch nicht, der ist ja in der Stadt wie 'n bunter Hund bekannt, das ist mein Sprichwort nur, es ist ein Engelskind.

DORIS. Ja so ein Engelskind aus der Holzkammer.

GEVATTERIN. Sie schweig doch still, sie hat auch nicht umsonst die schwarzen Augen, wie ich, wenn er nur zu ihr kommen wollte auf ihre Kammer, sie würde auch von Holz nicht sein.

Lysander kommt.

DORIS. Je guten Tag, Punschur. – Was machen sie denn mit dem schönen Halstuch in der Hand.

LYSANDER. Mein Herzensschatz, das hab ich dir gekauft, gefällt es dir?

DORIS. Es ist ganz prächtig, das Roth fällt in die Augen, das wird mir herrlich stehen, es ist gekiepert, ein schönes Zeug.

LYSANDER. Hör dafür mußt du mir auch heut gefällig sein, komm auf die Seite.

GEVATTERIN vor sich. Wie die sich haben, als wenn ich nicht mehr wüßte, was die Glocke geschlagen, wenn so ein junger Mensch ein Halstuch giebt.

LYSANDER zu Doris. Hör Doris, heute Abend ist dein Fräulein doch zu Hause.

DORIS. Von meinem Fräulein will ich gar nichts hören, nur keine Briefchen wieder, die nimmt sie gar nicht an, es kostet endlich mir den Dienst.

LYSANDER. Nein, liebes Kind, von Briefen nichts, heut wünscht mein Herz viel mehr heut will ich es wagen, um alles zu gewinnen, denn dieses Zögern kann ich länger nicht ertragen. Versteck mich heute Abend spät in dem Schlafzimmer deines Fräuleins, vielleicht erringt ein Sturm, was mir die Güte stets versagt auf rechtem Wege.

DORIS. Nein nimmermehr, das geht nicht an, das war ja schlecht von mir.

LYSANDER. Warum nicht gar du Narr, ich mein's wahrhaftig mit ihr ehrlich, ich nehm sie sicher, es ist mein einziger Wunsch, sie zu heirathen, kein Mensch erfährts, daß du mich eingelassen; ich schwör es dir ich lohn es dir mit tausend Thalern und mit tausend Liebkosungen, ich halte Wort. Ich lieb Olympien so unaussprechlich.

DORIS. So hast du mir auch einmal vorgesagt.

LYSANDER. Du Narr, warum hab ich dich also leicht gewonnen, doch bin ich dir noch gut du weißt es, zwei so verschiedene Lieben gehn recht gut zusammen, doch mußt du jetzt auch deine Liebe zeigen.

DORIS. Mein Fräulein kann ich nicht verrathen, sie ist so gut.

LYSANDER. So schwör ich dir, daß wir auf ewig sind geschieden.

DORIS. Ich kann nicht.

LYSANDER. Noch diesen Abend will ich mit der Schwester hin nach den Pulverweiden, vor deinem Haus vorübergehen, sie liebt mich doch viel mehr, als du.

DORIS. Das sollst du nicht, das leid ich nicht, ich kanns nicht überleben.

LYSANDER. Zeig mir, daß du mich liebst, bring mich zu deinem Fräulein.

DORIS. Es muß geschehen, doch hält es schwer.

LYSANDER. Und wenns gelingt, so ist dein Glück gemacht.

DORIS. Mein Glück und auch mein Unglück. Wir müssens heimlich überlegen. Beide ab.

Siebenter Auftritt.

Der Schauplatz verwandelt sich in eine Straße vor dem Hause des Viren und der Olympie, beide treten auf den Balkon.

VIREN. Nach so viel Leiden, verseufzten Tagen und verwachten Nächten, da fühlt ich im Gedeihen eines lustigen Lebens, daß Liebe gar nichts sei, ein leerer blendend heller Spiegel in muthwilliger Hand der unerwartet wirft der Sonne Bild in unsre Augen erschreckend glauben wir, sie strahle plötzlich aus einer andern Region zu uns – da ist es fort. Hätt ich die bang verlorne Zeit zurück!

OLYMPIE. Du quälest mich, wie einen Kranken dem seines Lebens Ausgang vorerzählt wird, dem ein gewisser Tod wird vorgerechnet, das Leben quälet ihn, doch hat ers lieb. Ach lieber Bruder, wie du mir so durchdringend dies Gefühl beschriebst, so wie du es erfahren, an das wir glauben müssen gegen alle Überlegung, das in uns lebt und außer uns in ewgem Zwiespalt mit uns selber, so etwas fühlt ich auch, als sich Cardenio mir ganz zu eigen gab. Mir zu eigen? Mir selber hat er mich entführt und schweift mit mir ich weiß nicht wo, herum, ich will in meinen Büchern lesen und gähne, will gern an meine alten Freunde schreiben und kann nicht aus den ersten Worten kommen, mir ists, als müßt ich ihm weit über Hügel folgen; bin ich im dunklen Thal, so steht er auf der Höh in Abendsonne schön beglänzt und steig ich zu der Höh so ist er fort – wie wird mir doch ums Herz so weh.

VIREN. Ei wie verändert, stolzes Schwesterchen du stolze Frucht an einem Tag gereift am höchsten Gipfel und schon gefallen in des Mannes Schoos. Gedenk ich noch an gestern, der hochgefeierten Selbstständigkeit, des treuen Bunds mit allen edlen Mädchen vom Ehejoche frei zu bleiben.

OLYMPIE. Ich habe nie davon gesprochen, daß jede Ehe eine Bürde sei, nur die gezwungne wär mir unerträglich.

VIREN. Ihr Mädchen werft die Worte aus wie Kupfermünzen, der Mühe überdrüßig, sie zu zählen; wie sprachst du allgemein von Männertyrannei. Je liebes Kind, ist je ein Mensch auf Erden zum Tyrannen ganz geschaffen, so ists Cardenio.

OLYMPIE. Ich muß gehorsam sein, ich bin dazu geschaffen, du hättest früher warnen sollen, oder nie; gehörst du auch zu denen, die den Brunnen decken, wenn erst das Kind hineingefallen ist?

VIREN. Ich glaubte dich Lysandern längst verlobt, er ist ein hübscher Mann, ein Mann von Ehre, hat Ansehn und Vermögen, er liebt dich treulich nun so lange.

OLYMPIE. Du glaubtest es, weil du es wünschtest, ich hab dir nie davon geschrieben, ich hab ihm jede Gunst, selbst die gewöhnlichen, die dem Verliebten leicht ein Zeichen der Geneigtheit werden, so streng versagt, daß er wohl glauben mag, ich hasse ihn, wie ich doch nie gethan. Er ist ein werther Freund; Aufmerksamkeit, bescheidne Schmeichelei in allem, was mir lieb, so viele kleine Dienste, die er uns geleistet, verpflichten mich zur Dankbarkeit, ja fast wie eine Angewohnheit ist mir seine Nähe, die ich nicht gerne misse, Cardenio ist mir Bedürfniß, Speise, Trank und Luft des höheren Lebens, nichts bin ich ohne ihn.