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Johanna Alba

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Beschreibung

Habemus papam. Und was für einen! Einen solchen Papst hat die Welt noch nicht gesehen: Petrus II. liebt nicht nur Vino, Caffè und Fußball, er macht auch auf der Vespa bella figura – sehr zum Leidwesen seiner frommen Haushälterin Schwester Immaculata. Aber leider quälen Petrus neuerdings ernste Sorgen. Sein engster Vertrauter, Kardinal Rotondo, wird Opfer eines mysteriösen Anschlags, ein Engel stürzt, eine Madonna weint, und eine blutige Schrift verkündet das Ende aller Tage. Hinter dem göttlichen Strafgericht wittert Petrus ein höchst irdisches Verbrechen. Mit römischem Witz und Gottes Beistand beginnt er zu ermitteln, doch ihm bleibt nur wenig Zeit. Denn Petrus glaubt zu wissen, wer das nächste Opfer sein soll: Seine Heiligkeit höchstpersönlich!

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Seitenzahl: 369

Veröffentlichungsjahr: 2010

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Johanna Alba • Jan Chorin

Halleluja!

Ein Papst-Krimi

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Habemus papam. Und was für einen!

 

Einen solchen Papst hat die Welt noch nicht gesehen: Petrus II. liebt nicht nur Vino, Caffè und Fußball, er macht auch auf der Vespa bella figura – sehr zum Leidwesen seiner frommen Haushälterin Schwester Immaculata. Aber leider quälen Petrus neuerdings ernste Sorgen. Sein engster Vertrauter, Kardinal Rotondo, wird Opfer eines mysteriösen Anschlags, ein Engel stürzt, eine Madonna weint, und eine blutige Schrift verkündet das Ende aller Tage. Hinter dem göttlichen Strafgericht wittert Petrus ein höchst irdisches Verbrechen. Mit römischem Witz und Gottes Beistand beginnt er zu ermitteln, doch ihm bleibt nur wenig Zeit. Denn Petrus glaubt zu wissen, wer das nächste Opfer sein soll: Seine Heiligkeit höchstpersönlich!

Über Johanna Alba • Jan Chorin

Johanna Alba, geboren 1973, ist Kulturjournalistin und Kunsthistorikerin. Sie hat unter anderem in Rom studiert, wo sie in einer Künstler-WG gleich hinter dem Vatikan wohnte. Heute schreibt sie für verschiedene namhafte Magazine über Literatur, Kunst und Geschichte.

 

Jan Chorin, geboren 1971, ist Historiker und hat sich auf europäische Religions- und Geistesgeschichte spezialisiert. Die Autoren sind verheiratet und leben mit ihren Kindern in München.

Während der scharfen Verfolgung

der heiligen römischen Kirche

wird Petrus, ein Römer, regieren.

Er wird die Schafe

unter vielen Bedrängnissen weiden.

Dann wird die Siebenhügelstadt zerstört werden,

und der furchtbare Richter

wird sein Volk richten.

 

Letzte Prophezeiung des heiligen Malachias

(1094/95 bis 1148)

Prolog

So fühlte sie sich also an: die Angst. Sie kroch in ihn hinein, breitete sich aus, lähmte ihn bis in die Fingerspitzen. Wie viele Tage und Wochen war er vor diesem Gefühl davongelaufen? Immer in der Hoffnung, es würde ihn nicht einholen. Immer in der Hoffnung, schneller zu sein als der andere. Aber er war alt. Zu alt für dieses Spiel.

Die Furcht würgte ihn, schüttelte ihn, schnürte ihm den Magen zu. Er musste sich vornüberbeugen, um dem Druck nachzugeben. Er zitterte vor Kälte und Schwäche, und er fühlte, wie sie ihn stützten von beiden Seiten. Nichts hatten sie verstanden, diese zwei jungen Priester, die sich jetzt besorgt über seinen Kopf hinweg anblickten. Noch nie zuvor hatten sie ihn so gesehen, niemand hatte ihn je so gesehen: als den Greis, der er war. Immer hatte er Haltung bewahrt, Macht und Stärke gezeigt. Sich hoch aufgerichtet, mit dieser massigen Gestalt, die der andere so sehr fürchtete. Jetzt war er am Ende angelangt. Er stand vor den Stufen des Altars, es blieb ihm keine Zeit mehr, denn sie zerrten ihn hoch, sie schleppten ihn nach oben.

Doch diesen Weg musste er allein gehen. Er schob die beiden Männer mit letzter Kraft von sich, richtete sich zu voller Größe auf. Die Übelkeit war übermächtig. Aber er musste die Schrift sehen. Die blutige Schrift. Er musste sehen, was da geschrieben stand. Der Engel des Herrn wird mich schützen, dachte er. Er blickte nach oben, zu dem marmornen Körper, der neben Maria schwebte, eine goldene Lilie in der Hand, ein Lächeln im Gesicht. Er zwang sich zu einem letzten Schritt.

Plötzlich riss ihm etwas den Boden unter den Füßen weg. Seine Hände bekamen das Altartuch zu fassen, er klammerte sich fest, als er fiel. Ein leises, sirrendes Geräusch, nicht mehr als ein Flügelrauschen, war zu hören: Der Engel schwebte, nein, er stürzte auf ihn herab. Er sah sein Lächeln, ein heller Blitz, ein weißer Strahl. Sein Kopf explodierte in einem unfassbaren Schmerz. Vergib mir, dachte er. Und das Letzte, was er sah, war die Madonna, die weinte.

Erster Tag

I

Der Wind blähte die Vorhänge und schickte einen Lichtstrahl, wie einen göttlichen Fingerzeig, direkt in Petrus’ Kaffeetasse. Vom Petersplatz drang das Klock-Klock eiliger Absätze zum päpstlichen Frühstückszimmer empor, die Zwillingsbrunnen rauschten – Friede lag über der Ewigen Stadt. Petrus betrachtete den winzigen Lichtpunkt, der durch sein Zimmer huschte, die matten Perlen seines Rosenkranzes aufleuchten ließ und dann über seinem nachtschwarzen Caffè schwebte. Die Morgenmesse in seiner Privatkapelle lag hinter ihm, die Audienzen noch vor ihm. Und in dieser einen heimlichen Stunde dazwischen durfte er sich wie ein echter Römer fühlen. In solchen Augenblicken war Petrus gerne Papst, Bischof von Rom, Bischof seiner Heimatstadt. Für einen kurzen, aber glücklichen Moment fühlte er sich mit der Welt, mit urbi et orbi im Reinen. Er stellte seine Tasse ab, lauschte auf die Geräusche im Flur und tastete unter dem Polster seines kardinalroten Lieblingsohrensessels. Dann zog er mit geübtem Griff – als plötzlich ein Schatten die römische Morgensonne verdunkelte. Die Tür schwang auf, und da stand sie, groß und hager, die Haare mit zwei Klammern unter der Nonnenhaube gestrafft: Schwester Immaculata, Haushälterin des Papstes, erste und letzte Instanz im Vatikan. Misstrauisch musterte sie den Heiligen Vater: «Hoffentlich habe ich nicht beim Gebet gestört.»

Es war offensichtlich, dass Petrus nicht gebetet hatte. Zufrieden balancierte Immaculata ein Frühstückstablett zu einem Tischchen und arrangierte liebevoll drei Scheiben Toastbrot (ungetoastet!) und einen naturreinen Joghurt (geschmacksneutral!) neben dem Osservatore Romano, der Hauszeitung des Vatikans. Dann fiel ihr Blick auf den Papst – und ihre Miene gefror: Unter seiner schneeweißen Soutane leuchtete es rosarot. Petrus, der sich vergeblich bemüht hatte, die voluminöse Gazzetta dello Sport zurück unter das Polster zu stopfen, gab auf. Mit Unschuldsmiene zog er die Zeitungsseiten unter seinem Umhang hervor. «Millionen italienischer Katholiken interessieren sich für Fußball. Es ist meine Pflicht, mich über das zu informieren, was meine Schäfchen bewegt.»

«Vielleicht würden sie sich etwas weniger für weltliche Vergnügungen interessieren und etwas mehr für ihr Seelenheil unternehmen, wenn ihr Oberhaupt ihnen als Vorbild im Glauben voranginge. Es genügt nicht, nur von der Liebe Gottes zu predigen und vom ewigen Leben zu künden.» Immaculata deutete auf den Osservatore Romano. «Die Menschen brauchen auch Zurechtweisung und Zucht.»

Petrus betrachtete die Titelseite des Osservatore. Neben der Predigt vom letzten Sonntag war sein Bild abgedruckt: ein rundliches Gesicht mit einer breiten, fleischigen Nase. Ein schmaler Haarkranz. Wache blaugraue Augen. Die Predigt war, soweit Petrus sich erinnern konnte, recht lebensfroh ausgefallen – kein Wunder, dass sie nicht Immaculatas Beifall fand. Seine Haushälterin gehörte dem Orden der Bußfertigen Begonninen an, in dem zuverlässig alles verboten war, was andere Menschen am Leben schätzten.

«Du magst recht haben, Immaculata. Ich könnte nächsten Sonntag alle italienischen Männer auffordern, dem Fußball abzuschwören. Ich könnte ihnen sagen: Geht am Nachmittag nicht ins Stadion, sondern verbringt den Tag mit Buße und frommer Lektüre. Die Mitgliederzahl der Kirche würde sich dann ganz erheblich steigern.»

«Nicht auf die Zahl der Mitglieder kommt es an, sondern auf die Stärke des Glaubens.»

«Aber Glaubensstärke bedarf auch einer materiellen Grundlage, liebe Immaculata.» Petrus startete einen Gegenangriff. «Wenn du den Heiligen Vater mit Toastbrot abspeist, darfst du dich nicht wundern, wenn er den Versuchungen des Satans nicht gewachsen ist.»

«Bevor unser Herr vom Teufel versucht wurde, hat er vierzig Tage gefastet.»

«Deswegen hatte er auch keine Kraft mehr zum Fußballspielen. Das ist übrigens der Grund, weshalb die Heilige Schrift nichts darüber berichtet. Obwohl er seine Mannschaft schon zusammenhatte. Nach dem Ausfall von Judas waren es genau elf Spieler, mit denen …»

Laut krachend fiel die Tür ins Schloss. Immaculata, Leiterin des Haushalts seiner Heiligkeit, hatte die Stätte der Ketzerei verlassen.

Zufrieden verstaute Petrus den Osservatore Romano in seiner obersten Schreibtischablage und entfaltete die Gazzetta zu voller Größe. Gleich am Morgen ein Duell gegen Immaculata zu gewinnen war kein schlechter Start in den Tag – auch wenn ihm bewusst war, dass ihre Revanche nicht lange auf sich warten lassen würde. Denn Immaculata war nicht nur zänkisch und rechthaberisch, sondern auch überaus nachtragend. Die Summe ihrer schlechten Eigenschaften gipfelte in ihrer unerträglichen Frömmigkeit, die für einen Papst, das war sogar Petrus klar, natürlich kein Kritikpunkt sein konnte. Über die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens kursierten im Vatikan sehr verschiedene Theorien. Einige unterstellten ihr scheinheilige Inszenierung, andere jedoch – und zu diesen zählte er selbst – vermuteten Schlimmeres: Immaculata war wirklich «auf erschreckende Weise stock-katholisch», wie er Francesco – und nur Francesco – gegenüber zu sagen pflegte.

Das Allerschlimmste aber war, dass Immaculata sich standhaft weigerte, ihm etwas Gutes zu tun. Schon der morgendliche Caffè mit viel Zucker, auf dem Petrus bestand, war ihr ein schmerzender Stachel im keuschkatholischen Herzen. Denn Völlerei zählte eindeutig zu den sieben Todsünden. Brot und Wein hatte der Herr zu sich genommen – und das auch nur abends … Aber an diesem Morgen würde er nicht klein beigeben, o nein: Zumindest einmal in der Woche musste eine Andacht für Caffè, Calcio und Cornetti, die heilige Dreifaltigkeit des Italieners, abgehalten werden.

Wo Francesco nur blieb? Normalerweise wäre sein Privatsekretär mit Post und Presseschau schon lange bei ihm gewesen. Doch heute war er in besonderer Mission unterwegs …

Petrus vertiefte sich wieder in die Sportzeitung. Sofort kehrte seine Hochstimmung zurück: Es war Fußballweltmeisterschaft – und sie fand in Italien statt! Sorgen bereitete ihm allenfalls, dass die Squadra Azzurra eindeutig ein Problem auf dem linken Flügel hatte, verursacht durch einen Sehnenriss des Außenverteidigers. Man könnte de Carlo nach hinten ziehen … Aber dann müsste man das ganze Mittelfeld umbauen. Und das war ohnehin der schwächste Mannschaftsteil, seit Cassano gesperrt war.

Es klopfte leise. Dreimal. Das war das Zeichen! Petrus richtete sich auf. Eine dunkle Gestalt schob sich durch den Türspalt, das Gesicht verhüllt, die Kapuze tief über die Augen gezogen – Francesco! Er schien die Sache mit der Geheimhaltung sehr ernst zu nehmen.

Petrus betrachtete ihn väterlich. Es hatte Aufsehen erregt, als er ihn – vor kurzem erst – zum päpstlichen Privatsekretär ernannt hatte. Denn auf den ersten Blick war der Franziskanerpater nicht gerade die Idealbesetzung für den Posten: zu jung, zu naiv, tiefgläubig, weltfremd. Kein altgedienter Vatikandiplomat, sondern ein schwärmerischer Franziskanermönch aus der umbrischen Provinz – die Kurie war entsetzt gewesen. Doch Petrus hatte stur an seinem Kandidaten festgehalten. Und, wie sich wieder einmal zeigte, recht behalten: Auf Francesco war in jeder Situation Verlass.

Jetzt zog er sich die Kapuze von den dunklen Locken und stand für einen Moment nur da, fast jungenhaft verlegen. Er war groß und schmal und sah so gesund aus, als sei er gerade von den Sabiner Bergen herabgestiegen. Die Freude über den gelungenen Streich glänzte in seinen Augen, und vorsichtig zog er aus den Falten seines Habits ein mit Schleife verziertes Päckchen hervor. Petrus ahnte, was darin war: Cornetti con Crema, mit Ricotta gefüllte Sfogliatelle, Ciambelloni al Cioccolato … Mit geistlichem Geleitschutz direkt in den Vatikan importiert, vorbei an Immaculata, Feindin aller Ausschweifungen. Francescos Vorgänger hatten Jahre gebraucht, um diese heikle Aufgabe zu meistern, und der Junge schlich sich einfach so hier herein!

«Geschafft! Um nichts in der Welt wird Immaculata mich diesmal von meinem Frühstück abhalten.» Die Hand des Papstes griff gerade nach dem Päckchen, als sich die Flügeltüren zum Wohnzimmer noch einmal mit Schwung öffneten. Schnell bemühte sich Petrus um sein Autoritätsgesicht. Diesmal würde er Immaculata die Cornetti nicht kampflos überlassen, er würde dem wütenden Racheengel trotzen und –

«Ich störe nur ungern dieses festliche Frühstück», sagte Immaculata lächelnd mit einem Blick auf Seidenpapier und Gebäck. (Diese Lüge kostet dich mindestens zehn Vaterunser, dachte Petrus zufrieden.) «Aber die Polizei ist am Telefon und wünscht Sie dringend zu sprechen, Heiliger Vater.»

«Natürlich! Ein Telefonanruf!» Petrus begann, ungerührt die Schleife zu öffnen. «Steht das Papamobil im Parkverbot?»

«Es handelt sich», verkündete Immaculata und machte eine bedeutungsschwere Pause, «um Mord!»

«Ich habe niemanden ermordet», erläuterte Petrus freundlich. «Päpste morden nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bei mir ging es bislang immer anders.»

«Möglicherweise ist es sogar mehr als nur ein Mord …» Immaculata senkte ihre Stimme zu einem unheilvollen Flüstern.

«Du meinst: Es sind zwei Morde?»

Doch Immaculata war nicht aus der Fassung zu bringen. Im düsteren Predigerton fuhr sie fort: «Dann kam einer der sieben Engel, welche die sieben Schalen trugen, und sagte zu mir: Komm, ich zeige dir das Strafgericht über die große Hure, die an den vielen Gewässern sitzt. Denn mit ihr haben die Könige der Erde Unzucht getrieben, und vom Wein ihrer Hurerei wurden die Bewohner der Erde betrunken.»

«Apokalypse des Johannes. Kapitel siebzehn, meine ich. Was möchtest du mir damit sagen, liebe Immaculata?»

«Der Herr straft die Sünder, die nicht auf seinen Wegen wandeln», raunte die Nonne. «Er züchtigt tierische Sinneslust und Maßlosigkeit …» Ihr Blick wanderte zu dem halb ausgepackten Päckchen. «Und seine Rache ist grausam und blutig, damit sie den anderen Menschen eine Warnung sei. Wer Hurerei getrieben hat, verfällt dem Strafgericht. Der Herr macht nicht halt vor den Königen der Erde – wie es in der Schrift steht. Und er macht auch nicht halt vor den Fürsten der heiligen katholischen Kirche.»

Misstrauisch verfolgte Petrus ihre Ansprache. Immaculata bot wirklich ungeheuer viel Pathos auf, um ihn vom Verzehr der Cornetti abzuhalten, die inzwischen ein wahrhaft himmlisches Aroma verströmten.

«Die größten Sünder fallen zuerst», sagte sie. «Und sie werden die anderen mit in den Abgrund reißen: Die Polizei spricht von einem Mordanschlag in der Kirche Santa Maria del Fiore. Verübt auf Kardinal Salvatore Rotondo, den engsten Freund und Vertrauten seiner Heiligkeit Papst Petrus des Zweiten!»

Petrus starrte sie fassungslos an. In ihm kämpften die Gefühle miteinander: das verzweifelte Bemühen, den Sinn dieser Nachricht zu begreifen – und das abgrundtiefe Entsetzen über Immaculatas Sadismus.

«Und da wäre noch etwas, Heiliger Vater: ein merkwürdiger Anruf von Kardinal Rotondos Haushälterin. Heute Nacht, als Sie schliefen – im Gegensatz zu mir, die ich im Gebet versunken war. Kardinal Rotondos Haushälterin ließ ausrichten, dass …»

Doch Petrus hatte sich längst abgewandt. Er schleppte sich, gestützt von Francesco, zur Tür. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, dass Immaculata die Fenster zum Petersplatz geöffnet hatte. Der Lärm der Menschenmenge war nun deutlich zu hören, vermischt mit den Flügelschlägen der Tauben, an die Immaculata – mit einem engelsgleichen und dabei triumphierenden Lächeln – die Cornetti verfütterte.

II

Er lauschte. Stand nur da und lauschte. Auf die Erregung in seinem Inneren, auf das Fieber, das ihn erhitzte. Lange, viel zu lange hatte er nicht mehr dieses Leben in sich gespürt. Er hatte sich eingemauert, zurückgezogen, über Jahre schon. Hatte versucht, die Schmach zu vergessen, die Demütigung zu überwinden. Gottverlassen, ja, so hatte er sich gefühlt. Verlassen von Gottes Güte, von seiner Macht und Inspiration. Aber der Herr vergisst seine Kinder nicht, er erniedrigt seine Diener nur, um sie dann zu erhöhen. Er hatte Buße getan, o ja, er hatte sich in den Staub geworfen, er hatte sich kasteit und gequält. Er hatte getobt und gezweifelt, auch an IHM. Doch der Herr hatte ihn aufgehoben, er hatte ihn erhört. Aus seiner Ohnmacht hatte er ihm überirdische Kräfte zuwachsen lassen, er hatte das Gefühl der Rache in ihm bestärkt, hatte es genährt bei jedem Gebet, wie ein gefährliches, ein glanzvolles, ein herrliches Tier. Er war eins geworden mit diesem Wesen, seine Instinkte waren erwacht. Und er hatte Witterung aufgenommen.

Da hatte er sie erstmals gespürt: die Angst des anderen, das Zucken des Opfers, die Schwäche des Unterlegenen. Manchmal musste man sich dem Dunklen der Seele anvertrauen, um das Licht wieder strahlen zu lassen. Das hatte er getan. Inzwischen wusste er:

Alle irdischen Mächte standen ihm zu Gebote.

Und die überirdischen auch.

Er kniete nieder vor dem Bildnis der Madonna. Er zündete die Kerzen an. Und er wartete. Nichts war mehr zu tun. Es war so weit. Die Jagd war eröffnet, die Tage des Zorns hatten begonnen. Das Tier in ihm lauerte. Gierig, bereit zum Sprung. Er genoss die innere Anspannung, die sich auf seinen ganzen Körper übertrug. Seine Gedanken hämmerten, sein Herz klopfte rhythmisch, in seinen Ohren pochte das Blut.

Das Klopfen wurde stärker. Und stärker. Erst jetzt bemerkte er, dass das Geräusch von der Tür her zu ihm drang.

Es klopfte wieder, lauter jetzt. Er lauschte. Durch die verriegelte Tür hörte er eine Stimme. Atemlos, gepresst, wie nach einem schnellen Lauf.

«Ein Anschlag, ein Anschlag in Santa Maria del Fiore. Kardinal Salvatore Rotondo, er, er liegt im … im Sterben.»

Er blieb unbeweglich auf der Gebetsbank knien, die gefalteten Hände zu einer einzigen großen Faust geballt. Er rührte sich nicht. Aber in ihm brüllte das Tier.

III

Auf dem Nachttisch stand ein Madonnenbild, davor brannte eine Kerze und verströmte ihren warmen Schein. Sonst war es dunkel. Nur an wenigen Stellen blitzte das Licht durch die Ritzen des Rollladens; rot und grün blinkten die Lämpchen an den großen Apparaten. Behutsam schloss Petrus die Tür und ging zu dem Stuhl, der am Fußende neben Rotondos Bett stand. Ein großer, massiger Körper unter einem Laken, ein weißer Verband um den Kopf – mehr konnte er nicht erkennen von seinem Freund.

Ich werde aufstehen müssen, dachte Petrus, und mich ans Kopfende setzen. Aber er blieb sitzen und lauschte in die Stille: Schritte draußen auf dem Gang, das leise Surren der Geräte, das ruhige, gleichmäßige Tropfen der Infusion, die den Kardinal am Leben hielt.

Petrus zog seinen Rosenkranz aus der Tasche: eine Kette aus billigen Holzperlen, abgegriffen und glanzlos. Vor Jahrzehnten hatte er ihn von Rotondo bekommen, der damals ein junger Priester gewesen war – mit einem großen Herzen für die kleinen schmutzigen und rauflustigen Jungen auf den Straßen Trasteveres. Rotondo hatte in der Bäckerei seiner Eltern eingekauft, mit ihm und seinen Brüdern Fußball gespielt und bei den Hausaufgaben geholfen. Als Papà starb, hatte Rotondo seine Hand gehalten und ihm, als er gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen, den Rosenkranz geschenkt: Da, nimm, und bete für Papàs Seele.

Petrus begann mit leiser Stimme ein Ave-Maria zu murmeln, dann das Glaubensbekenntnis und ein Vaterunser, schließlich das ganze Gesätz. Als er die letzte Perle weitergeschoben hatte, erhob er sich langsam und trat ans Kopfende des Bettes.

Rotondo war auch im hohen Alter noch ein schöner Mann: die buschigen Augenbrauen, der volle Mund, die markanten Falten, die sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln zogen. In großer Gelassenheit lag er da und wartete auf den Tod.

Ich muss mit ihm reden, dachte Petrus. Wenn man mit den Sterbenden redet, kommen sie zurück, heißt es. Er hob den klapprigen Besucherstuhl vorsichtig an und setzte sich ans Kopfende. Dann räusperte er sich mehrmals und griff – verlegen, als könnte ihn jemand sehen – nach Rotondos Hand.

«Mir ist klar, dass Gott dich gut gebrauchen könnte dort oben. Er wird seine Gründe haben, wenn er dich zu sich ruft. Aber ich, Salvatore, ich brauche dich genauso. Nein, ich brauche dich mehr als je zuvor. Wir müssen miteinander reden, hast du zu mir gesagt, vor wenigen Tagen erst. Achte auf die Zeichen und sei wachsam, mein Sohn, denn es kann sein, dass wir wenig Zeit haben. Ich will wachsam sein, mein Freund. Aber deine Augen sind schärfer, trotz deines Alters. Du hast die Gefahren gesehen, die ich noch nicht einmal geahnt habe. Doch wie soll ich die Zeichen deuten? Was soll ich tun, Salvatore? Was soll ich nur tun?»

Petrus beugte sich über den Kranken und hätte ihn umarmt, wenn ihn nicht die Kabel daran gehindert hätten. Und in diesem Moment hoben sich, unendlich langsam und merkwürdig verzögert, Rotondos Lider: Petrus sah, wie schon so oft in seinem Leben, in die dunklen Augen seines Freundes. Doch diesmal schienen sie durch ihn hindurchzublicken. Als seine Lippen zitterten, näherte sich Petrus vorsichtig und hielt sein rechtes Ohr an Rotondos Mund. Fast nur ein Atemhauch war das erste Wort, kaum stärker das zweite, beinahe unverständlich der ganze Satz. Nach wenigen Augenblicken, die ihn unendlich viel Kraft gekostet haben mussten, schloss Rotondo wieder die Augen.

Petrus blieb noch länger so stehen: Den Oberkörper halb über das Bett gebeugt, unfähig, sich aufzurichten, lauschte er auf Rotondos flachen, kaum mehr vernehmbaren Atem.

IV

«Weinende Madonnen gab es schon immer», erläuterte Petrus. «Zuletzt in … in …»

«Civitavecchia!»

Die Stimme war rauchig. Und sie gehörte einer unglaublichen Frau, die groß war, dunkelmähnig und samthäutig. Fast zu schön, um wahr zu sein. Allerdings lag ein energischer Ausdruck auf ihrem Madonnengesicht, der nichts Gutes verhieß, wie Petrus wusste. Contessa Giulia zog sich einen Stuhl heran, hängte ihre Handtasche an die Lehne und setzte sich neben Francesco, der nicht einmal aufzusehen wagte und sich plötzlich konzentriert mit dem Salzstreuer auf dem Tisch beschäftigte.

«Übrigens ganz in der Nähe von Rom», fuhr Giulia fort und schob mit der Sonnenbrille energisch die schwarzen Locken zurück. «Die Muttergottes hat Blut geweint. Männerblut, wie man heute weiß: Es wurde in der Gemelli-Klinik untersucht. Die Röntgenaufnahmen und die Computertomographie haben ergeben, dass sich keine Hohlräume und keine mechanischen Vorrichtungen im Inneren der Statue befanden.»

Petrus betrachtete Giulia und seufzte. Sie hatte ihn also gefunden in seinem kleinen Refugium. Dabei war die Nische in der Trattoria Antonio in Trastevere vom Gastraum aus nicht einsehbar. Die langen Tische im kühlen Gewölbe waren voll besetzt. Und das wohlige Gemurmel drang bis zu ihrem kleinen blankgescheuerten Tisch, der verborgen zwischen Garderobe und Kücheneingang stand. Es duftete nach Carciofi alla Romana, in Minze und Petersilie geschmorten Artischocken, und Fiori di Zucca, frittierten Zucchiniblüten mit Mozzarella und Sardellen, für die Antonio so berühmt war. Hier saß er mit Francesco, trank Hauswein und wartete auf eine ordentliche Portion Tonnarelli Cacio e Pepe: das bewährteste Verfahren, um sein angeschlagenes seelisches Gleichgewicht zu stabilisieren. Das Antlitz seines bleichen Freundes Salvatore verfolgte ihn immer noch und würde sich sicher erst nach einem Teller Pasta, vielleicht sogar erst beim Secondo, verflüchtigen.

O bevi o affoghi, hatte Salvatore immer gesagt. Friss, Vogel, oder stirb. Und das ganz wörtlich gemeint: Gerade in unruhigen Zeiten war es nötig, eine gute Trattoria aufzusuchen und die Dinge in Ruhe zu betrachten.

Aber nun war die Ruhe dahin. Denn Giulia ließ sich nicht so leicht besänftigen, wenn sie einmal aufgebracht war. Eigentlich war es sein Plan gewesen, mit der neuen Pressesprecherin ein Gegengewicht zu seiner Haushälterin Immaculata aufzubauen. Giulia schien, auf den ersten Blick, alle Voraussetzungen zu erfüllen, um den Pressesaal des Heiligen Stuhls zu leiten: Sie stammte aus dem römischen Hochadel, sah so blendend gut aus, dass Immaculata sie einfach hassen musste, und war – dies allerdings beunruhigte auch Petrus in seltenen Momenten des Selbstzweifels – gebildet, intelligent, allwissend und hoch qualifiziert: Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Kirchengeschichte, mehrere Sprachen, Auslandssemester in Harvard und Oxford, Promotion. Doch leider war sie, wie Petrus bald erfahren musste, nicht minder herrschsüchtig als seine Haushälterin – wenngleich sie sich auf wesentlich charmantere Art durchzusetzen wusste.

«Willkommen, Giulia.»

Die Contessa ignorierte ihn, musterte stattdessen die Wandtafel mit der Tageskarte und erläuterte weiter die Geheimnisse weinender Madonnen: «Häufig beruht das Weinen einfach darauf, dass sich bei einem bestimmten Raumklima Kondenswasser bildet. Überhaupt haben die meisten sogenannten Wunder, um das hier einmal ganz deutlich zu sagen», ein kurzer, wütender Blick zu Petrus, «ganz natürliche Ursachen. Das Grabtuch von Turin. Das Blutwunder von Neapel. Was auch immer. Ich nehme als Primo Spaghetti Vongole und als Secondo Pesce Spada.» Der Kellner nickte beflissen und verschwand wieder in der Küche. Ein Papst bringt keinen Kellner mehr zum Laufen, dachte Petrus, da musste es schon die päpstliche Pressesprecherin sein.

Giulia hatte nur zwei Bedingungen gestellt, als Petrus ihr den Job angeboten hatte: Sie wollte nicht in den Vatikan ziehen, sondern weiterhin in ihrer kleinen Dachgeschosswohnung am Campo de’ Fiori wohnen. Und sie bestand darauf, ihren Kleidungsstil beizubehalten. Über die Wohnungsfrage konnte man sich schnell einigen, zumal der Campo de’ Fiori nur durch den Tiber vom Vatikan getrennt war. Giulias textile Vorlieben wären dagegen fast ein Hinderungsgrund gewesen – wobei nicht so sehr das, was sie trug, sondern vielmehr das, was sie nicht trug, die hochrangigen Kleriker irritierte. Du wirst alt, Petrus, hatte Rotondo glucksend gekichert, als Petrus ihm ein Foto seiner Kandidatin zeigte. Man hatte sich schließlich auf einen Kompromiss geeinigt: Bei öffentlichen Auftritten trug die Contessa fortan ein Kruzifix an einer Silberkette um den Hals. Das Kreuz bedeckte zwar nicht jene Formen, aufgrund deren – wie Rotondo auszuführen pflegte – man fortan von den neun Hügeln Roms sprechen müsse, doch immerhin bot das diamantenbesetzte Schmuckstück aus Familienbesitz für die keuschen Kleriker des Vatikans einen Blickfang: als Mahnung, auf dem rechten Weg zu bleiben, wie Petrus behauptete – oder als willkommene Ausrede für genaues Hinsehen, wie Rotondo prophezeite.

«Ich habe das Blutwunder selbst gesehen», wandte Francesco ein und wurde rot. «Es ist sehr eindrucksvoll.»

Giulia betrachtete den päpstlichen Privatsekretär freundlich und ein wenig mitleidig. «Ich glaube gern, dass es eindrucksvoll aussieht. Aber die wundersame Verflüssigung ist mit der Eigenschaft sogenannter thixotroper Gemische relativ simpel zu erklären. Solche Gelees lassen sich durch leichte Erschütterungen und ohne Temperaturveränderungen vom festen in den flüssigen Zustand versetzen. Chemiker können so ein Gemisch leicht herstellen: Man benötigt Eisenchlorid, Wasser, Kalziumkarbonat und Natriumchlorid – und fertig ist das Blutwunder.»

Giulia schnappte sich eine Grissini-Stange, brach sie mit lautem Knacken entzwei und biss ab. Energisch kauend blickte sie vom Papst zu Francesco und zurück. «Darf ich fragen, wieso sich die Herren über weinende Madonnen unterhalten?»

«Wir sprechen über das Attentat auf Rotondo», sagte der Papst. Es lag eine bestimmte Härte in seinem Ton. Erst jetzt bemerkte Giulia, wie schlecht er aussah: Sein Gesicht war grau, tiefe Ränder zogen sich um seine Augen.

«In Santa Maria del Fiore», fuhr Petrus fort. «Direkt am Altar. Dort befindet sich eine wertvolle Verkündigungsgruppe aus Marmor: Der heilige Erzengel Gabriel überbringt Maria die frohe Botschaft, dass sie ein Kind bekommen wird. Diese Madonnenstatue, Giulia, weinte, als der Anschlag geschah. So hat man es mir im Krankenhaus berichtet. Die Muttergottes schwebte über dem blutverschmierten Körper des Kardinals und weinte.»

Giulia schenkte sich ein Glas Wasser ein. Als sie ausgetrunken hatte, war die tiefe Falte auf ihrer Stirn verschwunden.

«Entschuldigen Sie meine Heftigkeit.» Ihr Zorn war nicht völlig verflogen, doch sie bemühte sich um Harmonie. «Ich war … nicht besonders pietätvoll. Aber im Vatikan rennt man mir die Bude ein. Ein Medienauflauf wie selten. Die Welt will wissen, was der Papst über den Anschlag auf Kardinal Rotondo denkt. Aber der Heilige Vater sitzt in einer kleinen Trattoria und wartet auf eine große Portion Spaghetti, während seine Pressesprecherin sich lächerlich macht, weil sie der Welt nicht einmal sagen kann, wo sich Seine Heiligkeit aufhält. Sie musste erst alle seine Lieblingslokale abklappern, um ihn zu finden.»

«Ich bin sofort in die Gemelli-Klinik gefahren», sagte Petrus ruhig. «Es war keine Zeit, überall Bescheid zu sagen. Ich wollte bei Rotondo sein. Er ist mein Freund, Giulia.»

Die Contessa schwieg. «Es tut mir sehr leid, was mit Rotondo geschehen ist», sagte sie dann. «Und ich bin dankbar, dass er noch lebt. Zumindest haben sie das gerade im Radio gesagt.»

«Die Ärzte haben wenig Hoffnung», sagte Petrus. Er senkte den Blick und musterte konzentriert, als sähe er ihn zum ersten Mal, den goldenen Fischerring an seiner Hand, auf dem der Apostel Petrus auf wilder See die Netze einholte.

V

Der Kellner brachte drei Teller: Cacio e Pepe für Petrus und Spaghetti Vongole für Giulia. Vor Francesco stellte er einen großen Teller mit Pasta e Fagioli. Petrus murmelte ein kurzes Gebet, dann drehte er schweigend seine Tonnarelli auf die Gabel. Sie waren cremig, wie immer bei Antonio. Nichts Schlimmeres, als wenn der Pecorino krümelig an den Nudeln klebte. Francesco löffelte seine Bohnen, und Giulia pulte das Muschelfleisch aus den winzigen Schalen. Beide spürten, dass Petrus etwas sagen wollte, dass er um die richtigen Worte rang. Als er fertig gegessen hatte, schob er mit einer energischen Bewegung den Teller fort, trank einen Schluck Wein und begann: «Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich euch etwas anvertraue. Ihr wisst: Salvatore Rotondo ist mein Freund. Mein engster Freund, mein Berater und Vertrauter. Der Anschlag auf sein Leben geht mir unendlich nahe.»

Petrus straffte sich. Er sah nun besser aus, fand Giulia. Diese wundersame Verwandlung hatte sie schon öfter an ihm beobachtet: Ein Teller Pasta in einer Trattoria, ein schneller Caffè in einer Bar hatten eine geradezu himmlische Wirkung auf den irdischen Körper des Heiligen Vaters.

«Es war bekanntlich eine große Überraschung, als ich zum Papst gewählt wurde», fuhr Petrus fort. «Am meisten überrascht war ich selbst. Niemand, auch nicht Rotondo, hatte mir vorher ein Zeichen gegeben. Und ich habe, das kann Gott bezeugen, dieses Amt nicht angestrebt. Ich war glücklich und zufrieden als Bischof. Nun, einige Zeit nach dem Konklave geschah etwas Merkwürdiges. Rotondo hat sich, fast möchte ich sagen: von mir zurückgezogen. Obwohl er selbst es war, der meine Wahl – als Werkzeug des Heiligen Geistes natürlich – eingefädelt hat.»

«Er kam dann nur noch selten zu Besuch», sagte Giulia. «Obwohl er als Ihr engster Vertrauter galt. Das ist mir auch aufgefallen.»

«Eines Tages teilte er mir mit, dass meine Wahl nur ein erster Schritt sei. Er wolle verhindern, dass die Kirche in die falschen Hände gerate. Meine Hände seien die richtigen, meinte er. Aber das sähen nicht alle so. Deshalb wolle er von nun an aus dem Hintergrund darauf achten, dass mein Pontifikat … Bestand habe. Ja, so drückte er sich aus: Es solle Bestand haben. Erst heute an seinem Krankenbett wurde mir bewusst, wie er das gemeint hat. Nämlich ganz wörtlich: Mein Pontifikat kann nur Bestand haben, wenn ich am Leben bleibe.»

Giulia hörte auf zu kauen und starrte ihn ungläubig an.

«Rotondo wusste etwas. Er verhielt sich unauffällig und begann sich umzuhören. Mir sagte er nichts – um mich zu schützen. Aber die Gefahr schien größer zu werden. Denn vor kurzem suchte er mich auf und warnte mich. Ich solle mich für einige Zeit nicht mehr in die Öffentlichkeit begeben. Die Sicherheitsmaßnahmen verstärken. Achte auf die Zeichen, sagte er. Nun, ich habe auf die Zeichen geachtet. Aber ich habe sie nicht erkannt.»

Der Kellner räumte die leeren Teller ab und brachte wenig später die Secondi: den mit Rosmarin bestreuten Schwertfisch für Giulia und die Spezialität des Hauses: Trippa alla Romana, Kutteln in pikanter Tomatensoße, für Petrus. Francesco hatte nichts bestellt.

«Guten Appetit», sagte Giulia. «Wenn Sie möchten, koste ich Ihr Essen vor.»

«Die Situation ist ernst», sagte der Papst, fischte ein Fleischstück aus der Soße und kaute, erst bedächtig, dann zunehmend mit Appetit. «Nehmen wir an, jemand wollte sich dafür rächen, dass Salvatore – mit der Hilfe des Heiligen Geistes natürlich – den falschen Kardinal zum Papst gemacht hat. Doch der Anschlag scheitert. Für den Täter ist das natürlich eine Katastrophe. Denn nun bin ich gewarnt. Sollte Salvatore gesund werden, könnte ich mit seiner Hilfe die Verschwörung aufdecken …»

«Sie meinen …»

«… dass er erneut versuchen wird, Salvatore zu töten. Und dass er bald danach versuchen wird, auch mich zu ermorden. Du kannst übrigens ruhig weiteressen, Giulia. Die Gefahr wird nicht geringer, wenn dein Fisch kalt wird.»

Mechanisch führte Giulia die Gabel zum Mund.

«Ich bin gewarnt», sagte Petrus. «Doch meine Situation ist nicht gerade … komfortabel. Denn ich kann schlichtweg niemandem vertrauen. Natürlich stehen mir sämtliche Geheimdienste des Vatikans zur Verfügung, das Opus Dei natürlich, die Schweizer Garde und notfalls auch die Polizei. Aber woher soll ich wissen, dass der Täter nicht gerade dort zu suchen ist? Oder von dorther Unterstützung erfährt? Als ich eben mit Francesco von der Klinik hierher fuhr, habe ich in Gedanken eine Liste angelegt. Darauf stehen die Namen all derer, denen ich wirklich vertraue. Nun, die Liste ist sehr kurz. Es handelt sich genau um zwei Personen – wenn man von der stets um mich besorgten Immaculata einmal absieht. Und die wären: Padre Francesco, Privatsekretär des Heiligen Vaters, und Contessa Giulia, Pressesprecherin des Heiligen Stuhls.»

«Ich gebe zu, dass ich gerührt bin», sagte Giulia. «Und ich gebe zu, dass die Situation wirklich bedrohlich ist – falls das alles stimmt, was Sie erzählen.»

«Wer möchte noch ein Dolce?» Petrus tat, als habe er weder die Bestürzung der Contessa noch den bleichen, aber entschlossenen Gesichtsausdruck seines Sekretärs bemerkt. «Ich werde eine Torta nehmen, und du, Francesco, nimmst auch eine. Nein, keine Widerrede – wer kein Hauptgericht nimmt, muss zumindest einen Nachtisch essen. Für dich ein wenig Obst, Giulia?»

Der Papst bestellte. Wenig später standen zwei Stücke tiefschwarzen Schokoladenkuchens vor ihnen. Und weil Petrus bei diesem Anblick sofort wieder Immaculata und sein entbehrungsreiches Leben einfielen, bestellte er noch schnell drei Caffè. Er war nun wie verwandelt: Seine Wangen leuchteten rosig, seine Gesten waren entschlossen, und die Stimme war klar. Gepriesen sei die römische Küche, dachte Giulia.

«Wir haben nur eine Chance», sagte Petrus, als die Tässchen vor ihnen standen. «Wir müssen herausfinden, wer hinter dem Anschlag steckt. Dazu werden wir Santa Maria del Fiore aufsuchen – gleich jetzt, nach dem Essen. Sicherlich, dort ist die Polizei noch am Werk und macht ihre Arbeit. Aber die Polizei versteht nur etwas von Fingerabdrücken und Verhörmethoden. Sie versteht nichts von den Merkwürdigkeiten der Kirche. Dieses Attentat ist jedoch … äußerst ungewöhnlich, denn der Täter hat seinen Anschlag gewissermaßen inszeniert.»

«Die Tränen der Madonna meinen Sie?», fragte Giulia.

«So ist es. Darüber haben wir gerade diskutiert.»

«Wahrscheinlich möchte der Täter, dass man eine höhere Macht am Werke glaubt. Darum sorgte er dafür, dass sein hässlicher kleiner Mordanschlag von einer religiösen Aura umgeben wird.»

«Diese Hypothese überzeugt mich nicht», brummte Petrus. «Sie setzt voraus, dass alle, die mit dem Vorfall zu tun haben, an Gott glauben und sich davon beeindrucken lassen. Polizisten, Journalisten, die Öffentlichkeit. Das Mittelalter ist vorbei, Giulia.»

«So spricht unser Heiliger Vater und unterzeichnet, wenn seine Großinquisitoren es wünschen, eine Enzyklika gegen die Priesterweihe von Frauen. Es lebe die Neuzeit! Es lebe die Aufklärung! Das Mittelalter ist vorbei!»

Petrus ignorierte sie. «Ihr müsst außerdem bedenken, welch symbolträchtigen Anlass der Täter gewählt hat. Denn es war ein besonderer Tag für Salvatore – ein Tag, auf den er Jahre hingearbeitet hat: die Wiedereröffnung seiner Titularkirche! Nicht alle Kardinäle kümmern sich um ihre Titularkirchen; manchen geht es nur um den Titel. Rotondo dagegen liebte sein Gotteshaus. Als es wegen Baufälligkeit geschlossen werden musste, organisierte er die Renovierung: Er beschaffte Gelder, überwachte die Bauarbeiten. Heute hätte die Kirche neu geweiht werden sollen. Und Salvatore selbst wollte die Messe lesen. Mein Gott, wie hat er sich darauf gefreut.»

«Ich habe gehört, dass Rotondo gelegentlich … vom Pfad der Tugend abgewichen ist», warf Francesco schüchtern ein.

«Den Pfad der Tugend hat er eigentlich nie benutzt», antwortete Giulia. «Meistens hat er sich links und rechts davon in die Büsche geschlagen.»

«Vielleicht handelt es sich ja gar nicht um eine Verschwörung», meinte Francesco eifrig. «Vielleicht sind es ja … diese anderen Gründe.»

«Der Kreis der Verdächtigen erweitert sich damit enorm», sagte Giulia. «Auf mindestens ein Drittel der römischen Ehemänner. Und die Liste derer, die irgendwann einmal mit Rotondo aneinandergeraten sind, ist so lang wie die Aurelianische Mauer.»

Petrus reagierte nicht. Er winkte dem Kellner. Als die Rechnung kam, schob er sie zu Francesco. «Die weinende Madonna ist eine erstaunliche Sache, ebenso der besondere Anlass, die Einweihung der Titularkirche. Am erstaunlichsten jedoch ist die Mordwaffe», sagte er, sobald der Kellner außer Sicht war. «Der Anschlag wurde auf den Stufen des Altars verübt. Darüber ist eine wertvolle Verkündigungsgruppe angebracht, deren Madonnenstatue seit heute Morgen weint. Der Künstler hat aber auch einen Engel geschaffen, einen wunderbaren Engel. Er schwebt über dem Altar und beugt sich sanft zu Maria, um ihr die frohe Botschaft zu bringen. Besser gesagt: Er schwebte über dem Altar.»

«Sie meinen, der Engel ist die Mordwaffe?»

«So wurde es mir berichtet. Der Engel löste sich plötzlich, stürzte auf Rotondo und begrub ihn unter sich. Wie ich schon sagte, wir müssen uns das ansehen!»

Der Kellner brachte das Tellerchen mit dem Wechselgeld.

«Die Trippa alla Romana waren vorzüglich. Berücksichtige das beim Trinkgeld, Francesco.»

Der Papst stand auf. «Francesco und ich nehmen die Vespa. Du bist mit dem Wagen da, Giulia?»

«Francesco und Sie nehmen die Vespa?»

«Ich wollte so schnell wie möglich in die Gemelli-Klinik», antwortete Petrus ungerührt. «Mit dem Wagen wäre ich endlos im Stau gestanden.»

«Wenn Sie irgendjemand gesehen hat, trete ich sofort zurück.» Giulia war fassungslos. «Ich kann der Weltpresse vielleicht erklären, warum Geschiedene nicht zur Kommunion dürfen – aber nicht, warum der Heilige Vater mit einem jungen Mönch durch Rom kurvt. Auf einer Vespa!»

«Niemand wird mich erkennen.» Petrus fingerte eine Sonnenbrille aus den Taschen seiner Soutane. «Wir werden aussehen wie Gregory Peck und Audrey Hepburn in ‹Ein Herz und eine Krone›. Da gibt es diese Szene, in der sie am Kolosseum vorbei durch Rom fahren.»

«Francesco sieht vielleicht annähernd so gut aus wie Gregory Peck», sagte Giulia und ignorierte das sanfte Erröten des Padre. «Aber ich verstehe nicht, was Sie mit Audrey Hepburn gemeinsam haben sollen.»

«Eines jedenfalls nicht», antwortete Petrus düster, «Sanftmut und Hilflosigkeit.»

VI

Mit einem dumpfen Geräusch fielen die Türflügel hinter ihnen zu. Drinnen roch es nach Kalk und frischer Farbe. Das barocke Theater entfaltete seine ganze Pracht: Die blankgeputzten Marmorsäulen spiegelten sich in den Mosaiken des Fußbodens, das Blattgold an den Kapitellen glänzte, als sei es noch feucht. Weiße Lilien und Rosen, in üppigen Sträußen an die Kirchenbänke gebunden, neigten sich über einen roten Teppich, der schnurgerade auf den Chor zulief. Petrus, Francesco und Giulia standen, unbemerkt von herumeilenden Polizisten, im Halbdunkel des Kirchenschiffs, der dicke Läufer verschluckte ihre Schritte, als sie langsam nach vorne gingen.

Im Zentrum mehrerer Scheinwerferkegel leuchtete der berühmte Altar von Santa Maria del Fiore. Ein Spätwerk der Bernini-Schule, das in jedem Romführer erwähnt wurde, eine kühne Komposition aus Bild und Skulptur: Ein Strahlenkranz aus Gold umfasste die wertvolle Marien-Ikone aus dem achten Jahrhundert, die erst jetzt zur Einweihung der Kirche mit enormem Aufwand restauriert worden war. Doch Petrus, der das Bild immer sehr bewundert hatte, sah diesmal gar nicht hin. Denn direkt darunter schwebte die weiße Marmormadonna in ihrem sich üppig bauschenden Kleid, den Blick verklärt nach oben gewandt, wo der Engel des Herrn zu ihr sprechen sollte.

Doch es war kein Engel mehr da. Die Kirchenwand war aufgerissen wie eine Wunde und gab den Blick auf Metallschienen und nacktes Mauerwerk frei. Zerschellt lag die mächtige Figur auf dem Boden. Der Kopf und der rechte Flügel waren abgebrochen, Risse zogen sich über die Falten des Gewandes und den schlanken, bloßen Oberkörper. Zwischen den Trümmern schimmerte die goldglänzende Lilie, die der Engel in der Hand gehalten hatte – Zeichen der Jungfräulichkeit und Reinheit Mariens.

«Ich dachte, dass Engel unsterblich wären», flüsterte Giulia.

«Engel können nicht sterben», antwortete Petrus. «Aber sie ziehen sich zurück, wenn man sie nicht achtet. Dieser hier wird nicht wiederkommen. Er ist auf entsetzliche Weise missbraucht worden.»

Er fuhr sich kurz über die Augen und hob dann entschlossen das Absperrband hoch, hinter dem sich die Experten der Spurensicherung lautlos in ihren weißen Plastikanzügen bewegten. Francesco und Giulia folgten ihm. Erst jetzt sahen sie, dass der Rumpf des Engels mit feinen roten Schlieren wie mit einem Schleier überzogen war. Ein großer dunkler Fleck auf dem Boden war mit Kreide markiert und eingekreist worden.

Petrus sah sich suchend um und deutete dann auf eine Leiter, die zu der Metallschiene emporführte, an der vor kurzem noch der Engel befestigt gewesen war. «Halte mir bitte die Leiter, Francesco. Ich möchte mir das aus der Nähe ansehen.»

Bedächtig kletterte Petrus die Sprossen empor. Als er fast oben war, schoss ein kleiner, nervöser Polizist empört auf ihn zu. Erst im letzten Augenblick erkannte er den Papst, bremste ab und deutete einen Kniefall an.

«Heiliger Vater!»

Petrus segnete ihn aus der Höhe: «Friede sei mit Ihnen. Stehen Sie auf, mein Sohn. Wie heißen Sie?»

Der Polizist strich sich nervös die spärlichen Haare glatt. «Commissario Brunelli. Mein Name ist Eugenio Brunelli.»

Petrus kletterte ungerührt weiter nach oben.

«Bitte, Commissario Brunelli, erklären Sie mir doch, was passiert ist», rief er herunter.

«Jawohl, Heiliger Vater.» Der Commissario nahm Haltung an. «Direkt vor sich sehen Sie eine große Metallschiene, die aus dem Mauerwerk ragt. Dort stand der Engel. Von vorne konnte man die Schiene nicht sehen, weil das Gewand des Engels sie verdeckte. Er balancierte auf der Schiene wie … wie ein Seiltänzer. Festgeschraubt natürlich. Der Täter hat die Schrauben gelockert. Die Figur musste also herunterfallen, sobald sie jemand bewegte.»

«Und es hat sie jemand bewegt?»

«Jawohl, Heiliger Vater. Kardinal Rotondo selbst. Sehen Sie!» Der Commissario bückte sich, hob etwas auf und ließ es durch die Finger gleiten. Petrus konnte nicht sehen, was es war. Der Polizist ruderte mit den Händen in der Luft; es schien, als dirigierte er ein unsichtbares Orchester.

«Eine äußerst dünne, aber sehr haltbare Nylonschnur, Heiliger Vater. Sie war mit dem einen Ende am Engel befestigt. Das andere Ende hat man an den Buchständer geknotet, der auf dem Altar steht. Den Buchständer, auf dem das Messbuch liegt.»

«Ich verstehe», sagte Petrus. «Der Ständer steht, wie ich sehe, recht weit hinten. Der Priester hätte ihn also ein Stück zu sich herangezogen. Und dabei wäre der Engel in Bewegung geraten.»

«So war es geplant», antwortete der Commissario. «Aber es kam schon vor der Messe zu dem Anschlag.»

«Erzählen Sie.»

«Der Kardinal, nun, er schien heute Morgen nicht bei bester Gesundheit zu sein. Zwei Priester mussten ihn stützen, als er hereinkam. Aber er wollte unbedingt noch vor der Messe diese … diese Worte auf dem Altar begutachten.»

«Welche Worte?», wollte Petrus gerade sagen. Doch da sah er sie selbst, rot und blutig, eine gotteslästerliche Schmiererei auf dem blütenreinen Tuch des Altars:

DIES IRAE

Ihn schwindelte. Für einen kurzen Augenblick hielt er sich an den Sprossen der Leiter fest und schloss die Augen. Doch als er sie wieder öffnete, war die Schrift immer noch da. Langsam stieg er wieder hinunter.

Der Commissario erwartete ihn. «Haben Sie die Schrift gesehen, Heiliger Vater?», fragte er eifrig. «Wir haben inzwischen herausgefunden, was das heißt: ‹Tag des Zorns›.»

«Gute Arbeit», brummte Petrus. «Auf die römische Polizei ist Verlass, ich wusste das immer. Jetzt möchte ich mir bitte den Engel ansehen.»

Giulia kniete neben dem gebrochenen Körper. Die herausgelösten Schrauben hatte der Polizeifotograf auf weißes Papier gelegt. Vorsichtig fuhr Petrus mit den Fingern darüber. Dunkles Öl floss aus einem einzigen länglichen Schraubenschlitz und tropfte nach unten.

Wie das Blut, das unter den Nägeln des Herrn hervordringt, dachte Petrus.

«Der Täter hat die Windungen sogar geölt, damit sich die Figur besser lösen konnte. Direkt vor dem Altar haben wir übrigens diesen Schraubenzieher gefunden. Die Fingerabdrücke darauf waren deutlich zu erkennen. Unsere Spurensicherung war ganz begeistert.»

Petrus nahm den abgewetzten Holzgriff in die Hand und drückte die Spitze des Metallstabs in seine Handballen: Ein rotes Kreuz zeichnete sich ab.

«Francesco? Wir müssen …»

Aber der Padre antwortete nicht. Er stand, tief versunken, neben Giulia. Zusammen blickten sie nach oben, zur Statue der Heiligen Jungfrau. Große, silbrige Tränen glänzten in den Augen der Madonna, schimmerten auf ihren Wangen und rannen über ihr Gewand und eine der kunstvoll gelockten Haarsträhnen.

Petrus ging zu ihnen.

«Der Täter hat wirklich einen besonderen Sinn für Theatralik», murmelte Giulia. «Ein Engel als Mörder, und eine Madonna, die weint. Über die Sünden des Toten. Über die Verfehlung der Kirche. Oder …»

«Oder es handelt sich eben doch um ein Wunder», sagte Petrus und wandte sich an den Polizisten: «Glauben Sie an Wunder?»

«Verzeihung, Heiliger Vater, meine Eltern waren Kommunisten. In meiner Kindheit war es mir darum nicht vergönnt, die Wunder der Kirche …»

«Schon gut. Meine Pressesprecherin glaubt auch nicht an Wunder. Seit wann weint die Madonna denn?»

«Der Messner und einige Signori aus der Gemeinde schlossen heute früh die Kirche auf, um alles vorzubereiten für die Messe. Dabei bemerkten sie die Tränen. Und wenig später die Worte auf dem Leintuch.»

«Wann war das?»

«Ungefähr um sieben Uhr. Kurz darauf traf der Kardinal in der Kirche ein. Er war gesundheitlich sehr angeschlagen. Der Messner berichtete ihm sofort von der Statue und der Schrift, und er wollte beides sehen. Die Sache schien ihn sehr … zu beunruhigen.»

«Weiter», brummte Petrus.

«Kardinal Rotondo war so unsicher auf den Beinen, dass man ihm helfen musste. Signora Antonella Gaspardi sagt, zwei Priester mussten ihn stützen.»

«Antonella Gaspardi?»

«Eine Gemüsefrau vom Campo de’ Fiori. Sie sagt, der Kardinal stieg, begleitet von den Priestern, die Treppe hinauf. Und vor dem Altar stürzte plötzlich der Engel auf ihn.»

«Gott der Herr hatte jedenfalls viel zu tun heute Nacht», sagte Petrus. «Oder derjenige, der sich für Gott ausgab. Er stürzte einen Engel, brachte die Heilige Jungfrau zum Weinen und ließ die Altardecke bluten. Woher weiß man denn, dass die Madonna erst seit heute Morgen weint? Vielleicht trauert sie schon seit vielen Wochen – und niemand hat es bemerkt, weil die Kirche eine Baustelle war?»

«Nein.» Der Commissario war sichtlich stolz, dass er Auskunft geben konnte. «Das haben wir schon überprüft. Gestern Nachmittag war Kardinal Rotondo hier. Mit dem Messner. Er hat alles sauber gemacht, vor allem um den Altar herum. Zusammen mit Frauen aus der Gemeinde. Sie hätten bemerkt, wenn die Madonna geweint hätte. Und er hätte wohl auch die Falle gesehen – wenn sie schon da gewesen wäre.»

«Ich verstehe. Dann war also seit gestern Nachmittag niemand mehr in der Kirche?»

«Es war niemand mehr in der Kirche.»