Handbuch für den Verwaltungsrat -  - E-Book

Handbuch für den Verwaltungsrat E-Book

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Beschreibung

Die Verwaltungsratstätigkeit ist inspirierend und bereichernd, aber auch komplex und verantwortungsvoll. Dieses Handbuch begleitet Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte in der Ausübung ihres Mandats, orientiert als Ratgeber über Rechte und Pflichten und bietet einen alltagsnahen und umfassenden Überblick der Tätigkeitsfelder, Kompetenzbereiche und Herausforderungen der Verwaltungsratsarbeit insbesondere im KMU-Umfeld. Im Fokus stehen praxisrelevante Fragen im Hinblick auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates und seine Einbindung in Führungsgestaltung und Unternehmensstrategie, Hinweise zur Sitzungsgestaltung, aber auch Entscheidungsgrundlagen für besondere Situationen in einem Unternehmen. Das Handbuch für den Verwaltungsrat liegt in dritter, aktualisierter und vollständig überarbeiteter Auflage vor.

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Seitenzahl: 308

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Alle Rechte vorbehalten

3., überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Auflage 2024

© 2024 by Cosmos Verlag AG, 3074 Muri bei Bern

Umschlag: hold | Kommunikationsdesign, 3007 Bern

Druck: Merkur Druck AG, 4900 Langenthal

eISBN: 978-3-85621-266-7

www.cosmosverlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

SwissBoardForum

Network for Innovative Corporate Governance (NICG)

Die Autorinnen und Autoren

1Einleitung

1.1Der Verwaltungsrat und seine Herausforderungen

1.1.1Der Verwaltungsrat als strategisches Führungsorgan

1.1.2Der Verwaltungsrat in der Finanzverantwortung

1.1.3Die personellen Fragestellungen als Königsdisziplin

1.1.4Verantwortlichkeit

1.1.5Unabhängigkeit

1.2Verwaltungsrat in Familienunternehmen

1.2.1Eigenheiten der Governance

1.2.2Unabhängige Mitglieder im Verwaltungsrat

1.3Verwaltungsrat in börsenkotierten KMU

1.4Verwaltungsrat in Start-ups

1.5Verwaltungsrat in Finanzunternehmen und Banken

1.6Verwaltungsrat in öffentlich-rechtlichen Firmen

1.6.1Zusätzliche Herausforderungen

1.6.2Anforderungen an den Verwaltungsrat

2Grundlagen

2.1Begriff und System der Corporate Governance

2.2Rechtsgrundlagen der Aktiengesellschaft

2.2.1Obligationenrecht und weitere Gesetze

2.2.2Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance

2.2.3Bestimmungen der Börse

2.2.4FINMA-Rundschreiben

2.2.5Investorenseitige Anforderungen

2.3Organe der Aktiengesellschaft

2.3.1Paritätsprinzip

2.3.2Die drei Organe

2.4Handlungsempfehlungen

3Generalversammlung

3.1Die Generalversammlung als Aktionärsorgan

3.2Unübertragbare Aufgaben

3.3Statuten und Organisationsreglement

3.4Ablauf einer Generalversammlung

3.4.1Vorbereitung und Einberufung

3.4.2Durchführung

3.4.3Nachbearbeitung und Dokumentation

3.4.4Anfechtung und Nichtigkeit

3.5Digitale Generalversammlung

3.5.1Hybride Generalversammlung

3.5.2Virtuelle Generalversammlung

3.5.3Voraussetzungen für die Verwendung elektronischer Mittel

3.5.4Technische Probleme

3.6Handlungsbedarf für bestehende Gesellschaften

3.7Handlungsempfehlungen

4Verwaltungsrat

4.1Der Verwaltungsrat als strategisches Führungsorgan

4.1.1Aufgaben des Verwaltungsrates

4.1.2Struktur und Zusammensetzung des Verwaltungsrates

4.1.3Zusammenarbeit

4.1.4Strategieprozess

4.1.5Handlungsempfehlungen

4.2Unübertragbare und unentziehbare Aufgaben des Verwaltungsrates

4.2.1Der Geschäftsbericht

4.3Verantwortlichkeit

4.3.1Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates und der Geschäftsführung

4.4Das Verwaltungsratsmandat

4.4.1Beginn, Dauer und Ende des Verwaltungsratsmandats

4.4.2Abklärungen vor Mandatsannahme

4.4.3Handlungsempfehlungen

4.4.4Private Abrechnung eines Verwaltungsratsmandats

4.4.5Vertragsqualifikation

4.5Struktur und Zusammensetzung Verwaltungsrat

4.5.1Erfolgsfaktor adäquate Struktur und Zusammensetzung

4.5.2Funktionale Struktur

4.5.3Passende Struktur

4.5.4Organisatorische Struktur

4.5.5Diversität des Verwaltungsrats

4.5.6Einheit des Verwaltungsrats

4.5.7Komplementäre Rollen und Typen

4.5.8Äussere Einflüsse

4.5.9Unternehmensspezifische Faktoren

4.5.10Bedeutung der Verwaltungsratsstruktur und -zusammensetzung

4.5.11Handlungsempfehlungen

4.6Verwaltungsratspräsidium (VRP)

4.6.1Gesetzliche Pflichten

4.6.2Ungeschriebene Aufgaben

4.7Vizepräsidium

5Verwaltungsratsausschüsse

5.1Prüfungs- und Risikoausschuss (audit and risk committee)

5.2Vergütungsausschuss (remuneration committee)

5.2.1Aufgaben Vergütungsausschuss

5.2.2Grundsatz zu Vergütungssystemen für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung

5.2.3Vergütungssysteme für Verwaltungsrat: Ziele und Ausgestaltung

5.2.4Vergütungssysteme für Geschäftsleitung: Ziele und Ausgestaltung

5.2.5Performance und Kultur

5.2.6Board (performance) assessments

5.2.7Handlungsempfehlungen

5.3Nominationsausschuss (nomination committee)

5.3.1Aufgaben Ausschuss und Ziele einer nachhaltigen Nachfolgeplanung

5.3.2Nachfolgeplanung in Verwaltungsrat und Management

5.3.3Onboarding-Praktiken für Verwaltungsrat und Management

5.3.4Handlungsempfehlungen

5.4Weitere Ausschüsse

5.4.1Strategie

5.4.2Corporate Governance

5.4.3CSR/Sustainability/ESG

5.4.4IT/Technologie/Digitalisierung

5.4.5Bau und Immobilien

5.5Handlungsempfehlung

6Geschäftsleitung

6.1Übertragbare Aufgaben

6.2Die Geschäftsleitung als operatives Führungsorgan

6.2.1Geschäftsführung (Chief Executive Officer)

6.2.2Chief Financial Officer (CFO)

6.2.3Weitere Mitglieder der Geschäftsleitung

6.2.4Handlungsempfehlungen

7Verwaltungsratspraxis

7.1Verwaltungsratssitzung

7.1.1Sitzungsrhythmus und -kalender

7.1.2Sitzungsplanung: Vorbereitung, Einberufung, Leitung und Ablauf

7.1.3Entscheidungsfindung und Beschlussfassung

7.1.4Protokoll und Umsetzung

7.1.5Handlungsempfehlungen

7.2Verwaltungsratsinteraktion

7.3Präsidium und Vizepräsidium

7.3.1Beziehung und Kompetenz

7.4Strategieplanung und -durchführung

7.4.1Wichtige Wirkungsachsen der Strategiearbeit im Verwaltungsrat

7.4.2Eignerstrategie und Vermögensbildung

7.4.3Unternehmensstrategie und Markenwerte

7.4.4Unternehmensstrategie und Equity Story

7.4.5Strategieumsetzung und Kontrolle

7.4.6Corporate Purpose und Stakeholder Management

7.4.7Familie als Ankeraktionär

7.4.8Handlungsempfehlungen

7.5Environmental, Social und Governance (ESG)

7.5.1Nachhaltigkeit in finanzieller und nichtfinanzieller Sicht

7.5.2ESG in der Publikationspolitik

7.5.3ESG in der Vergütungspolitik

7.5.4ESG in der Steuerpolitik

8VR-Tools

8.1Aktienrechtliche Fristen und Termine

8.2Muster VR-Anforderungsprofil

8.3Checkliste Einladung VR-Sitzung

8.4Checkliste Einladung Generalversammlung

8.5Muster Einladung Generalversammlung

8.6VR-Zusammensetzung

8.7Code of conduct für VR-Mitglieder

8.8Zusammenarbeit VR – VRP – CEO

8.9VR-Rekrutierung

8.10Quick-Check Corporate Governance

8.11Zwingende Aufgaben des VR

8.12Führungskalender

8.13VR-Cockpit

8.14VR-Protokoll

8.15Zehn VR-Fallstricke

8.16Nachfolgeplanung

8.17Vor der Übernahme des Mandats

8.18KMU-Strategieprozess

Abkürzungsverzeichnis

AG

Aktiengesellschaft

AHV

Alters- und Hinterlassenenversicherung

ALV

Arbeitslosenversicherung

B2C

Business to consumer

BVG

Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge

CEO

Chief Executive Officer

CDO

Chief Digital Officer

CFO

Chief Financial Officer

CIO

Chief Innovation Officer

CMSO

Chief Marketing and Sales Officer

COO

Chief Operating Officer

CTO

Chief Technology Officer

CSR

Corporate Social Responsibility

DSG

Datenschutzgesetz

EBIT

Earnings before interest and taxes (dt.: Gewinn vor Zinsen und Steuern)

EO

Erwerbsersatzordnung

ESG

Environmental (E), Social (S) and Governance (G)

FIDLEG

Finanzdienstleistungsgesetz

FinfraG

Finanzmarktinfrastrukturgesetz

FINMA

Eidgenössische Finanzmarktaufsicht

FusG

Fusionsgesetz

GL

Geschäftsleitung

IKS

Internes Kontrollsystem

IPO

Initial public offering

IV

Invalidenversicherung

KMU

Kleine und mittlere Unternehmen

NGO

Non-governmental organizations (dt.: Nichtregierungsorganisationen)

OR

Schweizerisches Obligationenrecht

SPI

Swiss Performance Index

VegüV

Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften

VR

Verwaltungsrat

VRP

Präsidentin oder Präsident des Verwaltungsrates

Abs.

Absatz

Art.

Artikel

bzw.

beziehungsweise

etc.

et cetera

ca.

zirka

d. h.

das heisst

ff.

folgende [Seiten]

i. d. R.

in der Regel

inkl.

inklusive

insb.

insbesondere

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

sog.

sogenannt

u. a.

unter anderem

vgl.

vergleiche

z. B.

zum Beispiel

Ziff.

Ziffer

Vorwort

Die dritte, vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage des Handbuches für den Verwaltungsrat richtet sich vornehmlich an Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte sowie Mitglieder von Geschäftsleitungen in privaten und börsenkotierten Schweizer KMU. Auch für Firmeneignerinnen und Firmeneigner, Investorinnen und Investoren und weitere Anspruchsgruppen mittelständischer Unternehmen finden sich im Buch wertvolle Anregungen für die wirksame Gestaltung der Arbeit in den Leitungsorganen der Unternehmen und für die praktische Zusammenarbeit. Die Inhalte nehmen grundlegende regulatorische Vorgaben auf, sind aber vorwiegend inspiriert von Erkenntnissen aus der Praxis. Sie folgen der Mission und dem Anspruch des SwissBoardForum, konkrete Erfahrungen verständlich und anwendbar mit den Anspruchsgruppen und interessierten Kreisen zu teilen.

Die vorliegende dritte Auflage frischt einerseits wesentliche Themen der mittlerweile vergriffenen Vorversion auf, andererseits finden sich im Handbuch viele ergänzende und völlig neu verfasste Inhalte für den zeitgemässen Gebrauch. Die verschiedenen Autorinnen und Autoren beleuchten die Verwaltungsratsarbeit, ihre Grundlagen und Schnittstellen aus vielschichtigen Blickwinkeln. Nebst formalen Grundlagen und rechtlich wichtigen Referenzpunkten gibt das Werk auch ausgewählte Handlungsempfehlungen zur konkreten Anwendung im Alltag. Das Buch definiert sich angesichts der zunehmenden Komplexität der Materie zwangsläufig durch eine inhaltliche Selektion durch den Herausgeber. Das macht diese Sammlung von praxisrelevanten Beiträgen zu einem lebendigen Nachschlagewerk für aktive Organmitglieder und oberste Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Unternehmen.

Die dritte Auflage des Handbuchs für den Verwaltungsrat ist in Zusammenarbeit zwischen dem SwissBoardForum und dem Network for Innovative Corporate Governance (NICG) entstanden. Damit soll nicht zuletzt auch der Dynamik im rechtlichen, technologischen und gesellschaftlichen Kontext und den damit verbundenen Veränderungen und neuen Perspektiven in der Verwaltungsratstätigkeit Rechnung getragen werden.

Ein besonderer Dank gebührt Dr. oec. Cornel Germann vom NICG, Senior Research Fellow Corporate Governance und Vizedirektor am Institut für Law and Economics (ILE-HSG) der Universität St. Gallen, für die Koordination und die redaktionelle Projektleitung.

Daneben danken SwissBoardForum und NICG allen Autorinnen und Autoren, die zur überarbeiteten und ergänzten dritten Auflage des Handbuchs für den Verwaltungsrat tatkräftig beigetragen haben, herzlich für die wertvollen und inspirierenden Beiträge. Alle Autorinnen und Autoren werden auf den Seiten 17–20 kurz vorgestellt.

Weiter sei allen Autorinnen und Autoren der ersten und zweiten Auflage, auf deren Texte sich die Beiträge in der dritten Auflage teilweise abstützen, herzlich gedankt. Es sind dies Silvan Felder, Dominique Freymond, Stephan Hostettler, Peter Kofmel, Peter V. Kunz, Stefanie Meier-Gubser, Alexandra Post Quillet und Thomas Studhalter.

Ein weiterer Dank ergeht an die Anwaltskanzlei Kellerhals Carrard (Edgar Philippin und Virginie Rodieux), die uns in juristischen Fragen zu Autorenrechten tatkräftig unterstützt hat.

Für das SwissBoardForum

(Herausgeber)

Ralph P. Siegl

Präsident

Im März 2024

SwissBoardForum

Das SwissBoardForum ist ein 2007 gegründeter Verein (vormals sivg, Schweizerisches Institut für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder) für Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte und oberste Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger von vornehmlich privaten und börsenkotierten Schweizer KMU bzw. mittelständischen Unternehmen. Als schweizweite Plattform für Verwaltungsratsthemen fördert das SwissBoardForum die professionelle Verwaltungsrats- und Stiftungsratstätigkeit. Dabei steht sharing experience durch den persönlichen Erfahrungsaustausch und die praxisnahe Wissensvermittlung im Zentrum der Aktivitäten.

Den über 600 Mitgliedern (2024) bietet der wirtschaftlich und politisch unabhängige Verein regelmässige Veranstaltungen zu Verwaltungsratsthemen und Corporate Governance in der ganzen Schweiz, ein regionen- und branchenübergreifendes VR-Netzwerk sowie attraktive Angebote bei ausgewählten Partnerunternehmen.

Der Vorstand des SwissBoardForum setzt sich aus langjährig erfahrenen VR-Mitgliedern zusammen, die über sehr diverse fachliche Kompetenzen und Erfahrungshintergründe verfügen.

SwissBoardForum– sharing experience (www.swissboardforum.ch)

Network for Innovative Corporate Governance (NICG)

Das Network for Innovative Corporate Governance (NICG) ist eine Kooperation zwischen dem Institut für Law and Economics (ILE-HSG) der Universität St. Gallen und ausgewählten Partnerorganisationen zur wissenschaftlichen und praktischen Vertiefung der Corporate Governance. Das Netzwerk wurde 2019 gegründet und organisiert Konferenzen und Events zur Förderung des Dialogs im Schnittpunkt Akademia und Praxis.

Das NICG setzt sich das Ziel, bestehende langfristige Ansätze in der Corporate Governance zu sammeln, zu koordinieren und darauf aufbauend bestehende Ansätze zu adaptieren und neue Lösungen zu erzeugen. Wie der Name des Netzwerks vermittelt, ist Innovation ein zentraler Bestandteil. Innovation für das NICG ist jedoch nicht nur ein Ansatz zur Reformation bestehender Systeme, sondern zunehmend auch ein Appell, mit der Dynamik in der Corporate Governance umzugehen und «Störungen des Systems» (engl.: «disruptions of the system») frühzeitig zu antizipieren. Das NICG will so ermöglichen, wissenschaftliche Forschungsansätze zu sammeln, zu diskutieren und die Ergebnisse so aufzubereiten, dass sie für Gesellschaft und Wirtschaft mehrwerterzeugend und sinnstiftend sind.

Network for Innovative Corporate Governance– curious and free spirits (www.nicg.net)

Die Autorinnen und Autoren

Dr. Roman Aus der Au

M.A. HSG in Law and Economics

Rechtsanwalt bei Kellerhals Carrard Zürich KlG

Prof. Dr. Thomas Berndt

Professor für Rechnungslegung, Universität St. Gallen

Direktor am Institut für Law and Economics (ILE-HSG)

Verwaltungsrat equia AG

Fachbeirat der Zeitschrift für Corporate Governance und Beirat im «Betriebs-Berater. Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft»

Anne Bobillier

Unabhängige Verwaltungsrätin und Beraterin für Corporate Governance

Gründerin von ABoCA sarl

Präsidentin von SkySoft-ATM, Vizepräsidentin von Romande Energie Holding und Skyguide SA, Verwaltungsratsmitglied Rolex Holding, Rolex SA und der Industrie- und Handelskammer Frankreich-Schweiz

Vorstandsmitglied SwissBoardForum

Dr. Patric Brand

Partner und Rechtsanwalt bei Kellerhals Carrard Berne KlG

Silvan Felder

dipl. Wirtschaftsprüfer, Betriebsökonom FH HSLU

Inhaber und Geschäftsführer der Verwaltungsrat Management AG, Luzern

Bis Juni 2023 Präsident des SwissBoardForum, Bern

Diverse VR-Mandate, u. a. bei Galliker Transporte AG, Jörg Lienert AG, Funk Insurance Brokers AG, A4 Agentur AG

Mitglied Vorstand Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ

Dr. Cornel Germann

Senior Research Fellow für Board Governance und Vizedirektor am Institut für Law and Economics (ILE-HSG), Universität St. Gallen

Lehrbeauftragter für Corporate Governance an der Universität St. Gallen (HSG)

Vizedirektor Network for Innovative Corporate Governance (NICG)

Prof. Dr. Peter Hongler

Professor für Steuerrecht, Universität St. Gallen

Direktor am Institut für Law and Economics (ILE-HSG)

Dr. Stephan Hostettler

Managing Partner, HCM International

Lehrbeauftragter für Corporate Governance an der Universität St. Gallen (HSG)

Experte für wertorientierte Führung, Corporate Governance und Vergütung, Investor und Verwaltungsrat sowie Autor verschiedener Fachbücher

Linda Kohri

Corporate Compensation & Benefits bei Swarovski, ehemals Senior Manager bei HCM International

Chartered Financial Analyst (CFA)

Expertin für die Unterstützung von KMU, Family Businesses und Start-ups an der Schnittstelle von Kultur und Strategie

Inhaltliche Schwerpunkte: Corporate Governance & Set Up, langfristige Vergütungssysteme, Performance Management

Karin Perraudin

Master HEC Lausanne und dipl. Wirtschaftsprüferin

Verwaltungsratspräsidentin der Groupe Mutuel Holding SA und Tochtergesellschaften

Mitglied des Verwaltungsrats und des Prüfungs- und Risikoausschusses der Ameropa Holding AG

Mitglied des Verwaltungsrats der fenaco Genossenschaft

Prof. Dr. Edgar Philippin

Professor für Gesellschaftsrecht und allgemeine Grundsätze des Privatrechts, Universität Lausanne

Managing Partner, Kellerhals Carrard Lausanne/Sion

Präsident und Mitglied von Verwaltungs- und Stiftungsräten

Prof. Dr. Nina Reiser1

LL.M., Rechtsanwältin, Professorin für Finanzmarktrecht, Universität St. Gallen (HSG)

Vizedirektorin am Institut für Law and Economics HSG

Mitbegründerin des Center for Financial Services Innovation HSG

Ehemals in verschiedenen Funktionen bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA tätig

Ralph P. Siegl

lic. rer. publ. HSG

MSc (Econ) LSE

Partner, Experts for Leaders AG

CEO und Delegierter des Verwaltungsrats, Hochdorf Swiss Nutrition AG

Multipler Verwaltungsrat und Präsident in privaten und börsenkotierten Unternehmen

Präsident SwissBoardForum

Prof. Dr. Michèle F. Sutter-Rüdisser

Titularprofessorin für Organizational Control und Governance, Direktorin am Institut für Law and Economics (ILE-HSG), Universität St. Gallen

Unabhängige Aufsichts-, Bank- und Verwaltungsrätin verschiedener Unternehmen

Vorstandsmitglied SwissBoardForum

Claudia Würstle

Senior Manager, HCM International

Head of Sustainability und ESG-Lead

Expertin für die Einbindung von Nachhaltigkeit in Strategie, Governance und Vergütung

Zertifizierte Sustainability Excellence Associate der International Society of Sustainability Professionals (ISSP)

1Die Autorin dankt Basil Wächli, MLaw, LL.M., für die Recherche der Quellen der Beiträge und weiterführende Hinweise.

1

Einleitung

1.1Der Verwaltungsrat und seine Herausforderungen

1.2Verwaltungsrat in Familienunternehmen

1.3Verwaltungsrat in börsenkotierten KMU

1.4Verwaltungsrat in Start-ups

1.5Verwaltungsrat in Finanzunternehmen und Banken

1.6Verwaltungsrat in öffentlich-rechtlichen Firmen

1Einleitung

Verwaltungsratsarbeit ist komplex und je nach Unternehmensart von unterschiedlichen Herausforderungen geprägt. Bewusstsein dafür zu erlangen, wo die «kritischen Punkte» liegen, ist eine der ersten Aufgaben eines Mitglieds des Verwaltungsrates. Im Folgenden werden die Tätigkeitsfelder in einer Übersicht erläutert.

1.1Der Verwaltungsrat und seine Herausforderungen

Das heutige politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld stellt hohe Anforderungen an Verwaltungsräte. Vom heutigen Verwaltungsratsmitglied wird – zu Recht – erwartet, dass es über das nötige Fach-, Methoden- und Branchen-Know-how verfügt, hohe persönliche und soziale Kompetenzen besitzt und die nötige Zeit, Unabhängigkeit und das notwendige Engagement für die Ausübung des Mandats mitbringt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Verwaltungsrat als Gremium funktioniert und nur so stark ist, wie sein schwächstes Mitglied. Der bestmöglichen Zusammensetzung des Verwaltungsrats und einer konstruktiven Zusammenarbeit kommt daher massgebende Bedeutung zu.

1.1.1Der Verwaltungsrat als strategisches Führungsorgan

Der Verwaltungsrat ist strategisches Führungsorgan der Gesellschaft. Er ist verantwortlich für das Festlegen der Strategie und die Überwachung ihrer Umsetzung. Die Strategieentwicklung erfolgt sinnvollerweise in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung, die für die Umsetzung verantwortlich ist. Der Strategieprozess ist ein immer wieder zu durchlaufender Prozess, der – wenn nötig – zu Anpassungen der Strategie, der Unternehmensstruktur und auch der Unternehmenskultur führen muss.

Als strategisches Führungsorgan ist der Verwaltungsrat gleichermassen auch verantwortlich für eine entsprechende Compliance sowie ein funktionierendes Risikomanagement. Dabei gilt es, das Hauptaugenmerk auf die Identifikation der gesamtunternehmensrelevanten Risiken zu legen, diese zu benennen und einzuordnen und nachfolgend mit passenden Massnahmen (inkl. Benennung von Verantwortlichkeiten und Terminen) entweder zu vermeiden, zu vermindern oder zu versichern.

1.1.2Der Verwaltungsrat in der Finanzverantwortung

Mit der Übertragung der Oberleitung und der Organisationskompetenz ist zwangsläufig auch die Verantwortung über die finanzielle Gesamtführung verbunden. Alle strategischen Führungsentscheide haben mittelbar finanzielle Auswirkungen. Gemäss Art. 716a Ziff. 3 OR wird daher dem Verwaltungsrat auch die unübertragbare und unentziehbare Aufgabe zugewiesen, sich über die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung Gedanken zu machen. In diesem Kontext wird – auch gemäss fachspezifischer Literatur und Rechtsprechung – von jedem einzelnen Verwaltungsratsmitglied erwartet, dass er oder sie über ein Grundverständnis für finanzielle Fragestellungen verfügt («to be financially literate»).

1.1.3Die personellen Fragestellungen als Königsdisziplin

Der Einsetzung und Begleitung einer für die Unternehmensstrategie und -kultur passenden Geschäftsführung bzw. Geschäftsleitung sowie der Zusammensetzung des Verwaltungsrates kommt (die) höchste Bedeutung zu. Alle notwendigen fachlichen, methodischen und branchenmässigen Kompetenzen gepaart mit einem für die Unternehmung passenden Persönlichkeitsprofil und Wertesystem sind Grundvoraussetzung für den nachhaltigen Erfolg jedes Tuns und Lassens. Bei jeder Besetzung der obersten Führungsfunktionen muss der Verwaltungsrat bestrebt sein, nicht die erstbeste, sondern die bestmögliche Person in das entsprechende Amt einzusetzen.

Sind die richtigen Personen bestellt, so sorgt eine möglichst effiziente und effektive Führungsorganisation mit entsprechenden Verbindlichkeiten in Organisation, Tätigkeit und Verantwortlichkeiten (Stichwort Organisationsreglement) für die passenden Strukturen und Spielregeln.

1.1.4Verantwortlichkeit

Der Verwaltungsrat muss sich in seiner Rolle und Funktion bewusst sein, dass er für die betreffende Unternehmung organschaftlich handelt, dass ihm gemäss Art. 716a OR gesetzlich benannte «unübertragbare und unentziehbare Aufgaben» zufallen und er letztendlich verantwortlich zeichnet für Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft.

Eine verantwortungsbewusste Verwaltungsrätin bzw. ein verantwortungsbewusster (künftiger) Verwaltungsrat stellt sich regelmässig die Frage ihrer oder seiner zivilrechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft, sei dies beim Entscheid über die Annahme des Mandats oder im Laufe der Ausübung ihrer oder seiner Funktion. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession erlangt die Thematik der Verantwortlichkeit besondere Aktualität und ungewohnte Brisanz.

1.1.5Unabhängigkeit

Verwaltungsrat und Geschäftsleitung als Gremien, aber auch alle einzelnen Mitglieder sorgen dafür, dass Interessenkonflikte die unabhängige Wahrung der Gesellschaftsinteressen nicht gefährden. Hierzu macht der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, Ziff. 19, passende Ausführungen und benennt sowohl Kriterien zu ideeller als auch zu materieller Unabhängigkeit.

1.2Verwaltungsrat in Familienunternehmen

Der Begriff des Familienunternehmens ist nicht eindeutig geregelt. Es gibt eine Vielzahl von Ausprägungen und Interpretationen. Als Familienunternehmen lassen sich gemeinhin Firmen bezeichnen, bei denen die Mehrheit der direkten oder indirekten Entscheidungsrechte bei natürlichen Personen liegen, deren investiertes Gesellschaftskapital aus dem privaten Vermögen der Familie stammt. «Familie» definiert sich dabei in der Regel als verwandte Personen aus der direkten Blutlinie der Gründergeneration. Dies kann selbstverständlich im Einzelfall anders bestimmt werden. Aus erb- und güterrechtlichen Überlegungen heraus empfiehlt es sich, den Familienbegriff im Zusammenhang mit dem Gesellschafterkapital bzw. den Unternehmensanteilen klar zu definieren. Die entsprechende Kodifizierung findet sich praktischerweise entweder in einer (der unternehmerischen Governance vorgelagerten) Familienverfassung oder in einer schriftlich verfassten Eignerstrategie des Unternehmens.

In Familienunternehmen ist meist auch mindestens eine Vertretungsperson aus der Familie oder den Angehörigen offiziell an der operativen Leitung oder Kontrolle des Unternehmens beteiligt. Die Mitglieder der Familie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Verwaltung und Mehrung des Gesellschaftsvermögens als treuhänderischen Auftrag für eine nachfolgende Generation verstehen.1

Börsenkotierte Unternehmen gelten in der Regel dann als Familienunternehmen, wenn die Personen, die das Unternehmen gegründet oder das Gesellschaftskapital erworben haben, oder deren Familien oder Nachfahren aufgrund ihres Anteils am Firmenkapital mindestens 25% der Entscheidungsrechte halten.

Die obige Definition gilt auch für Firmen, welche die erste Generationsübertragung noch nicht vollzogen haben. Sie umfasst auch Einzelunternehmerinnen bzw. Einzelunternehmer und Selbstständige (sofern eine rechtliche Einheit besteht, die übertragen werden kann).

1.2.1Eigenheiten der Governance

Wo «Eigentum ein Gesicht hat», finden sich in der Regel Governance-Strukturen mit einer Rollenkumulation bei einer oder mehreren Personen aus der Familie. Kapital und Führung sind nicht klar getrennt. Die strategische Oberaufsicht und die operative Leitung des Unternehmens in einer Hand oder in wenigen Eignerhänden zu halten, ist absolut legitim. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob diese Führungs- und Einflussstruktur angemessen und für die gewünschte Vermögensbildung sowie das entsprechende strategische und das Risikomanagement im Unternehmen auch sinnvoll und wirksam ist.

Entscheidend für eine aus Sicht des Unternehmens ideale Lösung sollten allein die Kompetenzen und Fähigkeiten der in der Gesellschaft engagierten Personen aus dem Familienkreis sein. Die nötigen Eignungsmerkmale der möglichen Kompetenzträger aus dem Familienkreis sind dazu idealerweise mit unabhängigen Fachkräften zu benchmarken. Es empfiehlt sich, entsprechende Assessments unter Beizug externer Spezialistinnen und Spezialisten auch dann durchzuführen, wenn Nachfolgelösungen aus der Familie heraus vorbestimmt sind. Anhand der Evaluationsergebnisse lassen sich frühzeitig und gezielt komplementäre Personen mit dem nötigen Know-how von ausserhalb der Familie finden.

Darüber hinaus ist es ratsam, für die Kandidatinnen und Kandidaten aus der Familie einen strukturierten Nachfolgeprozess vorzusehen, bei dem mittels eines angemessenen Coachings die Zielpersonen schrittweise an das Unternehmen und die künftigen Rollen herangeführt und in die Verantwortung aufbauend eingebunden werden. Ein solcher Prozess sollte idealerweise von einem ausdrücklich dafür bestimmten Senior Verantwortlichen aus der Familie bzw. einer durch die Familie bezeichneten Vertrauensperson (z. B. ein unabhängiges Mitglied des Verwaltungsrats) geführt werden.

Ein Kompetenz-Gap in der Familie kann viele Gründe haben. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich aus dem Familienstamm jederzeit geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die Führungsrollen in den obersten Organen finden lassen, sei es infolge der Ausbildung, der Erfahrung, der persönlichen Interessen oder auch aus Alters- und Verfügbarkeitsgründen. In diesem Fall ist die Findung und Beauftragung von unabhängigen Personen für die befristete oder unbefristete Unternehmensleitung (Fremdgeschäftsführung) eine mehr als valable Option.2

Dies gilt grundsätzlich auch für das Aufsichtsgremium Verwaltungsrat. Viele Familienunternehmen kennen das Konstrukt des «Beirats» als Mittel zur Stärkung der strategischen Aufsicht und Führung. Familienunternehmerinnen und -unternehmer übernehmen dabei das Verwaltungsratspräsidium und sind im Handelsregister eingetragene Verwaltungsräte. Sie beziehen gleichzeitig unabhängige Expertinnen und Experten als Ratgeber in Form von Beisitzern ohne Stimmrecht und Organhaftung in die Verwaltungsratssitzungen mit ein. Diese Beiräte agieren inhaltlich de facto wie Verwaltungsräte, sind aber formal keine Organmitglieder.

1.2.2Unabhängige Mitglieder im Verwaltungsrat

Unabhängige Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte im eigentlichen Sinn können für Familienunternehmen aus verschiedenen Gründen eine Bereicherung sein. Sie sind formell im Handelsregister eingetragen – mit allen Rechten und Pflichten nach dem Obligationenrecht. Eine entsprechende Berufung von Dritten in den Verwaltungsrat der Familienfirma bedarf einer überzeugten Entscheidung der Eignerfamilie und ihrer Repräsentanten in der Gesellschaft in Bezug auf die Rollenklarheit und den erwarteten Mehrwert. Dies bedingt Demut in Bezug auf die eigenen Stärken und Schwächen und die Bereitschaft, sich als Eigner auch kritischen Fragen und herausfordernden Meinungen von Dritten konstruktiv zu stellen.

Im Umkehrschluss sind unabhängige Mitglieder in Verwaltungsräten von Familienunternehmen gehalten, sich mit den Eigenheiten der Familienvertreter, der Familiendynamik und den direkten und indirekten Einflussnahmen sowie mit den persönlichen Besonderheiten der Personen aus allen fassbaren Generationen bewusst auseinanderzusetzen. Es gilt, die eigene Rolle auch für sich zu definieren und sich offen zu positionieren. Dazu ist es empfehlenswert, sich bereits vor Annahme des Mandats intensiv mit den Familienvertretern auseinanderzusetzen, transparent über das familiäre und unternehmerische Wertesystem zu sprechen, gemeinsame Ziele und Absichten zu klären und aktives Erwartungsmanagement an die Funktion zu betreiben. Die zwischenmenschliche Kompatibilität und das Vertrauen sind dabei immer zentral, aber vor allem im Verhältnis zum Präsidium unbedingt herzustellen.

Weitsichtige Familienunternehmen wählen oftmals auch eine unabhängige Person ins Verwaltungsratspräsidium. Dies kann den Vorteil haben, dass sich die Familienvertreter weniger mit Governance-Formalitäten beschäftigen müssen und sich in der Folge besser auf inhaltliche Themen und den Meinungsbildungsprozess im Verwaltungsrat konzentrieren können. Auch bei Spannungen innerhalb der Familie oder zwischen verschiedenen Familienstämmen sowie bei Nachfolgethemen kann es für ein unabhängiges Präsidium leichter sein, heikle Themen mit der Familie und einzelnen Exponentinnen und Exponenten anzusprechen und zu lösen.

Die Tätigkeit als unabhängige Verwaltungsrätin oder unabhängiger Verwaltungsrat in einem Familienunternehmen kann sehr bereichernd sein. Die Zusammenarbeit mit langfristig denkenden Eigentümern, die ihr eigenes Vermögen in der unternehmerischen Verantwortung sehen, erfordert Haltung und komplementäre Gestaltungskraft im Hintergrund. VR-Mandate in Familienunternehmen können aufgrund des dazu nötigen Vertrauensverhältnisses auch deutlich länger dauern als in anderen Unternehmenstypen. Eine wichtige Eigenschaft unabhängiger Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte ist es, die kritische Distanz und die konstruktive Auseinandersetzung auch bei wachsender Vertrautheit mit der Familie zu pflegen und sich jederzeit bewusst zu machen, dass man letztlich immer «fremd» bleibt. Grössere und frühzeitig gesteuerte Wechsel in der Zusammensetzung des Verwaltungsrates sind denn auch spätestens und besonders auf einen Generationenübergang hin zu prüfen.

1.3Verwaltungsrat in börsenkotierten KMU

Die börsenrechtlichen Regeln und Offenlegungspflichten kotierter Unternehmen stellen die Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte dieses Unternehmenstyps vor ganz besondere Herausforderungen.

Die Corporate Governance börsennotierter Unternehmen ist aufgrund der in der Regel diversen Natur im Aktionariat (natürliche und juristische Personen, private und institutionelle Anleger) und der meist breiteren Eigentümerlage (z. B. Aktien im Streubesitz) darauf ausgelegt, die Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Aufsichtsaufgaben und die Rechenschaftsberichterstattung nach vergleichbaren «best practices» zu regeln.

Die Arbeit im Verwaltungsratsgremium eines börsenkotierten Unternehmens unterliegt denn auch einer anderen Dynamik als bei privaten Firmen: Sie ist in Bezug auf die Nachvollziehbarkeit im Entscheidungsfindungsprozess (Protokollführung zu Organsitzungen), die Informationspolitik und die Kommunikation deutlich formeller und dadurch auch anspruchsvoller.

Im Zentrum steht dabei beispielhaft vor allem das durch die Aufsichtsbehörden scharf verfolgte Gebot der materiellen und formellen Gleichbehandlung aller Aktionäre in Bezug auf börsenkursrelevante Informationen (sog. Ad-hoc-Publikationspflicht). Ebenso bestehen Vorgaben zur Erstellung der Rechenschaftsberichte, namentlich des Finanz-Reportings, und zu der Revision durch externe Auditorinnen und Auditoren. Zum 1. Januar 2014 ist in der Schweiz die Verordnung über übermässige Vergütungen in börsenkotierten Unternehmen (VegüV) in Kraft getreten, mit Vorschriften zur Governance und zur Berichterstattung zur Vergütung. Inzwischen wurde die VegüV ins OR überführt und ausser Kraft gesetzt. Mit der jüngsten Aktienrechtsreform wurden per 1. Januar 2021 nebst anderen Neuerungen auch Geschlechterrichtwerte (Art. 734f OR) für die Besetzung der Unternehmensorgane festgelegt, welche KMU ab einer Bilanzsumme von 20 Mio. CHF bzw. einem Umsatz von 40 Mio. CHF sowie 250 und mehr Vollzeitstellen betreffen können (Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR). Für diese Richtwerte und die entsprechende Rechenschaftsablegung im Vergütungsbericht gilt ein «comply or explain»-Ansatz mit einer Übergangszeit bis 2026 (Verwaltungsrat) bzw. 2021 (Geschäftsleitung).

Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben können je nach Branche (z. B. Finanzdienstleister) deutlich strenger ausgestaltet sein. Die jederzeitige Compliance mit den geltenden Auflagen muss entsprechend organisatorisch durch den Verwaltungsrat sichergestellt werden.

Für angehende Mitglieder von Verwaltungsräten dieser Unternehmen ist eine vorgängige Verwaltungsratsausbildung empfehlenswert; einschlägige Branchen- und Berufserfahrung wird teilweise gar von den Aufsichtsgremien gefordert.

Vorteilhafterweise legen die einschlägigen Verwaltungsratsschulungen und die entsprechende Fachliteratur den Fokus weitestgehend auf die Rechte und Pflichten des Verwaltungsrats in börsenkotierten Firmen; richtig angewendet können Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte von nichtkotierten KMU indes viel von den Rahmenbedingungen kotierter Firmen lernen. Die jüngste Aktienrechtsreform hat gezeigt, dass Bestimmungen für börsenkotierte Firmen zunehmend auch für die allgemeine Anwendung in allen Aktiengesellschaften gelten sollen. Für die Governance wichtige normative Entwicklungen und heikle Themen lassen sich beispielsweise frühzeitig erkennen und für die eigene Arbeit vorwegnehmen.

1.4Verwaltungsrat in Start-ups

Auch für Aufsichts- und Leitungsorgane in Start-ups gelten grundsätzlich sämtliche Governance-Bestimmungen des Obligationenrechts.

Im hochengagierten Innovationsumfeld von Start-ups mit Gründungspersonen und Eigentümern, deren Fokus primär auf der Idee und ihrer Umsetzung liegt, gehen Governance-Fragen leicht vergessen oder werden als weniger wichtig zurückgestellt. Davon ist dringend abzuraten. Die statutarischen Mindestvorgaben sind jederzeit einzuhalten. Massgebend ist die Rechtsform des Start-ups und nicht die Natur der Geschäftstätigkeit.

Einschlägige Ratgeber zu guter Unternehmensführung und -organisation finden sich auf diversen digitalen und analogen Beratungsplattformen zur Unternehmensgründung mit entsprechenden Musterdokumenten (z. B. Statuten, Aktionärsbindungsverträgen etc.) zur unmittelbaren Anwendung. Alternativ stehen auch Treuhand- und Rechtsdienstleister bereit zur Unterstützung. Es empfiehlt sich, von Beginn an die Governance-Grundlagen korrekt aufzusetzen und den Umgang mit den Formalitäten klar zu regeln, um nicht später – namentlich in der Skalierungsphase oder im Rahmen der Erweiterung des Investorenkreises – Fragen aufkommen zu lassen.

Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte in Start-ups sind nicht selten die innovativen Firmengründer selbst und/oder wesentliche Investorinnen und Investoren. Die Wahl der richtigen Organvertretung stellt sich auch und insbesondere bei Start-ups, die ihre notorisch knappen finanziellen Mittel und deren Verwendung ganz besonders im Blick haben müssen. Klarheit bezüglich der Mittelverwendung herzustellen, die Liquidität jederzeit zu gewährleisten und im Falle von Problemen frühzeitig Massnahmen zur Sanierung zu treffen oder gar die Bilanz zu deponieren sind Themen, mit denen sich der Verwaltungsrat in Start-ups besonders häufig auseinandersetzen muss. Die Kontrolle über Firmenressourcen und das entsprechende Risikomanagement ist nicht nur ein Gebot für die richtige operative Umsetzung, sondern auch für die Firmenbewertung und entsprechende Fundraising-Aktivitäten mit Investoren. Mit zunehmender Komplexität der Eigentümerschaft gilt es, die dazu wirksamen Reportings und Entscheidungsregeln einzuführen und konsequent zu dokumentieren.

Es ist hilfreich, neue Unternehmen zu Beginn ihrer Entwicklung richtig und ohne Folgen und ungewollte Verpflichtungen für spätere Phasen angemessen zu finanzieren. Ein Mindestverständnis der finanziellen Führung auf Stufe der Organe ist deshalb unverzichtbar. Weitere Kompetenzen im Verwaltungsrat richten sich idealerweise nach den Bedürfnisphasen und können bei Start-ups zu rascheren Wechseln im Verwaltungsrat führen als bei etablierten Unternehmen.

1.5Verwaltungsrat in Finanzunternehmen und Banken

Verwaltungsräte spielen eine entscheidende Rolle in Finanzunternehmen, indem sie die strategischen Richtlinien und Entscheidungen beeinflussen. Der Verwaltungsrat ist ein Gremium von Führungskräften, das die Interessen der Aktionärinnen und Aktionäre und Stakeholder repräsentiert und die Gesamtausrichtung des Unternehmens lenkt. In Finanzunternehmen – seien es Banken, Versicherungen oder Investmentgesellschaften – übernehmen Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte eine besondere Verantwortung aufgrund der sensiblen Natur ihrer Geschäftstätigkeit.

Die Mitglieder des Verwaltungsrats in Finanzunternehmen sollten über umfassende Kenntnisse im Bereich Finanzen, Corporate Governance, Risikomanagement, Compliance und Unternehmensführung verfügen. Dies ermöglicht es ihnen, fundierte Entscheidungen zu treffen und die finanzielle Stabilität des Unternehmens zu gewährleisten. Zudem müssen sie die regulatorischen Anforderungen im Finanzsektor im Blick behalten und sicherstellen, dass das Unternehmen alle erforderlichen Vorschriften einhält. In der Schweiz ist die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) die Aufsichtsbehörde für den Finanzsektor. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten, den Anlegerschutz zu fördern und die Integrität des Schweizer Finanzmarktes sicherzustellen.

Die Mitglieder des Verwaltungsrats von Finanzunternehmen müssen sich einem sogenannten «fit and proper test» der Regulatoren unterziehen, der einerseits die erforderliche Eignung («fit»: u. a. fachliche Kenntnisse im Finanzbereich, Führungskompetenzen und die Fähigkeit, komplexe geschäftliche Herausforderungen zu bewältigen) sowie andererseits die Zuverlässigkeit («proper»: u. a. Integrität, hierzu gehören auch Hintergrundüberprüfungen zur Sicherstellung, dass keine vorherigen strafrechtlichen Vergehen oder andere ethische Verfehlungen vorliegen) der Kandidatin bzw. des Kandidaten ermittelt.

Ein effektiver Verwaltungsrat in einem Finanzunternehmen sollte entsprechend eine ausgewogene Mischung aus Fachkompetenz, Unabhängigkeit und Diversität aufweisen. Dies gewährleistet, dass verschiedene Perspektiven berücksichtigt und strategische Entscheidungen im besten Interesse aller Stakeholder getroffen werden. Darüber hinaus sind Integrität und ethisches Verhalten entscheidend, um das Vertrauen der Kundinnen und Kunden, der Investorinnen und Investoren und der Öffentlichkeit zu wahren.

Zusammenfassend tragen Verwaltungsräte in Finanzunternehmen dazu bei, die finanzielle Stabilität, die Integrität und die langfristige Nachhaltigkeit des Unternehmens zu gewährleisten. Ihre Rolle erstreckt sich über die strategische Planung, Risikobewertung, Überwachung der Geschäftsführung bis hin zur Sicherstellung der Compliance und einer guten Corporate Governance.

1.6Verwaltungsrat in öffentlich-rechtlichen Firmen

Für die Verwaltungsratstätigkeit bei einer Unternehmung im Besitze der öffentlichen Hand – insbesondere von Bund, Kanton oder Gemeinde – gelten grundsätzlich die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für alle anderen Verwaltungsratsgremien.

1.6.1Zusätzliche Herausforderungen

Besondere Berücksichtigung in der Verwaltungsratsarbeit bei öffentlichrechtlichen Firmen verlangt der Einbezug von Politik (Legislative und Exekutive), der Öffentlichkeit und allen weiteren Anspruchsgruppen. Dies insbesondere deshalb, weil diese Firmen fast ausnahmslos einem Leistungsauftrag der entsprechenden Gebietsherrschaft zu entsprechen haben, bei der immer wieder auch Anspruchshaltung und effektive Leistungserbringung im Fokus stehen und zu öffentlichen Diskussionen führen. Diesbezüglich klassische Branchengattungen sind der öffentliche Verkehr, der Energiedienstleistungssektor, die Post sowie zu einem grossen Teil auch Spitäler, Alters- und Pflegeheime, Infrastrukturen und Organisationen für Bildung, Kultur und Sport bis hin zu Unternehmungen ohne eigentlichen Service-public-Auftrag wie Finanzdienstleistungsunternehmen (insb. Kantonalbanken, Gebäudeversicherungen etc.) und touristische Organisationen.

Bei vielen dieser Unternehmungen müssen Verwaltungsratsgremien zusätzliche Gesetzesbestimmungen und Verordnungen mitberücksichtigen sowie einem Leistungsauftrag und (vorteilhafterweise) einer Eignerstrategie entsprechen. Genderpolitische Themen, marktgerechte Preisgestaltung und fallweise auch «politische Willkür» sind weitere Herausforderungen.

1.6.2Anforderungen an den Verwaltungsrat

All diese Ansprüche und Herausforderungen gepaart mit den gesetzlichen Vorgaben verlangen gerade von Persönlichkeiten in Verwaltungsratsgremien öffentlich-rechtlicher Firmen ein grosses Mass an Rückgrat, Resilienz, Integrität und Unabhängigkeit. Gleichermassen hilft auch das Bewusstsein dafür, dass die Gestaltungs- und Strategiemöglichkeiten in solchen Unternehmungen im Vergleich zur Privatwirtschaft beschränkt sind. Auch einer stringenten und glaubwürdigen Kommunikationspolitik kommt ausnehmend hohe Bedeutung zu, richtet sich diese doch letztendlich immer auch an die jeweilige Bevölkerung im entsprechenden geografischen Gebiet der Leistungserbringung.

1Diese oft mit «Enkeltauglichkeit» umschriebene Grundhaltung eines dynastischen Denkens kann eine wesentliche Basis für eine Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens sein und einen andernorts organisatorisch angelernten ESG-Codex ersetzen. Das entbindet Familienunternehmen aber nicht davon, sich mit den normativen und regulatorischen ESG-Anforderungen formal auseinanderzusetzen.

2Zum Thema der Fremdgeschäftsführung in Familienunternehmen siehe Siegl, R. P. (2021). Das gute Regiment. In: Jäkel-Wurzer, D., Megerle, M., Dahncke, S. (eds), Familienstrategie erleben und gestalten. Berlin/Heidelberg: Springer Gabler.

2

Grundlagen

2.1Begriff und System der Corporate Governance

2.2Rechtsgrundlagen der Aktiengesellschaft

2.3Organe der Aktiengesellschaft

2.4Handlungsempfehlungen

2Grundlagen

Um die Organe der Aktiengesellschaft und deren Praxis zu begreifen, muss man die Rahmenbedingungen kennen und auch verstehen. Kapitel 2 setzt sich deshalb mit dem Begriff der Corporate Governance auseinander und erläutert bestehende Rechtsgrundlagen und Organe der Aktiengesellschaft.

2.1Begriff und System der Corporate Governance

Historisch ist der Begriff der Corporate Governance stark mit dem «homo oeconomicus» und der Trennung von Eigentum (Aktionariat) und Unternehmensleitung (Verwaltungsrat, Geschäftsleitung) verbunden.3 Im Zuge der generell stark zunehmenden Börsengänge (initial public offerings [IPOs] in der Fachsprache) einerseits und seit dem Wall-Street-Crash (1920er Jahre) auf der anderen Seite ist mit dem Ruf nach einer Reformation der Eigentumsrechte und dem daraus entstehenden sozial- und gesellschaftspolitischen Dialog in den 1970er Jahren über «best practices» eine Vielzahl an Richtlinien entstanden, welche empfehlende Bestimmungen zu Corporate-Governance-Prozessen enthalten. Die Schweiz folgte diesem Trend 1992 mit der umfassenden Teilrevision des Aktienrechts und der Stärkung der Aktionärs- und Gläubigerrechte und 2002 mit der Richtlinie Corporate Governance und dem Swiss Code of Best Practice für vornehmlich börsenkotierte Gesellschaften.4

Heute wird die Corporate Governance als ein System verstanden, durch das Unternehmen geleitet und kontrolliert werden.5 Somit als ein Grundsatz, welcher ein nachhaltiges Unternehmensinteresse gleichzeitig fördern und fordern soll. Ausgerichtet auf die höchste organisationale Unternehmensebene soll ein «gesundes und nachhaltiges» Gleichgewicht zwischen Leitung und Aufsicht sowie Transparenz zur effizienten Entscheidungsfähigkeit angestrebt werden.6 In dieser Hinsicht soll die Corporate Governance darauf bedacht sein, sozial-ökologische vs. wirtschaftliche Dimensionen sowie Eigentümer- vs. Drittinteressen im Gleichgewicht zu halten. Eindimensionalität sollte dabei weder forciert noch präferiert werden.

Das Leitsystem der Corporate Governance folgt den vier Grundprinzipien von Leitung (Verantwortung in Zeit und Normwerten), Rechenschaftspflicht (Nachvollziehbarkeit von Aktivitäten), Lenkung (Führung von Organisation und Geschäftsleitung) und Aufsicht (Kontrolle von Organisation und Geschäftsleitung).7 Diese Grundsätze werden inhaltlich durch nationale Wirtschafts- und Rechtskontexte beeinflusst. Mit Kontext Schweiz sind dies einerseits die historisch stark familiengeführte Eigentümerstruktur und die internationale wirtschaftliche Verflechtung und andererseits die Bestimmungen von Obligationenrecht, Schweizer Börse und Swiss Code (economiesuisse).

Darstellung 1Systeme der Corporate Governance

Monistisch

Dualistisch

Hybrid

Verwaltungsrat

Verwaltungsrat

Verwaltungsrat

Geschäftsleitung

Geschäftsleitung

Geschäftsleitung

• VR und GL treten als Einheit auf (Aufsicht und operativ-strategisches Management)

• VR- und GL-Mitglieder sind exekutiv tätig

• VRP und CEO oftmals identische Person

• angelsächsisches System

• z. B. USA, UK

• strikte Trennung zwischen VR (Aufsicht) und GL (operativ-strategisches Management)

• VR-Mitglieder sind nicht-exekutiv und exekutiv, GL-Mitglieder sind exekutiv tätig

• VRP und CEO nie identische Person

• kontinentaleuropäisches System

• z. B. Österreich, Deutschland

• Trennung zwischen VR (Aufsicht und Strategie) und GL (operatives Management)

• VR-Mitglieder sind nicht-exekutiv und GL-Mitglieder exekutiv tätig

• VRP und CEO teilweise identische Person

• z. B. Schweiz, Portugal

Quelle: Cornel Germann, Universität St. Gallen

Als Folge der nationalen Wirtschafts- und Rechtskontexte entwickelten sich international unterschiedliche Systeme innerhalb der Corporate Governance (Darstellung 1). Diese Entwicklung hatte implizit Auswirkungen auf die Pflicht zur Wahrnehmung eines Aufgabenbereichs eines Verwaltungsrats.

Mit Bezug Schweiz sind dies primär die acht unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben in Art. 716a OR (siehe Kapitel 4.1.2). Als Abgrenzungsmerkmal zum monistischen (Aufsichts- und Geschäftsleitungsorgan) und zum dualistischen System (Aufsichtsorgan) hat, wie in der grafischen Übersicht erklärt, der Schweizer Verwaltungsrat das Recht, strategisch-operative Tätigkeiten nach Massgabe eines Organisationsreglements an die Geschäftsleitung abzutreten (Art. 716b OR). Die mögliche Abtretung betrifft indes nur die Delegation der Tätigkeit, nicht jedoch die Wahrnehmung der aufsichts-strategisch relevanten Verantwortungskompetenz – diese bleibt beim Gesamtverwaltungsrat. Liegt eine solche Delegation vor, konzentriert sich der Verwaltungsrat demnach auf die Ausübung einer strategischen Aufsichts- und Kontrollfunktion bezüglich der delegierten Arbeitsbereiche.

Das schweizerische Aktienrecht ermöglicht hier bewusst eine flexible Gestaltung der Organisationsstruktur. Für die Ein-Personen-AG und kleine Gesellschaften, in denen eine Personalunion zwischen (Haupt-)Aktionär, Verwaltungsrat und Geschäftsführung herrscht, ist das monistische System zweckmässig und geeignet. Für grössere Gesellschaften hingegen ist eine Trennung der strategischen von der operativen Ebene sinnvoll, wo keine Empfehlung zur Unabhängigkeit in organisatorischer Gewaltentrennung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung vorliegt.

2.2Rechtsgrundlagen der Aktiengesellschaft

Verschiedene teils zwingende, teils freiwillige Regelwerke normieren schweizerische Aktiengesellschaften. Je nach Branche, Grösse und geografischem Geschäftsfeld der Gesellschaft entsteht so ein Netz von mehr oder minder grosser Regelungsdichte, das einer zunehmenden zeitlichen Dynamik ausgesetzt ist.

Da die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrats letztlich mit der Einhaltung dieser Regelwerke im Zusammenhang stehen, gehört es zu den verwaltungsrätlichen Pflichten, die massgebenden Regeln und ihre Entwicklung mitzuverfolgen. Wurde die Geschäftsführung delegiert, so verbleibt dem Verwaltungsrat dennoch die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen – namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen.

2.2.1Obligationenrecht und weitere Gesetze

Die Bestimmungen zur schweizerischen Aktiengesellschaft finden sich primär in den Art. 620 ff. des Obligationenrechts. Die Gliederung präsentiert sich wie folgt:

•allgemeine Bestimmungen: Art. 620 ff. OR;

•Rechte und Pflichten der Aktionärinnen und Aktionäre: Art. 660 ff. OR;

•Organisation der Aktiengesellschaft: Art. 698 ff. OR;

•Vergütungen bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind (vormals in der VegüV normiert): Art. 732 ff. OR;

•Auflösung der Aktiengesellschaft: Art. 736 ff. OR;

•Verantwortlichkeit: Art. 753 ff. OR.

Ebenfalls relevant sind die Normen über Buchführung und Rechnungslegung sowie weitere Transparenz- und Sorgfaltspflichten der Gesellschaft (bspw. betreffend nichtfinanzielle Belange oder Kinderarbeit) ab Art. 957 OR. Bestimmungen über das Handelsregister bzw. die Eintragung der Gesellschaft finden sich in den Art. 927 ff. OR sowie in der Handelsregisterverordnung. Zahlreiche dieser Bestimmungen wurden per 1. Januar 2023 revidiert. In transaktionalen Situationen (beispielsweise bei Fusionen, Spaltungen und Umwandlungen) findet sodann das Fusionsgesetz (FusG) Anwendung. Börsenkotierte Gesellschaften müssen ausserdem das Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) beachten, das mitunter in Übernahmesituationen relevant ist. Die so geschaffene Rechtslage wird letztlich durch bundesgerichtliche Rechtsprechung konkretisiert. Die genannten Regelwerke sowie die Rechtsprechung sind für Aktiengesellschaften mit Sitz in der Schweiz zwingend zu beachten. International tätige Unternehmen sind sodann gut beraten, wenn sie auch das europäische Recht im Auge behalten, derzeit insbesondere mit Blick auf Nachhaltigkeitsberichterstattung und Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Nicht zuletzt sind auch die Steuergesetze für die Verwaltungsratstätigkeit relevant, sei es betreffend Strukturierung eines Konzerns oder sei es betreffend Einkommensbesteuerung.

2.2.2