Hände weg vom Herzensbrecher - Janet Evanovich - E-Book

Hände weg vom Herzensbrecher E-Book

Janet Evanovich

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Beschreibung

Kate und Nick auf der Spur eines schokoladensüchtigen Drogenbarons.

Ein neuer Auftrag für das Dreamteam wider Willen, FBI-Agentin Kate O’Hare und Trickdieb Nick Fox – und ihr bislang gefährlichster. Denn O’Hare und Fox sollen niemand Geringeres dingfest machen als den Anführer des globalen Drogenhandels. Das Problem: Nachdem er sich einer Generalüberholung beim Schönheitschirurgen unterzogen hat, wissen sie weder, wie der Mann aussieht, noch wo er sich aufhält. Nur ihre Köder stehen fest: Luxusschokolade und glänzende Goldschätze. Nick und Kate ermitteln weltweit, eine bunte Helfertruppe an ihrer Seite. Gemeinsam könnten sie diesen Fall zu Fox’ und O’Hares größtem Coup machen – zumindest, wenn sie überleben ...

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Buch

Ein neuer Auftrag für das Dreamteam wider Willen, FBI-Agentin Kate O’Hare und Trickdieb Nick Fox – und ihr bislang gefährlichster. Denn O’Hare und Fox sollen niemand Geringeren dingfest machen als den Anführer des globalen Drogenhandels. Das Problem: Nachdem er sich einer Generalüberholung beim Schönheitschirurgen unterzogen hat, wissen sie weder, wie der Mann aussieht, noch, wo er sich aufhält. Nur ihre Köder stehen fest: Luxusschokolade und glänzende Goldschätze. Nick und Kate ermitteln weltweit, eine bunte Helfertruppe an ihrer Seite. Gemeinsam könnten sie diesen Fall zu Fox’ und O’Hares größtem Coup machen – zumindest, wenn sie überleben …

Weitere Informationen zu den Autoren

sowie zu lieferbaren Titeln

finden Sie am Ende des Buches.

JANET EVANOVICH

mit LEE GOLDBERG

Hände weg vom

Herzensbrecher

Ein Fall für Kate O’Hare

Band 3

Übersetzt

von Ulrike Laszlo

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »The Job« bei Bantam Books, an imprint of the Random House Publishing Group, a division of Random House, Inc., New York.
Der Goldmann Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.
Copyright © der Originalausgabe 2014 by Janet Evanovich and Lee Goldberg Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH This translation is published by arrangement with Bantam Books, an imprint of the Random House Publishing Group, a division of Random House, Inc., New York. Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagmotiv: FinePic®, München Redaktion: Friederike Arnold LT · Herstellung: Str. Satz: omnisatz GmbH, Berlin ISBN 978-3-641-12136-5 V002www.goldmann-verlag.de
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1

FBI Special Agent Kate O’Hare lehnte sich in dem hellbraunen Ledersessel zurück und richtete ihren Blick über den Schreibtisch hinweg auf den Eingangsbereich der Filiale der California Metro Bank in Tarzana. Normalerweise saß hier der Assistent des Filialleiters, aber im Augenblick war das Kates Arbeitsplatz. Sie wartete darauf, dass die Bank überfallen wurde, und das bereits seit vier Tagen. Die Langeweile trieb sie allmählich in den Wahnsinn, und sie wünschte sich verzweifelt, dass endlich etwas geschah.

Als zwei Geschäftsmänner in maßgeschneiderten Anzügen durch die Doppelglastüren hereinkamen, war ihre Langeweile mit einem Schlag verflogen, und sie setzte sich rasch auf. Einer der Männer trug eine Ray-Ban-Sonnenbrille und hatte sich einen Rucksack von Louis Vuitton um die Schulter geschlungen. Der andere Mann hatte einen gepflegten Dreitagebart, und über seinem rechten Arm hing lässig ein Regenmantel. In Los Angeles hatte es seit zwei Monaten nicht mehr geregnet, und es war auch kein Niederschlag vorhergesagt, also hatte Kate den Verdacht, dass es sich um die beiden Männer handelte, auf die sie die ganze Zeit gewartet hatte. Offensichtlich waren die beiden nicht sehr einfallsreich vorgegangen, als sie ihre Waffen versteckt hatten.

Der Mann mit der Ray-Ban-Sonnenbrille marschierte schnurstracks in das verglaste Büro des Filialleiters. Der andere mit dem Regenmantel ging zu Kates Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Sein Blick fiel unvermittelt auf ihren Ausschnitt – durchaus verständlich, denn sie trug einen Push-up-BH unter ihrem Ann-Taylor-Hosenanzug, und ihre Brüste quollen wie zwei frisch aufgebackene Brötchen aus ihrer offenen Bluse. Normalerweise zog Kate sich nicht so an, aber im Augenblick gehörte das zu ihrem Job, und wenn sich mit einem gewagten Ausschnitt ein Verbrecher fangen ließ, hatte sie ganz und gar nichts dagegen.

»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«

»Nenn mich Profi«, erwiderte der Mann.

»Profi?«, fragte sie. »Ist das Ihr Ernst?«

Er zuckte mit den Schultern und öffnete den Regenmantel ein Stück, sodass sie die Halbautomatik, eine Sig Sauer 9 mm, sehen konnte. »Immer schön lächeln und ruhig bleiben. Ich bin nur ein Geschäftsmann, der sich mit dir über die Eröffnung eines Kontos unterhalten möchte.«

Kate warf verstohlen einen Blick zum Büro des Filialleiters hinüber, wo FBI Special Agent Seth Ryerson hinter dem Schreibtisch saß; der echte Manager hatte die Rolle einer der vier Kassierer der Bank übernommen. Der Kerl mit der Sonnenbrille gab Ryerson Anweisungen, und Kate bemerkte, dass der fast kahle Kopf des Agenten bereits vor Schweiß glänzte. Ryerson fing bei jeder Aktion sofort zu schwitzen an. In fünf Minuten würden ihm seine Klamotten am Leib kleben. Kein schöner Anblick.

Kate und Ryerson hatten einen Tipp erhalten und arbeiteten undercover, in der Hoffnung, dass die Männer auftauchen würden. Die Tarzana-Filiale glich den anderen sechs Banken im San Fernando Valley, die in den letzten zwei Monaten von den sogenannten Business-Banditen überfallen worden waren. Das frei stehende Gebäude lag in einem großen Wohngebiet, nur einen Häuserblock entfernt von einer Autobahnauffahrt und einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt.

Kate wusste, dass ein dritter »Geschäftsmann« in einem Wagen auf dem Parkplatz wartete. Und sie wusste auch, dass ein Einsatzkommando des FBI um die Ecke bereitstand.

»Was soll ich tun?«, fragte sie den Mann, der sich Profi nannte.

»Einfach sitzen bleiben und hübsch aussehen. Und so läuft die Sache, Schätzchen: Mein Partner wird deinem Boss befehlen, mit dem Rucksack zum Tresorraum zu gehen und ihn dort mit Bargeld zu füllen. Wenn er sich weigert, jage ich dir eine Kugel in die Brust. Mein Partner wird mit dem Geld die Bank verlassen, und ich werde noch eine Weile hierbleiben und mit dir flirten. Sollten Farbpäckchen explodieren oder die Alarmanlage losgehen, werde ich dich erschießen. Geht alles glatt, stehe ich auf und verschwinde, und niemandem wird etwas geschehen. Bleib einfach ganz ruhig, dann wird alles bald vorüber sein.«

Genau das Gleiche hatte er den Frauen in den anderen Banken erzählt, die von den Business-Banditen überfallen worden waren. Profi suchte sich immer eine junge Frau mit tiefem Ausschnitt aus und bedrohte sie mit seiner Waffe. Aus diesem Grund trug Kate den Push-up-BH – sie hatte es darauf angelegt, seine Zielperson zu sein.

Kate schielte an Profi vorbei in die Empfangshalle auf die Kassierer. In der Bank befanden sich sieben Kunden: Vier standen an den Schaltern, und drei hatten sich davor angestellt. Niemand schien zu bemerken, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Ryerson verließ den Mann mit der Sonnenbrille und trug den Vuitton-Rucksack in den Tresorraum.

Kates iPhone vibrierte auf dem Schreibtisch, und auf dem Display erschien der Anrufername JAMESBOND.

»Ignorieren«, befahl Profi. »Schau mich an.«

Kate richtete ihren Blick wieder auf Profis sorgfältig gepflegten Dreitagebart, der sich dunkel auf seinen hageren Wangen und seinem kantigen Kinn abzeichnete. Das Telefon verstummte. Nach fünfzehn Sekunden begann es wieder zu summen. James Bond gab nicht so leicht auf.

»Das nervt«, sagte Profi. »Darfst du während der Arbeitszeiten private Gespräche entgegennehmen?«

»Wenn sie wichtig sind.«

Das Telefon vibrierte weiter.

»Schalt es aus«, befahl Profi. »Sofort.«

Kate stellte das iPhone ab. Kurz darauf klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.

»Das gefällt mir nicht. Los, steh auf. Wir gehen raus.«

»Das ist doch nur ein Anruf«, wandte Kate ein. »Wahrscheinlich von meiner Mutter.«

»Aufstehen!«, sagte er. »Beweg dich! Wenn irgendjemand auf dich zukommt, erschieße ich zuerst dich und dann alle anderen, die mir in die Quere kommen. Verstanden?«

Das hörte sich nicht gut an. Schließlich gingen hier ständig Kunden ein und aus, und es bestand jederzeit die Möglichkeit, dass jemand unabsichtlich ihren Weg kreuzte.

»Soll ich meine Handtasche mitnehmen?«

»Nein.«

»Aber sieht es nicht merkwürdig aus, wenn ich die Bank ohne meine Tasche verlasse?«

»Wo ist sie?«

»In der rechten unteren Schublade.«

»Bleib, wo du bist. Ich werde die Schublade öffnen. Und du rührst dich nicht von der Stelle.«

Der Mann ließ Kate nicht aus den Augen, während er um den Schreibtisch herumging. Er hielt die Sig in der rechten Hand und bückte sich, um mit der linken die Schublade aufzuziehen. Kate nützte den Augenblick, in dem er kurz abgelenkt war, und schlug ihm mit voller Wucht die PC-Tastatur ins Gesicht. Seine Augen wurden ausdruckslos, die Waffe fiel ihm aus der Hand, und aus seiner zertrümmerten Nase schoss Blut. Bewusstlos krachte er auf den Boden.

Kate hob die Halbautomatik auf und richtete sie auf Profis Partner im Büro des Filialleiters.

»FBI!«, brüllte sie. »Bleiben Sie stehen, und legen Sie die Hände auf den Kopf!«

Der Mann mit der Sonnenbrille gehorchte erschrocken. Alle anderen in der Bank erstarrten ebenfalls, aufgeschreckt durch ihren plötzlichen Ausbruch und schockiert von dem Anblick der Waffe in ihrer Hand.

Mit gezückter Waffe rannte Ryerson aus der Tresorkammer. Unter seinen Armen zeichneten sich große Schweißflecken ab, und er wirkte verwirrt. »Was ist passiert?«

»Ich musste zu Plan B übergehen«, erklärte Kate. Sie wandte sich den Kunden in der Bank zu. »Bitte beruhigen Sie sich. Wir haben die Situation vollkommen im Griff. Sie befinden sich nicht in Gefahr.«

Das Telefon auf Kates Schreibtisch klingelte schon wieder unaufhörlich. Sie zielte weiter auf den Sonnenbrillen-Gangster im anderen Büro und hob mit der anderen Hand den Hörer ab.

»Was?«

»Spricht man etwa so mit James Bond?«

»Du bist nicht James Bond.«

Es war Nick Fox, und Kate musste sich eingestehen, dass er ihrer Meinung nach James Bond sehr ähnelte. Er war zwar ein wenig jünger und stand meist auf der anderen Seite des Gesetzes, aber er war ebenso brandgefährlich und genauso sexy.

Fox war ein Schwindler und Dieb von Weltrang. Kate hatte ihn vier Jahre lang gejagt und endlich geschnappt, doch dann hatten ihr Boss Carl Jessup und der Stellvertretende Direktor des FBI, Fletcher Bolton, ihm die Flucht ermöglicht. Im Gegenzug für seine vorläufige Freiheit hatte Nick sich bereit erklärt, seine einzigartigen Fähigkeiten zu nützen, um Großkriminelle zu schnappen, an die das FBI mit konventionellen Methoden nicht herankam.

Kate war gegen ihren Willen damit beauftragt worden, Nick dabei zu helfen, diesen bösen Jungs das Handwerk zu legen. Und gleichzeitig sollte sie dafür sorgen, dass Nick seine Verbrecherkarriere nicht wieder aufnahm. Da das FBI Nick nicht ständig überwachte und er zwischen den Aufträgen auch keinen Peilsender tragen musste, blieb es Kate überlassen, wie viel Spielraum sie ihm zugestand. Sie hatte schon seit ein paar Tagen nicht mehr mit ihm gesprochen.

»Habe ich dich gerade zu einem ungünstigen Zeitpunkt erwischt?«, fragte Nick.

»Ja. Was willst du?«

»Ich habe es nicht getan.«

Kate schwieg einen Moment lang. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber was auch immer er meinte, er hatte es zumindest nicht getan. Das war doch gut, richtig?

»Ich bin gerade beschäftigt«, erklärte sie.

»Kein Problem. Ich wollte dich das nur rasch wissen lassen.«

Kate legte auf, und sofort klingelte das Telefon wieder. Es war Carl Jessup.

»Ihr Mobiltelefon funktioniert nicht«, sagte er.

»Das liegt daran, dass ich mich gerade mitten in einer Art Banküberfall befinde.«

»Wir haben ein großes Problem«, fuhr Jessup in seinem ausgeprägten nasalen Kentucky-Akzent fort. »Nicolas Fox hat gestern einen Matisse im Wert von fünf Millionen Dollar aus dem Gleaberg-Kunstmuseum in Nashville gestohlen.«

»Sind Sie sicher, dass das Nick war?« Sie beobachtete, wie Ryerson das Einsatzkommando rief und dem Ray-Ban-Räuber Handschellen anlegte.

»Ich habe Ihnen soeben ein Foto von den Sicherheitskameras des Museums geschickt.«

Kate schaltete ihr Telefon an und lud das Bild hoch. Es zeigte einen Mann in einem übergroßen Kapuzenpullover mit einem Gemälde unter dem Arm. Das Gesicht des Mannes war teilweise von der Kapuze verdeckt, aber was sie sah, reichte aus, um Nick zu erkennen.

»Ich habe Nick noch nie in einem Kapuzenpullover gesehen«, sagte Kate.

»Seine modischen Vorlieben interessieren mich nicht«, entgegnete Jessup.

»Ich wollte darauf hinweisen, dass Nick seine Kleidung in der Savile Row maßschneidern lässt und nicht in Outlet-Centern einkauft. Er würde niemals einen Kapuzenpullover von Old Navy tragen.«

»Er wollte sich der einheimischen Bevölkerung anpassen.«

»Wie hat er das Gemälde gestohlen?«, fragte Kate.

»Er ist am helllichten Tag in das Museum spaziert und hat es einfach von der Wand genommen.«

»Und wo liegt dabei der Witz?«

»Er ist damit entkommen.«

»Ja, aber das ist nicht der Grund, warum er stiehlt oder betrügt. Ihn lockt bei einem Verbrechen die Herausforderung oder die Person, die er beschwindelt. Was ist schon groß dabei, ein Bild einfach von der Wand zu nehmen? Das könnte jeder tun.«

»Vielleicht hat er die Kontrolle über seine Impulse verloren«, meinte Jessup. »Der Grund ist nicht wichtig – entscheidend ist, dass er es getan hat. Und damit unsere Vereinbarung missachtet hat.«

»Es ergibt einfach keinen Sinn. Hätte er tatsächlich unseren Vertrag brechen wollen, hätte er ein großes Ding abgezogen, ein gewagtes Gaunerstück, bei dem er Hunderte Millionen Dollar abgesahnt hätte. Das ist eine Nummer zu klein für ihn.«

»Fünf Millionen Dollar sind nicht gerade ein Klacks«, widersprach Jessup. »Er war mit unseren Aufgaben zu sehr beschäftigt, um einen aufwendigen Coup zu planen, also hat er sich mit etwas leichter Verfügbarem zufriedengegeben.«

Kate dachte darüber nach, während sie durch die zweiflügelige Glastür der Bank einen Blick nach draußen warf. Die bewaffneten und mit schusssicheren Westen ausgestatteten Agenten des Einsatzkommandos umstellten einen BMW und zogen den Fahrer hinter dem Lenkrad hervor. Für die drei Typen, die gerade verhaftet wurden, wären fünf Millionen Dollar wahrscheinlich der Jackpot, aber das galt nicht für einen Meisterdieb wie Nick Fox. Während ihres ersten gemeinsamen Auftrags hatte er die Chance gehabt, mit einer halben Milliarde Dollar zu flüchten, und hatte der Versuchung widerstanden. Das fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Ganz abgesehen davon, dass er sie gerade angerufen hatte. Vermutlich hatte er sich auf diesen Diebstahl bezogen, als er behauptete, es nicht getan zu haben.

»Nick ist schlau und umsichtig«, sagte sie. »Warum sollte er sich von einer Kamera erwischen lassen?«

»Um uns den Stinkefinger zu zeigen. Das Gleaberg-Museum liegt nur einen Häuserblock vom Büro des Sheriffs von Davidson County entfernt. Er wollte es uns ganz bewusst unter die Nase reiben.«

Das hörte sich für Kate schon eher nach Nick Fox an. Es erforderte ein gehöriges Maß an Dreistigkeit, in direkter Nähe von Hunderten Polizisten ein Gemälde aus einem Museum zu stehlen. Trotzdem war sie noch nicht überzeugt.

»Ich möchte, dass Sie sofort nach Nashville fliegen und ihn schnappen.« Jessup legte auf.

Kate seufzte tief, legte den Hörer auf und steckte ihr iPhone in die Tasche. Sie warf einen Blick auf Profi, der vor ihr auf dem Rücken lag und aus der Nase blutete. Seine Augen waren offen, aber er starrte immer noch ins Leere.

»Hey«, sprach sie ihn an. »Alles in Ordnung?«

»Ich weiß es nicht. Wie sehe ich aus?«

»Wie ein Unfallopfer.« Sie steckte seine Waffe in ihren Hosenbund und half dem Bankräuber auf die Beine. »Vorwärts.«

Kate übergab Profi dem Einsatzkommando und ging zu Ryerson hinüber.

»Was ist los?«, fragte Ryerson.

Sie zog ihr Telefon heraus und zeigte ihm das Foto. »Fox ist wieder aufgetaucht.«

»Hast du ein Glück.«

Kate ging zu ihrem Wagen, einem weißen Ford Crown Victoria, den sie bei einer Auktion der Polizei von Los Angeles erstanden hatte. Wie viele FBI-Agenten hatte auch sie immer eine Reisetasche mit Kleidung und Toilettenartikeln im Kofferraum. Die Tasche befand sich bereits seit drei Monaten dort drin, und ihre Klamotten rochen inzwischen sicher genauso wie der Ersatzreifen, aber sie konnte direkt zum Flughafen fahren und den nächsten Flug nach Nashville nehmen. Aber vorher musste sie noch mit Nick sprechen.

Er meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Remington Steele, zu Ihren Diensten.«

»Remington Steele? Sehr witzig.«

»Klingt das zu platt?«

»Ich dachte, du gibst dich heute als James Bond aus.«

»Ich versuche eben, interessant zu bleiben.«

»Möglicherweise übertreibst du es damit ein wenig.«

»Alles, was ich in letzter Zeit unternommen habe, habe ich gemeinsam mit dir gemacht«, erklärte Nick.

»Nicht alles.«

»Versucht habe ich es schon, ein Mann hat schließlich seine Bedürfnisse.«

Vor nicht allzu langer Zeit hatten Fox’ anzügliche Bemerkungen Kate auf die Palme gebracht. Jetzt stellte sie verärgert fest, dass es ihr sogar Spaß machte.

»Wo bist du?«, wollte sie wissen.

»Auf meiner Jacht.«

»Du hast eine Jacht?«

»Diese Woche schon.«

»Ich nehme an, in irgendeinem Land, wo die Sonne scheint und es kein Auslieferungsabkommen gibt.«

»Marina del Rey.«

»Tatsächlich?«

»Überzeug dich selbst.« Er gab ihr die Nummer der Bootsanlegestelle.

2

Die schimmernde, in Italien gebaute Jacht am Ende des Docks war vierundzwanzig Meter lang, und ihre schnittigen und kühn geschwungenen Linien deuteten darauf hin, dass der Besitzer vermögend war und gern in Bewegung blieb. Nick stand auf der Flybridge, nippte an einem Glas Champagner und sah zu, wie Kate den Kai entlangmarschierte. Er strahlte Gelassenheit und eine natürliche Eleganz aus, was durch seine Pilotenbrille, das weiße Leinenhemd und die verwaschene Baumwollhose noch unterstrichen wurde. Der Seewind zerzauste sein braunes Haar; er wirkte ganz und gar nicht wie ein Mann, der befürchtete, schon bald wieder hinter Gittern zu sitzen.

Kate erreichte die Jacht und schaute zu ihm nach oben. »Woher hast du das Boot?«

»Es gehört einem Scheich, einem Playboy, der sich hobbymäßig als Filmemacher betätigt und auf diese Weise das Geld seiner durch Öl reich gewordenen Familie verprasst. Das hier ist sein Domizil, wenn er in L. A. Filmproduzent spielt. Ich beaufsichtige die Jacht für ihn.«

»Weiß er das?«

»Nein, aber bestimmt wäre es gut für seinen Seelenfrieden, wenn er wüsste, dass sich jemand liebevoll um sein Boot kümmert.«

Sie ging an Bord und stieg zur Flybridge hinauf, wo sich eine Bar mit Spüle, ein Grill und ein Sofa in U-Form befanden. Davor stand ein Tisch aus Teakholz mit einer Platte voll Shrimps.

»Woher kennst du den Scheich?« Sie nahm ein Glas Champagner entgegen.

»Er hat in einen meiner Filme investiert.«

»Du drehst keine Filme.«

»Das war ja der Spaß an der Sache.« Er deutete mit seinem Glas auf ihr Outfit. »Du siehst aus wie eine Bankerin, die sehr stolz auf ihre Aktivposten ist.«

»Ich habe verdeckt ermittelt«, erklärte Kate.

»Und den Business-Banditen eine Falle gestellt. Hast du sie erwischt?«

»Ja.« Sie nahm sich eine Garnele von der Platte auf dem Teakholztisch und stippte sie in die Cocktailsoße. »Woher weißt du, dass ich hinter ihnen her war?«

»Ich bemühe mich, immer auf dem Laufenden zu sein.«

Verstohlen schielte er auf ihr Dekolleté, als Kate versehentlich eine Garnele herunterfiel und dort hineinrutschte.

»Gut gefangen.« Nick grinste.

Sie schaute nach unten, fischte die Garnele aus ihrem Ausschnitt und warf sie ins Wasser. »Ich wusste, dass sich diese Brüste irgendwann als nützlich erweisen würden. Ich nehme an, du bist über den gestrigen Diebstahl eines Matisse-Gemäldes in Nashville im Bilde?«

»Das war ich nicht. Meiner Meinung nach war das ein Gelegenheitsverbrechen. Ein Ladendiebstahl der Extraklasse.«

Kate zeigte ihm das Foto auf ihrem Handy. »Das bist doch du.«

»Das ist jemand, der sich für mich ausgegeben hat und damit meinen Ruf ruiniert.«

»Und dir ein Verbrechen in die Schuhe schiebt.«

Nick winkte ab. »Ich stehe ohnehin auf der Fahndungsliste. Allerdings nervt es mich, dass dieser Raub den Anschein erweckt, ich befände mich in einer verzweifelten Lage und würde schlampig arbeiten. Das ist offensichtlich eine List, um das FBI auf eine falsche Fährte zu locken, während der Dieb sich in aller Ruhe aus dem Staub macht. Aber es dürfte uns nicht allzu schwerfallen, den Kerl zu schnappen.«

»Ein ›uns‹ gibt es in diesem Fall nicht.« Sie steckte ihr Telefon wieder ein. »Ich werde mich darum kümmern.«

»Aber er hat mich in Verruf gebracht.«

»Du hast keinen guten Ruf zu verlieren, und außerdem solltest du dich lieber von Nashville fernhalten – dort sucht im Augenblick jeder Polizist nach dir.«

Allerdings verstand Kate, warum er bereit war, dieses Risiko einzugehen. Er dachte wie ein Schwindler und Dieb und nicht wie jemand, der heimlich für das FBI arbeitete. In seinem Berufsfeld hatte er sich seinen Status in der Unterwelt durch seine Verbrechen erworben, er war eine Berühmtheit unter seinen Kollegen. Vor allem unter denjenigen, die weniger begabt waren als er. Sein Status hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Qualität der Leute, die er für seine Coups anheuerte, und auf die Käufer, die er bei den seltenen Gelegenheiten suchte, wenn er sein Diebesgut veräußern wollte.

»Du brauchst meine Hilfe, um ihn zu fassen«, behauptete Nick.

»Nein. Böse Jungs zu schnappen ist mein Beruf. Dich habe ich auch gekriegt, schon vergessen?«

»Es macht dir großen Spaß, mich immer wieder daran zu erinnern.«

»Stimmt.« Kate nahm sich noch eine Garnele.

Auf dem Weg zum Flughafen rief Kate Jessup an und sagte ihm, dass ihrer Meinung nach jemand Nick die Sache anhängen wollte. Als sie ihm schilderte, dass Nick nicht auf der Flucht war, sondern sich in L. A. auf der teuren Jacht eines seiner früheren Opfer aufhielt, hatte sie ihren Boss überzeugt.

»Ich bin erleichtert, dass Nick es nicht war«, sagte Jessup. »Ihre verdeckten Operationen waren bisher sehr erfolgreich. Ich hätte das nur ungern abgeblasen. Finden Sie den Clown, der diesen Diebstahl begangen hat, und zwar schnell. Sie werden bereits in unserem Büro in Nashville erwartet. Dort wird man Ihnen alles zur Verfügung stellen, was Sie brauchen.«

Kate nahm einen Nonstop-Flug um 14.30 Uhr und verbrachte die vier Stunden bis Nashville damit, über den gestohlenen Matisse nachzudenken.

Nach ihrer Erfahrung gab es zwei Motive, um ein solches Meisterwerk zu stehlen: Geld und Besitz.

Manchmal wurde ein Gemälde gestohlen, weil es ein Vermögen wert war. Meist handelte der Dieb aus einem Impuls heraus und hatte keine Ahnung, wie er das Bild später verkaufen sollte. Solche Diebe wurden meist recht schnell geschnappt. Falls sie davonkamen, versteckten sie das Kunstwerk in ihrer Garage, warfen es in einen Müllcontainer oder gaben es anonym zurück. Aber so jemand würde sich nicht die Mühe machen, sich als Nick Fox auszugeben.

In anderen Fällen wurden Kunstwerke gestohlen, um sie anschließend sofort dem Eigentümer oder der Versicherung gegen Lösegeld anzubieten. Das war wohl die häufigste Vorgehensweise, und der Dieb war dabei oft erfolgreich. Sammler wollten meist lieber ihre Bilder zurückbekommen, als den Dieb seiner gerechten Strafe zuführen. Wenn die Besitzer kontaktiert wurden, zahlten sie den geforderten Betrag und ließen das FBI im Dunkeln, bis sie ihre Gemälde zurückbekamen.

Gestohlene Kunstwerke wurden auch als Pfand verwendet. Kate wusste, dass Gauner, die knapp bei Kasse waren, Bilder von unschätzbarem Wert stahlen, um sie bei Drogen- und Waffengeschäften als Sicherheit zu hinterlegen. Ein ungerahmtes Bild war vergleichbar mit einem LKW voller Goldbarren, aber es ließ sich leichter befördern und über Grenzen schmuggeln. Gemälde, die für solche Zwecke gestohlen wurden, wanderten oft jahrelang auf dem Schwarzmarkt umher, ohne jemals an einer Wand zu hängen. Wenn sie überhaupt wieder auftauchten, dann meist als unerwarteter Fund bei einer Polizeirazzia bei Gangs, Terroristen oder Drogen- und Waffenhändlern.

Und dann gab es noch Auftragsdiebstähle. Einige unverschämt reiche und mächtige Leute besaßen Einkaufslisten mit berühmten Kunstwerken, die sie für ihre persönlichen, sehr privaten Sammlungen haben wollten. Wenn sie einmal ein Meisterwerk ergattert hatten, war es für immer von der Bildfläche verschwunden. Kate und Nick hatten erst vor Kurzem einen solchen Sammler in einem aufwendigen Undercovereinsatz zur Strecke gebracht.

Sehr selten anzutreffen war der Wunsch nach Besitz. Der Dieb stahl das Gemälde für seine eigene Sammlung. Zu dieser Gattung gehörte Nick hin und wieder.

Und jetzt, wo sie darüber nachdachte, erkannte sie, dass Nick ein einzigartiger Dieb mit einem ganz eigenen Motiv war. Nick stahl, weil es ihm Spaß machte und ihn erregte, und weil er ein Talent dafür besaß.

Was also war das Motiv für diesen Kunstraub? Der Dieb hatte sich verhalten wie ein Amateur, der aus Besitzgier handelte und einen wertvollen Gegenstand mitnahm, weil er leicht zu entwenden war. Aber sich als Nick Fox auszugeben, zeigte, dass der Dieb sehr raffiniert vorging und über die Verbrecher Bescheid wusste, die in der obersten Liga spielten. Das sprach gegen reine Habgier.

Wenn das Gemälde gestohlen worden war, um Lösegeld zu erpressen, hatten die Diebe sicher bereits Kontakt mit dem Museum aufgenommen oder würden es bald tun. Kate musste die Verwaltungsangestellten an den Schlüsselstellen im Auge behalten, damit ihr keine verdächtigen Aktionen verborgen blieben.

Ein Dieb, der das Gemälde als Pfand verwenden wollte, würde keine Zeit auf ein einfallsreiches Täuschungsmanöver verwenden, um Nick die Tat in die Schuhe zu schieben. Ihm ging es ausschließlich um den Marktwert des Bildes. Und Superreiche mit Wunschlisten von Meisterwerken erwarteten Diskretion von den Dieben, die sie anheuerten, und hätten kein Verständnis für einen Blick des Täters in die Kamera, auch wenn das nur der Irreführung dienen sollte. Also schloss Kate einen Auftragsdiebstahl aus.

Wenn sie vorläufig einen Raub aus rein materiellen Gründen ausschloss, blieb nur noch der Wunsch nach Besitz übrig. Dann musste es sich um einen Weltklassedieb handeln, der in der gleichen exklusiven Liga spielte wie Nick. Und das gab ihr zu denken: Wusste Nick vielleicht mehr über dieses Verbrechen, als er zugab?

»Es fällt mir schwer, Mitgefühl für Big Mike aufzubringen«, sagte FBI Special Agent Maxine Cutler.

Cutler chauffierte Kate zum Büro des FBI in Nashville, das drei Kilometer nördlich vom Flughafen lag. Die Agentin hatte bereits am Gate gewartet, als das Flugzeug um 20.45 Uhr gelandet war. Sie war eine kräftig gebaute Frau Mitte dreißig, die aussah, als könne sie einen Kanaldeckel wie ein Frisbee durch die Luft schleudern.

»Wer ist Big Mike?«, fragte Kate.

»Michael Gleaberg. Ihm gehört das Museum, aus dem das Bild entwendet wurde. Geschieht ihm ganz recht. Big Mike hat in den Siebzigern und Achtzigern einige der größten Country-Stars des Landes entdeckt und gemanagt und ist damit stinkreich geworden. Er hielt Ausschau nach jungen Leuten mit großem Talent und geringer Schulbildung und ließ sie Verträge unterschreiben, mit denen sie ihm alles außer ihrer Seele verkauften. Und dann machte er sie berühmt, indem er DJs bestach, ihre Songs zu spielen. In den späten Neunzigern steckte er bis über beide Ohren in einem gewaltigen Schmiergeldskandal, aber das FBI konnte ihm nichts nachweisen.«

Sie fuhren unter einer Autobahnbrücke an der I-40 hindurch und gelangten in eine Gegend mit Lagerhallen, Bürogebäuden und Flughafenhotels.

»Er hat sich die Hände nie selbst schmutzig gemacht«, fuhr Cutler fort. »Dafür hatte er immer seine Handlanger, die dann an seiner Stelle im Knast landeten. Seine Firma wurde auf Summen in Millionenhöhe verklagt und von der Musikindustrie ausgeschlossen, aber das war ihm egal. Seine Klienten waren bereits Stars, also konnte er sich gemütlich zurücklehnen und den Löwenanteil ihrer Einnahmen einstreichen.«

»Und davon hat er sich dann Kunstwerke gekauft«, ergänzte Kate.

»Ja, und zwar aus einem bestimmten Grund.« Cutler lenkte den Wagen auf den Parkplatz vor einem zweistöckigen Bürogebäude. Lediglich die Flaggen der USA und von Tennessee vor dem Eingang deuteten darauf hin, dass es sich hier um eine Regierungsbehörde handelte. »Die Großen der Branche an den Küsten behandelten ihn wie einen dummen Hinterwäldler, und er glaubte, sich bei ihnen Respekt verschaffen zu können, wenn er sich einige Werke von Picasso, Rembrandt und Matisse an die Wände hängte.«

»Hat es funktioniert?«

»Es kam niemand zu ihm, um sich die Gemälde anzusehen. Also baute er das Museum, stellte dort seine besten Werke aus und nannte es in Anlehnung an das Getty Center und das Guggenheim-Museum das Gleaberg.«

»Wie bescheiden«, sagte Kate.

»An Big Mike ist nichts bescheiden. Er trägt den größten Stetson, den es zu kaufen gibt, und eine silberne Gürtelschnalle von der Größe einer Servierplatte, auf der ein Truthahn Platz hätte.« Cutler zog den Zündschlüssel aus dem Schloss und reichte ihn Kate. »Dieser Wagen steht Ihnen während Ihres Aufenthalts zur Verfügung. Sie wohnen gegenüber im Marriot Hotel. Wenn Sie vor dem Zubettgehen noch einen Happen essen oder ein Bier trinken wollen: In der Nähe ist das Darfons-Restaurant und ein Stück die Straße runter ein Fastfoodladen. Ich bringe Sie rasch durch die Sicherheitskontrolle und zeige Ihnen dann alles.«

Die Besichtigungstour endete in einem kleinen Konferenzraum, der Kate und ihrem Team zur Verfügung stand. Auf dem Tisch lagen einige schmale Aktenordner, ein Laptop, ein USB-Speicherstick und ein paar gelbe Notizblöcke.

»Das ist alles, was wir haben«, erklärte Cutler. »Die Aufnahmen der Überwachungskameras im Museum sind auf dem Stick abgespeichert, und in den Ordnern finden Sie die Zeugenaussagen, die allerdings nicht sehr umfangreich sind. Es ist alles so schnell gegangen, dass kaum jemand etwas beobachtet hat. Von den Beschreibungen des Diebs gleicht keine der anderen.«

Kate setzte sich und schob den USB-Stick in den Laptop. Auf dem Monitor erschienen aneinandergereiht die von den insgesamt acht Kameras aufgenommenen Bilder. Die Eingangshalle des Museums war hell, modern und luftig, und die großen Fenster boten einen Ausblick auf den Cumberland River. Es waren nicht viele Besucher da, und der Mann in dem Kapuzenpullover war leicht zu entdecken. Er wirkte entschlossen, als er das Museum betrat, wie jemand, der sein Ziel kannte und es auf direktem Weg ansteuerte, wobei sein Gesicht kein einziges Mal von den Kameras erfasst wurde.

Er marschierte in die Galerie mit dem Matisse, nahm das Bild mit lederbehandschuhten Händen vorsichtig von der Wand und ging auf dem gleichen Weg wieder hinaus. Einige Leute sahen ihm zu, aber niemand zeigte eine Reaktion. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen Angestellten des Museums. Wer sonst würde es wagen, einfach ein Gemälde von der Wand zu nehmen?

Als er sich zum Gehen wandte, wurde sein zum Teil verdecktes Gesicht kurz von einer Kamera erfasst. Es sollte aussehen, als hätte der Dieb einen Fehler gemacht, aber Kate ließ sich nicht täuschen. Der Mann sah tatsächlich aus wie Nick, und er wollte, dass das FBI das mitbekam.

Dann hastete er nach draußen auf die Straße, wo ein grauer neuerer Ford F-150 Pick-up wartete. Er legte das Bild auf die Ladefläche, warf eine Abdeckplane darüber und fuhr davon. Weder das Gesicht des Fahrers noch das Nummernschild des Wagens waren auf den Überwachungsbildern zu erkennen.

Eine Stunde lang sah Kate sich die Aufnahmen immer wieder an und versuchte, mehr über das Alter, die Eigenheiten und die Statur des Mannes herauszufinden. Der übergroße Kapuzenpullover und die schlabbrige Jeans ließen keine Rückschlüsse auf seine Figur zu. Er ging nicht wie Nick, der sogar noch entspannt wirkte, wenn er in Eile war. Der Mann in dem Kapuzenpullover bewegte sich schnell, aber ebenso mit einer gewissen Leichtigkeit und Anmut. Sonst fiel ihr nichts an ihm auf. Entweder gab es nichts, oder sie war zu müde, um es zu bemerken.

Kate wandte sich an Cutler. »Wie viele Agenten habe ich zu meiner Unterstützung?«

»Mit mir fünf«, antwortete Cutler.

»Einer von ihnen soll Gleaberg und den Museumsverwalter im Auge behalten.«

»Ein gewisser Alton Pruitt leitet das Museum. Glauben Sie, dass einer der beiden etwas mit der Sache zu tun hat?«

»Das würde ich nicht ausschließen, aber das ist nicht der Grund, warum wir sie beschatten sollten. Falls es eine Lösegeldforderung gibt, wird sie entweder bei Gleaberg oder Pruitt landen, und die betreffende Person wird sich dann merkwürdig und aufgeregt verhalten.«

»Verstehe!«

»Wir sollten dieses Video nach Quantico schicken und auf eventuelle digitale Veränderungen untersuchen lassen. Und dann brauchen wir eine Aufstellung aller Ford F-150 Pick-ups, die in den letzten achtundvierzig Stunden in diesem Bundesstaat gestohlen, gemietet oder verkauft wurden.«

»Noch etwas?«

»Das wär’s fürs Erste.«

Kate nahm die Akten an sich. Sie würde die Zeugenaussagen in ihrem Hotelzimmer bei einem Big Mac mit Pommes und einer Cola durchlesen, aber sie versprach sich nicht viel davon.

3

Das Gleaberg-Kunstmuseum sah aus wie eine fliegende Untertasse, die am Ufer des Cumberland River in ein Zirkuszelt gekracht war. Das Gebäude war von einem exzentrischen schwedischen Architekten entworfen worden, der eine Vorliebe für schwungvolle Formen ohne jeglichen baulichen Zweck hatte. Das kreisrunde Hauptgebäude des Gleaberg ragte über den Fluss hinaus und war mit einem mit zahlreichen dicken Metallseilen am Boden befestigten weißen Hightech-Segeltuch bedeckt.

Kate traf sich mit Alton Pruitt, dem Museumsdirektor, in der Empfangshalle. Der Mittvierziger war schlaksig und trug sein schwarzes Haar nach hinten gegelt.

»Nichts für ungut, Mr Pruitt«, sagte Kate, »aber Sie sehen ganz anders aus als die Museumsdirektoren, die ich bisher kennengelernt habe.«

»Das höre ich oft. Ich bin ein verhinderter Countrysänger, einer der wenigen ehemaligen Schützlinge von Big Mike, aus denen er keinen Star machen konnte. Also habe ich stattdessen Kunstgeschichte studiert und bin nach meinem Abschluss hier gelandet. An den Wochenenden trete ich mit einer Johnny-Cash-Coverband bei Hochzeiten und anderen Festen auf.«

Kate lächelte. Sollte sie jemals heiraten, würde sie diesen Mann für die Musik bei ihrer Trauung engagieren.

»Ich habe mir die Polizeiberichte durchgelesen«, sagte sie. »Ich möchte nicht vorschnell urteilen, aber die Sicherheitsmaßnahmen sind nicht ausreichend. Der Matisse war nicht durch ein Alarmsystem gesichert, und ich sehe keine bewaffneten Wärter.«

»Bewaffnete Wächter könnten eine Schießerei provozieren. Und was wäre das Ergebnis? Menschen und Gemälde könnten von Kugeln getroffen werden. Unser Alarmsystem wird nur nachts aktiviert. Es ist uns nicht in den Sinn gekommen, dass jemand am helllichten Tag ein Gemälde stehlen würde. Ab sofort werden natürlich alle Ausgänge bewacht.«

Kate ging ins FBI-Büro zurück und verbrachte Stunden damit, alle Ford F-150 herauszusuchen, die verkauft, gemietet oder gestohlen worden waren. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte sie mit ihrem Team eine Liste von über hundert infrage kommenden Pick-ups erstellt und davon dreizehn ausfindig gemacht. Keinen der Wagen, die sie geortet hatten, konnten sie jedoch in irgendeiner Weise mit dem Diebstahl in Verbindung bringen. Gegen zwanzig Uhr verließ sie das Büro und kehrte in ihr Hotelzimmer zurück.

Auf der Kommode war ein kleiner Fernseher angeschraubt, aber die Fernbedienung fehlte. Während sie in den Schubladen danach suchte, klopfte es an der Tür. Sie ging zur Tür und spähte durch den Spion. Im Gang stand Carl Jessup.

Kate erschrak. Sofort fuhr ihr der Gedanke durch den Kopf, dass er gekommen war, um sie zu feuern. Einen anderen Grund für sein persönliches Erscheinen konnte sie sich nicht vorstellen. Na toll. Sie wäre bereits beinahe aus der Navy geflogen, und nun wollte ihr das FBI einen Fußtritt verpassen. Bitte schön, aber ihre Windjacke würde sie auf jeden Fall behalten.

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und öffnete die Tür. »Wir sehen uns nicht oft bei einem Einsatz«, begrüßte sie ihn mit gezwungener Fröhlichkeit.

Beim näheren Hinsehen wurde ihr klar, dass nicht Carl Jessup vor ihr stand. Das war jemand, der eine Jessup-Maske trug. Verdammt! Kate zog den falschen Jessup mit einer Hand in das Zimmer und kickte ihm schwungvoll die Füße weg, sodass er krachend auf dem Boden landete.

»Das tut weh«, beklagte sich das Jessup-Double. »Das habe ich nicht kommen sehen. Du solltest wirklich an deinen Gastgeberqualitäten arbeiten.«

Kate richtete den Blick nach unten. »Nick?«

Er zog die Maske vom Gesicht. »Ich wollte dich überraschen.«

Sie schloss die Tür und sperrte sie ab. »Bist du verrückt geworden? Das FBI-Büro befindet sich direkt gegenüber.«

»Hätte ich dich lieber dort besuchen sollen?«

»Du sollst mich überhaupt nicht besuchen.«

»Warum nicht? Ich bin ein charmanter Mann. Und ich habe etwas, was ich dir unbedingt zeigen muss.«

»Wage es nicht, auch nur daran zu denken.«

»Das meine ich nicht.« Nick grinste. »Das kommt später. Ich habe dir eine Maske mitgebracht.«

»Ja, das sehe ich.«

»Sie besteht aus einer dünnen Schicht Harz. Ein Computer erstellt anhand von nur wenigen Aufnahmen eine detaillierte Gesichtskonstruktion, und dann wird die Maske mit einem 3D-Drucker angefertigt. Es ist lächerlich einfach, eine solche Maske herzustellen. Für dreihundert Dollar kann sich jeder so ein Ding online bestellen. Die Lieferung erfolgt innerhalb von achtundvierzig Stunden. Bei mir geht das natürlich noch schneller.«

»Das hättest du mir auch am Telefon sagen können. Kein Grund, um hierherzukommen.«

»Stimmt, aber du fehlst mir.«

Kates Herzschlag setzte eine Sekunde lang aus. Sie fehlte ihm! Meine Güte, reiß dich zusammen, befahl sie sich. Er ist ein Dieb und Betrüger!

Nick sah sich um. »Ich bin am Verhungern. Wo ist die Minibar?«

»In diesem Zimmer gibt es keine Minibar.«

Nick schleuderte seine Schuhe von den Füßen und streckte sich mit verschränkten Händen hinter dem Kopf auf dem Bett aus. »Wir sollten in ein anderes Hotel ziehen. Ich bin an einen gewissen Standard gewöhnt.«

»Dann musst du dir eine andere Unterkunft suchen. Ich habe keine hohen Ansprüche.«

Nick grinste und dirigierte sie mit dem Zeigefinger zu sich. »Komm her. Ich mag anspruchslose Frauen.«

Kate kniff die Augen zusammen und stieß einen Seufzer aus, bevor sie ihn musterte. »Was weißt du über den Gleaberg-Raub, was ich noch nicht weiß?«

»Nichts. Aber ich habe schon Geschäfte mit Big Mike gemacht. Vor einigen Jahren, gleich nach diesem Bestechungsskandal, habe ich ihn dazu gebracht, in einen erfundenen Satelliten-Radiosender zu investieren, indem ich ihm Sendezeit für seine Künstler versprach.«

»Und das hat er dir abgekauft?«

»Ich habe auf seine Gier und seinen Siegeswillen gesetzt. Er war immer noch wütend, weil die terrestrischen Radiosender sich weigerten, aber das Gerichtsurteil hinderte ihn nicht daran, Geschäfte mit einem Satellitensender zu machen. Mein Angebot vermittelte ihm das Gefühl, es auf diese Weise den Dreckskerlen heimzahlen zu können, die ihm einen Dämpfer aufgesetzt hatten. Er war das perfekte Opfer. Reich, unehrlich und gierig.«

»Um wie viel hast du und dein Team ihn erleichtert?«

»Um fünfzehn Millionen Dollar.«

»Er hat das nie bei der Polizei oder beim FBI angezeigt.«

»Natürlich nicht«, sagte Nick. »Das wäre viel zu demütigend für ihn gewesen. Je reicher das Opfer ist, umso größer sind seine Skrupel, zur Polizei zu gehen und zuzugeben, dass man ihn zum Narren gehalten hat.«

Sie schwiegen eine Weile, bis plötzlich jemand an die Tür klopfte.

»Zimmerservice?«, fragte Nick flüsternd.

Kate schüttelte den Kopf.

Es klopfte noch einmal. »Agent O’Hare? Hier ist Maxine Cutler.«

Rasch griff Nick nach seinen Schuhen und der Jessup-Maske, verschwand im Wandschrank und zog die Tür hinter sich zu.

Kate entriegelte das Sicherheitsschloss und spähte in den Flur.

»Kann ich reinkommen?«, fragte Cutler. »Es ist wichtig.«

»Klar.« Kate trat einen Schritt zur Seite.

»Wir haben eine Mitteilung von Interpol bekommen«, berichtete Cutler. »Nick Fox hat wieder zugeschlagen. Er hat letzte Nacht einen antiken, mit Juwelen besetzten Kelch aus dem Aykut-Demirkan-Museum in Istanbul gestohlen.«

»Woher weiß man, dass Fox der Täter ist?«

»Seine Fingerabdrücke wurden an einer Vitrine gefunden.« Cutler reichte Kate ein Kuvert. »Ihr Boss arbeitet sehr schnell. Er hat für Sie einen Flug nach Istanbul am frühen Morgen gebucht. Der juristische Attaché des FBI für Asien hat bei den türkischen Behörden bereits die Genehmigung für Ihre Reise eingeholt. Ihre Reiseroute und die Bordkarten finden Sie in dem Umschlag.«

Kate warf einen Blick auf die Bordkarten und stöhnte innerlich auf. Sechzehn Stunden Flug mit zweimal umsteigen. Touristenklasse.

»Ich gebe den Wagen und meine Waffen morgen früh um fünf im FBI-Büro ab«, sagte sie zu Cutler. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jemanden organisieren könnten, der mich zum Flughafen bringt.«

Cutler machte sich auf den Weg, und Nick kam aus dem Schrank hervor.

»Die Fingerabdrücke«, begann Kate.

Sie wusste, dass sich Fingerabdrücke sehr leicht nachmachen ließen. Für weniger als sechs Dollar konnte man online in China eine entsprechende Ausrüstung dafür bestellen. Aber zuerst brauchte man als Vorlage die echten Fingerabdrücke. Ein Polizeibeamter konnte sich theoretisch im IAFIS, dem FBI-System für integrierte, automatisierte Identifikation von Fingerabdrücken, Zugriff auf Nicks Abdrücke verschaffen, die bei seiner Festnahme gespeichert worden waren. Aber falls man das IAFIS nicht gehackt hatte – und das war bisher noch nie gelungen –, war jede Person registriert, die sich Nicks Fingerabdrücke angesehen hatte. Kate würde das überprüfen, aber sie bezweifelte, dass sie außer der Anfrage der türkischen Behörden, die einen Abgleich mit den Abdrücken im Aykut-Demirkan-Museum angefordert hatten, etwas finden würde. Also blieb nur noch eine Möglichkeit übrig.

»Wer auch immer hinter dieser Sache steckt, ist dir nahe genug gekommen, um Fingerabdrücke von dir oder einem von dir berührten Gegenstand zu nehmen«, fuhr Kate fort.

Nick ließ sich wieder auf das Bett fallen. »Das schließt alle Barkeeper, Kellner und Hotelangestellten ein, denen ich jemals begegnet bin.«

»Warum dieser Kelch?«, fragte Kate. »Was hat er mit dem Gemälde aus dem Gleaberg zu tun?«

»Nichts. Die einzige Verbindung bin ich.«

»Du bleibst in den Vereinigten Staaten, bis die Sache geklärt ist«, befahl Kate. »Du tauchst unter und verhältst dich wie ein Flüchtiger, der auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher steht. Das sollte dir nicht allzu schwerfallen … Schließlich bist du die Nummer sieben.«

4

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