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Hannes ist elf und keiner merkt, wie einsam er ist. Er spielt allein, er redet mit niemandem in der Schule, und zu Hause ist er eher ein Geräusch im Flur als ein Mensch. Die anderen Kinder sind längst in Gruppen sortiert. Hannes nicht. Dann geht er in den Wald. Es ist kein großer Moment. Kein Sturm, kein Blut, keine Monster. Nur ein normaler Vormittag, kaltes Gras, feuchte Luft, der Bach am Rand des Feldes. Und dann kommt der Nebel. Hannes findet den Weg zurück nicht mehr aber der Wald findet ihn. Etwas dort spricht ihn an. Nicht laut. Nicht drohend. Eher freundlich. Fast zärtlich. Es sagt Bleib. Ab da hört Hannes nicht nur Dinge, er fühlt Dinge. Der Wald sieht ihn. Der Wald antwortet. Der Wald hält ihn fest. Und Hannes versteht etwas, das niemand sonst versteht: Er muss nicht mehr allein sein. Von diesem Moment an beginnt die Geschichte, die das Dorf später flüstert: Kinder hören ihren Namen aus dem Nebel. Kinder gehen in den Wald. Kinder kommen nicht zurück. Die Erwachsenen reden von Unglück, von Unachtsamkeit, von tragischen Zufällen. Aber das ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass Hannes nicht böse ist. Er ist nur nicht mehr ganz er selbst. Und er will Freunde. Hannes – Wie alles begann erzählt nicht die Jagd nach einem Monster, sondern wie ein Kind langsam zu dem wird, wovor die anderen Kinder später gewarnt werden. Ein stiller Horror über Nähe, Bedürftigkeit, Besitz, und darüber, wie weit Einsamkeit gehen kann, wenn niemand hinschaut.
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Seitenzahl: 32
Veröffentlichungsjahr: 2025
Der Tag fing normal an. Also wirklich normal. Kein Donner, kein Schreien, kein Blut. Nur nasser Morgen, kaltes Gras unter den Socken und der Geruch von Brot aus der Küche. Mutter war drin. Ich war draußen. So lief das meistens.
Ich hatte meinen Stock dabei. Nennt ihn Schwert, nennt ihn Knüppel, ist egal. Es war mein Ding. Die anderen hatten irgendwann aufgehört mit mir rauszugehen. Zu alt dafür, sagen sie. Zu beschäftigt. Zu cool.
Also stand ich allein am Feldrand und tat so, als wären wir zu fünft.
Eins, zwei, drei, rief ich und zeigte mit dem Stock auf die Büsche. Keiner antwortete.
Hinter mir hing Wäsche. Die Hemden bewegten sich kaum. Kein Wind. Alles still. So still, dass man sein eigenes Atmen hört. Still ist gut, bis es zu still ist. Dann kippt es.
Ich ging den Pfad runter zum Wald. Disteln am Rand, alter Zaun, nasse Erde an den Knöcheln.
Der Wald war kühl und dunkel, aber normal dunkel. Tropfen. Käfer. Knacken. So klingt Leben. Das beruhigt.
Ich sprang über den Bach. Der Bach ist sonst laut. Heute nicht. Heute hat er eher gemurmelt. So ein Blubbern, als würde er jemandem was ins Ohr flüstern. Ich blieb stehen. Ich hörte hin. Es fühlte sich an, als würde der Bach über mich reden.
Ich ging weiter zur Lichtung. Da baue ich mir immer mein Lager. Zwei Zweige als Dach. Völlig sinnlos, aber es fühlt sich an wie ein Ort, der dir gehört. Ich setzte mich hin, legte Tannenzapfen in einen Kreis. Ich gab ihnen Namen. Lena. Paul. Tom. Marie. Und ließ einen Platz frei neben mir.
Ich redete nicht laut mit ihnen. So verrückt bin ich nicht. Ich tat nur so, als wären sie da und würden zuhören. Das ist was anderes.
Dann hat sich die Luft geändert.
Ich dachte erst, das ist Wind. War aber keiner. Es hat sich nicht bewegt wie Wind. Wind drückt. Das hier war mehr wie kalter Atem in den Nacken.
Ich drehte mich langsam. Die Bäume standen da, wo sie immer standen. Nur sahen sie plötzlich näher aus. Nicht weil sie sich bewegt haben. Mehr so, als wäre der Wald dichter geworden, ohne mich zu fragen.
Ich sagte leise meinen Namen. Nur um zu hören, ob meine Stimme normal klingt. Hannes.
Jemand sagte Hannes zurück.
Nicht laut. Nicht wie ein Mensch hinter mir. Mehr so, als hätte der Wald meine Stimme geklaut und durch ein nasses Tuch wieder ausgespuckt.
Mir wurde heiß im Gesicht. Das passiert, wenn du Angst kriegst, aber so tust, als hättest du keine.
Heim, dachte ich. Jetzt heim.
Ich ging den Pfad zurück. Rechts sollte der Grenzstein sein. Links der Baum mit der Beule in der Rinde, der aussieht wie ein Knie. Nur war der Stein heller als sonst. Und der Baum mit dem Knie war weg. An der Stelle stand ein anderer Stamm. Glatt. Jung. Falsch.
Das war der Moment, in dem ich gecheckt habe, dass es nicht nur komisch ist. Es ist falsch. Als hätte jemand mein Level neu geladen, aber die alten Sachen nicht wieder hingestellt.
Ich zog mit dem Stock eine Linie in den Boden. Wenn ich die wiederfinde, dachte ich, laufe ich im Kreis.
Ich lief los.
Zehn Schritte. Zwanzig. Fünfzig.
Ich roch nasse Erde. Pilz. Etwas Metallisches, das nicht hierher gehört. Meine Zunge schmeckte nach Metall. Metall im Mund heißt Stress.
Dann kam der Nebel.
Er war nicht plötzlich da. Er war einfach Teil von allem. Erst wie normaler Dunst. Dann blieb er genau auf meiner Augenhöhe hängen. Ich ging nach links. Er ging mit. Ich ging zurück. Er blieb vor mir.
Hallo, sagte ich leise.
Keine Antwort. Aber die Luft direkt vor mir hat gewackelt. So, als würde da jemand stehen und atmen.
