Bleib wach! - E.M Pulse - E-Book

Bleib wach! E-Book

E.M Pulse

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Beschreibung

Im Zeltlager am namenlosen See klopft es nachts an Hütte 3. Eine Uhr bleibt hartnäckig auf 22:10 stehen. Ein abgekoppeltes Telefon ruft an. Und in Zimmer 204 wartet Kreidestaub hinter einer Tür, die weiß, warum sie zu bleibt. Paul und Lena wollen nur die Tage zählen – doch manche Geräusche verlangen, ernst genommen zu werden. Zwischen Nebel, Spiegeln und einer lachenden Maske lernen sie, dass wach bleiben manchmal das Einzige ist, was hilft: zählen statt weglaufen, atmen statt antworten. Bleib wach ist ein atmosphärischer Jugendroman über Freundschaft, Mut und das Gedächtnis von Orten – leise, unheimlich, ohne Blut, aber mit Gänsehaut. Für alle, die Spannung mögen, die unter die Haut geht und lange nachklingt.

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Seitenzahl: 92

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Bleib wach

von E.M. Pulse

Widmung

Für alle, die nachts noch zählen.

Klappentext

Ein Zeltlager am See. Eine Hütte, die höflich klopft. Ein Bus, der in Nebel abbiegt. Und eine Uhr, die nicht aufhört, 22:10 zu sein. In zehn leise unheimlichen Kapiteln folgt »Bleib wach« Paul und Lena durch ein paar Tage, die sich weigern, normal zu bleiben.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Kapitel 1

Kapitel 1 – Das Klopfen an Hütte 3

Wenn etwas klopft, will es nicht immer rein. Manchmal will es, dass du zählst.

Die Nacht über dem Zeltplatz sah aus wie gemalt und wieder ausradiert. Keine Sterne, nur eine schwere Decke. Paul stand auf dem Holzsteg und sah zum See. Das Wasser lag glatt, als hätte es Angst, sich zu bewegen.

„Kommst du?“, rief Lena leise. Ihre Stimme war gedämpft, so als wisse sie, dass der Wald zuhört. „Gleich“, sagte Paul. „Der See ist komisch still.“ „Der See ist immer still, wenn man ihn anstarrt.“ „Nicht so.“

Sie trat neben ihn. Ihre Stirn glänzte im Licht der Taschenlampe, die sie nach unten hielt, damit die Nacht nicht beleidigt war. „Weber sagt, um zehn ist Nachtruhe“, murmelt sie. „Es ist nach zehn.“ „Dann sind wir jetzt leise.“

Vom Feuerplatz her kamen die letzten Blechbecherklapper. Weber räumte ohne Eile auf. Die anderen waren schon in den Zelten, zu zweit, zu dritt, Kichern, Zischen, Flüstern, dann Ruhe. „Hast du Hütte 3 gesehen?“, fragte Paul. „Nur von weitem. Ist abgesperrt.“ „Warum sperrt man eine Hütte ab, wenn sie niemand benutzt?“ „Damit sie niemand benutzt.“ „Sehr witzig.“

Lena tippte ihm gegen den Arm. „Du bist nervös.“ „Bin ich nicht.“ „Doch. Du redest zu ordentlich.“

Es war kalt geworden. Nicht mehr die fröhliche Kühle nach einem langen Tag, sondern diese trockene, schmale Kälte, die zwischen Pullover und Haut passt. „Geh schon vor“, sagte Paul. „Ich komme hinterher.“ „Wir gehen zusammen.“

Sie gingen am See entlang, über die Kiesel, die unter den Sohlen leise scharrten. Zwischen den Bäumen tauchte die Silhouette der Hütte auf. Ein langes, schmales Haus, Bretter dunkel vor Dunkel. Auf dem Schild stand die Zahl, die niemand mochte. 3.

„Ich dachte, das sei nur ein Witz, was die aus der Parallelklasse erzählt haben“, flüsterte Lena. „Ich auch.“ „Und?“ „Kein Plan. Ich will nicht heute rausfinden, dass es keiner ist.“

Jemand hatte rot-weißes Band quer über die Tür gespannt. Daneben hing ein Zettel in Plastik. Betreten verboten. Weber hatte heute beim Mittagessen gesagt, dass die Hütte alt sei und der Boden nachgäbe. Keiner solle rein. „Ich will nicht rein“, sagte Paul schnell. „Ich auch nicht. Wir gehen vorbei, wir gucken nicht, wir zählen nicht.“ „Wir zählen nie.“

Etwas knackte im Unterholz. Ein Tier. Oder ein Ast, der zurück in die Stelle wollte, an der er früher mal gewachsen war. Lena blieb stehen. „Hast du das gehört?“ „Ja.“ „Es war nichts.“ „Ja.“

Sie waren fast auf Höhe der Hütte, als es kam.

Klopf.

Es war nur ein Ton, aber er hatte die Form eines Fingers. Paul blieb stehen. Die Luft blieb stehen. Selbst die Taschenlampe schien kurz zu überlegen, ob sie jetzt ausgehen soll. „Das war der Wind“, sagte Lena. „Wind klopft nicht.“ „Doch. Wenn er will.“

Klopf. Klopf. Klopf.

Dreimal. Dazwischen kleine Pausen, wie jemand, der höflich sein will. Im Zeltlager sagte Weber oft: erst atmen, dann zählen. Paul atmete. Eins. Zwei. Dann zählte er. Eins. Zwei. Drei. „Das ist nicht komisch“, flüsterte er. „Das ist gar nicht komisch“, sagte Lena. „Wir gehen.“

Sie machten zwei Schritte, dann hörten sie ein helles Klicken. Nicht an der Tür, sondern nebenan. Die Hütte hatte ein kleines Fenster, das so schmal war wie ein Schlitz, und darin spiegelte sich für einen Atemzug ein Licht, das nicht von ihnen war.

„Weber?“, rief Paul leise in die Richtung, als könnte der Lehrer wie ein Fuchs aus einem Busch kommen. Keine Antwort. Nur der See, der so tat, als wäre er ein Teppich.

Klopf. Klopf. Klopf.

„Es reicht“, sagte Lena. „Wir gehen jetzt wirklich. Ich schwör.“ Paul nickte und setzte den Fuß auf den Kies. Er trat daneben. Seine Sohle rutschte an etwas Rundem ab. Er bückte sich und hob es auf. Ein Knopf, goldfarben, glatt, drei feine Kerben am Rand. „Den kenn ich“, sagte er. „Wieso?“ „Ich weiß nicht. Ich kenn nur das Gefühl, wenn man ihn in der Hand hat.“

Im Wald flackerte ein Licht noch mal auf, dann war es weg. Paul steckte den Knopf in die Jackentasche. „Nochmal klopft es nicht“, sagte er. „Oder?“ Die Hütte antwortete nicht. Das machte es schlimmer.

Sie gingen den Pfad zurück. Es roch nach nassem Holz und einem Lachen, das jemand vergessen hatte. Als sie an den Zelten waren, brannten keine Lichter mehr. Aus einem Zelt kam ein schlafendes Geräusch, das mehr nach See klang als nach Mensch. „Gute Nacht“, sagte Lena. „Und du träumst nichts mit Türen.“ „Ich träume nie mit Türen“, sagte Paul. „Nur mit Fenstern.“

Er kroch in seinen Schlafsack, drehte den Reißverschluss bis zum Kinn. Etwas an der Außenseite der Zeltwand strich kurz an seinem Arm entlang. Stoff auf Stoff. „Lena?“, flüsterte er durch die dünne Wand. „Hm?“ „War das du?“ „Nein. Ich liege ganz still.“

Er zählte die Zeltstangen. Eins. Zwei. Drei. Er schlief trotzdem ein.

Als er die Augen wieder öffnete, war es noch Nacht. Kein Vogel, kein Regentropfen, nur dieser dichte, schlafende Ton, den man manchmal in alten Häusern hört, wenn sie sich an den Hang drücken. „Was ist“, murmelte er. Niemand antwortete. Die Luft war schwer, aber nicht müde.

Klopf.

Sein Herz machte einen kleinen Fehler. Er hielt den Atem an. Seine Hand suchte die Lampe. Nichts. Er erinnerte sich, dass die Batterie leer war. Er erinnerte sich nicht, sie jemals leer gemacht zu haben. „Lena“, flüsterte er. „Ich bin wach“, flüsterte sie zurück. „Ich hab’s auch gehört.“ „Das war…“ „Ja.“

Klopf. Klopf. Klopf.

Jetzt klang es nicht mehr nach der Hütte. Es klang nach Stoff. Es klang nach Zeltwand, nach diesem dünnen Material, das Nähe sehr persönlich nimmt. „Nicht aufmachen“, sagte Lena. „Ich mach doch nicht auf“, flüsterte Paul. „Ich hab nicht mal Hände.“

Sie lagen ruhig. Irgendwo knackte eine Wurzel in der Erde, als wüsste sie, dass über ihr jemand nicht schlafen will. „Zähl“, sagte Lena. „Ich kann nicht zählen, wenn es mitzählt.“ „Dann atme.“ Paul atmete. Eins. Zwei. Die Stille atmete mit.

„Es ist weg“, flüsterte Lena nach einer Weile. „Ja“, sagte Paul. „Für jetzt.“

Er dachte an den Knopf in seiner Jacke. Er fühlte ihn mit den Fingern, ohne hinzusehen. Glatt. Kühl. Die drei Kerben am Rand waren so fein, dass sie eher wie Striche fühlten als wie Kerben. Er zählte sie. Eins. Zwei. Drei. Er schlief wieder ein, ohne dass er es wollte.

Am Morgen roch es nach Rauch und Tee. Weber stand am Feuer und rührte in einem Topf, als kochte er Wetter. „Guten Morgen, ihr zwei“, sagte er, ohne hochzusehen. „Ruhige Nacht?“ „Super“, sagte Lena. „Geht so“, sagte Paul. „Geht so ist mein Lieblingswort“, sagte Weber und lächelte in seinen Topf. „Da passt alles rein, was man nicht erklären will.“

Die anderen kamen aus den Zelten, Gesichter verknittert, Stimmen kratzig. Jemand fluchte über eine nasse Socke. Jemand anders suchte einen Becher, den er vorhin noch in der Hand gehalten hatte. Paul sah zur Hütte. Im Morgenlicht sah sie älter aus. Die Fenster waren blind. Der Zettel am Band war feucht. „Wir bleiben heute am Nordufer“, erklärte Weber laut. „Keine Boote, kein Klettern, kein Ich-dachte-das-sei-lustig. Frühstück, dann Stationslauf. Hütte 3 bleibt tabu.“ Ein paar grinsten. Ein paar kicherten. Einer hob die Hand. „Was ist Hütte 3?“ „Eine Hütte“, sagte Weber. „Die dritte.“

Lena schlürfte Tee. Ihre Augen wirkten wach und müde gleichzeitig. „Sag’s ihm?“, murmelte sie. „Nein“, sagte Paul. „Nicht vor allen.“

Später, als die Gruppe bereits am Ufer stand und mit dicken gelben Schwämmen die Kanus auswischte, ging Paul zum Lehrer. „Herr Weber?“ „Ja?“ „Heute Nacht hat es geklopft.“ Weber hörte nicht auf, den Gurt eines Kanus zu prüfen. „Tut es oft.“ „Nicht am Zelt.“ „Am Zelt nicht so oft.“

Paul wartete, bis er ihn ansah. „Sagen Sie jetzt, ich habe mir das eingebildet?“ Weber schüttelte den Kopf. „Ich sage, manche Geräusche sind nett, wenn man sie tagsüber hört. Nachts wollen sie ernst genommen werden.“ „Und?“ „Nimm sie ernst. Aber gib ihnen nicht zu viel Zeit.“ „Ist das ein Spruch aus eurem Lehrerbuch?“ „Nein“, sagte Weber. „Das ist von mir.“

Lena kam dazu, die Hände nass bis zum Handgelenk. „Und was ist mit Hütte 3?“ Weber zog die Stirn in Falten. „Hütte 3 ist alt. Holz fault. Boden hängt durch. Ich habe die Schlüssel. Alle bleiben weg.“ „Und wenn es klopft?“ „Dann seid ihr zufällig woanders.“

Sie ließen es dabei. Bis zum Mittag passierte nichts, das nicht in einen normalen Tag gepasst hätte. Wasser, Gelächter, das Fluchen, wenn jemand aus Versehen mit dem Paddel den Dreck vom Grund hochschabte und sein Boot damit braun malte. Es war fast schön, bis die Wolken gegen drei Uhr nach vorn fielen, als hätte sich die Landschaft daran angestoßen. Der See bekam eine Farbe, die eher Erinnerung war als Wasser. Das Gelächter wurde leiser.

Klopf.

Keiner außer Paul und Lena schien es zu hören. Es kam nicht vom See. Es kam auch nicht vom Wald. Es kam wieder von der Hütte. Kurz, sauber, höflich. „Das ist ein Witz“, flüsterte Paul. „Witze haben selten Geduld“, sagte Lena.

Weber rief alle zusammen, verteilte Regenponchos, die zu groß waren und nach Schrank rochen. „In die Zelte. Pause. Wir warten das durch.“ Sie liefen in einer kleinen, stolpernden Karawane zum Lager zurück. Als Paul an Hütte 3 vorbeiging, blieb er stehen. Nicht weil er wollte, sondern weil die Hütte es wollte. In der feuchten Scheibe stand etwas geschrieben, das von innen kommen musste, weil der Regen es nicht verwischte. Drei Buchstaben. Krumm. W a c h.

Lena sah es auch. Sie griff nach seinem Ärmel. „Jetzt reicht’s.“ „Ich habe nichts gemacht“, sagte Paul. „Eben.“

Sie duckten sich ins Zelt. Der Regen prasselte, der Boden war plötzlich sehr gut darin, kleine Pfützen zu bauen. Paul zog die Schuhe aus, stellte sie in die Ecke und lachte leise, weil sie aussahen wie zwei nasse Tiere, die auf bessere Zeiten warteten.

Die Stunde verging langsam, wie wenn man spürt, dass jemand im gleichen Raum wach ist. Als der Regen nachließ, hörten sie Schritte draußen. Nicht eine Person. Mehrere. Keine Stimmen dazu.

Die Reißverschlüsse der anderen Zelte blieben zu. Die Schritte gingen an ihrer Wand vorbei, hielten, als überlegten sie, dann weiter, Richtung Hütte. „Wir bleiben hier“, flüsterte Lena. „Wir bleiben hier“, wiederholte Paul.

Die Schritte kehrten zurück. Vor ihrem Zelteingang blieb es still. Paul hielt den Atem an. Klopf. Klopf. Klopf.

Er zählte mit. Eins. Zwei. Drei. Lena zählte nicht. Sie griff nur nach seiner Hand. „Wenn du aufmachst, hau ich dich“, flüsterte sie. „Ich mach nicht auf.“

Das Klopfen hörte auf. Ein Schatten bewegte sich über der Plane. Sanft. Als würde jemand von außen die Hand auflegen, um zu fühlen, ob sie atmen.

Die Hand blieb einen Moment zu lang.

Dann zog sie sich zurück.

Am Abend saßen sie wieder am Feuer. Weber erzählte eine harmlose Geschichte über eine Kanne Tee, die drei Jahre lang auf einer Hütte stehen geblieben war und trotzdem nach Pfefferminze roch. Die Gruppe lachte an den richtigen Stellen. Das Feuer sprach mit kleinen, klaren Tönen, die nicht wie Holz klangen, sondern wie Glas, das nicht brechen will.