Handstreiche - Volker Braun - E-Book

Handstreiche E-Book

Volker Braun

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Über welche Möglichkeiten verfügt unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Schriftsteller zum Eingreifen in den Lauf der Dinge? Ein mit allen literarischen Traditionen vertrauter Volker Braun bedient sich der bewährten Prosaformen, um diesem Zweck näherzukommen: Aphorismen, Dialogfetzen, Zitaten. In seiner Werkstatt entstehen Träume, Rätselhaftes, eigensinnige Wahrheiten, Beobachtungen zum schreibenden und fühlenden Ich und zur Welt.

Solche handstreichartigen Überfälle erfolgen in der Schelmenperspektive: Der Schelm gründet sein Denken und Handeln auf den plebejischen Umgang mit den Dingen, ungehobelte Einsprüche, Angriffe und Verteidigungen, Burlesken, Handgriffe, Fingerzeige, Rippenstöße.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 47

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Volker Braun

Handstreiche

Suhrkamp

Gebgierig will er sein; aber das sind nur Worte.

Inhalt

I Aus der Werkzeugtasche

Die Flut in der Leidsestraat

II Ausschreitungen auf dem Papier

IAus der Werkzeugtasche

Ohne Vorsicht und Sicherungen im Gesicht, ich blicke rundheraus. Man liest mir alles an den Zügen ab.

Die Habsucht der Augen. Meine Habseligkeiten.

Bei Sinnen sein: eigensinnig!

Flicks Realismus. Er wird von Fall zu Fall gerufen, er ist der Situation verpflichtet, keiner anderweitigen Ansicht.

Ein Werkzeug, das zur Hand ist: begreifen.

Flick gefallen die abgegriffnen, handgeschmiedeten Sachen. »Was fruchtbar ist allein ist wahr / Geselle dich zur kleinsten Schar.«

Das ödet ihn an: die Einäugigen, die Zweimäuligen, die Achtkantigen.

Wettre nicht allgemein und laß die Regeln, die nicht greifen.

Gefragt ist (bei Havarien) nicht der Wortführer, sondern der ruhig Hand anlegt.

»Arbeit ist die große Selbstbegegnung des Menschen.

Wüßte er sonst, wer er ist?« (Maurer)

Sich den Dingen geben: daß sie faßbar werden.

»Sammelt er das Wasser am Staudamm,

so sammelt er sich. Läßt er sich gehen,

so ist er nur Wasser, das verrinnt.«

Mit Anschauungen ist leicht hantieren, zumal im Weltmaßstab.

Es gibt die Wahrnehmer und Für-Wahrnehmer; das sind zwei verschiedne Gewerkschaften.

Man kann die Dinge erkennen, indem man sie ändert. Flick: indem man sie repariert; demontiert: und man kennt mit dem Ding die Welt.

Man nennt den Alten Meister, nicht unbedingt seiner Arbeit wegen, sondern wegen der sachlichen Art, mit der er dazu anhält. Macht es der Sache gemäß, sagt er. Der Baum läuft nicht nach seinen Blättern.

Was den Vielen nicht gelingt, muß der Eine machen.

Man kann es sich nicht aussuchen, aber man kann sich etwas herausnehmen.

Was erwartet ihr von mir? Widerspruch. Widersprüchliches werdet ihr hören.

Die Fabel der Stellplatz der Widersprüche. Ich weiß natürlich, daß es ein Schlachtfeld ist. Aber den Anstoß führe ich aus.

In Kalifornien wurde mir ein Stern angeheftet für den Einsatz beim Erdbeben 1989: nicht in San Francisco, in Berlin.

Wir stehen an der Abbruchkante der Geschichte. Unsere Erfahrung: die Verwerfung.

Es ist Zeit, die Gedanken zu sammeln, die du dir aus dem Kopf geschlagen hast.

Einst im schweren Sand die Kabel schleppend auf der Strosse. – Jetzt mit nackten Sohlen am Strand schlepp ich mich selbst.

Früher die Arbeitseinsätze. Jetzt die Attentate.

Je mehr ich weiß, desto mehr muß ich glauben.

Es werden immer raffiniertere Hilfsmittel erfunden, aber auch die einfachen tun noch Dienst; dies gilt nicht für den Rohrstock, den Weihrauch und die Gewißheit.

Er wartet nicht auf das Unglück. Aber er weiß, daß es kommt. Das ist sein guter Beruf.

Ich will davon nichts wissen. Es ist genug, daß ich die Ursache bin. Ich will die Folgen nicht tragen.

Es freuten ihn Sätze, die man wenden kann, um sie noch einmal, im Gegensinn zu verwenden. Auf auf zum Kampf / ihr Waffenlosen. Das waren wahre Muttern im Text. (Aber er mochte keine geschraubten Sätze.)

Worte wie Messer, wie Feilen, um den Sinn herauszuarbeiten. (Wiederum: nicht zu drechseln.)

Auch das Seil hat eine Seele: der Seiler weiß es.

Er wird gerufen, und er kommt. Ich komme (überhaupt nur) ungerufen. Und ich weiß nicht, was ich soll. Das ist das Pfund, mit dem ich wuchere.

Ihn umweht die Natur. Kühl, roh, brennend warm. Er darf ihr die besten Seiten abgewinnen. – Das darf man mir auch.

Er mag keine Maximen. Noch weniger Reflexionen. Handgriffe, Fingerzeige, Rippenstöße denkt Flick.

Maximen und Moritzen (: ich).

Da manche Werke verschüttet liegen, bedarf es gewisser Umwälzungen, daß sie wieder zutage treten.

Kohlevorkommen, Sprachvorkommen: die Ausbeute.

Man muß nicht alle Symptome aus den Verhältnissen kratzen, aber der Riß soll sichtbar werden.

Folgelandschaften, und -gesellschaften.

Wenn die großen Kunstwerke die Leitfossilien ihres Zeitalters sind, so wird man einst noch etwas Ernsthaftes über uns erfahren.

Jene neue, sachliche Art des Verfassens von Romanen, die in den Augen der größten Autoren das »Bild einer Fabrik in Tätigkeit« abzugeben hat, wird gleichwohl verfremdet durch die Stilllegung und den Abriß derselben. Man kann dabei leicht unsachlich werden und den Faden bzw. den Draht verlieren.

»Was lebt, ist vereinbar«, sagte mein Lehrer, der mein Lehrer nicht war; es handelt sich mehr um Reparaturen, Flickwerk, Rettungsversuche der unheilen Welt.

»Fehlte uns nichts, fehlte uns alles«, sagte er; und dem Tätigen, Liebenden muß der Satz gefallen.

Klinkenpost nannte Drescher das Zettelwesen, das er täglich an meine Tür pinnte, die er so, ohne weiter anzuklopfen, öffnete.

Wir kannten nützliche und schädliche Arbeit und wußten beizeiten, aber zu spät, zu unterscheiden. Seit aber die Proteste verraucht sind wie der Staat und alle seine Zeichen, wird das Elend gewürdigt als Naturereignis. Man schluckt den Dreck und nimmt das Gift.

Man geht mit der Mode; man trägt das Verhängnis.

Manche sagen, man muß diese Arbeit fallenlassen, oder sie verhungern lassen am nackten Arm. Aber sie findet noch genug Dumme, die nämlich Hunger haben.

Die andere Arbeit, das war eine Losung, als man welche hatte.

Jetzt, da so viel Unglück durch die menschliche Unnatur erklärt wird, wird seine Unvernunft interessant.

Landarbeit: Zweifel säen.

»Glücklich sein heißt ohne Schrecken seiner selbst inne werden können.« Benjamin: konnte es nicht. Ja, aber er konnte es sagen.

Einig sind wir uns mit jenen feineren Vorstellungen der Vorfahren, daß der Kommunismus nicht totalitär zu denken sei, sondern als etwas »Mittleres«, das erlaube, den Lebensalltag so locker zu gestalten, »wie ein gut ausgeschlafener, vernünftiger Mensch seinen Tag antritt«.

Was denn für ein Hunger? Wir hatten andere Appetite, als man mit einer Banane abspeist.

Aus der Oase der Utopien in die Wüste des Wohlstands.

Wenn die Widersprüche nicht mehr die Hoffnung sind, beginnt der Ernst der Geschichte.

In Wendezeiten zeigt sich der Grade.